Im wilden Balkan

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Aus dem Osmanischen Reich hatte Urquhart jedoch eine andere Idee mitgebracht, von der auch im hier vorliegenden Band ausführlich die Rede ist: Seine Begeisterung für das türkische Bad. Ein befreundeter Arzt aus Irland nahm diese Idee gerne auf und lieferte die entsprechende medizinische Begründung dafür, dass man auch in England solche Einrichtungen bauen solle. Seit dem Jahr 1854 verfolgte Urquhart diese Idee und suchte erfolgreich Gönner und Investoren, die das nötige Geld zum Bau dieser Anlagen bereitstellen sollten. So wurden ab etwa 1860 in London und verschiedenen anderen englischen Städten eine Vielzahl von türkischen Hamams errichtet, von denen einige auch heute noch in Betrieb sind. Unter den hygienischen Bedingungen des 19. Jahrhunderts stellten solche Einrichtungen mit Sicherheit einen großen Fortschritt dar, und wenn Urquhart in seinem Reisebericht auf den ausgeprägten Sinn für Sauberkeit bei den Türken verweist und dem die triste Realität insbesondere in London gegenüberstellt, weist er ganz dezidiert auf das durch nichts zu überbietende Gefühl hin, das sich nach dem Besuch des Hamams einstelle, wenn man wirklich sauber und entspannt ist – ein Gefühl, das der Durchschnittseuropäer nicht kenne und das er nur wird erleben können, wenn er vom Orient zu lernen bereit sei. Dieser Überzeugung gibt er 1856 noch einmal Ausdruck, indem er aus dem 1848 veröffentlichten Bericht über seine oben bereits erwähnte Reise durch Spanien – bei dem es sich in größeren Teilen auch um eine politische Abrechnung mit Russland handelt – eine längeres Kapitel über das türkische Bad neu publiziert. Urquharts Frau, die 20 Jahre jüngere Harriet Angelina Fortescue, die er im Jahr 1854 geheiratet und mit der er zwei Töchter sowie den im Alter von 13 Monaten verstorbenen Sohn William hatte, unterstützte ihren Mann übrigens nicht nur bei seinen politischen Bestrebungen, sondern beteiligte sich auch an dessen Bemühungen um den Bau und den Erhalt der Bäder.

Leider jedoch wuchsen sich Urquharts Aktivitäten selbst in dieser Sache zur Manie aus, und so entstand eine Anekdote, die man sich in den Straßen von London erzählte und die sogar Karl Marx in einem Brief an Friedrich Engels aufgriff: Der Schotte sei so verrückt, dass er seinen kleinen Sohn in ein türkisches Bad mitgenommen habe – was dieser natürlich nicht überlebte. Dieser Vorfall hatte tatsächlich stattgefunden, und nur mit großer Mühe und juristischem Beistand konnte das Ehepaar Urquhart daraufhin eine Anklage wegen Mordes verhindern, sodass es in der Sache bei kriminalistischen Voruntersuchungen blieb. Marx wollte mit dieser Geschichte nur Urquharts Charakter beschreiben, und in Wahrheit dürfte es so gewesen sein, dass jener oder sein Arzt in einer Schwitzkur die letzte Möglichkeit dazu sahen, etwas für den unter einer schweren Infektionskrankheit leidenden kleinen William zu tun. Gleichwohl sind Bau und Förderung der türkischen Bäder in England bis heute einer jener Punkte, den man allgemein mit dem Namen David Urquhart verbindet.

Nach dem Tod des Sohnes sowie der Erfahrung, dass seine russophobischen Aktivitäten wenigstens zu seinen Lebzeiten kaum Resonanz zeigen sollten, zog sich Urquhart mehr und mehr von der gesellschaftlichen Bühne zurück und konzentrierte sich auf die Veröffentlichung seiner Zeitschrift sowie weiterer Bücher, von denen hier nur einige genannt werden können. So erschien etwa im Jahr 1860 ein als Reisetagebuch ausgegebenes Werk über den Libanon und Syrien, im Jahr 1868 eine Abhandlung über den Krieg in Abessinien oder 1869 ein französisches Werk über die angebliche Nähe zwischen dem Islam und dem Protestantismus, worüber er sich auch in dem hier vorliegenden Band äußerte. Daneben wurden natürlich auch viele seiner Reden veröffentlicht, die er immer wieder vor seinen Freunden und Parteigängern hielt.

