Lebe Lang ... und was ich auf meinem Weg lernte

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Die Aussicht, auf dem Broadway 50 Jahre nach dem letzten Auftritt zu spielen, begeisterte mich. Das New Yorker Publikum ist am anspruchsvollsten, kritischsten und zugleich am liebenswertesten, weshalb ich zur Vorbereitung des Auftritts die Show neu schrieb und inszenierte. Ich fügte neues Material hinzu und strich altes, was zu einer essenziell neuen Performance führte. Am ersten Abend fand auch das Debüt des brandneuen Konzepts statt.

Ich war sehr aufgeregt und ängstlich und stellte mir die Frage: „Was zum Teufel werden sie davon halten?“ Am Abend vor dem großen Auftritt nahmen Elizabeth, meine Wenigkeit und mein Manager Larry Thompson ein frühes Dinner ein, damit ich schnell ins Bett kam, um mich für den Auftritt gut auszuruhen. In dem exquisiten Restaurant aß ich nur einen Hamburger. Am nächsten Morgen wachte ich mit einer Lebensmittelvergiftung auf.

Mein Magen tanzte, und ich fühlte mich todkrank. Daraufhin verbrachte ich den ganzen Tag im Hotelzimmer und traute mich nicht, den Sicherheitsradius der Toilette zu verlassen. Glücklicherweise eilte mir der fantastische Dr. Mehmet Oz zu Hilfe. Ich war vollkommen dehydriert, bekam aber nichts runter, fühlte mich krank und schwach. Ich zog es jedoch keine Sekunde in Erwägung, die Show abzusagen. Ein Soloauftritt am Broadway stand bevor! Auf den Abend hatte ich 50 Jahre lang hingearbeitet.

Schließlich schaffte ich es zum Theater. Das Music Box war ausverkauft, die Kritiker hatten Platz genommen, und ich litt unter einer Lebensmittelvergiftung. Ich ging auf die Bühne, der Wärme des Publikums entgegen, was möglicherweise die beste Medizin war. Zu Beginn des Auftritts verflüchtigten sich meine Ängste und für einige Minuten sogar die Symptome der Vergiftung. Ich vergaß alles – aber nur für eine kurze Zeit. Dann schüttelte es mich durch.

Überrascht musste ich feststellen, dass sich überhaupt noch etwas in mir befand, doch ungefähr zur Hälfte der Show machte ich mir in die Unterhose. Alles was ich je gelernt habe, der Glaube, dass die Show weitergehen musste, wurde an diesem Abend auf eine Bewährungsprobe gestellt. Ich stand auf der Bühne und dachte: Eines Tages erzähle ich die Geschichte aus einer historischen Perspektive, und die Leute werden sich über diese Peinlichkeit köstlich amüsieren. Das ist doch eine wunderbare Story – aber nicht heute Abend. Nicht in diesem Augenblick.

Ich erklärte dem Publikum: „Es tut mir leid, aber wir haben ein kleines technisches Problem. Ich bin sofort wieder zurück.“ Ich hastete die Treppe rauf und sprang kurz unter die Dusche. Elizabeth hielt sich in der Garderobe auf. Ich wechselte also die Unterhosen, rannte wieder runter, zurück auf die Bühne und beendete die Show. Zu meiner Verblüffung kam nichts mehr nach. Der Auftritt wurde mit guten Kritiken honoriert, und ich hatte während der kompletten Aufführungsdauer keine Probleme mehr: Die Show lief, und meine Läufe endeten.

Seine Einsatzbereitschaft zu zeigen, verlangt oft nur ein einfaches Ja. Ein Bekannter lebt nach einer unumstößlichen Regel: Klingelt das Telefon, lautet die einzig mögliche Antwort: „Ja.“ Egal, welche Frage gestellt wird. Die Antwort heißt: „Ja!“ So mag auch das Credo der Schauspieler sein. Nur wenige Darsteller, besonders zu Beginn, in der Mitte oder am Ende der Karriere (also immer), können es sich leisten, eine Arbeit auszuschlagen. „Wir wollen, dass du gefühlvoll einen Stein spielst. Möchtest du lieber ein Felsen oder ein Kieselstein sein?“ „Wir wollen, dass du die Hauptrolle in einem Film übernimmst, der in einer Sprache gedreht wird, die niemand versteht.“ „Kie estas la necesejo?“ Das bedeutet in Esperanto entweder „Ich nehme den Job an“ oder „Wo ist die nächste Toilette?“

Ein von mir sehr geschätzter Produzent, mit dem ich häufig arbeitete, wollte mich mit einem Helikopter auf einen Gletscher transportieren und dann mutterseelenallein zurücklassen. Meine beiden schlimmsten Ängste sind Einsamkeit und große Höhen. Diese Herausforderung kombinierte beide! „Ja“, lautete meine Antwort.

