Rettungskreuzer Ikarus 11 - 20: Verschollen im Nexoversum (und 9 weitere Romane)

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Sentenza blieb stehen.

»Ja, ganz recht! Sie haben einen Unschuldigen auf dem Gewissen! Glauben Sie nicht, dass Sie ungeschoren davonkommen werden. Ich habe einflussreiche Verbündete im Multimperium und sogar dem Corps. Man wird Ihnen den Garaus machen, Sentenza, das verspreche ich Ihnen. Seht her, meine Getreuen, dort steht der Mörder und Schänder unserer Stätte …«

Der Gedanke, dass die Ansprache des Erlösers im ganzen Schiff übertragen wurde, behagte Sentenza überhaupt nicht.

»Rod!«

Sonjas Stimme weckte ihn aus der Starre. »Komm!«

»Ich gehe zu Asiano«, sagte er. »Er wird mich kennenlernen!«

Sonja kehrte zu ihm zurück, packte ihn an der Uniform und zog ihn einfach mit sich. »Nichts wirst du tun«, erwiderte sie. »Es ist schon genug Unheil angerichtet worden.«

Vom beißenden Spott und den Anschuldigungen und Verhöhnungen Asianos verfolgt, erreichten sie den Hangar, ohne von irgendwem aufgehalten zu werden. Trooid hatte bereits die Manövriertriebwerke warm laufen lassen. Die Ikarus war startbereit.


Drei Raumschiffe von Albira II befanden sich im Anflug. Sie hatten Schilde und Waffen aktiviert, ein deutliches Zeichen dafür, dass sie es ernst meinten. Sowohl die Ikarus, als auch die Zuflucht waren mehrmals kontaktiert und aufgefordert worden, das System zu verlassen. Trotz allem war Sentenza entschlossen, dem Schiff der Erleuchteten beizustehen, falls es tatsächlich zu einem Angriff kommen sollte. Er ließ die Ikarus kampfbereit machen.

Priester Lemore und sein mittlerweile genesener Schüler Yannick Kersseboom teilten sich die ehemalige Unterkunft von An’ta. Johannsson, der doch noch nicht so gesund war, wie er vorgegeben hatte, war von Anande wieder auf die Krankenstation verwiesen worden – ebenso die gerettete Nova, die jedoch noch nicht wieder bei Bewusstsein war.

Reno hielt sich mit dem Rest der Besatzung auf der Brücke auf und beobachtete die Annäherung der Kampfschiffe. Sie mussten jeden Moment in Schussweite sein.

»Sie haben keine Chance gegen sie, Captain«, erkannte Reno.

»Möglich«, stimmte Sentenza zu. »Aber ich mache es ihnen nicht einfach.«

Trooid drehte sich um. »Captain, ein Ruf von der Zuflucht

»Auf den Schirm!«

Wie nicht anders zu erwarten, erschien Asianos Gesicht. Der stechende Blick des Erlösers schien jeden der Anwesenden in der Kommandozentrale zu durchbohren. Schließlich verharrte er auf Sentenza. Ein leichtes Lächeln, umspielte seine Lippen, doch es wirkte keineswegs mehr so sympathisch wie noch bei ihrer ersten Begegnung im Biotop – eher boshaft.

»Eines sollen Sie noch wissen, Captain Sentenza«, sagte Asiano mit durchdringender Stimme. »Ich schwöre beim Rashett, dass wir uns wiederbegegnen werden und dass Sie dann am Boden liegen, während ich Ihren Schädel in den Lehm drücken werde. Sie werden mir für das büßen, was Sie heute hier angerichtet haben. Beim Cernum, verflucht seien Sie und Ihre Mannschaft für Ihre Taten!«

Die Übertragung wurde jäh unterbrochen und das Bild machte wieder der Außenaufnahme Platz. Plötzlich zündete die Zuflucht ihre Triebwerke und beschleunigte.

»Sie haben einen Fluchtkurs raus aus dem System gesetzt«, berichtete Trooid.

»Das wird die Albiraner hoffentlich davon überzeugen, dass sie verschwinden wollen«, hoffte Darius Weenderveen. »Auch wenn sie mehrere Stunden benötigen, um mit Sublicht das System zu verlassen.«

Doch die nächste Überraschung ließ nicht lange auf sich warten. Nur wenige Augenblicke nach dem Blitzstart wurde der Hyperantrieb der Zuflucht aktiviert und katapultierte das Pilgerschiff in das übergeordnete Kontinuum. Noch während die Brückencrew erstaunt den leeren Platz im Raum musterte, an dem der Bildschirm gerade noch die Zuflucht gezeigt hatte, drehten die Angriffsschiffe Albiras wieder ab.

