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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 1

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Hasard stieß bis zum Kiel vor und tastete sich an ihm entlang. Unter dem Schiffsleib war es dunkel, kleine Seepocken hatten sich bereits an die Planken gesetzt. Hasard konnte sie fühlen. Hinter sich spürte er Bewegung im Wasser. Es war Dan, der am Kiel angelangt war und in Stevenrichtung zu suchen begann.

Hasard fand das Leck bei seinem ersten Tauchgang und stieß überrascht die Luft aus, die in sprudelnden Blasen hochstieg. Er war auf eine endlose Suche gefaßt gewesen und begriff im ersten Moment gar nicht, daß er das Leck gefunden hatte. Aber an der Stelle waren die Seepocken abgeplatzt, und das hatte ihn stutzig werden lassen.

Er spürte unter den Pocken Holzsplitter und den Sog des Wassers, das in ein kreisrundes Loch von der Dicke eines dünnen Kinderhandgelenks strömte. Mit seinem Zeigefinger tastete er das Loch ab, um den Durchmesser genau zu ermitteln, nahm die anderen Finger zu Hilfe und steckte sie in das Loch. Zeige-, Mittel- und Ringfinger paßten nebeneinander hinein.

Er blies den letzten Rest seiner angehaltenen Luft aus und tauchte genau in Höhe des Lecks um den gewölbten Rumpf herum wieder auf.

Etwa zehn Yards rechts von ihm schoß Dan aus dem Wasser und schnappte nach Luft.

„Hast du’s?“ schrie das Bürschchen.

„Ja!“ rief Hasard zurück.

„Ehrlich?“

„Was dachtest du denn?“

„Mann!“ Das O’Flynn-Kerlchen wurde richtig fuchtig und klatschte die Rechte aufs Wasser. „Kannst du mich nicht auch mal ’ne Heldentat vollbringen lassen?“

„He!“ sagte der Seewolf. „Du bist wohl scharf auf schottischen Whisky?“

„Und ob“, sagte das Bürschchen.

„So jung und schon ein Säufer. Was soll nur aus dir werden, O’Flynn?“

„Ein Kapitän“, sagte das Bürschchen.

„Was ist?“ schrie Carberry vom Schanzkleid herunter. Links und rechts neben ihm standen die Männer Kopf an Kopf und starrten nach unten. Ihre Gesichter waren voller Hoffnung.

Beim Achterkastell beugte sich der Kapitän über die Reling.

„Haben Sie das Leck gefunden, Killigrew?“ rief er.

„Aye, aye, Sir.“

Die Männer schrien begeistert los.

Hasard schwamm an die Strickleiter heran und enterte hoch. Er drängte sich an den tobenden Männern vorbei zu Ferris Tukker und sagte leise: „Schneide einen Rundkeil zurecht, Ferris, vorn leicht zugespitzt, etwa so breit wie meine drei Finger hier.“

„Geht klar“, sagte Ferris Tucker und verschwand unter Deck.

Carberry brüllte: „Wollt ihr wohl an die Arbeit, ihr Affenärsche – ihr verlausten, dreimal von euren Großmüttern im Linksgalopp an die Wand geschissenen Waldameisen! Ist hier Betstunde, was, wie? Noch wird gepumpt und gepützt, bis euch das Wasser im Hintern kocht! Grinst nicht so dämlich. Hier ist heute nicht eher Feierabend, bis die Bilge knochentrocken ist, habt ihr mich verstanden?“

„Aye, aye“, erklang es im Chor. Die Männer eilten wieder an die schweißtreibende Arbeit. Aber sie hatten neue Kraft geschöpft. Bald würde die Schinderei zu Ende sein und der Alptraum des Absaufens verblassen.

Nur Carberry und Ben Brighton blieben am Schanzkleid. Der Kapitän trat hinzu. „Was ist das für ein Leck?“

Hasard warf einen Blick auf die arbeitenden Männer, die versuchten, mit einem Ohr bei dem Gespräch zuzuhören und etwas aufzuschnappen. Er kniff ein Auge zu und sagte gleichgültig und leise: „Ach, nur so das Übliche, Sir.“

„So so, das Übliche“, wiederholte der Kapitän und fragte nicht, warum man für das „Übliche“ einen runden Holzkeil brauchte. Beim „Üblichen“ wurden nämlich die Nähte zwischen den Planken kalfatert, das heißt, man drückte dünnfaseriges Hanftauwerk oder Werg zwischen die Nähte und Fugen und verschmierte sie mit Pech oder Teer.

