Slaughter's Hound

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9

»Was mir daran nicht gefällt«, sagte Tohill, »ist, dass Sie dabei waren, als es passierte.«

»Als es passierte, ja. Aber nicht, wo es passierte.«

»Nur nicht unverschämt werden, ja?«

»Ich war unten im Hof. Die große Entscheidung wurde neun Stockwerke über mir gefällt. Als er unten ankam, war alles vorbei.«

»Sagen Sie.«

»Weil Sie mich gefragt haben.«

»Tun Sie mal bloß nicht so oberschlau.«

»Um was geht es hier denn eigentlich?«

Das Verhörzimmer war rausgeputzt wie ein Mädchenschlafzimmer, alles zartrosa und hellblau. Wegen einer neuen EU-Richtlinie wahrscheinlich, die dazu dienen sollte, die Invasivität der Verhörsituation für zur Überempfindsamkeit neigende Gewalttäter und sonstige Mistkerle zu minimieren. Das Licht war gedimmt, es war nicht mal der Brandfleck einer Zigarette oder die geringste Kritzelei auf der Resopaltischplatte zu erkennen. Der Geruch nach frischer Farbe verursachte mir leichte Kopfschmerzen.

Tohill stakste durch den Raum, die Hände in den Hosentaschen. Blond, Ende dreißig, ein Gesicht wie eine abgestoßene metallverstärkte Stiefelspitze. Für ihn war ich nichts weiter als ein ehemaliger Häftling, der mal wieder am Ort eines Verbrechens aufgetaucht war.

Er dachte darüber noch mal nach. Soweit ich wusste, war Selbstmord kein Verbrechen. Tohill war der Ansicht, dass es so lange kein Selbstmord war, wie er es nicht so nannte. Er setzte sich mir gegenüber an den Tisch, lehnte sich zurück und senkte den Kopf, bis seine blassblauen Augen auf gleicher Höhe wie meine waren. »Gehen wir das Ganze doch noch mal durch.«

»Meinetwegen gern. Können wir dann mal jemanden herholen, der meine Aussage aufschreibt?«

»Haben Sie’s so eilig?«

Ich war erschöpft. Als ich den Audi zurückbrachte, stand ein einziger uniformierter Beamter vor dem Gebäude, der mich bloß anstarrte und auf die Pointe wartete, als ich ihn bat, einen Streifenwagen anzufordern, der mich zur Wache bringen sollte. Also musste ich zu Fuß gehen, den ganzen Hafenrand entlang und quer durch die Stadt, ein langer, einsamer Weg, den ich widerwillig und mit schweren Schritten zurücklegte. Es war nicht exakt der Todesmarsch von Bataan, okay. Aber zu diesem Zeitpunkt stand ich schon zwei Stunden lang unter Schock, und jede Zelle in meinem Körper sehnte sich danach, einfach zur Ruhe kommen und alles ausblenden zu dürfen.

Und jetzt saß ich diesem Tohill gegenüber, der den Eindruck vermittelte, er wolle einen auf Bud White machen.

»Sie sind wohl mehr so der gründliche Typ«, sagte ich. »Also würde ich schätzen, Sie sind da hochgegangen und haben sich umgeschaut. Und wenn Sie dort was gefunden hätten, das nach Spuren von Gewaltanwendung aussieht, dann würde ich dieses Gespräch ja sicher in Anwesenheit meines Anwalts führen.«

»Ihre Hände sind total zerschnitten«, sagte er. »Für mich sieht das nach Spuren von Gewaltanwendung aus.«

»Vielleicht, falls Sie Lust dazu haben vor Gericht darzulegen, wie ich versucht hätte, Finn mit Hilfe eines Haufens Altmetall vom Dach des Gebäudes zu stoßen. Ich habe das Studio gemeint. Wurden da Spuren gefunden?«

»Sind da denn welche?«

»Woher soll ich das wissen? Ich bin nicht oben gewesen.«

»Doch, Sie waren oben.«

»Ich meine hinterher. Hinterher bin ich nicht nach oben gegangen.«

»Waren Sie nicht neugierig?«

»Das ist wirklich eine kranke Frage.«

Sein breites Grinsen deutete darauf hin, dass er diese Unterhaltung mochte. »Wollen Sie damit sagen, ich bin krank?«

Er hatte die ganze Nacht Zeit, er hatte eine verkohlte Leiche und einen Augenzeugen, der sieben Jahre lang im Heim für kriminell Verwirrte zugebracht hatte, weil er kaltblütig seinen Bruder umgebracht hatte. Man ist schon aus geringeren Gründen befördert worden.

