Die Ökonomie der Hexerei

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Eine Zeichnung, die dich reich macht

Ich fragte Coulibaly nach der Skizze mit all den geheimnisvollen Zeichen, die an der Wand hing.

„Das ist eine Magie, um viel Geld zu verdienen. Man muss drei Eier opfern, dann schützt es auch gegen Krankheit.“

Am nächsten Tag erzählte ich ihm, dass ich eine Projekteingabe beim Nationalfonds machen würde, um mir einen längeren Forschungsaufenthalt in der Elfenbeinküste zu finanzieren. Da kam er auf diese Zeichnung zurück und sagte:

„Ich werde das für dich machen.“

Er nahm sie von der Wand, und wir gingen in eine Boutique, um sie zu kopieren.

Wieder zu Hause angekommen, musste ich in das Feld, wo „1 000 000F 1 500 000F“ stand, meinen Namen hineinschreiben, ebenso in das Mittelfeld, neben „170 000 000 000F 1 500 000F“. Im Mittelfeld waren weiter viele Bs zu finden.

„Sie verkörpern alle verschiedenen Namen. Es bewirkt, dass dich alle lieben werden. Die hohen Zahlen beschwören die Summen, die du gewinnen wirst. Der Text oben ist Bambara und vertreibt die bösen Geister.“

Weiter war dort zu finden „Ssefa“ (= CFA), „Nafolo“ (Bambara für „Geld“) und „3“ für die drei zu opfernden Eier. Der größte Teil des Blattes wurde jedoch von den Strichcodes bedeckt, die auch für die Divination mit Sandzeichen benutzt werden, sowie von einer Art Schrift aus „I“ und „o“, „die Namen von Fetischen“, nach Coulibaly. Der Strichcode war immer derselbe und wurde etwa hundertmal wiederholt:

I

I

II

II

Er trägt den Namen alahou tane, das bedeutet „Gott und Reisen“.45

Coulibaly gab mir das Blatt und sagte: „Du wirst es rahmen lassen und zu Hause aufhängen. Es beschützt dich. Du wirst das gewünschte Geld sehen.“

Zwei Jahre später waren wir in Guinea, in Siguiri, als Coulibaly auf diese Zeichnung zurückkam. Ich hatte inzwischen das gewünschte Geld erhalten, natürlich dank seiner Arbeit, davon war Coulibaly überzeugt. Eines Abends zog er das zusammengefaltete Blatt aus seiner Tasche und gab mir noch weitere Erklärungen zum Schriftzug über der Zeichnung.

Am Ende sagte er: „Das akzeptieren die Muslime nicht. Sie sagen, wenn man solche Sachen macht, kommt man in die Hölle. Ich glaube das nicht. Wenn du tot bist, dann bist du tot, dann gibt es kein Morgen mehr.“

Diese über lange Zeitabschnitte gestaffelten Erklärungen sind übrigens typisch für die Art, wie mir Coulibaly, aber auch andere, Wissen übermittelten. Allzu viele Fragen zu stellen erwies sich oft als sinnlos. Sie ließen mich etwas wissen, wenn sie den Zeitpunkt für gekommen hielten. Manchmal vergingen zwei Jahre, bis mir auf eine Frage geantwortet wurde.

Zurück nach Abengourou. Es war Abend geworden, Coulibaly begleitete uns durch den Regen ins Hotel. Als wir sein Haus verließen, bemerkte ich, dass seine Frau die Erdnüsschen, die wir für Nadjas Schwester opfern mussten, in kleine Portionen aufgeteilt hatte und in Papier eingewickelt zum Verkauf anbot, zusammen mit ihren Orangen und Eiern.

Ich fragte Coulibaly nach dem „kleinen Dicken.“

„Ist das Hexerei?“

„Ja. Er kommt in der Nacht. Er kann sich in einen Vogel oder Hund verwandeln und dich beißen und dein Fleisch essen. Hexerei gibt es auch in Europa und nicht nur in der Familie.“46

Nach einer Pause: „Ich habe keine Angst in der Nacht. Mit meinen Gris-Gris kann mich niemand angreifen. Einmal hat mich nachts in Adjamé (gefährliches Quartier in Abidjan rund um die gare routière) eine Gruppe angegriffen. Sie wollten mein Geld. Ich schlug den ersten k. o., da ergriffen die andern die Flucht.“

Überall wurde er von Leuten begrüßt.

