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Die Macht der Drei

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»Den Mahagonikasten?«

»Eben den. Der Traum ließ mir keine Ruhe. Es war noch früh. Die Dämmerung des Sommertages begann eben erst. Um acht mußte ich in das Werk. Erst am Nachmittag konnte ich in das Laboratorium gehen. Das dauerte mir zu lange. Mit den einfachen Mitteln, die ich in der Wohnung hatte, formte ich den Strahler. Ich machte einen Versuch, und er gelang. Ein Stück Eisen auf meinem Schreibtisch stieg langsam in die Höhe. Ein Trinkglas schmolz zu einem Klumpen. Das Geheimnis war gefunden.

Am Nachmittag kam ich in das Laboratorium … Ich wollte einen einfachen Versuch machen. Eine elektromotorische Kraft sollte durch den Apparat zurückgeworfen werden. Ich brachte den Apparat in die richtige Stellung zu den Schaltklemmen des Experimentiertisches. Im selben Augenblick stieg dichter Qualm hinter der Schalttafel und an der Wand auf. Die schwere 10 000-Volt-Leitung des Laboratoriums glühte hellrot auf. Die Isolation verbrannte. Ich riß meinen Apparat zurück. Es war nicht mehr nötig. Die Sicherungen der Hochspannungsleitung waren bereits durchgeschlagen und hatten den Strom abgeschaltet.

Zweierlei wußte ich damals. Mein Apparat arbeitete. Und ein Schurkenstreich war versucht worden. Irgend jemand, der im Laboratorium Bescheid wußte, hatte die lebensgefährliche Hochspannung auf den Experimentiertisch geschaltet.

Drei Tage später fuhr mir auf einem Spaziergang durch den Wald ein Auto nach. Plötzlich hielt es neben mir. Im selben Augenblick war ich in den Wagen hineingezogen, gefesselt und betäubt. Erst im Gefängnis erlangte ich das Bewußtsein wieder. Als ich unter den Richtern Glossin sah, wußte ich, wer im Laboratorium geschaltet hatte …«

Erik Truwor sprang auf.

»Weg mit dem Hund! Wir haben die Macht, ihn zu vernichten. Sollen wir uns mit einem einzelnen aufhalten? Weg mit ihm!« Er griff nach dem Apparat.

»Mord und Brand über den Ozean! Befreien wir uns von dem Geschmeiß!«

Silvester wollte antworten, wollte als Forscher und Erfinder auseinandersetzen, daß ein genaues Zielen auf diese Entfernung noch nicht möglich sei, daß Feuer und Sturm neben einem Schuldigen tausend Unschuldige vernichten würden. Er kam nicht über die ersten Worte hinaus. Die ruhige Stimme Atmas unterbrach ihn:

»Sein Schicksal ist mit dem unseren verknüpft. Es wird sich zu seiner Zeit erfüllen … Noch ist die Stunde nicht gekommen. Sein Geschick ereilt ihn, wenn der Augenblick kommt … Er ist ein Werkzeug des Schicksals wie wir. Das Ziel wird erreicht werden … von uns … durch ihn … Wenn der Tag kommt, wird sich sein Schicksal vollenden …«

Atma sank in stilles Sinnen zurück. Erik Truwor nahm seinen Platz am Tisch ein und betrachtete den Apparat. Seine Erregung ließ nach.

»Was kannst du mit dem Strahler hier machen?«

Silvester Bursfeld ging wieder in seinem Problem auf. Nur als Physiker und Ingenieur sprach er weiter:

»Mit dieser kleinen Apparatur kann ich die telenergetische Konzentration von zehntausend Kilowatt bewirken. Für größere Energiemengen muß der Apparat größer werden.«

Erik Truwor ergriff ein Glas und beobachtete den Bergkamm auf der anderen Seite des Elf.

»Siehst du die einzelne Tanne über dem Trollstein?«

Silvester nahm das Glas. »Sie ist unverkennbar.«

»Kannst du sie verbrennen?«

Ein Lächeln ging über die Züge Silvesters.

»Wenn die Tanne in Kanada stünde, wäre es noch möglich. So ist es …« Er hatte während der Worte das Kästchen gerückt und ein paar Knöpfe gedreht.

