GEOCACHING 2.0 - Der neue Freizeitpark in Oberstdorf

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Kapitel 7 - SchücoArena Bielefeld 09.02., 13:15

Robert Schibulsky wartet seit einigen Minuten am Bürgerpark in Bielefeld an der Stadtbahn-Station der Linie 4 Richtung Lohmannshof. All dressed in blue-white-black, den Vereinsfarben des DSC Arminia Bielefeld, mit Winterjacke, Fan-Schal und Cap und natürlich dicken Wollhandschuhen. Das Thermometer im heimischen Garten hatte nur 6° C angezeigt.

Nachdem er ein Treffen mit Hauptkommissar Thiel aus Münster vereinbart hatte, hat er sich trotz der Bedenken der behandelnden Ärzte schon nach drei Tagen aus dem Evangelischen Krankenhaus entlassen lassen. Seither muss seine Frau Kerstin die Wundversorgung des MRSA-Befalls übernehmen.

Der pensionierte Hauptkommissar der Bielefelder Kripo hat gestern Abend die Zusage von Frank Thiel aus Münster erhalten, dass sie das Fußballspiel der 2. Bundesliga gemeinsam schauen können. Der eingefleischte St. Pauli-Fan hat allerdings vor 30 Minuten angerufen, dass er wahrscheinlich etwas zu spät kommen werde. Sein Vater, der als Taxifahrer auch in Münster arbeitet, hat ihn zwar pünktlich zum Hauptbahnhof nach Münster gebracht. Die Regionalbahn nach Bielefeld kann aber noch nicht abfahren, da durch den Sturm in der Nacht einige Bäume die Schienen blockieren, aber in Kürze weggeräumt sein sollen. Thiel rechnet mit einer Stunde Verspätung, will aber in jedem Fall zur Halbzeit da sein. Schibulsky hat ihm versprochen, seine reservierte Sitzplatzkarte, Block I, Reihe 5, Platz 15, am Eingang für Rollstuhlfahrer bei „Benno“ Winkelmann, dem Behindertenbetreuer des DSC Arminia, abzugeben.

Da Thiel noch nicht angekommen ist, geht Robert die fünf Minuten durch den Park, am Max-Planck-Gymnasium vorbei, an dem sein Enkel Sebastian in wenigen Wochen hoffentlich sein Abitur ablegen wird, zum Südeingang der Schüco-Arena.

„Hallo, Robert“, begrüßt ihn Jörg „Benno“ Winkelmann. „Ich hoffe, du hast Weihnachten gut verlebt.“

„Frag´ lieber nicht, ich habe mir in meinem Ferienort einen Oberschenkelhalsbruch eingefangen, jetzt habe ich ein neues Hüftgelenk. Aber wie du siehst, klappt es schon wieder einigermaßen.“

„Du machst aber auch Sachen, Robert. Als Pensionär sollst du es doch ruhig angehen lassen.“

„Du, Benno, ich habe heute noch einen Gast. Er kommt extra aus Münster. Aber die Bahn verspätet sich, kannst du ihm die Karte geben, wenn er hier ist?“

Bei Arminia Bielefeld bekommt Robert wegen des Schwerbehindertenausweises eine Sitzplatzkarte für nur sechs Euro, inklusive eine kostenlose Karte für einen Begleiter.

„Geht klar, Robert.“ Benno wendet sich schon dem nächsten Fan zu, der ihn mit seinem schweren elektrischen Rollstuhl fast umfährt.

Robert eilt nun so schnell es geht zum Eingang zur Westtribüne. Das Spiel Arminia Bielefeld gegen St. Pauli wird in wenigen Minuten angepfiffen. Er nimmt sogleich seinen Sitzplatz ein und bekommt gerade noch die aktuell einstudierte Choreografie der Südtribüne mit. Zum Schluss wird ein Banner ausgerollt, mit dem an das Stadtjubiläum Bielefelds – 800-jähriges Bestehen – erinnert wird.

Fast 24.000 Zuschauer wollen heute das erste Spiel im neuen Jahr des Tabellensechzehnten gegen den Sechsten sehen.

In den ersten vierundzwanzig Minuten plätschert die Partie dieses 20. Spieltags eher ereignislos dahin, viel Kampf und Krampf im Mittelfeld. Die Akteure scheinen noch nicht aus ihrem Winterschlaf aufgewacht zu sein.

