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Die Macht der Drei

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Unter dem rasenden Spiel der Propeller dröhnte und summte der metallene Rumpf des Rapid Flyers wie eine gespannte Saite. Jäh mischte sich ein scharfer Klang, ein harter Schlag in das Singen des Rumpfes. Erik Truwor trat einen Schritt zurück. Dicht neben ihm zeigte die Aluminiumwand eine schwere Einbeulung, als ob ein großer Stein sie von außen getroffen hätte.

In das Dröhnen des getroffenen Rumpfes mischte sich das dumpfe schaurige Lachen Erik Truwors.

»Ihr droht mir … ihr wagt mir zu drohen … ihr wagt mein Schiff zu berühren … wartet ihr … ihr … Ich werde euch brennen …«

Ein neues Dröhnen, eine neue Beule im Rumpfe des Rapid Flyers. An der eingebeulten Stelle war das Metall bis zur Rißbildung gereckt. Noch ein wenig mehr, und der Rumpf wurde undicht, die Sauerstoffatmosphäre seines Innern entwich in die luftleere Umgebung …

Und dann ein drittes Mal. Eine neue schwere Einbeulung.

Erik Truwors Geist begriff die fürchterliche Gefahr nicht mehr, in die er sich so mutwillig begeben hatte. Er war aus dem Schutze der dichteren Atmosphäre bis in jene fast luftleeren Höhen emporgestiegen, in denen der Erde der Schutz des Luftpolsters fehlt.

Er sah nur unsichtbare feindliche Gewalten, die ihm die Macht entreißen wollten. Mit einem Sprunge war er am Strahler und ließ die telenergetische Konzentration nach allen Seiten um den Flieger kreisen. Die Turbinen, der Energie beraubt, ohne Verbrennungsluft, ohne Kraft, stellten die Arbeit ein. Schwer wie ein Stein fiel die Maschine im luftleeren Raum nach unten.

Mit glühender Stirn und rollenden Augen stand Erik Truwor, die Hand am Strahler, und schleuderte dem Schicksal seine Herausforderung entgegen. Ein Bolide, ein Felsblock, viel größer als das Schiff, wurde vom Strahl gepackt, zischte auf und stand als feurige Dampfwolke im Raume.

»Haha … birg dich, Schicksal! … Fliehe, Schicksal, sonst brenn ich dich!«

Erik Truwor stieß die Worte, mit wahnsinnigem Gelächter vermischt, heraus, während er den energetischen Strahl kreisen ließ. Doch der freie Fall des Fliegers raubte ihm die Sicherheit der Bewegungen, machte die schon so schwierige Aufgabe, mit einem Strahl den halben Raum abzuschirmen, zu einer unlöslichen. Seine Hände vermochten den Strahl nicht mehr sicher zu meistern. Wildzuckend stieß er nach allen Seiten weithin durch den Raum. Jetzt traf er in Kanada einen Wald und fraß ihn in feurigem Wirbel. Jetzt ließ er auf den Gipfeln des Himalaja den Schnee aufkochen. Jetzt dampfte der Ozean, von der Energie durchsetzt.

Das Flugschiff stürzte, während die Sekunden sich zur Minute ballten. Schon wurde die Atmosphäre dichter, die Gefahr geringer.

Da ein scharfer, greller Schlag. Ein Meteorit von Faustgröße durchbrach die Decke des Flugschiffes. Drang weiter vor und traf den Hebel des Strahlers. Erik Truwor hatte zu Beginn seiner wahnsinnigen Fahrt die Sperrungen entfernt. Der Hebel wurde zurückgetrieben. Über den Sperrpunkt hinaus … die Energie von zehn Millionen Kilowatt explodierte im Flugschiff, im Strahler selbst … Eine Feuerwolke, wo eben noch der Flieger durch den Raum stürzte.

So schnell wie das Feuer am Himmel entstand, verschwand es auch wieder. Machte bläulichem Dampf Platz, der sich ausbreitete, auflöste und zu Nichts wurde. Nur das Nichts blieb übrig. Der leere Raum. Nichts mehr vom Rapid Flyer, von seinem Insassen und vom Strahler.

Die letzten Ausläufer der schweren Explosion erreichten noch die unteren Schichten der Atmosphäre. Ein Sturm jagte über das Schneefeld und ließ die Flanken des Eisbergs erzittern. Ein Schüttern und Dröhnen ging durch das Eismassiv. Ein Aufruhr aller Elemente begleitete den Untergang dessen, dem das Schicksal eine so unendliche Macht anvertraut hatte.

