GEOCACHING 2.0 - Der neue Freizeitpark in Oberstdorf

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Kapitel 3 - Polizei Oberstdorf 04.02., 08:30

Peter Endras leitet die Polizeistelle in Oberstdorf. Nach den Ereignissen in den letzten Weihnachtstagen, bei der er maßgeblich an der Aufklärung dreier Morde in der Marktgemeinde beteiligt war, ist der 42-Jährige gerade zum Polizeihauptmeister befördert worden.

Der Polizeianwärter Eckhard Zwanziger sitzt verzweifelt an seinem Computerplatz. Er muss noch die drei kleineren Einsätze vom Wochenende protokollieren: ein Auffahrunfall auf der B19 bei der Zufahrt zu McDonald´s, eine Schlägerei zwischen Eishockeyfans der EISBÄREN Oberstdorf und des EA Schongau, die das enttäuschende Ergebnis der Heimmannschaft von 1 : 5 nachträglich doch noch in einen Sieg umwandeln wollten, und ein Wohnungseinbruch bei der Metzgerei Schweinsteiger, bei dem neben der Geldbörse der Gattin auch zwanzig Weißwürste aus der Tiefkühltruhe im Keller gestohlen wurden.

PHM Endras studiert angestrengt die Allgäuer Rundschau. Als Trainer der Eishockeymannschaft ist er Kummer gewohnt. Aber jetzt fordert sogar der Sportkommentator der Lokalpresse schon seinen Kopf: EISBÄREN verspielen letzte Aufstiegschance. Wie lange lässt Vereinsboss Ulrich Winterscheid Trainer Endras noch gewähren?

Kopfschüttelnd flüstert Endras vor sich hin: „ Ja, vielleicht hat der Schreiberling sogar Recht.“ Ganz langsam setzt sich in seinen Gehirnwindungen fest: „Warum soll ich mir den Stress noch länger antun? Nach der Saison ist Schluss!“

Die Eingangstür schwingt geräuschvoll auf. Dominik Steingasser und seine Freundin Dorothea Schneider betreten den Raum. Dominiks Vater Xaver war Vorsitzender des Vereins der RECHTLER. Er wurde am ersten Weihnachtstag ermordet, da er sich gegen die Errichtung eines Erlebnisparks oben an der Erdinger Arena ausgesprochen hatte.

„Gut, dass du so schnell kommen konntest, Dominik“, begrüßt Peter Endras den neuen Besitzer des Ponyhofs im Dummelsmoos.

„Was gibt es denn so Dringendes?“, ruft Dorothea ungeduldig dazwischen.

„Ja, genau“, beteuert Dominik. „Ich muss zurück zum Hof. Mutter wird mit der neuen Situation allein nicht fertig.“

„Dann will ich es kurz machen. Wie ihr wisst“, - und dabei schaut er abwechselnd beide mit strengem Blick an – „ist vor zwei Wochen die „Schnatossi-Bar“ beim Hotel „Dolde“ abgebrannt. Die Feuerwehr hat zunächst mal als Grund Brandstiftung ausgeschlossen. Mir liegt jetzt aber ein Brief vor, in dem du beschuldigt wirst, den Brand gelegt zu haben.“

„Ach, geh, was soll denn der Schmarrn. Ich habe doch schon der Kripo aus Kempten gesagt, dass ich an dem Donnerstag schon morgens eine Kutschfahrt bis raus nach Spielmannsau hatte, ich glaube, die war vom Verein der katholischen Landfrauen bestellt und organisiert worden.“

„Richtig, Dominik, so hast du es Hauptkommissar Riethmüller in Kempten erzählt. Ich habe hier allerdings eine Smartphone-Videodatei zugespielt bekommen, da bist du während der Löscharbeiten am Hotel „Dolde“ eindeutig zu erkennen. Und das war am Donnerstag, dem 16. Januar gegen 16:45 Uhr.“

„Von wem hast du das?“ Dominik rastet ohne Vorwarnung aus und greift über den Schreibtisch, um dem Polizisten den Brief und die kleine SD-Karte zu entreißen.

Doch Dorothea greift sich reaktionsschnell seinen Arm und faucht ihn an: „Bist du jetzt total verrückt geworden?“ Sie stößt ihn unsanft zurück und drückt ihn herunter, bis er sich wortlos auf dem Besucherstuhl vor dem Schreibtisch zusammenkauert.