Bevor der Helikopter abflog und mich allein Tausende Fuß hoch auf einem Bergkamm zurückließ, sprach der Produzent die beruhigenden Worte: „Beweg dich hier nicht so viel. Möglicherweise ist eine Gletscherspalte in der Nähe.“

Naja, um eins musste er sich wirklich keine Sorgen machen – dass ich mich hier oben ausgedehnt bewegen würde.

Ein Ja auszusprechen, ist ein Beginn. Antwortet man mit Nein oder ausweichend, verbaut man sich eine Möglichkeit. Das ähnelt dem Verhalten, auf ein Blind Date mit einem Nein zu reagieren. Der Mann oder die Frau mögen vielleicht nicht der ideale Partner sein, aber mal ein nicht wünschenswertes Dinner mit einem Serienmörder ausgeschlossen, verbaut man sich damit die Chance, eine neue Welt kennenzulernen, neue Menschen zu treffen, neue Abenteuer zu erleben.

Manchmal ist ein Ja auch vorzuziehen, obwohl die Logik und der gesunde Menschenverstand zu einem Nein tendieren lassen. Das kann vielleicht eine bedeutende Entwicklung im Leben anstoßen. Am Anfang meiner Karriere hatte ich das Glück, beim Stratford Festival für den großartigen Regisseur Tyrone Guthrie arbeiten zu dürfen. Für einen jungen Schauspieler stellte es eine bemerkenswerte Gelegenheit dar, mit den Besten der Zunft zu arbeiten. Ich fungierte als Nebendarsteller, der jede noch so kleine und freie Rolle übernahm. Bei der Aufführung von Heinrich V. spielte ich den Herzog von Gloucester und studierte als Ersatz für Christopher Plummer die Hauptrolle ein.

Ich stand ungefähr fünf Minuten auf der Bühne, und Chris Plummer dominierte das Stück. Es ist eine der größten jemals von Shakespeare geschriebenen Rollen. Sie ist hochkomplex und erfordert das langsame Enthüllen der Seele eines Menschen. Chris Plummer brillierte bei seiner Darstellung und erhielt tosenden Beifall. Da ich der Arbeit mit Fleiß nachging, studierte ich seine Rolle ein. Ich war mir sicher, dass es sich auf eine Chance zum Lernen beschränkte, da diese Produktionen meist nur eine kurze Zeit liefen und die Hauptdarsteller oder Hauptdarstellerinnen so gut wie nie einen Auftritt verpassten. Da wir zudem während der Saison schon das nächste Stück probten, bot sich den Nebendarstellern so gut wie niemals eine Gelegenheit, sich auf der Bühne zu beweisen.

Tatsächlich konnte höchstens der Tod oder ein extrem schmerzhafter Nierenstein den Hauptdarsteller von der Bühne fernhalten. Eines Morgens erhielt ich einen Anruf vom Produktionsbüro: Chris Plummer plagten unerträgliche Schmerzen, verursacht durch eben einen Nierenstein. Ob ich wohl an dem Abend auf die Bühne könne?

Auf die Bühne? Einen der respektiertesten jungen Theaterdarsteller ersetzen, eine der komplexesten Shakespeare-Rollen in einem Stück übernehmen, das ich noch nie in dieser Rolle geprobt hatte? Ich hatte den Text ja noch nicht mal laut gesprochen, war einigen der anderen Schauspieler noch nie näher begegnet! Wir hatten Heinrich V. noch kein einziges Mal zusammen aufgeführt, und ich wusste gar nicht, ob mir das Kostüm passte. Meine gesamte Vorbereitung beschränkte sich auf die Beobachtung Plummers in seiner Rolle.

Auf die mir gestellte Frage gab es jedoch nur eine einzige korrekte Antwort: „Auf jeden Fall!“ Ich signalisierte mein Einverständnis, hätte gar nicht gewusst, wie man Nein sagt.