Ein leuchtend schöner Septembermorgen lag über dem Park von Maitland Castle. Ein feiner blauer Dunst milderte das Sonnenlicht, gab den Wiesen und Baumgruppen eine besondere Tönung, ließ entfernte Dinge unwahrscheinlich nahe erscheinen.

Der blaugoldene Frieden des lichten jungen Tages verschönte den Park, während seine Herrin in Sorge und Unruhe war. Diana Maitland wanderte rastlos durch die verschlungenen Wege der Anlagen. Heute wollte ihr Gatte kommen. Die Nachricht war in der Nacht eingetroffen. Der Friedensvertrag mit den vielen Paragraphen und Anhängen war unterzeichnet. Der Herr von Maitland Castle kehrte in sein Haus zurück.

Diana ging durch den Park, gedachte des letzten Zusammenseins, erwartete mit Unruhe das Kommende.

Wie war es gewesen? Horace konnte sich nicht zu ihrer Meinung bekehren. Er sah nur Unheil in einer Macht, von der sie den Fortschritt und die Befreiung der Welt erwartete. Horace glaubte nicht an Menschen, die eine ungeheure Macht nur zum Besten der Menschheit anwenden würden. Horace sah im Träger der Macht nicht den vollkommenen Menschen, sondern einen Rivalen, der ihm das Herz seiner Gattin abwendig machte. Horace konnte die Person nicht von der Sache trennen. Horace war eifersüchtig … War es heute noch auf einen Mann, der vor Jahren einmal auf kurze Wochen in den Lebenskreis Dianas getreten war. Und Diana wußte nicht, wie sie ihm die Grundlosigkeit dieser Eifersucht beweisen sollte … Und fühlte doch in dieser Stunde stärker denn je, daß ihr Lord Horace Maitland alles, jener andere geheimnisvolle Träger einer geheimnisvollen Macht nur ein Schemen war. Nur noch eine Erinnerung an längst vergangene Tage bedeutete. Die Erinnerung an ein kurzes Glück, das unwiederbringlich dahin war. Eine Erinnerung, an die sie jetzt denken konnte wie an ein schönes Bild oder einen schönen Tag, während doch ihr Leben und ihre Liebe Horace gehörten.

Ruhelos durchwanderte sie den Park und wußte selbst nicht, zum wievielten Male sie jetzt wieder an dem großen Eingangsportal vorüberkam.

Eine Gestalt fesselte Dianas Aufmerksamkeit. Sie sah einen Mann dem Gitter näherkommen. Nun unterschied sie Einzelheiten, erkannte die dunkle, bronzefarbene Haut, dachte, das müsse wohl ein Inder sein. Und dann stand die Gestalt an dem Torflügel, der dem Druck seiner Hand nachgab. Stand auf dem Parkweg dicht vor Diana Maitland, grüßte sie durch eine tiefe stumme Verbeugung nach indischer Sitte.

Diana blickte in sein Antlitz, sah in den Glanz eines leuchtenden Augenpaares und fühlte, wie ihre Unrast einer wohltätigen Ruhe wich. Wohl eine Minute stand sie so vor ihm, die vornehme Lady, die Herrin von Maitland Castle, vor einem unbekannten braunen Mann, der ohne Erlaubnis in ihren Park kam … der … war denn das Tor nicht verschlossen? … Sollte es nicht immer verschlossen gehalten werden? … Kein Diener in der Nähe. Diana raffte sich zur Frage zusammen:

»Was suchen Sie hier?«

»Ich suche Jane Bursfeld.«

In jähem Schreck zuckte Diana zusammen.

»Was wollen Sie von Jane Bursfeld?«

»Ich will ihr sagen, daß Silvester Bursfeld tot ist.«

»Tot! … Silvester Bursfeld ist tot?«

Ihre Blicke hingen wie gebannt an den glänzenden Augensternen des Inders. Was verbarg sich noch hinter dieser hohen Stirn?

»Wer sind Sie?«

»Ich bin Soma Atma, Silvester Bursfelds Freund.«

Langsam, schwerflüssig wie die Perlen eines Rosenkranzes fielen die Worte von den Lippen des Inders, und bei jedem Wort wich Diana einen Schritt weiter von dem Sprechenden zurück, hob abwehrend die Hände, als schreckte sie vor jedem neuen Wort, das Atma sprach.

