Der Verletzte im Sinne des § 172 StPO bei Vermögensdelikten zum Nachteil von Kapitalgesellschaften

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aa) Entlastung der Strafverfolgungsbehörden



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Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass der Hauptzweck der Privatklage in der Entlastung der staatlichen Strafverfolgungsbehörden liegt. Diese Annahme wird auch durch die Entstehungsgeschichte der heutigen §§ 374 ff. StPO gestützt. Die Einführung der Privatklage in die RStPO war von dem Motiv getragen, zu vermeiden, dass auch Straftaten, an deren Ahndung kein öffentliches Interesse bestand, von der Staatsanwaltschaft verfolgt werden mussten. Dieses Bestreben offenbarte sich auch in diversen nachfolgenden Entwürfen zur Reform des Strafverfahrensrechts, in denen u. a. eine Ausweitung des Kataloges der Privatklagedelikte vorgesehen war. Angesichts der allgemeinen Ressourcenknappheit in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts verschärfte sich das Problem der Beanspruchung der Staatsanwaltschaft noch weiter. Daher häuften sich wiederum die Vorschläge zur Entlastung derselben in Fällen, in denen nur ein geringes bis kein öffentliches Interesse an Strafverfolgung bestand. Ein 1920 veröffentlichter Entwurf des Justizministeriums, welcher maßgeblich die Entlastung der Staatsanwaltschaft, vor allem durch eine Aufweichung des Legalitätsprinzips in Fällen geringfügiger Delikte, zum Ziel hatte, sah als Reaktion darauf abermals eine Erweiterung des Kreises der Privatklagedelikte vor. Verwirklicht wurde dieses Anliegen schließlich teilweise mit dem Gesetz zur Entlastung der Gerichte vom 11.3.1921, durch das der Deliktskatalog in § 374 Abs. 1 StPO weitgehend die heutige Fassung erhielt.






bb) Sinn und Zweck der Antragsberechtigung des Verletzten



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Nicht geklärt ist damit allerdings, welchem Zweck die Privatklageberechtigung gerade des Verletzten dient. Wäre es dem Gesetzgeber allein um eine Entlastung der Strafjustiz gegangen, hätte doch die Schaffung von Amts wegen einsetzbarer Instrumente der Verfahrensvermeidung bzw. -beendigung, wie etwa die Einstellung aus Opportunitätsgründen, die kurze Zeit später durch die „Emminger-Verordnung“ im Jahr 1924 Eingang in das Strafprozessrecht gefunden hat, nahegelegen. Stattdessen wurde der sachliche Anwendungsbereich der Privatklage in den folgenden Jahrzehnten noch ausgeweitet. Der Gesetzgeber hielt es also offenbar für geboten, trotz fehlenden öffentlichen Interesses, eine Strafverfolgung zu ermöglichen, wenn dies dem Willen des Verletzten entsprach.



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Die vom Reichstag zur Schaffung der RStPO eingesetzte Justizkommission sah den Legitimationsgrund für die prinzipale Privatklage somit auch in dem „besondere Interesse des Verletzten an Verfolgung der erwähnten Vergehen“. Auch der spätere Entwurf einer RStPO aus dem Jahr 1909 ging davon aus, dass in den Fällen der Privatklagedelikte ein besonderes Interesse des Geschädigten an der Verfolgung, bezeichnet als „Genugtuungsverlangen“, weiterhin bestehe und es durch die Gewährung eines eigenen Anklagerechts strafprozessual Berücksichtigung finden müsse. Auch heute ist es überwiegend anerkannt, dass das Privatklageverfahren neben der Entlastung der Strafverfolgungsbehörden auch die Befriedigung des berechtigten Genugtuungsinteresses des Verletzten bezweckt. Dies trifft zu. Die §§ 374 ff. StPO sehen die Durchführung eines Strafprozesses trotz fehlenden öffentlichen Interesses vor. Legitimation erhält das Verfahren somit allein durch das private Verfolgungsinteresse des Verletzten. Dabei richtet sich die Durchführung des Strafprozesses aufgrund einer Privatklage grundsätzlich nach denselben Vorschriften, die für Offizialverfahren gelten. So hat das Gericht den Sachverhalt z.B. gem. § 244 Abs. 2 StPO von Amts wegen aufzuklären. Urteile im Privatklageverfahren erwachsen ebenso in Rechtskraft wie diejenigen im Offizialverfahren und Verurteilungen werden nach den allgemeinen Vorschriften vollstreckt. Es findet mithin auch im Fall der Privatklage ein staatliches Verfahren statt, an dessen Ende die Verhängung und Vollstreckung einer vollwertigen Kriminalstrafe stehen kann. Im Rahmen der §§ 374 ff. StPO wird somit das Genugtuungsinteresse des Privatklägers als berechtigt anerkannt.