Natürlich zog ich nicht mal das Risiko in Erwägung, das ich da einging. Ich war ein junger Schauspieler, von dem noch niemand etwas gehört hatte, und spielte mit dem Risiko eines Desasters. Meine Karriere hätte an dem Abend enden können. „Shatner? Ist das nicht der Kerl, der sich beim Stratford Festival total blamiert hat?“

Wenn ich nun zurückschaue – 60 Jahre später –, empfinde ich für diesen jungen Typen große Bewunderung. Ich kann mich nicht erinnern, was ich damals wohl dachte, aber es freut mich immer noch, dass ich den Mumm hatte, „Ja“ zu sagen, sogar zu so einem frühen Zeitpunkt meines Lebens. Es gibt Menschen, die mit „Nein“ geantwortet hätten, und das wäre eindeutig die vernünftigste Antwort gewesen. Doch nicht für mich. Es ist ein weiterer der roten Fäden, die durch mein Leben liefen. Ich sage „Ja“.

Woran ich mich am besten erinnern kann, wenn ich an den Abend zurückdenke? Die fehlende Angst. Ich hätte nervös sein müssen. Ich stand davor, auf die Bühne hinauszugehen, beinahe unvorbereitet und das auch noch vor einem vollen Haus in einem der prestigeträchtigsten Theater der Welt. Warum empfand ich keine Angst? Woher kam nur das Selbstvertrauen? Oder war ich vielleicht so naiv, dass ich es nicht besser wusste?

Die Inszenierung war mir hinsichtlich der Details nicht geläufig, weshalb meine größte Sorge darin bestand, eventuell einen der Kollegen umzurennen. Andere Darsteller während einer Aufführung anzurempeln, wird als ganz schlimmer Fauxpas angesehen. Wenn ein Stück Premiere hat, „friert“ der Regisseur es ein, was bedeutet, dass die Schauspieler bei jeder einzelnen Darbietung von nun an die gleichen Bewegungen machen und dieselben Texte sprechen. Schon die kleinste Abweichung verursacht einen wellenförmig um sich greifenden Effekt, der die Kollegen dazu zwingt, darauf zu reagieren.

Am Abend, an dem ich Christopher Plummer vertrat, war die Inszenierung recht simpel, da ich meine Rolle als Nebendarsteller kannte: Wenn sich Plummer hinsetzte, stand ich auf, wenn er aufstand, setzte ich mich hin.

Der Auftritt wurde wunderschön und lief außergewöhnlich gut. Die anderen Schauspieler unterstützten mich, und ich spürte, wie ich dem Publikum ans Herz wuchs. Ich verpatzte weder Zeilen, noch missachtete ich ein Zeichen – bis zu einer der letzten Szenen. Als die französische Prinzessin hereinkam, schaute ich sie direkt an – und hatte eine Mattscheibe. Ich wusste, dass jetzt eine Zeile von mir kommen musste, hatte aber nicht den blassesten Schimmer, wie sie lautete. (Vielleicht: „Hi, Prinzessin, was geht so ab?“)

 

Exakt in dem Moment wurde mir klar, dass „Ja“ vielleicht doch nicht die richtige Antwort gewesen war. Ich stand da und praktizierte edles Schweigen.

Zum Ensemble gehörte auch der hervorragende junge Schauspieler Don Cherry, der meinen jüngeren Bruder verkörperte. Was in dem Moment am wichtigsten war? Don Cherry durfte sich eines fotografischen Gedächtnisses rühmen. Er kannte das gesamte Stück auswendig – Wort für Wort. Deshalb improvisierte ich eine abweichende Inszenierung. Ich ignorierte die französische Prinzessin, ging zu Don Cherry rüber, warf meinen Arm über seine Schulter und flüsterte: „Wie lautet die Zeile?“

Don Cherry grinste verlegen, denn in dem Augenblick wusste er es auch nicht. Doch dann – wie aus heiterem Himmel – fiel mir die Zeile ein. Ich sprach sie mit einer Inbrunst, als hätte ich sie die ganze Zeit über parat gehabt. Nur die Kollegen wussten, was geschehen war. Und ich durfte mich der Standing Ovations und überschwänglicher Kritiken erfreuen. In vielerlei Hinsicht verwandelte ich mich in dieser Nacht von einem angehenden Darsteller zu einem Schauspieler. Es markierte den tatsächlichen Beginn meiner Karriere. In Stratford verpflichte man mich von nun an für größere Rollen, wodurch sich weitere Möglichkeiten eröffneten.

Ich sagte „Ja“, und dadurch verlief mein Leben anders.

Zugegebenermaßen gab es auch andere Situationen, bei denen ich meine Zustimmung signalisierte und die keinen guten Ausgang nahmen.