»Sie sind Soma Atma? … Einer von den dreien?«

»Der Letzte!« …

»Der Letzte?«

Schweigend neigte sich Atma, die Arme über der Brust verkreuzt.

»Die anderen? … Wo sind sie?«

»Tot!« …

»Tot … beide tot? … Auch Erik Truwor tot?« …

»Er frevelte und starb …«

Mehr taumelnd als gehend erreichte Diana die nahe Bank. Sie hörte nicht das Signal des Autos, das ihren Gatten brachte. Sie sah nicht, wie er den Wagen verließ. Sie sah nicht, wie er verwundert … erstaunt stehenblieb, wie Atma an seine Seite trat und beide auf dem Wege, der zum Schloß führte, hin und her gingen. Sie gewann die Herrschaft über ihre Sinne erst wieder, als der Ruf ihres Gatten ihr Ohr traf.

»Diana! … Diana!«

Hatte die Kunde von dem gewaltsamen sündigen Tod Erik Truwors Diana niedergeworfen, oder war es nur die Wucht aller dieser Ereignisse und Nachrichten, die so plötzlich auf sie einstürmten? Lord Horace wußte es nicht, aber er fühlte, daß die nächsten Minuten ihm die Klarheit darüber bringen müßten.

Diana vernahm den Ruf und schrak auf. Schmerzzerrissen, mit verstörten Augen blickte sie ihren Gatten an. Wie einen Unbekannten.

»Horace! … Horace!«

Das war der Ruf einer Seele aus tiefster Not.

»Horace … du! … du!«

Lord Maitland legte die Arme um Dianas Leib. Er fühlte ihr Herz an seiner Brust in wilden Schlägen toben. Er fühlte, wie ihre Glieder zitterten und bebten.

»Diana … was …«

Behutsam und fürsorglich führte Lord Maitland Diana zu der Bank zurück. Er wollte sprechen und kam nicht dazu. Sein Weib hing an seinem Hals, umschlang ihn mit den Armen, als ob sie ihn erdrücken … als ob sie ihn nie wieder lassen wolle.

Ein frohes Leuchten kam in seine Augen.

»Diana?« halb Frage, halb Jubel lag in dem einen Wort. Er versuchte es, die Arme, die ihn so fest umschlungen hielten, sanft zu lösen, ihr Gesicht zu sich zu erheben. Sie widerstand ihm. Nur noch fester umschlangen ihre Arme seinen Nacken, nur noch enger preßte sie ihr Herz an das seine.

Und da wußte Lord Maitland: Sie war sein und immer sein gewesen. Mit frohen Augen blickte er zu der strahlenden Morgensonne empor, Diana fest in den Armen.

So saßen sie eng umschlungen, vergaßen die Welt um sich, vergaßen die Zeit, die rastlos verstrich. Bis der Sonnenglanz sich trübte, ein Schatten auf ihre leuchtenden Gestalten fiel. Der Schatten Atmas, der dicht vor ihnen stand. Die Gegenwart Atmas brachte sie in Raum und Zeit zurück.

»Wo ist Jane Bursfeld?«

 

Wie ein kaltes Wehen strich es über ihre glühenden Herzen.

»Jane?« … Diana sprang auf.

»Arme Jane! Ich will Euch zu ihr führen.«

Langsam und zögernden Schrittes ging sie vor den beiden Männern nach der Blutbuche hin, bei der sie Jane wußte. Bei dem Klang der nahenden Schritte blickte Jane empor. Ihre Augen wanderten von dem einen zum anderen. Dann erkannte sie Atma, sprang auf und lief ihm entgegen.

»Atma! Atma! Du … du hier?«

Glück und Freude strahlten auf ihren Mienen.

»Atma, du bist hier? Wo ist Silvester? Wo hast du Silvester? .. Wann kommt er? .. Wann holt er mich?«

Atma stand unbeweglich. Mit beiden Armen hatte er die Gestalt Janes aufgefangen, als sie ihm entgegenlief. Sie hing an seinem Halse. Er hielt sie nur noch mit der Linken umschlungen. Drückte die Linke fest auf ihr Herz, während er mit der Rechten das zarte blonde Haupt auf seine Schulter niederzog, ihr langsam über Stirn und Augen strich. Langsam, wie schwere Tropfen fielen die Worte von seinen Lippen: »Silvester … dein Mann … ist tot.«

Jane zuckte zusammen. Regungslos lag sie da im Arm Atmas, ließ sich von ihm zu der Bank führen, saß immer noch in seinem Arm neben ihm.