Ab der Mitte der 60er-Jahre des 19. Jahrhunderts bereitete Urquhart seine Gesundheit immer größere Schwierigkeiten, weswegen er England verließ und die meiste Zeit in Frankreich oder auch in Italien verbrachte. Die internationalen Beziehungen und das zwischenstaatliche Recht standen während dieser Zeit im Mittelpunkt seiner Bemühungen. Urquhart verstarb am 16. Mai 1877 während einer Reise in Neapel. Seine Frau, die auch selbst unter dem Pseudonym Caritas in der Diplomatic Review geschrieben hatte, sollte sich noch Zeit ihres Lebens um das Werk ihres Mannes bekümmern. Sicherlich hat er durch sein Wesen und sein Verhalten seine Mitmenschen polarisiert, und über die Jahre hinweg wurde seine Anhängerschaft immer kleiner. Dennoch muss er eine charismatische Persönlichkeit gewesen sein, der es immer wieder gelang, andere in ihren Bann zu ziehen. In besonderer Weise galt dies natürlich für seine Parteigänger, die ihrem David Bey, wie ihn seine engeren Freunde zu nennen pflegten, wie einen Helden verehrten. In gleicher Weise hing seine Familie an ihm, und von seinen beiden Töchtern wird gesagt, dass sie ihren Vater richtiggehend verehrten und ihn ganz nah an Jesus Christus setzten. Letzteres mag vielleicht wieder in den Bereich der Anekdoten gehören, die über David Urquhart im Umlauf waren, aber es mag um so mehr verdeutlichen, dass er trotz seines Starrsinns, seines bisweilen sehr schroffen Umgangs mit seinen Mitmenschen, seiner übertriebenen Russophobie und seiner bisweilen schrulligen Türkenfreundschaft doch ein besonderer Mensch gewesen ist, von dem man nicht nur in seiner eigenen Zeit Kenntnis nahm.

Hier wird nun der zweite Teil seines Reisetagebuchs vorgelegt, das im englischen Original den Titel The Spirit of the East, also Der Geist des Orients trug. Nach dem Ende der langjährigen Kämpfe um die griechische Unabhängigkeit und vor allem auch nach dem für das Osmanische Reich so ungünstigen Ausgang des Russisch-Türkischen Kriegs von 1828–1829, bei dem der aus Niederschlesien stammende General Hans-Karl von Diebitsch das russische Heer sozusagen bis vor die Tore Konstantinopels geführt hatte, sollte die Region allmählich zur Ruhe kommen. Noch waren die endgültigen Grenzen des neuen Staates nicht gezogen, und – wie oben bereits angedeutet – auch die Fragen der Regierungsform Griechenlands sowie die Entscheidung, wer gegebenenfalls die Herrschaft übernehmen sollte, waren noch nicht gelöst. Urquhart befand sich im Jahr 1829 schon auf der Rückreise nach London, als er vom britischen Gesandten in Konstantinopel eine Depesche des Inhalts erhielt, er solle nach Mittel- und Nordgriechenland gehen, Gebiete, die zum größten Teil beim Osmanischen Reich verbleiben sollten, da in Epiros und Albanien allem Anschein nach neuerliche Aufstände drohten. Er sollte nun die Lage erkunden und möglicherweise drohende Gefahren nach London melden. Der erste Teil dieser Reise führte Urquhart von Nafplion aus, der ersten Hauptstadt des neuen griechischen Staates, an Mykene vorbei und am Golf von Korinth entlang bis nach Patras. Dort setzte er auf das mittelgriechische Festland über und besuchte eine Reihe von Kampfplätzen des Unabhängigkeitskrieges. Von Preveza am Ionischen Meer aus brachte ihn sein Weg in das moderne Ioannina, von wo aus er im Pindos-Gebirge mit zwei Anführern der bevorstehenden albanischen Rebellion in Kontakt trat, die danach wohl aufgrund seiner Informationen vom osmanischen Heer überrannt werden konnten. Dann überquerte er das schwer zugängliche Gebirge über die Via Egnatía, jene alte Militärstraße aus römischer Zeit, besuchte die berühmten Meteora-Klöster und bestieg den Berg Olymp, bevor er das neue Griechenland verließ und in das osmanische Territorium überwechselte.1 Nach einigen weiteren Abenteuern in Thessalien, also im heutigen Mittelgriechenland, war Thessaloniki sein nächstes Ziel, wo er sich als Gast des osmanischen Statthalters aufhielt. Dort nun schloss sich Urquhart einer Gruppe von Soldaten an, um die näheren Umstände eines möglichen Piratenüberfalls zu klären, der sich im Bereich der Halbinsel Chalkidike zugetragen haben sollte und bei dem einem Gerücht zufolge auch ein englischer Offizier als Geisel genommen worden wäre. Seinerzeit waren solche Ereignisse durchaus an der Tagesordnung, weswegen die osmanische Verwaltung ein reges Interesse daran haben musste, diesen Berichten nachzugehen. Urquhart nutzte die Gelegenheit, um neue Kontakte zu knüpfen, wobei er – wie schon im ersten Teil der Reise – in erster Linie Verbindungen zur einheimischen griechischsprachigen Bevölkerung und deren Repräsentanten suchte, während er die neuen türkischen Verwaltungsbeamten eher mied.

