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Kapitel 4 - im heißen Süden

Heinz Helmholtz wälzte sich in dem verschwitzten Laken von einer Seite auf die andere. Zum hundertsten Mal in den vergangen zwei Tagen verfluchte er seine bescheuerte Tochter, die ihr Domizil ausgerechnet im Süden der USA aufschlagen musste.

Er sehnte sich nach dem Bett in seiner Villa am Rhein, wo es reichte, wenn man ein Fenster öffnete, um eine angenehme Temperatur zu erreichen - auch im Juli. In New Orleans, der größten Stadt des amerikanischen Bundesstaats Louisiana, herrschten um diese Jahreszeit tropische Verhältnisse. Die Temperatur ging zwar selten über 33 Grad Celsius, aber die Luftfeuchtigkeit erreichte viel zu oft bis zu 95 Prozent - vor allem nach den Regenfällen, die zu dieser Jahreszeit ebenfalls sehr häufig vorkamen. Selbstverständlich lag die Villa im noblen ›Garden District‹, unweit des Stadtzentrums, und sie war vollständig klimatisiert. Aber er hasste Klimaanlagen. Genauso sehr, wie er diese schwüle, laute und in seinen Augen schmutzige Stadt hasste.

Alles nur wegen ihrer bescheuerten Vorliebe für Jazz, den Karneval im Süden der USA, dieses wahnsinnige Mardi Gras, und die angebliche Beschaulichkeit des Lebens im Süden. Hat die blöde Kuh sich eigentlich vorher mal einen Atlas angesehen? New Orleans lag auf dem gleichen Breitengrad wie Marokko, Kairo oder Kuwait City. Aber das Fräulein Supermodel hatte sich in den letzten beiden Jahren vollständig abgenabelt und auch als ihr Manager hatte er nicht mehr den Einfluss auf ihre Entscheidungen, den er gerne gehabt hätte.

Sie hatte sich nicht reinreden lassen, als sie vor einem Jahr diesen hirnlosen amerikanischen Rocksänger geheiratet hatte und inzwischen war sie die getrenntlebende Mrs. Gerritsson. Allerdings war sie mit beachtlichen Geldmitteln sowohl durch ihren Mann als auch aus ihren eigenen Verdiensten, ausgestattet, von denen sie sich diese Villa gekauft hatte.

Alles, wobei Tatjana ihm noch freie Hand ließ, waren die Verträge, die er mit Werbefirmen, Designern oder den Medien für ihre Engagements und Auftritte abschloss. Dieses undankbare Miststück hatte vergessen, dass er es gewesen war, der sie groß herausgebracht hatte. Ihm alleine hatte sie es zu verdanken, dass sie zu den am besten verdienenden Supermodels gehörte und sich all das leisten konnte, wovon er eigentlich ebenfalls vorgehabt hatte, zu profitieren.

Und nun lag er in der beschissensten Jahreszeit in dieser Sauna, die sich als Stadt ausgab, wälzte sich um halb elf Uhr nachts schwitzend in seinem Bett herum und fand keinen Schlaf. Von nebenan hörte er überdeutlich das Summen der Klimaanlage und das Schnarchen seiner Frau Tanja, die nach dem Genuss mindestens einer halben Flasche Scotch so tief schlief, dass nicht einmal eine Bombe sie hätte wecken können.

Er hasste sie genauso wie seinen Aufenthalt hier in den USA, aber die geschäftlichen Verpflichtungen ließen ihm keine andere Wahl, als ein paar Mal im Jahr für ein bis zwei Wochen seine Tochter hier zu besuchen und mit ihr die weiteren Pläne abzusprechen, Vertragsverhandlungen zu führen und den blöden Papierkram zu erledigen. Seine Frau Tanja lebte schon seit einigen Jahren ihr eigenes Leben und er ließ sie gewähren.

Soll sie sich doch zu Tode saufen oder ficken, mir ist es egal.

