Tasuta

Die Macht der Drei

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Dr. Glossin erhob sich mit einem Ruck von dem Schemel.

»Wir müssen klar sehen, bevor Cyrus Stonard den Schlag wagt. Es wäre unmöglich, wenn die Gegner das Geheimnis besitzen.«

Mit zweihundertachtzig Metern in der Sekunde schoß R. F. c. 1 Kurs Nordwest zu Nord über den Lorenzgolf dahin. Land und See lagen dreißig Kilometer unter dem Rapid Flyer. Automatisch arbeiteten die Benzolturbinen des Kreuzers, und selbsttätig regulierte die einmal eingestellte Steuerung den Kurs und die Höhenlage.

Nur drei Personen befanden sich im Flugschiff im Zentralraum. In einem Korbsessel, leicht ausgestreckt, die Gestalt eines etwa Dreißigjährigen. Die Farbe seines Haupthaares war nicht zu erkennen. Es war ganz kurz geschnitten, wie rasiert. Die Farbe des Antlitzes zeigte eine Nuance in das Gelblich-Rötliche, wie man sie an Menschen der weißen Rasse kennt, die lange in den Tropen gelebt haben. Die hohe Stirn wies auf geistige Bedeutung. Ein schwarzer Anzug von eigenartig schlotterndem Schnitt umschloß die Glieder.

Ein anderer machte sich an den Hebeln und Reguliervorrichtungen zu schaffen, die von der Zentrale aus den Gang der Turbinen beeinflußten. Er war blond, blauäugig, von nordischem Typus. Eine jener hochgewachsenen reckenhaften Gestalten, wie man sie bis auf die Gegenwart in den Tälern von Darlekarlien bis hinauf zum Ulea und Tornea findet.

Ein Dritter durchspähte am Ausguck der Zentrale mit scharfem Glase den Raum unter dem Flugzeug. Braunhäutig, auch in seiner europäischen Tracht als indisches Vollblut kenntlich.

Die Unterhaltung wurde in wechselnder Sprache geführt. Bald schwedisch, bald deutsch. Bald wurde von allen Dreien fließend und geläufig ein reines Tibetanisch gesprochen und bald wieder Englisch. Sie wechselten die Sprache in irgendeinem Satze der Unterhaltung, wie gerade irgendein Wort den Anstoß dazu gab.

Silvester Bursfeld war es, der noch im Hinrichtungsanzug mit kahl geschorenem Schädel in dem Sessel ruhte.

Erik Truwor, der Schwede aus altem, warägischem Dynastengeschlecht, bediente die Hebel für die Maschinen und die Steuerung. Noch in der ernsten bürgerlichen Kleidung, in der er als Zeuge zu der Elektrokution gegangen war.

Soma Atma, der Inder, stand spähend am Ausguck. Jetzt ließ er das Glas sinken und wandte sich den beiden anderen zu.

»Wir sind durch! Der letzte amerikanische Kreuzer ist hinter uns aus dem Gesichtsfeld entschwunden.«

»Wir sind durch!« Erik Truwor wiederholte die Worte und stellte die automatische Steuerung fest ein. Mit frohem Lächeln wandte er sich zu Silvester Bursfeld.

»Das schwerste Stück liegt hinter uns! Ich denke, Logg Sar, wir sind in Sicherheit. Wir fahren im schnellsten Flugschiff der Welt. Ein zweites Schiff der Type existiert noch nicht. Jetzt haben wir Ruhe und können sprechen.«

Der Schwede trat ganz nahe an den Sitzenden heran und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Wir sind in Sicherheit, Logg Sar. Noch wenige Stunden, und wir stehen auf schwedischem Boden. Armer Freund! Sie haben dir böse mitgespielt. Wir haben es ihnen vergolten. Sie werden in Sing-Sing noch lange an den heutigen Tag denken. Du mußt ihn möglichst schnell vergessen.«

Silvester Bursfeld sammelte sich, bevor er stockend zu antworten begann. Die ungeheure Erregung der letzten vierundzwanzig Stunden führte jetzt zu der unausbleiblichen Reaktion.

»Weißt du, was es heißt, mit dem Leben abschließen zu müssen? Den Tod, einen schimpflichen und qualvollen Tod unaufhaltsam heranrücken zu sehen?«

Der Sprecher schauderte zusammen.