cc) Zwischenergebnis



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Die Privatklage bezweckt neben der Entlastung der Strafverfolgungsbehörden auch die Wahrung des berechtigten Genugtuungsinteresses des Privatklageberechtigten.






c) Sinn und Zweck der Nebenklage, §§ 395 ff. StPO



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Der Verletzte einer behaupteten Straftat ist befugt, sich dem Strafverfahren als Nebenkläger anzuschließen, wenn einer der in § 395 Abs. 1-3 StPO genannten Anschlussgründe vorliegt. Er nimmt dadurch die Stellung eines Verfahrensbeteiligten ein und ist mit den in § 397 Abs. 1 StPO aufgeführten Beteiligungsrechten ausgestattet. Zum Telos der Nebenklage werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Zumeist wird eine doppelte Zweckrichtung angenommen; sie soll einerseits eine Kontrolle der Staatsanwaltschaft, andererseits auch die Wahrung individueller Interessen des Verletzten gewährleisten.






aa) Kontrolle der Staatsanwaltschaft



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Nach überwiegender Auffassung dient die Nebenklage zumindest auch der Kontrolle der Staatsanwaltschaft. Durch die Zulassung eines weiteren Prozessbeteiligten, der mit eigenen Mitwirkungsrechten ausgestattet, gleichsam an die Seite des Staatsanwaltes tritt, werde der Gefahr eines möglicherweise fehlenden Verfolgungseifers der Staatsanwaltschaft entgegengewirkt. Dies kann allerdings nur dann überzeugen, wenn bei den in § 395 Abs. 1 StPO aufgeführten Delikten in der Regel ein erhöhtes Risiko staatsanwaltlicher Untätigkeit besteht. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Tatbestände, auf die § 395 Abs. 1 StPO verweist, beschreiben ganz überwiegend Verhaltensweisen mit typischerweise überdurchschnittlich hohem Unrechtsgehalt. Da an der Verfolgung solcher Taten grundsätzlich ein größeres öffentliches Interesse besteht als an der Ahndung geringfügigerer Delikte, ist es im Gegenteil wahrscheinlich, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren mit entsprechend größerem Engagement betreibt. Eine Ausnahme bildet insoweit nur der Anschlussgrund des § 395 Abs. 2 Nr. 2 StPO, demzufolge sich derjenige, der die Anklage durch ein Klageerzwingungsverfahren herbeigeführt hat, als Nebenkläger am weiteren Verfahren beteiligen darf. Hier liegt der Grund für die Anschlussbefugnis in der Notwendigkeit, eine erkennbar verfolgungsunwillige Staatsanwaltschaft im Hauptverfahren der Kontrolle durch den Verletzten zu unterwerfen.






bb) Sinn und Zweck der Antragsberechtigung des Verletzten



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Lassen sich die Vorschriften zur Nebenklage jedenfalls nicht vollständig mit dem Gedanken der Kontrolle der Staatsanwaltschaft begründen, stellt sich die Frage, welchem Zweck das Institut stattdessen dient. Der Umstand, dass in erster Linie die verletzte Person anschlussbefugt ist, legt den Schluss nahe, dass die §§ 395 ff. StPO jedenfalls auch dazu bestimmt sind, ein spezifisches Interesse des Verletzten zu wahren.





