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Die Macht der Drei

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Glossin schwieg. Seine Stimme war während der letzten Worte immer leiser geworden, sein Atem ging schwer. Er richtete sich auf und starrte auf Jane, welche die Hände vor das Gesicht geschlagen hatte und weinte. Er war enttäuscht und überrascht, aber nicht abgeschreckt, nicht entmutigt.

»Verzeihen Sie mir, Jane. Ich habe Sie mit meiner stürmischen Werbung erschreckt. Ich will Ihnen Zeit lassen, mir die Antwort zu finden. Sie werden mich näher kennen- und liebenlernen.«

»Nein, Nein! Ich liebe Sie nicht, ich werde Sie nie lieben!«

Jane rief es und brach in neue Tränen aus, in leidenschaftliche, unaufhaltsame Tränen. Glossin wurde totenbleich.

»Ist das die Antwort? Haben Sie kein Verständnis für das, was ich leide, kein Gefühl, kein Mitleid?«

Seine Augen flammten unheimlich auf, seine Brust arbeitete heftig. Die Leidenschaft übermannte ihn. Er warf sich ihr zu Füßen nieder und flehte um Erhörung.

»Nein, ich will Sie nicht länger hören.«

Jane war aufgesprungen und wich abwehrend vor dem Doktor zurück.

»Ich will nicht … will nicht«, und ehe er Zeit hatte, sich zu erheben, hatte sie sich umgewendet und eilte in fliegender Hast den Abhang hinunter.

Mit einem Ausruf, halb Seufzer, halb Fluch, starrte ihr Glossin nach … Was beginnen? Mit innerer Qual durchlebte er den Auftritt in Gedanken noch einmal. Und dann überkam ihn mit wütender Scham das Bewußtsein, daß er verschmäht war.

Er schlug sich mit geballter Faust vor die Stirn, als wollte er alle bösen Gewalten hinter ihr wieder erwecken.

»Tor, der ich war! Welcher Teufel verblendete mich? Diesem Logg Sar gilt ihre Liebe, nicht mir. Er soll mir nicht entgehen, und wenn die Hölle mit ihm und seiner Erfindung im Bunde stände!«

So schnell, als es ihm möglich war, eilte er dem Hause zu. Ohne Zaudern trat er in Janes Stübchen.

Dr. Glossin sah durch die halbgeöffnete Tür, die zu dem Schlafzimmer führte, daß Jane vor einer Handtasche kniete und Kleider und Wäsche hineinpackte.

»Ah, wie ich dachte. Doch nein, mein Kind, nicht wie du willst, sondern wie ich will. Und ich will dich an Reynolds-Farm ketten, fester, als Wächter und Gitter es vermöchten.«

Er streckte die Hand gegen sie aus und trat langsam auf sie zu. Jane drehte sich um und öffnete den Mund, als wolle sie einen lauten Schrei ausstoßen. Doch kein Laut kam über die Lippen, die sich langsam wieder schlossen.

»Der Morgenspaziergang wird Sie müde gemacht haben, liebe Jane. Legen Sie sich auf den Diwan, und ruhen Sie bis zum zweiten Frühstück. Wir werden es gemeinsam in der Laube am Bach einnehmen, und danach werde ich mich zur Abreise rüsten. Wird es Ihnen leid tun, wenn ich wieder fortgehe?«

»O sehr, Herr Doktor! Ich werde traurig sein, wenn ich wieder allein bin … ohne Sie.«

Glossin nickte, ein bitteres Lächeln grub sich um seinen Mund. Er trat an das Ruhebett, auf das sich Jane mit geschlossenen Augen niedergelegt hatte, heran und setzte sich an dem Rande nieder. Er fühlte ihren warmen Atem. Der Duft ihres üppigen Haares, ihres jugendschönen Körpers umschwebte ihn. Ihre halbgeöffneten Lippen schienen nach Küssen zu verlangen. Er öffnete die Arme, als wollte er sie umschlingen. Doch die Vernunft siegte. Er wandte das Gesicht weg und eilte, ohne sich umzudrehen, hinaus. Seine Lippen preßten sich aufeinander, als habe er einen bitteren Trunk getan.

Seit zwei Stunden saßen die Ministerpräsidenten Deutschlands, Frankreichs und Rußlands im Auswärtigen Amt in der Wilhelmstraße zusammen. Sie hatten sich hier getroffen, um sich über eine gemeinsame Haltung in dem zu erwartenden englisch-amerikanischen Konflikt zu verständigen. Doktor Bauer, der Vertreter Deutschlands, faßte das Ergebnis der langen Unterhaltung noch einmal kurz zusammen.

