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Die Macht der Drei

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Die Stunde der Entscheidung war gekommen. Wenn er durchsetzen wollte, was er sich vorgenommen, was er als seine Mission ansah, dann mußte er als Herr auftreten. Klar hatte er die Notwendigkeit in den Tagen der Gefangenschaft durchdacht und schrak zurück, nun die entscheidende Stunde gekommen war.

Würde man seine Absichten nicht verkennen? Würde die Welt ihm nicht andere Beweggründe unterschieben? Würde sie nicht einer maßlosen Ehrsucht zuschreiben, was nur bittere Notwendigkeit war?

Es duldete ihn nicht länger in der Enge der Berghöhlen. Er stürmte hinaus in das Freie. Er sprang über Schollen und Schneewehen, die in den Strahlen der tiefstehenden Sonne rot glühten. Er lief und fühlte, daß alle die alten Ideen und Ideale von Pankong Tzo vernichtet waren.

Atemlos hielt er im Lauf inne. Ihm graute vor der Entscheidung, vor der Verantwortung, vor dem Entschluß.

Hinter einer Eisklippe hatte der Wind den frischen Schnee zusammengewirbelt. Hier ließ er sich niedersinken, fühlte, daß die weißen Flocken sich wie ein Daunenkissen um seine Glieder schmiegten. Eine tiefe Mutlosigkeit, eine Erschlaffung überkam ihn. Er wurde ganz ruhig.

Wie wäre es, wenn er hier liegenbliebe, wenn er jetzt einschliefe? Der Verantwortung, dem verhaßten Entschluß durch freiwilligen Tod aus dem Wege gehen?! Wie lange würde es dauern, bis der arktische Frost den kurzen Schlummer in einen ewigen Schlaf verwandelte. Wie schön müßte es sein, hier einzuschlummern, hinüberzugehen in das große Meer der ewigen Ruhe und des Vergessens, in dem alle dunklen Wellen des Lebens verrieseln.

War es der Frost, der schon zu wirken begann, den Körper leicht, die Gedanken träumerisch und sprunghaft machte?

Eine dunkle, fromme Erinnerung überkam ihn. Die Hände falten! Er streifte die schweren Pelzhandschuhe ab und schlug die Finger ineinander. Da … seine Rechte zuckte zurück.

Was war das Kalte, das er berührt hatte? Kalt und brennend zugleich. Er hob die Hand zum Gesicht. Vom Mittelfinger der Linken strahlte ihm der Alexandrit entgegen, jetzt auch im Tageslicht hellrot glühend, wie er ihn noch nie gesehen hatte.

Mit einem Sprung stand er auf den Füßen.

Sich von dem eigenen Schicksal wegstehlen? Dem Leben feige den Rücken kehren? Nein, niemals, und wenn der Weg nach Golgatha führen sollte.

Die Menschheit da draußen wollte Kampf und Mord. Sie sollte im Überfluß davon haben. Wie eine neue Gottesgeißel wollte er sie züchtigen, bis sie ihm bedingungslos gehorchte.

Ein harter, eiserner Wille prägte sich auf sein Gesicht.

Ruhigen und festen Schrittes ging er zum Berge. Er trat hinein und schritt durch die Gänge dem Raume zu, in dem die großen Strahler standen. Der rote Sonnenschein drang durch die grünlichen Eiswände und erfüllte die Hallen und Gänge mit einem magischen Doppellicht. Die vollkommene Stille, die hier in den Regionen des ewigen Eises herrschte, wurde nur durch das leise Ticken der Funkenschreiber unterbrochen. In schwirrendem Spiel klappten die feinen Schreibhebel der Apparate auf und nieder und notierten in Punkten und Strichen die Botschaften, die von allen Teilen der Welt her durch den Äther kamen und sich in den Maschen der Antenne fingen.

Silvester saß vor einem der Schreibapparate in einem leichten Sessel. Er hielt den Papierstreifen unbeweglich in den Händen, als ob er sich von einer einzelnen Nachricht nicht losreißen könne. Das in rötlichgrünen Tönen durch den Raum schimmernde Licht umspielte seine Gestalt. Es ließ sein Antlitz fahl wie das eines Toten erscheinen.

Erik Truwor warf einen Blick auf die Stelle des Streifens, den Silvester so beharrlich in den Händen hielt. Der Apparat hatte inzwischen unermüdlich weitergearbeitet. Viele Meter des Streifens waren ihm entquollen und lagen in Windungen und Schleifen auf den Knien Silvesters.