Ein Catch-22-Dilemma. Wie man es auch drehte, es ging ungünstig aus. Wenn ich argumentierte, ich hätte Gonzo im Zustand geistiger Unzurechnungsfähigkeit umgebracht, wäre ich eine Gefahr für die Allgemeinheit, einer, dem jederzeit wieder die Sicherung durchbrennen konnte und der diesmal seinen Kumpel aus einem Fenster im neunten Stock geworfen hatte.

Wenn ich andererseits behauptete, ich sei absolut bei klarem Verstand gewesen, als ich meinem Bruder eine Kugel in die Brust jagte, dann wäre ich tatsächlich zu allem fähig, was aufs Gleiche hinauslief.

Also suchte ich mir einen Fleck an der Wand hinter seinem Kopf und starrte darauf.

»Wissen Sie, was ich nicht verstehe?«, fragte Tohill und blätterte dabei einige vor ihm liegende Seiten durch. »Wieso wollte dieser Typ sich umbringen? Wenn Sie das gemacht hätten, okay, super, Sie waren sowieso am Ende. Dann wären wir alle längst daheim und lägen im Bett. Würden uns bestenfalls noch fragen, warum Sie nicht ins Wasser gesprungen sind, weil es uns erspart hätte, den ganzen Dreck wegräumen zu müssen. Aber dieser Typ hatte doch alles, was er sich wünschen konnte.«

Diese Frage war durchaus angebracht, ich hatte sie mir die ganze Zeit auch schon gestellt. Finn hatte so euphorisch gewirkt dort oben in seinem Studio, kurz bevor er gesprungen war. Wenn er deprimiert gewesen wäre, gut, dann hätte das Sinn gemacht. Wenn der schwarze Hund geknurrt und ihn über die Fensterbank gejagt hätte. Nur dass Finn, wenn er richtig deprimiert war, kaum noch laufen konnte. Wenn er euphorisch war, wollte er springen, dann wollte er das Böse mit Stumpf und Stiel ausrotten.

Bell jars away …

»Ich meine«, sagte Tohill, »wenn Sie schlau gewesen wären, dann hätten Sie das Gebäude angezündet und anschließend behauptet, er sei gesprungen, weil es brannte. Dann hätten wir alle gedacht, Finn, der alte Feuerteufel, konnte sich mal wieder nicht beherrschen. Hab ich recht?«

Der Fleck an der Wand konnte eventuell von einer feuchten Stelle herrühren, die nicht behandelt, sondern nur überpinselt worden war.

»He!« Tohill schlug mit der geballten Faust auf den Tisch. Ich sprang auf, ein scharfer Schmerz schoss durch meine linke Brust.

»Hören Sie«, sagte ich und holte tief Luft. »Ich bin hierher gekommen, um Ihnen einen Gefallen zu tun. Ich muss mir nicht …«

»Absoluterscheißblödsinn. Sie stehen so dicht vor einer Anklage wegen Behinderung der Justiz.« Er drückte Daumen und Zeigefinger zusammen. »Kapiert? Ich frage mich nämlich allmählich, worum es hier eigentlich geht und was Sie uns zu verheimlichen versuchen.« Er bohrte seinen wurstigen Zeigefinger in die Tischplatte, die nun wirklich nichts dafür konnte. »Ich rate Ihnen also, Ihr verdammtes Mundwerk zu benutzen und mir ein paar halbintelligente Antworten zu geben. Andernfalls wird das hier eine verdammt lange Nacht.«

Der Schmerz verging wieder. Kalter Schweiß brach mir aus. »Drehen wir hier einen Film?«, fragte ich und warf einen Blick auf die Kamera in der Ecke, deren grünes Licht blinkte. »Sagen Sie denen doch bitte, sie sollen mich von meiner Schokoladenseite filmen.«

»Soll ich ihnen sagen, sie sollen das Ding ausschalten?«, fragte er. »Damit wir uns besser unterhalten können?«