»Eingehende Transmission«, verkündete Weenderveen. »Die Regierung von Albira hegt keinen Groll gegen das Raumcorps. Sie wollten nur so schnell wie möglich die Erleuchteten loswerden.«

Roderick Sentenza nickte nur. Ihn hätte es im Moment nicht einmal interessiert, hätten die Kampfschiffe das Feuer auf die Ikarus eröffnet. Viel schlimmer wog die Tatsache, dass Asiano ihn zu allem Übel wieder an der Nase herumgeführt hatte.

»Der Hyperantrieb war die ganze Zeit über einsatzbereit?«, wunderte sich Sonja kopfschüttelnd.

»Asiano spielt ein übles Spiel«, bestätigte Reno. »Der Unfall war ebenfalls nur inszeniert.«

Sentenza horchte auf. »Wie kommen Sie zu der Annahme?«

Nun grinste Reno. »Weil er mich kriegen wollte.«

»Ich habe langsam genug von mysteriösen Andeutungen und Überraschungen. Meine Crew und ich sind seit über einer Woche von einer Rettungsmission zur nächsten gehetzt, ohne Pause. Und jetzt wollen Sie mir erzählen, dieser Einsatz war eine Farce? Asiano hat den Unfall inszeniert, um Sie loszuwerden, weil er wusste, dass Sie sich in dem Tempelraum befanden. Ich glaube, Sie sind uns eine Erklärung schuldig!«

Reno atmete tief durch. Er blickte in die Runde und bat dann darum, mit dem Captain unter vier Augen sprechen zu können.

»Ich habe keine Geheimnisse vor meiner Crew«, sagte Sentenza und bereute seine Worte gleich wieder, als er sich den zornigen Blick Sonjas einfing. Offenbar erinnerte sie sich wieder an ihren Streit, da er ihr den Einbau des KI-Plasmas verschwiegen hatte. Auf der anderen Seite war es gut, dass er sich jetzt nicht auf ein vertrauliches Gespräch mit Reno einließ. Dadurch konnte er seiner Mannschaft zeigen, dass er ihr vertraute.

Reno lehnte sich gegen eine der hinteren Schaltkonsolen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Mein Name ist Nicholas Reno – im Allgemeinen nennt man mich Nick. Ich bin Agent der Galaktischen Kirche zu St. Salusa und wurde in den Orden der Erleuchteten eingeschleust, um eine verschollene Agentin zu suchen und zurückzuholen.«

»Lassen Sie mich raten«, sagte Sonja. »Die Frau, die jetzt auf unserer Krankenstation liegt?«

Reno nickte. »Ja, ihr Name ist Nova Meridia. Sie hat ebenfalls im Auftrag der Amtskirche Asianos Sekte infiltriert, um seine üblen Machenschaften aufzudecken. Nach zwei Monaten blieben jedoch ihre Berichte aus, und als wir nach einem halben Jahr noch immer nichts von ihr hörten, schickte man mich aus, um sie zu suchen. Ich traf sie heute das erste Mal im Tempelraum. Vorher kam ich nie in ihre Nähe, obwohl ich mich schon seit einigen Wochen auf der Zuflucht befand. Als ich sie sah und sie mich nicht erkannte, wusste ich, dass die Bastarde ihr eine Gehirnwäsche verpasst hatten. Sie schien mit Leib und Seele denen zu gehören. Und irgendwie ist meine Tarnung aufgeflogen. Asiano wollte mich loswerden und inszenierte den kleinen Unfall, sodass niemand Verdacht schöpfen würde. Um die Sache perfekt zu machen, opfert er ein paar seiner Untertanen.«

Eine Weile schwiegen sie. Schließlich erlaubte Sentenza Reno, die Brücke zu verlassen und auf der Krankenstation nach Nova zu sehen. Er selbst ordnete den Rückflug nach Vortex Outpost an. Sie mussten eine kurze Strecke durch den Hyperraum zurücklegen, ehe sie ein System mit einem Sprungtor erreichten.

»Darius, benachrichtigen Sie Vortex. Wir kommen zurück, und egal welche Notfälle uns noch erreichen sollten, wir legen jetzt eine Woche Dauerschlaf ein. Ich bin in meinem Quartier. Trooid, Sie haben die Brücke.«

Noch ehe sich Weenderveen und Thorpa wundern konnten, warum er nicht das Kommando rangmäßig an Sonja DiMersi abgab, war der Chief schon hinter Sentenza durch das Schott geschlüpft.