Erik Truwor sah durch das Glas über den Fluß, sah, wie blauer Rauch aus der Tannenkrone aufstieg und helle Flammen aus dem Stamme aufloderten. Nach zwanzig Sekunden brannte der Baum lichterloh. Nach einer Minute war er verschwunden, in ein winziges unsichtbares Aschenhäufchen verwandelt. Aber das Feuer hatte weiter gegriffen. Auch die Kronen der benachbarten Bäume brannten. Im trockenen Juni konnte sich dort ein großer Waldbrand entwickeln. Erik Truwor sah die Gefahr.

»Der Wald brennt, Silvester. Kannst du des Feuers Herr werden?«

Silvester war in seinem Element.

»Eine gute Gelegenheit, um die Wirkung des Apparates auf den Luftdruck zu beobachten. Ich werde in einer senkrechten Linie über der brennenden Föhre Hitze konzentrieren. Die warme Luft muß mit Gewalt nach oben dringen. Kalte Luft muß von allen Seiten herbeiströmen. Der Sturm muß das Feuer löschen.«

Während er die Erklärung gab, drehte er an einem Schräubchen seines Apparates. Man konnte auch mit unbewaffnetem Auge bemerken, wie die Bäume auf dem Gebirgskamm von einem plötzlichen Sturm gepeitscht wurden. Wild bogen sich die Stämme. Hier und dort wurde eine Krone geknickt. Aber der Wirbelsturm blies den Brand glatt aus. Ein mäßiger Wind hätte das Feuer genährt. Dieser Zyklon pfiff so scharf durch das brennende Geäst, daß er die Flammen im Moment auslöschte, das rotglühende Holz abkühlte.

Eine Drehung am Schalter des Kästchens, und Ruhe herrschte wieder in der Natur. Nur der große, schwarze Brandfleck da weit drüben über dem Elf verriet, daß etwas Außergewöhnliches passiert war.

Erik Truwor hatte die theoretischen Auseinandersetzungen seines Freundes erfaßt. Er hatte nach dessen Aufzeichnungen den Apparat selbst bedient, um die Maschine von Sing-Sing zu sprengen. Und doch versetzte ihn die Wirkung wieder in tiefstes Staunen. Seine Gedanken gingen viel weiter als die des Erfinders. Silvester Bursfeld war Ingenieur und nur Ingenieur. Den reizte das physikalische Problem und seine Durchbildung. Erik Truwor umfaßte mit einem Blick die praktischen Möglichkeiten, die die Erfindung in sich barg.

Doch auch Erik Truwor war Techniker und rechnete. Zehntausend Kilowatt waren vernichtend für den einzelnen, den sie trafen. Aber sie bedeuteten nichts für hundert Millionen Menschen. Viel größere Apparate mußten zur Verfügung stehen. Viele Millionen von Kilowatt mußten auf seinen Wink an jedem Punkt der Erde wirksam werden. Nur dann würde er die Macht haben, von der die alte Weissagung des Tsongkapa sprach. Die Macht, alles Menschenleben auf Erden nach seinem Willen zu lenken.

Die Unterhaltung der nächsten Stunde wurde rein technisch geführt. Über die Abmessungen größerer Strahler. Über die Mittel zu ihrer Anfertigung. Über die Zeit, die ihre Herstellung gebrauchen würde.

Das alte Truworhaus war der geeignete Ort dafür. Sechs Jahrhunderte waren über sein Dach hingegangen. Zwei Stockwerke tief waren die geräumigen Keller in den Granit des Berges gesprengt. Meterstark die Umfassungsmauern der unteren Stockwerke aus den bei der Kellerhöhlung gewonnenen Granitbrocken gemauert. Die elektrische Leitung vom Kraftwerk des Elf brachte Licht, Wärme und Energie in jeder gewünschten Menge. Das Haus in seiner Abgelegenheit sollte die Werkstatt abgeben, in der Silvester seine Erfindung in großem Maßstabe ausführte. Nach dem unverrückbaren Willen Erik Truwors ausführen mußte.

Silvester Bursfeld hatte die Erfindung mit dem Eifer des Wissenschaftlers gemacht. Wie vielleicht auch ein Physiker eine Kanone erfinden kann, ohne an Schußwirkungen zu denken. Er hatte alle Erscheinungen der Konzentration ergründet, aber auf das genaue Zielen, das sichere Treffen vorläufig wenig Wert gelegt. Die energetische Seite des Problems interessierte seine Gelehrtennatur viel mehr als die praktische Anwendung.