Er überlegte einen Moment lang, ob er aufstehen und seinen Laptop anwerfen sollte, um die neuesten Nachrichten und Aktienkurse zu kontrollieren, entschied sich aber dagegen. Zu Hause war es jetzt 03:30 Uhr und er würde schon lange tief und fest schlafen. Um den Jetlag zu bekämpfen, sollte er auch hier langsam Schlaf finden, sonst würde er noch länger tagsüber schlaff und müde sein. Das konnte er sich angesichts der bevorstehenden Vertragsverhandlungen nicht leisten.

Kapitel 5 - Überraschung!

Er wusste nicht, wie er auf das Geräusch reagieren sollte, das er soeben gehört hatte. Auf jeden Fall konnte es nur ein Fehler sein, hier im begehbaren Kleiderschrank des Schlafzimmers zu bleiben. Nun war Beweglichkeit und eine irgendwie geartete Reaktion gefragt. Er war sich sicher, dass das Geräusch aus dem Untergeschoss gekommen war. Also verließ er eilig den Schrank und schlich auf Socken aus dem Schlafzimmer und zur ausladenden und in einem Halbkreis geschwungenen Treppe. In der Villa war es stockdunkel und von draußen drang lediglich ein diffuser Schimmer herein, der vermutlich von dem auf die Wolkendecke scheinenden Halbmond verursacht wurde. Er tastete sich mehr die Treppenstufen auf Marmor hinunter, als dass er sie hätte erkennen können. Ihm kam nun zugute, dass er ohne Schuhe unterwegs war. Seine bestrumpften Füße verursachten auf diesem Untergrund kein Geräusch. Zudem konnte er weitaus besser die Stufenkanten erfühlen.

Er hatte noch nicht einmal die Hälfte der Strecke nach unten zurückgelegt, als er ein Lachen hörte. In dem Bestreben, ganz leise zu sein, war auch sein Gehör aufs Äußerste geschärft und das Geräusch erschien ihm unnatürlich laut. Noch während die Stimme, die vermutlich einer Frau gehörte, etwas rief, dass er nur in Bruchstücken verstand, bewegte er sich weiter die Treppe hinunter und orientierte sich an den Geräuschen. Er verstand nur Wortfetzen wie »scheiß Vase«, »kaputtmachen« und »finden«. Aber es reichte aus, um sich in die richtige Richtung zu bewegen und er war sich sicher, dass die Stimme aus dem Wohnzimmer kam. Seine Augen hatten sich zumindest so weit an die Dunkelheit gewöhnt, dass er den Umriss des bogenförmigen Zugangs zu diesem Raum erkannte. Bevor er sich allerdings dem Raum weiter näherte, zog er seine Waffe und die mitgebrachte Meg-Lite Taschenlampe hervor und betrat dann, beide Hände mit seinen Mitbringseln nach vorne gestreckt vorsichtig den Raum.

Je näher er dem Durchgang zum Wohnzimmer kam, um so deutlicher vernahm er ein leises Gemurmel der mutmaßlichen Frau. In dem sicheren Glauben, dass er mit der Dunkelheit im Rücken aus dem Raum heraus nicht zu sehen sein würde, betrat er, mit ausgestreckten Armen voran, das Wohnzimmer. Die Waffe hielt er ein wenig verkrampft in der rechten, die noch ausgeschaltete Meg-Lite in der linken Hand.

Es mochte ein unbewusstes Räuspern oder sein hektisches Atmen gewesen sein, aber auf jeden Fall musste er sich verraten haben, denn kaum hatte er das Zimmer betreten, als eine in seine Richtung gehaltene Taschenlampe aufleuchtet, ihm direkt in die Augen schien und ihn sofort blendete.

In dem reflexartigen Versuch, seine eigene Lampe anzuknipsen, vertat er sich in der Aufregung und anstatt den Schalter der Meg-Lite zu betätigen … zog er den Abzug der Waffe durch. Sein Fehler wurde ihm einen Bruchteil einer Sekunde zu spät bewusst und er konnte die Krümmung des Zeigefingers nicht mehr bremsen.

