Tasuta

Die Macht der Drei

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Draußen nahmen die Konkurrenzen ihren Fortgang. Das Zwischenspiel der Segelflieger war beendet. Der Viscount Robarts hatte es zu seinem Leidwesen vorübergehen lassen müssen, ohne eine Wette unterbringen zu können. Unbelebt dehnte sich die Fläche des Solent. Aber mit den Stoppuhren in der Hand warteten die Preisrichter. Und jetzt … Wirbelnd schoß es wie ein Fisch aus dem Wasser, reckte im Augenblick des Auftauchens zwei kräftige Schwingen und flog in die Höhe. Der erste Flugtaucher war angekommen. Den Bedingungen der Konkurrenz entsprechend, stieg er bis auf zehntausend Meter Höhe, ging dann im Gleitflug nieder und legte sich ruhig auf das Wasser. Noch während er niederging, stieg bereits das zweite Boot aus dem Wasser in die Höhe. In kurzen Intervallen folgten die anderen Wettbewerber. Die Konstruktionen gaben sich gegenseitig kaum etwas nach. Die wenigen Sekunden, die das eine Boot etwa länger als das andere nach seiner Boje auf dem Grunde hatte suchen müssen, gaben den Ausschlag.

Jeder von den Zuschauern hier in der Jacht begriff, daß England in diesen Flugtauchern eine neue wirksame Waffe besaß. Diese Maschinen konnten in gleicher Weise U-Boote und Flugzeuge angreifen. Sie konnten den Ort des Kampfes nach eigenem Belieben über oder unter dem Wasser suchen.

Lord Maitland stand mit dem Doktor Glossin an einem der Fenster.

»Eine glänzende Erfindung! Ich denke, Sie werden Ihrem Präsidenten davon zu erzählen haben.«

Dr. Glossin lächelte höflich. Die Pläne der Flugtaucher waren längst in Washington.

»Es gibt etwas anderes, was uns gegenwärtig größere Sorge macht.«

Lord Maitland blickte fragend auf.

»Mein Lord, hörten Sie jemals etwas von telenergetischen Konzentrationen?«

Lord Maitland blickte so naturgetreu verdutzt auf, daß Dr. Glossin einsah, der Lord wisse wirklich nichts davon. Wenn aber der Vierte Lord der britischen Admiralität von dieser Sache nichts wußte, dann war beinahe sicher anzunehmen, daß auch die Admiralität und die englische Regierung keine Kenntnis davon hatten. Das mußte aber zweifelsfrei festgestellt werden, bevor Cyrus Stonard losschlug. Darum war Dr. Glossin hier in England, und darum hatte Cyrus Stonard das schon gezückte Schwert nach einmal in die Scheide zurückgestoßen.

Besaß England das Geheimnis Gerhard Bursfelds, so durfte Amerika den Angriff nicht wagen. Im anderen Falle konnte der Schlag mit guter Aussicht auf ein Gelingen geführt werden.

Die Konkurrenzen gingen ihrem Ende entgegen. Im Wettbewerb um den Höhenflug errang ein Fahrzeug den ersten Preis, welches sich unter Zuhilfenahme der Raketenwirkung ausströmender Pulvergase bis zu einer Höhe von 100 Kilometer erhoben hatte. Aber die Konkurrenten um den Schnelligkeitspreis blieben weit hinter der amerikanischen Type R. F. c. zurück.

Dann war die Konkurrenz beendet. Während die Volksmassen in Wasserbooten und Bahnen den Städten zuströmten, erhoben sich die Jachten in die Lüfte. Der indische Radscha steuerte geradeswegs dem Bergstock des Himalaja zu. Die Jacht des Lords Maitland flog nach Maitland Castle. Dr. Glossin fuhr im Kraftwagen des Sir Vernon nach London.

Die Schollen fielen auf den Sarg, der die sterbliche Hülle von Gladys Harte barg. Ihr Leben war ruhig erloschen, wie die Flamme einer Lampe, der das Öl fehlt. Das Ende war seit Monaten vorauszusehen. Es war vielleicht durch die Aufregungen beschleunigt worden, die das Schicksal Silvesters in das stille Haus in der Johnson Street brachte.

Jane stand in einem kleinen Kreise Leidtragender an der offenen Gruft. Hier kam ihr erst ganz zum Bewußtsein, wie einsam sie in diesen letzten Jahren gelebt hatten. Nur wenige Personen gaben der Toten das Geleit. Freunde des verstorbenen Mannes, wie dieser in den Staatswerken angestellt. Einige Frauen dabei.