»Silvester Bursfeld ist tot.«

In der Stille des Herbstmorgens drangen die Worte bis an das Ohr Dianas, die sich an den Arm ihres Gatten klammerte.

Und noch ein drittes Mal wiederholte Atma die traurige Kunde, während seine Linke das stockende Herz Janes zusammenpreßte.

»Silvester Bursfeld, dein Gatte, ist tot.«

Jane Bursfeld hörte die Worte, ohne zu weinen, zu klagen. Langsam hob sie ihr blasses Haupt, starrte in den sonnigen Himmel, blickte, sann und hörte, was Atma sprach.

Von der letzten Stunde Silvesters sprach Atma. Wie ihm der letzte große Wurf gelungen. Wie er seine Entdeckung zur höchsten Vollendung gebracht.

Die starre Unbewegtheit Janes wurde durch ein leises Zittern erschüttert.

Weiter sprach Atma. Daß Silvester dahingegangen sei, die letzte Botschaft Janes im Herzen. Wie sie ihn fanden, im Tode noch ein Lächeln auf den Lippen, den Depeschenstreifen in den erstarrten Händen.

Jane hörte es, und ihr starrer Blick leuchtete auf. Ihre Lippen zuckten noch, ihre Mienen wurden ruhiger.

Atma sprach, und langsam ließ der Druck seiner Hand auf ihr tief und gleichmäßig pochendes Herz nach.

»Sein Name und sein Ruf leben in deinem Schoß fort. Sorge für Silvester, indem du für sein Kind sorgst und lebst …«

Er ließ seine Arme sinken. Frei stand Jane vor ihm. Doch sein gewaltiger Einfluß wirkte weiter. All ihr Fühlen, alle ihre Gedanken konzentrierte er auf das keimende Leben in ihrem Schoß.

Ein Lächeln trat auf ihre Züge. Ihr Antlitz gewann die zarte Röte wieder. So schritt sie an Soma Atma vorbei. So an Lord Horace und Lady Diana vorüber dem Schloß zu.

In den Armen Atmas hatte sie das Furchtbare des ersten Schmerzes überstanden. Ihr künftiges Leben, ihre ganze Zukunft war dem Erben Silvesters, dem Erben der Macht geweiht.

Diana Maitland sah Jane auf das Haus zugehen. Sie zitterte unter dem Eindruck der Szene. Sie hatte gefürchtet, Jane weinen, Jane niederbrechen, Jane sterben zu sehen. Und sah sie ruhig und gefaßt fortschreiten.

Sie fühlte die eigenen Knie wanken und stützte sich fester auf den Arm ihres Gatten.

Atma schritt langsam Jane Bursfeld nach. Er kam an Lady Diana und Lord Horace vorüber. Sein Schritt verzögerte sich. Er blieb stehen.

Sein Blick umfaßte die Gestalt Dianas, wie er vorher auf der Janes geruht hatte. Voll öffneten sich seine Lippen. Glanz strahlte aus seinen Blicken. Langsam sprach er … stockend, abgerissen, wie von einer fremden Macht getrieben:

»Gesegnet ist das Haus. Die Erben zweier Geschlechter werden in seinen Mauern geboren … Sorgt für sie! … Hütet sie! … Sie tragen die Zukunft … das Schicksal bestimmt sie zu … Großem …!«

Er ging weiter …

»Diana! Was sagte der Inder? … Was meinte er … Zwei Erben!«

Diana Maitland hatte den Blick zu Boden gerichtet. Lord Horace zwang sie mit sanfter Gewalt, den Kopf zu erheben, ihn anzusehen.

»Zwei Erben! Diana! Was meinte Atma?«

»Er sah und sagte, was ist.«

»Diana!«

»Horace!«

Es waren nur zwei Worte, zwei kurze Namen. Aber in ihnen lag ihre Zukunft.

So zärtlich und behutsam führte Lord Horace Lady Diana dem alten Stammschloß der Maitlands zu, als habe er den kostbarsten Schatz im Arm.

Dreifach hatte das Schicksal Glossin getroffen. Ehrlos, machtlos und mittellos mußte er die Staaten verlassen. Zu spät begriff der sonst so Schlaue, daß die Zeit für die Methoden und die Moral der Gewaltherrschaft vorüber war, daß Männer mit anderen Grundsätzen das Regierungssteuer ergriffen hatten.

