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Die Macht der Drei

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Teil II

Und es kam der Tag, an dem sich in Linnais drei Menschen stumm umarmten. Der Tag, an dem die große Erfindung vollendet war.

Tage angespanntester Arbeit in Laboratorium und Werkstatt lagen hinter ihnen. Was jetzt kam, die Arbeit in der Werkstatt, um die Konstruktionen auszuführen, war körperlich leichtes Spiel, geistige Erholung.

Die Hauptarbeit hatte Silvester getan. Hindernisse, die immer wieder unvermutet auftauchten, hatte sein erfinderisches Genie bewältigt. Wenn bei den anderen die Zweifel laut oder leise sich regten, hatte er das Problem mit unbeirrbarer Zuversicht von einer neuen Seite angefaßt. Erik Truwor sah die Arbeit nicht ohne Sorge, denn Silvester war körperlich nicht eben der stärkste. Es kam wohl vor, daß er die Hände auf das in der Entdeckerfreude übermäßig pochende Herz pressen mußte, daß er mit wankenden Knien Minuten ruhen mußte, bevor der Kampf weiterging.

Nach einer letzten durcharbeiteten Nacht warf Silvester mit glückselig stolzem Lächeln seine Feder hin. Das Heureka des siegreichen Forschers kam über seine Lippen. Dann sank er zusammen und fiel in einen tiefen, todähnlichen Schlaf.

Mit liebevollen Händen betteten sie den Zusammengesunkenen auf seinem Lager.

Atma hielt dort die Wacht.

Erik Truwor litt es nicht länger in den engen Räumen. Mit übervollem Herzen stürmte er hinaus, um allein und im Freien seiner Gedanken und Pläne Herr zu werden.

Gedanken und Pläne von unerhörter Kühnheit, die seit Wochen in ihm brodelten, zerrissen und sich von neuem zusammenballten, wollten sich jetzt verdichten und Gestalt annehmen. Schon eine Stunde stürmte er durch den tiefen Wald und wußte nicht, wie er dorthin gekommen war. Auf steilen Grashalden ging es bergan. Geröll und Felsblöcke zwangen ihn, seine Schritte zu verlangsamen. Als er die Höhe erreichte, rang er nach Atem. Tief unter ihm lag der Strom. Sein Rauschen drang nur noch gedämpft herauf. Dichte Nebelschwaden zogen an den Talwänden. Ein frischer Wind pfiff über die Höhen. Erik Truwor nahm den Hut vom Kopf und ließ sich die erhitzte Stirn kühlen. Er ließ sich auf einem Felsblock am Rande des Abhanges nieder. So saß er lange still und starr wie der Stein unter ihm.

Die lauten und verworrenen Stimmen der vergangenen Nächte begannen zusammenzuklingen zu einer klaren, starken Melodie. Zu einem unnennbaren Hochgefühl voll Zuversicht, Ruhe und Kraft, das von ihm ausströmte und ihm entgegenströmte aus den stummen Steinhalden, dem dunklen Grün der Föhren, den Spitzen der fernen Bergkämme.

In diesem Augenblick umspannte sein Geist weite Räume und Zeiten, verknüpfte das Gegenwärtige mit dem Vergangenen und Zukünftigen. Die Erinnerungen an Pankong Tzo wurden lebendig. Die geheimnisvollen Lehren und Sprüche, immer wieder mit der gleichen Überzeugung und Gläubigkeit vorgetragen und immer wieder zweifelnd von ihm aufgenommen. Jetzt war die Stunde gekommen, die ihm der Abt in Pankong Tzo mit lächelnder Zuversicht vorausgesagt.

Die Stunde der Wandlung! Die Stunde, die sein irdisches Dasein in zwei Leben teilte.

Als er vor Tagen die Tragweite von Silvesters Erfindung erkannte, als er die Möglichkeit erblickte, mit ihrer Hilfe der Welt neue Gesetze, seine Gesetze vorzuschreiben, hatte ihn die Größe des Gedankens erschreckt und niedergedrückt. Jetzt war es entschieden.

Das Schicksal hatte aus dem Alten in Pankong Tzo gesprochen und ihn zu seinem Werkzeug erkoren.

Mit festen Schritten ging er den Weg nach Linnais zurück. Siegesgewiß. Von der Idee an seine Mission erfüllt und getragen.

Aus langem stärkenden Schlummer war Silvester erwacht. Erfindung … Strahler … Konstruktionen, alles das lag traumhaft hinter ihm.

Jetzt, wo die gewaltigste Arbeit getan, seine Schöpfung vollkommen war, kehrten seine Gedanken ungehemmt zu früheren Dingen zurück. Sie gingen nach Trenton. Sie flogen zu Jane.