(1) Persönlichkeitsschutz des Verletzten





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So ist die Annahme verbreitet, dass die Nebenklage einer besonderen Schutzbedürftigkeit des Verletzten im Strafverfahren Rechnung trage. Den in § 395 Abs. 1 StPO genannten Delikten sei gemein, dass sie typischerweise in die Intimsphäre des Verletzten eingreifen und dieser daher im späteren Prozess möglicherweise genötigt sein wird, sich seinerseits vor Schuldzuweisungen und weiteren Kränkungen seitens des Angeklagten oder anderer Personen zu schützen. Auch wenn es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass dies auch die Zielsetzung des Gesetzgebers bei der Schaffung der RStPO war, lag dieses Motiv jedenfalls den zahlreichen Modifikationen des Deliktskatalogs des § 395 Abs. 1 StPO in den letzten Jahrzehnten zugrunde. Eine Ausnahme bildet demgegenüber die Anschlussberechtigung bei Straftaten gegen gewerbliche Schutzrechte gem. § 395 Abs. 1 Nr. 6 StPO. Hier spielt der Aspekt des Persönlichkeitsschutzes des Verletzten keine Rolle. Das Motiv für die Aufnahme dieser Tatbestände in den Katalog der Nebenklagedelikte war vielmehr das Interesse des Verletzten an einer Einziehung der Ware nach den §§ 74 ff. StGB sowie an der öffentlichen Bekanntmachung der Verurteilung, auf die der Verletzte schon während des Strafverfahrens hinwirken können solle.





(2) Befriedigung des Genugtuungsinteresses des Verletzten





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Einige Autoren vertreten die Auffassung, die Nebenklage diene der Durchsetzung des berechtigten Genugtuungsinteresses des Verletzten. Besonders bis zum Inkrafttreten des Opferschutzgesetzes vom 18.12.1986 war diese Annahme verbreitet. Denn bis dahin war der Verletzte immer dann zum Anschluss als Nebenkläger befugt, wenn die Tat mit der dem Genugtuungsinteresse dienenden Privatklage verfolgbar war; ein eigener Straftatenkatalog, wie er heute in § 374 Abs. 1 StPO normiert ist, existierte nicht. In neuerer Zeit wird diese Auffassung zumeist mit dem Recht des Nebenklägers zur selbstständigen Einlegung von Rechtsmitteln gegen das Urteil begründet. Diese Befugnis könne nicht mit dem Schutz des Verletzten vor Schuldzuweisungen begründet werden, da sie nicht geeignet sei, dieses Ziel zu erreichen. Stattdessen gewähre die Rechtsmittelbefugnis dem Nebenkläger die Möglichkeit, sich gegen ein aus seiner Sicht unangemessenes, in der Regel zu mildes Urteil zu wehren und damit sein Genugtuungsverlangen zu befriedigen.

 



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Diese Argumentation verkennt jedoch, dass das Bedürfnis des Verletzten, sich gegen Vorwürfe des Angeklagten zur Wehr zu setzen, im Rechtsmittelverfahren ebenso wie im Erkenntnisverfahren bestehen kann. Wurde dem Verletzten im erstinstanzlichen Verfahren zu Unrecht etwa eine Mitschuld unterstellt, ist eine erneute Hauptverhandlung im Rahmen der Berufung notwendig, um diesen Eindruck zu beseitigen. Aber auch die Revision kann dem Verletzten zur Rehabilitierung verhelfen. Zwar können hier nur Rechtsfehler beanstandet werden; es erscheint aber dennoch möglich, dass der Verletzte etwa durch die Rüge, das erkennende Gericht habe ihn entlastende und damit den Täter belastende Umstände nicht ausreichend ermittelt (Aufklärungsrüge), seiner Diskreditierung entgegenwirkt. Dass die Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers kein Beleg dafür ist, dass der Gesetzgeber mit der Nebenklage das Genugtuungsinteresse des Verletzten schützen wollte, zeigt der Umstand, dass § 400 Abs. 1 Var. 1 StPO eine Anfechtung des Rechtsfolgenausspruchs durch den Nebenkläger ausschließt. Dieser kann sich mithin nicht gegen eine aus seiner Sicht ihrem Umfang oder ihrer Art nach zu milde Bestrafung des Täters wenden. Damit wird aber ein für das Genugtuungsverlangen des Verletzten ganz wesentlicher Aspekt des Urteils einer Anfechtung ausdrücklich entzogen, denn der Geschädigte wird durch eine aus seiner Sicht zu geringe Sanktionierung in der Regel keine ausreichende Genugtuung erfahren. Dass es ihm verwehrt ist, sich gegen einen solchen Rechtsfolgenausspruch zu wenden, macht die Rechtsmittelbefugnis zu einem ungeeigneten Mittel für den Nebenkläger, sein Genugtuungsinteresse wirksam durchzusetzen. Auch die zahlreichen Reformen des Nebenklagerechts zielten erkennbar darauf ab, das Genugtuungsinteresse als Legitimationsgrund für die Nebenklage in den Hintergrund zu drängen. So stellte bereits der RegE zum 1. StVRG vom 11.12.1974 fest, dass die Berücksichtigung eines Genugtuungsinteresses des Verletzten im Rahmen der Nebenklage dem modernen Verständnis von Strafrecht nicht mehr entspreche. Ganz in diesem Sinne waren die nachfolgenden Reformgesetze in erster Linie darauf ausgerichtet, einen hinreichenden Persönlichkeitsschutz des Verletzten zu gewährleisten, ihm vor allem die Möglichkeit zu geben, sich vor Schuldzuweisungen seitens des Angeklagten zu schützen.