Erik Truwor las die Stelle in den Händen Silvesters: »Jane an Silvester. Ich bin geborgen. In England in Maitland Castle bei guten Freunden.«

Der Streifen zeigte die kurze Depesche dreimal hintereinander.

Erik Truwor beugte sich zu dem Sitzenden hinab und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Freue dich, Silvester! Deine Sorgen sind vorüber. Jetzt weißt du, daß Jane in Sicherheit ist.«

Unter dem Druck von Erik Truwors Hand sank die Gestalt Silvesters noch mehr in sich zusammen. Sie fiel nach vorn und wäre ganz zu Boden gesunken, wenn Erik Truwor nicht mit kräftigen Armen zugegriffen hätte. Da fühlte er, daß das Leben aus dem Körper des Freundes gewichen war, daß die Blässe des Antlitzes nicht allein durch die fahlen Reflexe der Eiswände verursacht wurde.

Dem wechselreichen Auf und Ab von Freuden und Leiden, seelischen Erschütterungen und schwerster Forschungsarbeit war der Organismus Silvester Bursfelds nicht gewachsen. Ein Herzschlag hatte sein junges Leben in dem Augenblick beendigt, in dem er die Depesche von Jane empfing.

Erik Truwor hielt die schon erkalteten Finger des Freundes in seinen Händen. Atma trat in den Raum. Er schritt auf Silvester zu und schloß ihm mit sanftem Druck die Augen.

»Er hat gegeben, was das Schicksal von ihm verlangte, das Wissen.«

Erik Truwor nickte und ließ seine Blicke auf den blassen Zügen ruhen.

»Das Wissen, das mir die Macht schafft.«

Er wandte sich von dem Toten weg nach dem großen Strahler. Nur die Farbschreiber tickten leise und warfen immer neue Nachrichten von den Kriegsschauplätzen auf das Papier. Mit schweren Schritten ging Erik Truwor auf den mächtigen Strahler los. Nur ein einziges Wort kam von seinen Lippen: »Auf!«

Wie Kampfruf klang es! Kampfruf war es!

Doktor Rockwell, der Leibarzt des Präsident-Diktators, und Hauptmann Harris, der diensttuende Adjutant, unterhielten sich mit gedämpfter Stimme im Vorzimmer.

»Solange der Präsident meinen ärztlichen Rat nicht wünscht, darf ich mich ihm nicht aufdrängen.«

»Es geht so nicht weiter, Herr Doktor! Das Leben hält auf die Dauer kein Mensch aus. Seit zwölf Tagen, seit der englischen Kriegserklärung, ist der Präsident nicht mehr aus seinen Kleidern gekommen, hat sein Arbeitzimmer kaum verlassen …«

»Ich gebe zu, daß solche Lebensweise angreifend ist, namentlich, wenn man die Fünfzig überschritten hat. Aber andererseits … bedenken Sie die außergewöhnliche Lage. Der Krieg mit einer ebenbürtigen Großmacht. Es geht um das Schicksal der Staaten und … des Diktators. Es ist schließlich nicht zu verwundern, daß er seine ganze Kraft an die Leitung des Krieges setzt.«

»Kraft! Kraft! Herr Doktor! Wo soll die Kraft herkommen, wenn er so gut wie nichts zu sich nimmt? Eine Tasse Tee. Ein paar Schnitten Toast. Das genügt ihm für vierundzwanzig Stunden. Dazu kein Schlaf. Ich habe den Präsidenten während meiner Dienststunden seit zwölf Tagen nicht schlafend gefunden. Meine Kameraden von den anderen Wachen auch nicht.«

»Er wird trotzdem geschlafen haben. Viertelstundenweis, zu Zeiten, in denen niemand in seinem Zimmer war. Zwölf Tage ohne Schlaf hält niemand aus. Das kann ich Ihnen als Arzt versichern. Am dritten Tage machen sich bei vollkommener Schlafentziehung schwere Symptome bemerkbar.«

»Die Symptome sind da, Herr Doktor! Darum bitte ich Sie, zu dem Präsidenten zu gehen. Sein Wesen ist verändert. Sein Blick, früher so ruhig und kalt, ist flackernd und fiebrig geworden.«

»Fieber erkennen wir an der Temperatur des Patienten. Seien Sie überzeugt, daß der Präsident in den zwölf Tagen in seinem Lehnstuhl ganz gut geschlafen hat. Die Natur läßt sich nicht betrügen. Am wenigsten um den Schlaf. Die ärztliche Wissenschaft kennt Beispiele, daß Reiter auf ihren Pferden im Zustand der Übermüdung fest geschlafen haben, ohne es zu wissen und ohne … das ist besonders wichtig … ohne herunterzufallen. Um wieviel mehr müssen wir annehmen, daß der Präsident in seinem bequemen Armstuhl den nötigen Schlummer gefunden hat.«