Er verstand sich selbst nicht mehr. Wie war es möglich, daß er in diesen Tagen der Arbeit Jane so vollkommen vergessen konnte. Hatte ihn das Problem verzaubert? War ein anderer Einfluß wirksam? Er wußte keine Antwort darauf.

Er sah seine Verlobte. Sah sie in dem kleinen Hausgarten ihre Lieblinge, die Blumen, pflegen. Er erblickte sie im traulichen Beisammensein im Lichtschein der Lampe. Er sah, wie beim Sprechen ein rosiger Blutschimmer ihre zarten Wangen färbte und wie ihre Augen aufstrahlten. Er sah sie in stillen Abendstunden in leichtem schwebenden Gang an seiner Seite durch die Felder gehen.

Dann sah er Dr. Glossin, und Sorge beschlich ihn. Er mußte zu Jane, mußte sie schützen, mußte sie in Sicherheit bringen. Liebe und Furcht mischten sich in seinen Gedanken.

Mit Ungeduld erwartete er die Rückkehr Erik Truwors. In fliegender Hast trug er ihm seine Pläne und Wünsche vor. Die Erfindung war vollendet. Die Ausführung war eine Kleinigkeit. Wenn sie ohne seine Mitwirkung etwas länger dauerte, was verschlug das.

Mit unbewegter Miene hörte Erik Truwor die Wünsche Silvesters.

»Um eines Weibes willen willst du fahnenflüchtig werden?«

»Fahnenflüchtig? Was soll dieses Wort von deiner Seite? Aus Janes Munde wäre es berechtigt.«

»Und unsere Mission?«

Erik Truwor sprach es mit starker Stimme.

»Mission? Meine Aufgabe ist erfüllt. Das sagt mir mein Innerstes. Die Erfindung ist vollendet. Was ich zu geben hatte, habe ich gegeben. Die Werkstattarbeit geht ohne mich. Was kommt es auf ein paar Tage früher oder später an?«

»In ein paar Tagen können Tausende von Männern fallen, Tausende von Frauen Witwen werden. In ein paar Tagen kann mehr Elend entstehen, als in Jahrzehnten wieder gutzumachen ist.«

»Du siehst schwarz. Erwartest du schon in nächster Zeit den Kriegsausbruch?«

»Gewiß! Täglich, stündlich können die ersten Schüsse fallen. Deshalb muß der Apparat so schnell wie möglich fertiggestellt werden. Wir sind ausgeruht. Nichts hindert uns, sofort an die Arbeit zu gehen.«

Silvester stand stumm. Widerstreitende Gefühle kämpften in seinem Inneren. Er sah Jane in den Händen Glossins. Er sah Schlachtfelder, bedeckt mit Toten und Verwundeten … Ehre und Gewissen zwangen ihn, seine Liebe zum Opfer zu bringen. Er tat es mit blutendem Herzen.

»Aber …« Die tiefe Erregung spiegelte sich in seinen Augen wider … »Aber woher nimmst du die Gewißheit, daß der Krieg schon in allernächster Zeit ausbrechen wird? Dein Glaube gründet sich doch nur auf Mutmaßungen.«

Wortlos deutete Erik Truwor auf den Inder.

»Du, Atma! Du sagst es?«

»Ich sagte, was ich in den stillen Nächten sah, in denen ihr arbeitetet. Ich sah die blanken Schwerter in den Händen der feindlichen Brüder, bereit zum Töten.«

Silvester senkte betroffen das Haupt. Die Voraussagen Atmas waren untrüglich. Er wendete sich ab, um seine innere Bewegung zu verbergen. Da fühlte er die Arme des Inders sich um seine Schultern legen.

»Der Krieg wird nicht kommen, bevor sich der Mond vollendet. Als ich in der vergangenen Nacht an deinem Lager wachte, sah ich, wie die Schwerter sich in ihre Scheiden zurücksenkten. Die Hände der Männer blieben am Griff.«

»Was sagst du, Atma? Der Krieg ist aufgeschoben?«

Erik Truwor trat näher an den Inder heran. Er hielt den Papierstreifen des Telegraphenapparates zwischen den Fingern.

»Aufgeschoben. Das würde die veränderte Sprache in diesen Telegrammen erklären.«

»Aufgeschoben, bis der Mond sich erneut. Wir haben Zeit. Zeit, deinen Willen zu tun, und Zeit, die Wünsche Silvesters zu erfüllen.«

Erik Truwor traf die Entscheidung. Für achtundvierzig Stunden brauchte er die Hilfe Silvesters noch, um alle Teile der neuen Konstruktion so weit fertigzumachen, daß er sie dann selbst nur zusammenzusetzen brauchte.