Neben antiken Überresten auf der Chalkidike, die er auch jeweils kurz beschreibt und beispielsweise eine griechische Inschrift aus hellenistischer Zeit wiedergibt, war für ihn der Berg Athos das wichtigste Ziel dieses längeren Ausflugs, der für ihn durchaus hätte tödlich enden können. Denn kurz bevor er den Heiligen Berg betrat, geriet Urquhart in die Gewalt von Räubern, die ihm als Briten alles andere als wohl gesonnen waren. Allem Anschein nach war es nur sein selbstsicheres Auftreten, das ihn und seinen Diener Hadschi vor dem Tod bewahrte. Auf dem Athos besuchte er einige Klöster, wundert sich gehörig über einen russischen Einsiedler, der dort zu seinem größten Unverständnis als Heiliger galt, bevor er offensichtlich all seinen vorbeugenden Maßnahmen zum Trotz an der Malaria erkrankte und Hals über Kopf nach Thessaloniki zurückkehren musste – was sein Gesundheitszustand indes nicht erlaubte. Nach erfolgter Genesung führte ihn sein Weg jedoch wieder in die Hauptstadt Makedoniens, von wo aus er mit dem Schiff nach Euböa fuhr und von dort aus nach England zurückkehrte – jedoch nicht ohne dem osmanischen Statthalter in Thessaloniki seine wichtigsten Beobachtungen mitgeteilt zu haben.

Schon bald darauf war es in Albanien zu heftigen Aufständen der dortigen Bevölkerung gegen die türkische Herrschaft gekommen. Das Reich schien nach dem Verlust des südlichen Griechenlands tatsächlich auseinanderzufallen: Nordafrika und Ägypten gingen eigene Wege, im Kaukasus und in Persien kam es zu Unruhen, und insbesondere in Südosteuropa gab es, natürlich nach westeuropäischem Vorbild, starke Tendenzen, die türkische Herrschaft abzuschütteln und eigene Nationalstaaten zu gründen. Gerade das überwiegend moslemische Albanien galt bislang immer als ein sicheres Reservoir für das osmanische Heer, und sollte auch in diesem Territorium ein eigener Staat entstehen, hätte der Zerfall des ehemaligen Großreichs nicht mehr aufgehalten werden können. Mit inneren Reformen wehrten sich die beiden Sultane Mahmud II. und Abdülmecid I. in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegen dieses drohende Schicksal, das im Grunde nur dadurch aufgehalten werden konnte, dass die europäischen Großmächte inklusive Russlands kein Interesse an einem möglichen Machtvakuum in der Region hatten und eher dafür sorgten, dass der Kranke Mann am Bosporus wieder zu Kräften kam. Diese Unterstützung, aber auch die Boden- und die Heeresreform zeigten recht bald schon ihre Wirkung, und dies für die europäische Türkei umso mehr, nachdem die Albaneraufstände um 1830 in sich zusammenbrachen.