»Schlummer? Herr Doktor! Sie können so sprechen, weil Sie die Verhältnisse hier noch nicht aus der Nähe gesehen haben. Auf seinem Tisch stehen zwölf Telephonapparate. Jeder Apparat für eine besondere Wellenlänge. Er hat ständige Verbindung mit den Kriegsschauplätzen. Eben spricht er vielleicht mit dem Befehlshaber unserer afrikanischen Fliegergeschwader. Wenige Minuten später mit dem Chef der australischen Flotte. Unter Umständen meldet sich schon während dieses Gesprächs das indische Geschwader. So geht es Tag und Nacht.«

»Ihre Mitteilungen in Ehren, Herr Hauptmann. Trotzdem kann ich nicht ungerufen meinen Rat aufdrängen. Sollten sich wirklich ernsthafte Symptome zeigen, kann ich in zwei Minuten zur Stelle sein.«

Während dies Gespräch im Vorraum geführt wurde, saß der Präsident-Diktator in seinem Arbeitzimmer in dem schweren hochlehnigen Armstuhl hinter dem mächtigen Tisch. Hauptmann Harris hatte recht. Das Wesen Cyrus Stonards war verändert. Bald stierte er Minuten hindurch auf irgendeine vor ihm liegende Meldung. Dann blickte er wieder starr gegen die Zimmerdecke. Nervös, unruhig, als erwarte er jeden Moment eine bestimmte Nachricht.

Ein Sekretär trat ein. Vorsichtig, auf den Fußspitzen gehend, schritt er über den schweren Teppich bis an den Tisch heran und legte eine rote Mappe mit neuen Depeschen vor den Präsidenten hin.

Es waren gute Nachrichten. Erfolge in Indien. Eine für das Sternenbanner siegreiche Luftschlacht über der Straße von Bab el Mandeb. Auch ein anspruchsvoller Feldherr konnte kaum mehr verlangen. Doch der Präsident-Diktator las die Nachrichten ohne Freude.

Seit zwölf Tagen wurde sein Gehirn nur von dem einzigen Gedanken beherrscht: Wird das Spiel noch glücken oder wird die unbekannte Macht sich einmischen? Daß seine Streitkräfte mit den englischen fertig werden würden, daran hatte er nie gezweifelt.

Aber die Macht! Die unbekannte Macht, die Maschinen sprengte und drahtlose Stationen spielen ließ! Die unbekannte Macht, die über so unheimliche Waffen und Kräfte verfügte.

 

Telegramm um Telegramm las er und legte es beiseite. Bis er zu den beiden letzten Schriftstücken der Mappe kam.

Er las und wischte sich mit der Hand über die Augen, wie um besser zu sehen. Las zum zweitenmal, hielt die Depesche in den Händen und ließ den Kopf mit den Augen auf die Papiere sinken.

Zwei Depeschen waren es. Die eine um zwölf Uhr zehn Minuten amerikanischer Zeit von Sayville datiert. Die andere um sechs Uhr zwanzig Minuten westeuropäischer Zeit von der englischen Großstation in Cliffden. Berücksichtigte man die verschiedenen Ortszeiten, so waren beide Depeschen nur mit zehn Minuten Abstand aufgegeben worden. Zwei Depeschen von völlig gleichem Wortlaut: »An alle! Die Macht verbietet den Krieg. Die Macht wird jede feindliche Handlung verhindern.«

Was Cyrus Stonard seit zwölf Tagen heimlich fürchtete, was ihn zwölf Tage und Nächte in dieser unnatürlichen Spannung und Aufregung gehalten hatte, war geschehen. Die unbekannte Macht verbot den Krieg, stellte eine gewaltsame Verhinderung aller Operationen in Aussicht.

Der Diktator sprang auf und lief wie ein gefangenes Raubtier im Zimmer hin und her. Jetzt flatterte der helle Wahnsinn in seinen Augen. Seine Lippen murmelten Flüche, während er die Faust ballte.