»Geht das schon wieder los«, seufzte Weenderveen.

»Vielleicht sollte ich Kameras im Quartier des Captains installieren«, meinte Thorpa. »Der Paarungstrieb scheint bei den Menschen sehr ausgeprägt zu sein. Ich könnte da noch sehr viel lernen.«

»Unterstehen Sie sich!«


Das Plätschern des Baches wirkte normalerweise beruhigend, dennoch fand Asiano nicht die notwendige Zerstreuung. Erneut kreisten seine Gedanken um Sentenza und dessen Besatzung. Durch den gewaltsamen Einbruch in den Tempelraum hatten sie ein Sakrileg begangen, das ihn als Erlöser in einem schlechten Licht dastehen ließ. Er hätte es niemals zulassen dürfen. Seine Existenz war gefährdet, wenn die Jünger erst einmal an ihm zu zweifeln begannen.

Asiano wandte sich von dem Bach ab und überquerte in Begleitung zweier Guardians die kleine Brücke, die zu seiner Hütte führte. Dort warteten schon Superior Saladin und Richter Oberon zusammen mit seiner Akolythin Thekla. Einen Nachfolger Prosperos hatte man noch nicht bestellt, aber diese Aufgabe würde Oberon allein meistern.

Als Asiano die anderen erreichte, verneigten sie sich vor ihm. Und er badete im Schein dieses Tributs. Er konnte ihre Gedanken nicht lesen, wusste nicht, ob sie es aufrichtig meinten, ihn immer noch verehrten. Er musste ihnen vertrauen …

… so, wie er Nova vertraut hatte?

Vielleicht hätte er ihre wahre Identität nie erkannt, wenn sie sich nicht selbst verraten hätte. Im Schlaf. Nach ihrem Liebesspiel in seiner Hütte.

Agentin der Amtskirche, dachte er. Ha! Die Kirche zu St. Salusa hat nicht die geringste Ahnung, wer sie wirklich ist.

Und sie würden es auch nicht herausfinden. Der Versuch, die Gehirnwäsche gewaltsam zu durchbrechen, würde ihren Verstand zerstören, ein für alle Mal. Womöglich erinnerte sie sich irgendwann selbst an Dinge aus ihrer vergangenen Existenz – aber bis dahin mochten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vergehen. Dann würde sie Asiano nicht mehr gefährlich werden können.

 

Er wandte sich den anderen Anwesenden zu. »Wir kehren vorerst nach Angelus Prime zurück«, teilte er ihnen mit. »Und dort werde ich mir gründlich überlegen, wie wir es Captain Sentenza heimzahlen werden.«

»Rache, Eure Heiligkeit?«, warf Richter Oberon unsicher ein.

Rache galt in den Kreisen der Erleuchteten als verpönt und widersinnig. Zumindest für die Untergebenen. Der Erlöser stand über diesen Dingen. Er konnte tun und lassen, was er wollte – solange es nicht überhandnahm.

»Rache?«, wiederholte er und ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen. O ja, Rache … ich werde dich leiden lassen, Sentenza …

»Nennen wir es Selbstschutz, Oberon. Sentenza und Leute seiner Art stellen eine Gefahr für unsere Existenz dar – sie müssen erlöst werden.«

Als sei damit alles gesagt, ging Asiano an den anderen vorbei und betrat seine Hütte. Oberon, Thekla und Saladin kehrten zu ihren Unterkünften zurück. Sie wussten, was die Erlösung bedeutete, ebenso wie sie von den Plasmabomben an Bord der Fluchtkapseln wussten. Und von den Heilsbringern … den Eliteguardians, die man auf besondere Erlösungsmissionen schickte …