Aus der Macht war er gestoßen, die zwanzig Jahre sein Element war, ohne die er nicht leben und atmen zu können glaubte. Die Millionen, die er in den Jahren der Macht errafft und an sich gebracht hatte, waren ihm genommen. Gerade so viel blieb ihm nach den Worten und dem Willen William Bakers, daß er bei England nicht zu betteln brauchte, um sein Leben zu fristen.

So kam er nach England zurück. Am Morgen nach jener Sturmnacht, in der die empörten Patrioten ihn aus Washington verjagten. Nur noch ein Gefühl hielt den Willen zum Leben in ihm aufrecht, fesselte ihn an das Leben. Seine Liebe zu Jane Bursfeld.

Jane war im Hause der Maitlands. Sollte er sich jetzt, ein verfemter Flüchtling, dort zeigen? Sollte er vor Lord Horace hintreten, das Mädchen, das er dort als seine Nichte gelassen, zurückverlangen?

Diese Fragen waren heikel. Zu viel war seit dem Tage, an dem er das Versprechen erhielt, geschehen. Die unbekannte Macht war aufgetreten, und ihr Auftreten hätte den Sturz des Diktators wohl auch ohne Glossin bewirkt. Der Umstand mußte auf die Größe der englischen Dankbarkeit verringernd wirken.

Eile tat not. An dem gleichen Morgen, an dem Soma Atma in Maitland-Castle war, kam Glossin dort an. Seine Kenntnis der Örtlichkeit ermöglichte es ihm, den Park ungesehen zu betreten, sich auf dicht verwachsenen Seitenwegen dem Schloß zu nähern. Sein Plan war überaus einfach, daß er zu jeder anderen Stunde sicher gelingen mußte. Sich Jane unbeobachtet nähern. Sie wieder voll unter seinen Einfluß zwingen. Mit ihr zusammen den Park verlassen. Und dann schnell fort. Weit fort aus England in irgendein fremdes Land, in dem man Dr. Glossin nicht kannte, in dem er, Jane an der Seite, auch mit den Trümmern seines einstigen Reichtums immer noch leben konnte.

Dr. Glossin kam dem Schloß immer näher. Der schmale windungsreiche Weg führte zu einem achteckigen Pavillon. Von der anderen Seite dieses Gebäudes lief ein breiterer Weg aus dem Park auf eine wiesenartige Lichtung, und dort unter einer großen Blutbuche sah er Jane allein sitzen.

Dr. Glossin stand und verschlang das anmutige Bild mit den Blicken. Er stand am Ziel seiner Wünsche.

Vorsichtig wollte er näher gehen. Den Plan ausführen, Jane in seine Gewalt bringen.

Der Klang von Stimmen, das Geräusch nahender Schritte zwang ihn, stehenzubleiben. Schritt um Schritt zurückzuweichen, vor den Blicken der Nahenden Deckung hinter den Bäumen am Pavillon zu nehmen.

Er sah Lord Horace den Weg vom Schloß herankommen. An seiner Seite einen Mann mit brauner Hautfarbe. Den Mann, dessen Signalement er seit der Affäre von Sing-Sing kannte, dessen Bild ihm seit dem Untergang von R. F. c. 2 so oft drohend und düster in die Erinnerung gekommen war.

Atma ging allein auf Jane zu.

Glossin drückte gegen die Tür des Pavillons. Sie war nicht verschlossen und gab dem Druck nach. Er schlüpfte hinein und zog die Tür hinter sich wieder zu. Halbdunkel herrschte hier. Die Jalousien an den Fenstern waren hinabgelassen. Nur durch die Spalten zwischen den Stäben drang das Tageslicht in den Raum und erfüllte ihn mit einer ungewissen Dämmerung.

Dr. Glossin trat an ein Fenster und beobachtete durch einen Spalt, was im Park vorging.

Er sah, wie Atma Jane fest in die Arme nahm. Er sah sie auf das Schloß zugehen und erkannte mit dem Blicke des Arztes, daß sie gesegneten Leibes war. Er taumelte vom Fenster zurück und ließ sich in dem dämmerigen Raum auf einer Gartenbank niedersinken. Die letzte Hoffnung, die ihn noch an das Leben band, war entschwunden. Jane war ihm verloren. Sie würde dem anderen, dem Verhaßten, den Erben schenken.