Ferris Tucker brachte den gewünschten Holzkeil und gab ihn dem Seewolf. Auch sein Gesicht war ein einziges Fragezeichen. Hasard nahm mit den drei Fingern Maß und nickte. Sehr leise sagte er: „Kontrolliere mal deine Holzbohrer, Ferris. Das Loch ist kreisrund gebohrt und hat den Durchmesser meiner drei Finger.“

„Verdammt“, murmelte der Schiffszimmermann, als er begriff, was Hasards Worte bedeuteten. „Verdammt“ hatte er auch gesagt, als er erkannt hatte, daß der Bugspriet angekerbt worden war.

Hasard blickte den Kapitän an und sagte: „So ist das also, Sir. Leider hatte ich die Mitternachtswache und stand am Ruder. Da konnte ich die Flöhe nicht husten hören.“

„Verstehe“, sagte der Kapitän zwischen zusammengepreßten Lippen.

Hasard blickte den Kapitän an und sagte: „So ist das also, befindet sich dicht über dem Kiel auf der Steuerbordseite, etwa einen Schritt hinter der Mastspur vom Großmast. Der Zugang dorthin sollte für die nächste Zeit abgeschlossen werden.“ Er grinste. „Um niemanden in Versuchung zu führen, nicht wahr?“

„Ein Verrückter“, flüsterte Ferris Tucker erschüttert.

„Vielleicht“, sagte Hasard und schwang sich wieder über das Schanzkleid. „Spätestens in fünf Minuten ist das Leck dicht.“

Unten auf der letzten Sprosse der Strickleiter stand das Bürschchen und blickte zu ihm hoch.

„Darf ich mit?“

„Klar, Dan. Hier, nimm den Holzkeil. Wir tauchen zusammen hinunter.“

Dan fing den Holzkeil auf und staunte.

„Mann, so ein Loch? Hat da jemand gebohrt?“

„Ja“, sagte Hasard hart und knapp. „Mach Platz.“

Das Bürschchen ließ sich ins Wasser gleiten und wartete, bis Hasard neben ihm schwamm. „Weißt du schon, wer’s ist?“

„Nein, noch nicht, aber ich werde es herausfinden. Komm mit.“ Hasard schwamm etwas zurück, peilte nach oben, nickte Dan zu und tauchte weg.

Dan holte tief Luft und tauchte hinterher. Hasard erreichte den Kiel, hielt sich fest und drehte sich um. Dan erschien wie ein Schatten neben ihm. Hasard deutete auf das Leck und den Holzkeil. Dan O’Flynn tauchte tiefer, tastete mit der Hand, führte die andere mit dem Holzkeil heran und rammte ihn, Spitze voraus, in das Loch. Hasard schob ihn sanft beiseite und trat kräftig mit dem Fuß auf den Keil. Dann legte er sich auf den Rücken, den Belegnagel in beiden Fäusten, und hämmerte das schwere Eisen gegen den Holzkloben, wieder und wieder.

Das Wasser hemmte seine Bewegungen, aber der Holzkeil drang tiefer ein, bis er noch eine Fingerbreite über die Beplankung herausragte. Hasard wies mit dem Daumen nach oben, und Donegal Daniel O’Flynn entschwand wie ein aufsteigender Frosch.

Der Keil saß fest, das stand außer Frage. Hasard tastete noch einmal über die Stelle, dann tauchte er auch auf und schwamm zur Strickleiter, auf der Dan bereits hochenterte.

Er folgte ihm, und als er über das Schanzkleid stieg, meldete Dan gerade: „Das Leck ist dicht, Sir. Hasard und ich haben die Lappalie geregelt, Sir. War wirklich Puppenkram, Sir, nicht der Rede wert, nur’n bißchen kalt, Sir. Nixen war’n auch keine da, die uns hätten wärmen können, Sir. Schottischer wärmt besser, Sir, ich meine ...“

„Donegal Daniel O’Flynn sagte Hasard warnend, „halt die Klappe und red nicht soviel, vor allen Dingen nicht von Nixen. Und wenn du frierst, dann trockne dich ab und arbeite an der Pumpe, da wird’s dir wieder warm – ohne Nixe, klar?“

„Aye, aye“, sagte das Bürschchen und feixte von einem Ohr zum anderen, denn der Kapitän hatte bereits Carberry in Marsch gesetzt, um ihn den „Orden“ holen zu lassen, der so feurig und dennoch herrlich durch die Kehle rann.