Jane war ihnen von Herzen dankbar, daß sie jetzt noch einmal gekommen waren, der Toten die letzte Ehre zu erweisen. Sie fühlte sich grenzenlos einsam und verlassen. Während sie Beileidsworte hörte und Hände drückte, dachte sie daran, daß sie jetzt allein in das leere Haus in der Johnson Street zurückkehren müsse, und daß … auch Silvester von ihr gegangen sei.

Ein krampfhaftes Schluchzen erschütterte ihren Körper. Sie drohte umzusinken, als Dr. Glossin zu ihr trat, sie stützte und behutsam von dem Grabe fortführte. Sorgsam geleitete er sie durch die breiten Wege des Friedhofes, der in voller Junipracht grünte und blühte, als ob es keinen Tod und kein Sterben auf der Welt gäbe.

Willenlos ließ Jane es geschehen. Jeder Mensch, der sich ihrer annahm, war ihr in ihrem augenblicklichen Zustande willkommen. Um wieviel mehr Dr. Glossin, der solange in ihrem Hause verkehrte, der ihre Mutter genau gekannt hatte, der versprochen hatte, ihr über Silvester Nachrichten zu bringen!

Sie stieg vor dem Friedhof in seinen Kraftwagen und ließ sich von ihm in die Wohnung in der Johnson Street geleiten. Und hier im Anblick der altvertrauten und heute so ganz verwaisten Räume kam ihr Schmerz von neuem zum Ausdruck. Fassungslos sank sie auf einen Sessel und drückte das Taschentuch vor die Augen.

Dr. Glossin ließ sie einige Minuten gewähren. Dann legte er ihr sanft die Hand auf das Haupt.

»Meine liebe Miß Jane, versuchen Sie es, sich zu fassen. Ich weiß, es hat wenig Zweck, Ihnen in dieser Stunde trostreich zuzusprechen. Haben Sie Vertrauen zu mir. Folgen Sie meinem Rat. Nehmen Sie meine Hilfe an, und alles wird gut werden.«

Jane ließ das Tuch sinken und blickte auf. Ein neues Gefühl durchrieselte sie. Ihre Tränen versiegten. Die Welt erschien ihr nicht mehr so vollkommen leer und trostlos.

»Sie sind der einzige nähere Bekannte, Herr Doktor, den wir hatten, den ich jetzt noch habe.«

»Sagen Sie: der einzige Freund! Lassen Sie sich von mir beraten. Sie müssen aus der alten Umgebung heraus. Aus den Räumen, in denen jedes Stück Sie an Ihren großen Verlust erinnert.«

Jane würgte tapfer die wiederaufsteigenden Tränen zurück und nickte zustimmend.

»Sie haben wohl recht, Herr Doktor! Doch wohin soll ich gehen?«

»Lassen Sie das meine Sorge sein. Die Hauptsache ist, daß Sie sofort für ein paar Wochen in eine andere Umgebung kommen. Ich besitze in Kolorado am Ausgange des Gebirges eine Farm. Da haben Sie andere Luft, andere Gesichter und werden schneller das seelische Gleichgewicht wiedergewinnen. Sie sind dort mein Gast, solange es Ihnen gefällt. Mein Personal steht zu Ihren Befehlen, und ich selbst werde gelegentlich … sooft wie möglich … hoffentlich recht oft die Zeit finden, Sie zu sehen, mich von Ihrem Wohlbefinden zu überzeugen.«

Dr. Glossin sprach langsam und eindringlich. Jane hörte ihm ruhig zu. Zuerst noch leise widerstrebend. Ein Gedanke ging ihr durch den Sinn.

»Ich werde nicht hier sein. Silvester wird mich suchen und nicht finden.«

Dr. Glossin erriet den Gedanken auch unausgesprochen.

»Ich werde die Zwischenzeit benutzen, um über den Verbleib von Mr. Logg Sar etwas in Erfahrung zu bringen. Auch werde ich inzwischen alle Ihre Angelegenheiten hier ordnen. Briefe und was sonst hierherkommt, wird Sie in Reynolds-Farm erreichen. Dort wird die frische Bergluft des Felsengebirges Ihre blassen Wangen bald wieder röten.«

Für einen väterlichen Freund sprach Dr. Glossin ein wenig zu eifrig und lebhaft. Aber Jane achtete nicht darauf. Die Worte des Arztes hatten ihre letzten Bedenken besiegt. Ihr Aufenthalt würde bekannt sein. Alle Nachrichten würden sie an der neuen Stelle erreichen. Recht gute hoffentlich und auch recht bald. Sie nahm die Vorschläge und die Einladung Glossins an.