– Ende –

Band #012: Verschollen im Nexoversum



Prolog

Die Etablierung der Rettungsabteilung des Freien Raumcorps ist nur unter großen Schwierigkeiten gelungen: Ein ausrangierter Kreuzer und eine zum Teil völlig unerfahrene Besatzung wurde in eine Feuertaufe geschickt, die beinahe in einer Katastrophe geendet hätte. Doch die zusammengewürfelte Crew hat sich als überlebensfähig erwiesen und trotz aller Intrigen, die sich im Hintergrund unheilvoll zusammenbrauen und sich bereits in einem hinterhältigen Angriff offenbart haben, steht die Crew der Ikarus hinter ihrem neuen Auftrag: zu helfen, wo sonst niemand zu Hilfe eilen kann, egal wie schwierig die Situation ist. Die Gefahren ihrer Arbeit wurden schnell offensichtlich: Sally McLennane, die Leiterin der Abteilung, fiel beinahe einem Mordanschlag zum Opfer und bei der Rettungsaktion um das weiße Raumschiff wurden die Crewmitglieder nicht nur mit ihren ureigenen Ängsten, sondern auch mit im Geheimen operierenden Waffenhändlern konfrontiert. Ein geheimnisvolles Wesen namens Lear trat auf die Bühne, doch seine Absichten sind noch unklar. Der Versuch, einen verschollen geglaubten Forscher zu retten, führte zur Konfrontation mit dem Gott der Danari – und einer Reise in die Vergangenheit. Auf der abstürzenden Spielhölle, einer Raumstation voller Ganoven und Vergnügungssüchtiger, hatte die Crew der Ikarus Daten über ein Sonnensystem außerhalb des erforschten Raumes gewonnen – und die Neugierde darauf, was in diesem Sonnensystem zu finden ist, führt schließlich zur Requiem, zur Vernichtung der Ikarus I. Gebeutelt und von Selbstvorwürfen geplagt, sind unsere Helden nach Vortex Outpost zurückgekehrt. Dort konnte sie sich bei der Verteidigung eines Konvois und schließlich beim Angriff auf die Station durch die Gegner Sally McLennanes im Raumcorps Verdienste erwerben: Die Verschwörung brach zusammen und Sally wurde wieder zur Corpsdirektorin ernannt. Zum neuen Chef der Rettungsabteilung wurde Captain Roderick Sentenza befördert. Nach turbulenten Ereignissen auf Cerios III, die die Crew mit einer Chance mit einer – leider – verhängnisvollen Unsterblichkeit in Berührung brachte, streben die Ereignisse einem Höhepunkt entgegen – auf der Asteroidenstadt Seer’Tak City, wo man erstmals auf die Hintermänner einer galaktischen Verschwörung trifft und auf die Outsider, deren genaue Pläne noch im Dunkeln liegen. Bevor man sich diesem Problem widmen kann, taucht gleich ein weiteres auf – das der Erleuchteten, die sich jeder Hilfe verschlossen. Die in Band 10 verschollenen Jason Knight und Shilla stehen im Brennpunkt des vorliegenden Romans, denn sie sind verschollen im Nexoversum …

Ein kleines, schlankes Objekt trieb verloren zwischen den Sternen, deren kaltes Licht allerdings zu schwach war, als dass man das metallische Glitzern mit dem bloßen Auge über eine größere Distanz hätte entdecken können. Die aerodynamische Form ließ darauf schließen, dass es sich um ein Raumschiff handelte, das auch in einer dichten Atmosphäre leicht manövrierbar war. An einigen Stellen wiesen dunkle Flecke und unregelmäßige Löcher in der silbrigen Wandung auf Schäden hin. Die Antriebsdüsen zeigten nicht das geringste Glimmen und auch sonst wirkte das Boot so still und gespenstisch, als habe seine Crew den Tod gefunden.

Es glich einem Fremdkörper, der zwischen diese – jedem Menschen unbekannten – Konstellationen ebenso wenig hingehörte wie der viel zitierte Nagel in einen Schraubenhaufen oder, banaler, die Stechfliege in eine Schale Kraki-Gelee.

Aber das Schiff war nicht völlig leblos. Wäre ein anderer Raumer in der Nähe gewesen, so hätte dieser den Notruf aufgefangen, den die Bordautomatik stereotyp wiederholte, notfalls bis in alle Ewigkeit. Oder bis die Strom erzeugenden Generatoren versagten. Oder bis das Schiff vom Gravitationsfeld eines anderen Körpers erfasst wurde und auf dessen Oberfläche zerschellte beziehungsweise in dessen Atmosphäre verglühte.

Wäre solch ein anderer Raumer der Botschaft gefolgt, hätten seine Bioscanner festgestellt, dass sich zwei Lebensformen an Bord befanden, zwar in schlechter Verfassung, aber noch nicht tot. Und hätte die Besatzung des anfliegenden Schiffes auch noch die Schrift auf der Hülle des fremden Objekts entziffern können, was jedoch unwahrscheinlich war, hätte sie sich gefragt, woher die Celestine wohl stammen mochte …


Etwas strich kaum merklich über Jasons Wange und berührte dann so zart wie ein Schmetterlingsflügel seine Lippen.