Es war Zeit, ein Ende zu machen.

Jahre hindurch hatte Dr. Glossin mit der Möglichkeit, ja mit der Notwendigkeit eines freiwilligen Todes gerechnet. Die verschiedenen Todesarten wohlüberlegt, die Mittel dafür beschafft.

Gifte, die momentan und schmerzlos wirken. Narkotika, die einen angenehmen Schlummer erzeugen, der unmerklich in den Todesschlaf übergeht. Der plötzliche Sturz, die jähe Verbannung und Flucht hatten ihn aller dieser Mittel beraubt. Nur die kleine Schußwaffe blieb ihm, die er immer mit sich führte, die er einst auf Silvester abdrückte.

Er riß sie heraus und richtete sie mit schnellem Entschluß gegen die eigene Brust.

Der Schuß dröhnte durch den kleinen Raum. Der Körper Glossins sank zusammen, streckte sich, fiel von der Bank auf den Steinboden …

In dem gleichen Moment, in dem Atma den Raum betrat.

»Die Stunde ist gekommen.«

Atma sprach es mit leiser Stimme, während er den Körper des Sterbenden auf der Bank bettete.

Er strich ihm über die Augen und Schläfen, und das Blut aus der Brustwunde floß langsamer, stockte.

Nur noch in langen Pausen fiel es Tropfen für Tropfen auf den Boden. Traumhaft, nebelhaft kam dem Verletzten das Bewußtsein zurück. Vor seinen geschlossenen Augen gaukelten Gestalten wirr durcheinander.

Cyrus Stonard, den er verraten, stand vor ihm und blickte ihn mit Verachtung an. Wandelte sich dann in die Gestalt William Bakers und wandte ihm mit der gleichen Verachtung den Rücken.

Immer dichter, immer zahlreicher wurden die Gestalten, Menschen, die er vor langen Jahren bekämpft, verraten, verdorben hatte. Sie tauchten aus dem dämmernden Nebel, blickten ihn an und verschwanden wieder.

Dr. Glossin versuchte der Traumbilder Herr zu werden. Mit verzweifelter Anstrengung zwang er sich zum Denken.

… Ich habe mich schlecht getroffen … Stockender Puls … Delirien der beginnenden Auflösung …

Seine Gedanken verjagten den Spuk. Alle diese huschenden, blickenden und anklagenden Gestalten verschwanden. Nur ein matter, blasser Nebel blieb ihm vor den Augen.

Die Zeit verrann. Der Sterbende wußte nicht mehr, ob es Sekunden oder Jahrhunderte waren.

Der Nebel begann zu wallen. Eine neue Gestalt bildete sich in ihm.

Glossin sah zwei Augen, die ihn ruhig anblickten, ihm so wohlbekannt erschienen, ihn an lange vergangene Zeiten erinnerten.

Der wallende Nebel verdichtete sich. Formte Gesichtszüge um die einsamen Augen. Eine hohe Stirn, einen blonden Bart.

So hatte Gerhard Bursfeld vor dreißig Jahren ausgesehen. Jetzt trat auch die ganze Gestalt hervor. Im weißschimmernden Tropenanzug, den er damals in Mesopotamien trug.

Glossin suchte sich der Erscheinung zu entziehen. Ich muß die Augen aufmachen, dann wird alles verschwinden.

Mit unendlicher Mühe versuchte er die Lider zu heben, glaubte, daß es ihm gelungen sei. Er empfing einen Eindruck des Raumes, der Pfeiler und Fenster. Aber die Gestalt Gerhard Bursfelds verschwand nicht. Sie wurde nur undeutlicher, halb durchsichtig, so daß die Möbel des Raumes hinter der Figur wie durch einen Schleier zu erkennen waren.

Und dann eine zweite Gestalt neben der ersten. Die Gesichtszüge bis auf den Bart die gleichen. Die Augen dieselben. Fragend und anklagend.

Silvester Bursfeld, so wie ihn Dr. Glossin das letztemal sah, als R. F. c. 2 im Feuer des Strahlers schmolz.

Die Gestalt des Sohnes neben der des Vaters. Deutlicher, weniger durchsichtig. Der Vater an ein altes, schon verblaßtes Bild gemahnend, der Sohn in den frischen Farben des Lebens. Sich umschlingend, standen die beiden Gestalten vor ihm.