„Danke, Doro“, bedankt sich Endras. „Gut, dass du eingegriffen hast. Ich hätte deinem Freund sonst wehtun müssen.“

„Aber dieses Video, was soll das denn beweisen. Bei dem Feuer standen doch sicherlich ganz viele Gaffer herum“, echauffiert sich Dorothea Schneider. „Außerdem war ich zufällig kurz nach dem Ausbruch des Feuers auch schon dort. Der Dominik ist doch erst nach mir an der „Dolde“ angekommen.“

„Aha“, bemerkt Endras, „habt ihr beiden euch dort verabredet und gemeinsame Sache gemacht?“

„Jetzt reicht es aber, Polizeiobermeister!“

„Polizeihauptmeister, bitteschön, was Recht ist muss Recht bleiben“, korrigiert Peter Endras.

„Also, entschuldige, Herr Polizeihauptmeister. Ich hatte die katholischen Landfrauen zur Spielmannsau gefahren. Ich saß gerade mit ihnen beim Mittagessen auf der Sonnenterrasse, als ich einen Anruf von meiner Freundin bekam.“

„Du meinst von ihr hier, Dorothea Schneider, unserer Sozialarbeiterin?“

Dorothea schaltet sich erneut ein: „Stimmt, ich war gerade bei Frau Steingasser draußen im Dummelsmoos, als ein Anruf vom Wirt der „Dolde“ kam: Da soll eine Riesensauerei im Gange sein. Der provisorische neue Vorsitzende eures RECHTLER-Vereins soll das Vereinsstatut ändern wollen, ohne eine Versammlung einzuberufen.“

„Nun lass doch, Doro. Also ja. Herr Polizeihauptmeister. Ich sollte sofort zur „Dolde“ kommen. Ich sollte und ich musste für meinem ermordeten Vater Xaver dagegen einschreiten, Ehrensache. Deshalb habe ich sofort meinen Kumpel Kevin angerufen, ob er nicht für mich die Rückfahrt mit der Pferdekutsche übernehmen könne.“

Peter Endras schaut von seiner Tastatur hinter dem Computer auf und fixiert den Jungbauern. „Moment, Dominik, welchen Kevin meinst du?“

„Kevin Brutscher, Weststr. 56, Telefon 08322-55125.“

Endras notiert das sofort in die Protokoll-Maske des PC.

„Also, Kevin kam endlich um kurz vor vier und übernahm das Gespann. Ich bin mit seinem Wagen, so schnell es bei den Straßenverhältnissen ging, zum Hotel gefahren und habe dort die Bescherung gleich gesehen, also den Brand in der Bar.“

Eine Pause von annähernd zehn Sekunden entsteht. Dann nickt der „Dorfsheriff“, wie sich Peter Endras auch selber betitelt.

„Okay, Dominik und Dorothea, das wäre es vorerst. Ich werde das überprüfen.“

Dorothea zupft Dominik am Oberarm, um ihn zum Aufstehen zu bewegen.

„Halt, halt, wer hat denn so einen Blödsinn über mich verzapft?“, reißt sich Dominik los. „Welches Schwein hat euch das Video eigentlich zugespielt?“

Endras schaut den jungen RECHTLER mitleidsvoll an. „das kann ich natürlich nicht sagen. Aber ich werde den Zeugen auch hierher zitieren, das ist versprochen.“

Kapitel 4 - Pfarramt Oberstdorf 04.02., 14:30

Dr. Georg Altmayer macht sein Mittagsschläfchen. Er liegt im Wohnzimmer des Pfarrhofes der katholischen Gemeinde St. Johannes Baptist. Der 64-jährige Pfarrer führt seine Gemeinde nach dem Mord an seinem Kaplan Marc Teuffel seit zwei Monaten allein, erwartet aber bald die aus Augsburg versprochene Hilfe.

Die Türglocke geht. Altmayer wacht augenblicklich auf. Er reibt sich verschlafen die Augen und steht von seinem Ledersofa auf. Seine Haushälterin Eva-Maria Brutscher hat die Wohnräume nach dem Mittagessen und dem Abwasch schon lange verlassen. Somit muss sich Altmayer selbst zur Haustür bewegen. Er öffnet die Tür. Draußen steht ein schwarz gekleideter Mann, zwei alte braune Lederkoffer zu beiden Seiten. Der erwartete neue Kaplan stellt sich vor.