»Die Stunden werde ich nie vergessen. Plötzlich gefangen … eine Farce von einem Gericht … zum Tode verurteilt. Im Besitze des Rettungsmittels und unfähig, es anzuwenden … dann erblickte ich dich unter den Zeugen. Unsere Blicke trafen sich, und ich wagte ganz leise zu hoffen … Haben die anderen das Geheimnis gefunden?«

Erik Truwor hatte eine faustgroße Messingkapsel zwischen den Händen, ein reichverziertes, mit winzigen Glöckchen behangenes zylindrisches Gebilde. Er hielt die Kapsel in der Linken und drehte mit der Rechten mechanisch einen Knopf.

»Sie haben es nicht entdeckt. Nach dem ersten Besuche des Dr. Glossin kamen wir in deine Räume. Ich suchte, und Atma fand. Er sah den Tschosor …«

Der Schwede fiel bei dem tibetanischen Worte wieder ins Tibetanische.

»Atma öffnete die Gebetmühle und sah, daß der Text auf den Streifen nicht vom Kleinod im Lotos sprach. Wir lasen deine Anweisung. Einen halben Tag brauchte ich, um sie zu verstehen. Noch einen halben Tag, um die versteckten Teile zu finden und wieder zusammenzubauen. Dann hatten wir den Strahler! In seinem Besitze, in der Kenntnis des Geheimnisses war es uns leicht, die Maschine zu sprengen.«

Mit zitternden Händen griff Silvester Bursfeld nach der Gebetmühle und streichelte sie liebkosend.

»Das Geheimnis ist gerettet. Alles, was ich darüber schrieb, steht auf den Bändern. Ich will ihnen …«

Zorn und Erregung malten sich auf seinen Zügen.

»Ich will ihnen Brände und Stürme schicken, daß sie …«

Erik Truwor hob beschwörend die Rechte. Ein goldener Schlangenring von alter indischer Arbeit gleißte am vierten Finger. Ein Stein schimmerte darin in wundersamem Farbenspiel. Bald glänzte er tiefgrün, und dann wieder, wenn ein Strahl der elektrischen Lampe ihn traf, sandte er blutrotes Rubinlicht aus.

Atma trat hinzu. Der gleiche Ring erglänzte an seiner Hand wie an der seines Gefährten. In Überraschung und Staunen weiteten sich die Augen Silvesters. Zwischen den beiden Ringen wanderten seine Blicke hin und her und hafteten dann auf dem leeren Ringfinger der eigenen Hand.

»Die drei Ringe des Tsongkapa … Die alte Prophezeiung … Vom Anfang des Bogens der Wille … Vom Ende das Wissen … von Mitternacht … mein Ring fehlt …«

War es das Flimmern der Steine, war es der strahlende Blick des Inders, Silvester Bursfeld hielt stockend inne und schloß die Augen zu tiefem Schlaf.

Atma kehrte auf seinen Beobachtungsposten zurück.

Erik Truwor hantierte am Empfangsapparat der telegraphischen Station. Mit schnellen Blicken überflog er die Zeichen des aus dem Apparate quellenden Streifens. Dann ein Wink an den dunklen Gefährten. Der schob und drehte das schimmernde Aluminiumrad der selbsttätigen Steuerung, bis die schwarze Marke genau über der Spitze des nordweisenden Kreisels stand, der die Steuerung betätigte. In weit ausholendem Bogen gehorchte das Flugschiff der Steuerung und schoß über Labrador hin nordwärts gerichtet auf den Pol zu.

Der Schwede wies auf die Telegrammstreifen.

»Amerikanische Kreuzer auf Grönland und über Island. Wir müssen über den Pol gehen, um die Sperre zu meiden.«

Atma hörte, und ein stärkerer Glanz leuchtete in seinen großen strahlenden Augen.

»Gezwungen?«

»Gezwungen!«

Der Inder nahm die alte Weissagung da wieder auf, wo Silvester, in den Schlaf fallend, gestockt hatte.

»… Von Mitternacht kommt die Macht.«

Erik Truwor erschauerte. Er kannte die Weissagung. Der Moment trat ihm vor die Augen, als der greise Abt von Pankong Tzo ihm den Ring auf den Finger schob und dazu nur die Worte sprach: »Das ist der dritte!«