Nach fünfundzwanzig Minuten betritt Frank Thiel das Stadion durch den Seiteneingang. Robert erkennt ihn sofort. Sein dunkelbraunes St. Pauli-Trikot trägt er über einem Norweger-Pullover und sticht damit deutlich aus dem Einheitsblau der DSC-Fans heraus. Er sprintet die Treppe zur Reihe 5 hoch, ignoriert manche Bemerkung, ob er sich nicht in der Tribüne geirrt hätte, und hangelt sich zum Platz neben Schibulsky durch. Die beiden Kriminalen begrüßen sich freudig mit Handschlag. In dem Augenblick fällt das 0:1. St. Pauli scheint durch das Erscheinen seines eingefleischten Fans plötzlich motiviert und erzielt durch Lennart Thy den Treffer.

„Ein Glück, dass ich endlich da bin. Ansonsten würde ja die Kiez-Glücksgöttin fehlen!“, ist Thiels überschwänglicher Kommentar.

Zur Halbzeitpause diskutieren Schibulsky und Thiel das, was ihnen bisher geboten wurde. Thiel sieht eindeutige Vorteile für die Hamburger, Schibulsky tröstet sich mit einer Bratwurst und holt für sie noch zwei Bierbecher.

Nach 61 Minuten markiert Christopher Nöthe sogar das 0:2; das Spiel ist entschieden. Als Reaktion darauf wechselt der Bielefelder Trainer Stefan Krämer endlich den zweiten Stürmer ein. Kacper Pryzbylko, 20-jähriges Eigengewächs, war vom 1. FC Köln zurückgekommen, gelingt acht Minuten später per Kopfball das 1:2. Danach werfen die Arminen alles nach vorne, holen die berühmte „Brechstange“ raus, und die Zuschauer erleben nun einen wahren Krimi. Und tatsächlich, die 92. Minute ist bereits angebrochen. Wie ein Déjà-vu kommt es erneut zur Flanke über die linke Seite der Bielefelder. Und wieder steht Pryzbylko richtig und wuchtet das Leder unhaltbar zum 2:2-Ausgleich mit dem Kopf in die Maschen.

Schiedlich, friedlich Unentschieden. Auf dem Rasen war es ein wahrer Kampf, die beiden Kommissare aber sind letztlich ob des Remis zufrieden und gratulieren sich gegenseitig.

Robert bringt den Münsteraner nach der Partie per Stadtbahn zum Bahnhof. Dessen Zug fährt erst in vierzig Minuten. Daher betreten sie das „Bierstübchen“, das gegenüber dem Hauptbahnhof liegt. Beim zweiten Pils sind sie beim „du“ angelangt. Da Frank bisher noch kein Sterbenswörtchen zu seinen Recherchen in Münster gesagt hat, spricht Robert ihn jetzt direkt darauf an:

„Sag´ mal, Frank, hast du eigentlich nichts Neues in der Sache Charlotta Bernaschek herausbekommen?“

„Ach, das hätte ich bei aller Freude auf das Spiel des FC St. Pauli ja fast vergessen. Dir zuliebe habe ich ihren zuletzt bekannten Aufenthaltsort aufgesucht und bin mit meinem Fahrrad zur Avendruper Str. 13 im Münsteraner Norden rausgefahren. Das liegt übrigens idyllisch direkt am Flüsschen Werse und wird von ein paar Studenten der Westfälischen Wilhelms-Universität bewohnt.“ Thiel zieht jetzt einen winzigen Notizblock aus der Hosentasche und referiert weiter: „Deine Charlotta hat tatsächlich mit ihren Freund Nasreddin bis kurz vor Weihnachten ebenfalls dort gewohnt. Dann sind sie von heute auf morgen verschwunden. Allerdings kamen dann vorübergehend deren beiden Freunde Agneta Kubulus und Steffen Herbst in die WG, wobei sie kurz nach Silvester ebenfalls wieder ohne Abmeldung plötzlich weg waren.“

„Steffen Herbst wurde ja kurz darauf wegen Entführung und Erpressung festgenommen und sitzt noch in Untersuchungshaft im Allgäu“, erklärt Robert.