Hasard verfluchte insgeheim die Manier des „Alten“, besondere Taten mit schottischem Whisky zu honorieren. So etwas gab Stunk, zumindest würden sich die Neidhammel regen. Außerdem hatte die ganze Besatzung eine Extraration verdient, denn alle hatten sie wie die Kesselflicker Stunde um Stunde gegen das Wasser angekämpft und taten es jetzt noch, um die „Marygold“ wieder leer und damit manövrierfähig zu kriegen.

Und das Bürschchen stand da wie ein Feldherr nach siegreich geschlagener Schlacht, die Brust herausgereckt, die Fäuste in die Hüften gestützt, pitschnaß und glücklich.

Aber seine Besatzung vergaß der Kapitän keineswegs. Er ließ von Mac Pellew ein Weinfaß anzapfen und den Wein austeilen. Sie tranken ihn wie Wasser. Erschöpft, ausgepumpt, übermüdet, wie sie waren, wirkte der Wein wie ein Stimulans. Sie lebten, nur das zählte. Die See hatte sie zu sich ziehen wollen, aber sie hatten gesiegt.

Die Leckstelle war absolut dicht. Nach einer Stunde lag die „Mary gold“ unter Segeln wieder auf dem alten Kurs, ihre Bilge war leergelenzt.

Niemand außer Hasard und der Kapitän erfuhr, was Ferris Tucker festgestellt hatte. Der Holzbohrer, von dem Hasard gesprochen hatte, befand sich zwar noch in der Werkzeugkiste, aber nicht an der Stelle, wo ihn der Schiffszimmermann zu deponieren pflegte. Jemand hatte ihn benutzt und nicht wieder dorthin zurückgelegt, wo er hingehörte.

„Irren Sie sich auch nicht?“ fragte der Kapitän den riesigen Schiffszimmermann.

Ferris Tucker stand mit Hasard und dem Kapitän auf der Heckgalerie, wo ihnen niemand zuhören konnte.

„Nein, Sir“, erwiderte Ferris Tucker. „Meine Werkzeuge haben seit Jahren ein und denselben Platz. Sie wissen, wie schnell ich manchmal im Notfall ein bestimmtes Werkzeug zur Hand haben muß. Da darf ich nicht erst lange suchen. Ein Irrtum ist völlig ausgeschlossen. Außerdem paßt der Bohrdurchmesser haargenau in die Leckstelle. Ich habe es überprüft, nachdem die Bilge leer war.“

Die drei Männer blickten sich stumm an und dachten alle das gleiche. Da war jemand an Bord – oder waren es mehrere? – der die Absicht zu haben schien, das Schiff zu zerstören. In der Wahl seiner Mittel war er keineswegs zimperlich. Ja, er war sogar rücksichtslos genug, das eigene Leben dabei zu riskieren.

Der Kapitän sagte: „Sie werden keine Wache mehr gehen, Killigrew.“

 

Hasard blickte ihn überrascht an.

Der Kapitän verzog das Gesicht und fügte hinzu: „Ich mag den Ausdruck nicht, aber ein besserer fällt mir nicht ein. Sie werden als Schießhund Wache gehen. Ist Ihnen klar, was ich damit meine, Sir. Aufpassen, wachsein, schnüffeln, zupacken, Standlaut geben.“

„Genau“, sagte der Kapitän.

8.

Philip Hasard Killigrew hatte einen Verdacht, und danach bestimmte er seine Taktik, die sehr einfach war und darin bestand, einen Mann ständig zu beobachten.

Dieser Mann war Gordon Brown.

Gordon Brown pflegte in der Kombüse zu schlafen, wenn er nachts keine Wache ging. Also legte sich Hasard auf dem Kombüsendach dicht an der Luke auf die Lauer. Nach der Schinderei der letzten Nacht schliefen die Männer der Freiwache wie die Toten. Hasard war in der Dunkelheit unbemerkt auf das Kombüsendach gestiegen und hatte sich flach hingelegt.

Eins war ihm ziemlich klar: Bereits in dieser Nacht konnte wieder etwas passieren. Der Versuch, das Schiff absaufen zu lassen, war fehlgeschlagen. Also war zu erwarten, daß er wiederholt würde. Vielleicht würde man bei einem erneuten Versuch nicht das Schiff anbohren, aber man konnte zum Beispiel Feuer anlegen oder ein bißchen mit Pulver spielen. Allerdings waren Pulver- und Waffenkammer abgeschlossen, wovon Hasard sich überzeugt hatte. Aber wer die Nerven hatte, ein Loch in die Planken zu bohren, der fand auch Mittel und Wege, die Pulverkammer zu knacken.