Dee hat mal zu mir gesagt, ich hätte Augen wie ein geprügelter Hai. Ich sah ihm in die Augen und schaltete dann das Licht aus, um ihm zu zeigen, wie einer dreinblickt, der wirklich krank ist. »Nur Sie und ich«, sagte ich. »Und dann unterhalten wir uns richtig.«

Ein leichtes Zucken unter seinem rechten Auge, kaum wahrnehmbar. Er rollte die Schultern und grinste. Stellte sich vor, was er dann tun würde. »Vielleicht komme ich ja darauf zurück«, sagte er. »Aber jetzt ist nicht der richtige Moment, stimmt’s?«

»Sie wissen ja, wo Sie mich finden.«

»Gottverdammt richtig, ich weiß sehr genau, wo ich Sie finde. Weil Sie jetzt nämlich schnurstracks auf die Gummizelle zumarschieren.« Er stand auf, schob die Hände in die Hosentaschen und stolzierte herum. »Fangen wir mal ganz vorne an«, sagte er und ein anzügliches Grinsen huschte über sein Gesicht. »Erzählen Sie mir doch mal, wie das war, als Sie sich mit Finn eine Zelle geteilt haben.«

»Wir haben uns ein Zimmer geteilt, ja.«

»Ein Zimmer?« Er lachte auf. Dieser Tohill war leicht zu erheitern. »Wo war das denn? Im Radisson?«

»Die sagen dort Zimmer dazu. Das ist Teil des Rehabilitationsprozesses.«

»Wiedereingliederung, stimmt’s?« Er nickte vor sich hin. »Damit Sie sich nicht wie ein Kaputtnik fühlen, bloß weil Sie Ihren Bruder umgenietet haben. Ich verstehe schon.« Wieder ließ er die Schultern kreisen. »Und da sitzen Sie nun also in ihrem schicken Zimmer, und plötzlich kommt Finn Hamilton rein und stinkt wie die Boxengasse in Le Mans. Sind Sie gleich über ihn hergefallen oder haben Sie ihm Zeit gelassen, sich zu akklimatisieren?«

Tohill war noch einer von der alten Schule. Als Nächstes würde er nachschauen, ob ich weiße Socken trug, und mich fragen, ob ich zu alten Liza-Minelli-Songs Aerobic machte.

»Eins verstehe ich nicht«, sagte er, während er gelangweilt durch die Seiten seines Ordners blätterte. »Wieso haben Sie so eine geringe Strafe bekommen? Hier steht doch, Sie seien schuldfähig, und Sie wurden doch wegen Mordes angeklagt, und es waren nur Sie und er im Raum und Sie haben ihn erschossen. Richtig? Schwarz auf weiß. Aber dann lässt man Sie auf Notwehr plädieren und gesteht Ihnen auch noch zeitweilig getrübte Wahrnehmung zu?« Er wartete. Ich starrte vor mich hin. »Des Weiteren steht dann hier«, er blätterte weiter, »dass Sie zur abschließenden Beurteilung nach Dundrum überwiesen werden. Was normalerweise zwei Wochen dauert, bei Ihnen aber vier Jahre.« Wieder machte er eine Pause. »Vielleicht sind Sie ja ein besonders schwieriger Fall«, sagte er, »aber vier Jahre lang?« Er stieß einen leisen Pfiff aus. »Und dann werden Sie in eine psychiatrische Klinik überwiesen, einfach so, ohne dass jemand Einspruch erhebt. Und das obwohl ich hier nirgendwo Hinweise darauf finde«, er blätterte einige Seiten zurück, »dass Sie ein besonders vorbildlicher Gefangener gewesen sind. Was denn, finden Sie das etwa witzig? Bin ich ein Komiker oder so was?«

 

»Nein, ganz bestimmt nicht.«

»Was ist denn dann so gottverdammt witzig?«

Ich hätte nicht den Hai markieren sollen. Aber das kann ja mal passieren. Die Zahnrädchen im Getriebe in meinem Hinterkopf verloren den Halt, drehten durch und brachten etwas zum Vorschein.