Sein Befehl war zwingend. Vergeblich suchte Silvester dagegen zu kämpfen. Atma nahm die Partei Erik Truwors.

»Zwei Tage und zwei Nächte, Silvester. Dann haben wir hier getan, was zu tun ist, und holen das Mädchen.«

Mit einem Seufzer fügte sich Silvester dem Willen seiner Freunde. Von neuem begann ein Arbeiten, ein Schmieden, Feilen und Schleifen. Stahl und Kupfer gewannen neue Formen, und in achtundvierzig Stunden wuchsen die Teile, die den neuen großen Strahler bilden sollten.

Doktor Glossin saß im Gebäude der englischen Admiralität vor einem dickleibigen, verstaubten Aktenstück und wandte Blatt um Blatt.

Da lag auf vergilbtem Papier, von seiner eigenen Hand geschrieben, die kurze Mitteilung, durch die er damals die Aufmerksamkeit des englischen Distriktskommissars auf Gerhard Bursfeld lenkte. Das Briefchen hatte von dort den Weg zu den nebligen Ufern der Themse gefunden, und hatte seine Wirkung getan. Die folgenden Schriftstücke sprachen davon.

Der Bericht eines anderen Distriktskommissars an den Oberkommissar, daß eine Bande räubernder Eingeborener den Ingenieur Bursfeld entführt hätte. Mitteilungen über die Mobilmachung von Militär. Eine Expedition zur Befreiung des Entführten. Nebenher die Mitteilung, daß das Sommerhaus Bursfelds bei der Entführung in Flammen aufgegangen wäre. Ein Bericht, daß man den Wiedergefundenen an Bord des Kleinen Kreuzers »Alkyon« gebracht habe, daß seine Gattin und sein Kind nirgend aufzufinden seien. Bis dahin konnten die Berichte in jeder Zeitung stehen. Die englische Regierung spielte darin die Rolle des Befreiers, und nichts verriet, daß der Überfall bestellte Arbeit gewesen war. Dann wurden sie ernsthafter und waren nicht mehr für die Öffentlichkeit geeignet.

Die Überführung Bursfelds in den Tower. Seine erste Vernehmung über seine Erfindung. Seine Weigerung, irgend etwas zu sagen. Wiederholte Vernehmungen im Laufe der nächsten vier Wochen. Stets das gleiche negative Ergebnis.

Dann kam das letzte Schriftstück im Bündel. Die Mitteilung, daß man Gerhard Bursfeld in der fünften Woche seiner Gefangensetzung tot auf seinem Lager gefunden habe. Nach einem Gutachten des amtierenden Arztes am Herzschlag verschieden.

 

Dr. Glossin atmete auf. Die Last einer dreißigjährigen Vergangenheit fiel ihm vom Herzen. Gerhard Bursfeld war tot. Er war gestorben, ohne daß die englische Regierung etwas von seinem Geheimnis erfahren hatte. Dr. Glossin suchte in seiner Erinnerung das wenige zusammen, was er seinem Freunde damals entlockt hatte: Die Behauptung der theoretischen Möglichkeit, an einem Orte erzeugte Energie ohne materielle Verbindungen an einer beliebigen anderen Stelle zu konzentrieren. Ein kleiner Versuch, bei welchem eine fünfhundert Meter entfernte Dynamitpatrone explodierte, als Bursfeld mit einem kleinen Apparat ein paar Manöver ausführte. Die strikte Weigerung des Freundes, irgend etwas Weiteres zu sagen.

Die beiden Worte »Telenergetische Konzentration« hämmerten dem Doktor in den Schläfen. Gerhard Bursfeld hatte die Worte gebraucht. Er war einem Geheimnis auf der Spur gewesen, welches dem besitzenden Staate die Weltherrschaft sicherte. Jedes Sprengstofflager konnte man mit diesem Mittel aus der Ferne sprengen. Die Patrone im Flintenlauf des einzelnen Soldaten ebensogut explodieren lassen wie das Riesengeschoß in den großen Rohren der Flottengeschütze.

Ein großes, gelbes Kuvert bildete den Schluß des Aktenstückes. Es enthielt die wenigen Papiere, die man bei der Leiche des Inhaftierten gefunden hatte. Seinen Paß und ein kleines Notizbuch mit Bleistiftaufzeichnungen. Mit einem Schauer blickte Dr. Glossin auf die ihm so vertrauten Schriftzüge. Kurze Notizen über den damaligen Dienst in Mesopotamien. Abgerissene Worte über den Überfall und die Entführung. Dann die Tragödie im Tower. Das weiße Papier des Notizbuches war zu Ende, und Gerhard Bursfeld hatte die letzten Mitteilungen in deutscher Sprache zwischen die gedruckten Zeilen des Kalendariums gekritzelt. So waren sie wohl der Aufmerksamkeit seiner Wächter entgangen.