„Eine der Studentin erzählte mir, sie habe vor zwei Wochen eine Ansichtskarte aus Gdansk in Polen erhalten. In ihr haben sich die beiden Mädels gemeldet. Sie wären gut angekommen, hätten einen neuen Schutzengel gefunden und müssten nicht mehr auf der Straße arbeiten.“

Robert fragt dazwischen: „Du meinst, beide sind jetzt in Polen und gehen auf den Strich?“

„Du sagst es, wahrscheinlich Edelnutten, in gehobenem Etablissement.“

„Hat sonst noch jemand etwas gesagt?“

„Einer der Informatikstudenten, der sich übrigens besonders witzig vorkam, erzählte mir, ohne dass die anderen etwas hören konnten, dass einige Wochen vorher ein polnischer Mann, so Anfang dreißig, fast 2 m groß und mindestens 120 kg schwer, bei ihnen aufgetaucht wäre. Er glaubte sogar, dass da was zwischen ihm und Charlotta gelaufen wäre.“

„Hat er auch den Namen des Mannes gesagt?“

„Er war sich nicht sicher. Christof oder Christian oder so. Alle anderen konnten mir überhaupt nichts sagen.“

„Danke, Frank, da sich die Freundinnen der Täter von Oberstdorf im Ausland untergetaucht sind, dürfte der Fall ja abgeschlossen sein. Ich hatte nämlich die Befürchtung, dass der Rest der damaligen Gruppe, die ihren Hauptschullehrer in Bielefeld vors Gericht gebracht hatten, ihre Kumpel vielleicht rächen wollen.“

„Nun mal langsam mit den jungen Pferden, Herr Ex-Hauptkommissar, du hast wohl zu viel Fernsehen geguckt.“

„Nee, das ist es nicht. Aber meine Enkelin Britta kannte die Truppe aus der Schule. Und die war bei der Tötung diese Bobos in Oberjoch dabei.“

Thiel zuckt beim Namen Britta mit beiden Augenlidern: „Ich weiß nicht, ob das was bedeutet, Robert, aber mir fällt gerade ein, dass diese Sarah, die mir von der Ansichtskarte erzählt hat, erwähnte, dass Charlotta sich mal fürchterlich über einen Anruf aufgeregt hat und sie zu Agneta sagte, es sei diese blöde Britta gewesen.“

Kapitel 8 - Oytalhaus, Oberstdorf 09.02., 15:45

Das Oytal liegt oberhalb der Erdinger Arena im Osten der Marktgemeinde Oberstdorf und wurde in Vorzeiten durch den Oybach als nach Osten abzweigendes Tal zwischen Schattenberg, Nebelhorn und Riffenkopf eingeschnitten. Über die Oystraße erreicht man in 1010 m Höhe nach 5 km das Oytalhaus, das in seinen Gasträumen bis zu 120 Personen bewirten kann.

Die letzten Sonnenstrahlen fluten von Westen her das einsame Tal; ein Steinadlerpaar zieht hoch oben seine Kreise, wahrscheinlich auf der Suche nach einem Abendschmaus.

Pächter Xaver Leitner feiert heute seinen 75. Geburtstag. Nach dem Tod seiner Frau Josefine im letzten Sommer ist die Gastwirtschaft leider ziemlich heruntergekommen. Die starke Hand seiner Frau führte die vier 450-Euro-Jobber am kurzen Zügel. Nun wurde das Personal immer phlegmatischer, der Service begann offensichtlich schlechter zu werden. Das vergangene Wintergeschäft sank um fast 35 %.

Dem alten Leitner schwindet zudem der Lebensmut, seine Kinder sind früh in die USA ausgewandert. Daher will er seine Pacht an den Verein der RECHTLER zurückgeben. Eine grundlegende Veränderung steht hier folglich in Kürze an. Wehmütig sitzt der Alte allein auf der Bank im Wintergarten und prostet sich mit einem halb gefüllten Weißweinglas selber zu.

 

Aus diesem Grund hat der provisorische neue Vorstandsvorsitzende der RECHTLER, Sägewerksbesitzer Ludwig Geiger aus Dietersberg, zu einem quasi geheimen Treffen ins Oytalhaus eingeladen. Von Seiten der RECHTLER sind der 61-jährige Landwirt Wilhelm Gruber aus Gerstruben und die nach der Ermordung des alten Vorsitzenden aufgerückte Kreszentia Schönauer, die Frau vom Förster aus Anatswald, anwesend. Die Delegation der Marktgemeinde Oberstdorf führt der Erste Bürgermeister Korbinian Einödhofer an. Dazu kommen seine Stellvertreter Pia Zorn-Teuffel und Wilhelm Hintertupfer.