Früher im Leben, ungefähr vor 50 Jahren, war ich Jäger. Die Vorstellung fällt mir nun schwer, wie ich damals das Töten von Tieren als Sport überhaupt praktizieren konnte, aber ich tat es. Ich gehörte nicht zu der Gruppe, die behauptet, sie müsse der Nahrung wegen jagen, denn zum Essen besuchte ich Restaurants. Für mich war es ein Sport. Heutzutage bin ich gegen das Jagen – aus philosophischen Beweggründen, sozialen, moralischen und empirischen. Doch zu der Zeit trat ich mehrmals in diesen Outdoor-Jagdshows auf, denn die Öffentlichkeitswirksamkeit wurde für einen Schauspieler als karrierefördernd angesehen.

Ich jagte mit Pfeil und Bogen, war recht gut darin und stellte mich sogar einem Wettkampf im Cobo Center in Detroit. Doch dann lud man mich ein, Wildschweine auf Catalina Island zur Strecke zur bringen. Natürlich antwortete ich mit dem üblichen „Ja“. Im Rahmen der Show wollten wir das Tier nach dem Erlegen auch essen. Ich entdeckte also ein Wildschwein, ließ den Pfeil von der Sehne schnellen und traf es. Das verwundete Tier rannte in das dichte Unterholz, wodurch sich ein kleiner Tunnel bildete. Mich begleitete ein bewaffneter Wildhüter, da Wildschweine große und sehr gefährliche Tiere sind und sogar einen Menschen töten können. Mein Beschützer schlug vor: „Wir werden also Folgendes machen. Ich gehe in einem großen Bogen zum hinteren Ende des Gehölzes. Wenn ich Position bezogen habe, folgst du dem Schwein in den Tunnel und jagst es zur anderen Seite raus. Ich werde es dann erlegen.“

Erneut kam es mir nicht in den Sinn, ganz einfach „Nein“ zu sagen. Das wurde hier ja alles gefilmt! Eigentlich hätte ich logischerweise den Vorschlag unterbreiten sollen: „Du kriechst in den Tunnel und jagst es raus, und ich warte auf der anderen Seite und werde es mit Pfeil und Bogen erlegen.“ Stattdessen sagte ich: „Ja.“ Mir kam es überhaupt nicht in den Sinn, eine andere Entscheidung zu treffen. Ich konnte mich lediglich weigern oder – falls mich das verwundete Schwein jagte – schnell den Rückzug antreten. Das Gestrüpp war so dicht, dass der Kameramann mir nicht folgen konnte. Oder vielleicht – wenn ich es aus der Retrospektive von mehreren Jahrzehnten betrachte – war er auch viel zu klug, um mir zu folgen. Auf jeden Fall begnügte er sich damit, Aufnahmen von sich bewegenden Büschen zu machen.

„Bist du drin, Bill?“

„Ich bin drin.“

„Okay, gut. Geh weiter.“

Ich machte das, was man mir aufgetragen hatte. Als ich ungefähr fünf oder sechs Meter im dichten Grün steckte, wurde mir plötzlich klar, gefangen zu sein. Ich steckte in einem Tunnel und kam nicht so schnell raus. Wenn das Wildschwein nun auf mich zustürmte – wie es verletzte Tiere häufig machen –, war ich völlig hilflos. Ich hatte zwar Pfeil und Bogen als Waffe, konnte mich aber wegen des dichten Gestrüpps nicht aufrichten.

Glücklicherweise hatte ich das Tier tödlich verletzt, das in den Büschen verendet war.

In meiner Erinnerung ist die Symbolträchtigkeit des Moments noch lebendig. Wie oft nahm ich an Shows teil, in denen ich mich gefangen fühlte, unfähig, da rauszukommen. Shows, bei denen das gesamte Ensemble sich darüber wunderte, was es dort eigentlich machte.

Jeden Tag muss ich Entscheidungen fällen. Ich habe gelernt, nicht auf eine Art göttliche Inspiration zu warten, die mir plötzlich in den Sinn kommt und mir die richtige Antwort einflüstert, den richtigen Weg weist. Bislang ist das noch nie passiert. Stattdessen traf ich Entscheidungen, wonach ich alles in meiner Macht liegende unternahm, damit der Entschluss sich für mich als optimal herausstellte.

Das Leben verläuft zyklisch. Ich habe gelernt, dass einige der Entscheidungen für mich richtig waren. Obwohl ich es nicht mit absoluter Bestimmtheit sagen kann, bin ich mir aber auch sicher, dass meine Lebensumstände manchmal hätten besser sein können, hätte ich eine andere Wahl getroffen.