»Donnerstag, den 13. Mai. Sichere Nachricht, daß Rokaja und Silvester tot sind.«

»Sonnabend, den 15. Mai. Sie versuchen, mir meine Erfindung durch Hypnose zu entreißen.«

»Sonntag, den 16. Mai. Ich habe heute nacht im Schlaf gesprochen … Zeit, ein Ende zu machen. Ich entrinne ihnen doch. Eine Luftblase in eine Vene geblasen, ich bin frei. … Heute noch, bevor die Nacht kommt. Rokaja … Silvester … ich sehe euch wieder.«

Damit brachen die Mitteilungen ab.

Dr. Glossin überlegte. Sie hatten dem Gefangenen natürlich jedes gefährliche Stück abgenommen. Aber ein Mann wie Gerhard Bursfeld wußte immer noch hundert verschiedene Wege und Mittel zu finden, sich eine Vene anzuschlagen und Luft einzublasen. Der Herzschlag, den der Bericht als Todesursache angab, war dem Doktor Glossin vollkommen klar.

»Ich habe in der letzten Nacht gesprochen.« Nur diese Worte bereiteten ihm Beklemmungen. Gerhard Bursfeld war schwer zu hypnotisieren. Es war anzunehmen, daß er den hypnotischen Einfluß gespürt … während des Schlafes empfunden, sich instinktiv zur Wehr gesetzt hatte und darüber erwacht war. So konnte es sein. Doktor Glossin suchte sich einzureden, daß es so gewesen sein müsse. Aber ein leiser Zweifel blieb übrig.

Lord Maitland trat in den Raum, um nach seinem Gast zu sehen.

»Haben Sie alles gefunden, was Sie suchten?«

»Ich ersah zu meinem Bedauern, daß meine damaligen Bemühungen, der britischen Regierung einen Dienst zu erweisen, vergeblich waren … Leider. Die Welt hätte heute ein anderes Gesicht, wenn es gelungen wäre. Gerhard Bursfeld besaß das Mittel, die Welt aus den Angeln zu heben. Er hat es mit ins Grab genommen.«

Dr. Glossin sprach die Worte langsam und beobachtete jeden Zug und jede Miene des Lords. Aber dessen Antlitz blieb völlig unverändert.

»Ich habe den alten Akt auch durchgesehen. Unsere Regierung hat sich damals viel Mühe um den Fall gemacht. Wie Sie sehen, ganz umsonst. Es hat oft solche Leute gegeben, die sich einbildeten, Gott weiß was erfunden zu haben. Sie hätten den armen Narren ruhig bei seinem Bahnbau sitzen lassen können. Jedenfalls bin ich erfreut, Ihnen in dieser Angelegenheit gefällig gewesen zu sein. Ich bitte Sie, über mich zu verfügen, wenn Sie weitere Wünsche haben.«

Dr. Glossin dankte. Er wäre Seiner Lordschaft aufs äußerste verbunden und hätte keine weiteren Wünsche. Wenn Seine Lordschaft jemals einen Gegendienst …

Er überschwemmte Lord Maitland mit einer Flut von Höflichkeitsfloskeln. Sie gingen ihm von der Zunge, ohne daß er ihren Sinn überhaupt merkte. Dabei aber erteilte er seinem Gegenüber mit größter Anstrengung einen suggestiven Befehl.

»Wenn du etwas von der Erfindung weißt, so sage es.« Er hütete sich mit Gewalt, dabei selbst an die Erfindung zu denken, denn er kannte die Gefahr, daß diese Gedanken auf sein Gegenüber mitwirkten und als dessen eigene reproduziert wurden.

Lord Maitland blieb ruhig. Er erwiderte die Höflichkeiten Amerikas mit denen Englands. Die Redensarten der einen Seite waren genau so belanglos wie die der anderen. Da wußte Dr. Glossin, daß Gerhard Bursfeld sein Geheimnis mit ins Grab genommen hatte.

Die Bedingung, an die Erik Truwor sein Versprechen geknüpft hatte, trieb Silvester zu fieberhafter Tätigkeit an. Er achtete kaum der Zeiteinteilung und arbeitete die Tage und die hellen Nächte, nur getrieben von dem einen Wunsch, den neuen Apparat fertig zu haben und dann zu holen und zu sich zu nehmen, was ihm das Teuerste war.