»Am Rand zu sitzen«, sagte ich, »sich dort einzurichten und zu jammern bedeutet, dass man Chancen verstreichen lässt.« Ich kannte es auswendig. »Ich verstehe gar nicht, wieso Leute, die sich so verhalten, nicht gleich Selbstmord begehen. Denn, ehrlich gesagt, das Einzige, was mich antreibt, ist die Möglichkeit, aktiv etwas zu ändern.«

»Was zum Teufel hat das denn damit zu tun …«

»Das war ein Zitat, Tohill. Von unserem früheren Herrn und Meister, Bartholomew Ahern, den Sie wahrscheinlich eher unter dem Namen Bertie kennen, nicht zu verwechseln mit Bertie Wooster von Wodehouse. Das war seine gemessene Antwort an die Kritiker seiner Wirtschaftspolitik, die von einem Buchhalter und ehemaligen Finanzminister bestimmt wurde, der nicht mal wusste, wie man ein Girokonto eröffnet. Trotzdem ein eloquenter Typ. Die sind ja in hellen Scharen über uns gekommen.«

»Wollen Sie etwa behaupten, dies sei der Grund dafür, dass Finn Hamilton aus dem Fenster gesprungen ist?«

»Ich will damit nur sagen, dass ich Berties Meinung teile. Dass es nichts bringt, am Rand zu sitzen und darüber zu jammern, wie beschissen alles ist.« Ich beugte mich vor und tippte auf den Ordner. »Weil ich proaktiv die Dinge verändern will, wie man heutzutage sagt.«

»Nur zu.«

»Gonz war der Irre, Tohill. Total wahnsinnig. Er hatte schon jemanden umgebracht, mindestens. Er hat schon nach der Waffe gegriffen, als ich abgedrückt hab. Das Gesündeste, was ich jemals getan habe, war, diesen Mistkerl abzuknallen. Er oder ich, darum ging es. Logischer kann es gar nicht mehr sein. Bloß dass es dann hieß, ich sei verrückt, weil ich darauf vorbereitet war. So was nennt man dann böswilligen Vorsatz. Wenn dieser Richter mal bei den Pfadfindern gewesen wäre, hätte ich einen Freispruch bekommen. Seid immer bereit, Sie kennen doch den Spruch. Aber jetzt kommt der Witz bei der Sache, Tohill: Wenn man in eine psychiatrische Klinik reinkommt und nicht schon irre ist, dann ist man jedenfalls total durchgedreht, wenn man wieder raus darf.«

»Was soll das jetzt sein, eine Drohung?«

»Warum sollte ich Ihnen denn drohen? Sie sind doch gar nicht im Spiel.«

»Im Spiel?«

»In dem Spiel.«

»Kapier ich nicht. Was für ein bescheuertes Spiel soll das denn …«

Ich beugte mich vor: »Ich gehe jede Wette ein, Tohill, dass Sie noch nie jemanden umgenietet haben. Ich wette sogar, dass Sie nicht mal jemanden kennen, der mal jemanden ausgeknipst hat. Sie können mich gerne eines Besseren belehren.«

Ich sah es ihm an.

»Ich habe Gonzo aus dem Verkehr gezogen«, sagte ich. »Es konnte nur einer übrig bleiben, und das war nun mal ich. Meinen Sie nicht, dass die Welt besser geworden ist ohne ihn? Das war ich.« Ich deutete mit dem Daumen auf meine Brust. »Ich. Nicht Sie, keiner von euch. Ich. Und wenn Sie wissen wollen, warum ich vier Jahre absitzen musste, von denen behauptet wird, sie seien human gewesen, dann gehen Sie mal los und suchen Sie diesen Typen namens Brady auf, der jetzt in der Harcourt Street das Sagen hat. Das ist ein Bulle, ja, aber einer, der die Spielregeln kennt. Sagen Sie ihm, dass ich Sie geschickt habe, dann wird er Ihnen alles erzählen, was Sie wissen müssen. Und was diesen Blödsinn hier betrifft: Ich habe eine verdammt lange, beschissene Nacht hinter mir und habe gesetzlich das Recht, eine Aussage zu machen.« Ich schaute zur Kamera. »Und fordere hiermit, davon Gebrauch machen zu dürfen. Entweder lassen Sie mich jetzt meine Aussage machen und dann gehen, oder Sie verhaften mich und lassen mich schlafen.«

Er starrte mich eine Weile an, seine Kiefer bewegten sich, als würde er Getreide zermahlen. Dann verließ er den Raum. Er kam mit einem Uniformierten zurück, der noch auf seine erste Rasur wartete. Die Wanduhr zeigte 5:23 an.