Schaue ich auf all die Jahre zurück, gibt es allerdings nicht viel, was ich ändern würde, wenn ich es könnte. Die in all den Jahrzehnten getroffenen Entscheidungen, die richtigen und die weniger richtigen, stellen sich in ihrer Gesamtheit und mit Blick auf ihre Auswirkungen nicht als grundsätzlich unterschiedlich dar. Mir war es wichtig, das Beste aus jeder Situation herauszuholen und nicht zurückzuschauen.

Doch es gibt eben den einen bedeutenden Aspekt, der während meines Lebens einen wichtigen Unterschied markierte: Ich sage: „Ja!“


Eines Abends Ende April 2017 besuchten meine Frau Elizabeth und ich unser bevorzugtes Thai-Restaurant. Das Lokal sieht nicht besonders attraktiv aus und befindet sich im hinteren Teil einer kleinen Mall, aber ich garantiere Ihnen, dass Sie dort das beste Thai-Essen aller Zeiten zu sich nehmen können. Auf dem Weg zum Dinner bemerkte ich, dass einer der Reifen Luft brauchte, und so hielt ich bei der sprichwörtlich besten Tankstelle der Welt an, wo uns der fraglos beste Tankwart den Reifen mit der zweifellos besten Luft befüllte, die man auf dem gesamten Planeten bekommen kann.

Ich verbrachte das Leben mit der Jagd nach der Leidenschaft. Die Leidenschaft ist diese … diese ganz besondere Emotion, ist der Stoff, der unser Leben lebenswert macht.

Was ich nach und nach lernte: Das Leben nur zu leben, reicht nicht aus. Darauf sollte sich unser Dasein nicht beschränken. Uns allen wurde ein außergewöhnliches Geschenk zuteil: Man hat uns eine bestimmte Zeitspanne auf diesem Planeten gegeben, und wir müssen die Zeit besser nutzen als dafür, lediglich den Vorgartenrasen zu mähen. Vor Jahren verfasste Herb Gardner die wunderbare Komödie Tausend Clowns, aus der ein Jason-Robards-Film entstand. Er handelt von einem Bilderstürmer [Person, die Symbole der Macht zerstört], der seinem Neffen das Streben nach Leidenschaft vermitteln will. In einer Szene versucht er, sich gegenüber einer attraktiven Sozialarbeiterin zu erklären, die glaubt, dass seine Philosophie eine Bedrohung für den Neffen darstellt. Er erklärt: „Ich will ihm den klitzekleinen und subtilen Grund erläutern, warum er als menschliches Wesen und nicht als Stuhl geboren wurde.“

Wir müssen uns nach bestimmten Dingen sehnen, müssen ihnen nachjagen, und wenn wir das Glück haben, sie zu erlangen, müssen wir sie genießen – und uns dann erneut auf die Jagd begeben. Ich bin immer ein Mann mit einem großen Enthusiasmus gewesen. Wenn ich etwas finde, das mir gefällt, habe ich das dringende Bedürfnis, es mit all meinen Mitmenschen zu teilen. In Wahrheit weiß ich, dass das Thai-Restaurant nicht das beste der Welt ist, dass die Tankstelle vielleicht nur die zweit- oder drittbeste ist, dass die Luft von dort zwar sehr gut ist, aber natürlich in gleicher Qualität auch woanders gefunden werden kann. Doch das ist mir egal. Ich kann mich über die Tom-Kha-Kokosnusssuppe bei Talésai auf dem Venture Boulevard genauso freuen wie über jede Vorspeise, die ich jemals aß. In diesem Moment trifft das für mich zu, und ich glaube daran.

Ich habe im Laufe meines Lebens Leidenschaften gefunden und geteilt. Viele Menschen machen einen grundlegenden Fehler: Sie setzen Leidenschaft einzig und allein mit Sex oder Liebe gleich. Sie begeben sich auf eine endlose Jagd nach der „leidenschaftlichen Romanze“ oder der „leidenschaftlichen Affäre“. Sie sehnen sich verzweifelt nach einer tiefgründigen Beziehung zu einem anderen Menschen.