Es ging um die alte, so schwer deutbare Prophezeiung, an der sich die Ausleger seit siebenhundert Jahren versuchten. Erik Truwor war ein moderner Mensch. Er beherrschte das Wissen der Gegenwart, kannte als Ingenieur die Naturwissenschaft seiner Zeit. So hatte er den Ring genommen und hatte ihn mit den Blicken des Naturforschers betrachtet. Der Stein, eine Abart des Chrysoberyll, ein gut geschliffener Alexandrit, der die Eigenschaft besitzt, in natürlichem Lichte grün, in künstlichem rot zu leuchten. Die Prophezeiung … eine jener vielen aus der Vorzeit überkommenen dunklen Weissagungen, die man in jedem Jahrhundert auf die Ereignisse der Zeit zu deuten versucht. Erik Truwor wollte ihr skeptisch gegenüberstehen und brachte es doch nicht fertig. Zu sehr klangen die Worte des Tsongkapa mit alten dunklen Überlieferungen zusammen, die in seinem Vaterhaus umgingen. Zu sehr auch brachten sie in seinem Gemüt eine Saite zum Mitschwingen, die wohl nur leise angeschlagen zu werden brauchte, um zu klingen. Schon einmal sollten die Truwors vor mehr als tausend Jahren den Völkern in den weiten Steppen Rußlands einen Herrscher gegeben haben. Aber über diese geschichtliche Überlieferung ging die Legende hinaus, daß es nicht das letztemal gewesen sein sollte. Ein dunkles Grenzgebiet tat sich hier auf. Ein Ineinanderfließen grauer Vergangenheit und ferner Zukunft.

Erik Truwor hätte lächeln mögen, wenn er nicht im fernen Osten Dinge gesehen hätte, die ihm das Lachen verlegten. Dinge, für die das eherne Kausalitätsgesetz seine Wirkung zu verlieren schien. Erscheinungen, bei denen Zeit und Raum ihre Ausdehnung verloren. War es blinder Zufall oder war es irgendeine Fügung, daß sie jetzt infolge der erzwungenen Abweichung vom kürzesten Kurs direkt vom Pol her genau aus Mitternacht in ihre Heimat stoßen mußten?

»… Aus Mitternacht kommt die Macht«, sagte die alte Weissagung. Er entsann sich ihrer jetzt Wort für Wort.

»Vom Anfang des Bogens kommt der Wille«, das ließ sich auf Atma, den im fernen Osten Geborenen, deuten, der die Fähigkeit der Willensübertragung, der telepathischen Fernwirkung in übermenschlichem Maße besaß.

»Vom Ende das Wissen.«

Das mochte wohl auf den Mann gehen, der dort ruhig im Stuhle schlummerte und Erfindungen von so gewaltiger Tragweite gemacht hatte.

»Von Mitternacht kommt die Macht.« Wörtlich ließ es sich jetzt auf sie alle drei zusammen deuten …

Die Steuerung des Kreuzers wurde von Minute zu Minute unsicherer. Der steuernde Kreisel, dessen Achse an jedem Punkte der Erde auf den Polarstern weist, stand jetzt genau senkrecht.

Erik Truwor blickte durch die Scheiben nach unten. Wo die Wolken einen Durchblick ließen, wurden unendlich ausgedehnte Eis- und Schneeflächen sichtbar. Der Kreuzer stand genau über dem Pol. Wohin immer er jetzt fuhr, er mußte nach Süden fahren und aus Mitternacht kommen.

 

Mit fester Hand griff der Schwede in die Speichen der Steuerung. In weitem Bogen schwenkte das Schiff um einen Winkel von fünfundvierzig Grad und schlug den Kurs auf die Ostecke von Spitzbergen ein. Minuten verstrichen. Dann nahm der steuernde Kreisel ganz allmählich eine schräge Lage an. Die automatische Steuerung begann wieder zu arbeiten, und Erik Truwor konnte zur drahtlosen Station zurücktreten.

Atma wies ihm stumm den Papierstreifen, der inzwischen viele Meter lang unter dem Schreibrad hervorgequollen war … Aufregende Depeschen aus Amerika. Der Krieg mit England so gut wie sicher. Kühle Auslassungen von Washington. Dann wieder siedend heiße Telegramme der amerikanischen Presse. R. F. c. 1 spielte die Hauptrolle darin.

Die amerikanischen Wachtflieger sollten seine Landung in Schottland beobachtet haben. Der Äther war voll von gefährlichen Nachrichten.

Erik Truwor las, während die Stunden der Fahrt sich summten. Endlich hatten sie das offene Meer unter sich. Das Nordkap kam in Sicht. Gebirge, Fjorde, weite Flächen … alles noch in bläulichem Nebel verschwommen. Jetzt schoß der Flieger mit starkem Gefälle nach unten. Seine Geschwindigkeit nahm ab, als er in die dichteren Luftschichten eindrang. Dann senkte er sich mit stehenden Maschinen im Gleitflug und stand auf einer weiten, nur mit Heidekraut bewachsenen Fläche still.

