Slaughter's Hound

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3

»Das war sein Viertes«, nörgelte Herb, als ich wieder ins Wohnzimmer zurückkam. »Zuerst war es ein Joe Campbell, das letzte Mal eine schöne gebundene Ausgabe über Spinoza, wie Gefühle unser Leben bestimmen. Bin ich eine Leihbibliothek oder was?«

»Vielleicht solltest du Gebühren nehmen.«

»Ja, genau.« Freudloses Lächeln. »Den Rahm abschöpfen und Ted dann erklären, dass alles Totos Schuld ist.«

Zehntausend Kilometer weiter westlich angesiedelt, wären die McConnells eine Bagage von Inzucht treibenden, herumkrakeelenden, durchgeknallten Hinterwäldlern gewesen, die mit ihren Schwestern ins Bett gehen. So aber waren sie die ersten, die sich nach dem Ende des Friedensprozesses im Norden in Sligo neu organisierten. Ted, der unverbesserliche Ex-INLA-Terrorist, würde niemals Ruhe geben, bevor nicht alles wieder so wäre wie vor der Ulster Plantation, als jeder Häuptling sein eigenes Lehen hatte und Männer mit Speeren um sich herum. Sie hatten mit Dope angefangen, sich dann auf Koks und Ecstasy verlegt und versuchten sich neuerdings in Heroin. Sie hatten die nötige Ausrüstung, die sie bei ihren Rollkommandos gerne zum Einsatz brachten, und mindestens einen Toten auf ihrem Gewissen. Eiskalt. Hatten die Hecktür eines Lieferwagens aufgerissen, nachmittags um drei, mitten in der Stadt. Eine Kugel in die Stirn, zwei in die Brust. Das Blut hatte über die Freundin des Ermordeten und das Baby auf ihren Armen gespritzt.Die Spatzen pfiffen es von den Dächern, dass Toto der Schütze gewesen war. Das Problem mit Spatzen ist nur, dass sie als Zeugen nicht sehr standhaft sind, sondern meist beim Kreuzverhör zusammenbrechen.

Herb nahm einen Zug von seinem Joint, setzte ihn ab und formte einen Rauchring. Lehnte sich auf seinem Ezy-Chair zurück. »Was wollte er denn von dir?«

»Fragte nach Finn und ob ich für ihn bürge.«

»Hast du hoffentlich nicht gemacht, für diesen unzuverlässigen Arsch.«

Herb hielt nur sehr wenig von Finns perversen Vorlieben wie Skifahren, Surfen und neuartigen Wohltätigkeitsaktionen. Herb war der Ansicht, Finn sollte, wenn er denen helfen wollte, die weniger hatten als er selbst – was heutzutage bedeutete: jeder bis auf die Hamiltons selbst –, einfach mal darüber nachdenken, einen Teil des Hamilton-Holding-Gewinns vor Steuern zu spenden, anstatt andere Leute mit der Bitte um mildtätige Gaben zu nerven.

»Ich hab ihm versichert, dass Finn immer sofort zahlt«, sagte ich.

»Hast du ihm gesagt, wer er ist?«

»Dass er Finn Hamilton ist, klar. Den Rest wusste er.«

»Dundrum?«

»Er weiß, dass ich in Dundrum war, ja. Fragte, ob ich Malky Gorevan kenne.«

»Aber du hast ihm nicht erzählt, dass du in einer Zelle mit Finn warst.«

»Nein.«

Unterlassungssünden. So nennen die Bischöfe geheime Vorbehalte.

»Vielleicht wollte er eigentlich das wissen«, sagte Herb.

»Lass gut sein. Letzten Endes wollte er mir nur mehr Arbeit anbieten, für den Fall, dass ich verfügbar wäre, wie er sich ausdrückte.«

»Das hat er erwähnt?«

»Um was geht’s denn?«

»Eine Fahrt nach Galway, morgen. Es geht um eine Lieferung. Recht klein, zehn Riesen wert, aber guter Stoff. Er hat mich gefragt, aber du weißt ja wie’s ist.«

Herb ging nicht oft raus, zum einen weil er leicht paranoid war, aber vor allem, weil er Menschen einfach nicht mochte. Sein schlichtes Credo lautete: Geh davon aus, dass alle Idioten sind.