 

Urquhart erhielt daraufhin den Auftrag, sich von der tatsächlichen Lage der Dinge ein Bild zu machen. Er brach also auf dem Landweg nach Italien auf, setzte bei Otranto nach Korfu über, das damals unter britischer Herrschaft stand, um in einer Nacht- und Nebelaktion und unter Vermeidung der offiziellen Fährpassagen die albanische Küste zu erreichen. Den türkischen Statthalter von Hagía Saránda, dem modernen Sarandë in Südalbanien, der ihn den allgemeinen Vorschriften gemäß unter Quarantäne stellen wollte, ignorierte Urquhart, um sich möglichst rasch auf den Weg nach Skutari/Skodra im heutigen Nordalbanien zu begeben, das ein übergeordneter Verwaltungssitz und zugleich das Zentrum des albanischen Aufstands gewesen war. Urquhart beschreibt dabei die Städte, durch die er kam, berichtet von den großen Schwierigkeiten, die ihm überall begegneten, bestand so manches Abenteuer, doch auch die Schilderungen von eindrucksvollen Landschaften und auffälligen geologischen Formationen kommen nicht zu kurz. Dasselbe gilt für die größeren historischen Zusammenhänge, die er – natürlich aus seiner Sicht als ausgewiesener Türkenfreund – nicht verschweigt. Schließlich trifft er zu jenem Zeitpunkt in Skutari ein, als die Aufständischen kapituliert hatten und die das Land und die Städte bislang so sehr prägenden albanischen Festungen dem abgeschlossenen Friedensvertrag gemäß bereits geschliffen wurden.

Die Reise sollte Urquhart noch bis nach Konstantinopel führen, doch bricht er den Bericht in Skutari ab. Die Gründe, die er dafür angibt, sind nicht unbedingt plausibel, denn nach drei langen Kapiteln mit Überlegungen zu türkischen Institutionen und zur türkischen Lebensweise, die auch anderswo ihren Platz hätten finden können und die spätere Aufenthalte im Osmanischen Reich voraussetzen, endet der Band. Die Seitenzahl, die ihm sein Verleger zugebilligt hätte, sei ausgefüllt, und die weiteren Ereignisse und Stationen der Reise könne er allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt zu Papier bringen. Eher wird man jedoch davon ausgehen können, dass ab Skutari der offizielle Teil seiner diplomatischen Mission begann, die den Fragen der Grenzregulierungen gewidmet war und die in die bereits oben erwähnte zweite Londoner Konvention einflossen, also Themenkreise, die nicht unbedingt einem größeren Publikum offen gelegt werden durften. Zerstreuen konnte Urquhart jedenfalls die Befürchtungen der europäischen Großmächte, dass nach dem Erfolg der Griechen in Albanien ein neuer Krisenherd entstanden sei, der sich zu einer großen Gefahr für den Fortbestand des Osmanischen Reichs hätte entwickeln können. Andererseits war es für ihn jedoch kaum einsehbar, warum die europäische Politik den Griechen die Unabhängigkeit zugestanden hatte, während man dasselbe den Albanern verweigerte, die nun ihrerseits ganz ähnliche Ansprüche erhoben hatten. Urquhart erwähnt diesen Widerspruch sehr wohl, wenn er auch der Meinung ist, dass nicht das Vorgehen gegen die Albaner, sondern die Zugeständnisse an die Griechen der entscheidende Fehler in der internationalen Politik gewesen sei.