»Die Sympathien … oder vielleicht sage ich besser die Antipathien … für die beiden Gegner sind in den von uns vertretenen Ländern ziemlich gleichmäßig verteilt. Wir haben keinerlei Grund, uns von dem einen oder dem anderen ins Schlepptau nehmen zu lassen. Wir sind an Amerika verschuldet, und England wird uns wahrscheinlich die Annullierung unserer amerikanischen Schulden als Belohnung für eine Gefolgschaft in Aussicht stellen. Wir sind uns klar darüber, daß dies Versprechen, so vorteilhaft es klingen mag, keineswegs ein günstiges Geschäft für unsere Staaten bedeutet. Wir müßten unsere Länder den englischen Heeren für den Durchzug öffnen und fast sicher auch beträchtliche Opfer an Gut und Blut für eine Sache bringen, die keines unserer Länder interessiert …«

Der baltische Baron von Fuchs, der Vertreter Rußlands, nickte schweigend mit dem mächtigen Schädel. Er gedachte der Zeit vor vierzig Jahren, als sein Vaterland sich als erstes europäisches Reich für englische Interessen verblutete. Der hitzigere Franzose platzte mit einem Zwischensatz heraus.

»C'est ça … wir bluten, und England erntet.«

Der Deutsche fuhr fort: »Ich rekapituliere weiter. Es ist für uns auch wirtschaftlich vorteilhafter, die unbedingte Neutralität zu wahren und für die beiden kriegführenden Parteien mit allen Kräften zu liefern. Die Industriegemeinschaft, welche die französische und deutsche Industrie seit fast einem Menschenalter verbindet, wird die Abmachungen über die Preise für Kriegsmaterial aller Art erleichtern. Um auch Einheitlichkeit mit der russischen Industrie zu sichern, wird so schnell wie möglich ein Industrieausschuß der drei Länder gebildet. Die beiden Kriegführenden müssen uns jeden Preis bewilligen. Wir werden die Preise so stellen, daß wir unsere Schulden loswerden und darüber hinaus verdienen. Das, meine Herren, wären die ersten beiden Punkte unserer Abmachungen. Unbedingte Neutralität und Lieferung an beide Teile zu vereinbarten Preisen. Es ist drittens die Möglichkeit erörtert worden, daß der eine oder andere der beiden Gegner unsere Neutralität nicht respektiert. Dann ist der Casus foederis gegeben. Unsere drei Länder werden jeden Neutralitätsbruch durch einen der Kriegführenden mit vereinten Kräften abwehren.«

»Das sind unsere Abmachungen.« Der Baron von Fuchs sagte es langsam und bedächtig.

Das war der Kern der Sache: »Neutral bleiben, verdienen und einig sein.« So präzisierte es der Marquis de Villaret noch einmal in drei Schlagworten.

»Dann, meine Herren, werde ich, Ihre Zustimmung vorausgesetzt, ein Kommuniqué für die Abendblätter ausgeben lassen. Der telegraphische Bericht wird für Moskau und Paris noch zurechtkommen. Das Kommuniqué wird nur den Beschluß der Neutralität und die feste Entschlossenheit, diese mit allen Mitteln zu bewahren, enthalten. Die wirtschaftlichen Abmachungen bleiben vorläufig unerörtert.«

Der Baron von Fuchs und der Marquis de Villaret bestiegen ihre vor dem Amte wartenden Kraftwagen.

Allerlei Volk hatte sich vor dem Amte versammelt. Alte Veteranen aus dem Weltkriege, die noch die Erinnerungszeichen eines Kampfes auf der Brust trugen, der der jüngeren Generation wie eine Sage aus alter Mythenzeit klang. Blühende Jugend, die nichts mehr von den Hunger- und Elendsjahren Deutschlands wußte. Dazwischen Männer in bestem Alter. Vertreter der Industrie und des Handels. Repräsentanten großer Werke und Häuser. Sie verlauerten hier am Straßenrande vor dem eisernen Gitter ihre Stunden, die sie sich sonst minutenweise mit Gold bezahlen ließen. Die Nachricht von der Konferenz der drei Ministerpräsidenten hatte ganz Berlin, ganz Deutschland und ganz Europa in Aufregung gebracht. Dr. Bauer begleitete seine auswärtigen Kollegen bis an den Wagenschlag, und während er ihnen zum Abschied noch einmal die Hand schüttelte, sagte er: »Unbedingte Neutralität.« Er sprach es so laut, daß die Nahestehenden es deutlich verstehen konnten. Wie ein Lauffeuer ging das Wort die Straße hinauf. Es lief die Linden entlang und flatterte von Mund zu Mund durch die Leipziger Straße. »Unbedingte Neutralität!« … »Wir bleiben neutral!« … »Wir lassen uns von keinem an den Schlitten fahren!« … »Die Brüder sollen ihre Sache selber besorgen!« …

So flogen die Worte zwischen den Straßenpassanten hin und her.