Glossin fühlte, wie sein Leben entfloh. Er machte keine Anstrengung, es zu halten. Er sehnte sich fort von allen quälenden Bildern und Erinnerungen in ein Land des Vergessens, des Nichtwissens.

Die beiden Gestalten blieben. Eine dritte trat hinzu. Die braune Figur eines Inders. In dem dunklen Antlitz standen groß und strahlend die Augen, ruhten mit bannender Gewalt auf dem Sterbenden.

Nun war es, als ob Atma, der Inder, alle Gedanken Glossins mitfühlte, als ob beide Gehirne zu einem verschmolzen.

Stärker wurde die Sehnsucht des Sterbenden nach wunschloser Ruhe.

»Du suchst das Nirwana. Du bist ihm fern.«

Kein Wort war im Raum gefallen, und doch hatte Dr. Glossin den deutlichen Eindruck der Worte:

»Die Stunde ist gekommen.«

 

Laut sprach Atma die Worte. Das stockende Blut begann wieder zu fließen, und mit dem roten Strom entwich das Leben. Ein Seufzer, ein letztes Zucken. Glossin war in das dunkle Land gegangen, aus dem es keine Wiederkehr gibt.

Die Sonne war unter den Horizont gegangen, und die Schatten beginnender Dämmerung breiteten sich über die Straßen und Häuser Düsseldorfs aus. In dem alten, bequemen Lehnstuhl am Fenster saß der alte Termölen, die lange Pfeife zwischen den Lippen, und stieß in langen Pausen kräuselnde Wolken bläulichen Rauches in den Raum. Frau Luise ging ordnend im Zimmer hin und her.

Jane Bursfeld hatte ihren Platz auf der breiten Bank, die den mächtigen Delfter Ofen umzog.

Das ungewisse Zwielicht verbot das Lesen, und Jane ließ ihr Buch sinken. Sie saß und hörte auf die Worte, die der alte Termölen zwischen den Dampfwolken von den Lippen fallen ließ.

»Das Rad dreht sich, Jane. Sprach nicht dein Freund, der Inder, immer davon?«

Jane blickte sinnend auf.

»Er sprach davon. Vom Rad des Lebens, auf das wir alle gebunden sind.«

»So mein ich es nicht, Jane. Ich meine das Rad der Weltgeschichte, das die Völker herauf- und herunterbringt. … Heute ist die Berliner Konferenz zu Ende gegangen … Wie weit muß ich zurückdenken … bis in meine früheste Kindheit … Meine Eltern sprachen von Bismarck und vom alten Kaiser … später hörte ich von der Berliner Konferenz, die unter dem Vorsitze des Fürsten Bismarck getagt hatte … Anno 1879 … Die Staatsmänner Europas kamen in Berlin zusammen, berieten im Herzen Europas über das Schicksal ihres Erdteiles … Jetzt war wieder eine Konferenz in Berlin, Sechsundsiebzig Jahre später. Was ist in den sechsundsiebzig Jahren alles passiert.«

Andreas Termölen machte sich mit seiner Pfeife zu schaffen. Jane nahm den Faden seiner Rede auf.

»Lord Horace war nicht in froher Laune, als er vor vierzehn Tagen mit mir nach Deutschland fuhr. Er war ernster als ich ihn sonst kannte.«

»Das glaube ich dir aufs Wort, Hannchen. Die Engländer haben keinen Grund, fröhlich zu sein. Sie dachten, was Englisch spricht, gehört auch zum englischen Weltreich. Australien, Afrika, Amerika … alle Weltteile wurden englisch, und sie dachten, das würde in aller Ewigkeit so bleiben. Sie hatten das Schicksal von Spanien und Portugal vergessen. Glaubten, die gemeinsame Sprache und Sitte müßten die Kolonien ewig an London binden.

Jetzt ist das ganz anders gekommen. Die Kolonien verlangen ihre volle Selbständigkeit, und das Mutterland hat sie nicht halten können.

Die Welt gehört den English speakers! Das Wort kam wohl so um 1900 auf und schien mit jedem folgenden Jahrzehnt immer mehr Wahrheit zu werden …«

Die Gedanken des alten Termölen flogen die Jahrzehnte zurück.

»1904 … wir waren damals im ersten Jahr verheiratet … da ging der Kampf in Ostasien los. Zur höheren Ehre Englands schlug der Japaner den Russen.