Atma trat auf den Schläfer zu und strich ihm leicht über die Augen. Silvester Bursfeld erwachte und erhob sich erfrischt. Der magnetische Schlaf hatte die Spuren der erlittenen Anstrengungen und Leiden verwischt. Nur noch das kurze Haar und der ominöse Anzug erinnerten daran, daß er vor zehn Stunden zum Tode geführt werden sollte.

Als Erster sprang Erik Truwor aus dem Schiff und stand fest und sicher auf dem heimatlichen Boden. Sorglich half er Silvester beim Verlassen des Fliegers.

»Willkommen auf heimatlichem Boden! Willkommen, Silvester, im alten Schweden, in unserem Linnais! Ein neues Leben beginnt heute für uns alle. Deine Erfindung, Silvester, ist größer, als du selbst vielleicht denkst und ahnst. Das Schicksal hat uns viel gegeben. Wir werden uns der Gabe würdig zeigen müssen.«

Soma Atma war als der Letzte aus dem Flugschiff gesprungen. Seine Frage unterbrach den Gedankenflug Erik Truwors.

»Wohin mit dem Flugschiff? Hier darf es nicht stehen. Die Luft hat Augen.«

Silvester Bursfeld trat näher und strich liebkosend über die silbern schimmernde Wand des Schiffes. An den Körper einer Schwalbe erinnerte sein Rumpf. Schmal und schnittig, daß die Luft es noch sanft umstrich, wenn es mit Flintenkugelgeschwindigkeit durch den Äther dahinschoß. Der Rumpf vom langausgezogenen Steuerschwanz bis zum Motorkopf kaum zwölf Meter lang. Die Schwingen zu ebener Erde jetzt zusammengefaltet und an den Rumpf gelegt wie die Flügel einer ruhenden Schwalbe. In der dünnen Atmosphäre, in dreißig Kilometer Höhe, da reckten sich diese blanken Flächen aus, streckten sich von innen her gespreizt weit nach beiden Seiten, bis sie fünfzig Meter klafterten.

Auf leichten Rädern stand der zierliche Rumpf mit angefalteten Schwingen.

»Die Yankees sollen das Schiff nicht wiederhaben! Ein Andenken sind sie mir für den elektrischen Stuhl schuldig.«

Silvester knurrte es unwillig vor sich hin.

»Du hast recht. Wir können die Maschine selbst gebrauchen. Moralische Verpflichtungen haben wir nach deinem Abenteuer nicht mehr. Das Schiff findet Platz in der Odinshöhle.«

Silvester Bursfeld trug an einem Riemen an der rechten Hüfte einen kleinen Kasten aus poliertem Zedernholz. Er ergriff ihn, wie man nach einem Krimstecher greift. Einige Griffe an ein paar Stellschrauben des Apparates, und wie von Geisterhänden berührt, begann das Flugschiff auf dem ebenen Heideboden langsam voranzurollen. So gemächlich, daß seine drei bisherigen Passagiere ihm im bequemen Schritt zu folgen vermochten. Etwa wie ein gut dressierter Hund lief es vor ihnen her, während Silvester Bursfeld es mit seinem Apparat verfolgte wie ein Photograph ein Objekt, das er auf die Platte bannen will.

Nun war das Ende der Hochebene erreicht. Mit steilem Gefälle führte der Weg mehrere hundert Meter in die Tiefe zum Torneaelf hinab. Sich selbst überlassen, mußte die Maschine auf diesem Pfade ins Rollen kommen, mußte umschlagen oder zerschellen. Aber war sie bisher wie ein Hund gelaufen, so kletterte sie jetzt wie eine Gemse. Vorsichtig wand sie sich auf dem schmalen Pfade dahin … und jetzt … Silvester Bursfeld neigte seinen Apparat nach oben, und die schwere Maschine hob sich vom ungangbaren Pfade in die Luft. Während ihre Propeller stillstanden, während ihre Schwingen dicht gefaltet am Rumpf lagen, gaukelte sie wie ein Schmetterling vor den Wanderern dahin, die den engen Pfad hinabstiegen. Nun bogen sie seitlich vom Wege in ein Gewirr von Blöcken und Heidekraut am Abhange ein. Noch wenige hundert Meter, und eine dunkle Öffnung gähnte am Hange.

Silvester Bursfeld arbeitete mit seinem Apparat wie ein Künstler. Er hob und senkte, drehte und richtete ihn, kam im Bogen schließlich gerade vor jene Öffnung zu stehen. Vor ihm schwebte das schwere Flugschiff.