Mit einer Mischung aus Schock und Erleichterung registrierte er mit einer gewissen Verspätung das kalte Klicken, als der Hammer der Pistole ins Leere schlug … er hatte vergessen, die Waffe durchzuladen.

Noch immer geblendet nahm er die Hand mit der Waffe schützend vor die Augen und knipste nun seine Taschenlampe an.

»Wer sind Sie?«, erklang seine Frage fast zeitgleich mit der gleichen, von der Frau gestellten Frage.

»Sie zuerst!«

Das gibt’s doch gar nicht, dachte er erschrocken. Wiederum hatte die Frau die gleiche Aufforderung wie er fast zeitgleich ausgestoßen. Seine Gedanken überschlugen sich in dem Bestreben, etwas Sinnvolles zu einer, wenn sie so fortgeführt würde, zum Scheitern verurteilten Konversation beizutragen. Was er auf die Schnelle hatte erkennen können, war, dass es sich um eine noch recht junge, schlanke Frau zu handeln schien, die in einer Hand die Taschenlampe hielt, aber die andere Hand, wie abwehrend mit der geöffneten Handfläche nach vorne hielt.

Er entschied sich für einen drastischen Schritt. Nachdem er die Taschenlampe ausgeschaltet hatte, steckte er die sowieso unnütze Waffe in den Hosenbund. Die Lampe landete in der dafür vorgesehenen Halterung am Gürtel und er streckte beide Arme mit den Handflächen nach vorne zur Seite von sich.

»Ich gehe davon aus«, begann er ganz langsam und bedächtig, »dass Sie, Gnädigste, sich in gleichem Maße unberechtigt in diesem Anwesen aufhalten, wie ich. Deshalb scheinen wir zumindest …«, er machte eine kleine Sprechpause, » … na sagen wir mal … ähnliche Ziele zu verfolgen.«

Er kniff die Augen gegen die blendende Helligkeit ihrer Taschenlampe zusammen. »Würde es Ihnen viel ausmachen, mir mit ihrem Scheinwerfer nicht direkt in die Augen zu leuchten? Sie sehen ja, dass ich meine Waffe weggesteckt habe.« Er zuckte wie entschuldigend mit den Schultern. »Ich denke, unbewusst habe ich die Waffe sowieso nie wirklich einsetzen wollen, sonst hätte ich nicht vergessen, sie durchzuladen.«

Sicher konnte er nicht sein, aber der kurze Augenblick, in dem er die junge Frau gesehen hatte, war ausreichend gewesen, ihm einen Eindruck zu vermitteln … und der war das Gefühl von Harmlosigkeit gewesen. Unter anderen Umständen hätte er sie als attraktiv und interessant eingeschätzt. Der erste Eindruck hatte ihm eine etwa einsfünfundsiebzig große, schlanke, aber dennoch gut proportionierte, Frau von etwa Ende zwanzig, maximal dreißig Jahren gezeigt. Die Haarfarbe hatte er aufgrund der schwarzen Mütze nicht erkennen können und für weitere Einzelheiten war die Zeit zu kurz gewesen.

Der Lichtstrahl ihrer Taschenlampe verließ sein Gesicht und wanderte langsam an seinem Körper entlang nach unten, bis er schließlich bei seinen Füßen angekommen war.