Ich blieb bei meiner Geschichte. Dass Finn angerufen hätte, weil sein Audi Ärger machte, weshalb er ein Taxi brauchte. Er hatte ein bisschen Dope geraucht, klar, aber er war ziemlich aufgekratzt, weil er heiraten und nach Zypern umsiedeln wollte. Das Allerletzte, was ich erwartet hätte, war ein Sprung aus dem Fenster, aber den hat er dann gemacht. Sic transit gloria mundi.

Der Uniformierte ging los, um die Aussage abzutippen.

»Wissen Sie, woher er das Dope bekam, das er geraucht hat?«, fragte Tohill.

»Keine Ahnung.«

»Haben Sie auch was davon geraucht, hm?«

»Das hätte gegen die Bewährungsauflagen verstoßen.«

»Trotzdem könnten wir noch einen Urintest machen.«

Ich ließ es einfach an mir abperlen, um ihm zu zeigen, wie kleinlich sein großes Getue war. Er rieb sich die Nase. »Nur dass Sie’s wissen«, sagte er. »Es würde mich ein kaltes Lächeln kosten, Sie wieder zurück in den Knast zu bringen.«

»Den Steuerzahler aber würde es eine Viertelmillion pro Jahr kosten, mich dort zu verpflegen.«

»Der Steuerzahler will Abschaum wie Sie weggesperrt sehen.«

Er sah verbraucht, ramponiert und schäbig aus. Er sollte seine Steuergelder besser mal in einen passenden Anzug investieren.

Der Uniformierte brachte die Aussage zur Unterschrift. Tohill lehnte am Türpfosten und ließ seinen Kopf im Uhrzeigersinn kreisen, während ich den Text prüfte.

»Meine Güte«, seufzte er, »unterschreiben Sie den Wisch doch einfach.«

»Mach ich, wenn ich weiß, dass es wirklich meine Worte sind.«

Es klopfte an der Tür. Tohill ging nach draußen. Ich drehte mir eine Zigarette und steckte sie hinters Ohr. Tohill kam wieder rein und rollte mit den Schultern.

Ich schaute zur Kamera in der Ecke. Das grüne Licht hatte aufgehört zu blinken.

Scheiße.

Er griff nach dem Aussageprotokoll, las es durch und nickte dabei. »Interessant, dass Sie behaupten, es sei niemand sonst in dem Hafengebäude gewesen, als Sie dort ankamen. Aber zuvor«, er zerknüllte das Protokoll und warf es mir ins Gesicht, »möchte ich Ihnen noch mitteilen, dass wir gerade einen Anruf bekommen haben. Von jemandem, den Sie kennen dürften. Sagt Ihnen der Name Gillick etwas?«

»Gillick?«

»Er ist das, was man einen besorgten Bürger nennt. Sozial gesinnt. Hat im Radio gehört, dass es einen Selbstmord unten am Hafen gegeben hat und dachte sich, er könnte uns vielleicht bei den Ermittlungen behilflich sein. Um ein oder zwei Dinge klarzustellen.«

»Klingt wirklich sehr fürsorglich.«

»Behauptet, er sei vorher am Ort des Geschehens gewesen, wo er ein Gespräch mit seinem Mandanten Finn Hamilton geführt hat. Eigenartiger Ort für eine Beratung, würde ich sagen, aber egal. Gillick hat dann noch gesehen, wie dieser Typ reinkam, den er Rigby nannte. Eins achtzig groß, dunkles Haar, normaler Körperbau, eher ein bisschen dünn. Anfang vierzig. Weißes Hemd, schwarze Krawatte, sah aus, als hätte er gerade eine Prügelei hinter sich.«

»Müsste ja ein gewaltiger Zufall sein, wenn das nicht ich gewesen wäre.«

Ich fragte mich, ob er wusste, dass er die rechte Hand zur Faust geballt hatte, geradezu krampfhaft. »Sie haben gerade eine Aussage gemacht, für die Sie zwei Jahre hinter Gitter wandern könnten. Und zwar noch bevor die Ihre alte Akte wieder aufmachen und sich fragen, ob Sie wieder nervös werden.«