Mit Gordon Brown war etwas nicht in Ordnung. Ob er jedoch allein diese Schandtaten ausführte, das bezweifelte der Seewolf. Ein solches Kaliber war der Mann nicht. Vielleicht mußte er aufpassen, während der andere zu Werk ging. Das war durchaus denkbar. Nur das Motiv war ein Rätsel. War jemand so wahnsinnig, das Schiff und damit unter Umständen sich selbst zu vernichten? Fast sah es so aus. Nur hatte diese Überlegung den Haken, daß Hasard Gordon Brown zwar jede Gemeinheit zutraute, aber nicht den Mut zur Selbstvernichtung. Hasards Gedanken drehten sich im Kreis. Sie beschäftigten ihn und hielten ihn wach.

Unter ihm schnarchte Gordon Brown, und Hasard fragte sich, ob er sich mit seinen Überlegungen nicht auf dem Holzweg befand. Aber sein Instinkt sprach dagegen.

Die Gestalt huschte wie ein flüchtiger Schatten über die Kuhl, verschmolz mit dem Vormast, löste sich wieder und glitt zur Kombüse. Sie bewegte sich völlig lautlos und geschmeidig.

Hasard preßte sich flach auf das Kombüsendach und wartete voller Grimm, was sich weiter tat.

Die Kombüsentür knarrte, schwang auf und wurde wieder leise geschlossen.

Gordon Brown hatte Besuch erhalten. Als die Gestalt zur Kombüsentür gehuscht war, hatte Hasard sie erkannt. Es war der Taubstumme.

Aber er war weder taub noch stumm.

„Wach auf, Gordon“, flüsterte der Mann. Er sprach Englisch, aber mit einem fremden Akzent. „Wach auf, Amigo.“

Amigo?

In Hasards Kopf klickte es. Verdammt, der Kerl war ein Spanier – ein Spanier an Bord eines englischen Schiffes, das von Francis Drake geführt wurde! Mein lieber Mann, dachte Hasard, das ist ja heiter.

Gordon Browns Schnarchen war inzwischen abgebrochen. Hasard hörte, wie er gähnte und sich die Brust kratzte. Dann schien er wütend zu werden.

„Mann, bist du wahnsinnig?“ zischte er.

Ein leises Lachen ertönte.

„Hast du Angst, Amigo?“

„Ich hab die Schnauze voll, du armer Irrer. Erst erstichst du John Johns, weil er uns bei den verdammten Wasserfässern erwischte, dann muß ich dir bei dem Bugspriet helfen – das ging ja noch –, aber wozu ich dir den Holzbohrer klauen sollte, das habe ich leider zu spät kapiert. Mann, wir wären beinahe abgesoffen.“

„Die Golddublonen hast du gern eingesteckt, nicht wahr, Amigo?“ sagte der Spanier sanft.

„Scheiß auf die Golddublonen. Wenn ich absaufe, habe ich nichts mehr davon. Als ich dich an Bord brachte, hattest du gesagt, du wolltest weiter nichts, als Drake abservieren. Das sei dein Auftrag. Und was tust du? Leerst Wasserfässer, säbelst am Bugspriet rum und bohrst den Kasten an.“

„Und wie war das mit der Ratte?“ fragte der Spanier scharf. „Hier bestimme ich. Laß die Finger von solchen Spielereien. Sie schaden uns nur. Ja, ich wollte das Schiff absaufen lassen, nachdem mein erster Plan, Drake beim Enterkampf zu erschießen, nicht geklappt hatte. Leider war dieser Killigrew schneller. Er ist ein sehr gefährlicher Mann.“

„Bring ihn doch auch noch um“, sagte Gordon Brown gehässig. „Einen größeren Gefallen kannst du mir gar nicht tun.“

„Vielleicht“, sagte der Spanier dunkel. „Aber erst ist Drake dran. Sobald er sich auf das nächste spanische Schiff stürzt, erhält er eine Kugel, die bereits für ihn gegossen ist. Im Durcheinander wird niemand bemerken, wer der Schütze ist. Dazu mußt du mir aber den Rücken freihalten, Amigo. Wenn Drake tot ist, haben wir es geschafft. Niemand wird mehr kämpfen wollen, und dann werden meine Landsleute die ‚Marygold‘ entern.“

„Und mir die Kehle durchschneiden, wie?“

„Du stehst unter meinem Schutz. Mein König wird dir ein Landgut schenken. Du wirst leben wie ein Grande, die Senoritas werden dir zu Füßen liegen und dir jeden Wunsch von den Augen ablesen ...“

Na, na, dachte Hasard, jetzt trägst du aber ziemlich dick auf, mein Freund, zu dick, als daß es wahr sein könnte. Aber Gordon Browns Mißtrauen schien wie Schnee in der Sonne wegzuschmelzen. Hasard hörte, wie er keuchte.