»Ihr Anzug verrät Sie nicht gerade als Einbrecher«, stellte sie mit einem seltsamen Unterton fest. »Aber irgendwie bin ich mir trotzdem ziemlich sicher, dass sie sich nicht wirklich befugt hier aufhalten.«

 

Was für ein Wunder, dachte Benjamin, schließlich bin ich ebenfalls mit einer Taschenlampe bewaffnet und schleiche hier im Dunkeln herum. Gerade als ihm der Gedanke kam, was dagegensprach, dass er vielleicht ja der bewaffnete Bewohner des Hauses sein könnte, der einen Einbrecher überraschen wollte, offenbarte sie ihm: »Und dass Sie nicht hier im Haus wohnen, weiß ich sicher, denn die Bewohner kenne ich sehr gut. Also, wer sind Sie und was wollen Sie hier?«

Nachdem die Einschränkung seiner Sehfähigkeit durch das Blenden mit ihre Lampe nachgelassen und er sich wieder an die vorherrschende Dunkelheit gewöhnt hatte, konnte er im Licht der auf den Boden zwischen ihnen gerichteten Taschenlampe ihr Gesicht relativ gut erkennen. Er sah die zusammengezogenen Augenbrauen und den neugierigen Ausdruck, der an ihrem Blick und der Kopfhaltung zu erkennen war.

»Da mir Ihr Erscheinungsbild signalisiert, dass es sich bei Ihnen wohl eher um einen Einbrecher, respektive eine Einbrecherin, zu handeln scheint, sehe ich keine große Gefahr darin, mich vorzustellen.« Nach einer angedeuteten kleinen Verbeugung fuhr er fort, »Mein Name ist Dr. Benjamin Bennedikt, Bennedikt ohne ›c‹, und ich habe einen persönlichen Grund für meine Anwesenheit, der jedoch nichts mit einem gemeinen Einbruch zu tun hat.«

Sie verzog den Mund zu einem indigniert wirkenden Grinsen. »Häh, wieso ohne ›c‹? Wo kommt denn ein ›c‹ in Bennedikt vor? Was für eine Art Doktor sind Sie denn? Reden Sie immer so geschwollen?«

Benjamin seufzte. »Nun, Reden gehört zu meinem Beruf, ich bin Psychotherapeut, und der Umstand, dass Ihnen meine Redeweise ›geschwollen‹ vorkommt, scheint mir eine Frage des Standpunktes und der persönlichen Sprachbildung zu sein.«

Nun fing sie an, schallend zu lachen und präsentierte dabei eine in der Dunkelheit leuchtende Reihe fast perfekter Zähne mit einer kleinen Zahnlücke zwischen den beiden mittleren oberen Schneidezähnen. Er kam nicht umhin, sie süß zu finden. Sein Beruf hatte ihn gelehrt, aufgrund von Äußerungen seiner Mitmenschen nicht so leicht beleidigt zu reagieren. Sie entsprangen in der Regel dem persönlichen Empfinden der Menschen und waren dadurch begründet. Ob sie zutrafen, war eine andere Sache, aber es lag ja an ihm, den Eindruck zu korrigieren, wenn er es für notwendig erachtete.

Er wollte gerade den Vorschlag machen, ob man sich nicht irgendwohin begeben könne, wo man Licht machen und sich in einer angenehmeren Umgebung unterhalten könne, als er wie vom Blitz getroffen zusammenfuhr.

»Keine Bewegung - beide. Nehmen sie die Hände hoch und rühren sie sich nicht vom Fleck.«

Gleichzeitig war erneut eine starke Taschenlampe aufgeleuchtet, die einen Lichtstrahl aus der Dunkelheit vor dem Wohnzimmer auf sie beide warf.

Kapitel 6 - aller guten Dinge sind …

Nachdem er mehr als zwei Minuten bewegungslos wie eine Statue an der gleichen Stelle verharrt war, wollte Kalle sich gerade geräuschlos weiter ins Innere des Hauses bewegen, als ihn ein weiteres Geräusch augenblicklich erstarren ließ. Diesmal war es ein klirrendes Scheppern wie Porzellanteller bei einem Polterabend, und diesmal konnte er die Richtung orten, aus der das Geräusch gekommen war.

Da er immer noch dunkel war und er keine Gespräche hörte, ging er nicht davon aus, dass wider Erwarten doch die Bewohner des Hauses vorzeitig zurückgekommen waren.