Hauptmann Harris trat mit einer neuen Depeschenmappe in das Zimmer. Er sah mit Schrecken, wie der Zustand des Diktators sich verschlimmert hatte. Cyrus Stonard riß ihm die Mappe aus der Hand, beugte sich über den Schreibtisch und las. Seine Augen weiteten sich, während er den Inhalt der Depesche verschlang. Dann stieß er die Mappe weit von sich und brach in ein gellendes Gelächter aus. Ein Lachen des Wahnsinns und der Verzweiflung, das immer schriller und krampfartiger wurde. Bis es schließlich mehr Schluchzen als Lachen war. Dann stürzte er auf der Stelle, auf der er stand, nieder und lag regungslos auf dem Teppich.

Jetzt war es Zeit, Dr. Rockwell zu rufen. Hauptmann Harris bettete den Bewußtlosen auf den Diwan und ging dem Doktor zur Hand, solange er gewünscht wurde.

Eine Viertelstunde nach der Erkrankung waren die Staatssekretäre des Krieges, der Marine, des Innern und Äußern zur Stelle. Sie hörten den Bericht des Arztes. Prüften dann die Schriftstücke, die der Präsident-Diktator zuletzt bekommen hatte. Die beiden Depeschen von Sayville und Cliffden, die noch zerknittert auf der Schreibmappe lagen.

Die Mitglieder des Kabinetts wußten nur wenig von der Existenz der unbekannten Macht. Gerade das, was sich nach der ersten warnenden Depesche in Sayville nicht mehr gut verheimlichen ließ. Cyrus Stonard hatte diese Angelegenheit ganz geheim behandelt und nur mit Dr. Glossin besprochen. Mit Dr. Glossin, der schon seit drei Wochen nicht mehr in Washington gesehen worden war.

Der Staatssekretär des Krieges George Crawford las die Depesche vor: »Die Macht verbietet den Krieg. Sie wird jede kriegerische Handlung verhindern.«

Er ließ das Blatt verwundert sinken.

»Beim Zeus, eine kühne Sprache! Welche Macht kann es sich erlauben, uns den Krieg zu verbieten, zwei Weltreiche zu brüskieren?«

»Die Macht! Wie das klingt? Geheimnisvoll und anmaßend! Ist es denkbar, daß der Diktator durch diese Depesche so schwer erschüttert worden sein sollte?«

Sie suchten weiter. Hauptmann Harris wies dem Staatssekretär des Krieges die Mappe, bei deren Lektüre der Präsident zusammenbrach.

Sie lasen die zweite Depesche, und ihre Wirkung auf diese vier Staatsmänner war niederschmetternd.

Sie kam von dem Chef der großen amerikanischen Atlantikflotte. Es war der verzweifelte Ruf eines wehrlos gemachten und von einer mysteriösen Kraft gepackten Geschwaders. Der Anfang der Depesche setzte um 12 Uhr 30 ein. Dann war sie bruchstückweise immer weitergegeben worden, wie die Ereignisse sich abspielten: »Klar zum Gefecht. In Schußweite mit der englischen Atlantikflotte … Die Feuerleitung versagt … Unsere Geschütze können nicht feuern … Können auch nicht laden … Geschützverschlüsse mit den Rohren verschweißt … Geschütze unbrauchbar … Torpedos unbrauchbar … Englische Flotte feuert auch nicht … Rudermaschinen blockiert … Unsere Schiffe nach Osten gezogen … Die englische Flotte zieht in geschlossener Kiellinie dicht an uns vorüber nach Westen … Auf der englischen Flotte große Verwirrung … Unsere Panzer schließen sich dicht zusammen … aller Stahl stark magnetisiert … Die englische Flotte am Westhorizont verschwunden … Eine unwiderstehliche Kraft treibt unsere Schiffe mit 50 Knoten nach Osten … Gott sei unseren Seelen gnädig.«

Sie lasen die Depesche öfter als einmal und verstanden das Gelächter, mit dem Cyrus Stonard zusammengebrochen war. Das war also die Macht! Die unbekannte, geheimnisvolle Macht, die den Krieg nicht wollte. Die Macht, die die Mittel besaß, um alle Waffen wirkungslos zu machen. Die Macht, deren erste Warnung man ignoriert hatte, und die nun ihre Gewalt zeigte.

Die Katastrophe betraf die große amerikanische Schlachtflotte. Die Ehre des Sternenbanners war bei der Affäre engagiert. Aber trotzdem konnte sich keiner der vier Staatsmänner der Wirkung des titanischen Humors entziehen, der in diesem Verfahren lag. Eine Macht, die Geschütze verschweißte und Schlachtpanzer elektromagnetisch zusammenklebte, eine Macht, die eine ganze Flotte willenlos durch den Ozean zog, wäre auch imstande gewesen, die Schlachtschiffe zu versenken. Sie tat es nicht. Sie lähmte die Waffen und zog die feindlichen Flotten in nächster Nähe aneinander vorüber, die amerikanische Flotte nach England und die englische Flotte nach Amerika.