cc) Zwischenergebnis



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Das Institut der Nebenklage bezweckt in erster Linie einen Persönlichkeitsschutz des Berechtigten. Er soll in der Lage sein, sich als Prozessbeteiligter vor Schuldzuweisungen und ähnlichen Angriffen seitens des Angeklagten oder Dritter zu wehren. Eine Ausnahme bildet die Regelung des § 395 Abs. 2 Nr. 2 StPO, nach der der Verletzte, der die Anklage durch ein Klageerzwingungsverfahren herbeigeführt hat, zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt ist. Insoweit dient die Nebenklage vorrangig der Kontrolle der erweislich verfolgungsunwilligen Staatsanwaltschaft durch den Verletzten.






d) Sinn und Zweck des Klageerzwingungsverfahrens, §§ 172 ff. StPO



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Nachdem die Zweckrichtungen des Strafantrags, der Privatklage und der Nebenklage untersucht wurden, wird im Folgenden auf den Telos des Klageerzwingungsverfahrens eingegangen, um festzustellen, ob und gegebenenfalls mit welchen Verletzteninstituten Übereinstimmung hinsichtlich der Berechtigung des Verletzten besteht.






aa) Sicherung des Legalitätsprinzips



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Nach h.M. dient das Klageerzwingungsverfahren dazu, die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, ein Ermittlungsverfahren nicht einzuleiten bzw. einzustellen, einer Kontrolle zu unterwerfen. Dadurch soll das Legalitätsprinzip abgesichert werden. Unter dem Legalitätsprinzip wird im Strafverfahrensrecht allgemein die Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden verstanden, bei Vorliegen eines gesetzlich bestimmten Verdachtsgrades bestimmte Verfolgungsmaßnahmen zu ergreifen. Normiert ist dieser Grundsatz in § 152 Abs. 2 StPO, nach dem die Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Ist der Sachverhalt hinreichend erforscht und bieten die Ermittlungen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage, ist die Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 1 StPO verpflichtet, Anklage zu erheben. Genügender Anlass besteht nach überwiegender Auffassung, wenn ein hinreichender Tatverdacht i.S.d. § 203 StPO vorliegt, das heißt eine Verurteilung des Beschuldigten wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Da die Frage nach einem hinreichenden Tatverdacht eine Prognoseentscheidung erforderlich macht, kommt der Staatsanwaltschaft bei der Subsumtion unter diesen unbestimmten Rechtsbegriff ein Beurteilungsspielraum zu. Dieser hat jedoch im Falle der Anklageerhebung wegen der umfassenden gerichtlichen Überprüfung im Zwischenverfahren sowie im Falle der Verfahrenseinstellung wegen der Möglichkeit einer vollen gerichtlichen Kontrolle gem. den §§ 172 ff. StPO keine praktische Bedeutung. Lehnt die Staatsanwaltschaft eine Verfolgung ab und stellt sie das Verfahren ein, so hat sie gem. § 171 StPO denjenigen, der einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt hat, unter Angabe der Gründe zu bescheiden. Ist der Antragsteller durch die Straftat, ihre Begehung angenommen, verletzt worden, steht ihm nach § 172 Abs. 1 StPO die Möglichkeit offen, gegen die Einstellung Beschwerde beim vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft einzulegen. Hat die Beschwerde keinen Erfolg, kann der Verletzte gem. Absatz 2 der Vorschrift vor dem zuständigen Oberlandesgericht beantragen, die Staatsanwaltschaft zur Erhebung der Anklage zu verpflichten (§ 175 StPO). Der Antrag ist jedoch gem. § 172 Abs. 2 S. 3 StPO unzulässig, wenn die Staatsanwaltschaft nach den §§ 153 Abs. 1, 153a Abs. 1 S. 1, 7 bzw. 153b Abs. 1 StPO von der Verfolgung der Tat abgesehen oder das Verfahren nach den §§ 153c bis 154 Abs. 1 bzw. 154b oder 154c StPO eingestellt hat. Gleiches gilt, wenn das Verfahren ausschließlich Privatklagedelikte zum Gegenstand hat. Dann ist sowohl die Verneinung eines öffentlichen Interesse i.S.d. § 376 StPO als auch – nach Bejahung eines öffentlichen Interesses – die Einstellung gem. § 170 Abs. 2 StPO einer Kontrolle entzogen. Eine gerichtliche Kontrolle der staatsanwaltlichen Verfahrenseinstellung ist also nicht vorgesehen, wenn diese aufgrund von Vorschriften, die eine Entscheidung aus Opportunitätsgründen ermöglichen, erfolgt ist. Dies zeigt, dass das Klageerzwingungsverfahren auf die Absicherung des Legalitätsprinzips zugeschnitten ist und diese bezweckt.