„Siehst du, man kennt mich überall. Je suis populaire. Heiler zu sein ist gut, dann ist man bekannt. Wenn man etwas macht, und niemand kennt einen, das ist nicht gut.“

Wir kamen am Gebäude des größten libanesischen Kaffee- und Kakaohändlers der Stadt vorbei.

„Er ist reich“, kommentierte Coulibaly. „Jeden Morgen stehen die Lastwagen vor seinem Haus. Er raucht ein Päckchen Zigaretten pro Tag. Er hat einen Mercedes und noch ein anderes großes Auto. Il est fort. C’est bon.“47

Im Netz. Die Textur des Analphabeten

Am nächsten Morgen waren wir erneut bei Coulibaly. Er gab uns eine kleine Plastikflasche mit Medizin. Wieder nahm er zuerst selber einen Schluck, dann gab er uns je ein Gläschen davon. Er trug uns auf, eine Flasche Sam-Parfum zu kaufen (dasselbe, mit dem auch er sich jeweils besprüht, da er sich ja nicht waschen darf), die Medizin damit zu vermischen und uns jeweils morgens damit den ganzen Körper einzureiben. Zum Schutz.

Weiter gab er mir die behandelte Caritébutter für meine Nichte.

Er zeigte uns Fotos, unter anderem von einer Ärztin, die er behandelt hatte, weil sie keine Kinder bekommen konnte. Jetzt hatte sie ihm ein Foto geschickt mit ihrem Neugeborenen.

Er schenkte mir seine Ausweis. Zum zweiten Mal, nachdem ich ihn das erste Mal bei ihm liegen gelassen hatte, wohl, weil mir dieser „Identitätstransfer“ doch etwas unheimlich war.

„Ich habe ihn verloren und bekam einen neuen. Und dann ist der erste wieder aufgetaucht. Unter Beruf steht cultivateur. Sie haben es falsch geschrieben. Ich bin guérisseur.“

Dann gingen wir auf den Markt und kauften Rindfleisch, das seine Frauen nachher für uns grillten. Ich zeigte ihm die Medizin, die uns der alte Lobi gegeben hatte und die die Hexer töten sollte. Coulibaly kramte eine eigene Holz-Medizin hervor:

„Die da heisst auf Bambara fako. Sie ist auch gegen Hexer, aber sie tötet sie nicht, sondern vertreibt sie nur. Ich schenke sie dir. Du musst sie mit lauwarmem Wasser übergießen und ohne den Bodensatz trinken.“

Er untersuchte aufmerksam die Lobi-Medizin, die man uns in Papier eingewickelt hatte.

„So ist sie nicht gut vor Feuchtigkeit geschützt“, sagte er. Und schickte ein Kind, um eine Plastiktüte zu kaufen, in das er sie dann gut verschnürte.

Dann erzählte er von Mathurin, der mich seinerzeit mit ihm bekannt gemacht hatte. Sie waren inzwischen zerstritten.

„Mathurin wollte, dass ich ihm Geld zurückgebe, das ich ihm schulde. 50 000. Er sagte, er brauche es für das Abitur seines Sohnes. Ich sagte, ich müsse es erst auftreiben, er wollte es sofort. Er ist ein Funktionär, er kriegt jeden Monat seinen Lohn. Mais moi, je connais pas papier. Und ich verdiene nichts, wenn ich keine Kunden habe. Das versteht er nicht. Er ist zu geldgierig (Il aime trop bouffer l’argent).“

Wir verließen das Haus. Er sagte, ich solle das Haus verabschieden, auf der Schwelle. Erst jetzt, als ich ihn berührte, bemerkte ich all die Gris-Gris im Türrahmen.

Vor der Abfahrt ging ich noch ein Bier mit ihm trinken im Maquis.

Plötzlich sprach er über seinen Namen: „Coulibaly heißt keine Piroge.“

Ich sagte ihm, dass ich den Mythos kenne (von den Brüdern, denen die Fische mangels Piroge über den Fluss halfen).