Er war mal Pressefotograf gewesen, ein guter, hatte für eine Agentur gearbeitet. Ein paar Jahre lang waren wir ein Team gewesen, wir hatten lokale Medien beliefert und überregionale angepeilt. Ich schrieb, Herb fotografierte, und ab und an übernahmen wir Aufträge für diskrete Nachforschungen, was eine hübsche Beschreibung dafür ist, dass wir Hotelparkplätze überwachten, um Ehemännern auf Abwegen die Midlife-Crisis nachzuweisen.

Schöne Zeiten.

Dann wurde Herb das Gesicht zertrümmert. Jemand hatte jemandem erzählt, Herb hätte ein Foto, das jemand anderes haben wollte.

Ich war der Jemand, der das erzählt hatte. Versehentlich.

Es spielt auch keine Rolle, wer es war. Die Schläger liefen immer noch frei herum und konnten zertrümmern, was ihnen beliebte. Herb blieb zu Hause, seine Haut wurde bleich und teigig. Wie’s halt so kommt, wenn beide Kiefer und ein Teil des Wangenknochens mit Stahlplatten unterlegt wurden. Egal, für Herb lief es darauf hinaus, viel zu Hause zu sein und jede Menge Gras zu rauchen. Eines Tages, damals, als Toto McConnell noch selbst dealte, fragte er, ob Herb ihm ein paar Räumlichkeiten zur Verfügung stellen könnte. Herb hatte eigentlich keine Lust auf einen Untermieter, aber Toto wollte das Dachgeschoss zum Gewächshaus umbauen.

Ein paar Jahre später konnte Herb jeden Monat ein paar Tausender zur Seite legen, zusätzlich zu seiner Behindertenrente, leicht verdientes Geld. Zwei Jahre danach fuhr er nach Larkhill und unterbreitete Toto seine Idee mit den Taxis, als gute Tarnung für das Geschäft – »Deals on Wheels«, gewissermaßen. Auf diese Weise konnte ein Teil der Einnahmen legal versteuert werden und niemand kam auf die Idee, ihm die Steuerfahndung auf den Hals zu hetzen, weil er sich darüber wunderte, woher ein erwerbsloser Behinderter das Geld für ein Zweifamilienhaus mit eigenem Grundstück in der Vorstadt hatte.

»Und wieso so kurzfristig?«, fragte ich.

»Der Typ, der das sonst erledigt, hat gestern Abend eine Kniescheibe zerschmettert.«

»Und jetzt ist er untergetaucht.«

»Nein, nein, er hat sich das eigene Knie ruiniert. Beim Hallenfußball oben im Sports Complex. Stieg richtig rein beim Tackling und zack, schon war’s passiert.«

»Meine Güte.«

»Ja. Und, was meinst du? Toto will das Zeug unbedingt morgen holen lassen, weil er es Samstagabend verticken will. Also gibt er zwanzig Prozent.«

»Zwei Riesen?«

»Ich hatte den Eindruck, so wie er das andeutete, dass Toto damit ein paar wichtige Rädchen im Getriebe schmieren will.«

»Also sprechen wir hier nicht von Rauchware.«

»Von Koks, genau.«

»Scheiße.«

»Zwei Riesen, Harry. Fünf Hunnis für mich als Provision, klar, aber dann bleibt dir immer noch ein hübsches Sümmchen, nur für eine Fahrt nach Galway.« Er rutschte auf seinem Ezy-Chair nach vorn und reichte mir den Spliff. Als ich ablehnte, warf er ihn in den Aschenbecher und stand auf. »Denk einfach mal drüber nach, okay? Kann nicht schaden, sich mit Toto gutzustellen.«

Er taumelte leicht zur Seite, als er losmarschierte, fing sich aber wieder und ging in den Flur. Im gleichen Moment klingelte mein Handy und auf dem Display stand: Dee-Dee-Dee.

Ich legte das Telefon auf den Couchtisch, drehte mir eine Fluppe und wartete, bis es zu Ende geklingelt hatte. Herb kam zurück mit den drei Beuteln für Finn und warf sie auf den Tisch, als das Signal für die eingegangene SMS ertönte und das Display aufleuchtete, um mich zu informieren, dass ich vier Anrufe von Dee verpasst hatte.