Denn so ging die Reise ganz offenbar. Wenn noch irgendein Zweifel darüber bestand, wurde er durch das Telephon beseitigt, das sich auf dem Tisch des Präsident-Diktators meldete. Die drahtlose Verbindung mit der Atlantikflotte.

Der Staatssekretär der Marine eilte an den Apparat und erkannte die Stimme des Admirals Nichelson, der sich bei der Atlantikflotte befand.

»Habe ich die Ehre, mit Seiner Exzellenz dem Herrn Diktator zu sprechen?«

»Nein! hier ist der Staatssekretär der Marine. Der Herr Präsident-Diktator hat sich für kurze Zeit zur Ruhe begeben. Berichten Sie an mich. Ich habe Ihre Depesche über die Katastrophe vor mir liegen.«

»Sie wissen?«

»Ich weiß, daß Ihre Flotte kampfunfähig mit fünfzig Seemeilen nach Osten treibt.«

»Es sind inzwischen hundert geworden. Unsere Schiffe rasen, halb aus dem Wasser gehoben, ostwärts. Wir besitzen keine Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen. Wir müssen abwarten, was das Schicksal mit uns vorhat.«

»Wie sieht es auf der Flotte aus? Sind noch weitere Beschädigungen auf den Schiffen eingetreten? Wie ist der Zustand der Besatzung?«

»Beschädigungen? … Keine weiter. Jedes Geschütz am Verschluß verschweißt … Der Zustand der Mannschaften? … Fragen Sie lieber nicht … Keine Disziplin mehr. Ein Teil der Leute vom religiösen Wahnsinn befallen. Liegen auf den Knien, singen Psalmen, erwarten das Jüngste Gericht. Einige über Bord gesprungen. Geht die Fahrt so weiter, landen wir morgen in England.«

Der Staatssekretär der Marine legte den Hörer auf den Apparat. Er trat an den großen Globus, steckte einen Kurs ab und rechnete. Dann wandte er sich zu seinen Kollegen.

»Meine Herren! Ich glaube, wir dürfen die englische Flotte morgen etwa um die neunte Stunde an der amerikanischen Küste erwarten.«

Mr. Fox sprach durch das Telephon mit Dr. Rockwell.

»In dem Befinden des Herrn Präsident-Diktators ist bisher keine Änderung eingetreten. Die Staatsgewalt liegt nach der Verfassung bei den Staatssekretären.«

Während sich die Ärzte bemühten, Cyrus Stonard ins Bewußtsein zurückzurufen, übernahmen die vier Staatssekretäre die Lenkung des schwankenden Staatsschiffes.

Dr. Glossin saß in seiner Neuyorker Wohnung und überschlug die Ergebnisse seiner politischen Tätigkeit. Seit acht Tagen war er in Amerika und hatte keine Stunde seiner Zeit verloren. Mit den Führern der Sozialisten und mit denen der Plutokraten hatte er verhandelt, Arbeiter und Milliardäre waren der Herrschaft des Diktators gleichmäßig müde. Leise Schwankungen des sonst so festen und zuverlässigen Bodens deuteten auf kommende gewaltsame Ausbrüche.

Noch jetzt wunderte sich Dr. Glossin über die Vertrauensseligkeit, mit der die Parteiführer der Sozialisten und Plutokraten ihm entgegengekommen waren. Wer gab denen denn den Beweis, daß er wirklich von Cyrus Stonard abgefallen sei? Was wußten die Tölpel von der unbekannten Macht? Von allem, was noch zu erwarten war?

Dr. Glossin kannte die Pläne der Roten und der Plutokraten und hatte ihre Chancen genau erwogen. Beiden Parteien würde die Revolution zweifellos glücken. Aber in beiden Fällen würde der Erfolg kein vollkommener sein, würde es im weiteren Verlauf unbedingt zum Bürgerkriege kommen. Machten die Roten die Revolution, würden der Westen und ein Teil der Mittelstaaten sich dagegen erheben. Machten sie die Weißen, würde umgekehrt der Osten rebellieren.

In den Vereinigten Staaten gab es aber noch eine dritte Partei, deren Mitglieder sich einfach als »Patrioten« bezeichneten. Eine Partei, für die Dr. Glossin bis vor kurzem nur ein Achselzucken übrighatte. Die Patrioten waren so unzeitgemäß, die Politik nur des Vaterlandes und der alten amerikanischen Ideale halber zu treiben. Freiheit des einzelnen und des ganzen Staatswesens. Abschaffung aller Korruption. Innehaltung von Treu und Glauben bei allen, auch bei politischen Abmachungen. Das Programm der Patriotenpartei bestand aus idealen Forderungen. Darum hatte sie Cyrus Stonard auch gewähren lassen, hatte sie ebenso wie Glossin für ungefährliche Schwärmer gehalten.