Er sagte: „Ich esse den Fisch. Die Coulibalys sind Könige. Gbon Coulibaly war in Korhogo ein mächtiger König und Heiler.“ Und dann, laut lachend: „Wie ich!“

Ich hatte Coulibaly anlässlich seiner Wahrsagung, ich träumte von Wasser, von jenem Traum mit den Blauen Katzenfischen in meinem Zimmer erzählt, aber nichts von all den Assoziationen, an die er jetzt wie selbstverständlich anschloss. Baba hatte mir den Coulibaly-Mythos vor dem „Musée Gbon Coulibaly“ in Korhogo erzählt, ausgehend von diesem berühmten Senoufo-Chef, der 1962 gestorben war.

Ich habe oft über diese Fähigkeit von Coulibaly, aber auch andern Féticheurs gestaunt, sich gleichsam in die Innenwelt des Gegenübers einzuklinken. Fast immer spielten in diesem Prozess Mythen, Träume, Namen, Briefe, im weitesten Sinne Textuelles eine Rolle. Ob man diesen Vorgang Telepathie oder Gedankenlesen nennen will, ihn mit der hochgradigen symbolischen Normierung der Kultur in Verbindung bringt, die Assoziationen ziemlich voraussehbar macht48, mit der Kultur als Text bei Geertz49 oder der Schrift bei Derrida, dem Unbewussten als Sprache bei Lacan und Lévi-Strauss, mit einer Art Gruppen-Ich à la Parin50 oder mit der „Totalität“ des „archaischen“ Menschen, der infolge seiner Verletzlichkeit und Durchlässigkeit in viel größerem Masse vom Äußeren durchdrungen werde51 – auf jeden Fall stellte ich an mir selber erstaunt fest, wie ich im Laufe der Forschung zunehmend in eine Art unterirdisches Netz von Verweisen, Kommunikationen und Echos verwickelt wurde, ein rhizom- oder myzelartiges Geflecht von unterschwelligen, halb bewussten Verbindungen, die vielleicht auch Augé im Sinn hat, wenn er vom Primat des Anderen in der „heidnischen Logik“ spricht, oder Mauss, wenn er sagt, dass es unmöglich sei, die Magie ohne die magische Gruppe zu begreifen52, und dass unter solchen Bedingungen die universelle Übereinstimmung Realitäten zu schaffen vermöge53. Oder Lévi-Strauss, der im Anschluss an Mauss’ Magietheorie eine Identifikation von Unbewusstem und Kollektivem postuliert: „Das Unbewusste wäre so der vermittelnde Begriff zwischen Ich und anderem.“54 In unserem Innersten stoßen wir nicht auf unser Eigenstes, sondern auf den anderen.

In diesem Sinne glaube ich auch, dass der fast magische Wert, der in Afrika dem Wort beigemessen wird (vor allem auch in Bezug auf den Wunsch: Glückwunsch, Segnung, Verwünschung, Verfluchung) durchaus ernst zu nehmen ist.55 Lévi-Strauss sagt: „In Wirklichkeit handelt es sich nicht darum, eine äußerliche Gegebenheit in Symbole zu übersetzen, sondern Sachverhalte auf ihre Natur eines symbolischen Systems zurückzuführen, dem sie sich einzig entziehen, um sich unkommunizierbar zu machen. Wie die Sprache ist das Soziale eine (und zwar dieselbe) autonome Realität; die Symbole sind realer als das, was sie symbolisieren, der Signifikant geht dem Signifikat voraus und bestimmt es.“56 Vielleicht kann man das auch in Hinblick auf Hexerei, Magie, gute und schlechte Wünsche gegenüber dem andern, Gegenübertragung und allgemein auf die Wirkung von Gesprochenem und Unausgesprochenem in Kollektiven anwenden – und vor allem in engen (traditionalen) Kollektiven, wo die Leute in hohem Maße ökonomisch, sozial und psychisch voneinander abhängen.

 

Über diese Dinge dachte ich nach, als Coulibaly mir beim Bezahlen sagte, ich solle mit der linken Hand bezahlen, dann komme das Geld zu mir zurück.

Wir gingen zum Bus, und er gab mir zum Abschied die Hand. Die Linke ...

Immer wieder: Kauris, Geister, Opfer und Gris-Gris

Im August 1997 kehrte ich nach Abengourou zurück.

Ich ging ins Bamkom-Quartier, wo Coulibaly seit seiner Ankunft in der Elfenbeinküste wohnte. Er kam gerade an, auf seinem Mobylette. Ich war mit Michael angereist, einem Freund aus der Schweiz. Coulibaly sagte uns, er müsse noch rasch ein kleines Problem regeln. Dann kam er zurück und führte uns gleich in sein Konsultationszimmer. Er spuckte in seine Kappe, zog sie an und gab mir ohne weitere Kommentare oder Konversation die Kauris.