bb) Sinn und Zweck der Antragsberechtigung des Verletzten



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Umstrittener ist die Frage, warum gerade der durch die Tat Verletzte klageerzwingungsberechtigt ist. Denn es steht außer Zweifel, dass eine Sicherung des Legalitätsprinzips am effektivsten erreicht würde, wenn jedermann eine gerichtliche Überprüfung von Verfahrenseinstellungen herbeiführen könnte.





(1) Der Verletzte als bloßes Mittel zur Sicherstellung des Legalitätsprinzips





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Einer Ansicht nach dient die Antragsberechtigung des Verletzten allein dazu eine, unter Ausschluss von Popularklagen, möglichst umfassende Kontrolle des Legalitätsprinzips sicherzustellen. Der Verletzte habe aufgrund seiner individuellen Betroffenheit von der Tat in aller Regel das größte Interesse an der Durchführung eines Strafverfahrens, weshalb von ihm in größerem Maße Misstrauen gegenüber staatsanwaltlichen Verfahrenseinstellungen zu erwarten sei. Das Genugtuungsinteresse des Verletzten sei demnach nicht selbst Schutzzweck des Klageerzwingungsverfahrens, sondern bloß Mittel zur Erreichung der durch die §§ 172 ff. StPO ausschließlich bezweckten Sicherung des Legalitätsprinzips.



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Für ein solches Verständnis spricht die Entstehungsgeschichte des Instituts. Der Gesetzgeber war in erster Linie bestrebt, die Einstellungsentscheidungen der Staatsanwaltschaft unter eine gerichtliche Kontrolle zu stellen. Zur Erreichung dieses Zwecks wurde gegenüber der Alternative einer subsidiären Privatklage die Möglichkeit einer gerichtlichen Verpflichtung der Staatsanwaltschaft bevorzugt. Dass die Befugnis zur Anrufung des Gerichts gerade dem Verletzten zugestanden wurde, beruhte dabei nicht auf der Überlegung, dass dem Verletzten zur Durchsetzung seiner Interessen ein Rechtsbehelf gegeben werden müsse, sondern war vielmehr ein Zugeständnis des Reichstags an Reichsregierung und Bundesrat. Wollte ersterer eine möglichst effektive private Kontrolle der Staatsanwaltschaft ermöglichen, waren letztgenannte an einer möglichst starken Beschränkung privater Einflussnahme auf die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörde interessiert. Die am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten hatten daher nicht die Interessenlage des Verletzten im Blick, sondern stritten allein über den Umfang der Kontrolle, der sich die Staatsanwaltschaft zu unterwerfen habe.