In langsamer vorsichtiger Wendung kehrte es seine Spitze der Öffnung zu. Jetzt tauchte es in die Dunkelheit, und jetzt war es verschwunden. Silvester folgte ihm, während Erik Truwor einen Handscheinwerfer in Tätigkeit setzte, der die Höhle mit blendendem Licht erfüllte.

Noch etwa hundert Meter Weg in der geräumigen, hier von der Natur in das Urgestein gesprengten Höhle. Eine kurze Schwenkung nach links. Das Flugschiff verschwand hinter gewaltigen Basaltsäulen. Wie Silvester jetzt den Strahler senkte, senkte sich auch das Schiff. Seine Räder berührten den Boden und nun stand es sicher und unbeweglich auf der ebenen, mit trockenem Sand bedeckten Basis der Höhle. Silvester Bursfeld setzte die Schrauben seines Apparates auf die Nullstellung und ließ ihn wieder auf seine Hüfte hinabgleiten.

»So! Hier wird es niemand entdecken! Wenigstens nicht, wenn die Leute in der Gegend noch denselben Respekt vor der Odinshöhle haben wie früher.«

»Sie haben ihn. Die Schäfer und Waldläufer hier glauben immer noch, daß allerhand Geister in der Höhle hausen.«

Erik Truwor sagte es lachend.

»Selbst am lichten Tage machen sie einen Bogen um die Höhle. So leicht wagt sich niemand hinein, so breit und offen ihr Eingang auch daliegt. Sie haben Respekt davor, und sollte er nachlassen, so haben wir das Mittel, ihn wieder aufzufrischen.«

Er deutete dabei auf den Strahler an Silvesters Seite. Aus dem Dunkel der Höhle traten die drei wieder an den sonnigen Tag. Sie folgten dem Pfade flußabwärts und erreichten das alte Stammhaus der Truwors, das hier aus Birken und Föhren hervor auf den Torneaelf hinabschaute.

»Britannia rules the waves, Britannia rules the winds.« Aus Hunderttausenden von Kehlen drang die alte Melodie mit neuem Text und brauste über die blauen Wasser des Solent. Die Flotte der leichten englischen Luftstreitkräfte war plötzlich am Himmel sichtbar geworden. Ihr Erscheinen bildete den Auftakt und Anfang der großen Wettbewerbe, die am 11. Juni von der Aeronautical Federation of G. B. und dem Imperial Aero Club über dem Meeresarm zwischen der Insel Wight und der englischen Küste veranstaltet wurden. In Geschwadern zu je hundert kamen die Flugzeuge angeschossen. Tauchten irgendwo in der Ferne aus dem Blau des Himmels oder des Ozeans auf. Bildeten zu hundert in der Luft ein lateinisches V wie die Zugvögel und hielten die Figur genau geschlossen, während sie allerlei Evolutionen vollführten.

Geschwader auf Geschwader tauchte auf, bis es schließlich ihrer tausend waren. Bis hunderttausend Flugzeuge in einer dichten Wolke den Azur des Firmaments mit dem silbernen Schimmer blanken Leichtmetalles durchsetzten.

Die Menge, welche schwarz die Ufer und Klippen des Solent umsäumte, sang spontan das alte Lied. Unbekümmert von aller politischen Spannung waren die Massen hierher gepilgert, um ein sportliches Schauspiel zu sehen. Aber der Anblick der unüberwindlichen englischen Luftflotte führte zu diesem elementaren Ausbruch patriotischen Gefühles. Geschickt hatten es die Regierenden verstanden, dem Empfinden der Menge Rechnung zu tragen und sich gleichzeitig von der Schlagfertigkeit und Alarmbereitschaft der Luftflotte zu überzeugen. Das Singen, das Schwenken von Tüchern und Hüten nahm kein Ende, solange noch ein Flugzeug zu sehen war. Dann … so plötzlich wie die Flotte auftauchte, war sie auch wieder verschwunden. Von Yarmouth bis zum Atlantik, von den Orkneys bis zu den Kanalinseln stand sie wieder über den Küsten wie ein geschlossener Hornissenschwarm. Bereit, jeden Gegner auf dem Wasser und in der Luft mit giftigem Stachel anzufallen und zu vernichten.

Ein Teil des Uferfeldes war von der Menge frei gehalten worden. Hier lagen die Luftjachten, in denen die vornehmen Mitglieder der veranstaltenden Klubs zu dem Schauspiele gekommen waren. Dort schwer und breit, mit überreichem Zierat beladen, goldglänzend die Jacht des Radscha von Rankure. Wenige Meter davon entfernt die wundervollen Flugschiffe der Norfolks, Sommersets, der Cecils und vieler anderer. In der Mitte von allen diesen der gestreckte Leib einer Aluminiumjacht. Sie gehörte dem Vierten Lord der britischen Admiralität, Seiner Herrlichkeit Lord Horace Maitland auf Maitland Castle.