Als überzeugter Tory ist er der Ansicht, dass man an den bestehenden Verhältnissen nicht allzu viel verändern solle – und wenn, dann nur ganz behutsam. Auch dürfe sich der Staat nicht über Gebühr in die Lebensverhältnisse seiner Bürger einmischen – wie sehr hätte er da wohl unter der allgemeinen Reglementierungswut unserer Tage zu leiden! –, und gerade in dieser Hinsicht wäre die Lebensweise der Türken für ganz Europa vorbildlich. Er argumentiert dabei so, dass der Familienverband und in Abhängigkeit davon eine gemeinschaftlich organisierte ländliche Verwaltungsstruktur die Keimzelle eines jeden funktionierenden Staatswesens darstellen müsse. Denn Ruhe und Zufriedenheit im kleineren Bereich seien auf Dauer die einzigen Garanten dafür, dass ein Staat aus sich heraus existieren und diese Verhältnisse in seinem Territorium sichern könne. Urquharts Landschaftsschilderungen zielen daher auch meist darauf ab, die Vorzüge einer bestimmten Gegend herauszustellen und darauf hinzuweisen, dass ein Dorf oder eine ganze Region aufgrund der vorhandenen Ressourcen sehr gut lebensfähig wären – man müsse die Menschen eben nur gewähren lassen und dürfe sie vor allem nicht zur politischen Agitation verführen. Die Ergebnisse wären in Griechenland wie in Albanien die gleichen: Zerstörte Landschaften, brachliegende und verwilderte Felder, Entvölkerung, eine hohe Kriminalität und Verfall der allgemeinen Sitten. Und es bedürfte großer Anstrengungen mit ungewissem Ausgang, die einmal verlorenen Strukturen wieder aufzubauen. Der geordnete Hausstand mit intakten Regeln ist für Urquhart diejenige Institution, die über dem Recht des Staates auf den Einzelnen stehen muss, und nach seiner Überzeugung traf gerade dies im sogenannten Konzert der Großmächte nur auf das Osmanische Reich zu.

Mit solchen Überzeugungen gab sich Urquhart natürlich als Sozialromantiker und damit auch wieder als ein typischer Vertreter seiner Zeit zu erkennen. Dem kann man auch entnehmen, warum er sich beim besten Willen nicht mit Karl Marx verstehen konnte. Denn diesem schwebte nach einer Zerschlagung der bestehenden Verhältnisse ein allumfassendes System vor, das zwar gut gemeint gewesen sein mochte, das aber mit seinem weltumspannenden Anspruch alle Menschen in die engsten aller nur denkbaren Fesseln gelegt hätte. Urquhart stellte dagegen die Freiheit des Individuums in den Mittelpunkt seiner Interessen, auch wenn dies gerade in seinem Fall zu allerlei skurrilen Ausprägungen führen sollte.

Vor diesem Hintergrund haben auch die eher theoretischen Abschlusskapitel durchaus ihre Berechtigung, denn gerade darin lässt sich der Autor darüber aus, was für ihn den osmanischen Staat ausmachte: Ausführlich beschreibt er das türkische Familienleben, äußert sich über den Harem, über den in Europa seiner Überzeugung nach nur krankhafte Phantasien im Umlauf waren, schreibt ausführlich über die häusliche und schulische Erziehung, aber auch über die Stellung der türkischen Frau, die erheblich mehr Rechte besaß als eine Westeuropäerin jener Tage, und die in Wirklichkeit an der Spitze der Familienverbände gestanden habe. Gerade diese Ausführungen Urquharts verleihen dem Band auch in unserer Zeit eine sehr große Aktualität, in der allenthalben über die Integrationswilligkeit oder -fähigkeit ausländischer Bevölkerungsgruppen räsonniert wird. Denn viele jener Merkmale, die er als wesentlich für den türkischen Charakter beschreibt, treffen wirklich zu und verdeutlichen die grundsätzlichen Unterschiede zwischen der westeuropäischen und der türkisch-orientalischen Wesensart. Somit erschließt es sich einem Leser sehr rasch, dass zwar ein Miteinander, jedoch keine Integration möglich ist. Und will man letztere erzwingen, führt dies notwendigerweise zu Spannungen und Konflikten, weil beide Seiten verlieren: Auch dafür nennt Urquhart in seinem Buch einige Beispiele.