»Das erinnert mich daran, dass Dee vorhin angerufen hat«, sagte er. »Du sollst dich bei ihr melden.«

»Danke.«

»Sagte irgendwas über ein Elterngespräch mit dem Lehrer morgen.«

»Ich hab ihre Nachrichten gelesen, alles klar.«

Er nahm den Joint aus dem Ascher und setzte sich wieder in seinen Sessel. »Wie macht sich Ben denn so?«

»Prima. Kein Grund zur Sorge.«

»Ist ein guter Junge.«

Herb hatte Ben seit Jahren nicht gesehen. Fairerweise muss gesagt werden, dass er sich um Dee gekümmert hat, als ich im Knast saß. Hat sie wissen lassen, dass sie nicht allein ist und er Geld lockermachen kann, wenn sie es braucht. Nicht, dass sie ihn ausgenutzt hätte, aber manchmal ist es ganz gut zu wissen, dass es jemanden gibt für den Fall der Fälle.

Noch ein Gefallen, den ich ihm schuldete.

»Also, was meinst du zu Totos Vorschlag?«, fragte er.

»Klar mach ich’s.«

»Du rettest meinen Tag, Harry.«

»Falls Dee anruft, hast du mich nicht gesehen.«

»Roger und Wilco.«

Ich drückte die Fluppe aus und griff nach den drei Tüten. Herb zielte mit der Fernbedienung auf den TV-Bildschirm. »Warte«, sagte er, klickte das Menü auf und ging die Optionen im Digital-Radio durch. »Lass uns mal nachschauen, in welcher Stimmung der Klugscheißer gerade ist.«

Er drückte auf McCool FM, gerade noch rechtzeitig für die letzten Takte von Townes Van Zandts »St. John the Gambler«.

»Meine Güte«, murmelte Herb.

Von Van Zandt ging’s zu Joy Division, »She’s Lost Control«. Gleich danach kam Big Star mit »Holocaust«.

Herb gab als Erster auf.

»Da sind jede Menge Motown-Sachen«, sagte er und deutete mit dem Spliff auf sein CD-Regal. »Nimm die mit runter zum Hafen, fessle diesen Teilzeit-Philanthropen an seinen Stuhl und sag ihm, er kriegt nichts mehr von mir, bis er Smokey Robinson aufgelegt hat.«

»Mach ich.«

4

Ich zog »Going to a Go-Go« raus, nahm die drei Beutel und ging zum Wagen. Als ich unten in Larkhill angekommen war, leuchtete die Tankanzeige orange auf, also fuhr ich quer durch die Stadt zu einer Tanke an der Pearse Road, die auch nachts geöffnet hatte. Dort konnte ein Taxifahrer mit guten Beziehungen bei jedem Auftanken eine Tasse gratis von etwas bekommen, das wie schwarzer Kaffee roch. Als ich von der Mailcoach Road abbog, klingelte mein Telefon, Dee-Dee-Dee.

Ich hätte es ignorieren können, aber dann hätte sie immer wieder angerufen.

»Dee?«

»Hast du meine Nachricht bekommen?«

 

»Welche Nachricht?«

»Die ich Herb geschickt habe.«

Ich lenkte den Wagen vor die Tanksäulen, nahm das Handy aus der Halterung, stieg aus und klemmte es zwischen Schulter und Ohr. »Ich hab Herb seit Dienstag nicht mehr gesehen«, sagte ich, während ich den Zapfhahn in den Tank schob. »Was ist denn los?«

»Das Eltern-Lehrer-Gespräch, Harry. Ich wollte nur sichergehen, dass du es nicht vergessen hast.«

»Der Empfang ist ganz schlecht, Dee. Kannst du das wiederholen?«

»Wenn ich dich in die Finger kriege, geht’s dir ganz schlecht. Hast du das empfangen?«

»Hör mal, Dee, du weißt doch, dass ich meinen Schlaf …«

»Wir haben Inventur morgen, Harry. Das hab ich dir schon mal gesagt. Ich kann da nicht weg.«

»Aber ich soll meine Einnahmen in den Wind schießen. Damit du deinen Job machen kannst.«

»Das findet einmal im Jahr statt, also kannst du ruhig mal was mit Ben unternehmen. Das ist bestimmt nicht zu viel verlangt.«

Das alte Argument. Ich ließ es stehen.