Der hatte es sich in der letzten Stunde reiflich und nach allen Seiten hin überlegt. Daß er Jane aus einer ganzen Reihe von Gründen mit sich nehmen und unter seinem Einfluß behalten wollte, stand bei ihm fest. Daß er zur Erreichung dieses Zieles seinen hypnotischen Einfluß auf Jane ausnutzen mußte, war ebenfalls sicher. Nur wie weit er diesen Einfluß anwenden solle, darüber war er sich zweifelhaft. Sollte er so weit gehen, ihr überhaupt jede Erinnerung an die tote Mutter wegzusuggerieren? Damit fiel auch für Jane das Gefühl der Verlassenheit und der Grund fort, ihm zu folgen und sich unter seinen Schutz zu stellen. Er mußte dann noch einen Schritt weitergehen und sie durch die Hypnose ganz an sich ketten.

Es widerstand ihm, Jane als einen willenlosen Automaten mit sich zu nehmen. Er wollte aus einer eigentümlichen Stimmung heraus, daß Jane ihm freiwillig und in einem natürlichen Schutzbedürfnis folge. Aber er mochte auch keine ständig Jammernde und Klagende um sich sehen. So wählte er den Mittelweg. Durch seinen suggestiven Einfluß verstärkte er ihr Schutzbedürfnis und milderte ihren noch so frischen und heftigen Schmerz über den Todesfall.

Der Kraftwagen brachte sie nach dem Flughafen. Dem großen umfriedeten Platz, auf dem die Flugschiffe der verschiedenen Staatslinien ankamen und abfuhren. Jane kannte den Ort. Zu Lebzeiten der Mutter war sie öfters von hier nach Philadelphia oder Milwaukee gefahren. Hatte damals bemerkt, daß reiche Leute hier auch ihre eigenen Schiffe landen ließen. Jetzt führte sie Dr. Glossin zu einer kleinen, aber ansprechenden Privatjacht. Er bemerkte ihr Staunen.

»Steigen Sie ein, meine liebe Miß Jane. Wundern Sie sich nicht allzusehr, daß wir ein besonderes Schiff zur Verfügung haben. Ich mußte es in Neuyork mieten, um noch rechtzeitig nach Trenton zu kommen.«

Jane dankte dem Arzte mit einem warmen Blick. Wie freundlich von ihm, daß er keine Unkosten scheute, um in dieser Zeit bei ihr zu sein, ihr helfen zu können. Von ihm geleitet, betrat sie die Kabine des Flugschiffes, welches sich sofort erhob, um die Fahrt nach dem Westen zu beginnen. Dr. Glossin ließ sich Jane gegenüber nieder.

»Gestatten Sie mir, meine liebe Miß Jane, daß ich Ihnen Ihren zukünftigen Aufenthaltsort ein wenig schildere. Reynolds-Farm heißt mein Besitztum in Kolorado. In früheren Jahrzehnten war es auch wirklich einmal eine Farm mit ausgedehnten Äckern und Stallungen, mit Scheunen und Speichern. Eine richtige Farm, wie sie im Buche steht. Heute ist es ein ruhiges Landhaus in einem nach Osten offenen Tale der Felsenberge gelegen. Bergluft, Tannenduft und Ruhe. Vollkommene Ruhe, wie wir Großstadtmenschen sie bisweilen nötig haben, wie sie auch Ihnen wohltun wird.«

 

Jane hatte mit steigendem Interesse zugehört. Schon die Ortsveränderung, die schnelle Fahrt, die sie jede Stunde so viele Meilen von ihrem alten Aufenthaltsort entfernte, gab ihren Gedanken eine andere Richtung, ließ sie minutenlang ihren Schmerz vergessen.

»Aber Sie können selbst nur selten dort sein, Herr Doktor. Wer ist dort auf Ihrer Farm? Wer hält das Anwesen in Ordnung? An wen werde ich mich zu halten haben?«

»Vor allen Dingen an meine gute alte Abigail, ein altes schwarzes Faktotum, das dort das Haus in Ordnung hält.«

Jane nickte zustimmend. Als Amerikanerin war sie es gewöhnt, daß schwarze Dienerinnen es in den Häusern der Weißen zu angesehenen Vertrauensstellungen brachten. Als Amme kam solche schwarze Frau zu den Kindern, blieb als Wärterin bei ihnen, sah sie zu Männern heranwachsen und blieb in ihren alten Tagen immer noch die schwarze Mammy.

»Ein gutes, altes, anhängliches Tier! Ihre Schönheit läßt zu wünschen. Dafür ist sie treu und fleißig, sie wird Ihnen jeden Wunsch von den Augen ablesen …«

Es kam Jane nicht zum Bewußtsein, daß es dort vielleicht noch einsamer sein könnte als in Trenton. Der suggestive Einfluß des Doktors erstickte jedes aufsteigende Bedenken.