„Senoritas, sagtest du?“

„Senoritas“, bestätigte der Spanier, „so viele du willst und eine hübscher und rassiger als die andere. Sie werden vor dir tanzen und die Hüften schwenken ...“

„Nackt?“ fragte der schmierige Gordon Brown hechelnd.

„Verschleiert“, erwiderte der Spanier, „aber ein Schleier nach dem anderen wird fallen.“

„Ah!“ Es klang widerlich, und Gordon Brown schmatzte noch dazu wie ein Ferkel an den Zitzen der Muttersau.

Hasard hatte genug gehört. Er überlegte, ob er das aufschlußreiche Gespräch brutal unterbrechen und die beiden Kumpane weichklopfen oder damit noch warten solle. Er entschloß sich, abzuwarten. Zumindest bis zur nächsten Gefechtsberührung waren Schiff, Besatzung und der Kapitän nicht gefährdet. Der Spanier hatte wohl eingesehen, daß seine Sabotageunternehmungen sinnlose Kraftakte waren. Zumindest hatten sie ihn seinem eigentlichen Ziel, Drake zu ermorden, nicht nähergebracht.

Hasard verließ leise wie eine Katze das Kombüsendach und schlüpfte ins Vordeck. Er schlief in dieser Nacht fest und ruhig.

Es war tatsächlich so, wie es Hasard vermutet hatte. Die Tage vergingen, ohne daß noch etwas passierte. Hasard verfluchte seine Untätigkeit und fragte sich immer wieder, ob er nicht doch schon die Bombe platzen lassen sollte. War es überhaupt richtig, daß er dem Kapitän nichts von dem erlauschten Gespräch sagte? Schließlich war er der Schiffsführer – und das Gesetz. Aber der Seewolf hatte seinen eigenen Kopf. Das Gespräch war ein klarer Beweis für das Komplott. Aber der Spanier und Gordon Brown konnten es ableugnen. Der Spanier hatte noch dazu den Vorteil, „taubstumm“ zu sein. Und der Kapitän hielt ihn für einen guten Mann.

Nein, Hasard wartete auf seine Chance, und sie kam nach sechs Tagen, nachdem er das Gespräch belauscht hatte.

Die „Marygold“ kreuzte südwestlich der Azoren auf jener Route, auf der die spanischen Schatzschiffe aus der Neuen Welt zurück nach Spanien segelten. Häufig liefen sie die Azoren an, um dort Frischwasser und Proviant zu übernehmen, bevor sie nach Cadiz weitersegelten. Immerhin waren sie etwa zwei Monate unterwegs, und die Azoren oder die Kanarischen Inseln waren dann die ersten festen Stützpunkte nach langer Fahrt. Immerhin auch erfuhren die Spanienfahrer dort, ob sich Seeräuber in der Gegend herumtrieben, vor allem, auf welchen Positionen sie vermutet wurden.

Daß wieder ein Wolf die See abstreunte, um Beute zu reißen, konnte man auf den Azoren nur vermuten, falls man das Einlaufen einer bestimmten spanischen Galeone erwartete, aber Tag und Tag verging, ohne daß sie eintraf. Daß sich diese Galeone allerdings auf der Fahrt nach Plymouth befand, konnte noch nicht bekannt sein.

Sonst war die „Marygold“ noch niemandem begegnet. Sie hatte um sich die freie See und stand nun in ihrem Jagdgebiet, bereit, die von Westen heransegelnde Beute vor den Azoren oder den Kanarischen Inseln abzufangen.

Das kalte Herbstwetter des heimatlichen Hafens war längst vergessen. Die Männer arbeiteten mit nacktem Oberkörper an Deck, waren braungebrannt und vermißten nichts – es sei denn mehr Trinkwasser oder die weichen Arme einer Frau.

Wieder war es Donegal Daniel O’Flynn, der im Ausguck bewies, was für scharfe Augen er hatte.

Es war genau in der Mittagszeit, als sein Ruf vom Hauptmars hinunter über das Deck schallte.

„Segel ho! Genau voraus!“

Die „Marygold“ segelte genau Westkurs, der Wind stand gleichmäßig von Norden. Ein glitzernder Schimmer lag über der See, der sich in der Unendlichkeit der Dünung verlor. Aber hinter dieser Dünung wirkte die Kimm bei der klaren Sicht dieses Sonnentages wie eine scharfe Kante gegen den Himmel.