Benommen blinzelte er in das schmerzhaft grelle Licht. Abrupt wurde die Hand zurückgezogen. Als sich sein Blick klärte, sah er über sich Shillas apartes Gesicht. Die Miene der Vizianerin zeugte für Sekundenbruchteile von Verlegenheit, bevor sie wieder den üblichen Ausdruck unterkühlter Unnahbarkeit annahm. Das lange, violette Haar fiel wie ein Vorhang herab und kitzelte Jasons Nase.

»Wie geht es dir?« Shillas dunkle, blutverkrustete Lippen bewegten sich nicht. In ihren Gedanken, die sie Jason sandte, hallte Besorgnis wider.

Mühsam richtete er sich auf und spürte sogleich stechende Kopfschmerzen. »Beschissen«, entgegnete er akustisch. »Und dir? Bist du schon lange bei Bewusstsein? Was ist mit der Celestine

War das Schiff ein Wrack, dann …

»Ich bin auch gerade erst zu mir gekommen. Außer einigen Prellungen habe ich nichts abgekriegt. Soweit ich ersehen konnte, ist das Schiff ziemlich angeschlagen. Die Lebenserhaltung funktioniert, aber der Antrieb bedarf einer gründlichen Überholung. Für einen genauen Check hatte ich noch keine Gelegenheit.«

Während sie sprach, fiel Jason auf, dass das charakteristische Summen und Vibrieren der Triebwerke fehlte. »Die Seer’Tak-Singularität …«, erinnerte er sich. »Wo sind die anderen Schiffe?« Der Monitor zeigte nicht das Bild, das er erwartet hatte.

»Weg«, sagte Shilla in seinem Kopf. »Offenbar hat uns das schwarze Loch verschluckt und an einer entfernten Stelle wieder aus dem Hyperraum entlassen.« Sie erhob sich und nahm an den Kontrollen Platz. Flink glitten schlanke Finger über die Bedienungsfelder. »Unsere Kommunikation funktioniert noch: Die Automatik sendet einen Hilferuf …«

»Abbrechen!«, befahl Jason hastig und kam ebenfalls auf die Beine. Mechanisch drückte er die alte Kappe, die neben ihm gelegen hatte, auf das zerzauste, rote Haar. »Solange wir nicht wissen, wo wir uns befinden und ob wir tatsächlich Unterstützung benötigen, will ich nicht, dass irgendjemand etwas von unserer Notlage erfährt. Wie ist unsere Position?«

Die Telepathin berührte mehrere Felder und aktivierte die holografische Darstellung ihrer Umgebung. Verblüffung spiegelte sich in ihren Augen, als sie das Resultat ablas. Zur Sicherheit wiederholte sie den Vorgang. »Unbekannt. Laut Computer sind wir in einem völlig fremden Teil des Universums herausgekommen. Die Astrometrie kann keine vertrauten Bezugspunkte entdecken.«

Jason beugte sich über ihre Schulter und starrte ungläubig die Abbildung an. »Verdammt! Wie ist das möglich?«

»Die Singularität war instabil. Statt uns durch das nächste Sprungtor in den Normalraum zurückkehren zu lassen, hat uns ein immenser Energiestoß wesentlich weiter getragen. Hier ist nirgends ein Tor, auch keine natürliche Singularität; wir sind in unsere Dimension zurückgefallen, nachdem die Energie unter den kritischen Wert gesunken war. Im Grunde ziemlich erstaunlich, dass die Celestine bei dem unkontrollierten Austritt aus dem Hyperraum nicht zerstört wurde …«

»Braves Schiffchen!« Jason tätschelte die Konsolen der Celestine. »Also gut. Das Wie und Warum interessiert mich im Moment herzlich wenig. Wir werden die Celestine reparieren, herausfinden, wo wir sind, und dann die Heimreise antreten.« Dass er weit weniger optimistisch war, als er vorgab, wollte er Shilla nicht zeigen. Tatsächlich konnten sie wer weiß wie weit von der Milchstraße entfernt sein und im ungünstigsten Fall Jahre benötigen für den Rückweg.