Lord Horace Maitland hatte in seiner amtlichen Stellung die Verwaltung der Luftstreitkräfte unter sich. Er gehörte dem Präsidium des Imperial Aero Club an, und der große Empfangssalon seiner Jacht bildete den Treffort für alle diese Aristokraten der Geburt und des Geldes, deren Flugschiffe das Feld bedeckten.

Der Salon der Jacht bot durch große Zellonspiegelscheiben nach drei Seiten hin freien Ausblick. Nur die vierte Wand war massiv. Zwei schmale Türen führten zu den Privat- und Wirtschaftsräumen des Flugschiffes. Den mittleren Teil der Wand nahm eine Gruppe von Palmen und Blattpflanzen ein. Ein gewaltiger Löwenkopf aus schwerer Bronze war etwa in Brusthöhe an der Wand befestigt und warf einen Strahl frischen Wassers in ein Muschelbecken zwischen den Palmen. Sessel und Tische waren dazwischen gruppiert.

Hier saß die Herrin der Jacht, Lady Diana Maitland, im Kreise ihrer Besucherinnen. Wie die Herren ausnahmslos im Klubanzug erschienen waren, so trug auch Lady Diana den Sportdreß des Aeroklubs. Schlank und rank erschien ihre jugendliche Gestalt in dem fußfreien Rock und dem enganschließenden Jackett aus marineblauem Tuch. Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgten auch die Damen die Vorgänge in den Lüften, mit besonderem Interesse Lady Diana selbst. Immer wieder hob sie den Feldstecher empor, um sich keine Einzelheit entgehen zu lassen. Ihre dunklen Augen blitzten erregt. Eine leichte Röte lag auf ihren Wangen. Jeder Nerv in ihr vibrierte, als ob sie selbst an den Wettkämpfen dort oben teilnähme. Ein Beobachter hätte unschwer feststellen können, daß ihr Temperament und Wesen nicht englisch waren, daß nicht allein ihre Eigenschaft als Gattin des Luftministers sie besonders an diesen Vorführungen interessierte, sondern daß ihre andersgeartete Natur die Freude an den aufregenden Kampfspielen viel stärker zu erkennen gab, als es bei den Damen ihrer Umgebung der Fall war, deren schwerflüssiges englisches Blut auch hier die gewohnte kühle Reserve wahrte.

Die letzten Flieger der englischen Wehrmacht waren am Horizont verschwunden. Alle Gäste wußten, daß man das eben gesehene Schauspiel den Anordnungen des Lords zu verdanken hatte, und sie hielten mit ihrer Anerkennung nicht zurück.

»Brillant,« knurrte Kommodore Morison, »schade, daß die Amerikaner nicht dabei waren. Würden es sich danach überlegen, mit uns anzubinden.«

»Die Amerikaner werden nicht kommen«, bemerkte Mr. Pykett, der australische Baumwollkönig, trocken.

»Wetten, daß sie kommen?« fiel ihm der Viscount Robarts ins Wort. Viscount William Robarts, der nie eine Gelegenheit vorübergehen ließ, eine Wette zu riskieren.

»Ich glaube doch nicht«, meinte Mr. Pykett.

Der Viscount zog die Uhr. »Zehn Pfund darauf, daß das erste amerikanische Boot in fünf Minuten hier ist.«

Lord Horace Maitland stand dicht dabei. Ein Zucken lief über die scharfgeschnittenen Züge seines glatt rasierten Gesichtes. Er kannte Amerika und die Amerikaner. Heute war er ein angehender Vierziger. Seit drei Jahren Inhaber des Lordtitels und der damit verbundenen Einkünfte. Aber die Lordschaft war ganz unverhofft durch eine Reihe von Todesfällen an ihn gekommen. Die vorangehenden zehn Jahre hatte er als einfacher Mr. Clinton in den Vereinigten Staaten gelebt. Nicht sehr begütert. Genötigt, im Strome des Lebens zu schwimmen und den Kampf ums Dasein zu führen. Damals, es waren jetzt fünf Jahre her, hatte er Diana, die eine berühmte Sängerin an der Chikagoer Metropolitan-Oper war, geehelicht, hatte noch zwei Jahre mit ihr in den Staaten gelebt, bis die Pairie an ihn fiel. Er brachte in die Stellung des englischen Aristokraten die Lebens- und Menschenkenntnis eines amerikanischen Kaufmannes mit. Was Wunder, daß er bald auch im politischen Leben eine Rolle spielte und verhältnismäßig jung das verantwortliche Amt eines Lords der Admiralität bekleidete.