Die Mastspitze, die zunächst sichtbar wurde, stand wie eine feine, fast durchsichtige Nadel an der Kimm.

Die Stimme des Kapitäns knallte wie ein Peitschenhieb über das Deck.

„Klarschiff zum Gefecht! Neuer Kurs Nordwest! Lassen Sie die Segel anbrassen, Bootsmann, wir gehen höher an den Wind!“

„Aye, aye, Sir“, sagte Ben Brighton.

Alles, hundertmal geübt, lief wie am Schnürchen. Barry Burnaby, der Stückmeister, verteilte die Waffen, die Kanonen wurden schußklar gemacht, Pützen mit Seewasser bereitgestellt, das Kombüsenfeuer gelöscht.

Carberry tobte in seiner gewohnten Art über das Mitteldeck, drohte jedem, der nicht spurte, fürchterliche Strafen an, die darin gipfelten, Affenärschen die Haut abzuziehen und an die Kombüse zu nageln, und schrie sich die Kehle heiser.

Und prompt geriet er sich mit Mac Pellew in die Haare, der zurückschrie, er solle sich die Häute der Affenärsche gefälligst selbst auf den Hintern nageln, aber nicht an die Kombüse. Er hätte keine Lust, in einer Kombüse zu kochen, die mit solchen Häuten benagelt sei, verdammt.

Und dann brüllten sich die beiden zum Gaudium der Mannschaft wie die Gossenjungen an, hielten sich gegenseitig die Fäuste unter die Nasen, mit denen sie sowieso schon fast zusammenstießen, weil sie beide ihre Köpfe vorgestreckt hatten, und belegten sich mit Schimpfnamen und Flüchen, die selbst den Abgebrühtesten unter ihnen zu einem wohligen Erschauern verhalf.

Das heizte so richtig die Kampfstimmung an.

Francis Drake stand mit steinerner Miene auf dem Achterdeck und starrte angelegentlich in die Segel. Er würde den Teufel tun, die beiden Kampfhähne zur Räson zu bringen. Sie waren genau die richtige Medizin, die Männer fürs Gefecht anzustacheln. Er kannte seine Leute.

Hasard hörte amüsiert zu und lernte eine Menge. Gleichzeitig beobachtete er den Spanier, der den Taubstummen spielte, unbeteiligt über die See starrte und seine Gefechtsstation an der achteren Kanone auf der Backbordseite hatte.

Sieh an, dachte er. Denn auch Gordon Brown hatte dort seine Gefechtsstation. Der ahnungslose Burnaby hatte die beiden Kumpane genau an die Stelle eingeteilt, von wo aus sie am besten das erhöhte Achterdeck erreichen konnten. Denn hinter ihnen führte ein Niedergang zum Achterkastell hoch.

Gordon Brown war sichtlich nervös. Er fummelte an einem Fleischermesser herum, das er in einer Gürtelscheide trug, blickte sich ständig um, als werde er verfolgt, und hatte Schweißperlen auf seiner Stirn.

Der Spanier, nun ja, er war ja „taubstumm“, bewies, daß er die besseren Nerven hatte. Aber die mußte ein solcher Mann, der von der spanischen Krone den Auftrag erhalten hatte, Francis Drake zu ermorden, wohl auch haben.

Hasard beging nicht den Fehler, einen Gegner zu unterschätzen. Dieser Mann mußte über kämpferische Qualitäten verfügen – und seine Rücksichtslosigkeit hatte er bereits unter Beweis gestellt.

„Könnt ihr mal eure verdammten Schnauzen dort unten halten!“ schrie das Bürschchen wutentbrannt vom Mars herunter. „Ich hab dem Kapitän was zu melden!“

Den beiden Kampfhähnen blieb der Mund offenstehen, sie starrten nach oben. Alle starrten nach oben.

Das Bürschchen feixte und schrie: „Ein Spanier, Sir! Das Kreuz erkenne ich ganz deutlich. Drei Masten hat er. Außerdem hat er ebenfalls angeluvt. Wie ich das sehe, Sir, werden sich unsere Kurse kreuzen.“

 

„Danke, Dan!“ rief der Kapitän nach oben und lächelte. „Sofort melden, wenn er den Kurs ändert.“

„Aye, aye, Sir.“

Die Rahen knarrten ächzend, Wellen klatschten gegen die Bordwand, Gischt sprühte in feinen Schleiern über das Vorschiff. Carberry zischte dem Koch einen letzten Fluch ins Gesicht, der nicht unbeantwortet blieb, dann trat wieder Stille ein, wie sie sich vor jedem Gefecht einzustellen pflegte, und in der sich die Männer darauf vorbereiteten, dem Gevatter Tod zwischen die grinsenden Zähne zu springen.