In rastloser Arbeit schaffte er, bis das letzte Stück gegossen, die letzte Speiche geschmiedet, die letzte Schraube geschnitten war. Da ließ er den Drehstahl aus der Hand sinken und wandte sich zu Erik Truwor: »Wenn du wüßtest, in welcher Verzweiflung ich hier gestanden und gearbeitet habe, wenn du meine jetzige Freude verstündest. Doch du … du …«

»Du …? Du weißt nicht, was Liebe heißt, wolltest du sagen.«

Silvester hörte den bitteren Unterton, der in den sarkastischen Worten lag.

»Du, Erik? Du, auch du …«

Silvester schwieg. Er sah die tiefen Falten, welche die Stirn Erik Truwors furchten. So hatte auch Erik Truwor, der gegen alle Anfälle des Lebens gefeit schien, ein Geheimnis, einen verborgenen Kummer.

»Verzeih, Erik, wenn ich ungewollt eine Wunde berührte, von der ich nicht wußte. Ich glaubte nicht, daß dein Stahlherz je Frauenliebe verspürte.«

»Kein Mann wird mit stählernem Herzen geboren. Der es besitzt, hat es nach bitterer Enttäuschung und Entsagung erworben. Die Wunde ist verharscht …«

Wie mit sich selbst sprechend, fuhr er leise fort: »Ganz verharscht und geheilt seit dem vorgestrigen Morgen. Ohne Bewegung und ohne Bedauern kann ich heute von einer Zeit erzählen, wo ich der glücklichste Mensch auf Erden war … und dann der unglücklichste … Es war während meines Pariser Aufenthalts.

Die Verleumdung wagte sich an mein Ideal heran.

Ich forderte den Verleumder und traf ihn tödlich. Dann ging ich zu meiner Verlobten. Ich forderte Aufklärung. Ihre Rechtfertigung ging an meinem Herzen vorbei. Ich gab ihr den Ring zurück. Ging fort von Paris, durchirrte die Welt.

Es hat vieler Jahre bedurft, bis ich die Ruhe wiederfand. Heute denke ich anders darüber. Wenn ich heute … Warum davon noch sprechen.

Heute gilt es Mannestat! Was mich heute bewegt, was mir Herz und Hirn erfüllt, schaltet jeden Gedanken an ein Weib aus.

Es gilt einen Wurf, der unsere Welt umgestalten soll … Wenn du wieder zurück bist, wenn dein Herz frei von der Sorge ist, will ich dir sagen, wozu das Schicksal uns bestimmt hat.«

»Wenn ich zurück bin, Erik. Jetzt denke an dein Versprechen. Ich habe getan, was ich tun sollte.«

Bevor Erik Truwor zu antworten vermochte, sprach Atma: »Es ist nicht gut, das Mädchen in der Hand der Gewalt zu lassen.«

Atma saß zurückgelehnt. Seine Augen blickten weitgeöffnet in die Ferne. Die Pupillen zogen sich eng und immer enger zusammen. Seine Hände ruhten auf einem tibetanischen Rosenkranz.

»So sah er aus, als er mir riet … nein, befahl, nach Trenton zu gehen.«

Erik Truwor flüsterte es Silvester zu. Nach einigen Minuten erschütterte ein tiefer Atemzug die Brust des Regungslosen. Seine Pupillen bekamen wieder ihre natürliche Weite. Er sprach: »Die feindliche Kraft ist am Werke. Glossin hat den dritten Ring. Er sinnt auf Böses. Wir müssen den Ring holen … und das Mädchen.«

Erik Truwor widersprach. Was solle der Ring? Auf die Männer käme es an. Die wären zusammen!

»Welchen Auftrag gab dir Jatschu?«

Atma stellte die Frage tibetanisch, und Erik Truwor antwortete in der gleichen Sprache: »Er sagte: Suchet den dritten Ring!«

»Das sagte er? Also müssen wir ihn suchen. Die Wege des Lebens sind tausendfach verflochten. Was dir Nebensache erscheint, wird zur Hauptsache, wenn das Rad sich dreht. Erst den Ring! Dann das Mädchen und dann … alles andere. So ist es bestimmt. So wird es geschehen.« Atma hatte es leise und monoton, noch unter der Einwirkung des kataleptischen Zustandes gesprochen. Aber ein zwingender Wille ging von den Worten aus. Unter dem Zwange gab Erik Truwor seine Einwilligung.

»So sei es denn. Ihr beide mögt gehen, den Ring und das Mädchen holen. Ich bleibe hier und baue den Strahler. Brecht morgen mit dem frühesten auf. Tut, was ihr tun müßt …«

»Noch diese Nacht. In einer Stunde. Eile tut not.«

Soma Atma sagte es. Der Inder, der lange Tage und Wochen untätig verbringen konnte, der Stunden hindurch, in die Betrachtungen seiner Lehre versenkt, wie eine Bildsäule saß, während Erik Truwor und Silvester mit Anspannung aller Kräfte arbeiteten, der sonst so tatenlose Inder war jetzt ganz Willen und Tat.