»Ich hab Gillick nicht erwähnt, weil Sie mich gefragt haben, ob ich jemanden gesehen habe, der Finn aus dem Fenster hätte werfen können. Gillick war da aber schon längst weg. Außerdem ist er Finns Anwalt, beziehungsweise war es. Warum sollte er ein Interesse an seinem Tod haben?«

»Sehr schlau.« Er war blitzschnell. Packte meine Krawatte, als ich kurz blinzelte, und schob mir den Knoten direkt unter den Adamsapfel. Zog so fest zu, dass ich keine Luft mehr bekam, aber nicht so fest, dass ich bleibende Schäden davontrug. »Denk dir was Besseres aus, Rigby. Sonst wirst du …«

Wieder klopfte es an der Tür. Der Kopf des Uniformierten erschien im Türspalt. »Sir, der Anwalt ist … Scheiße. Sir?« Tohill drehte den Kopf. »Der Anwalt ist gekommen, Sir. Er möchte seinen Mandanten sehen.«

Die Tür ging zu. Tohill ließ mich los, stieß meinen Kopf zurück und beugte sich dann zu mir. Ich konnte riechen, dass er Spaghetti Bolognese zum Abendessen gehabt hatte, mit ziemlich viel Knoblauch. »Ich werd euch beide drankriegen«, sagte er.

Ich lockerte den Krawattenknoten und schnürte ihn auf. »Sie sollten mal Zahnseide benutzen«, sagte ich krächzend.

Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, aber ich sprang nicht höher als ein mexikanischer Floh. Er lachte säuerlich, räusperte sich und spuckte mich an.

»Danke«, sagte er.

»Keine Ursache«, sagte ich und wischte mir mit dem Hemdzipfel den klebrigen Speichel von der Wange.

»Manchmal vergisst man, warum man diesen Job macht. Solchem Abschaum wie Ihnen zu begegnen ist dann wie ein Auffrischungskurs.«

»Und wer nur steht und wartet, dienet auch.«

Er zupfte sorgfältigst seine Krawatte zurecht und dann war er weg. Ich wischte den letzten Rest Schleim ab. Der Geruch nach Knoblauch hing in der Luft, aber wenigstens war es nicht mehr der Gestank nach verbranntem Schweinefleisch.

10

Ich wartete, bis Gillick die Kaffees bezahlt hatte, und dachte darüber nach, dass ich keinen Anwalt hatte, mir keinen leisten konnte, keinen verlangt hatte und keinen gebraucht hatte bis zu dem Moment, als ein Anwalt bei den Cops anrief.

Er hatte mich aus der Wache begleitet und gefragt, ob er mich zum Frühstück einladen dürfe. Ich sagte, klar, wenn es gegrillte Nieren gibt und mindestens eine davon von ihm stammt, und ging weiter. Dreißig Sekunden später tauchte der braune Saab neben mir auf, und Jimmy ließ das Fenster herunter. Er hielt in der zweiten Reihe. »Ich bin derjenige, der die Spielsachen aufsammeln muss, wenn er sie aus der Karre geworfen hat«, sagte er.

»Es war eine lange Nacht, Jimmy. Kaffee und dummes Geschwätz dazu kann ich jetzt bestimmt nicht gebrauchen.«

»Lass dir wenigstens ein Frühstück spendieren. Wenn mein Boss glücklich ist, bin ich glücklich, und du bist satt.«

»Ich bin zu müde für ein Frühstück, Mann.«

»Du tätest mir einen Gefallen. Und es hat noch nie jemandem geschadet, wenn ein anderer ihm einen Gefallen schuldet, oder?«

Gutes Argument, vor allem wenn es abzulehnen bedeutet hätte, dass Jimmy dann glaubte, er würde mir etwas anderes schulden als einen Gefallen. Ich zuckte mit den Schultern.

»Du kriegst also dein Frühstück«, sagte er, »lächelst und nickst. Und dann gehen wir alle nach Hause.«

Beim Gedanken an Frühstück zogen sich meine Gedärme zusammen. Ich dachte an zu Hause. Gleiches Ergebnis. Ich ging um den Saab herum und stieg ein.

Jimmy fuhr uns zu dem rund um die Uhr geöffneten Fernfahrer-Imbiss nördlich der Stadt. Fragte, was wir haben wollten, und ging rein zum Bestellen, während Gillick und ich uns in die abgeschlossene Raucherecke auf der Rückseite trollten. Gartentische aus Holz, Wärmepilze.