Erik Truwor empfand diese Schwäche sofort. Empfand sie und zwang Silvester durch seine Forderungen und Fragen, nach einer Lösung zu suchen und sie zu finden. Wenigstens die Theorie auch eines genauen Zielens sofort zu entwickeln. Nur wenn man das entfernte Ziel sichtbar machen, die Wirkungen der Energie mit dem Auge verfolgen konnte, war die Macht der Waffe voll zur Wirksamkeit zu bringen.

Der Tatmensch zwang den Forscher zu harter, rastloser Arbeit, um die große Entdeckung noch größer zu gestalten, aus ihr das Machtmittel für seine weitreichenden Pläne zu formen. Und Silvester ließ sich zwingen. Für Stunden und Tage nahmen ihn die neuen Probleme und Lösungen so vollkommen gefangen, daß er alles andere darüber vergaß. Bis dann die Lösung gelungen war, bis sich die Nervenspannung löste und die unausbleibliche Reaktion eintrat.

Maitland Castle, der alte Stammsitz der Maitlands, beherbergte um die Zeit der Sommersonnenwende zahlreiche Gäste. Der alten englischen Sitte entsprechend, herrschte nur der Zwang der gemeinschaftlichen Hauptmahlzeit. Die übrige Zeit des Tages konnten die Gäste nach ihrem Belieben verwenden, und die Gastgeber nahmen die gleiche Freiheit für sich in Anspruch, die sie den Gästen gewährten. Sie tauchten einmal bei dieser oder jener Gruppe auf und zogen sich in ihre Privaträume zurück, sobald es ihnen gefiel.

Den dunklen Buchenweg, der schnurgerade von der Höhe des Schloßberges bis zum Gittertor am Ende des Parkes führte, kam Lady Diana Maitland entlang. Die Sonne war schon hinter den hohen Wipfeln der Bäume verschwunden. Es begann kühl zu werden.

Fröstelnd zog Lady Diana den leichten Seidenschal enger um die Schultern zusammen. Sie bog in einen Seitenweg ab, der durch ein Rosenrondell führte.

Von der anderen Seite kam ihr eine Gestalt entgegen, in der sie den Doktor Glossin zu erkennen glaubte. Unwillkürlich hemmte sie den Schritt. Ihr Gefühl riet ihr, einer Begegnung auszuweichen. Schon wollte sie stehenbleiben und sich zu der Allee zurückwenden. Doch der Gedanke, daß Dr. Glossin sie auch erkannt habe, gebot ihr, den Weg weiterzugehen, dessen Rand mit einer Einfassung der herrlichsten Rosenstöcke besetzt war.

Nun stand Dr. Glossin dicht bei ihr.

»Ich muß gestehen, Lady Diana, daß ich selten so schöne Rosen sah wie diese hier. Sie lieben Rosen?«

»Sehr, Herr Doktor. Doch ihr Anblick ist mir lieber als ihr Geruch. Im Zimmer stört mich der berauschende Duft.«

»Oh, wie schade um die unzähligen Rosenspenden, die Ihnen allabendlich zu Füßen flogen, als Sie in der Metropolitan-Opera die Zuhörer entzückten.«

 

Lady Diana brach eine Rose und steckte sie in ihren Gürtel, ohne die Frage zu beantworten. Sie sprach wohl selbst gelegentlich von ihrem früheren Bühnenleben, aber sie liebte es nicht, von anderen daran erinnert zu werden.

Dr. Glossin schien den Wink nicht zu verstehen.

»Die Stunden, in denen ich Ihrer unvergleichlichen Stimme lauschen durfte, gehören zu den schönsten meines Lebens. In besonderer Erinnerung sind mir die Abende, an denen Sie mit Frederic Boyce zusammen auftraten. Nie klang mir Ihre Stimme schöner als damals.«

Ein kurzes Erröten glitt über die Züge der Lady. Solche Worte aus dem Munde eines so neuen Bekannten wie Dr. Glossin konnten nur als grobe Taktlosigkeit aufgefaßt werden, oder …

Sie witterte den Feind und änderte ihre Taktik.