»In einer Stunde brechen wir auf. Die Maschinen sind nachzusehen. Das Schiff muß hierhergebracht werden. Den kleinsten Strahler müssen wir mitnehmen. Wir könnten ihn brauchen.«

Atma befahl, und die Freunde gehorchten seiner Weisung.

In einer Stunde läßt sich viel tun. Was Menschenkraft zu tun vermag, geschah in dieser Zeit. Das Flugschiff lag auf der Wiese vor dem Truworhaus. Die letzten Vorbereitungen wurden getroffen. Dann ein kurzer Händedruck, und ein silberner Stern schoß in die Wolken.

Die hohe Gestalt Erik Truwors blieb allein auf dem Feld zurück. Die Strahlen der Mitternachtsonne umströmten ihn. Er stand und sah, wie die Sonne vom tiefsten Stand ihres Bogens in Mitternacht sich hob und stieg.

Langsam schritt er seinem Hause zu und überdachte die alte Weissagung. Sie verhieß Gewaltiges. Sie gab ihm, der oft willens gewesen, das Leben wie ein unbequemes Gewand abzutun, wieder Daseinszweck.

Er trat in das Haus und ging in die Bibliothek. Den alten Schweinslederfolianten ergriff er, der dort abseits von den anderen Büchern in einer Truhe lag.

Die Geschichte seines Geschlechtes. Auf vergilbtem Pergament die handschriftlichen Aufzeichnungen seiner Ahnen und Urahnen. Zurückgehend bis in das zehnte Jahrhundert. Jede große europäische Bibliothek hätte diesen Folianten mit Gold aufgewogen. Er schlug die alte so oft gelesene Stelle auf. In diesem Teile war der Foliant lateinisch geschrieben. Ein schwerfälliges, frühmittelalterliches Latein. Der Schreiber brauchte lateinische Worte, aber altnordischen Satzbau. Er schilderte die Ereignisse, die sich zweihundert Jahre früher, um die Mitte des zehnten Jahrhunderts, begeben hatten.

»Da schickten die Slawen von Sonnenaufgang eine Gesandtschaft zum Stamme Ruriks. Die sprach: Sendet uns Männer, die uns beherrschen, denn wir können uns nicht selbst regieren. Keiner will dem anderen gehorchen. Zwietracht verheert das Land …«

Ein Truwor war damals nach Rußland gegangen. Männer aus Nordland hatten das zwieträchtige Slawenvolk regiert und geeint. Vor tausend Jahren. Die Weltgeschichte wiederholt sich nicht wörtlich. Aber sie wiederholt sehr oft ein altes Thema mit freien Variationen.

Die Eintragungen in diesem Buche gingen bis in die Gegenwart. Als letzte Bemerkung stand dort, von Eriks Hand geschrieben, der Tod Olaf Truwors eingezeichnet. Seitdem stand das Geschlecht der Truwor auf zwei Augen. Auf den beiden Eriks, die jetzt suchend in die helle Nacht blickten, als wollten sie kommende Jahre durchspähen.

Je länger sich Erik Truwor in die Erfindung Silvesters vertiefte, desto gewaltiger erschien ihm die Macht, die sie gewährte. Immer wieder suchte er mit nüchternen Gründen gegen das Überwältigende der Idee anzukämpfen. Es schien ihm unmöglich, daß eine Erfindung einem einzigen Menschen die unbeschränkte Macht über die ganze Welt verleihen solle. Und doch gelang ihm die Widerlegung nicht.

Er griff sich an die Stirn, als wolle er einen Traum verscheuchen, der ihn narre. Er versuchte es zum zehnten- und zwölftenmal von einer anderen Seite aus, und immer wieder brachte ihn die Schlußkette an das nämliche Ziel.

Er konnte der Welt seine Befehle mitteilen. Elektromagnetisch in Form drahtloser Depeschen. Der Strahler ersetzte jede drahtlose Station.

 

Die Welt konnte seine Befehle mißachten. Er konnte Strafen auf die Mißachtung setzen, und er war in der Lage, schwer zu strafen. Ganze Regierungen konnte er einäschern. Die Sprengstofflager feindlicher Staaten zur Explosion bringen. Eiserne Waffen elektromagnetisch unbrauchbar machen.

Alles konnte er. Nur einen schwachen Punkt hatte seine Macht. Er war ein einzelner, war ein sterblicher Mensch gegen Millionen anderer Menschen. Ein Schuß konnte ihn töten. Eine Bombe konnte ihn mit seinem Hause vernichten. Nie durfte er selbst an die Öffentlichkeit treten, nie durften seine Gegner seinen Aufenthalt erfahren. Seine Macht war übermenschlich, solange sie geheimblieb und vom unbekannten Orte aus wirkte. Sie wurde angreifbar, sobald die Gegner ihren Sitz und Ursprung errieten.