Gillick sah hellwach aus, obwohl es erst sechs Uhr morgens war. Trug ein aufgeknöpftes blassblaues Hemd, beige Chinos mit scharfer Bügelfalte, Slippers mit Quasten und ein sportliches Jackett mit Lederflicken am Ellbogen; er roch leicht nach Zigaretten und Jasmin. Oder vielleicht auch, angesichts der Uhrzeit und Finns Beurteilung seiner Persönlichkeit, nach Yasemin. Er platzierte seinen mächtigen Körper auf einem der Klappstühle und legte eine schlanke Aktenmappe aus Krokodilleder auf den Tisch. Stemmte die Ellbogen auf die Mappe, damit er sich die Lederflicken nicht ruinierte, und legte das Kinn auf die Handflächen.

»Was genau haben Sie denen erzählt?«, säuselte er.

»Steht alles im Protokoll.«

»Sie haben hoffentlich nichts unterschrieben.«

»Was muss Sie das denn interessieren?«

Er zog eine Visitenkarte aus der Hosentasche. »Ich bin der Anwalt der Familie Hamilton.«

 

»Ach?«

»Es gab da eine Mitteilung der Gardaí, jemand würde ihnen bei den Ermittlungen helfen. Das konnten nur Sie sein.«

»So?«

»Ich wollte bloß sichergehen, dass Sie nicht unrechtmäßig in Gewahrsam gehalten werden.

»Es lief alles bestens für mich, bis Sie aufgekreuzt sind.«

»Möglich.« Jimmy kam mit einem Tablett. Schwarzer Kaffee für Gillick, ein Wurst-Sandwich für mich und ein bisschen Orangensaft. Gillick wartete, bis Jimmy wieder gegangen war, bevor er weitersprach. »Aber es ist eher unwahrscheinlich, dass Sie anschließend Mrs Hamilton aufgesucht hätten, oder?«

»Ich war ja schon dort«, sagte ich, während ich auf einem Bissen Wurstbrot kaute. Krümel regneten auf die Tischplatte.

»Das hörte ich.« Er brachte seinen Kaffeebecher vor dem Krümelgeschwader in Sicherheit. »Ich hörte auch, dass Sie keine Gelegenheit hatten, mit Mrs Hamilton zu sprechen.«

»Sie schlief schon.«

»Jetzt ist sie wach.« Er gab ein Seufzen von sich, das seine unterste Kinnpartie zum Vibrieren brachte. »Ihr einziger Sohn ist gerade gestorben. Und Sie waren der Letzte, der ihn lebend gesehen hat.«

»Ich kann ihr auch nicht mehr erzählen, als ich schon dem Butler mitgeteilt habe.«

Er hüstelte dezent, die Hand vorm Mund konnte sein schiefes Lächeln nicht ganz verdecken. »Ich glaube, Simons offizielle Berufsbezeichnung lautet Hauswirtschaftsleiter.«

»Das ändert nichts an dem, was ich ihm gesagt habe.« Ich legte das Sandwich weg, das mit genetisch modifiziertem Plastikschweinefleisch belegt war, trank den O-Saft aus und holte den Tabak raus. »Allerdings, wenn ich mich recht erinnere, habe ich nicht erwähnt, dass Sie auch dort waren. Vielleicht sollte die Dame mal mit Ihnen reden.«

»Mrs Hamilton ist bekannt, dass ich an diesem Abend mit Finn gesprochen habe. Und warum.«

»Wollen Sie damit sagen, dass sie mich fragen möchte, ob Sie ihn dazu gebracht haben, aus dem Fenster zu springen?«

Er wurde rot. »Ich möchte meinen Mandanten nichts unterstellen, Mr Rigby. Ich tue nur das, worum ich gebeten werde, wenn ich um etwas gebeten werde.«

»Wie der Affe, der für den Drehorgelspieler tanzt.«

Die affektiert gekräuselten Lippen verzogen sich zu einem feuchten Schmollen. »So wie ich das sehe«, sagte er, »waren Sie kurz davor, eine ganze Nacht in der Zelle zu verbringen wegen Behinderung der Polizeiarbeit. Das hätte Ihrem Bewährungshelfer gar nicht gefallen, meinen Sie nicht auch?«