»Sie sind ein Freund der Musik, Herr Doktor? Vielleicht auch einer der zahlreichen Rosenspender?«

Sie versuchte, ihrer Stimme einen spöttischen Unterton zu geben.

»Ich kann es nicht leugnen, Mylady, ich gehörte auch zu Ihren Verehrern. Als ich von Ihrem Abschied von der Bühne las … ich war damals in San Franzisko … war ich drauf und dran, am Tage Ihres letzten Auftretens nach Neuyork zu fliegen. Wenn ich nicht irre, war es im ›Fidelio‹, dem hohen Lied der Gattenliebe.«

»Und warum kamen Sie nicht?«

Lady Diana sagte es mechanisch. Ihre Sinne arbeiteten fieberhaft. Sie fühlte, daß dies alles nur leichtes Geplänkel war. Der Hauptangriff mußte von anderer Seite kommen … Aber woher?

»Warum nicht? … Ein seltsamer Fall hielt mich einige Tage länger fest!«

Er machte eine Pause.

»Bitte, Herr Dr. Glossin, erzählen Sie, wenn es interessant ist.«

»Interessant? … Für die Allgemeinheit am Ende kaum. Wohl aber für die, die es angeht. Wenn ich nicht fürchtete, unangenehme Erinnerungen zu wecken …«

»Wozu die Umschweife, Herr Doktor, bitte …«

Lady Diana wußte, jetzt würde der Schlag erfolgen. Und trotz der Ungewißheit, aus welcher Richtung er kommen würde, klang ihre Stimme ruhig und fest.

»Wenn es der Wunsch Eurer Herrlichkeit ist … nun wohl … Als die berühmte Sängerin Diana Raczinska die Ehe mit dem Sänger Frederic Boyce einging, prophezeiten Eingeweihte ein schnelles Ende dieses im Kunstrausch geschlossenen Bündnisses. Alle, welche die Spieler- und Trinkernatur von Frederic Boyce kannten. Schon nach einem halben Jahr war die Ehe derart zerrüttet, daß die Scheidung eingeleitet wurde, Diana Boyce wartete nur auf den gerichtlichen Spruch, um einen neuen Bund mit Horace Clinton einzugehen …«

»Sie wollten mir eine interessante Geschichte erzählen … und bringen alte Dinge vor, die mir bei Gott zur Genüge bekannt sind.«

»Die kurze Einleitung war notwendig, Mylady. Ich kam an jenem Abend Ihres letzten Auftretens vom Strand in San Franzisko und verirrte mich in dem Häusergewirr des Hafenviertels. Als ich an einer der Schenken vorbeikam, aus der Toben und Brüllen betrunkener Matrosen erklang, öffnete sich plötzlich die Tür. Von rohen Fäusten gestoßen, flog ein Mann die Stufen hinauf und schlug vor meinen Füßen hart auf das Pflaster.

Angewidert von dem häßlichen Auftritt, wollte ich weitergehen. Da sah ich im Laternenschimmer, wie sich eine Blutlache um den Körper des Betrunkenen bildete. Das Blut entströmte einer starken Wunde im Nacken, die wohl von einem Messerstich herrührte.

Nach einigem Suchen fand ich eine Patrouille, die den Verletzten nach der Polizeiwache brachte. Da ich den Unfall teilweise mitangesehen hatte, mußte ich meine Zeugenaussage darüber abgeben. Inzwischen hatte der Polizeiarzt dem Verwundeten einen Notverband angelegt, ihm das Gesicht von Schmutz und Blut befreit. Der Mann war …«

»Wer?«

Lady Diana fühlte das Blut in ihrem Herzen stocken. Sie senkte unwillkürlich das Haupt. Jetzt mußte der Schlag kommen, der …

»… war Frederic Boyce, Ihr totgeglaubter Gatte.«

»Frederic …«

Lady Diana begann zu taumeln und wäre zu Boden gestürzt, hätte Dr. Glossin sie nicht aufgefangen.

»Fassung, Mylady! Um Gottes willen! Ich bin außer mir. Verzeihen Sie mein Ungeschick.«

Er führte die halb Bewußtlose zu einer Bank und nahm neben ihr Platz.

»Frederic … Frederic …«

Stoßweise rangen sich die Worte wieder und wieder von den blassen Lippen.