Während ich in der Schweiz weilte, waren wir weiter brieflich in Kontakt geblieben und hatten unter anderem die Idee einer Mali-Reise diskutiert. Offenbar war dieser Plan für ihn verbindlicher, als ich zu hoffen gewagt hatte. Auf jeden Fall sah er in den Kauris, dass die Reise gut würde:

„Gute Geschäfte, viel Geld, wir werden viel Interessantes sehen und erleben. Aber es gibt auch böse Leute dort und böse Geister. Ich werde eine Medizin zubereiten.“

Und wieder:

„Du träumst vom Wasser.“

Ich habe oft beobachtet, dass die erste Äußerung bei einer Konsultation die treffendste ist. Das widerspricht – wie schon anhand der Agni-Heilerin in Tengouélan bemerkt – diametral der Ansicht, dass der Féticheur einfach ein aufmerksamer Psychologe sei, der sich durch Fragen, suggestive Äußerungen, Beobachtung der Reaktionen des Klienten usw. langsam an die wichtigen Themen herantaste. Bei Michael war das besonders frappant. Coulibaly hatte ihn noch nie gesehen, und das Gespräch hatte sich bis zu diesem Punkt auf die Begrüßung beschränkt. Beim ersten Wurf sagte er ihm:

„Du bist mit einer Frau, die einen Namen trägt, der eigentlich wie ein Männername ist.“

Michael war ziemlich perplex. Seine Freundin hieß Marcelle!57



„Du hattest einen Unfall, mit Wasser, in Zürich, mit einem Camion oder Auto.

Die Geister sind gegen dich. Man muss etwas mit Löwenfell machen. Mit einem Ring aus Weißsilber und Erdnussöl.“

Er wirkte etwas nervös, sagte, er müsse noch etwas erledigen, wir sollten bei ihm warten. Und verließ das Haus unvermittelt.

Wir spielten mit den Kindern; inzwischen hatte er einen dritten Sohn. Nach einigen Stunden, am Abend, kam ein Telefonanruf aus dem Polizeikommissariat. Coulibaly werde erst später kommen. Später stieß er dann im Hotel zu uns. Wir luden ihn ein, mit uns zu essen. Wie er so die Fleischstücke mit dem Messer aufspießte und sie mit den Zähnen von der Klinge zog und die Pommes Frites mit den Fingern aß, sagte der Kellner:

„Das ist kein Maquis, das ist ein Restaurant!“

Worauf Coulibaly konterte: „Und ich bin ein Bambara, kein Weißer!“

Und fuhr lachend fort, auf seine Art zu essen.

Als Michael irgendeine Bemerkung über ein hübsches Mädchen machte, meinte Coulibaly ernst:

„Viele Mädchen zu haben ist nicht gut. Du schläfst mit einer, die du kaum kennst; aber vielleicht ist sie gar kein Mensch, sondern ein Geist. Das ist gefährlich, kann dich aus dem Gleichgewicht bringen. Wenn man verheiratet ist, sollte man mit seiner Frau schlafen.“

Seine beiden Frauen sind beide Bambara wie er und stammen aus demselben Dorf. Sie gehören zum Clan der Diarra; er selber als Coulibaly darf keine Coulibaly heiraten (sein Vater ist Coulibaly, die Mutter Traoré).

Am nächsten Morgen gingen wir auf den Markt, zu einem Schmied, um den Ring für Michael anfertigen zu lassen.

Coulibaly sagte zu mir: „Siehst du, dein eigener Ring ist noch da, dein Geist ist jetzt beruhigt. Bei Michael handelt es sich um einen andern Geist. Michael träumt viel, sein Herz schlägt manchmal schnell, er ist heiß, sieht viele Sachen voraus. Wie ein Amerikaner, chaud-chaud. Der Ring wird ihn beruhigen. Die Geister sind malins. Sie stoßen ihn zu den Mädchen, weil er ein grand type werden wird, und so wird er sein Geld wieder vergeuden. Ich habe nachts noch einmal konsultiert. Michael verdient jetzt nicht viel Geld beim Theater. Aber er wird zum Film gehen und dort viel Geld verdienen. Doch er muss sich schützen. Fotografiertwerden kann gefährlich sein. Es gibt Leute, die können sich schützen. Man fotografiert sie, aber nachher sieht man nichts auf dem Film; wo der Mann war, ist bloß ein schwarzes Loch. Michael muss ein weißes Schaf opfern, dann wird er Geld sehen.“