Das Schiff eilte der sinkenden Sonne nach, bis es sich selbst zu senken begann und die Kette der Felsenberge von Denver bis Cheyenne am gelbglühenden Westhimmel stand. Es landete auf einer freien grasbewachsenen Ebene. Dr. Glossin hatte wohl recht. Hier wehte eine andere Luft als in Trenton, wo die großen Werke trotz aller Fortschritte und Verbesserungen immer noch recht viel Ruß und Staub in die Atmosphäre warfen.

Frische, harzgetränkte Bergluft. Mit voller Brust sog Jane die leichte Brise ein.

Das Flugschiff war dicht neben der Farm gelandet. Auf dem Wege zum Hause kam ihnen schon eine alte Negerin entgegen. Von jener abschreckenden Häßlichkeit, die alte Negerweiber gewöhnlich auszeichnet. Dabei von einer unterwürfigen Vertraulichkeit, die auf langjährige Dienste schließen ließ.

»Guten Tag, Mister Doktor. Die alte Abigail hat alles fertiggemacht. Das Supper ist fertig. Die Zimmer sind fertig …«

Ein breites Grinsen ließ ihre Mundwinkel bis in die Nähe der Ohren wandern, während sie versuchte, dem Doktor die Hand zu küssen.

Dr. Glossin schob sie zurück.

»Gut, Abigail. Ich erwartete es nicht anders. Meine Nichte Miß Harte wird einige Zeit auf der Farm wohnen. Du wirst ihr genau so zu Diensten sein wie mir und dafür sorgen, daß sie sich wie zu Hause fühlt.«

Die Alte hatte während dieser Worte Jane prüfend betrachtet. Sie schien mit dem Ergebnis ihrer Prüfung zufrieden zu sein, denn sie wandte sich jetzt an Jane und versuchte, auch ihr die Hand zu küssen.

»Laß das, Abigail!«

Dr. Glossin sagte es mit einer eigentümlichen scharfen Betonung. Die Schwarze trat zurück und folgte dem Doktor und seiner Begleiterin die kurze Strecke bis zum Farmhofe.

Jane fühlte sich nach dem schweren Leid der vergangenen Tage fast leicht und frei. War es der Einfluß des Doktors, war es wirklich die veränderte Umgebung, sie begann wieder mit Hoffnungen in die Zukunft zu blicken. In ruhigen Stunden hatte sie schon früher der Möglichkeit ins Auge geblickt, daß die Mutter ihr bald einmal entrissen werden könnte. Jetzt war es geschehen, und sie versuchte es, sich mit dem Geschehenen abzufinden.

So trat sie am Arm Glossins in das neue Heim. Der Doktor geleitete sie in den Empfangsraum, gab Abigail dann einen Wink, sie in ihre eigenen Räume zu geleiten. Ein Halbblutboy schaffte die Koffer aus dem Flugschiff dorthin. Wäsche, Garderobe, alle notwendigen Gegenstände für den täglichen Gebrauch. Jane hatte sich auf einem Stuhl am Fenster niedergelassen und blickte in die dämmernde Abendlandschaft hinaus. Ihre Gedanken weilten bei Silvester.

Die Nachricht von Sing-Sing war natürlich auch in das stille Haus nach Trenton gedrungen und hatte die beiden Frauen aufs äußerste erschreckt. Wohl lasen sie, daß er gerettet worden war. Aber die Tatsache allein, daß er sich des Hochverrats schuldig gemacht haben sollte, daß er in voller Form zum Tode verurteilt worden war, wirkte niederschmetternd. Jane sowohl wie ihre Mutter hatten vollkommen den Kopf verloren, bis ein alter Freund des Vaters sie aufrichtete. Joe Miller war damals zu ihnen gekommen. Fand sie verzagt und lachte.

»Sorge um Logg Sar? … Vollkommen überflüssig. … Alle Wetter, da hat was dazwischengepfeffert und den Schleichern und Angebern das Konzept verdorben. Habe zwar keine Ahnung, was es gewesen ist. Bin aber sicher, daß es prachtvoll gewirkt hat. Angst brauchen Sie jedenfalls um Logg Sar nicht zu haben. Ich meine, der könnte jetzt sogar ganz ruhig in Neuyork spazierengehen. Seine Feinde würden sich bei einem neuen Angriff noch viel mehr blamieren.«

Diese Worte wirkten tröstlich auf Jane. Das Wunderbare des Geschehnisses nahm sie gefangen. Durch eine unbekannte mächtige Hilfe war Silvester der Gefahr im letzten Augenblick entrissen worden. Seitdem hoffte sie auf seine Wiederkehr, hatte das sichere Gefühl, daß die Macht, die ihn das erstemal schützte, auch jeden weiteren Anschlag zunichte machen würde.