Sicherlich lässt sich Ekstase in einer Beziehung finden, doch es ist eine Schande, sie darauf zu beschränken. Das Leben sollte sich um die Suche nach und die Freude an der Leidenschaft drehen, egal wie zum Teufel man sie definiert. Werden Sie gefragt, wonach Sie im Leben suchen, sollte die Antwort „Leidenschaft“ lauten. Laut Definition wird sie als „die stärkste aller Emotionen“ beschrieben. Sie ist „ein sehr starkes Gefühl der Begeisterung oder der Erregung“, eine „außergewöhnliche Vorliebe, ein Streben oder ein brennendes Verlangen“ nach etwas.

Wie ich bereits erklärte, war die Suche nach einer leidenschaftlichen Beziehung mit einer Frau die treibende Kraft meines Lebens. Ich habe sie gefunden, zugegebenermaßen manchmal an den falschen Orten zu den falschen Zeiten. Doch ich durfte mich glücklich schätzen, zahlreiche solcher Begegnungen gehabt zu haben. Einige waren hinsichtlich Zeitdauer und Intensität limitiert, andere hielten länger. Ich empfand dabei die überwältigende Intensität und das faszinierende Gefühl, die Grenzen meiner Emotionen zu erforschen, hatte den Eindruck, dass es nicht mehr besser geht. Das war es. Nach exakt den Gefühlen hatte ich gesucht und dabei den Berggipfel erreicht.

Bis zum nächsten Mal. Der nächste Berg. Ich habe wunderbare Neuigkeiten für Sie: Ich kann Ihnen im Alter von 87 Jahren berichten, dass man dieses Gefühl nie verliert, egal wie leidenschaftlich man auch empfindet. Es gibt kein begrenztes Reservoir an Leidenschaft. Sogar bis zu diesem Tag und sogar bis zum jetzigen Augenblick stehe ich unter dem Bann der physischen und emotionalen Leidenschaft. Man darf das Gefühl nicht „reservieren“, nicht warten, bis der richtige Mensch oder das richtige Thai-Restaurant im Blickfeld auftaucht. Egal wie leidenschaftlich man lebt, die Quelle dieser Emotion ist unerschöpflich und übersprudelnd – doch nur, wenn man lernt, es zu akzeptieren und zu genießen.

Die Leidenschaft lässt sich nicht mit Sex gleichsetzen – obwohl Sex natürlich leidenschaftlich sein kann. Sie spielt eine wichtige Rolle beim partnerschaftlichen Werben um eine attraktive Frau oder einen attraktiven Mann. Es ist die Leidenschaft der „Jagd“. Man kann dem Inhalt des Songs nur zustimmen: The Things We Do For Love. In der Regel erhöht die Jagd die Qualität der Leidenschaft, obwohl es manchmal nicht mehr als eine Fantasie ist. Und dieses Gefühl versiegt nie.

Die körperlich empfundene Leidenschaft ist natürlich keine Unbekannte für mich. Doch ich habe diese Emotion auch in vielen anderen Zusammenhängen erlebt und gefühlt. Häufig muss ich an den außergewöhnlichen Christopher Reeve, bekannt geworden als Superman-Darsteller, denken. Ich hatte ihn kurz vor seinem schweren Unfall getroffen, der ihn zum Tetraplegiker mit Lähmung aller vier Gliedmaßen machte, und ich wusste von der gemeinsamen Liebe zu Pferden. Chris hatte ein Problem: Sein Oberkörper war dermaßen muskulös, dass er unter einer fehlenden Balance litt. Viele Profireiter glauben, dass er aus diesem Grund nicht genügend ausbalanciert auf einem Pferd sitzen konnte, was ein Faktor gewesen sein mag, warum er von dem Tier abgeworfen wurde.

Nach dem Unfall – und wegen der geteilten Pferdeliebe – wollte ich ihm meine Unterstützung anbieten und mein Mitgefühl ausdrücken. Deshalb meldete ich mich zu einem Besuch bei ihm in der Reha-Einrichtung an, die in New Jersey lag. Ich fuhr dorthin, ging durch die Glasschiebetür und sah ihn wartend in einem Rollstuhl sitzen. Er wurde von einem Korsett aufrechtgehalten und hatte einen Beatmungstubus in seinem Mund. Als ich den Raum betrat, überkam mich ein Anflug von Panik, denn plötzlich realisierte ich, dass ich einen Mann besuchte, den ich kaum kannte. Über was in aller Welt sollten wir uns unterhalten? Wie verkrampft und unangenehm würde die Begegnung wohl werden?