»Ob es Sentenza und seine Leute geschafft haben?«

Augenblicklich versteifte sich Jason. »Dem Lackaffen und seinen Weicheiern geht es vermutlich besser als uns. Übrigens, ich warte immer noch auf eine Erklärung, was mit dir los war. Also? Bringen wir es hinter uns!«

Die Vizianerin zog eine sichelförmige Braue hoch. »Ich weiß nicht, wovon du redest.«

»Und ob du das weißt!« Mit einer Handbewegung drehte er ihren Sitz zu sich herum, sodass sie ihn ansehen musste. »Ich habe immer geglaubt, wir sind Partner … Ich habe dir vertraut! Aber ab dem Moment, als Skyta auftauchte, hast du mich behandelt wie einen Fremden. Du bist mit ihr auf und davon, als wäre sie deine beste Freundin, die du schon dein ganzes Leben lang kennst. Du wolltest mir nicht einmal verraten, weshalb dich die ganze Angelegenheit plötzlich interessiert. Du bist Seiner Pestilenz Prinz Joran nie begegnet. Die politischen Intrigen des Multiperiums, des Freien Raumcorps und all der anderen betreffen weder dich noch dein Volk. Was ist los?« Jason brach ab, selbst überrascht von seinem Ausbruch.

Keine Antwort. Mit gesenkten Lidern saß Shilla vor ihm.

»Was ist auf Seer’Tak mit dir passiert?«, fragte er und zwang sich zur Ruhe. »Du warst … verändert. So habe ich dich noch nie erlebt.«

Die Vizianerin blieb weiterhin stumm.

»Wir haben nie viel geredet, nicht wahr?«, fuhr Jason sanft fort. »Über uns, meine ich. Wahrscheinlich war das ein Fehler. Jeder von uns behielt seine Geheimnisse für sich, und keiner stellte dem anderen Fragen – es gab kein wirkliches Vertrauen. Als du entführt wurdest und ich befürchten musste, dich nicht mehr lebend wiederzusehen, dachte ich, wenn wir eine zweite Chance bekommen würden, werde ich es besser machen. Das hier ist unsere zweite Chance. Ich will sie nicht verstreichen lassen.« Jason ließ seinen Appell kurz wirken. »Wer und was bist du? Woher kommst du? Wonach suchst du? Im Gegenzug bin ich bereit, all deine Fragen zu beantworten. Das ist das ein faires Angebot, oder nicht?«

Zögernd hob Shilla den Kopf. In ihren tief violetten Augen schimmerten Tränen, die Jason am liebsten fortgeküsst hätte. »Ich wünschte, ich könnte dir alle Antworten geben, die du hören möchtest – aber ich kenne sie selbst nicht. Ich … ich weiß wirklich nicht, was auf Seer’Tak mit mir geschehen ist.«

Endlich sprach sie mit ihm! Spontan ergriff Jason ihre verkrampften Fäuste und drückte sie ermutigend. Eine intimere Geste hätte bloß die mühsam kontrollierte Xenophobie der Vizianerin die Oberhand gewinnen lassen und zur Folge gehabt, dass sie sich umso mehr verschloss. »Das glaube ich dir sogar, frag mich nur nicht, warum. Aber … kannst du mir denn gar nichts sagen?«

Shilla seufzte und erlaubte Jason, ihre Fäuste zu öffnen.

»Meine Worte werden wenig Sinn ergeben, doch ich will dir alles erzählen.

 

Vor einiger Zeit registrierten wir Vizianer eine Veränderung. Da war etwas, das einerseits eine Begierde in uns weckte, uns andererseits jedoch abstieß – ein Gefühl, das jeder von uns empfand, es sich jedoch nicht erklären konnte, weil es eine völlig neue Erfahrung war.

Schon bald bildeten sich zwei Parteien, von denen eine verlangte, diese merkwürdigen Emotionen zu ignorieren, während die andere forderte, die Ursache für das Phänomen zu erforschen. Die Repräsentanten der zweiten Fraktion stützten ihr Ersuchen auf alte Aufzeichnungen, in denen von einem Feind die Rede ist, der unser Volk schon einmal manipulierte. Sie wiesen auf die Gefahren hin, die uns drohen, wenn sich unser Aufenthaltsort als nicht sicher genug erweist und wir unvorbereitet mit diesem Gegner konfrontiert werden.