»Es ist wichtig, dass du das machst, Harry. Und zwar für Ben, nicht für mich. Und vielleicht ja sogar für dich selbst.«

Das sagte sie ohne fiesen Unterton. Klang eher müde, mit diesem leichten Zittern in der Stimme, das sich angesichts des traurigen Rests in ihrem dritten Glas einstellte, von dem Fusel, der in dieser Woche gerade im Angebot war.

»Können wir das nicht auf vier Uhr verschieben?«, fragte ich. »So könnte ich wenigstens …«

»Harry«, sagte sie ohne Zittern, ganz geradlinig, »das Gespräch findet um zwei Uhr statt. Und du bist um halb zwei hier, um Ben abzuholen, wenn nicht, dann schwör ich dir, werd’ ich es ihm erzählen.«

Die alte, uralte Drohung. Vielleicht war sie ja schon beim vierten Glas. Der Zapfhahn klickte, der Tank war voll.

»Hast du mich verstanden?«

»Warum sagst du’s ihm nicht einfach, Dee?« Er wird sowieso früher oder später erfahren, dass der Mann, von dem er denkt, er sei sein Vater, den erschossen hat, der niemals sein Vater sein wollte. Besser, Dee erzählte es ihm, als irgendein Schandmaul auf dem Schulhof.

»Wenn ich wüsste, wo er ist«, sagte sie. »Ich schwör’s dir, wenn er jetzt zu Hause wäre …«

»Hat er denn sein Handy nicht einstecken?«

»Versuch du doch mal, ihn anzurufen. Na los, ruf ihn an, probier doch mal, wie weit du damit kommst.« Das Geräusch, das ich für fernes Donnern gehalten hatte, waren ihre Finger, die auf das Telefon trommelten. »Ein Uhr dreißig, Harry. Sei pünktlich.«

Sie legte auf. Die Lage verbesserte sich auch nicht angesichts der Tatsache, dass ich nach dem Volltanken siebenundfünfzig Euro hinblättern musste und anschließend nur noch ein paar Münzen in der Tasche hatte. Dann machte ich den Fehler, quer durch die Stadt fahren zu wollen, anstatt die Umgehungsstraße zu nehmen. In den Außenbezirken war es besser, und es gab ja vor allem Außenbezirke, aber die Innenstadt war eine Katastrophe aus Beton und Chrom. Alte Straßen, hoch und eng, Verkehrsadern, so verstopft und verkalkt, dass der Verkehr nur tropfte oder sich gar nicht mehr bewegte. Die Ampel ein unscharfes Standbild mit Rot und Grün, blinkendes rosa Neon, fluoreszierender Blues. Bum-Bum-Rhythmen aus heruntergelassenen Seitenfenstern, wummernd pulsierende, kräftige Bassklänge. An einem schlechten Abend brauchte man fünfzehn Minuten, um die zweihundert Meter von der Abtei bis zur Statue von Lady Erin zurückzulegen. Der Mob, der sich vor den Klubs drängte, trug Kapuzenjacken über Baggy-Jeans, deren ausgefranste Hosenbeine den Boden wischten. Die Nacht der lebenden McToten. Mädchen in kurzen Tops mit dicken Bäuchen, mit tiefsitzenden Hüftjeans, darunter String-Tangas wie Käseschneider. Falls jemand auf die Idee kommen sollte, sie könnten womöglich gar keine Unterwäsche tragen.

Ich verließ die O’Connell Street und fuhr nach Westen, bog in die Adelaide und an der neuen Brücke links ab auf Lynn’s Dock, wo der Mond wie eine Grapefruit über den Hafenmauern hing. Finn spielte die Northern Pikes mit »Place That’s Insane«. Weiter am Ballast Quay und den eigentlichen Kaianlagen entlang, auf das Deepwater Quay, schwarzes Wasser zu meiner Rechten, Lagerhäuser und Depots zu meiner Linken, der Connacht-Gold-Baumarkt leuchtete wie eine abschussbereite Rakete. Dahinter ragte das hässliche Gebäude der Hafenverwaltung auf und noch weiter hinten ein Dschungel aus Gestrüpp und die rostrote Marsch. Gelegentlich wurde davon gesprochen, die Marsch in ein Naturschutzgebiet zu verwandeln, ein Vogelschutzgebiet, aber niemand unternahm etwas in dieser Hinsicht. Die Vögel kamen und flogen wieder davon, auch so.