Die geschwätzige Abigail riß sie aus ihren Sinnen. Welches Kleid die Lady anziehen wolle. Ob sie sich zum Supper nicht schmücken wolle. Der Herr Doktor liebe geschmückte Damen beim Supper. Vielleicht würde er ihr sogar …

Die Mundwinkel der Schwarzen rückten wieder bis an die Ohren. Jane bemerkte das Mienenspiel nicht. Nur langsam kehrten ihre Gedanken in die Wirklichkeit zurück.

Anziehen … Das einfache schwarze Kleid, das sie trug, schien ihr das richtige … Schmücken, am Begräbnistage ihrer Mutter … Sie gab ihr den Auftrag, die Garderobe in den Schränken unterzubringen, und verließ den Raum, um nach unten zu gehen.

Abigail machte sich daran, den Auftrag zu vollziehen. Stück für Stück nahm sie aus den Koffern. Dabei murmelte sie allerlei vor sich hin:

»Hoho, mein Täubchen … sehr einfach, zu bescheiden. Keinen Samt, keine Seide. Nur so einfach … ist nicht der Geschmack von Mister Doktor … Liebt feine Damen … gelbe, rote Seide. Keine schwarzen Kleider …«

Sie begann die Wäsche in die Fächer zu legen und fuhr in ihrem Selbstgespräch fort:

»Wirst dich ändern müssen, mein Täubchen! Waren schon andere vor dir hier. Haben es auch gemußt. Taten alles, was Mister Doktor wollte, wenn Mister Doktor sie anguckte … anguckte mit den großen, heißen Augen.«

Ihre Worte gingen in ein Kichern über, während sie die letzten Stücke in die Kasten einräumte.

Inzwischen war Jane in den Speiseraum gekommen. Der junge Halbblutdiener servierte. Glossin wartete, bis er den Raum verlassen hatte, bevor er die Unterhaltung begann.

»Meine liebe Miß Jane, meine Kur beginnt schon zu wirken. Sie sehen viel besser aus als heute früh.«

»Sie mögen recht haben, Herr Doktor. Die Reise hat mich auf andere Gedanken gebracht. Ich könnte beinah zufrieden sein, wenn ich … Gewißheit über das Schicksal unseres Freundes Silvester hätte.«

»Seien Sie zufrieden, meine liebe Miß Jane, daß unser Freund der Gefahr entronnen und jetzt nach menschlichem Ermessen in Sicherheit ist. Wenn Sie ihm etwas bedeuten, wird er gewiß von sich hören lassen.«

»Er wird … er muß … er soll …«

Jane stieß die Worte heftig hervor. Dr. Glossin schwieg, als ob ihn dieser Gefühlsausbruch erschreckt hätte.

»Verzeihen Sie meine Heftigkeit, Herr Doktor. Ich sorge mich um das Schicksal eines Abwesenden und habe Ihnen noch nicht einmal für Ihre Güte gedankt.«

Wenn Dr. Glossin bei allen diesen Reden etwas empfand, so verstand er es jedenfalls meisterhaft, seine Gefühle zu verbergen. Keine Muskel in seinen Zügen zuckte, während er die Konversation ruhig weiterführte. Er sprach von Janes Zukunftsplänen. Eine längere Erholung hier, dann eine Reise nach Europa. Dort müßten ja auch noch Verwandte ihres Vaters leben.

»Ich hörte, Herr Doktor, wir sollen Krieg mit England bekommen. Da kann doch niemand nach Europa fahren.«

Dr. Glossin nickte abwesend.

»Zeitungsgeschwätz, meine liebe Miß Jane. Wir denken nicht an Krieg. Ich selbst fahre morgen wieder nach Europa. War vorgestern erst in England. Man spricht allerlei vom Kriege, weil die Zeitungen uns nervös machen. In Wirklichkeit denkt kein Mensch daran.«

»Ich entdecke immer neue Seiten an Ihnen, Herr Doktor. Ich dachte, daß Sie nur zwischen Neuyork und Trenton zu tun haben. Dann haben Sie plötzlich noch dies schöne Besitztum in Kolorado, und jetzt höre ich gar, daß Sie zweimal in der Woche nach Europa fahren. Es muß schön sein, so in der Welt herumzukommen.«

»Wenn man zu seinem Vergnügen reisen kann. Nicht, wenn man es wie ich als Pflichtmensch von Berufs wegen tun muß.«

Ein leichter Seufzer entrang sich den Lippen des Arztes.