Soviel zu deinem genialen Plan, du Meisterdieb. Wenn das mal keine Probleme gibt.‹

Konnte er da so etwas wie Häme bei seiner inneren Stimme zu heraushören? Aber jetzt war nicht die Zeit, sich mit seinem Problem zu beschäftigen. Es gab vordringlichere Schwierigkeiten zu lösen.

Verdammt, ist da etwa noch ein Einbrecher im Haus? Das darf doch nicht wahr sein! Er war sich nicht im Klaren, ob er sich mehr über die unerwartete Gesellschaft ärgern, oder eher erleichtert sein sollte, dass es sich lediglich um unerwünschte Konkurrenz handelte.

In selben Augenblick, als er den Entschluss gefasst hatte, sich vorsichtig der Herkunft des Geräuschs zu nähern, hörte er erneut etwas - diesmal allerdings vom oberen Ende der Treppe zu seiner Linken.

Was ist denn hier nur los? Das gibt’s doch gar nicht.

Vorsichtig drückte er sich gegen die Rückseite der Treppe und wagte es nicht einmal, tief Luft zu holen. Einen Moment lang befürchtet er, sein verräterisch laut und heftig schlagendes Herz könnte ihn verraten. Er zwang sich, langsam, tief und so geräuschlos wie möglich ein- und auszuatmen, um seinen Puls wieder auf ein normales Niveau zu senken.

Dabei spähte er vorsichtig in Richtung der Treppe und versuchte, den Verursacher des Geräuschs zu sehen. Was er sah, war ein dunkler Schemen, der sich vorsichtig die Treppe herunter bewegte - ein ziemlich großer Schemen. Die Person, die sich ihm als nicht mehr als ein Schatten darstellte, bewegte sich in Richtung des Wohnzimmers. Die allgemeine Grundhelligkeit in städtischen Gebieten, die durch das große Wohnzimmerfenster drang, ließ ihn den Mann - aufgrund der Statur war er sich ziemlich sicher, dass es sich um einen Mann handelte - als dunklen Umriss vor dem erkennbaren Rundbogendurchgang zum Wohnzimmer erkennen. Geräuschlos schlich er näher heran. Er war sich sicher, dass die Aufmerksamkeit des beeindruckend großen Kerls, den er auf mindestens einsfünfundneunzig schätzte, sich eher auf die Ergründung der Geräusche im Wohnzimmer richtete.

Überrascht und amüsiert belauschte er die ungewöhnliche, zeitgleich stattfindende Konversation von »Wer sind Sie?« und »Sie zuerst!«. Er konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Was sind das denn für Amateure?

Bist du da nicht ein bisschen vorschnell, Superhirn? Vielleicht solltest du dich in die gleiche Kategorie einreihen, so toll, wie das bisher gelaufen ist.‹

Er ignorierte die Bemerkung und konzentrierte sich auf die beiden. Er lauschte auf ihre Unterhaltung und war nicht wenig erstaunt über das, was er hörte. Der Typ ist sowas wie ein Psychologe! Wie verrückt ist das denn?

Na vielleicht kann er dir ja helfen, mich loszuwerden.‹

Kalle war zwar ein ähnlicher Gedanke im selben Moment durch den Kopf gegangen, aber er ignorierte die Stimme dennoch weiterhin beharrlich.

Als die Frau zu lachen begann, entschloss er sich, diese Farce zu beenden, bevor die beiden noch ein lustiges Kaffeekränzchen begannen. Er knipste seine Taschenlampe an, wodurch er die Frau blendete und dem Mann in den Rücken leuchtete. Gleichzeitig gab er ein lautes und sehr bestimmendes »Keine Bewegung - beide. Nehmen sie die Hände hoch und rühren sie sich nicht vom Fleck!« von sich. »Und Sie, Herr Doktor, ziehen vorsichtig die Waffe aus ihrem Gürtel und lassen sie hinter ihrem Rücken auf den Boden fallen. Machen Sie nicht den Fehler, im Stil von White Earl hier was zu versuchen.«

»Sie meinen vermutlich Wyatt Earp, und nein, ich werde nichts dergleichen versuchen«, erklang die ruhige Stimme des Doktors. Langsam griff er sich an den Hosenbund, packte die Waffe mit Daumen und Zeigefinger am Griff und zog sie vorsichtig hervor. Danach ging er, ohne sich umzudrehen, in die Knie und legte die Waffe kurz hinter seinen Füßen auf den Boden.