Ich bog ab auf den Hof der Hafenverwaltung, umfuhr im Slalom die Schlaglöcher, langsam im zweiten Gang. Der Hof war vollgestellt mit verrosteten Containern, Haufen von Alteisen und Anhängern voll verschimmelter Holzbohlen. Hohes Gestrüpp wucherte in zugemauerten Eingängen. Es war ein schwüler Tag gewesen, die Luft noch warm, der scharfe Geruch nach heißem Teer hing in der Luft.

Das Verwaltungsgebäude war neun Stockwerke hoch und ein Beispiel für die hässlichen Ausprägungen des Modernismus der sechziger Jahre und seiner Überheblichkeit, erbaut, als der Hafen noch florierte und das Land unter Lemass hart vor dem Wind segelte. Polnische Kohle, norwegisches Holz, jamaikanischer Zucker, australische Wolle. Öltanker gingen vor der Küste vor Anker. Russen sprangen von Bord und gingen nie mehr zur See. Der erste Afrikaner stammte aus Nigeria und war eine Berühmtheit. Sie nannten ihn Paddy Dubh, und er musste nie bezahlen, wenn er sich ein Glas Stout bestellte.

Dann brachen die siebziger Jahre an, die Ölpreise gingen durch die Decke. Die Kohle blieb aus, dann der Zucker. Der Kanal verschlammte. Paddy musste sein Bier selbst bezahlen. Die Krise wurde so schlimm, dass die Behörde für Industrieförderung das Gebäude der Hafenverwaltung kaufen musste, um dann zwei der neun Stockwerke wiederum an die Hafenverwaltung zu vermieten. Sogar das war eine Farce, weil die Industrieförderung der Verwaltung das Geld für die Miete leihen musste.

Dann kamen die Achtziger, ein gutes Jahrzehnt für Unkraut und Ratten. Alle vergaßen, dass es mal einen Hafen gegeben hatte, oder versuchten es zumindest.

Und Big Bob Hamilton zog ein wie die Kavallerie. Zu diesem Zeitpunkt hatte er so gut wie jeden Quadratzentimeter von Thatchers London mit Trockenbaukonstruktionen zugemüllt, und als sie die Eiserne Lady schließlich rauswarfen, nahm Bob das als deutlichen Hinweis und kam nach Hause. Das war 1991, und er erkannte mal wieder die Zeichen der Zeit. Er verkaufte teuer in London und kaufte billig in Sligo und dem gesamten Nordwesten. Wurde Mitglied bei den Rotariern, im Tennisklub, im Golfklub und bei den Lions, in so gut wie jedem Klub bis auf den Dienstagsschachklub im Trades Club. Schließlich wurde er Mitglied des Aufsichtsrats der Behörde für Industrieförderung und vier Monate später kaufte er sechseinhalb Hektar Hafengelände inklusive Verwaltungsgebäude und Schrottplatz und so gut wie allem, was es da sonst noch gab.

Finn hatte mir das alles erzählt, vom unteren Bett in unserer Zelle in Dundrum. Er klang dumpf und gelangweilt dabei, aber die Geschichte war klar und deutlich. Wie es hieß, Big Bob persönlich sei verantwortlich für die neue Schreibwarenfabrik in Finisklin, wo drei Angestellte unermüdlich daran arbeiteten, den Bedarf an braunen Briefumschlägen zu decken. Seriöse Investitionen seien auf den Weg gebracht, der Hafen sollte eine Verjüngungskur bekommen, Bob hatte alles vorbereitet, um einen großen Fisch an Land zu ziehen. Die Investition kam dann nie, und der große Fisch ging nicht an Land, im Gegenteil, 1998, als Finn gerade achtzehn geworden war, sah er mit eigenen Augen, wie der nagelneue BMW seines Vaters über die Kaimauer ins Wasser fuhr, während sein Vater noch am Steuer saß. Die offizielle Version lautete Tod durch Unfall, obwohl die Untersuchung keine befriedigende Erklärung dafür fand, wieso sämtliche Fenster des Beamers heruntergelassen waren, direkt am Wasser spätabends im Januar.

