GEOCACHING 2.0 - Der neue Freizeitpark in Oberstdorf

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Kapitel 17 - Illersprung 15.02., 09:20

Dorothea Schneider ist die amtierende Vize-Europameisterin der Mountain Biker. In diesem Jahr möchte sie einen ähnlichen Erfolg bei der EM in St. Wendel im Saarland erzielen. Wegen der Mehrbelastung durch ihre Aufgaben als Sozialarbeiterin und Coach der Jugendlichen der katholischen Gemeinde in Oberstdorf, besonders aber als Einarbeiterin des neuen polnischen Kaplans und den Eskapaden ihres Freundes Dominik, dem unterschwellig Brandstiftung vorgeworfen wird, liegt sie einiges hinter ihrem Trainingsplan zurück.

An diesem Samstagmorgen liegt das ganze Allgäu wieder unter einer leichten Schneedecke. Nebelschwaden wabern durchs Tal. Dorothea hasst es eigentlich, sich bei diesen Bedingungen auf ihr hellblaues „MTB Nine 6“ der Marke „Felt“ mit den 29 Zoll Rädern zu schwingen.

Zum Konditionstraining gehört heute Morgen eine kleine Rundfahrt, vor allem auf Waldwegen und Nebenstraßen, Nach einer ordentlichen Portion Spaghetti Bolognese ist sie um kurz vor acht losgefahren. Über Wasach, Tiefenbach, Obermaiselstein, Bolsterlang, Kierwang, Ofterschwang, Schweineberg, Sigishofen hat sie in Sonthofen die Iller überquert. Auf der östlichen Seite ging es nach einer kurzen Pause und einem Vitamindrink wieder Richtung Süden. Um 9:49 Uhr erreichte sie über Margarethen, Beilenberg, Altstädten, Hinang, Schöllang und Rubi den Illerweg. Sie lässt die große Illerbrücke, die für Wanderer nach Langenwang hinüberführt, rechts liegen, und nimmt die letzten Kilometer bis Jauchen in Angriff. Kurz vor der Linkskurve am Illersprung fällt ihr ein weißes Rennrad auf, das aufrecht auf seinem Sattel stehend, also verkehrt herum, aus der Gischt der Trettach herauslugt.

Dorothea schaut nochmals nach rechts. „Wer schmeißt denn seinen Müll hier ins Wasser?“, sinniert sie, ohne den Tritt zu verlangsamen. Im selben Augenblick sieht sie mitten in den künstlich erschaffenen Stufen des östlichen Zuflusses der Iller eine rote Jacke, aus der der Kopf eines Mannes seitlich ins Wasser ragt. In der Brust des Mannes steckt ein langer rot-gelber Pfeil.

Die Mountainbike-Fahrerin springt sofort vom Rad, um sich den Mann genauer anzuschauen. Er ist mit Sicherheit tot. Nach wenigen Sekunden begreift sie auch, dass sie ihn kennt. Hier liegt Maximilian Gruber, der 24-jährige Sohn des Wirts vom Hotel „Dolde“, mit dem sie 1995 gemeinsam in der Grundschule Oberstdorf eingeschult worden ist.

Kapitel 18 - Hotel Dolde 15.02., 11:30

Rosemarie Gruber steht in der Küche und formt Semmelknödel. Sie brüllt nun schon zum zweiten Mal in den Flur: „Max, Max, kannst du mal herunterkommen?“

Aber wieder rührt sich ihr Sohn nicht. Vater Michael kommt aus seinem Büro. „Was plärrst du denn so, Rosi. Der Max wollte doch gestern Abend noch mit seinen Spezln vom RECHTLER-Verein irgendeinen Geburtstag feiern. Da ist es bestimmt spät geworden.“

Die Türschelle geht. Michael Gruber öffnet. Polizeihauptmeister Peter Endras grüßt ihn mit ernster Miene.