Und dann kamen die Balkankriege … und dann kam der große Weltbrand Anno 14 bis 18 …«

Es war immer dämmriger in dem Raum geworden. Schon warfen die Straßenlaternen ihre Lichtreflexe gegen die Zimmerdecke. Schweigend saßen die beiden Frauen und lauschten den Worten des alten Mannes, der abgerissen die Erinnerungen seiner achtzig Jahre vorüberziehen ließ.

»… und da waren wir ganz unten. Man wußte in Deutschland nichts mehr von Bismarck und seinem Vermächtnis. Die anderen im Osten und Westen machten mit uns, was sie wollten, solange wir es uns gefallen ließen … gefallen lassen mußten … Europa war krank, weil sein Herz krank war. Die Welt gehörte den English speakers …

Und dann kam Rußland wieder hoch …

Und dann ging es im fernen Osten los. Der Japs überrannte den Amerikaner …

Und dann kam die amerikanische Revolution … und dann kam Cyrus Stonard …

Und dann kam der Englisch-Amerikanische Krieg … und dann kam die Macht … Die geheimnisvolle Macht. … Wie ein Komet glänzte sie plötzlich auf …«

Verhaltenes Schluchzen unterbrach das Selbstgespräch des alten Termölen. Es war Jane, die, von der Erinnerung an ihr kurzes Glück überwältigt, die Tränen nicht zurückhalten konnte.

»Silvester … Erik Truwor … Soma Atma … Wo sind sie? … Wo sind sie geblieben? Silvester ist tot, mir auf immer entrissen … Erik Truwor ging in Sturm und Brand zugrunde … Die Macht ist verschwunden, wie sie kam …«

Der alte Termölen antwortete:

»Verschwunden … vielleicht … verloren …? Es waren drei … drei Träger der Macht. Zwei sind tot. Der dritte, der Inder, lebt noch …«

»Ja! Einer von den dreien blieb übrig.« Jane sagte es. »Soma Atma blieb am Leben, während Silvester sterben mußte … Soma Atma. Warum … warum …?«

»Weil sein Geschick noch nicht erfüllt ist …«

Eine andere Stimme sprach die Worte, Jane wohlvertraut.

»Atma! … Soma Atma, bist du hier?«

Jane richtete sich auf, blickte gegen die Tür und meinte im letzten Dämmerschein die dunkle Gestalt Atmas vor sich zu sehen.

»Atma, du?«

»Ich bin hier, Jane. Ich bin bei dir. Mein Schicksal ist noch nicht erfüllt. Ich muß dir zur Seite stehen, bis der Erbe Silvesters sein Schicksal selber formt. Die Macht ist nicht verloren. Nur verwahrt und verborgen, bis der kommt, der mit reinem Herzen und mit reinen Händen nach ihr greift.«

Jane hörte die Stimme, fühlte, wie eine dunkle Hand sanft über ihren Scheitel strich, wie irgend etwas leise in ihren Schoß fiel. Sah die Gestalt Atmas nach der Tür zu lautlos verschwinden, wie sie gekommen.

Sie blickte um sich. Da saß der alte Termölen, wie er noch eben gesessen. Auf die dämmrige Straße schauend, auf der sich die ersten Lichter entzündeten. Da schaffte die alte Frau nach wie vor an den Tassen und Gläsern der Servante.

Jane wußte nicht, ob sie wache oder träume. War das alles nur ein Spiel ihrer überreizten Sinne oder Wirklichkeit?

Noch hörte sie die letzten Worte Atmas im Ohr klingen:

»Bis einer kommt, der mit reinem Herzen und mit reinen Händen nach der Macht greift.«

Sie dachte ihres Kindes, das hier nach dem Vermächtnis Silvesters in der alten deutschen Heimat aufwachsen sollte.

Sie griff in ihren Schoß, und ihre Finger fühlten kühles Metall.

Sie hob es langsam zu ihren Augen empor und sah den schweren alten Goldreif mit dem wunderlichen Stein, den sie sooft an der Hand Silvesters erblickt hatte. Den Ring, der Silvester an die Macht gebunden, ihn bis zu seinem Tod in den Dienst der Macht gezwungen hatte.

Es war eine Gabe des letzten noch lebenden Trägers der Macht für sie … für ihren Knaben.

Die Stimme des alten Termölen drang in ihr Sinnen:

»… Die Macht … die unendliche Macht. Woher kam sie? … Wohin ging sie? … Warum?« …