„Grüß Gott, Dr. Altmayer, nehmen ich an.“ Der nur ca. 1,70 m große, schlanke Kirchenmann macht einen tiefen, fast unterwürfigen Diener.

„Kommen´s herein.“ Georg Altmeier geht erfreut auf seinen unbekannten neuen Mitarbeiter zu und umarmt ihn. „Treten´ s näher, Herr …, entschuldigen Sie, aber mit Ihrem Namen habe ich beim Lesen noch Schwierigkeiten.“ Er zieht ihn mit in den Flur, vor das Foto der Kirche und das des toten Kaplans, das Altmayer im neuen Jahr aufhängen ließ.

„Mieczyslaw Kaczmarek, können mir aber auch einfach „Mischko“ nennen.“

„Sehr schön, wenn man den Namen hört, ist´s ganz einfach, nicht wahr, Herr Katsch…“

„Kaczmarek“, lächelt der neue Kaplan.

„Herr Katschmareck, sehr schön. Bevor ich Sie in mein Büro führe, möchte ich Ihnen noch diese beiden Fotografien zeigen. Hier links ist ein Luftbild Ihres neuen Arbeitsplatzes“, lacht Altmayer und Kaczmarek lacht laut mit. Das ist die Kirche St. Johannes Baptist und links davon der Pfarrhof mit meiner Wohnung und daneben das Johannisheim. Beides wurde bei einem großen Brand im Dorf 1865 zerstört und wieder aufgebaut.“

Mischko nickt und wendet den Blick vom Bild wieder auf den Pfarrer.

„Und das hier ist Ihr Vorgänger, Kaplan Marc Teuffel. Er war besonders erfolgreich in der Jugendarbeit. Er hat aus meiner kleinen Computer-AG eine richtige Informatikgruppe geformt mit einem eigenen Internetcafé im Johannisheim, gleich hinter Ihrer neuen Wohnung. Er wurde Anfang Dezember von einem Auftragskiller ermordet, wahrscheinlich, weil sich der Marc zu sehr gegen die Interessen zweier Wirtschaftsunternehmen gewehrt hat, die hier einen Freizeitpark errichten wollten. Im Übrigen ist auch der Vorsitzende unserer ALLGÄU-Piraten umgebracht worden.“

Kaczmarek schaut den Pfarrer mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Oh je, wollen wir hoffen, dass das nicht ist schlechtes Omen für mich. So viel Tote in so ein kleines Dorf.“

„Na, na, da brauchen´s nun keine Befürchtungen mehr haben. Die Wogen im Dorf sind, nicht zuletzt meines Einwirkens wegen, wieder geglättet. Oben neben der Schanze bei der Erdinger Arena soll jetzt ein ruhiges Museumsdorf mit einigen Originalbauernhöfen aus dem letzten Jahrhundert gebaut werden. Dagegen hat hier keiner was, sogar die Besitzer des Landes sind jetzt einverstanden.“

„Nicht missverstehen, Dr. Altmayer. Zuletzt in Polen gab auch manchmal Stress, aber oft mit Pfarrer. Er wollte nicht, dass ich viel mit Kinder und Jugendliche beschäftige. Da war ich froh, als ich Ihr, wie sagt man in Deutsch? – Ihr Anspruchsprofil für diese Stelle in Internet gelesen hatte.“

„Sehr schön, Herr Katschmareck, kümmern Sie sich auch hier bei uns im schönen Oberstdorf vor allem um die Kinder und bringen unser Internetcafé und die Computergruppen wieder auf Vordermann.“

 

Kaczmarek schaut etwas düpiert: „Was bedeuten „Vordermann“? Kann ich nicht das machen, was ich richtig halte?“

„Doch, doch“, wiegelt Altmayer ab. „Das ist in Deutschland nur so eine Redensart.“ Er deutet auf die Koffer. „Oh, ich werde ja langsam vergesslich. Natürlich zeige ich Ihnen zuerst mal Ihr Zimmer, drüben im Nebenhaus. Danach unterhalten wir uns beim Nachmittagskaffee. Dann kann ich Ihnen auch Frau Brutscher vorstellen, unsere Haushälterin. Sie ist die gute Seele der Pfarrei.“