Erst vor fünf Tagen war der Doktor mit William Baker, dem Führer der Partei, in Verhandlung getreten. Nachdem er in Erfahrung gebracht, daß die Roten und die Weißen am gleichen Tage losschlagen wollten. Er hatte die Partei zum Handeln aufgepeitscht. Er hatte sich mit Mr. Baker eine lange Nacht hindurch eingeschlossen, einen vollständigen Revolutionsplan mit ihm entworfen und in allen Einzelheiten ausgearbeitet. So raffiniert und wirkungsvoll, daß dem Parteiführer vor der teuflischen Schlauheit des Arztes graute.

Nur über die Behandlung und Beseitigung des Diktators waren sie nicht einig geworden. Glossin war für Lufttorpedos auf das Weiße Haus. Mr. Baker war gegen jedes Blutvergießen. Er verkannte die großen Verdienste des Präsident-Diktators um die Union nicht. Cyrus Stonard sollte weg, sollte der Macht beraubt werden, aber ohne Schaden an Leib und Leben zu nehmen.

Damals … jetzt vor fünf Tagen … hatte Mr. Baker eine kurze Zeit überlegt, hatte angedeutet, daß er einen Weg finden würde, hatte den Weg selbst verschwiegen. Von Tag zu Tag waren seine Andeutungen zuversichtlicher geworden. Aber die Tage waren auch verstrichen. Die Zeit drängte. Heute schrieb man den fünften August. Am siebenten wollten die Weißen und die Roten losschlagen. Es war Zeit. Höchste Zeit! Und dieser Ideologe, dieser Baker, spielte immer noch den Geheimnisvollen.

Dr. Glossin sprang wütend auf. Es mußte zum Ende kommen. So oder so. Es war um die achte Abendstunde, als er den Broadway erreichte und sich in einem der Wolkenkratzer in die Höhe fahren ließ. Er trat in einen einfachen Bureauraum im 32. Stock. Einen spärlich und nüchtern ausgestatteten Geschäftsraum. Nur eine Person war darin. Ein hochgewachsener Fünfziger mit ergrautem Vollbart und Haupthaar. William Baker, der Führer der Patrioten.

»Sie kommen, Herr Doktor? … Um so besser, da brauche ich nicht nach Ihnen zu schicken.«

»Ich komme, Mr. Baker, weil die Zeit uns auf den Nägeln brennt. Ich bestehe darauf, daß mein alter Vorschlag durchgeführt wird.«

»Es wird nicht nötig sein.«

»Bitte … sprechen Sie deutlicher.«

Der Parteiführer schritt schweigend zu einer Tür zum Nebenraum und öffnete sie. Eine dritte Person trat ein. Trotz des Zivils erkannte Dr. Glossin Oberst Cole, den Kommandeur des Leibregiments. Er kannte den Obersten seit Jahren, und der Oberst kannte ihn ebenso.

Glossin war starr. Seine gewohnte Selbstbeherrschung versagte.

»Sie … Oberst Cole …?«

Baker nickte.

»Sind Sie zufrieden, Herr Doktor?«

Verwirrt drückte der Doktor die Hand, die der Oberst ihm bot. Das war also der Trumpf, den Baker solange zurückgehalten hatte. So mußte der Plan gelingen.

»Heute abend um elf Uhr auf die Sekunde wird die Aktion der Partei in allen Städten der Union beginnen. Um zehn Uhr löst das Regiment Cole die alten Wachen im Weißen Hause ab. Alles Weitere besprechen Sie auf der Fahrt. Jetzt fort!«

Ein kurzer Händedruck. Dr. Glossin fuhr mit dem Oberst bis auf das Dach des Wolkenkratzers. Das Flugschiff des Kommandeurs nahm sie auf. Die Dämmerung des Sommerabends lag über der See, als das Schiff den Kurs auf Washington nahm und die Bai von Neuyork überflog. Staten Island, Sandy Hook, die Einfahrt zum Neuyorker Hafen. Dr. Glossin und Oberst Cole standen am Fenster und blickten ostwärts über die See.