Überraschend haben sich auch die Finanziers des Museum-Projektes angekündigt. Etwas verspätet fahren ein weißer Mercedes-AMG S63 und ein dunkelblauer Lexus NX 300h mit der Aufschrift „Projektentwicklung PROFORMA“ vor. Aus dem ersten steigen Katharina Gräfin zu Hohenstein, ihr Bruder Ulrich Winterscheid und beider Justiziar und Anwalt Dr. Werner Brandenburg aus Lindau bzw. Friedrichshafen aus. Der Fahrer des SUV ist der Landschaftsplaner Kurt-Georg Freiwasser aus München, der aus dem Kofferraum des Lexus neben seinem Laptop noch einen Beamer zaubert.

Xaver Leitner hat kurzfristig den Raum mit dem großen, grün gefliesten Kachelofen herrichten lassen. An der gegenüber liegenden Wand ist sogar eine weiße Leinwand aufgestellt. Der Architekt schließt sogleich seinen Laptop und den Beamer ans Stromnetz an.

Nach dem allgemeinen Händeschütteln platzieren sich alle so, dass sie freie Sicht auf die Leinwand haben. Dr. Brandenburg ergreift das Wort und stellt sich vor die Anwesenden.

„Guten Tag, werte Damen und Herren. Wir sind heute hier zusammengekommen, um die Pläne für das Museumsdorf „Hohenstein“ zu diskutieren. Ich darf mich zunächst vorstellen. Mein Name ist Dr. Werner Brandenburg. Ich arbeite für die EUROMIX Gruppe und die Gräfin zu Hohenstein, die wegen der Wichtigkeit heute sogar selbst teilnehmen will.“

Viele der Anwesenden drehen sich zur Gräfin um, die wohlwollend in die Runde winkt. Brandenburg wartet einen Augenblick und nickt dann zum Zeichen, dass es der Ehrerbietung für seine Mandantin nun genug ist.

„Am 3. Januar diesen Jahres gab der anwesende Bürgermeister Korbinian Einödhofer auf einer weit ins Land übertragenen Pressekonferenz bekannt, dass der Verein der RECHTLER, er nickt den drei Vertretern zu, „und die Marktgemeinde Oberstdorf“, Brandenburg wiederholt sein Nicken, nun aber in Richtung des Gemeinderates, „zum Zweck der Errichtung eines Museumsdorfes Grundbesitz in Birgsau und am Anfang des Oytales tauschen wird. In dem Dorf sollen einige Bauernhäuser im Stil des vorletzten Jahrhunderts original getreu errichtet werden, in dem dann alte Handwerkskünste präsentiert werden sollen.“

Nun gibt der Anwalt dem Architekten einen kleinen Fingerzeig. Der schaltet beide Geräte ein und der Entwurf eines Vertrages wird an der Wand sichtbar.

„Bevor ich die Diskussion zur Planung eröffne, möchte ich Ihnen diesen Vertragsentwurf vorstellen, in dem die Rechte und Pflichten der drei beteiligten Parteien dokumentiert werden.“

Während der nächsten fünf Minuten studiert jeder die einzelnen Passagen. Dann stecken die verschiedenen Gruppen die Köpfe zusammen. Ein gespenstisches Flüstern und Pispern erfüllt das Zimmer.

„So, werte Damen und Herren, ich glaube, allen sind alle Abschnitte nun bekannt. Möchte sich jemand dazu äußern?“

Ludwig Geiger meldet sich zu Wort: „Zunächst einmal mein Dank für Ihre Arbeit, Dr. Brandenburg. Ich möchte allerdings, dass die Tauschobjekte genauer beschrieben werden. Die Erfahrung hat uns gelehrt, bei Verträgen mit der Gemeinde sehr genau zu sein.“ Dabei schaut er verschmitzt in Richtung des Bürgermeisters.