Kapitel 5 - Lindau, Friedhof 04.02., 16:30

Am heutigen Dienstagnachmittag findet die Beerdigung Nico Winterscheids in ganz engem Kreise statt. Die Leiche des während einer Geocaching-Rallye in Oberstdorf erschossenen Juniorchefs des Internet-Versands EUROMIX Technology Germany war letzte Woche seitens der Staatsanwaltschaft Kempten, namentlich einer Frau Dr. Angela Marx, freigegeben worden. Ulrich Winterscheid, der Vater des Erschossenen und Geschäftsführer der EUROMIX, und dessen Zwillingsschwester und Besitzerin dieses Internet-Versands, Franziska Gräfin zu Hohenstein, hatten trotz der Aussagen während einer Pressekonferenz vor vier Wochen im Oberstdorf Haus ihre Meinung geändert. Nach reiflicher Überlegung, nicht zuletzt wegen anhaltender Verdächtigungen gegen Nico in der Marktgemeinde, er hätte jemanden zum Mord am Oberstdorfer Kaplan Teuffel und des ortsansässigen Vorsitzender des Vereins der ehemaligen RECHTLER, Xaver Steingasser, angestiftet, wollen sie doch ihren Wohnsitz hier in Lindau am Bodensee eibehalten, zumal die Bauarbeiten an den Anbauten an ihrer alten Villa Lindenhof demnächst fertiggestellt sein werden.

Nachdem ihr Entschluss gefasst war, bemühten sie sich um einen herausragenden Grabplatz und wurden im Süden des Alten Aeschacher Friedhofs fündig. Diese Begräbnisstelle wurde schon im Jahr 1512 angelegt, da man die vielen Toten der damaligen Pest nicht mehr auf der Lindauer Insel unterbringen konnte. Die neu gebaute Kapelle neben dem Friedhof blieb aber ungenutzt und diente anschließend der Patrizierfamilie Krell als Wohnung, so zum Beispiel Oswald Krell, der durch das Porträt des berühmten deutschen Malers Albrecht Dürer in die Kunstgeschichte einging. Daher wird die Kapelle bis heute die „Krellsche Kapelle“ genannt.

Im Jahr 1915 war auch der Alte Aeschacher Friedhof zu klein und wurde aufgelassen, kam 1921 vom kirchlichen in städtischen Besitz und wurde zum Park umgewandelt. Seit 2010 sind dort jetzt wieder Urnengräber erlaubt.

Das war die Chance für die Gräfin, die das Grab ihres Neffen unbedingt möglichst in ihrer Nähe haben wollte.

In die Totenmesse in der Krellschen Kapelle sind nur wenige Personen eingeladen, vornehmlich Katharinas Schwägerin Maria Magdalena, die mit ihren Söhnen Gregor-Maria und Lukas-Fridolin aus München angereist ist, und einige höhere Angestellte und Vertreter der Geschäftsleitung der EUROMIX und des Betriebsrates. Sogar der Butler der Gräfin, Jérôme, steht an der Eingangstür, beide Arme in weißen Armschlingen, die sich besonders von seinem schwarzen Jackett abheben. Die tiefen Wunden, die ihm Nicos Kumpel während der Entführung seiner Herrschaft am 2. Januar zugefügt hatte, sind noch nicht verheilt. Dennoch verbeugt sich Jérôme mit leichtem Schmerz im Gesicht, wenn jemand die Kapelle betritt. Zur Überraschung aller erscheint sogar Xenia Winterscheid-Abt, Ulrich geschiedene Frau und deren drei kleine Töchter. Xenia hatte sich nach der Trennung vor zehn Jahren nicht ein einziges Mal um Nico gekümmert. Daher hatten die Winterscheids sie auch gar nicht vom Tod ihres Sohnes informiert. Außer einem kurzen „Hallo, wie geht´s“ ist ihr auch heute nicht viel zu entlocken, „Ich habe aus der Zeitung vom Tod meines Sohnes erfahren“, wendet sie sich daher auch schnell pikiert ab.

Nach der kurzen Ansprache des Pfarrers wird die Urne mit Nicos Asche schnörkellos in das vorbereitete Grabloch hinabgelassen. Die kleine Trauergemeinde verharrt nur kurz vor der Einsenkung, fast scheint es, als würdige niemand die Urne eines Blickes – und löst sich danach binnen weniger Minuten auf. Auch Xenia verschwindet samt Anhang gleich wieder so schnell, wie sie gekommen ist.