»Ich hoffe, Miß Jane, in kurzer Zeit werde ich auch etwas Ruhe finden. Dann fahren wir gemeinschaftlich nach Europa, und ich zeige Ihnen die Schönheiten der Alten Welt.«

Er hob sein Glas mit altem schweren Kaliforniawein und trank Jane zu.

»Auf baldige gemeinschaftliche glückliche Fahrt.«

Das Mahl ging seinem Ende entgegen. Dr. Glossin benutzte die letzte Viertelstunde, um Jane ihr Leben für die nächsten Tage auszumalen.

»Wir haben hier Pferd und Wagen. Sie können Ausfahrten unternehmen. Bobby …« – er wies auf den Diener – »kann nicht nur servieren, er ist auch ein geschickter Fahrer. Er kennt die schönsten Wege in der Umgebung. Benutzen Sie die kleine, aber gute Bibliothek im Herrenzimmer … Ich vergaß, sie ist verschlossen. Darf ich Ihnen den Schlüssel … nein, noch besser. Ich werde sie Ihnen an Ort und Stelle zeigen.«

Er geleitete Jane in das anstoßende Zimmer und schloß selbst die verglasten Regale auf, welche mehrere hundert mit gutem Geschmack ausgesuchte Werke enthielten.

»Das ist die Hauptsache, meine liebe Jane, daß Sie sich nicht in den müßigen Stunden von Gedanken und Erinnerungen übermannen lassen.«

Dr. Glossin hatte bei den letzten Worten ihre Hände ergriffen. Ohne daß er ein Wort weitersprach, spürte Jane, daß er für heute Abschied von ihr nahm, fühlte gleichzeitig, wie in verstärktem Maße Ruhe und Wunschlosigkeit über sie kamen.

Dr. Glossin schritt durch den Vorraum des Hauses, um zu seinem Flugschiff zu gehen. Wenn er am nächsten Morgen wieder in England sein wollte, hatte er Grund zur Eile. Abigail trat ihm in den Weg. Verschmitzt grinsend.

»Darf die neue Lady ausgehen, Mister Doktor?«

Es lag eine ganze Geschichte in dieser Frage. Wie viele mochten hier gewesen sein, denen man den Ausgang verweigert hatte. Glossin warf der Negerin einen Blick zu. Ganz langsam hob er den rechten Arm. Die Schwarze krümmte sich vor dem drohenden Schlage.

»Ich sage dir, du schwarzes Vieh, die junge Dame ist meine Nichte. Wehe dir, wenn du …«

Er ließ den Arm sinken und schritt hinaus.

Sie saßen auf der mit Waldrebe umsponnenen Veranda des Truworhauses am Torneaelf. Durch Ranken und Reben ging die Aussicht auf den hundert Meter tiefer dahinströmenden Fluß und die gegenüberliegenden, mit Tannen bestandenen Berge. Zu dritt saßen sie hier: Erik Truwor, der Schwede, Soma Atma, der Inder, und Silvester Bursfeld aus deutschem Blute.

In diesem Hause war Silvester heimisch. Hier war er zusammen mit Erik Truwor aufgewachsen, und die alten Mauern hatten die Spiele der Knaben und die Arbeit der Jünglinge gesehen. Bis dann die Studienjahre Silvester nach Deutschland führten, seine Ingenieurtätigkeit ihn in Europa und Amerika umhertrieb. Erik und Silvester widmeten sich der Technik. Die Art ihres Studiums, die Weise, wie sie die Wissenschaft trieben, war von Anfang an verschieden. Silvester versenkte sich schon als Student in die physikalischen Probleme. Er trieb die Wissenschaft um der Wissenschaft halber, von einem unersättlichen Forschungsdrang beseelt. Im Gegensatz dazu betrachtete Erik Truwor die Technik von Anfang an nur als ein Mittel zum Zweck, das menschliche Leben leichter und angenehmer zu gestalten, neue Lebensmöglichkeiten zu schaffen.

Diese verschiedenartige Auffassung der beiden Freunde kam auch äußerlich zum Ausdruck. Silvester blieb fünf Studienjahre in Charlottenburg. Erik Truwor studierte bald in Charlottenburg, bald in Genf, Paris und Karlsruhe. Etwas anderes kam hinzu. Erik Truwor war ein reicher Erbe. Silvester Bursfeld, als Pflegesohn in das Haus Truwor aufgenommen, war ohne Vermögen. Als Olaf Truwor die Augen schloß, bot Erik seinem Freunde die Hälfte der Erbschaft an. Silvester schlug es aus. Er nahm nur, was er noch während der Studienzeit für seinen Lebensunterhalt benötigte, und außerdem das Anerbieten, das Truworhaus jederzeit als sein Vaterhaus zu betrachten und zu benutzen.