(2) Rechtsschutzmöglichkeit für den Verletzten





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Nach der Gegenansicht dient das Klageerzwingungsverfahren auch dem Schutz des berechtigten Genugtuungsinteresses des Verletzten. Indem es einen Rechtsweg gegen rechtswidrige, das Legalitätsprinzip missachtende Verfahrenseinstellungen der Staatsanwaltschaft eröffnet, wäre das Klageerzwingungsverfahren demnach strukturell eine gegen die Staatsanwaltschaft gerichtete Verpflichtungsklage mit dem Ziel, die Erhebung der öffentlichen Klage bzw. die Wiederaufnahme darauf gerichteter Ermittlungen zu erreichen. Voraussetzung für eine solche Annahme ist jedoch, dass der Verletzte durch die Missachtung des Legalitätsprinzips in einem eigenen subjektiven Recht betroffen ist und ihm daher ein Anspruch gegen die Staatsanwaltschaft auf Beachtung des Legalitätsprinzips zukommt. Dient das Legalitätsprinzip dagegen ausschließlich dem öffentlichen Interesse an gleichmäßiger Strafverfolgung, kann auch das Klageerzwingungsverfahren nicht dem Schutz individueller Interessen des Verletzten dienen. Da das Legalitätsprinzip die Gleichmäßigkeit der Einleitung und Durchführung des Strafverfahrens sicherstellen soll, entspricht seine Zweckrichtung derjenigen des Strafverfahrens. Es ist daher zunächst zu klären, welchen Zwecken das Strafverfahren dient.





(a) Zweck des Strafverfahrens und Genugtuungsinteresse des Verletzten





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Eine umfassende Auseinandersetzung mit den Zwecken des Strafverfahrens kann angesichts des Umfangs des Meinungsspektrums in der strafprozessualen Literatur an dieser Stelle nicht geleistet werden. Es ist schon streitig, ob sich überhaupt ein einheitlicher Telos ermitteln lässt, der nicht Gefahr läuft, zu pauschal und damit inhaltsleer zu sein. Sie ist auch nicht notwendig, denn für die hier interessierende Frage nach dem Sinn und Zweck des Klageerzwingungsverfahrens ist allein von Bedeutung, ob das Strafverfahren zumindest auch dazu bestimmt ist, ein Genugtuungsinteresse des Verletzten zu befriedigen. Dabei soll von der weitgehend anerkannten Prämisse ausgegangen werden, dass das Strafverfahren zumindest auch der Wiederherstellung des durch den Verdacht einer Straftat gestörten Rechtsfriedens dient. In ihr wird teilweise das Endziel des Strafprozesses, das durch Zwischenziele wie etwa die Ermittlung der materiellen Wahrheit, die Schaffung von Gerechtigkeit bzw. die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs gefördert wird, zum Teil aber auch ein eigenständiger Zweck, der gegebenenfalls neben andere in Ausgleich zu bringende Ziele tritt, gesehen. Dabei wird der Rechtsfrieden nicht als empirisch nachweisbarer psychologischer Zustand, sondern normativ verstanden. Rechtsfrieden herrsche dann, „wenn von der Gemeinschaft vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich über den Verdacht einer Straftat beruhige“. Erreicht wird dies durch die rechtlich ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens, in dessen Rahmen eine Befassung mit dem Tatverdacht stattfindet, durch die der Staat zu erkennen gibt, dass er bereit und in der Lage ist, auf die Friedensstörung zu reagieren. Die davon zu erwartende Beruhigung der Rechtsgemeinschaft nennt man Rechtsfrieden.

 



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Zum Teil wird nun argumentiert, dass, wenn das Strafverfahren der Wiederherstellung des Rechtsfriedens der beunruhigten Allgemeinheit dient, es notwendigerweise auch dazu bestimmt sei, den persönlichen Rechtsfrieden des Einzelnen zu restituieren. Dies müsse für den Verletzten in besonderem Maße gelten. Er habe wegen seiner besonderen Nähe zur Tat und seiner individuellen Betroffenheit größeren Anlass zur Beunruhigung als unbeteiligte Mitglieder der Rechtsgemeinschaft. An diesem Ansatz ist richtig, dass es für die Annahme, der Strafprozess diene auch dem Verletzteninteresse, nicht ausreicht, dass der Verletzte Teil der in ihrem Rechtsfrieden gestörten Allgemeinheit ist. Grundsätzlich erfolgen Strafverfahren sowie Bestrafung im öffentlichen Interesse. Um einen Schutz von spezifischen Individualinteressen annehmen zu können, ist es daher erforderlich, dass das Strafverfahren diesen Interessen in höherem Maße dient, als es hinsichtlich der übrigen Mitglieder der Rechtsgemeinschaft der Fall ist.