Als alle den Friedhof verlassen haben, löst sich eine Frauengestalt oberhalb der Baumgruppe an der Ulrichskapelle. Sie ist ganz in Schwarz gekleidet und trägt einen großen Strauß Lilien in der rechten Hand. Am frischen Grab angekommen, wirft sie die Blumen hektisch hinein, wischt sich trotzig Tränen aus dem Gesicht und stapft auf demselben Weg zurück zum nördlichen Ausgang des Alten Aeschacher Friedhofs.

Katharina zu Hohenstein und ihr Zwillingsbruder Ulrich besteigen im Süden des Friedhofs den weißen Mercedes-AMG S63, den sie ihm zu Weihnachten geschenkt hat. Auf schnellstem Wege kehren sie zurück zur Villa Lindenhof am Ufer des Bodensees, um die persönlichen und geschäftlichen Folgen zu besprechen, die sich zwangsläufig durch den Tod Nico Winterscheids ergeben werden.

Kapitel 6 - Fiskina in Fischen 06.02., 21:30

Herbert Vasiljevs, der 60-jährige Besitzer des Restaurants im Kurzentrum „Fiskina“ in Fischen, erhebt sich von seinem geschnitzten Lehnstuhl im Kaminzimmer und rutscht bedächtig neben seinen Gast auf der Kaminbank. Mit Dr. Bettina Ziebach, der Notärztin aus der Klinik Oberstdorf, verbindet ihn eine rein platonische Freundschaft, nachdem sich beide während einer Kreuzfahrt in die Karibik im letzten Oktober kennengelernt hatten. Die 38-Jährige hatte nach ihrer Scheidung ihre Heimatstadt Hamburg verlassen und Hals über Kopf eine Stelle hier im Allgäu angenommen. Außerberuflich hatte sie kaum Kontakte aufbauen können, so dass ihr die Bemühungen ihres „väterlichen“ Freundes gefielen, sie durch gemeinsame Ausflüge, Theaterbesuche und Essen aufzumuntern.

Aber jetzt legt er zärtlich den linken Arm um ihre Schultern. Sie lässt es zu, wirft ihm aber einen fragenden Blick zu. Herbert greift nach dem Glas Rotwein, einem Château Mouton Rothschild 2012, von dem er für besondere Anlässe sechs Flaschen für den Vorzugspreis von 2500 € extra aus Bordeaux einfliegen lassen und eingekellert hat. Sie erhebt ebenfalls ihr noch halb gefülltes Glas, und sie stoßen an.

„Bettina, bitte entschuldige meine Anzüglichkeit, aber ich glaube, ich habe eine tolle Neuigkeit für dich.“

Die Ärztin dreht ihren Oberkörper erwartungsfroh weiter zu ihm herum. „Kannst du endlich deinen Traum wahr machen und eines der großen Hotels in Oberstdorf übernehmen?“

„Das vielleicht auch. Aber ich habe Kontakt zu der Sponsorin des neuen Museumsdorfes „Hohenstein“ drüben in Oberstdorf aufgenommen, besser gesagt mit ihrem Justiziar, einem Dr. Werner Brandenburg aus Friedrichshafen. Er glaubt, dass ich beste Aussichten habe, die Konzession für die Restauration im Freilichtmuseum erteilt zu bekommen. Ich müsste mich nur noch mit einem der Mitbewerber einigen.“

„Schön für dich, Herbert, aber warum sollte das eine gute Nachricht für mich sein? Das klingt doch eigentlich nur nach noch mehr Arbeit und somit noch weniger Freizeit für dich.“

„Versteh doch, der Park „Hohenstein“ wird eine Goldgruppe werden, das spüre ich bis in den letzten Zeh. Und mit den Einnahmen richte ich dir deine eigene Praxis ein, so wie du dir das schon immer gewünscht hast.“ Mutig neigt er seinen Kopf zu ihr und gibt ihr einen Kuss auf ihre rechte Wange. Sie schaut ihn nicht an, ist zu überrascht und weiß nicht, wie sie reagieren soll.