»Frederic Boyce ist tot, Lady Diana.«

»Tot?« Die Augen der Lady öffneten sich unnatürlich weit. »Sie … sagten … eben …«

»Frederic Boyce starb zwei Stunden später. Der Stich war tödlich.«

Ein tiefes Aufatmen. Der Körper Dianas straffte sich.

»Ist es die Wahrheit?«

Sie schaute den Doktor an, als wolle sie im Innersten seiner Seele lesen.

Der Doktor entnahm seiner Brieftasche ein Papier und überreichte es ihr.

Lady Diana schüttelte den Kopf und ließ das Blatt sinken.

»Was ist es?«

»Es ist eine Bescheinigung jenes Polizeiamtes in Frisko über den am 9. Mai 1950 erfolgten Tod von Frederic Boyce.«

Lady Diana kreuzte die Hände über ihre Brust und legte den Kopf an die Lehne der Bank. So saß sie lange. Das Bild einer weißen Marmorstatue.

»Erzählen Sie weiter, Herr Doktor.« Sie sagte es mit einer Ruhe und Festigkeit, die Dr. Glossin in Erstaunen versetzte.

»Bei dem Toten fand man keine Papiere. Meine Angaben über die Person wurden von der Polizei mit Zweifeln aufgenommen. Hatten doch vor genau zehn Tagen die Zeitungen über den Tod des Sängers Frederic Boyce im städtischen Spital berichtet. Ich blieb bei meiner Behauptung. Nachforschungen wurden angestellt. Sie ergaben, daß der im Hospital Verstorbene nicht der rechtmäßige Besitzer der bei ihm gefundenen Papiere gewesen war. Er hatte sie dem richtigen Eigentümer in der Trunkenheit entwendet. So wurde der 9. Mai als der Todestag von Frederic Boyce festgestellt.«

Dr. Glossin machte eine Pause, um die Wirkung seiner Worte auf Lady Diana abzuwarten. Vergeblich.

Lady Diana bewahrte ihre statuenhafte Ruhe.

Gereizt fuhr Dr. Glossin fort: »Es ergibt sich die eigentümliche Situation, daß Eure Herrlichkeit mit Lord Maitland oder, wie er damals noch hieß … mit Mr. Clinton getraut wurde, während Ihr erster Gatte noch lebte. Nach dem Gesetz kann Ihnen kaum ein Vorwurf gemacht werden, da Sie im Besitz der freilich falschen Sterbeurkunde waren. Aber … die Stimme der öffentlichen Meinung wiegt schwer für Angehörige des Highlife …«

Lauernd wartete der Sprecher auf die Wirkung seiner Worte.

»Sind Sie fertig, Herr Dr. Glossin?«

Glossin nickte stumm. Lady Diana maß ihn mit einem Blick.

»Wieviel verlangen Sie für Ihre Verschwiegenheit?«

Wie von einem Peitschenhieb getroffen fuhr der Doktor empor: »Mir das? … Sie wollen mir Geld anbieten … Hüten Sie sich. Ich vergesse eine Beleidigung niemals.«

Lady Diana nickte gleichmütig.

»Was verlangen Sie sonst, Herr Doktor?«

»Ich bitte nicht weiter in diesem Ton. Ich könnte in Versuchung kommen, das Gespräch abzubrechen … Nicht zu meinem Schaden.«

»Wozu erzählen Sie mir diese Geschichte, Herr Doktor?«

Glossin biß sich wütend auf die Lippen. Er glaubte, seine Schlinge gut gelegt zu haben. Ein gefälschtes Todesattest einer amerikanischen Polizeistation … für Dr. Glossin war die Beschaffung lächerlich einfach gewesen. Und er hatte Lady Diana damit einer wenn auch unabsichtlichen Bigamie überführt. Seine Stellung schien so stark, und trotzdem fühlte er sich in die Enge getrieben.

»Es wird der Tag kommen, Lady Diana, an dem Sie diese Worte bereuen. Der Tag, an dem Sie mir freiwillig die Hand zu einem Bündnis bieten werden. Dann werde ich Sie an den heutigen erinnern.

Heute bitte ich Sie nur um eine einfache Gefälligkeit, die Ihnen keine Mühe bereitet, für mich sehr viel bedeutet.«

Lady Diana schaute sinnend auf ihre schlanken, weißen Hände. Sie zweifelte, ob sie sie jemals dem Doktor Glossin zum Bündnis reichen würde.