 

Weniger leicht war es seiner Gattin gemacht worden, in der englischen Gesellschaft festen Fuß zu fassen. Schon bei ihren ersten Schritten fühlte sie instinktiv eine von Mißtrauen nicht freie Zurückhaltung heraus, die der gewesenen Sängerin galt. Der Ton der Gesellschaft war wenigstens von seiten des weiblichen Teils auf vorsichtige Duldung eingestellt. Aber Lady Diana Maitland, die polnische Magnatentochter, war keinen Augenblick gewillt, sich nur dulden zu lassen. Ein stiller, zäher Kampf begann. Schritt für Schritt eroberte sich Lady Diana die Stellung, die ihr nach dem Range ihres Gatten und ihrer Geburt zukam. Und wenn sie heute als eine der ersten Damen des englischen Highlife dastand, so verdankte sie es in erster Linie den eigenen geistigen und körperlichen Vorzügen. Ihre Ehe galt nicht nur als mustergültig, sondern als glücklich, wenn ihr Nachkommenschaft auch bisher versagt war.

Viscount Robarts wiederholte sein Angebot.

»Zehn Pfund darauf, daß das erste amerikanische Boot um viertel elf hier ist.«

Mr. Pykett nahm die Wette an.

»Hundert Pfund dagegen, daß um viertel elf kein amerikanisches Boot hier ist. Fünfzig Pfund dagegen, daß bis Mittag überhaupt keins kommt.«

Die Gedanken Lord Maitlands jagten einander. Mr. Pykett gehörte dem australischen Parlament an. Er mußte genau die Fäden kennen, die sich zwischen Amerika und Australien spannen. Es hatte sicher seine Gründe, wenn er auf das Nichterscheinen der Amerikaner wettete. Aber Lord Maitland empfing auch von Viertelstunde zu Viertelstunde die Telegramme aus Amerika, und er fand, daß die aufreizende Sprache der Yankeepresse in den Morgenstunden an Schärfe verloren hatte. Wollte man England einwiegen, um es dann um so sicherer überfallen zu können? Oder hatte sich Cyrus Stonard besonnen und die Auseinandersetzung aufgeschoben? Er fand keine sichere Antwort auf diese Fragen.

Seine Betrachtungen wurden unterbrochen. Ein Punkt, der in den letzten Sekunden am Horizont sichtbar geworden war, hatte sich schnell vergrößert. Aus unendlicher Höhe stieß er herab und wuchs in jeder Sekunde, bis er sich breit und massig auf die blauen Fluten des Solent legte. Dort wogte das Luftschiff im Spiele der Wellen leicht auf und ab, rasselnd gingen die Anker in die Tiefe und legten den mächtigen Rumpf fest. Flatternd stieg das Sternenbanner am Heck hoch, und wie durch Zauberei spannte sich in wenigen Sekunden der bunte Schmuck der Flaggenparade längs über das Schiff. Cheerrufe aus der Menge begrüßten den ersten Transatlantik, dem in wenigen Minuten zwei weitere folgten.

Mr. Pykett schrieb ruhig einen Scheck über 150 Pfund aus und legte ihn in die Hände des Viscount Robarts. Während er das tat, stellte er sich im stillen die gleichen Fragen wie Lord Maitland. Warum ließ Cyrus Stonard noch Passagierboote hinüber? Hatte er sich im letzten Augenblick besonnen und die Auseinandersetzung aufgeschoben?

Die Atmosphäre war mit Politik geladen. Auch das Gespräch der Damen beeinflußte sie. In einer Pause der Gespräche hörte man deutlich die wohlklingende Stimme der Lady Diana:

»Wie sollten England und Amerika miteinander fechten? Die gemeinsame Sprache verhindert es ja. Sie ist das stärkste Band, das Menschen aneinanderbindet.«

Die Viscounteß Robarts nickte zustimmend. »Ich könnte es nicht begreifen, wie Englishspeakers sich gegenseitig morden sollten.«

Die Damen glaubten nicht an die Möglichkeit eines Krieges. Aber sie wußten auch wenig von der Politik und Staatsräson eines Cyrus Stonard.