 

Atma hatte seinen Lieblingsplatz auf einem Diwan im Hintergrunde der Veranda eingenommen. Dort saß er und gab sich seinen Meditationen hin.

Erik Truwor und Silvester saßen vorn an der Brüstung an einem Tisch. Pläne, Zeichnungen und Schriftstücke bedeckten die Tischplatte.

»Über unsere Arbeit hörte ich noch kaum, wie du, Erik, dich mit Atma zusammengefunden hast. Atma, der in Pankong Tzo mein Mitschüler war, plötzlich mit dir zusammen, in Linnais! Nur in dem Strudel der Ereignisse konnte ich es als ein etwas Selbstverständliches hinnehmen.«

»Wie ich Atma fand? Wie Atma und ich dich fanden? Eine wunderliche Geschichte. Im Frühjahr kam ich nach Pankong Tzo. Kuansar erinnerte sich meiner noch. Er führte mich zum Abte. Jatschu, ein Greis von unbestimmbarem Alter, empfing mich, blickte mich starr an und sagte: ›Das ist der Dritte.‹ Aus einem Kästchen nahm er diesen Ring und schob ihn mir auf den Finger.«

»Jatschu ist … er muß jetzt …«

Silvester versuchte das Alter auszurechnen.

»Er war beinahe neunzig, als ich von Pankong Tzo fortging. Er muß weit über hundert sein.«

»Mag sein. Er gab mir den Ring und deutete auf Atma. Atma wußte, daß du den gleichen Ring von ihm hattest. Er sagte, wir müßten dich suchen … Ich wollte dich wiedersehen. Atma sagte Amerika. Wir gingen nach den Staaten. Atma sagte Trenton. Wir fuhren nach Trenton. Wir fanden dich nicht, aber wir fanden Jane Harte. Sie war über dein Verschwinden besorgt.

Atma fragte sie. Du weißt, wie er zu fragen versteht. Über Zeit und Raum hinweg. Mit geschlossenen Augen las sie aus weiter Ferne das Urteil, das über dich gefällt war. Mit vier Worten sagte sie, wo deine Aufzeichnungen lagen.

Das andere war leicht. Joe Williams, einer der zwölf Zeugen, wurde im Gasthof in Sing-Sing von uns gefunden. Für tausend Dollar gab er mir seine Zeugenkarte. Mir, dem wißbegierigen Fremden, der eine Elektrokution mitansehen wollte. Ich kam in das Gefängnis. Atma hielt im Kraftwagen vor der Tür. Das war alles.«

Silvester ergriff die Hand Erik Truwors und drückte sie innig.

»Für mich wirklich alles, Erik. Kamt ihr nicht, so war ich verloren. Durch Jane … durch meine Jane habt ihr mich gefunden.«

»Durch deine Jane? Was ist dir Jane Harte?«

»Meine Verlobte, mein alles!«

Erik Truwor hörte schweigend zu, was Silvester erzählte. Wie er Jane kennen und lieben gelernt. Doch er vermochte es nicht, sich am Glück des Freundes mitzufreuen. Unbewußt empfand er, daß Silvester sich nicht voll der großen Aufgabe, dem weiteren Ausbau der Erfindung, widmen könne, wenn er durch Gedanken und Sorgen um seine Verlobte abgelenkt wurde.

Sein Blick suchte Atma. Ein stummes Zwiegespräch der Augen. Atma nickte und wandte sich Silvester zu. Erik Truwor sah, wie hinter der gefurchten Stirn des Inders die Gedanken arbeiteten, das Hindernis aus dem Wege zu räumen. Er sah, wie Silvester die Hand an die Stirn preßte, als wollte er eine fliehende Erinnerung festhalten …

Die hypnotische Kraft Atmas siegte über die Kraft der Liebe.

Erik Truwor brach das Schweigen.

»Zurück zu unserer Arbeit! Ich habe deine Pläne gesehen und deine Berechnungen untersucht. Gib mir deine Erläuterungen dazu.«

Silvester Bursfeld blickte mit der versonnenen Miene des Gelehrten auf die vor ihm liegenden Papiere.