„Grüß Gott, Peter, was verschafft uns denn die Ehre?“ Michaels freundliches Gesicht verfinstert sich schlagartig. „Kommst du wieder wegen dem Brand?“

„Lass uns erst einmal reingehen.“ Michael führt den allgemein als „Dorfsheriff“ titulierten Beamten in die Küche, wo Rosi gerade die letzten Knödel formt. Sie schaut überrascht zu Endras auf. „Grüß Gott, Peter, du bringst bestimmt wieder schlechte Nachrichten“, sagt sie spitz. Da dieser einige Sekunden schweigt, hakt sie nach: „Oder?“

Peter Endras beißt sich verstohlen auf die Unterlippe. Dann antwortet er mit zitternder Stimme: „Ich weiß gar nicht, wie ich es euch sagen soll?“ Er macht wieder eine lange Kunstpause. „Wir haben vorhin Maximilian gefunden. Er lagt tot in der Trettach beim Illersprung.“

„Tot?“, wiederholt Rosi geistesabwesend. Aber er ist doch oben in seinem Zimmer.“

Ohne ein Wort zu sagen, sprintet Michael die Treppe hinauf, reißt die Tür zu Maximilians Zimmer auf und schreit laut auf: „Oh nein! Oh nein!“

Endras folgt dem Gastwirt nach oben und starrt ebenfalls in das leere Zimmer. Er begreift die Szene augenblicklich. Er legt Michael tröstend den Arm um dessen Schulter. Michael beginnt hemmungslos zu weinen und lässt sich von Peter Endras willenlos wieder zur Küche hinunter führen.

Rosi hockt dort auf der Eckbank und hat die Hände vors Gesicht geschlagen. Sie nimmt die beiden nicht wahr, schüttelt nur immer wieder den Kopf und flüstert vor sich hin: „Was haben wir nur verbrochen? Was haben wir nur verbrochen?“

Michael löst sich aus der Umarmung des PHK, hockt sich vor seine Frau und umarmt sie: „Max ist nicht oben.“ Rosi umarmt nun ihrerseits ihren Mann. So verharren sie wie zu einer Salzsäule erstarrt.

Peter Endras räuspert sich nach einigen Augenblicken. „Michi, Rosi, ich möchte euch mein herzlichstes Beileid aussprechen. Vielleicht könnt ihr mir trotz eures Schmerzes einige Fragen beantworten, damit wir den Täter rasch fassen können.“

Beim Wort „Täter“ schreckt Michael auf: „Sagtest du Täter? Willst du sagen, dass Max ermordet worden ist?“

Endras nickt wortlos. Gruber löst sich von seiner Frau und bittet den Dorfsheriff in sein Büro. Dieser plötzliche Wandel des Dolde-Wirtes kommt Peter etwas seltsam vor. Es sieht so aus, als wenn Michi etwas vor seiner Frau verheimlichen will.

„Peter, ich habe ein ganz schlechtes Gewissen.“ Er zieht den Polizisten rasch in sein Büro und anschließend schnell die Tür zu.

„Ist euch nicht aufgefallen, dass Max heute Nacht nicht zu Hause war?“, fragt Endras ohne Zögern.

„Nein, Peter, Max war oft mit Freunden unterwegs. Sie haben oft nächtelang so Computerspiele gespielt. Oder sie haben mal einen über den Durst getrunken. Dann hat Max woanders übernachtet.“

„Wann war Max denn zuletzt hier. Wann habt ihr ihn zuletzt gesehen?“

„Gestern Abend, kurz vor zehn. Ich hatte einen Anruf bekommen, dass ich Beweise dafür bekommen sollte, dass unser Hotel von einem Brandstifter abgefackelt worden ist.“

„Aber, Michi, die Feuerwehr hat doch ganz sicher festgestellt, dass der Brand in der „Schnatossi-Bar“ durch den defekten Gasheizstrahler ausgelöst wurde.“

„Ich habe läuten gehört, die Polizei ermittelt immer noch wegen Brandstiftung, und dann werde ich doch wieder verdächtigt.“

„Was war nun mit dem Anrufer, Michi?“ Endras hat genug von den Vermutungen im Dorf gehört, jetzt möchte er schnell zum Punkt kommen.

„Ich sollte um 22 Uhr zum Illersprung kommen, dort bekäme ich ein Beweisvideo.“

„Kanntest du den Anrufer?“

„Nein, ich glaube jetzt, er hat mit verstellter Stimme gesprochen, mit einer hohen Fistelstimme, mit leicht russischem Akzent, aber das ist mehr eine Vermutung.“

Endras notiert etwas in seine schwarze Kladde. „Und? Bist du hingefahren?“

„Nein, ich habe Max gebeten, das zu tun.“ Michael stockt. „Aber sag Rosi nichts davon. Sie wirft mir sonst ewig vor, ich wäre verantwortlich für den Tod von Max. Und das bin ich ja eigentlich auch.“ Wiederum hält er inne, dann sagt er mit fester Stimme, quasi als Entschuldigung: „Ich hätte es gar nicht pünktlich bis zum Illersprung geschafft. Außerdem bin ich schon lange nicht mehr mit dem Rad unterwegs gewesen. Anders kommt man da ja nicht so schnell hin. Und Max wollte sowieso noch mit seinem Rennrad los, einer der RECHTLER hatte gestern Geburtstag.“