Man schloss einen Kompromiss: Ein einziges Schiff wurde ausgesandt, um Informationen zu sammeln.«

»Das war also deine Mission«, erriet Jason. »Aber weshalb haben sie nur dich geschickt?«

»Es war ein Kompromiss«, nahm Shilla den Faden auf. »Ein Schiff, ein Wissenschaftler – mehr wurde nicht benötigt für diese Aufgabe. Die Wahl fiel auf mich, da ich nicht nur über die notwendigen Qualifikationen verfüge, sondern weniger …«, die Vizianerin sprach höchst ungern über diese Eigenart ihres Volkes, »xenophob bin als die meisten von uns. Ich sollte den Planeten, auf dem wir die Präsenz lokalisiert hatten, untersuchen und mit Fakten nach Vizia zurückkehren. Aber … ich wurde … angegriffen … mein Schiff vernichtet.«

Jason schluckte. »Wer hat dich angegriffen? Als ich dich fand, warst du das einzige lebende Wesen auf dieser Welt.«

»Sie waren bereits wieder fort.«

Sein Instinkt raunte Jason zu, dass Shilla ihm etwas verschwieg. Doch was? »Wer? Wer war fort?«

»Ich weiß nicht, wer sie sind. Ich kann sie nur fühlen. In den alten Schriften haben sie keinen Namen.«

Einesteils schien Shilla den Fragen auszuweichen, anderenteils schien sie wirklich nicht mehr zu wissen. Jason entschied, das Thema vorläufig fallen zu lassen. »Weshalb hast du mich nie darum gebeten, dich nach Hause zu bringen?«

»Meine Mission ist noch nicht beendet, deshalb kann ich nicht nach Vizia zurückkehren.«

Und obendrein darf niemand die Position deiner Heimat erfahren, ergänzte Jason in Gedanken. Zweifellos waren Besucher auf einer Welt voller Xenophober so erwünscht wie die Grüne Pickelpest.

»Und auf Seer’Tak hast du … ihre Präsenz wieder gefühlt«, erriet er.

»Genau. Da … auf Cerios und sogar auf Elysium, wenn auch nicht so deutlich wie in Seer’Tak-City. Sie haben Spuren hinterlassen. Ich war überzeugt, Prinz Joran wäre der Schlüssel, nachdem meine Recherchen ergeben hatten, dass ihm Besitzanteile von Elysium gehörten, er über Strohmänner die Juvenil-Forschung finanzierte und man von seinen dubiosen Geschäften in Seer’Tak-City im Zusammenhang mit dem Verschwinden zahlreicher Leute munkelte. Als dann das Haischiff auftauchte …«

Plötzlich wurde Jasons Griff um Shillas Handgelenke hart wie eine Stahlklammer. Er zerrte sie aus dem Sessel. »Joran? Du wolltest an ihn herankommen? Du wusstest all das über ihn? Du besitzt Informationen über eine Gefahr, von der die ganze Galaxis nicht einmal etwas ahnt – und wolltest niemanden warnen? Du … du hast mich benutzt … uns alle … für deine Mission. Und sobald du deine Forschungen abgeschlossen gehabt hättest, dann hätte ich wohl einen Tritt bekommen, du wärst zu deinen Leuten zurückgekehrt … und was aus dem Rest der Galaxis wird, kümmert euch stolze Vizianer mit der überlegenen Technologie einen Scheißdreck. Ihr seid schließlich in Sicherheit … wenn ihr Glück habt.«

Nun liefen die ersten Tränen über Shillas Wangen. »So ist es nicht. Wie hätte ich es dir erklären sollen? Wie hätte ich dir etwas begreiflich machen können, das ich selbst nicht verstehe? Ich habe keine Ahnung, was ich fühle, warum ich es fühle – und wer oder was dafür verantwortlich ist. Und vor welcher konkreten Bedrohung hätte ich die Völker der Galaxien warnen sollen? Niemand hätte meinem unzusammenhängenden Gestammel Beachtung geschenkt; stattdessen hätte man die verrückte Fremde in die geschlossene Abteilung eingewiesen. Die Gefahr … der Feind … das war immer nur ein Mythos. Niemand hat geglaubt, dass er real ist. Bei den Aufzeichnungen – ich habe sie gelesen – handelt es sich um Fragmente, kryptisch und verworren, aus einer finsteren Epoche, in der wir kaum mehr als … Tiere waren. Die Emotionen haben mich … verändert. Ja, ich habe Dinge getan, von denen ich nicht einmal ahnte, dass ich dazu fähig bin.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Aber ich würde niemals etwas tun, das … dir schadet.«

Für einen Moment starrten sie sich an.

»Shilla …« Unvermittelt wurde Jason bewusst, dass seine Finger immer noch wie ein Schraubstock die Unterarme der Vizianerin zusammenpressten. Er gab sie frei. »Es tut mir leid.«

»Mir auch …« Shilla wandte sich ab.