»Soweit ganz gut«, meinte Kalle, »jetzt richten Sie sich auf und falten die Hände auf dem Kopf.« Noch während der Doktor dem Befehl folgte, schlich er leise nach vorne und ergriff die Waffe. Dabei vergaß er keine Sekunde, die Taschenlampe so zu halten, dass er die junge Frau weiterhin blendete. Hastig zog er sich zwei Meter zurück und richtete sich ebenfalls auf.

»So«, gab er zufrieden grinsend von sich, »jetzt können sie sich umdrehen, nun habe ich ja eine Waffe.«

Im Gesicht der jungen Frau konnte er Wut und Empörung erkennen, während sich der Doktor langsam umdrehte. Dabei nahm er die Hände vom Kopf und ließ sie locker an der Seite hängen. Eine Augenbraue hatte er etwas hochgezogen und studierte Kalle mit leicht zur Seite geneigtem Kopf.

So ungefähr studiert einer von diesen Eierköpfen ein Insekt unter dem Mikroskop, du Superhirn.‹

»Ach, halt’s Maul«, entfuhr es Kalle, bevor er es verhindern konnte.

Die zweite Augenbraue des Doktors wanderte ebenfalls nach oben. Dann erklang wie einstudiert gleichzeitig aus zwei Mündern: »Wer sind Sie?«

Nun war es an Kalle lauthals zu lachen.

»Ihr seid mir vielleicht zwei Vögel. Wo haben sie euch denn rausgelassen? Aber auf jeden Fall seid ihr Amateure und Dilettanten, soviel steht fest.«

Gut gebrüllt Löwe. So machst du sicherlich Eindruck auf die beiden.‹

Kalle ignorierte seine innere Stimme auch dieses Mal. Stattdessen sprach er die beiden an. »Lasst uns in einen anderen Raum gehen, wo wir Licht machen können, ohne Aufmerksamkeit von draußen zu erregen. Es dauert ja eh nicht mehr lang, bis es hell wird.«

Er dirigierte die beiden aus dem Wohnzimmer in das angrenzende Kaminzimmer, das eine Schiebetür zum Wohnzimmer und Rollläden zum Rhein hin hatte.

»Setzt euch auf die Couch«, befahl er den beiden, und nachdem sie Platz genommen hatten, ließ er den mit einem gewöhnlichen Zugband betriebenen Rollladen herunter und schloss danach die Tür. Dann schaltete er die Deckenbeleuchtung ein - beziehungsweise er versuchte es. Er betätigte den Kippschalter dreimal in beide Richtungen, bis ihm siedend heiß einfiel, dass er ohne Strom diesbezüglich sehr schlechte Karten haben würde. Er fluchte leise, nahm dann seine Taschenlampe und stellte sie senkrecht auf ein kleines Tischchen und schaltete sie auf die stärkste Leuchtstärke. Der Strahl erhellte die weiße Stuckdecke und die Reflexion gab genügend Beleuchtung für den Raum, dass er nun seine beiden Geiseln in Ruhe und genauer betrachten konnte.

Geiseln? Willst du sie gegen irgendwas eintauschen? Die Polizei ist doch noch nicht mal da. Passender wäre vielleicht - unvorhergesehene Konkurrenten.‹

Kalle ignorierte die Stimme und besah sich stattdessen erstmals die beiden … was auch immer. Er konnte sie nicht als Konkurrenten sehen, zumal er noch nicht wusste, was sie eigentlich in diesem Haus wollten oder suchten. Normale Einbrecher waren sie auf jeden Fall nicht.