Hasard schlenderte über das schräggeneigte Deck und setzte sich auf eine Stufe des Niedergangs zum Achterkastell.

Gordon Brown fuhr herum, musterte ihn wütend und biß sich auf die Lippen.

Hasard lächelte nur und verschränkte die Arme über der Brust. Er saß völlig entspannt auf der Stufe und tat so, als sei dieser Tag voll des Frohsinns und der Freude.

Der Spanier drehte sich um und blickte den sitzenden, lächelnden Mann an. Er hatte sich völlig in der Gewalt, wandte sich, ohne eine Miene zu verziehen, wieder um und starrte weiter über das Schanzkleid auf die See.

Gordon Brown trat von einem Fuß auf den anderen.

„Du hast noch Schulden bei mir“, sagte Hasard laut und deutlich und sehr freundlich. „Vergiß sie nicht, Gordon Brown.“

Alle Männer – einschließlich Francis Drake – schauten überrascht zu dem sitzenden Mann.

Nur zwei Männer begriffen, was er jetzt sagte. Er sagte zu Gordon Brown: „Ich werde wie ein Schießhund aufpassen, daß du deine Schulden bezahlst.“

Dann stand Hasard wieder auf, blickte kurz zum Kapitän hoch und schlenderte auf die Steuerbordseite hinüber. Das Aufblitzen in den grauen Augen des Kapitäns hatte er bemerkt. Und ebenso sah er das Erkennen in der Miene des Schiffszimmermanns, der an der Nagelbank des Großmastes lehnte. Unmerklich nickte er ihm zu, und Ferris Tucker nickte zurück.

„Burnaby“, sagte der Kapitän vom Achterkastell herunter, „heute sind Sie wieder dran. Ich möchte, daß Sie dem Don mit der Serpentine den Fockmast wegschießen. Daraufhin wird er zumindest in den Wind gehen. Liegt er im Wind, sind wir bereits bei ihm längsseits und entern. Carberry, sorgen Sie dafür, daß die Entermannschaft bereit ist. Brighton, lassen Sie die Segel aufgeien, sobald der Don in den Wind geht. Ist alles klar, Gentlemen?“

„Aye, aye, Sir“, erklang es im Chor zurück.

„Gott sei mit euch“, sagte der Kapitän. „Und tut eure Pflicht.“

Burnaby eilte nach vorn auf die Back und hantierte an der Backbordserpentine. Die Entermannschaft verteilte sich auf der Backbordseite entlang des Schanzkleides und ging in Dekkung. Ben Brighton pflanzte sich zwischen Großmast und Fockmast auf.

Die beiden Schiffe segelten auf sich kreuzenden Kursen aufeinander zu, der Spanier über Steuerbordbug, die „Marygold“ über Backbord.

„Peilung steht!“ rief das Bürschchen vom Mars herunter. Das bedeutete, daß die beiden Schiffe auf Rammkurs lagen. Der Kapitän nickte und befahl dem Rudergänger, um knapp einen Strich unmerklich abzufallen.

„Peilung wandert aus!“ rief das Bürschchen.

Jetzt zielte der Bug der „Marygold“ auf das Achterschiff des Spaniers, der noch etwa vierhundert Yards entfernt war und seine Stückpforten geöffnet hatte. Verbissen hielt der Spanier seinen Kurs durch.

Zweifelsohne riskierte der Kapitän eine ganze Menge, denn er durchbrach die eiserne Regel, ein Gefecht nur aus der Luvposition heraus zu beginnen. Er war – wenn auch nur knapp einen Strich – abgefallen, gab also Höhe auf und geriet mehr und mehr in den Leebereich des Gegners. Aber seine Segel standen voller, und die „Marygold“ segelte schneller als der Spanier, was bedeutete, daß sie manövrierfähiger war.

Bei dem Spanier blitzten vorn auf der Back zwei rote Flammenzungen auf, Schußdonner rollte grollend über die See, Pulverschwaden stiegen hoch.

Der Spanier hatte das Gefecht eröffnet.

Zwei kleine Wassersäulen stiegen Backbord voraus aus der See und fielen sofort wieder zusammen. Saubere Schießkunst war das keineswegs, allenfalls eine Demonstration.

Die „Marygold“ fiel auf Befehl des Kapitäns noch weiter ab, und als sie dann langsam hochluvte, feuerte Burnaby seine Serpentine bei einer Entfernung von etwa achtzig Yards ab.

Wütendes Musketenfeuer setzte auf die Spanier ein.