»Das einzig Vernünftige, was unsere Regierung tun konnte.«

»Selbstverständlich, das einzig Richtige. Wir schonen unsere Knochen und verdienen unser Geld.«

Ein Kaufmann rief es an der Ecke der Behren- und Wilhelmstraße dem anderen zu.

»Haben Sie schon gehört, Herr Geheimrat, wir bleiben absolut neutral.«

Ein Bankdirektor sagte es einem höheren Beamten aus dem Ministerium.

»Ich hörte es. Aber ich denke an die Zukunft. Einer von den beiden muß siegen. Dem Sieger gehört dann die ganze Welt. Wir auch, Herr Direktor.«

»Nicht so pessimistisch, Herr Geheimrat. Die Kämpfenden werden sich furchtbar schwächen. Wie die beiden Löwen in der Sahara, die sich bis auf die Schwanzspitzen aufgefressen haben. Die Welt gehört dann uns, Herr Geheimrat.«

»Der Himmel mag es geben.«

Der Geheimrat ging weiter. Er war so ziemlich der einzige, der Bedenken hatte. Schon erschienen die ersten Extrablätter und verkündeten die Entschließung der Regierung.

An den Fernsprechern standen die Vertreter der auswärtigen Zeitungen und Industriewerke und teilten den Beschluß nach dem Rheinland, nach Westfalen, Schlesien und Danzig mit. Die Industrie wartete seit Wochen auf das Stichwort, nach dem sie auftreten sollte. Jetzt war es gefallen.

Reinhard Isenbrand, der Chef der großen Essener Stahlwerke, saß mit den vier Generaldirektoren der Werke zu intimer Besprechung versammelt.

»Meine Herren, wir müssen für unsere Werke zu der politischen Lage Stellung nehmen. Ich glaube nicht mehr, daß sich die weltgeschichtliche Auseinandersetzung zwischen England und der Union aufhalten läßt. Der Wetterzeichen sind zu viele, als daß ich noch an eine friedliche Entspannung glauben könnte.«

Der junge energische Chef der Werke machte eine kurze Pause und blickte seine Mitarbeiter an. Unbedingte Zustimmung lag auf den Mienen von Philipp Jordan, der das Auslandgeschäft der Firma unter sich hatte. Zustimmend nickte der kaufmännische Generaldirektor Georg Baumann. Sie überschauten die politische Lage vollkommener als Professor Pistorius, der Chefkonstrukteur, und Fritz Öltjen, der Schöpfer der neuen Edelstahlfabrikation. Die beiden Techniker hatten noch die leise Hoffnung einer friedlichen Verständigung, wo die Kaufleute bereits eine unaufschiebbare Auseinandersetzung mit Waffengewalt erblickten.

 

Reinhard Isenbrand fuhr fort: »Nehmen wir den Konflikt als sicher an, so ist die Stellung Deutschlands und Europas zu ihm das Nächstwichtige … für uns das Wichtigste. Nach meinen Berliner Informationen wird Europa neutral bleiben. Die Pressestimmen, die sich seit einigen Tagen mit der Annullierung der europäischen Amerikaschulden durch ein siegreiches England befassen, halte ich für bestellte Arbeit. Eine direkte Beteiligung Europas an diesem Kriege wäre selbstmörderisch. Sie wäre überhaupt nur an der Seite Englands denkbar, aber dann wäre unser Land den Einwirkungen der amerikanischen Kriegsmittel fast wehrlos preisgegeben. Ich glaube, wir brauchen die Möglichkeit einer direkten Beteiligung am Kriege überhaupt nicht ernsthaft zu erörtern. Desto mehr aber unsere Maßnahmen als neutraler Staat.

Es ist klar, daß wir beide Parteien beliefern können, ohne unsere Neutralität zu verletzen. Die Sentimentalität haben wir Gott sei Dank verlernt. Mögen im Publikum Sympathien für diese oder jene Seite hier oder dort vorhanden sein. Für uns ist es reines Lieferungsgeschäft. Eine Möglichkeit, durch intensive Arbeit unsere Volkswirtschaft zu heben … die letzten Spuren vergangener Kriegsjahre zu tilgen.