Erstmals konnte er die junge Frau näher betrachten. Bereits als die beiden vor ihm hergegangen waren, war ihm aufgefallen, dass sie einige Zentimeter größer war als er. Er schätzte sie auf ungefähr einsfünfundsiebzig, also wäre sie mit hochhackigen Schuhen vermutlich gute zehn Zentimeter größer als er. Gegenüber dem riesigen Doktor, der sie beide um wenigstens zwanzig bis fünfundzwanzig Zentimeter überragte, wirkten sie klein - und er selbst beinahe zwergenhaft. Dabei wies die Frau eine durchaus reizvolle Figur auf. Ihre Brüste gefielen ihm, soweit er das trotz des Trainingsanzuges bewerten konnte. Sie hatte ein offenes und nicht unfreundliches Gesicht, wobei sie ihn genauso interessiert betrachtete, wie er sie. Gerade hatte sie sich die Skimütze vom Kopf gezogen und schüttelte ihre halblangen, blonden Haare aus. Wirklich sehr attraktiv, dachte Kalle.

Fang jetzt nur nicht an, amouröse Gedanken zu spinnen, du alter Lustmolch.‹

»Die Vorstellung unseres lieben Doktors habe ich schon mit angehört, aber wir wissen wohl beide noch nicht, mit wem wir es bei dir zu tun haben, Schönheit«, richtete er das Wort an die Frau, statt auf seine lästige innere Stimme einzugehen.

Die Verachtung in ihrem Blick war unmissverständlich. Sie schürzte abschätzig die Lippen und zwischen ihren blauen Augen bildete sich eine Zornesfalte.

»Erstens kann ich mich nicht erinnern, dass wir im Sandkasten gespielt hätten, weshalb ich mir das dummvertraulich du verbitte. Zweitens geht es Sie einen Scheißdreck an, was ich hier zu suchen habe. Und drittens«, dabei warf sie einen Blick zu dem Doktor, wobei sie ihn kurz anlächelte, »stelle ich mich nur Leuten vor, die mir vorher gesagt haben, wer sie sind. Mein Name ist Katrin Schütte.«

Kalle saß den beiden mit offenem Mund gegenüber. So viel Selbstbewusstsein hätte er der zierlichen Frau nicht zugetraut. Gleichzeit kam ihm der Name bekannt vor, wie er überhaupt seit einiger Zeit das Gefühl hatte, sie schon einmal gesehen zu haben.

Da er ein aufmerksamer Beobachter war, war es ihm nicht entgangen, dass der Doktor sehr aufmerksam zwischen ihnen beiden hin und her gesehen hatte. Dabei war sowohl wieder einmal die Augenbraue mit überraschter Verwunderung nach oben gegangen und einmal hatte sein Mundwinkel in einem Anflug von Belustigung gezuckt. Zudem hatte er das unangenehme Gefühl, von diesem Psychoheini analysiert zu werden.

 

Na vielleicht kann er dich wirklich von mir befreien. Das wäre doch was, oder?‹

Kalle achtete nicht auf die Stimme.

Den Namen habe ich irgendwo schon mal gehört. Sie kommt mir auch bekannt vor. Wo hab ich das Gesicht nur schon mal gesehen?

Er kam nicht darauf, so sehr er auch in seiner Erinnerung kramte.

»Okay, okay, is angekommen. Mein Name ist …«, er unterbrach sich kurz, um nachzudenken. »Na eigentlich tut er wenig zur Sache. Nennt mich einfach Kalle, das sollte für den Anfang genügen. Kalle, der Meisterdieb«, fügte er in einem Anflug von Galgenhumor hinzu.

Noch hatte er keine Ahnung, wie es mit ihnen weitergehen sollte. Auf keinen Fall wollte er sich von den beiden Anfängern die Tour vermasseln lassen. Und schon gar nicht wollte er ihnen seine Pläne im Detail verraten.

Verdammt – was soll ich nun mit den beiden machen?

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