Draußen begann der Wettbewerb der Tauchflieger. Von großen Höhen schossen die Flugschiffe herunter, durchschnitten klatschend die Wasserfläche, zogen noch eine kurze Spur quirlenden Propellerwassers hinter sich her und waren dann verschwunden. Als Unterseeboote setzten sie ihre Fahrt fort. Nach den Bedingungen des Wettbewerbes mußten sie unter Wasser eine lange Strecke zurücklegen, eine in fünfzig Meter Tiefe verankerte Boje aufnehmen und innerhalb vorgeschriebener Zeit an einer bestimmten Stelle wieder auftauchen.

Um die Amerikaboote tummelten sich die Zollbarkassen. Die Zollabfertigung dauerte nur kurze Zeit. Schon setzten die Transatlantiks selbst Motorboote aus. Einzelne der soeben Angekommenen gingen an Land, um hier Freunde und Bekannte zu treffen.

Der Weg für die Tauchflieger war lang. Deshalb schob das Programm ein Wettfliegen mit motorlosen Flugzeugen ein. Nach dem pomphaften Schauspiel der Luftflotte und dem dämonischen der Tauchflieger kam die Idylle. Von der höchsten Spitze der Uferklippen segelten die einzelnen Flieger ab. Wie die Schmetterlinge gaukelten sie mit geblähten Tragflächen in der Luft. Hingen oft fast bewegungslos an derselben Stelle, um dann plötzlich die Flügel zu recken und sich wie die Albatrosse in weiten Kreisen in die Höhe zu schrauben.

Viscount Robarts suchte, mit wem er eine neue Wette auf den Segelflug eingehen könne. Die übrigen Gäste Lord Maitlands verfolgten durch scharfe Gläser die immer höher steigenden Segler. Auf der Bordtreppe der Maitlandjacht wurden Schritte vernehmbar. Neue Gäste kamen. Sir Arthur Vernon, der Vorgänger Lord Maitlands in der Admiralität. Er führte einen Fremden in diesen Kreis ein.

»Herr Dr. Glossin aus Trenton in den Staaten …«

Während der Eingeführte sein Kompliment machte, fuhr Sir Arthur zu Lord Maitland gewendet kaum hörbar fort: »… Ein alter Freund von mir … Kann vielleicht helfen, die Krise zu lösen.«

Die wenigen Worte genügten, um dem Amerikaner einen Empfang zu sichern, dessen Herzlichkeit noch um eine Note über die übliche englische Gastfreundschaft hinausging.

Dr. Glossin widmete sich besonders der Herrin der Jacht. Zu ihrem Staunen lenkte er das Gespräch sehr bald auf solche Orte und Personen, die sie als Sängerin kennengelernt hatte, ohne doch ihren früheren Beruf mit einem Worte zu erwähnen.

Lady Diana wurde durch das Gespräch gefesselt und doch wieder innerlich abgestoßen. Sie spürte bei jedem Satz einen geheimnisvollen Doppelsinn und konnte sich dem Einfluß dieses Gastes doch nicht entziehen. Eine innere Stimme warnte sie, sich den Mann zu nah kommen zu lassen, und unter einem unwiderstehlichen Zwange brachten ihre Lippen gleichzeitig eine freundliche Einladung nach Maitland Castle zutage. Eine Einladung, die Lord Maitland dringend unterstützte. Es lag ihm daran, mit diesem einflußreichen Amerikaner in Fühlung zu bleiben.

Dr. Glossin dankte für die Aufforderung. Er nahm sie mit Vorbehalt an. Vorerst habe er noch in London zu tun. Danach würde er gern nach Maitland Castle kommen. Krieg und Kriegsgefahr … er lachte darüber. Das amerikanische Volk denkt nicht daran, sich mit den stammverwandten Briten in einen Krieg einzulassen. Preßzänkereien bedeuteten noch lange keinen Krieg.

Lord Maitland ging gerade auf das Ziel los. Die Aufregung der amerikanischen Presse sei durch die Entführung eines Flugzeuges hervorgerufen worden. Die amerikanische Presse habe behauptet, daß die Engländer es entführt hätten. Ob der Zwischenfall klargestellt sei.

Dr. Glossin wurde wortkarg. Die Entführung des Flugschiffes sei noch nicht völlig aufgeklärt. Bestimmte Beobachtungen deuteten aber auf eine bestimmte Spur. Er vermied es, hier in der Gegenwart so vieler Gäste mehr zu sagen. Aber Lord Maitland verstand, daß der Amerikaner ihm unter vier Augen mancherlei mitzuteilen habe, Dinge, die jedenfalls die größte Diskretion verlangten.