„Max ist also für dich zum Illersprung gefahren?“

„Genau, er ist um Viertel vor zehn losgefahren.“

„Und danach hat er sich nicht mehr gemeldet? Die jungen Leute posten doch ständig alles in den sozialen Netzen oder telefonieren zumindest.“

„Nein, wir haben nichts mehr von ihm gehört.“

Kapitel 19 - Illersprung 15.02., 11:50

Polizeihauptkommissar Maximilian Riethmüller (42), Kommissarin Christina Seitenbacher (31) und Hubertus Schleich (36) von der Spurensicherung in Kempten sind sofort nach der Benachrichtigung durch den PHM Endras aus Oberstdorf in Kempten losgefahren. Jetzt haben sie das Gebiet um den Illersprung weiträumig absperren lassen. Zwei weißgekleidete weitere Beamte der Spurensicherung ziehen den Leichnam des Ermordeten aus dem Strudel der Trettach und tragen ihn vorsichtig ans Ufer, bei jedem Schritt darauf bedacht, nicht auf den glitschigen Steinen auszurutschen.

Sie legen den Toten neben der Skulptur „Illersprung“ auf dem Rücken ab und decken ihn mit einer Plane provisorisch zu. Die Rechtsmedizinerin Dr. Vanessa Trimmel (52) und die Staatsanwältin Dr. Angela Marx (47) werden minütlich erwartet.

Hubertus Schleich erkennt mit geübtem Blick auf dem Fußweg sogleich relativ frische Autospuren, die zwar durch den leichten Schneefall der Nacht verdeckt sind. Sie befinden sich ca. 30 m hinter dem Illersprung in Richtung Rubi, in einer Zufahrt zu den Tennisplätzen gegenüber des Rubi-Camps. Mit einem Pinsel entfernt er die Schneeschicht. Darunter zeichnen sich tatsächlich Reifenspuren eines Pkw ab.

„Max, komm mal rasch her!“, ruft der Kriminaltechniker dem Hauptkommissar zu, verbleibt dabei in der Hocke. Riethmüller löst sich sofort aus dem Gespräch mit seiner Assistentin und stapft hinüber zur Schneise, in der Schleich etwas gefunden hat.

„Hier, Max, das sind eindeutig Reifenspuren eines PKW. Und die müssen noch relativ frisch sein“, frohlockt Hubertus.

„Ach geh´, Bertl, hier dürfen doch gar keine Autos fahren.“

„Vielleicht hat sich der Täter mal nicht an die Vorschriften gehalten. Möglicherweise hatte er es nach der Tat eilig, von hier zu verschwinden.“

„Du glaubst also, der Täter war mit dem Auto hier.“

„Genau das, Max.“

„Also gut. Dann mach´ doch sofort einen Abdruck von der Stelle. Vielleicht hat deine Spürnase mal wieder recht.“ Riethmüller wendet sich schon ab, als er inne hält.

 

„Und schau nach, ob du auch herausfindest, in welche Richtung das Fahrzeug gefahren ist, ja, Bertl?“

Aber der hat bereits seine kleine neue, orangefarbene Lumix-Outdoor-Kompaktkamera DMC-FT5 aus seinem Pilotenkoffer gezogen, die nicht nur wasser- und staubfest, sondern auch frostsicher ist. Darüber hinaus macht sie mit ihren 16,1 Megapixeln garantiert gestochen scharfe Bilder und HD-Videos. Mit ihrer GPS-Funktion wird der jeweilige Standort der Kamera gleich mitgespeichert.

Schleich fotografiert damit die Radspur, dann holt er eine Tüte Gipsgemisch aus dem Koffer und rührt die Masse mit etwas Wasser an. Damit sichert er die Reifenspur.