„Aber“, sagte Michael, „wie das? Ich bin arm und muss ein großes Opfer bringen, damit ich reich werde?“

„Ja. Es ist das Geld, das Geld gibt. C’est l’argent qui appelle l’argent. Man muss Geld verlieren, um Geld zu gewinnen. 1998 gehst du nach Mali; dann musst du nur noch ein Zicklein opfern.“

Wir gingen auf dem Markt ein Schaf aussuchen. Es wurde vor das Haus gebracht. Michael teilte ihm seine Wünsche mit, dann wurde dem Tier die Kehle durchgeschnitten. Das Blut floss in ein Loch, das Coulibaly gegraben hatte; von dort schöpfte er es nachher in eine Kalebasse.

Coulibaly fabrizierte die Papiere für die Gris-Gris. Mit Kugelschreiber die Einteilung des Blattes, dann „Nafolo“ und die achtstelligen Summen. Unsere Unterschriften. Dann holte er ein Fläschchen mit Blut und zeichnete mithilfe eines Zündholzes die Strichmuster. Schüttete Sand darüber. Aus der Kalebasse mit dem Blut vom weißen Schaf gab er auch noch ein paar Spritzer drauf, nachdem er zuerst dem Fetisch davon gegeben hatte. Bei Michael kam noch ein Stückchen Löwenfell dazu und bei mir etwas Goldstaub. Dann wurde das Ganze eingerollt, mit rotem Faden verschnürt, und später gaben wir es, wie immer, dem malischen cordonnier und Griot Youssoufou Niangon, unserem Vertrauensmann, zum Einnähen in Leder. (Mit dem offenen Gris-Gris von jemandem zu tun zu haben ist eine sehr verantwortungsvolle Angelegenheit).

Anschließend machten wir uns über die Innereien des geopferten Schafes her. (Das restliche Fleisch wurde in der Nachbarschaft verteilt, den Kopf bekam Youssoufou.)

Das Geheimnis des Fetischs

Bereits im letzten Brief hatte mir Coulibaly mitgeteilt, dass er von seiner kürzlichen Reise in sein Heimatdorf einen Fetisch für mich mitgebracht habe. Als ich jetzt mit ihm allein war, zeigte er ihn mir: Eine weibliche Holzfigur, etwa 50 cm hoch, fast unkenntlich unter dem verkrusteten Blut all der Opfer, die ihr schon dargebracht worden waren.

Er wollte 200 000 CFA dafür (330 EUR). Ich wäre eigentlich nie auf die Idee gekommen, mir einen Fetisch zuzulegen. Aber ich hatte den Eindruck, ich könne nicht ablehnen. Einen Fetisch sucht man nicht, genau so, wie man nicht aus eigenem Willen Féticheur werden kann. Es kommt, von außen. Aber wenn ich akzeptierte, wie viel war er mir wert? Wie viel Wert maß ich ihm bei? Schließlich einigten wir uns auf 80 000 CFA.58

Coulibaly wollte, dass ich das Folgende aufschrieb:

„Der Fetisch heisst tchamatigi; das bedeutet Dorfchef oder König.59

Mein Großvater (der Vater des Vaters) hat ihn 1955 gefunden; man weiß nicht, woher oder von wem er kommt. Der Großvater war auch Heiler, im selben Dorf. Ich selber habe tchamatigi 1987 von meinem Vater bekommen.

Jemand, der gegen dich ist, kann jetzt nichts mehr machen.

Er trinkt Kuhmilch am Freitagmorgen. Du musst ihm das geben, noch bevor du jemandem Guten Tag gesagt hast. Du kannst ihm auch das Blut eines weißen Schafes geben, freitags um 10 Uhr. Nach dem Sex musst du dich waschen, bevor du ihn berührst.“


Und dann erklärte er mir – aber unter dem Vorbehalt, dass dies ein Geheimnis sei, das ich hiermit also auch nicht preisgebe – wie Kopfweh, Knieweh, Asthma, Brüche, Diabetes und Lähmungen mit dem Fetisch zu behandeln seien, aber auch, wie ich jemandem, der mich nicht liebte, Schaden zufügen könne.