In diesem Augenblick klopft es an der Tür zum Kaminzimmer, ungewöhnlich, da dieser Raum ja auch als normaler Gästeraum zur Verfügung steht. Isabella, Vasiljevs schöne italienische Servierkraft, tritt ein: „Entschuldige, Chefe, isse Monsignore Gruber jetze da. Solle hereinlasse?“

Herbert löst sich von Bettina: „Ist schon gut, Isabella. Sag ihm, ich komme sofort.“

Unaufgefordert erhebt sich Bettina Ziebach augenblicklich, geht zum Garderobenständer und nimmt ihren schwarzen Lodenmantel vom Haken. Herbert folgt ihr wie ein Schatten und hilft ihr in den Mantel.

„Tut mir leid, Bettina. Aber der Michi ist etwas zu früh gekommen. Meine Verhandlung mit ihm ist sehr wichtig, wirst sehen, auch für dich.“

Bettina öffnet eher teilnahmslos die Tür zum Flur und geht durch den Hintereingang zu ihrem roten Toyota RAV4. Beim Aufschließen der Fahrertür mit ihrem elektronischen Schlüssel dreht sie sich kurz um. Mit einem kaum erkennbaren Winken mit der linken Hand steigt sie ein, startet den Motor und rollt auf die Bahnhofsstraße Richtung Oberstdorf.

„Aha, also dieser Wirt aus der „Dolde“ ist Herberts Rivale“, flüstert sie sich selber zu.

Herbert winkt ihrem SUV hinterher, ist aber mit seinen Gedanken schon beim Gruber, Michi. Er geht um das Kurhaus herum und betritt sein Restaurant durch den Haupteingang. Die Begrüßung der beiden Gastwirte ist eher kühl. Der Besitzer der „Dolde“ in Oberstdorf folgt Vasiljevs ins Kaminzimmer, das bereits von Isabella wieder tadellos hergerichtet ist.

„Geh, Michi“, eröffnet Herbert die Verhandlung. „Wie groß ist denn der Schaden an deinem Hotel? Und wie kann ich dir helfen?“

Michael Gruber geht nicht auf die Frage ein und schaut sein Gegenüber kurz mit grimmiger Miene an. „Meine Frau, die Rosi, hat mir gesagt, du wolltest mit mir über die Konzession für das neue Museumsdorf sprechen. Aber da gibt´s nichts zu besprechen. Der Investor hat mir sie fest versprochen und ich werde sie auf „Teufel komm raus“ annehmen.“

„Trotzdem bist du meiner Einladung gefolgt. Schau, ich weiß, dass du durch den Brand finanziell in Nöten bist. Willst du dir wirklich noch die Investitionen für die Museumsrestauration ans Bein binden?“

„Woher hast du denn den Blödsinn? Unser Hotel läuft prima.“

„Ach, Michi“; wendet Herbert herablassend ein, „wir leben doch hier auf dem Land. Da pfeifen die Spatzen so einiges vom Dach.“

„Bei mir pfeifen sie dann aber nur Schwachsinn!“ Michael möchte das Gespräch augenblicklich beenden. Ihm ist jetzt ganz klar geworden, der Fiskina-Wirt will ihn über den Tisch ziehen, egal wie er sich auch verhält. Dabei hatte er noch vor wenigen Minuten gedacht, er könne sich im Guten mit ihm einigen. Jetzt dreht er sich demonstrativ um und wendet sich zur Tür. „Und du kriegst von mir bestimmt gar nichts!“

Vasiljevs haut plötzlich mit der rechten Faust auf den Tisch, das friert jede Bewegung des Oberstdorfers abrupt ein. „Willst du dich und deine Familie wirklich unglücklich machen? Die abgebrannte „Schnatossi-Bar“ muss dir doch eine Lehre sein.“

Gruber dreht sich langsam um. „Was willst du damit andeuten? Der Brand der Pistenbar ist durch einen Gasheizer entstanden, den einer meiner Barleute unbeaufsichtigt gelassen hat.“

„Du glaubst wirklich der Feuerwehr? Diese Ursache war für sie am einfachsten. Aber ich weiß, dass da jemand von außen seine Hände im Spiel hatte. Und wer weiß, ob der nicht noch einmal bei dir vorbeischaut?“

Ohne Erwiderung ergreift Gruber die Türklinke und eilt hinaus.