Die Schleifspuren vom Ufer der Iller bis zum Fundort der Leiche werden ebenfalls gesichert und vermessen. Kommissarin Christina Seitenbacher hält ein Klemmbrett im Arm und notiert Details, die vielleicht später zu Indizien werden könnten. Sie hat bereits eine Lageskizze des Tatortes angefertigt und verzeichnet die Fundorte, die von den Kriminaltechnikern in den weißen Tyvek-Anzügen mit der Aufschrift „POLIZEI“ beschrieben werden. Einiger Plastikmüll befindet sich neben dem am Eisengitter befestigten Müllbehälter am Boden, zumeist seit geraumer Zeit von den Besuchern festgetreten. Unterhalb der Skulptur liegt am Flussufer eine VHS-Kassette, die in Folie eingeschweißt ist. Eine Plastiktüte der Firma Netto hängt in den Ästen eines Strauches, circa drei Meter rechts von dem Kunstwerk. Vierzig Meter entfernt ragt ein Rennrad der Marke „Giant“ aus der Iller.

Von Oberstdorf nähert sich in raschem Tempo eine schwarze Limousine. Staatsanwältin Marx steuert ihren Audi A3 über den schmalen Wanderweg und hält direkt neben der abgedeckten Leiche.

Dr. Vanessa Trimmel steigt an der Beifahrerseite aus, holt ihren Arbeitskoffer aus dem Kofferraum und beginnt sofort ohne Gruß für ihre Kollegen mit der Begutachtung des Toten.

Angela Marx zieht zunächst ihre lime-grüne „Whiteline Downfiber Daunenjacke von Jack Wolfskin“ an, die sie auf der Rückbank abgelegt hat. Sie öffnet ihre gleichfarbige Ledertasche und schaltet das darin befindliche Sprechgerät an. „Tatort: Illersprung. Samstag, 15. Februar 2014. Verwertbare Indizien.“

Sie schaltet das Gerät auf Pause und stöckelt anschließend in ihren hellgrauen, weichen Kokana Knieboots von Manolo Blahnik hinüber zu den beiden Kommissaren der Kemptener Polizeidirektion. Riethmüller und Seitenbacher sprechen ihr kurz und prägnant die bisherigen Erkenntnisse ins Mikrofon.

Danach wendet sich die Gruppe der Rechtsmedizinerin zu, die inzwischen den Leichnam des toten Maximilian Gruber oberflächlich untersucht hat.

„Nun, Vanessa“, eröffnet Angela Marx das Gespräch, „kannst du schon etwas über die Todesursache sagen?“

Dr. Trimmel räuspert sich und kratzt sich mit der rechten Hand am Hinterkopf. „Lasst es mich so sagen. Die Sache kommt mir spanisch vor. Hier steckt mitten in der Brust ein langer Pfeil, der sogar noch fünf Zentimeter aus dem Rücken heraus schaut. Dieser müsste nach meiner ersten Vermutung tödlich gewesen sein. Das Opfer wäre auf der Stelle umgefallen. Aber wieso soll er mitten in der Strömung der eiskalten Trettach gestanden haben?“

Riethmüller reibt sich das Kinn. „Also mir sieht das wie ein Armbrustpfeil aus.“

„Aber wer schießt schon mit einer Armbrust?“, wendet Christina Seitenbacher sofort ein.

Die Staatsanwältin versucht Logik in den Fall zu bringen und schließt dann: „Mir scheint, dass der Tatort und der Fundort nicht derselbe ist, ja nicht sein kann.“

Die Umstehenden nicken und stimmen ihr anerkennend zu.

„Hier hinter der Skulptur haben wir einige Schleifspuren im Gras des Böschungsufers gefunden“, bekundet Seitenbacher und deutet auf ihre Lageskizze.

Die Kriminalen spazieren unaufgeregt zur Skulptur, an der inzwischen auch Hubertus Schleich auf der Suche nach etwaigen Spuren angekommen ist. Die Schleifspuren könnten in der Tat von zwei Schuhen herrühren.

„Maximilian Gruber könnte folglich hier neben den drei Frauengestalten gestanden haben, als der Pfeil ihn von vorne getroffen hat. Er wäre dann rücklings die Böschung hinunter gefallen“, mutmaßt nun Riethmüller.

„Und du meinst, der Täter hätte ihn dann heraufgezogen und ihn dann dort drüben ins Wasser geworfen“, schüttelt Angela Marx den Kopf. „Warum sollte er sich noch solche Mühe machen? Für mich ist das überhaupt nicht logisch?“

Die anderen schweigen. Doch Riethmüller legt noch einmal nach: „Vielleicht wollte der Täter einen Unfall vortäuschen. Seht doch da vorne, das Rennrad, das aus dem Wasser ragt.“

Doch Marx entkräftet seine Meinung sofort. „Aber der Pfeil in seiner Brust beweist doch jedem sofort, dass es sich nicht um einen Radunfall handeln kann.“

„Dennoch stimmt hier etwas nicht“, antwortet der Hauptkommissar kleinlaut. Zu sich selbst flüstert er: „Ich glaube trotzdem, dass der Täter vom Tatort ablenken will.