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Jedoch kann nicht ohne Weiteres aus einer faktisch intensiveren Betroffenheit darauf geschlossen werden, dass das Strafverfahren den Schutz des Verletzten auch bezweckt. Dieser Schluss mag naheliegen, dogmatisch begründbar ist er in dieser Weise aber nicht. Für die Frage, ob das Strafverfahren den Schutz eines bestimmten Verletzteninteresses bezwecken soll, kommt es vielmehr entscheidend darauf an, ob das Gesetz konkrete Anhaltspunkte für eine entsprechende Zweckrichtung gibt. Insbesondere seit dem Aufkommen der Diskussion über eine Reform der Stellung des Opfers im Rahmen des Strafverfahrens Anfang der 1980er Jahre haben vermehrt opferschützende Vorschriften Eingang in die StPO gefunden und sind neben die bestehenden Verletzteninstitute (Nebenklage, Privatklage, Klageerzwingungsverfahren, Strafantrag) getreten. Zu nennen sind hier etwa die durch das Opferschutzgesetz vom 18.12.1986 eingeführten §§ 406d ff. StPO, die dem Verletzten besondere Informations- und Beteiligungsbefugnisse gewähren. Durch dasselbe Gesetz fand auch eine grundlegende, an spezifischen Opferschutzinteressen ausgerichtete Neugestaltung der Nebenklage statt. Weitere wesentliche Änderungen bzw. Ergänzungen zur Verbesserung des Opferschutzes enthielten das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren vom 24.6.2004 sowie das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren vom 29.7.2009. Diese gesetzliche Entwicklung wird teilweise zum Anlass genommen, eine eigenständige Subjektstellung des Verletzten anzuerkennen; sie soll darüber hinaus nach Auffassung mancher Autoren bereits ein Beleg dafür sein, dass zu den Zwecken des Strafverfahrens auch der Opferschutz zu zählen sei.



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Gesetzliche Anhaltspunkte dafür, dass das Interesse des Opfers an einer Wiederherstellung seines persönlichen Rechtsfriedens durch das Strafverfahren geschützt wird, könnten sich aus den Vorschriften über die strafprozessuale Berücksichtigung des Nachtatverhaltens des Täters gegenüber dem Verletzten ergeben. So hebt § 46 Abs. 2 S. 2 a.E. StGB explizit das Bemühen um Schadenswiedergutmachung bzw. um einen Ausgleich mit dem Verletzten als strafzumessungsrelevante Tatsache hervor. § 46a StGB ermöglicht, zusammengefasst, eine Strafrahmenmilderung oder ein Absehen von Strafe, wenn der Täter sich entweder um eine Wiedergutmachung der Tat zumindest ernsthaft bemüht (Nr. 1) oder den verursachten Schaden dem Verletzten wenigstens zum überwiegenden Teil ersetzt (Nr. 2). Im Ermittlungsverfahren findet eine eventuelle Wiedergutmachung zugunsten des Verletzten durch § 153a Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 5 StPO Berücksichtigung, nach dem das Strafverfahren unter der Auflage eingestellt werden kann, dass der Beschuldigte den dem Verletzten durch die Straftat entstandenen Schaden wiedergutmacht (Nr. 1) bzw. sich, § 46a StGB entsprechend, um eine Wiedergutmachung der Tat zumindest ernsthaft bemüht (Nr. 2). Allen genannten Vorschriften liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Ausgleich zwischen Täter und Verletztem dazu geeignet ist, einerseits general- und spezialpräventive Bedürfnisse der Allgemeinheit zu befriedigen, andererseits aber auch, den persönlichen Rechtsfrieden des Tatopfers auf diesem Wege jedenfalls teilweise wiederherzustellen. Der Verletzte ist somit nicht nur tatsächlich ein in besonderer Weise betroffenes Mitglied der Rechtsgemeinschaft, sondern sein Bedürfnis nach Wiederherstellung seines persönlichen Rechtsfriedens wird auf diese Weise als Zwischenziel zur Erreichung des Verfahrenszwecks gesetzlich aner

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