Brandenburg möchte auf keinen Fall, dass Zwistigkeiten aufkommen und geht dazwischen: „Sehr richtig, Herr Geiger. Aber ich wollte der Diskussion nicht vorgreifen. Daher sind die Lokalitäten im Entwurf noch sehr grob. Zudem haben die Geldgeber noch kleine Veränderungen gewünscht, über die wir nun sprechen müssen. – Uns ist zu Ohren gekommen, dass zudem der Pächter dieses Gasthauses aus Altersgründen die Bewirtung abgeben möchte.“

Bei diesen Worten zuckt Pächter Xaver Leitner sichtlich zusammen. Ohne auf diese Emotion einzugehen fährt der Anwalt fort: „Daher wäre es schön, wenn wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen könnten, wie der Volksmund wohl so treffend formuliert. Und dazu haben wir uns Gedanken gemacht. Ich möchte Ihnen nun Herrn Kurt-Georg Freiwasser, den bekannten Architekten und Landschaftsplaner aus München vorstellen, der maßgeblich die Pläne für den „Europapark“ in Rust und den „Emscher Landschaftspark“ zwischen Hamm und Duisburg entwickelt hat. – Bitte, Herr Freiwasser, Sie haben das Wort.“

Freiwasser erhebt sich von seinem Stuhl und tritt nun vor die Leinwand, in der linken Hand die Fernbedienung, mit der er die nachfolgende Präsentation steuern kann.

In den nächsten zwanzig Minuten stellt er eine gewaltige Planänderung vor, die zunächst stummes Kopfschütteln bei den meisten Zuhören auslöst.

„Bei Ihren ersten Vorstellungen haben Sie bisher außer Acht gelassen, dass selbst bei der Annahme, es kämen ca. tausend Besucher an einem Ferientag, ein PKW- und Busparkplatz von einiger Größe vonnöten ist. Für das Museumsdorf samt ausreichendem Parkplatz ist das bisher angedachte Terrain oberhalb der Schattenbergschanzen zu schmal, zu klein und zu steil.“

Langsam wird Protest und Murren, insbesondere der RECHTLER, laut. Aber Freiwasser spricht unberührt weiter:

„Viel besser sind die Verhältnisse hier um das Oytalhaus herum. Bevor ich weiterspreche, darf ich Sie bitten, mir kurz nach draußen zu folgen, damit wir uns die Gegebenheiten in Natura anschauen können.“

Die ganze Gesellschaft macht sich auf den Weg auf die Sonnenterrasse. Nur Leitner bleibt zurück. Er verfolgt durch die Fensterscheibe, dass der Architekt quasi in alle Richtungen zeigt und Erklärungen abgibt. Nach zehn Minuten kehren alle wieder zurück.

„Bevor ich in eine detailliertere Planung einsteige, muss ich natürlich wissen, ob Sie mit meinen Vorstellungen „d´accord“ gehen.“ Freiwasser verschränkt die Arme.

Katharina Gräfin zu Hohenstein sieht die Verunsicherung der meisten und bittet unaufgefordert um Gehör: „Liebe Damen und Herren, zunächst möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen, und zwar dafür, dass wir heute eine Änderung unseres Projektes vornehmen müssen. Mein Bruder und ich hatten in der Euphorie meiner Befreiung aus den Händen der Entführer spontan zugesagt, die Investitionslücke selbst zu schließen, die durch das Aussteigen der Partnerfirma entstanden ist. Die Analysten meines Konzerns haben das neue, kleinere Projekt akribisch unter die Lupe genommen und selbst mit spitzestem Bleistift eine sehr wahrscheinliche Unrentabilität festgestellt. In einem Satz gesagt, ein Museumsdorf mit fünf Bauernhäusern lohnt die Investition nicht. Vorher hatten wir auch nicht an das Parkproblem gedacht. Ein erfolgversprechendes Konzept sieht aber unweigerlich einen ausreichenden Parkraum vor, eventuell durch ein Parkhaus. Würden wir an den Museumsbereich, der mir wirklich sehr am Herzen liegt, eine abgespeckte Version des ursprünglich vorgesehenen Erlebnisparks angliedern, könnte sich Dr. Kunze, Sie wissen, der Vorstandschef der CHAT Medical Germany aus Berlin, vorstellen, wieder bei uns einzusteigen. Und ich glaube, der Chemiekonzern möchte seine vorher getätigten Investitionen nicht abschreiben.“

Bei diesen Worten blendet Freiwasser eine Skizze der Neuplanung im hinteren Oytal ein und erklärt weiter:


„Im nördlichen Teil des Tales könnte man sich zudem eine weitere Skiabfahrt mit Seilbahn vorstellen, ein Projekt für die Zukunft. Ein gutes Hotel und eine Klinik oder Kuranlage sorgen für weitere Einnahmen. Hierzu würde ich die Gründung einer unabhängigen Investitionsgesellschaft vorschlagen, die aus Mitteln der EUROMIX Technology und meinem Privatvermögen und wahrscheinlich der CHAT finanziert wird. Bei der Gewinnausschüttung sollen alle in einem noch zu verhandelnden Schlüssel beteiligt werden, folglich auch die Gemeinde Oberstdorf und der Verein der RECHTLER. Weitere Anteileigner könnten noch die Klinik, der Restaurationsbetrieb in beiden Parkteilen und eine namhafte Hotelkette werden.“

Der Landschaftsplaner setzt sich und schaut erwartungsfroh in die Runde. Die ist erst einmal sprachlos, dachten doch die meisten, heute würde nur die Verpachtung des Oytalhauses anstehen.

Korbinian Einödhofer steht auf. „Ich brauche nicht zu betonen, dass ich immer der Meinung war, wir müssen neue Anreize für den Tourismus im Ort schaffen. Aber was soll das denn die Gemeinde kosten?“

Auch Ludwig Geiger sieht sich genötigt, eine Frage zu stellen: „Genau, was soll das unseren Verein kosten?“ Mehr fällt ihm ad hoc nicht ein. Er denkt aber augenblicklich an die Proteste, die sicherlich von einigen fanatischen Vereinsmitgliedern ins Feld geführt werden.

Nun erhebt sich Freiwasser erneut: „Ich sehe Ihre Sorgenfalten. Es geht sicherlich um eine zweistellige Millioneninvestition. Aber wie Sie den Worten der Gräfin zu Hohenstein bereits entnommen haben, gibt es für Sie beide“, er schaut dabei abwechselnd Einödhofer und Geiger an, „höchstens geringfügige finanzielle Belastungen bei der Errichtung der erweiterten Infrastruktur. Sie müssen nur die benötigten Weideflächen im Oytal bzw. bei Birgsau zur Verfügung stellen und den Tausch grundbuchamtlich festschreiben. Außerdem müssen Sie natürlich für die Akzeptanz Ihrer Mitglieder sorgen. Aber das können Sie sicherlich auch im kommenden Wahlkampf zur Bürgermeisterwahl thematisieren.“

Die beiden Angesprochenen nicken, um damit anzuzeigen, dass sie die Antwort verstanden haben.

Kapitel 9 - Bielefeld, Sparrenstraße 09.02., 17:00

Kerstin Schibulsky kommt gerade mit ihrem weißen Renault Twingo und dem hellroten Blumen-Design vom Sennefriedhof zurück. Da sie überhaupt kein Interesse für Fußball aufbringen kann, ist sie gegen Mittag nach Brackwede zum Sennefriedhof gefahren, um mal wieder bei den Gräbern ihrer Eltern bzw. Schwiegereltern, den Familien Grote und Schibulsky, nach dem Rechten zu sehen.

Obwohl das Wetter nicht gerade zu einem Spaziergang einlud, hat sie ihr Auto am Parkplatz an der Stadtbahnstelle „Senne“, Linie 1 nach Schildesche, abgestellt und anschließend noch eine Wanderung zur „Waterbör“ unternommen, dem Ausflugslokal, das einsam mitten im Naturpark Teutoburger Land liegt. Nach einem Stück Apfelkuchen mit Schlagsahne und einem großen Cappucino kehrte sie zum Twingo zurück.

Wegen einer unangemeldeten Kurden-Demonstration wurde die Hauptstraße in Brackwede von einigen Teilnehmern blockiert, die zudem noch Steine aus dem Gleisbett der Straßenbahn entfernten und damit Pkw bewarfen, die wegen der Blockade zum Anhalten gezwungen wurden. Erst nachdem die herbeigerufene Polizei ca. zwanzig der höchstens 20-jährigen, kurdischen Demonstranten in Gewahrsam genommen hatten, da sie zusätzlich zur Sachbeschädigung auch Transparente mit Parolen und Symbolen der in Deutschland verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK mit sich führten, löste sich der Stau endlich auf.

Als Kerstin nun die Haustür ihres Hauses in der Sparrenstr. 8 aufschließt, läutet das Haustelefon. Ohne den Mantel auszuziehen läuft sie ins Wohnzimmer und nimmt das Gespräch an: „Schibulsky.“

„Hallo Oma, wie geht es euch.“ Kerstin hat augenblicklich die Stimme ihrer Enkelin Britta erkannt, die seit einigen Monaten in München studiert.