Kurze Zeit darauf fingen die Brandstiftungen an, und Finn raste mit Vollgas auf seinen ersten Absturz zu.

Ich fuhr auf den kleinen Parkplatz vor dem Gebäude und bemerkte einen schnittigen braunen Saab im Licht der einzigen Lampe über der Eingangstür. Das war eigenartig. McCool FM war eine One-Man-Show, und DJs, die Leonard Cohen auflegen, haben keine Groupies, jedenfalls nicht mehr seit dem Tod von John Peel, Gott segne seine Baumwollsocken. Was bedeutete, dass Finn unerwartete Gäste hatte. Oder er ging seiner Tätigkeit als Mittelsmann nach und verkaufte seine Beutel weiter.

So oder so war es nicht gut.

Der Fahrer des Saab stieg gerade aus.

Die Beutel lagen versteckt unter dem Ersatzrad im Kofferraum, also lenkte ich auf den Platz neben ihm, setzte zurück und parkte das Taxi rückwärts neben Finns schwarzem Audi ein, mit dem Kofferraum ganz dicht vor der Hauswand. Stieg aus, schloss ab und schlenderte auf den Eingang zu. Der Fahrer des Saab hob eine Hand und sagte: »Bleib stehen, Kumpel.«

Sein Akzent war nicht so hart wie bei einem aus Derry, und es war ein leichter Hauch nördliches Donegal mit dabei. Seine Statur erinnerte an ein umgedrehtes Cello, er trug ein weißes Hemd mit geöffnetem obersten Knopf, eine schmale schwarze Krawatte mit lockerem Knoten. Lackschuhe, in deren Glanz er seine ebenmäßigen weißen Zähne mit Zahnseide bearbeiten könnte. Durch die geöffnete Tür des Saab sah ich auf einem Kleiderbügel das Sakko eines dunklen Anzugs mit seidenem Innenfutter in rotem Paisley-Muster. Vielleicht italienisch. Seine Augen starrten mich an wie eine Doppelschrotflinte mit abgesägtem Lauf.

Ich blieb fünfzehn Zentimeter vor dem Bereich stehen, den er mit seinen Fäusten wohl erreichen konnte. »Ich werde erwartet«, sagte ich.

»Aber nicht von mir, bestimmt nicht.«

»Da haben Sie auch wieder recht.«

Es ist immer problematisch, wenn ein Typ glaubt, er könnte dir sagen, was du tun sollst, weil es dann nur eine Frage der Zeit ist, bis alle anderen das auch glauben. Dann kommt man ins Schleudern. Und ich stand sowieso schon auf wackeligem Terrain.

»Ich gehe da hoch«, sagte ich.

»Geht in Ordnung, Kumpel, aber nicht jetzt.«

Ich reckte den Hals, um in den neunten Stock zu schauen, die Fenster dort waren mattgelb erleuchtet. »Verlangt er von Ihnen, dass Sie eine Krawatte tragen?«

Das brachte ihn kein bisschen aus dem Konzept. »Wissen Sie, was ich mag?«, sagte er. »Autos, feinen Zwirn und Mösen. Er bezahlt mich dafür, dass ich einen Saab fahre und gute Anzüge trage.«

»Zwei von drei ist keine schlechte Ausbeute.«

»Ich komm voran.« Er hob das Kinn. »Finn erwartet dich?«

»Ganz recht.«

Er warf einen Blick hinter mich. »Stimmt was nicht mit seinem Audi?«

»Außer, dass es kein Porsche ist?«

»Genau das ist der Punkt.« Er trat einen Schritt zur Seite und winkte mich durch. »Jimmy«, sagte er.

»Rigby.«

Er beugte sich vor, als ich an ihm vorbeiging, schnüffelte und blähte die Nüstern. Ich schaute auf und starrte direkt in die Läufe der Doppelflinte, schwarz, kalt und ohne ein Licht, das dem müden Pilger den Weg weisen könnte.

»Bleib sauber, Rigby.«

»Ich versuch’s.«