Sie hatte in diesem Kampfe gesiegt. Aber innerlich war sie bewegter und erschütterter, als es äußerlich erschien. Wenn sie dem unbequemen Gast mit einer einfachen Gefälligkeit den Mund stopfen konnte, wollte sie es tun.

»Was ist es, Herr Doktor?«

»Ich muß zur Erklärung weit zurückgehen und in die Hände Eurer Herrlichkeit eine Beichte ablegen. Ich war nicht immer amerikanischer Bürger. Im Jahre 1927 lebte ich als britischer Untertan in Mesopotamien. Ein Ingenieur war dort tätig. Er machte eine Erfindung, die dem englischen Reiche gefährlich werden konnte. Ich setzte die britische Regierung davon in Kenntnis, und der Erfinder verschwand im Tower. Ihr Gemahl Lord Maitland muß darüber Bescheid wissen oder sich doch mit Leichtigkeit orientieren können. Helfen Sie mir. Ich muß wissen, ob Gerhard Bursfeld noch als Staatsgefangener im Tower lebt … er wäre jetzt 65 Jahre … oder was aus ihm geworden ist. Helfen Sie mir und seien Sie meiner Dankbarkeit versichert.«

»Gut, Herr Doktor, ich werde mit meinem Gatten sprechen. Was geschehen kann, um Ihnen die gewünschte Auskunft zu geben, soll geschehen.«

Lord Gashford, der englische Premier, hatte sein Kabinett zu einer Besprechung bitten lassen. Die Männer, welche vor dem Lande und dem Parlament die Verantwortung für den gesicherten Fortbestand des britischen Weltreiches trugen, waren im kleinen Konferenzsaal in Downing Street versammelt. Lord Gashford blickte sorgenvoll und sah überarbeitet aus. Er eröffnete die Sitzung mit einem kurzen Überblick über die politische Lage.

»Die Politik Großbritanniens hat seit zwei Jahrhunderten auf dem Grundsatze geruht, Kräfte, die dem Reiche gefährlich werden konnten, gegeneinander zu binden. Das Prinzip des Gleichgewichts, zuerst für Europa erfunden, konnte nach dem Weltkriege erfolgreich auf die überseeischen Mächte angewendet werden. Der Streit zwischen Amerika und Japan setzte uns in die Lage, Afrika von den letzten Überbleibseln europäischer Kolonien zu säubern. Leider haben diese Streitigkeiten mit dem vollkommenen Siege der nordamerikanischen Union geendet. Die Kraft der Union ist nicht mehr durch eine genügende Gegenkraft gebunden.

Das ist die Lage seit dem zweiten Frieden von San Franzisko. Unsere Politik ist bestrebt gewesen, die romanischen Staaten Südamerikas in einen Gegensatz zur nordamerikanischen Union zu bringen. Die Erfolge sind leider nur gering. Unsere Bemühungen, Japan zu stützen, haben bedauerlicherweise beklagenswerte Folgen gehabt. Kanada ist in so enge Beziehungen zur Union getreten, daß es heute nur noch formell zum Reich gehört. Australien steht im Begriff, gleichfalls Anschluß an das Zollgebiet der Vereinigten Staaten zu nehmen. Diese Umwälzungen vollziehen sich mit der Macht elementarer Ereignisse. Wenn die Union weise wäre, ließe sie die Zeit ruhig für sich arbeiten. Aber an ihrer Spitze steht eine Person von unbezähmbarem Ehrgeiz.

Wir müssen stündlich auf den Ausbruch des Krieges gefaßt sein. Wir stehen Erscheinungen gegenüber, die sich in keiner Weise irgendwie vorausberechnen lassen. Ich denke dabei an das Wort eines meiner Vorgänger vom politischen Alkoholismus. In jedem Falle müssen wir jeden Moment in der Lage sein, die Herausforderung anzunehmen und für den Bestand des Reiches zu kämpfen.«

Vincent Rushbrook, der Erste Lord der Admiralität, erhielt das Wort:

»Unsere maritimen Maßnahmen sind in erster Linie darauf gerichtet, den Seeweg nach Indien zu beherrschen. Eine Flotte von achthundert U-Booten liegt tiefgestaffelt auf dem Bogen von Lissabon nach Marokko. Ihre Basis wird durch unsere beiden großen Seefestungen von Gibraltar und Ceuta gebildet. Ihre Vorpostenboote haben auf der Länge von Island fremde U-Boote gesichtet. Seitdem … es sind jetzt drei Tage … sind unsere Boote und die Festungen in höchster Bereitschaft. Zwei Sekunden nach dem Alarm können die Rohre von Gibraltar und Ceuta feuern. Dieser Zustand läßt sich aber nicht monatelang aufrechterhalten. Die Nerven der Besatzungen leiden darunter. Meine Leute wollen lieber heute als morgen kämpfen. In vier Wochen werden sie zerrüttet sein, wenn es nicht zum Schlagen kommt.

Auf der Landenge von Suez liegt eine Flotte von 30 000 Flugzeugen. Ich sehe nicht, wie ein Gegner in das Mittelmeer eindringen könnte.«

Der Premier ergriff von neuem das Wort.

»Es ist gut, wenn die Flotte den Seeweg nach Indien sichert. Aber auch die Beherrschung des Landweges bleibt erwünscht. Warum haben wir Konstantinopel vor 20 Jahren genommen, wenn wir die Straße nicht benutzen? Die gerade Linie geht über Brüssel, Linz und Belgrad nach Konstantinopel.

Sie lieben uns nicht auf dem Kontinent. Der Russe hat leider die irrtümliche Meinung, daß wir an allem seinem Unglück seit 1904 schuld gewesen sind. Der Deutsche wird immer noch von der eigenartigen Idee beherrscht, daß wir vor 40 Jahren nicht für die Heiligkeit der Verträge gegen ihn gekämpft haben. Der Franzose, der Spanier und der Italiener sind verstimmt, weil wir sie aus Afrika entfernt haben.

 

Ich muß leider sagen, daß wir in den letzten 30 Jahren zu wenig Wert auf die Bildung der öffentlichen Meinung in Europa gelegt haben. Wir haben es nicht ungern gesehen, daß Rußland sich allmählich vom Bolschewismus säuberte. Es war uns bis zu einem gewissen Grade willkommen, daß Deutschland im Bündnis mit dem genesenden Rußland den Versailler Vertrag revidierte.

Wir übersahen dabei, daß durch die Verständigung zwischen Deutschland und Rußland eine Macht geschaffen wurde, die sich im Laufe der Zeit automatisch zu einer Übermacht Frankreich gegenüber entwickeln mußte. Die Folge war die Verständigung zwischen Frankreich und den beiden Oststaaten. Es kam zu der Bildung der deutsch-französischen Industriegemeinschaft.

Vom ersten Tage meiner Amtszeit an habe ich es als meine wichtigste Aufgabe betrachtet, diese Gemeinschaft zu lockern. Wir haben es versucht, den Chauvinismus in den betreffenden Ländern nach Kräften zu fördern. Leider sind die Erfolge nicht sehr bedeutend. Der große Vorteil der Industriegemeinschaft ist zu augenfällig. Immerhin müssen wir in dieser Richtung weiterarbeiten. Ich komme zu dem Ergebnis, daß England moralische Eroberungen auf dem Kontinent machen muß.«

William Chopper, der Presseminister, erbat sich das Wort:

»Für moralische Eroberungen braucht man eine gewisse Zeit. Außerdem … die kontinentale Presse ist in festen Händen. In Afrika und Asien können wir jeden Tag englische Zeitungen gründen. In Deutschland eine deutsche, in Frankreich eine französische Zeitung neu zu schaffen, ist sehr schwer für uns. Wir können nur den englischen Korrespondenten dieser Zeitungen durch unsere eigene Presse bestimmte Ansichten in solcher Weise einimpfen, daß sie dieselben schließlich für eigene und durchaus dem Vorteil des Kontinents dienende Ideen ansehen.«

Lord Gashford sprach weiter:

»Jede feindselige Haltung des Kontinents muß verhindert werden. Wir brauchen die volle Kraft der europäischen Industrie für uns. Sie werden auf dem Kontinent bereit sein, für beide Parteien zu liefern. Auf dem kurzen Wege über den Pol werden die amerikanischen Lastflugschiffe aus Europa an Kriegsmaterial wegschleppen, was sie kaufen können. Das muß verhindert werden. Der Kontinent darf nicht an beide Parteien liefern. Er muß ein Interesse an unserem Siege haben …«