Jason hätte gern etwas geantwortet, doch ihm fielen lediglich die üblichen Floskeln ein und das hatte sie nicht verdient.

Plötzlich wisperte es in seinem Kopf: »Sie sind hier.«


Die Reparaturen an der Celestine erwiesen sich als äußerst problematisch. Das Ausmaß der Schäden war schlimmer, als Jason befürchtet hatte. Zwar führten sie einige Ersatzteile mit sich, aber oft musste improvisiert, ein weniger wichtiges Gerät für die Instandsetzung eines Notwendigen geopfert werden. Widerwillig gestand sich Jason ein, dass sein Schiff ein einziger Schrottklumpen war, mit dem sie vielleicht eine nahe Werft würden anfliegen können, aber die Rückkehr in die Heimat war im Moment völlig ausgeschlossen.

Jason hatte über seine Sorgen noch nicht mit Shilla, die ihre Lage vermutlich ähnlich einschätzte, gesprochen. Zwischen ihnen hatte sich seit ihrer Auseinandersetzung eine Kluft aufgetan: Er konnte seine Enttäuschung und das Misstrauen, das in ihm schwelte, nicht verleugnen, und obwohl sie Verständnis für sein Verhalten aufbrachte, verletzte sie seine Reaktion. Scheiße! Ob es jemals wieder wie früher sein würde?

Frustriert schüttelte Jason den Kopf und setzte den Schraubenschlüssel, den er in Gedanken hatte sinken lassen, erneut an. Dafür war später noch genug Zeit; jetzt wollte er sich nicht von seinen Gefühlen ablenken lassen. Die Celestine musste repariert werden und er wollte nach Hause, zurück in die Milchstraße. Konzentrieren, ermahnte er sich, während er seine Arbeit fortführte.

Ohne fremde Hilfe würden sie nicht von hier – wo auch immer das war – wegkommen. Bloß, wo und von wem konnten sie Unterstützung erhalten? Dies war ein von der Galaxis weit entfernter Teil des Universums, den vermutlich noch nie ein Mensch zuvor erreicht hatte; das allein stand mit Sicherheit fest, anderenfalls hätte die Astrometrie bekannte Bezugspunkte entdecken müssen. Würden sie mit den ansässigen Lebensformen überhaupt kommunizieren können? Wenn ja, waren diese bereit, den Gestrandeten zu helfen – oder würde man sie als sonderbare Exoten gründlich untersuchen und anschließend in einem Zoo ausstellen? Lieferten sie sich gar dem ominösen Feind aus, dessen Nähe Shilla deutlicher spürte als jemals zuvor?

»Sie sind hier«, hatte die Vizianerin gesagt.

Bei diesen Worten war es Jason eiskalt den Rücken hinuntergelaufen.

Nur wenige Gerüchte waren ihm bislang zu Ohren gekommen, eine unbekannte Bedrohung betreffend, die er als Raumfahrergarn abgetan hatte, bis sie sich in dem schlichten Sie unvermittelt zu manifestieren begann. Damit nahm die Beteiligung des Raumcorps und der Galaktischen Kirche an der Aktion auf Seer’Tak eine neue Dimension an. Offenbar wusste man in den Führungsetagen dieser Organisationen mehr, als durchgesickert war oder auch einem Captain Sentenza mitgeteilt wurde.

Das Auftauchen des Haischiffs hatte jedenfalls alle überrascht. Wie viele von diesen gefährlichen Dingern mochten sich bereits in der Milchstraße befinden? Schon den Verteidigungssystemen und Waffen von einem einzigen Raumer hatten die Celestine, die Ikarus und die anderen Schiffe nicht viel entgegensetzen können. Planten die Fremden eine Invasion – oder weshalb waren sie gekommen? In dieser Galaxie würde es nur so von ihnen wimmeln, falls Shilla recht hatte und hier die Heimat des unbekannten Feindes war …

Seltsamer Zufall, dass sie von der Singularität ausgerechnet in den Winkel des Universums geschleudert worden waren, aus dem der ominöse Gegner stammte. Möglicherweise hatte es mit der Energiesignatur der Waffe zu tun, die der Hairaumer eingesetzt hatte. Es war die einzige plausible Erklärung: Die Waffe musste dafür verantwortlich sein, dass die Celestine an dem Ort aus dem Hyperraum ausgetreten war, der sich durch analoge Energien auszeichnete. Es war, als hätten sie das Schiff … angesaugt.