»Es ist das Problem der telenergetischen Konzentration, dessen Lösung mir gelungen ist. Nimm an, ich hätte hier in unserem Hause eine Maschine, die tausend Pferdestärken leistet. Es ist klar, daß ich die Energie hier an Ort und Stelle zu allem möglichen verwenden kann. Aber es war bisher kein Mittel bekannt, diese Energie an einem Punkte in beliebiger Entfernung konzentriert wirken zu lassen. Bei jedem Versuche, die Energie auszustrahlen, erfuhr sie eine der Ausbreitung entsprechende Schwächung. Ein zwingender Grund liegt natürlich nicht vor. Es muß den tausend Pferdestärken ganz gleich sein, ob sie hier oder an irgendeinem anderen Punkte der Erde zur Wirkung kommen.«

Erik Truwor unterbrach ihn:

»Wenn wir hier eine Million, wenn wir hundert Millionen Pferdestärken hätten, so könntest du sie auf jedem Punkt der Erde in Erscheinung treten lassen?«

»So ist es. Auf jedem Punkte. Ich könnte die Energie an irgendeiner Stelle der australischen Wüste oder des Broadway in Neuyork auf den Raum einer Haselnuß zusammendrängen. Ich könnte sie auch in der Form ausgedehnter elektromagnetischer Felder auftreten lassen. Jede Wirkung ist möglich.«

Erik Truwor wiegte den Kopf nachdenklich hin und her.

»Hundert Millionen Pferdestärken auf den Raum einer Haselnuß … in den Pulverkammern kriegführender Mächte … das genügt für den ewigen Frieden.«

Silvester Bursfeld fuhr in seinen Erklärungen fort:

»Die Energiekonzentration bildete den Ausgangspunkt meiner Arbeit. Ich überlegte mir weiter … Warum soll ich die Energie erst an einem Orte erzeugen und an einem anderen wirken lassen, da doch der ganze Raum mit einem Überschwang von Energie erfüllt ist … Ich folgerte, es muß genügen, nur die Steuerwirkung durch den Raum zu schicken. Nur die winzigen Mengen einer besonderen Formenenergie, die an der entfernten Stelle die Raumenergie zur Explosion bringen.

Meine Überlegung war folgerichtig. Die Schlußkette zeigte nirgend ein fehlerhaftes Glied. Aber die praktische Durchführung wollte nicht gelingen.

Soweit war ich, als ich nach Trenton kam. Jede freie Stunde widmete ich dem Problem. Dr. Glossin hatte dort ein gutes Laboratorium und erlaubte mir, darin zu arbeiten. Damals wußte ich nicht, daß er ein Verräter war …«

»Der auch deinen Vater verraten hat.« Soma Atma sprach die Worte.

Silvester blickte auf wie ein Träumer, der plötzlich erwacht.

»Ich hörte immer, mein Vater wäre von einem aufsässigen Kurdenstamm überfallen worden. In Pankong Tzo erzählten sie es mir … Kuansar … unser alter Lehrer, sprach davon …«

Atma sprach in seiner ruhigen sonoren Art weiter: »Warum den klaren Spiegel einer jungen Seele trüben. Glossin, der Freund deines Vaters, war der Verräter. Die Nawutschi, die Engländer, steckten dahinter. Sie veranlaßten den Überfall, weil dein Vater das Geheimnis einer großen Erfindung besaß … Bis hierher ist alles klar. Dann wird die Erkenntnis unsicher.«

»Was hatte mein Vater erfunden? Wo ist er geblieben?« Erregt stieß Silvester die Fragen hervor.

»Ich sehe nichts Klares. Sicher ist, daß er nicht mehr unter den Lebenden weilt. Seit langer Zeit nicht mehr. Sonst hätte meine Seele die seine finden müssen. Seine Erfindung gab Macht. Gab große Macht. Darum ließen die Nawutschi ihn rauben.«

Erik Truwor unterbrach den Inder: »Laßt die Toten ruhen. Silvester, berichte uns weiter.«

»… Ich sprach von Glossin. In seinem Laboratorium nahm ich meine Arbeiten wieder auf … Mit Vorsicht, denn seine Neugier war verdächtig. Ich vermied es, unnötige Notizen zu machen. Was ich notieren mußte, schrieb ich Tibetanisch.

Plötzlich kam der Erfolg. Über Nacht eine Eingebung. Im Traum sah ich den Strahler für die Formenergie mit greifbarer Deutlichkeit …«

Erik Truwor schüttelte mißbilligend den Kopf.

»Traumlösungen … man kennt sie. Es ist alles in Ordnung. Wacht man auf, so ist der Traum vergessen oder die Lösung unsinnig … Träume sind Schäume …«

»Nicht immer. Es kommt vor, daß die Seele im Schlaf den Körper verläßt und klar sieht.« Atma machte den Einwurf. Silvester fuhr fort: »Ich sah die Form und die Schaltung des Strahlers noch mit voller Deutlichkeit, als ich erwachte. Meinen ganzen Apparat hatte ich in einen kleinen Kasten eingebaut …«