Gebannt starrten die Männer der „Marygold“ hinüber zu dem Spanier. Fiel der verdammte Fockmast, oder hatte Burnaby vorbeigeschossen?

Er fiel.

Es sah aus, als vollführe er eine elegante Verbeugung. Er knickte in sich ein, neigte sich immer weiter nach vorn und krachte dann splitternd aufs Vorkastell. Als er auf die Steuerbordseite herüberrutschte, wischte er drei Männer außenbords.

Der Wind, der jetzt nur noch auf den Segeln des Großmastes und dem achteren Lateinersegel stand, schob den Spanier – wie es der Kapitän gesagt hatte – herum und in den Wind.

Das war der Moment, in dem die „Marygold“ bereits in den Wind gegangen war und mit ihrer auslaufenden Fahrt an der Steuerbordseite des Spaniers vorbeischor. Ihre Segel waren aufgegeit, ihre Rahen längsschiffs gebraßt.

Die Männer des Enterkommandos warfen Enterhaken hinüber, die beiden Schiffsleiber prallten Bord an Bord gegeneinander, Schreie, Flüche, Schüsse ertönten.

„Vorwärts!“ brüllte der Kapitän. „Vorwärts, Männer der „Marygold“! Gebt’s den Dons! Auf sie!“

Der grimmige Carberry setzte wie ein reißender Wolf mit einem Riesensatz auf den Spanier über. Zwischen den Zähnen hatte er ein Messer, in der linken Faust eine Pistole, in der rechten einen krummen Türkensäbel. Mac Pellew, der dürre Koch, folgte ihm mit verzerrtem Gesicht. Er schwang einen Morgenstern – eine fürchterliche Nahkampfwaffe. Wie Katzen kletterten die Männer der „Marygold“ über das Schanzkleid des Spaniers und stürzten sich wild brüllend in das Getümmel. Stahl blitzte, Klingen wurden gekreuzt, Schüsse flammten auf.

Hasard war unbemerkt aufs Achterkastell der „Marygold“ geentert und blieb abwartend in der Deckung des Besanmastes stehen. Der Kapitän, einen Degen in der Faust, befand sich vier Schritte von ihm entfernt an der Backbordreling und drehte ihm den Rücken zu.

Pulverqualm wälzte sich hoch und quoll über das Achterdeck. Und in ihm tauchte urplötzlich der „Taubstumme“ auf. Seine Augen waren wie feurige Kohlen.

Hasard stieß sich ab und fuhr wie ein Blitz zwischen die beiden Männer. Mit der Linken stieß er den Kapitän um, dann glitt er einen Schritt nach rechts, Bruchteile von Sekunden später zuckte sein Fuß hoch und prellte dem Spanier die Pistole, die er bereits auf den Kapitän angeschlagen hatte, aus der Hand. Der Schuß löste sich krachend, die Kugel strich an Hasards Kopf vorbei und stieg in den Himmel. Die Pistole polterte über die Decksplanken.

Der Spanier stieß einen Wutschrei aus und warf sich auf den Seewolf. Jetzt kämpfte er um sein Leben.

Hasard duckte sich, unterlief ihn, packte ihn um die Taille, stemmte ihn hoch, legte ihn in der Luft quer und warf ihn über die Heckreling außenbords.

Dort stand der riesige Ferris Tucker, hob in aller Ruhe eine Muskete, zielte und feuerte. Mit zerschmettertem Kopf versank der Spanier in den Fluten.

Hasard wirbelte herum – genau im richtigen Augenblick.

Gordon Brown flog wie ein Geschoß an ihm vorbei, um sich auf den Kapitän zu stürzen, der sich gerade benommen aufgerichtet hatte.

In der erhobenen Rechten Gordon Browns blitzte das Schlachtermesser.

Hasards Hände fuhren hoch, krallten sich um das Handgelenk Gordon Browns, rissen es nach unten und drehten es um.

Gordon Brown schrie auf. Das fürchterliche Messer klirrte an Deck. Wahnsinn flackerte in den Augen des schmierigen Mannes.

„Du Hund!“ keuchte er. „Du verdammter Hund! Ich mach dich fertig!“

„Nur zu“, sagte der Seewolf und feuerte ihm die Rechte unter das Kinn.

Gordon Brown hob sich auf die Fußspitzen, er drehte eine Spirale, torkelte zu Ferris Tucker hinüber und empfing dort einen Faustschlag auf die Schädeldecke, der wie ein Hammer wirkte. Gordon Brown brach ächzend in die Knie und war bereits bewußtlos, als er auf die Planken kippte.