 

Da zog es in einer unendlichen Linie heran. Panzer und Panzerkreuzer, Torpedoboote und Torpedojäger, Flugtaucher und Unterseepanzer. Es rauschte durch die See, deren Wogen sich vor dem Bug der kompakten Masse aufbäumten und in stiebendem Schaum zerflockten. Es kam mit einer Geschwindigkeit von vielen Seemeilen in der Stunde durch die Fluten dahergerast. Die schweren Panzer standen halb schief, den Bug hoch über den Wogen, das Heck so tief in der See, daß das Wasser dahinter einen Berg bildete.

Es war ein seltsames und ein grauenvolles Schauspiel. Diese Schiffe fuhren nicht mit eigener Kraft. Sie fuhren überhaupt nicht, wie Schiffe zu fahren pflegen. In regelmäßigem Abstand und in Formationen. Ihre eisernen Körper hingen zusammen, wie etwa eine Gruppe von Pfahlmuscheln, die ein Fischer vom Grunde losgerissen hat und durch das Wasser schleift. An den Seitenwänden des ersten schweren Panzers klebten, aus dem Wasser gehoben, drei Torpedoboote, wie die jungen Muscheln an den Schalen der alten. Der zweite Panzer haftete, um ein Drittel seiner Länge nach Backbord vorgeschoben, am ersten Schlachtschiff. So folgte sich die ganze gewaltige Schlachtflotte, zu einem einzigen, regellosen Block verquirlt, von einer unsichtbaren, unwiderstehlichen Gewalt durch die Fluten gerissen.

An allen Masten, von der sausenden Fahrt über den halben Atlantik zerfetzt und arg mitgenommen, aber noch erkennbar, der Union Jack, die in hundert Seeschlachten bewährte Flagge Englands. Erst auf der Höhe von Sandy Hook mäßigte sich das Tempo der wilden Fahrt. Langsamer, aber immer noch verkettet und verquirlt zog die gelähmte Flotte durch die Landenge in die Bai von Neuyork ein.

Dr. Glossin trat einen Schritt vom Fenster zurück und preßte den Arm des Obersten Cole.

So standen sie und starrten auf das Schauspiel da unten, während das Flugschiff seinen Weg nach Washington verfolgte. Sie sahen die gelähmte Flotte klein und kleiner werden, sahen sie als einen Punkt im unsicheren Licht der wachsenden Dämmerung verschwinden. Sie starrten noch immer auf den Fleck, wo sie verschwand, als längst nichts mehr zu sehen war.

Nach langem Schweigen sprach der Oberst: »Was war das? Habe ich geträumt?«

»Was Sie sahen, war grause Wirklichkeit. Das Wirken der geheimnisvollen Macht, mit der Cyrus Stonard spielen wollte.«

Dr. Glossin sprach. Von Dingen, von denen Oberst Cole bis zu diesem Augenblick keine Ahnung gehabt hatte. Von der unbekannten Macht. Von ihrer Gewalt. Von ihren Drohungen und Verboten. Von der Unmöglichkeit, sich ihr zu widersetzen. Je weiter der Doktor kam, desto mehr sank der Oberst in sich zusammen. Er sprach während der Fahrt kein Wort mehr und zog sich in Washington schweigend in sein Dienstzimmer zurück.

Um zehn Uhr wurden im Weißen Hause die Wachen des Regiments Howard durch Offiziere und Mannschaften des Regiments Cole abgelöst. Oberst Cole nahm den Bericht seines Wachtoffiziers teilnahmslos entgegen. So blieb er sitzen, bis Glossin, die Uhr in der Hand, zu ihm ins Zimmer trat.

»Herr Oberst, was zeigt Ihre Uhr?«

Langsam, fast schwerfällig zog der Oberst die eigene Uhr. »Zehn Minuten nach zehn.«

Die Uhr in der Hand des Obersten zitterte. Seine Hand vibrierte. Dr. Glossin blickte spöttisch auf den alten Offizier.

»Herr Oberst Cole!« Die Stimme Glossins drang schneidend durch die Stille. Der Oberst sprang auf.

»Ich bin bereit.«

Der Oberst trat auf den Korridor vor der Zimmerflucht des Diktators und führte eine Signalpfeife an den Mund. Noch bevor der letzte Ton verklungen war, strömten von allen Seiten her Mannschaften und Offiziere des Leibregiments Cole herbei und scharten sich um ihren Obersten.

Die beiden Adjutanten des Diktators traten auf den Flur, um den Lärm zu verbieten. Sie erschraken vor dem düsteren Ernst und der Verbissenheit in den Zügen der Soldaten und Offiziere.