 

Als ich mich ihm näherte, hörte ich zuerst das von einer Batterie angetriebene Beatmungsgerät, welches Sauerstoff in seine Lungen pumpte. Ich fühlte mich plötzlich todunglücklich – dieser gutaussehende, kluge und vor Leben strotzende junge Mann war darauf reduziert, abhängig von einer Maschine zu sein, die für ihn das Atmen übernahm. Einen kurzen Augenblick lang stellte ich mir die Frage, ob ich selbst weiterleben wollte, wenn mir so etwas zustoßen würde?

Luft rein, Luft raus. Ich wusste nicht, was ich machen sollte, fühlte mich völlig verloren. Ich konnte ihm weder die Hand geben noch ein einfaches „Wie geht es dir?“ aussprechen. Wo sollte ich nur beginnen? Was sollte ich nur sagen? Chris löste dann das Problem für mich. Seine ersten Worte lauteten: „Erzähl mir etwas über deine Pferde.“

Meine Pferde? Na klar! Wir verbrachten den Rest des Besuchs mit Gesprächen über unsere gemeinsame Liebe zu Pferden. Die Behauptung, dass ich die schwierige Situation dabei vergaß, wäre sicherlich nicht richtig, doch sie stellte nicht den Mittelpunkt unserer Unterhaltung dar. Mehr als eine Stunde lang waren wir nur zwei Kerle, die eine Leidenschaft teilten und darüber redeten. Da er mich gefragt hatte, erzählte ich ihm von meinen Tieren, und er antwortete mit Geschichten von Pferden, die er geritten oder geliebt hatte.

Während des Gesprächs wurde mir eins klar: Er zeigte sich hinsichtlich der Tiere so leidenschaftlich, wie er es wahrscheinlich immer gewesen war. Diese Liebe trug dazu bei, ihn am Leben zu erhalten. Er wusste, dass er nie wieder reiten würde, doch er kultivierte die Leidenschaft der „Jagd“, der zielgerichteten Gedanken.

Ich pflege einige Leidenschaften, die mich ausfüllen und einen zentralen Aspekt meines Lebens ausmachen. Es ist vollkommen egal, wofür Sie Leidenschaft empfinden, solange sie existiert. Ein Leben ohne Leidenschaft ähnelt einem verblassenden Schwarzweißfilm, dem die vollen und packenden Farben fehlen. Ich begeistere mich – wie auch Chris Reeve – hauptsächlich für Pferde. Dieser Passion nachzugehen, erfüllt mein Leben.

Ich besitze Pferde, reite und züchte sie. Allerdings habe ich nicht die geringste Idee, warum ein Stadtkind so eine starke Leidenschaft für Pferde entwickelt hat. Doch sie ist real. Wenn ich auf dem Rücken eines Pferdes sitze, empfinde ich das Leben als vollkommen. Ich kann nichts Vergleichbares anführen. Im Laufe meines Lebens habe ich mich von einem Mann, der auf einem Pferd sitzt und hofft, nicht abgeworfen zu werden, hin zu einem guten Reiter entwickelt. Gut zu reiten, ist eine Fähigkeit, die eine bestimmte Entwicklung voraussetzt. Ein Pferd ist ein wundervolles Geschöpf, das Emotionen und stärkste physische Reaktionen ohne Intellekt äußert. Pferde reagieren auf das, was um sie herum geschieht. Sie überlegen nicht und filtern keine Informationen – leben nur im Hier und Jetzt. Sie denken nicht daran, dass sie gestern beinahe von einem Löwen erwischt worden wären, und bauen demzufolge keine Angst auf, dass er morgen vielleicht zurückkehrt. Stattdessen scheinen sie eher zu „denken“: Ich muss jetzt wachsam sein, denn die Büsche bewegen sich. Ist dort etwas, das mir gefährlich werden könnte?

Für uns ist das eine wunderbare Lektion, und weise Menschen versuchen, sie schon lange zu vermitteln. Wir können die Vergangenheit nicht verändern und wissen nicht, was die Zukunft bringen wird, womit uns nur übrig bleibt, im Moment zu leben. Man kann diesen gedanklichen Schritt machen oder im Stillstand verharren.

Das lehrten mich die Pferde. Doch es ist keine einseitige Beziehung, denn ich vermittle ihnen durch meine Kommandos Sicherheit, signalisiere, dass ich sie beschütze. Mach, was ich dir sage, und du hast nichts zu befürchten. Ein Pferd und ein Reiter, die in Harmonie zusammenwirken, stehen für die wohl außergewöhnlichste Kombination von Stärke und Intellekt. Aus dem Grund ergänzen sich Pferd und Mensch so gut und bilden im Zusammenspiel so ein kraftvolles Team.