»Was meiner Bewährungshelferin gefällt, das ist ein Gläschen Scotch zwischen dem Fünf-Uhr-Tee und der Cocktailstunde. Glauben Sie wirklich, die interessiert sich einen Scheiß dafür, wo ich meine Nacht verbracht habe?«

»Vielleicht könnte man sie ja dazu bewegen, ein bisschen mehr Interesse zu zeigen.«

Ja, klar, ich war erschöpft, der Adrenalinrausch war längst verebbt, der Schock von Finns Tod zehrte an meinen Nerven. Aber manchmal versucht wirklich jeder, überall, mich runterzumachen.

»Was genau hofft denn Mrs Hamilton, das ich sagen werde?«, fragte ich.

»Wie ich schon sagte, ich bemühe mich stets, meinen Mandanten nichts zu unterstellen …«

»Warten Sie mal«, sagte ich und steckte mir die Fluppe zwischen die Lippen und klopfte meine Taschen nach dem Zippo ab. Er griff in seine Brusttasche und zog ein goldenes Ronson-Feuerzeug heraus. Ich beugte mich vor, ließ mir Feuer geben und hatte schon die Aktenmappe aus Krokodilleder im Arm. Er grabschte danach, aber seine Reflexe waren eben die eines Mannes, der die Hälfte seines Lebens mit Weintrinken zum Lunch verbrachte und die andere Hälfte damit, Spesenvordrucke auszufüllen. Ich ließ die Mappe auf meinen Schoß fallen und die Verschlüsse aufschnappen. Das Diktafon war ein hübsches kleines digitales Teil, kaum größer als sein Ronson-Feuerzeug und lief seit fast zwanzig Minuten. Ich schaltete es aus, steckte es in meine Brusttasche und schob ihm die Aktenmappe wieder hin.

»Geben Sie mir mal einen kleinen Tipp«, sagte ich. »Was haben Sie denn gehofft, das ich sagen würde?«

»Das Gerät habe ich nur zu meiner eigenen Sicherheit dabei. Für den Fall, dass ein unzufriedener Mandant zu einem späteren Zeitpunkt meinen Ratschlag nicht mehr befolgt. Das ist üblich so.«

»Zum einen bin ich aber gar nicht Ihr Mandant. Und selbst wenn, wäre es illegal, weil Sie mir nicht gesagt haben, dass Sie unsere Unterhaltung aufnehmen.«

Ein öliges Grinsen schimmerte auf und verschwand irgendwo zwischen dem ersten und zweiten Kinn. »Nur wenige Dinge im Leben sind eindeutig legal, Mr Rigby.«

»Zum Beispiel die Tatsache, dass Sie mit Finn ein doppeltes Spiel gespielt haben.«

Vielleicht lullte mich das Klackern der Verschlüsse der Aktenmappe ein. »Trotz seines großen Bekanntheitsgrads«, sagte er, während er die Tasche aufklappte und ein Scheckbuch herausnahm, »hatte Finn nicht sehr viele enge Freunde.« Er schloss die Mappe wieder, legte das Scheckbuch darauf und griff nach dem Füllfederhalter in seiner Brusttasche. »Ich denke, Mrs Hamilton möchte nun gerne mit einem dieser engen Freunde sprechen, um sich von ihrem Schmerz abzulenken. Wäre es wirklich zu viel verlangt, ihr diesen Gefallen zu tun, nach der wahrscheinlich schlimmsten Nacht ihres Lebens?«

»Ja.«

Er schraubte den Füller auf. »Sie werden selbstverständlich dafür entschädigt, dass Sie Ihre Zeit opfern. Ich gehe mal davon aus, dass es ungefähr zwei Stunden in Anspruch nehmen könnte, inklusive der Fahrt dorthin und wieder zurück. Wären dreihundert Euro eine akzeptable Summe?«

Ich dachte an Finns zerstörte und verbrannte Leiche. Ich dachte an den tiefen Schmerz seiner Mutter. Ich dachte an die drei Beutel, die Finn bestellt hatte, bevor er in die Tiefe sprang, Toto McConnells Gras, das in Rauch aufgegangen war.

»Machen Sie fünfhundert draus«, sagte ich, »in bar.«