Sir James Morrison, der Erste Lord des Schatzes, fiel seinem Kollegen ins Wort:

»Es gibt eine Möglichkeit … Alle Staaten des Kontinents schleppen die Kette amerikanischer Schulden hinter sich her. Wir müssen ihnen die Annullierung dieser Schulden versprechen. Dann haben sie ein Interesse an unserem Siege. Es wird zu überlegen sein, was sich für diese Versprechen einhandeln läßt. Lieferung von Kriegsmaterial ausschließlich an uns. Durchzugsrecht für unsere Truppen. Wenn möglich direkte Unterstützung. Ich glaube, daß sich viel mit dem Versprechen erreichen läßt …«

Die Verhandlung löste sich in lebhafte Einzelgespräche auf. Der Plan des Finanzministers war einleuchtend. Er war genial und wie alle genialen Sachen verblüffend einfach.

William Chopper übernahm es, die Idee mit der nötigen Vorsicht in die europäische Presse gelangen zu lassen. Es war notwendig, daß von privaten Stellen gleichzeitig in tausend Zeitungen die Möglichkeit, aus der amerikanischen Verschuldung herauszukommen, in Europa ventiliert wurde. Von drei Monaten, die er ursprünglich für die Durchführung dieser Propaganda verlangte, ließ sich der Presseminister auf zehn Tage herunterhandeln.

Lord Gashford sprach:

»Es ist widersinnig, die afrikanischen Rohstoffe und Bodenschätze erst nach England zu schaffen und hier zu verarbeiten. Wir müssen in Afrika eine Kriegsindustrie aus dem Boden stampfen. In der Umgebung der großen Kraftwerke des Sambesi und Kongo. Meine Herren, ich halte es sogar für möglich, daß die britische Regierung bei Kriegsausbruch nach Äquatoria übersiedelt.«

Betretenes Schweigen folgte dieser Mitteilung. Die englische Regierung sollte die britische Insel aufgeben, sollte London verlassen? Das war nach der politischen Tradition etwas ganz Unerhörtes.

Lord Gashford bemerkte es wohl und fühlte sich zu einer Erklärung verpflichtet.

»Es ist unseren Agenten gelungen, einen Plan unserer Gegner aufzudecken. Ich kann ihn nicht anders bezeichnen als eine Ausgeburt der Hölle. Der Diktator hat einen Teil seiner Luftflotte mit Bomben versehen lassen, durch die beim Aufschlagen Pest- und Cholerakeime in die Luft gewirbelt werden.«

Rufe des Abscheus und Entsetzens kamen aus aller Munde.

»Das ist Stonards würdig«, rief Vincent Rushbrook mit schneidender Stimme. »Möge ihn selbst die Pest befallen.« Erst nach Minuten konnte Lord Gashford fortfahren:

»Der Plan verliert bei näherer Betrachtung an Gefährlichkeit. Wir wissen genau, welche Teile der Flotte mit den G-Bomben ausgerüstet sind. Unsere Luftstreitkräfte müssen sich bei Eröffnung der Feindseligkeiten augenblicklich auf diese Schiffe stürzen und sie vernichten, bevor sie die britische Insel vergiften können. Gelingt es trotzdem einigen, unser Land zu erreichen, so sind für den betreffenden Bezirk sanitäre Maßregeln in Aussicht genommen.

Noch eins, meine Herren« – die Sätze wurden langsam unter Betonung jedes einzelnen Wortes gesprochen –, »es wäre in diesem Falle nicht zu vermeiden, daß die Krankheiten auf das Festland übertragen würden.«

»Right or wrong, my country«, kam es halblaut von den Lippen Rushbrooks, und andere Lippen flüsterten es nach. Lord Gashford sprach in der langsamen, betonten Weise weiter:

»Gemeinsames Leid knüpft feste Bande! Meine Herren … der Pfeil würde auf den Schützen zurückprallen … das war es, was ich noch mitzuteilen hatte.«

Drei Stunden später erschienen in einigen Blättern des Kontinents die ersten Betrachtungen über die Möglichkeit, die amerikanische Verschuldung loszuwerden. Der Apparat William Choppers arbeitete bereits.