Bei der Arbeit mit den Tieren besteht aber auch eine große Gefahr, wie Christopher Reeve auf grausame Art und Weise lernen musste. Man muss sich in jedem Moment bewusst sein, wie stark und mächtig sie sind. Der kleinste Fehler kann sich schon fatal auswirken. Beim Reiten muss man – so wie auch das Pferd – ganz im Augenblick leben. Man darf nicht über etwas nachdenken, das man nicht bekommen hat, oder darüber, was man am nächsten Tag machen möchte, oder sich vor dem Versagen fürchten. Verhält man sich so, ist man erledigt!

Zugegebenermaßen gehört gerade die ständig präsente Gefahr zu den Elementen, die das Reiten so herausfordernd, aber auch lohnenswert machen. Am Anfang muss sich ein Reiter mit der Angst vor dem Herabfallen auseinandersetzen, denn das wird geschehen! Jeder stürzt irgendwann einmal von seinem Pferd. Aber man lernt, mit der Angst umzugehen, und steigt wieder in den Sattel.

Der Tag, an dem man erneut in die Steigbügel tritt, markiert den Übergang vom Laien zum angehenden Reiter.

Das Ziel beim Reiten liegt darin, eine Kommunikationsebene zwischen Pferd und Reiter aufzubauen. Das scheint allerdings etwas außerhalb der Möglichkeiten zu liegen und ist demzufolge recht schwierig umzusetzen. Zwischen Pferd und Reiter gibt es eine Sprache. Mit einem gewissen Grad an Geschicklichkeit arbeiten sie auf ein bestimmtes Ziel hin. Das beginnt mit dem Bestimmen der Hierarchie, denn das Tier muss verstehen, dass der Mensch das „Alphatier“ ist, und gehorchen, so wie es auch dem Führer eines Rudels folgt. Pferde werden immer das Vermögen des Reiters herausfordern, diese Rangordnung aufrechtzuhalten. Man muss sie also immer wieder nachdrücklich bekräftigen, doch niemals mit Gewalt und Grausamkeit.

In manchen Filmen hört man einen populären Begriff: Ein Reiter bleibe so lange auf dem Rücken eines sich sträubenden und aufbäumenden Pferdes, bis er es „gebrochen“ habe. Das bedeutet, die menschliche Dominanz bis zu dem Punkt durchzusetzen, an dem ein Pferd willenlos und viel zu sanftmütig wird. Doch jeder, der die Tiere wirklich liebt, wird sie niemals „brechen“, ihnen den freien Geist rauben wollen. Man sollte stattdessen diesen Geist in eine kompatible Beziehung hineinkanalisieren. Welchen Plan ich die ganzen Jahre über leidenschaftlich verfolgt habe? Ich wollte eine Einheit zwischen mir und dem Pferd entstehen lassen, eine Ebene, auf der wir mit so wenig Druck wie möglich kommunizieren. Ich habe diesen Zustand bei bestimmten Gelegenheiten erreicht, doch es ist leider eine seltene Erfahrung. Es erfordert die Perfektion der Balance, der Berührung, der Erfahrung und darüber hinaus absolutes Vertrauen. Wenn ein Mensch und ein Tier eine solche emotionale Verbindung erlangen, ähnelt das der Bewusstseinsverschmelzung in Raumschiff Enterprise. Das Gefühl – wenn wir den Punkt erreicht haben und uns wie ein Körper bewegen – ist unbeschreiblich. Nachdem ich das erlebt habe und weiß, dass es möglich ist, will ich es wieder und wieder fühlen. Und so übe ich weiter und weiter.

Die Leidenschaft für Pferde hat mein Leben in mehrerlei Hinsicht verändert. Vor mehr als 30 Jahren hielt ich mich im Reitzentrum von L.A. auf, als ich ein sechsjähriges Mädchen bemerkte, dessen Mutter während der Schwangerschaft Thalidomid genommen hatte [löste den Contergan-Skandal aus]. Das Kind, geboren ohne Hände und mit nur einem Bein, saß rittlings auf einem Pferd. Das Tier wurde von zwei Freiwilligen geführt, die sich an beiden Seiten platziert hatten, damit das Mädchen nicht hinunterfiel. Sie hielt die Zügel mit ihren Zehen, und ich sah ihr unendlich glückliches Lächeln. Es war ein so wunderschöner Anblick, dass ich zu Weinen begann. Ich fragte mich, was hier wohl gemacht wird.

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?