Übrigens gab es einen deutschen Autor, der Urquharts orientalische Bücher allesamt kannte und in seinen eigenen Werken verarbeitete: der aus Radebeul bei Dresden stammende Karl May. Urqhuarts Reisen durch den Orient waren für ihn das Vorbild für die so lange Reise seines Kara ben Nemsi durch das unermesslich große Reich des Padischahs. Zahlreiche Motive wie etwa bestimmte Überfälle fanden sich schon bei Urquhart, und dass Karl Mays skurriler britischer Reisegefährte den Vornamen David trug, ist kein Zufall. Sogar Karas treuer Diener Hadschi tritt bereits in der literarischen Vorlage auf.

Den Text schrieb Urquhart in einem gefälligen, wenn auch nicht ganz einfachen Englisch mit oftmals sehr langen Sätzen, die man in der deutschen Syntax und Grammatik meist nicht übernehmen kann. In der 1838 erschienen Übersetzung wurde diese Satzstruktur jedoch in der Regel nachgeahmt, was den Text an vielen Stellen unverständlich macht und nicht selten sogar zu Sinnentstellungen führt. Diese Mängel wurden in der vorliegenden Ausgabe weitestgehend behoben. Darüber hinaus wurde die bisweilen sehr schwerfällige Sprache des 19. Jahrhunderts an den modernen Sprachgebrauch angepasst. Dies gilt umso mehr für Worte und Formulierungen, die man heute nicht mehr ohne weiteres versteht. Dennoch sollte ganz bewusst keine Übertragung in ein modernes Deutsch erfolgen, weil dies dem zugrunde liegenden, für uns heute oft komplizierten Englisch keinesfalls entsprochen hätte. Sicherlich hätte man den gesamten Text noch viel weiter glätten können, aber damit hätte man ihn auch aus seiner Entstehungszeit gerissen. Da aber Inhalt und sprachliche Form eine Einheit bilden sollen, rechtfertigt dies eine eher behutsame Umwandlung in ein Deutsch, das einerseits mögliche Missverständnisse vermeidet, das sich andererseits aber auch als Sprache des 19. Jahrhunderts zu erkennen gibt. Solche Texte noch mehr zu schönen und an den jeweils herrschenden Zeitgeschmack anzupassen, wäre mehr als nur unseriös. Zum Zeitpunkt der Entstehung der ersten Übersetzung war man in Sachen der Orthographie ja noch relativ frei, das heißt, es gab noch keine allgemein verbindlichen Rechtschreiberegeln. In dieser Hinsicht wurde der Text jedoch im Wesentlichen an die heutigen Lesegewohnheiten angepasst, auch wenn Inhalt und Sprachgebrauch eine strikte Anwendung der neuen deutschen Rechtschreibung nicht zulassen. Somit bestand bisweilen die Notwendigkeit zu Kompromissen, aber die Bemühungen zielten auf ein insgesamt einheitliches Bild der verwendeten Orthographie ab.

Weiterhin wurden in den Text einige Bilder zur Illustration eingefügt, die es weder im englischen Original noch in der zeitnahen deutschen Übersetzung gab. Die alten Stiche und Aufnahmen wurden indes nicht zufällig gewählt. Vielmehr stehen sie in einem direkten Zusammenhang mit Personen, Orten und Gegenständen, die im Text erwähnt werden und können daher als eine anschauliche Hilfe zu einem leichteren Verständnis dienen.

Zuletzt finden sich unter dem Text eine ganze Reihe von Erläuterungen. Einige davon hatte bereits der Autor selbst eingefügt, und ein paar wenige stammen von dem frühen Übersetzer und wurden auch entsprechend gekennzeichnet. Daraus gehen zu einem großen Teil auch die literarischen Quellen und Vorbilder hervor, die Urquhart nutzte, etwa jene grandiose Geschichte des Osmanischen Reichs, die Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall verfasst hatte. Dennoch gibt es eine Vielzahl von Namen, Sachen und Begriffen, die zur Zeit der Entstehung des Textes womöglich noch in aller Munde waren, die einem modernen Leser jedoch nicht mehr allzu viel sagen werden. Solche Erläuterungen hat nun der Herausgeber des Bandes hinzugefügt, der abschließend den Lektoren sowie den Verlegern seinen herzlichen Dank für die erhaltene Hilfe und Unterstützung ausdrucken möchte.