Plötzlich ruft Hubertus Schleich, der sich die Skulptur mit der Lupe anschaut: „Hier an der oberen Figur ist eindeutig Blut und etwas Haut!“

Kapitel 20 - Polizei Oberstdorf 15.02., 14:00

Nach einer Mittagspause im Restaurant „Saschas Kachelofen“ in der Kirchstraße, bei der die Herren das Wiener Schnitzel und die Damen einen gemischten Salatteller wählten, versammelt sich die Mordkommission Kempten in der Dienststelle der Polizei Oberstdorf am Bahnhofsplatz 4.

PHM Peter Endras hat zusammen mit Polizeimeisterin Regina Ströbele zwei Tische im Nebenraum zusammen gestellt. Hier können die Fakten zum Mord an Maximilian Gruber noch vor diesem Wochenende zusammengefasst werden.

Nachdem alle ihre Berichte vorgetragen haben, resümiert die Staatsanwältin Angela Marx: „Der Sohn sollte gestern Abend gegen 22:00 Uhr für seinen Vater einen Beweis für seine Unschuld im Fall „Brand der Schnatossi-Bar“ erhalten. Dieser Beweis sollte durch ein Videoband erbracht werden, das am wahrscheinlichen Tatort, dem Illersprung, gefunden wurde, aber noch kriminaltechnisch und auf den Inhalt hin geprüft werden muss. Der Übergabeort ist in jedem Fall ungewöhnlich und lässt die Vermutung zu, dass der Abholer der Kassette vorsätzlich ermordet werden sollte. Ob der Täter das „richtige“ Opfer erschossen hat, ist noch nicht eindeutig geklärt. Vielleicht erwartete er den Vater, nicht den Sohn? Der Tod trat durch einen gezielten Schuss mit einem langen Pfeil ein, eine Art wie sie für gewöhnlich nur mit einer Armbrust abgeschossen werden kann. Der Schütze erwartete sein Opfer in der Nähe des Illersprungs und muss sehr geübt im Umgang mit der Waffe sein. Er traf wahrscheinlich genau die Stelle, die er anvisieren wollte. Anschließend schleppte er die Leiche vom Tatort zwanzig Meter weg und versenkte sie in der Trettach, die dort mit der größten Kraft hinunter in die Iller stürzt.

Kapitel 21 - Berlin, Bikini-Monkey Bar 15.02., 18:00

Ulrich Winterscheid und Dr. Werner Brandenburg sind am Morgen mit dem weißen Mercedes des EUROMIX-Geschäftsführers zum Flughafen nach Memmingen gefahren. Dort bestiegen sie die gestern gebuchte Piper Seneca, ein ca. 9 m langes Leichtflugzeug mit sechs Sitzen, und landeten nach exakt 555 km und 100 Minuten Flugzeit auf dem Flughafen Berlin Tegel. Mit dem Taxi erreichten die beiden Geschäftsleute kurz nach 12:30 Uhr das „25hour Hotel“ im „Bikini“ an der Budapester Straße. Mit dem Fahrstuhl erreichten sie ihre Designer-Einzelzimmer im 6. Stock des Hotels und genossen die Aussicht auf den belebten Breitscheidplatz.

Nach dem gemeinsamen Essen im feudalen, aber urig gestalteten „Neni Restaurant“ im 10. Stock mit Blick auf den Zoologischen Garten, bei dem man von allem probieren konnte, und die Töpfe ganz unprätentiös einfach vom Herd auf den Tisch kamen, zog sich Winterscheid in den Wellnessbereich des Hotels im 9. Stock zurück. Dr. Brandenburg lieh sich an der Rezeption ein E-Bike und radelte durch den Tiergarten zum Brandenburger Tor, folgte der Allee „Unter den Linden“ bis zum Berliner Dom und dem Neubau des Berliner Schlosses. Dort umkurvte er den Neubau dieses künftigen „Humboldtforums“ und begutachtete den Fortschritt des Bauvorhabens, das den ehemaligen „Palast der Republik“ der ehemaligen DDR ersetzen soll.