Erik Truwor ließ die vergilbten Pergamentblätter des alten Folianten durch die Finger gleiten. Kam vom Pergament zum Büttenpapier und schließlich zu einem Schuß glatten Maschinenpapiers, den Olaf Truwor dem Buche eingeheftet hatte.

Wenige Zeilen in der charakteristischen Handschrift seines Vaters: »Mit seltener Hartnäckigkeit hat sich in unserer Familie die Sage erhalten, daß ein Sproß unseres Stammes der Welt noch einmal Gesetze geben wird. Ein Harald Truwor hat den Glauben an die Legende Anno 1542 mit seinem Kopf bezahlt. Ich habe es immer vermieden, von dem alten Spuk zu sprechen. Hoffentlich kommt die Sage jetzt endlich zur Ruhe.«

Erik Truwor mußte trotz seiner ernsten Stimmung lächeln. Es war ihm schon klar, wie solche Sagen sich fortpflanzen. In den Dienerstuben wurde davon gesprochen. So hatte er selbst als Kind davon gehört, und die Erinnerung war bis heute haftengeblieben. Auch ohne die Aufzeichnungen seines Vaters hätte er darum gewußt. Etwas anderes erschien ihm wichtiger. War die Sage begründet? Bestimmte das Schicksal die Taten und Leistungen des einzelnen wirklich auf Jahrtausende im voraus? Die Frage quälte ihn, und er konnte die Antwort nicht finden.

Reynolds-Farm, an drei Seiten von steilen Felsen und bewaldeten Anhöhen umgeben, liegt eingebettet in ein Meer von Grün. Die letzten Bäume des Waldes berühren mit ihren Kronen beinahe die Dächer der Gebäude. Einzelne Rinnsale, die aus den Felsen hervorquellen, vereinigen sich nahe der Besitzung zu einem stattlichen Bach. Kurz vor der Farm ist er gezwungen, seinen Lauf zu ändern und sich einen bequemeren Weg durch die breiten Wiesenflächen zu bahnen, die sich nach der Ebene an die Besitzung anschließen.

In einem blaßblauen, leichten Gewand, den Kopf von einem großen Schattenhut überdacht, schritt Jane über den schmalen Brettersteg, der den Bach überbrückte. Leichtfüßig begann sie die steinige Anhöhe hinaufzusteigen, auf deren Gipfel eine einzelne riesige Buche ihr Blätterdach weit ausbreitete. Es war ihr Lieblingsort. Zwischen den rippenartig ausgehenden Wurzeln des gewaltigen Stammes hatte sie ein Plätzchen gefunden, wo sie wie in einem Lehnsessel ruhen konnte. Von hier aus vermochte sie wie aus der Vogelschau Reynolds-Farm und die weite grüne Grasfläche zu überblicken.

Wie anders als in Trenton, wo Qualm und Dunst der großen Staatswerke stets über dem Orte lagen. An den Stamm des Baumes zurückgelehnt, ließ Jane die frische Morgenluft um die Stirn wehen, während ihr trunkenes Auge über die weite grüne Landschaft schweifte. Wie glücklich hätte sie hier sein können. Wie wäre die Mutter in diesem milderen Klima aufgelebt, vielleicht ganz gesundet … und Silvester? … Wo war er? Lebte er noch? Warum kam kein Lebenszeichen von ihm? … Trübe Schatten senkten sich auf ihre Stirn. Sie atmete unruhig. Ein Seufzer hob ihre Brust. Mit ganzer Seele klammerte sie sich an den Gedanken, daß er bald kommen und sie holen möchte.

Dr. Glossin? … Gewiß, er war stets liebevoll und zuvorkommend zu ihr. Aber immer wieder tauchten verworrene Gedanken in ihr auf. Beunruhigend, warnend, trübten sie das Gefühl der Dankbarkeit. Der Zwiespalt quälte sie oft so, daß sie den Gedanken erwog, die Farm für immer zu verlassen. Doch wohin? Und würde sie Silvester finden, wenn sie nicht mehr in Reynolds-Farm weilte?

Um sich von dem Grübeln zu befreien, griff sie zu einem Buch, das sie der Bibliothek des Doktors entnommen hatte, und begann zu lesen. Doch nicht lange. Dann entsank es ihren Händen, und ein wohltätiger Schlummer umfing sie. Sie überhörte die Schritte des Doktors, der nach ihrem Weggange gekommen und von Abigail nach der einsamen Buche geschickt worden war.