Anschließend setzten wir – auf seine Veranlassung – eine Quittung auf, worin er mir bestätigte, dass ich den Fetisch rechtmäßig erworben hätte, mitsamt der Unterschrift von Michael als Zeuge. Obwohl ich ihm sagte, ich könne erst in Abidjan bezahlen.

„Das macht nichts“, meinte er, „das ist Freundschaft, Vertrauen. Aber so kann niemand sagen, du wollest etwas Böses damit.“

Darauf schickte er mich hinter das Haus, um mich mit dem Medikament, das er mir mit warmem Wasser, Blättern und Hühnerfedern in einem canari zubereitet hatte, zu waschen.

Anschließend fischte er den Silberring aus der Kalebasse mit dem schon etwas geronnenen Blut. Er forderte Michael auf, ihn so – ungereinigt – anzuziehen.

„Das Totem des Rings ist der Friedhof. In der Nähe von Toten musst du ihn ausziehen.“

Am nächsten Tag kamen wir an einem Stand mit chinesischen Medikamenten vorbei. Coulibaly schwor darauf, vor allem auf Ginseng:

„Als Kind hatte ich einen Traum. Ich ging nach China. Dort sah ich Baobabs und andere Bäume, aus denen man starke Medikamente machen konnte. Diesen Traum habe ich nicht vergessen. Ich dachte, eines Tages werde ich einen Chinesen kennen lernen und er nimmt mich mit dorthin.“

Wir statteten Traoré, dem alten Patron der Malier, einen Besuch ab. Diesmal wurde er mir als grand-frère von Coulibalys Mutter vorgestellt. Er hatte während des 2. Weltkriegs für die Franzosen in Nordafrika gekämpft. Zwanzig Jahre hatte er um seine Rente gestritten, aber nie einen Sou gesehen. Er zeigte uns vergilbte Fotos seiner Kinder und Banknoten aus den Zwanzigerjahren, der Zeit der Kolonialregierung in Dakar.

„Nach dem Krieg gab es hier praktisch keine richtigen Grenzen mit Zöllen und Polizisten. Ich war Händler. Es war wunderbar. Man kaufte, reiste, verkaufte, reiste, alles war leicht. Heute wird alles gebremst.“

Wieder bei Coulibaly zu Hause sprachen wir über die Reise in sein Dorf. Coulibaly wollte möglichst rasch reisen. Jetzt war noch Regenzeit, aber bald würde es heiß werden. Er wollte am folgenden Tag mit mir nach Abidjan kommen, um die Papiere zu organisieren.

Wir gingen in sein Behandlungszimmer. Dort bespuckte er meinen neuen Fetisch mit dem Saft einer halben roten Kolanuss und sprach darüber. Dann rieb er ihm damit die Füße, das Gesicht und die drei Gris-Gris um den Hals ein.60

„Hast du alles aufgeschrieben mit deinem Computer gestern Abend?“ (Ich hatte immer mein Notebook dabei, das ihn beeindruckte und das er manchmal „deinen Fetisch“ nannte).

„Ja.“

„Aber hoffentlich nicht das, was ich dir über den Fetisch gesagt habe?! C’est un secret.“

Man könnte sagen, hier komme etwas Widersinniges in die Ethnologie: „Gerade dann, wenn es am Interessantesten wird, muss man es für sich behalten!“ Sicher. Aber es gibt Gründe, vor bestimmtes Wissen Hürden aufzustellen, und sei es nur, um Missverständnisse und Banalisierungen zu vermeiden. Aber auf der anderen Seite überschätzt man das „esoterische“ Wissen oft; nicht immer ist das Geheime das Interessanteste. Oder anders gesagt: der Ethnologe beurteilt den Wert von Informationen nicht unbedingt wie der Heiler. Für ihn ist oft das Gewöhnliche, Normale, Naheliegende und Verbreitete relevanter als das absichtlich Versteckte. Abgesehen davon, dass das Wegschließen von Wissen manchmal auch einfach nur eine Köderfunktion hat; es ist nicht gesagt, dass sich in der schillernden Verpackung etwas Interessanteres verbirgt als außerhalb. Manchmal liegt das Geheimnis sogar darin, dass nichts drin ist (wenn beispielsweise in einem Maskenbund einem Novizen eröffnet wird, dass sich hinter den Masken normale Männer befinden).

 

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