Jetzt sind beide Vertreter der EUROMIX umgezogen, schwarze Anzüge, weiße Hemden und gestreifte Krawatten in rot bzw. dunkelblau. Sie betreten um Punkt 18:00 Uhr die „Monkey Bar“ des Bikini-Hotels. An einem reservierten Tisch werden sie bereits von der CHAT-Delegation erwartet. Der Konzernchef Dr. Friedhelm Kunze reicht den beiden Allgäuern erfreut die Hand entgegen.

„Seien Sie gegrüßt, meine Herren. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Anreise. – Ich darf Ihnen den Syndikus der CHAT, Dr. Gottfried Vetterli aus Zürich, und meinen Privatsekretär Herrn Fleischmann vorstellen.“

Die fünf Herren begrüßen sich nacheinander per Handschlag und nehmen reihum am gedeckten Tisch Platz. Ein Ober bringt augenblicklich die Weinkarte und nimmt die Bestellungen auf.

Dr. Kunze ergreift nun erneut das Wort: „Kommen wir gleich zur Sache, meine Herren. Sie haben alle die Ausarbeitungen zur Gründung einer Gesellschaft erhalten, die in Oberstdorf ein großes neues Projekt entwickeln will, das zu einem attraktiven Freizeit- und Erholungspark ausgebaut werden soll.“

Ulrich Winterscheid, der Geschäftsführer der EUROMIX Technology, fügt hinzu: „Lieber, Friedhelm, wir kennen uns ja nun schon einige Zeit. Meine Schwester und ich könnten das Projekt „Hohenstein“ sicherlich auch alleine finanzieren. Allerdings wollte ich dich nicht außen vor lassen. Und ich denke, dass deine CHAT sicherlich nach den Vorkommnissen vor zwei Monaten wieder positive Schlagzeilen gebrauchen könnte.“

Kunze zuckt nur mit dem linken Auge und wehrt diese Vertraulichkeiten mit beiden Händen ab. Er hat natürlich nicht vergessen, dass dieser Fauxpas äußerst schlimme Folgen für die Einführung des neuen Suizid-Mittels „MORITURAN“ hatte.

Gottfried Vetterli steht auf und nimmt eine Tabelle aus seinem Aktenkoffer. Er fliegt mit den Augen kurz über das Papier. „Ich möchte mich wirklich sehr kurz fassen“, erwähnt der Prokurist in leicht schweizerischem Akzent. „Unsere Analysten haben verschiedene Szenarien durchgespielt. In allen Fällen kommen sie zum Ergebnis, dass dieser Park in dieser abgeschiedenen Landschaft spätestens nach einem Jahr die nötigen Investitionen wieder einspielen wird. Entscheidend ist, wie die Eigentümer beziehungsweise Mitbetreiber beteiligt werden. Merci, vielmals.“ Vetterli nickt in die Runde und setzt sich.

Kunzes Chefsekretär Detlef Fleischmann nimmt die Brille von der Nase und spitzt den Mund. Er beginnt ganz leise zu sprechen: „Ich möchte an dieser Stelle einwenden, dass sich die CHAT Medical Germany hier in Deutschland nicht ein zweites Malheur leisten kann. Daher muss ich fragen, sind die anderen beteiligten Gesellschaften denn dieses Mal einig?“

Dr. Werner Brandenburg hat schon auf seinen Einsatz gewartet und greift den Einwand auf: „Wir haben uns hier in Berlin ja zunächst zu einem Vorgespräch getroffen, um Ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Teilnahme an der noch zu gründenden Investitionsgesellschaft „Oytal“ zu checken. Natürlich wird ein möglicher Vertrag erst dann unterzeichnet, wenn die beteiligten Gesellschafter aus Oberstdorf selbst unterzeichnet haben. Die zuständigen Gremien, sprich der Gemeinderat der Marktgemeinde Oberstdorf und der Verein der RECHTLER als Eigentümer des Baugrunds, tagen ebenfalls. Eine breite Mehrheit wird sich dort für das Projekt aussprechen. Sobald deren Unterschriften vorliegen werden meine Mandantin Gräfin zu Hohenstein und die EUROMIX Gruppe ebenfalls zustimmen. Ihre Beteiligung müssten Sie uns dann kurzfristig mitteilen. Ich würde in diesem Fall noch einmal nach Berlin kommen. Wir könnten dann auch die Zusammensetzung des Aufsichtsrates der neuen Projektgesellschaft besprechen.“

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