Glossin stand vor ihr und betrachtete entzückt diese wie von Bildnerhand geschaffene Gestalt, dies edel und weich gezeichnete Gesicht mit den rosigen Farben und dem sanften Mund. Er kniete neben ihr nieder, ergriff behutsam ihre Hand und fuhr fort, sie mit seinen Blicken zu umfassen. Dies alles gehörte jetzt ihm, wie er meinte. Gehörte ihm für immer. Niemand würde es ihm mehr streitig machen können.

Dr. Glossin war ein Mann von eiserner Willenskraft und ungewöhnlicher Beharrlichkeit. Das einzige Kraftlose an ihm war sein Gewissen. Tiefere Herzensbedürfnisse hatte er bisher nicht gekannt. Wollte es der Zufall, daß ein weibliches Wesen vorübergehend die Leidenschaft in ihm weckte, hatte er es sich mit allen Listen einer gewissenlosen Moral willig gemacht. Wären die Mauern von Reynolds-Farm nicht stumm gewesen, sie hätten über manche Tragödie Aufschluß geben können, die irgendwo begann und hier ihren Abschluß fand.

Nur eine große Leidenschaft hatte Dr. Glossin in seinem Leben gehabt. Damals, als Rokaja Bursfeld seinen Weg kreuzte.

Als er Jane Harte zum erstenmal sah, hatte er das gute Medium für seine hypnotischen Versuche in ihr erblickt, ein wertvolles Mittel für die Ausführung seiner Pläne. Nur deshalb hatte er an ihrem Schicksal Interesse genommen. Bis er sich durch Silvester Bursfeld in ihrem Besitze bedroht sah und die Flamme einer plötzlichen Leidenschaft in dem alternden Mann aufloderte.

Oft hatte er seine Schwäche verwünscht, ohne doch dieser Leidenschaft Herr werden zu können. Daß das Mädchen ihn, der dem Alter nach recht gut ihr Vater sein konnte, nicht aus vollem Herzen liebte, ja vielleicht nie lieben würde, wußte er. Aber der Gedanke, Jane sein Eigen zu wissen, ließ alle Bedenken schwinden.

Dr. Glossin beugte sich über Janes Hand, die in der seinen ruhte, und preßte die Lippen darauf. Mit einem leichten Ausruf des Schreckens fuhr Jane aus ihrem Schlummer empor. In der ersten Überraschung schenkte sie der sonderbaren Stellung des Arztes keine Beachtung.

»Ah, Sie, Herr Dr. Glossin! … Oh, wie freue ich mich, daß Sie gekommen sind. Sie werden mich undankbar schelten, aber ich muß es Ihnen sagen, die Einsamkeit in Reynolds-Farm bedrückt mich.«

»So wünschen Sie, daß ich häufiger komme, daß ich länger bleibe … für immer bei Ihnen bleibe, Jane?«

Jane senkte errötend den Kopf. Die fürsorgliche Liebe, die aus den Worten des Doktors klang, setzte sie in Verwirrung. Sie wollte sagen, daß er sie falsch verstanden habe, daß sie aus Reynolds-Farm weg wolle. Und brachte doch die Worte, die undankbar klingen mußten, nicht über die Lippen.

Von seiner Leidenschaft verblendet, glaubte Dr. Glossin, daß Janes Zurückhaltung ihr nur als Schutzwehr gegen ein wärmeres Gefühl dienen sollte.

»Jane! Darf ich, soll ich immer bei Ihnen bleiben?«

Sie antwortete nicht sogleich. Ihre Hand zuckte in der seinen. Ein Ausdruck flehender Hilflosigkeit kam über ihr Gesicht.

»Ich weiß nicht«, sagte sie tonlos. »Es ist …« – sie legte die Hand aufs Herz –, »es ist so fremd hier.«

»Nicht hier allein. Überall in der Welt! Wo der eine ist, soll auch der andere sein. Jane, sehen Sie mich an. Ich will offen mit Ihnen sprechen. Ich verlange nach einem Heim, einem Weib, einer Friedensstätte. Der Blick Ihrer Augen, der Ton Ihrer Stimme, Ihre geliebte Nähe, sie werden mir alles bringen. Wert bin ich Ihrer nicht, ja, ich weiß, es ist unedel, wenn ich Ihr blühendes junges Leben an das meine ketten will. Aber ich kann nicht anders, und, Jane, ich liebe Sie, liebe Sie mehr, als ich Ihnen sagen kann. Wollen Sie mir folgen, wohin ich auch gehe, als mein Liebstes auf Erden, als mein Weib? … Sie sprechen das Wort nicht, Jane? Sie entziehen mir Ihre Hand und wenden sich ab von mir?«