„Mir geht es wie immer sehr gut. Aber Opa ist nach eurem Abenteuer in Oberstdorf noch nicht wieder auf dem Posten. An das neue Hüftgelenk hat er sich zwar schon gewöhnt. Aber die OP-Wunde will und will nicht verheilen. – Und wie geht es dir, mein Schatz?“

„Alles gut, Oma, mein Schlüsselbeinbruch ist gut verheilt. Ich verspüre keinerlei Schmerz mehr und habe schon wieder mit Schwimmen angefangen. – Geht es Opa denn wieder schlechter? Ich habe ihn im Krankenhaus nicht erreichen können.“

„Das ist auch nicht möglich. Ungeduldig wie er ist, hat er sich vorgestern quasi selbst entlassen. Auf eigene Verantwortung natürlich und ich muss jetzt darauf achten, dass seine Wunde hygienisch versorgt wird. Heute war er schon wieder auf dem Sportplatz.“

 

„Aber, Oma, du kennst ihn doch. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann macht er das auch.“

„Du sagst es, und dabei hatte er mir versprochen, keine „Kriminalfälle“ mehr zu lösen. Und da macht er mit dir an Weihnachten diese Verfolgungsjagden in Oberstdorf.“

„Zum Glück, Oma, sonst wäre ich wohl nicht bei der Entführung so glimpflich davon gekommen. – Du sagst, seine Wunde an der Hüfte verheilt nicht?“

„Genau, Britta, er muss schon bei der Erstversorgung in der Klinik in Oberstdorf oder dann hier in Bielefeld mit MRSA-Bakterien infiziert worden sein.“

„Mein neuer Freund hat mir erzählt, dass seine Tante aus Garmisch-Partenkirchen auch diese multiresistenten Bakterien hatte. Die ist jetzt aber geheilt.“

„Die Hoffnung habe ich natürlich auch. Aber die Antibiotika, die Opa Robert bisher erhalten hat, zeigen keine Wirkung.“

„Weißt du zufällig, was Opa bekommen hat?“

„Warum willst du das wissen? Ich dachte, du studierst Informatik und nicht Medizin.“

„Tu ich auch, aber ich will Gregor mal fragen, was seiner Tante geholfen hat.“

„Warte einen Augenblick. Ich habe mir das aufgeschrieben. Ich muss eben meinen Schreibblock aus dem Schrank holen.“ Kerstin legt den Hörer ihres veralteten Wählscheibentelefons auf den Zeitungsständer, geht hinüber zum dunklen Eichenschrank und kramt im Sekretär herum.

„Bist du noch dran, Schatz?“

„Natürlich, Oma, was denkst du denn. Ich habe mir sogar auch was zum Notieren geholt.“

„Also, was steht hier? Zuerst eine Kombination aus Glykopeptid-Antibiotika zusammen mit Rifampicin, anschließend mit Clindamycin, dann eine Kombination aus Fosfomycin und Fusidinsäure. Einmal haben sie auch nur ein einzelnes Antibiotikum gegeben mit dem Wirkstoff „Linezolid.“

„Oh Gott, oh Gott, das klingt ja nur nach Chemie. Haben die Ärzte es auch mal mit Naturheilkunde versucht?“

„Da bin ich glatt überfragt. Da musst du mal mit deinem Opa selber sprechen.“

„Ist Opa denn da?“

„Seine Fußballjacke hängt nicht im Flur. Aber eigentlich muss sein heutiges Spiel längst aus sein. Er wird sicherlich gleich kommen.“

„Ist gut, Oma, ich rufe heute Abend noch mal an. Bis dahin kann ich Gregor wegen seiner Tante interviewen.“

„Gregor, ist das dein neuer Freund?“ Kerstin kann ihre Neugier nicht zügeln. „Vielleicht wird da bald jemand Urgroßmutter?“

„Gregor-Maria zu Hohenstein, aber Freund ist vielleicht zu viel gesagt. Ich habe jetzt eine kleine Einliegerwohnung bekommen, und die gehört zu seiner Villa in Grünwald.“

„Ach, ist das nicht da, wo die Reichen und Schönen Münchens wohnen?“

„Doch, Oma, schön ist es schon. Aber davon erzähle ich dir ein anderes Mal, Gregor klopft schon ungeduldig an meine Tür.“