»Was soll das, Herr Oberst?«

»Sie sind verhaftet. In Obhut von Major Stanley.«

Widerstandslos beugten sich die beiden Adjutanten der erdrückenden Übermacht. Während sie abgeführt wurden, öffnete Oberst Cole die Tür zum Zimmer des Diktators. Dr. Rockwell trat ihm entgegen.

»Ruhe, meine Herren! Der Präsident bedarf dringend der …«

Der Leibarzt sah die entschlossenen Mienen der Andrängenden und trat schweigend zur Seite. Der Weg war frei. Oberst Cole trat in das Zimmer und schritt langsam auf den großen Schreibtisch zu. Er hatte von der rechten Seite her den Blick auf den Tisch und den Diktator. Cyrus Stonard saß bei der Arbeit, ein Schriftstück in der Hand. Er blieb ruhig sitzen und senkte nur die Hand mit dem Dokument, während ein eigenartiges Lächeln seine hageren Aszetenzüge überflog.

Offiziere und Mannschaften strömten hinter ihrem Oberst in den Raum, bildeten an der Türwand einen Halbkreis. Es wurde so still, daß man das Ticken der kleinen Standuhr bis in den fernsten Winkel vernehmen konnte.

Cyrus Stonard wandte das Haupt halb nach rechts gegen die Eingetretenen.

»Was wünschen die Sieger von Graytown, von Philipsville und Frisko?«

Es waren Schlachtennamen aus dem letzten Japanischen Kriege. Ehrennamen für Oberst Cole und sein Regiment. In diesem Augenblick aus dem Munde des Diktators kommend, wirkten sie lähmend auf die Eingetretenen.

Oberst Cole wich einen Schritt zurück … und noch einen und noch mehrere. Wich zurück vor diesem rätselhaften Ausdruck in Cyrus Stonards Augen. Das war nicht der drohende, faszinierende Blick des Gewaltherrschers, sondern der überlegene, abgeklärte eines Mannes, der alles erkannt und alles als eitel befunden hat.

Oberst Cole wich zurück, bis er Widerstand fühlte. Arme umschlangen ihn. Die flüsternde Stimme, der warme Atem Glossins drangen an sein Ohr. Mit sicher werdenden Schritten trat er wieder auf den Diktator zu.

»Herr Präsident, das Land verlangt Ihren Rücktritt!«

»Das Land?«

»Das Land, Herr Präsident!«

Cyrus Stonard hörte die feste Stimme des Obersten, blickte ihm in die Augen und sah die Wahrheit. Langsam kamen die Worte von seinen Lippen:

»Der Wille des Landes ist für mich das höchste Gesetz … Was habe ich zu tun?«

»Das Land zu verlassen!«

»Wann?«

»Sofort!«

Cyrus Stonard erhob sich mit kurzem Ruck, als gehorche er einem Befehl.

»In wessen Namen handeln Sie?«

»Im Namen aller ihr Vaterland und die Freiheit liebenden amerikanischen Bürger.«

Cyrus Stonard wußte genug. Das war aus dem Programm der Patrioten, die er für harmlos gehalten hatte. Nicht die Roten oder die Weißen, die Patrioten machten seiner Herrschaft ein Ende. Er schaute auf die Versammlung und erblickte, durch die Figur des Obersten halb gedeckt, Dr. Glossin.

»Gehört Herr Dr. Glossin auch zu diesen Bürgern?«

Oberst Cole wich zur Seite, als ob die Nähe Glossins ihm peinlich sei. Der Arzt stand frei vor dem Diktator. Er mußte dessen Blick aushalten, denn die Mauer der Offiziere und Soldaten versperrte ihm den Rückzug. So stand er und wand sich unter den Blicken des Diktators, wurde wechselnd blaß und rot, wäre in diesem Moment gern meilenweit weggewesen.

Cyrus Stonard sah ihn erbärmlich und klein werden, drehte ihm den Rücken und wandte sich Oberst Cole zu.

»Kameraden! Ich verlasse das Land in der Überzeugung, daß es sein Wille ist. In der Hoffnung, daß mein Weggehen zu seinem Heil dient. Was ich erstrebte … das Schicksal hat es anders gewollt. Eine Macht, größer, als ich je geahnt, hat es in Menschenhand gelegt. Ich habe dagegen gekämpft … Als ich den Kampf aufnahm, wußte ich, daß sein Ausgang mein Schicksal bedeutet … Ich bin unterlegen … Wohin soll ich gehen?«

»Wohin Sie wollen, Herr Präsident. Ein Flugschiff steht zu Ihrer Verfügung.«