Auch über die Transportfrage brauchen wir uns den Kopf nicht zu zerbrechen. Wir liefern frei ab Essen. Wie die Besteller die Ware von dort weiterschaffen, ist ihre eigene Sache. Sind die Herren der gleichen Meinung?«

Philipp Jordan erbat das Wort.

»Die Transportfrage ist für England sehr einfach. Es bringt die Fabrikate auf dem Landwege und durch den Kanaltunnel bequem auf die Insel. Bis Calais deckt die Neutralität die Transporte. Von dort der Unterseetunnel … wenn er nicht wider Erwarten von amerikanischer Seite zerstört wird.

Für die Transporte nach Amerika kommen U-Boote und Flugschiffe in Betracht. Ich hörte, daß die Union mit zwanzig Prozent Verlust aller Sendungen auf dem Luftwege durch den Kaperkrieg rechnet. Der Satz ist in ihren Kalkul eingestellt.

Aber die Transportfrage ist nicht unsere Sorge. Sie ist nicht einmal die Hauptsorge der Kriegführenden. Beide Parteien werden vielfach nur kaufen, um die Ware für den Gegner zu sperren, und werden sie ruhig hier im Lande lassen.«

»Dann die Frage der Preise?«

Reinhard Isenbrand sagte es mit einem Blick auf Georg Baumann.

»Die Preise sind durch die deutsch-französische Industriegemeinschaft festgelegt. Nach unten, nicht nach oben …«

Georg Baumann legte die Hand auf eine starke Preisliste.

»Hier sind die Grundpreise für Stahl und alle Stahlfabrikate. Wir haben in der Gemeinschaft verhandelt und für den Fall des Kriegsausbruches einen sofortigen Aufschlag von 300 % in Aussicht genommen.«

»Was sollen wir verkaufen?«

Die Frage des Chefs war allgemein gestellt. Professor Pistorius ging an ihre Beantwortung.

»Das wird in der Hauptsache von der Länge des bevorstehenden Krieges abhängen. Für kurze Kriegsdauer Halbfabrikate. Bei längerer Kriegsdauer Fertigfabrikate. Sachverständige rechnen damit, daß 40 % sämtlicher Luftstreitkräfte in den ersten zehn Kriegstagen vernichtet sein werden. Es wird alles davon abhängen, ob der Krieg so lange dauert, daß ein Ersatz des verlorenen Materials in Frage kommt. Die Amerikaner suchen durch die Masse zu ersetzen, was ihnen an Qualität abgeht. Sie arbeiten fieberhaft am Ausbau ihrer R. F. c. – Flotte. Inzwischen ist unser Typ ausgebildet, der die anderthalbfache Geschwindigkeit entwickelt. Die Kriegführenden werden uns jeden Motor der neuen Type zu jedem Preise aus den Händen reißen …«

Ein Klingelzeichen der pneumatischen Post auf dem Seitentisch. Ein Briefchen sprang aus der Kapsel. Es war an Philipp Jordan adressiert. Reinhard Isenbrand runzelte unwillkürlich die Brauen. Die Konferenz sollte nicht gestört werden.

Jordan riß den Umschlag auf.

»Das Wettrennen hat begonnen. Mein Vertreter meldet mir, daß Mr. Stamford als Bevollmächtigter von Cyrus Stonard bei ihm ist. Er will unsere gesamte Rohstahlerzeugung ab Kokille kaufen. Fest für zwei Jahre. Zweitausend Dollar die Tonne.«

»Alle Wetter. Der Herr aus Amerika hat es eilig.«

Der Ruf entfuhr Fritz Öltjen, der um seinen Stahl besorgt war.

»Wird nicht gemacht.« Isenbrand sagte es kurz und knapp. »Nur feste Mengen zum Konventionspreise.«

Jordan schrieb die Antwort nieder und schickte sie durch die pneumatische Post zurück.

Professor Pistorius äußerte sich über die voraussichtliche Dauer des Krieges. Vier Jahre von 1914 bis 1918 der große Europäische Krieg. Zwei Jahre der erste Japanische Krieg. Neun Monate der zweite. Die Reihe konvergierte stark. Nach dieser Voraussetzung mußte auch der kommende Krieg kurz sein.

Schon wieder meldete sich der pneumatische Apparat. Eine neue Mitteilung an Jordan. Mr. Stamford wollte eine Million Tonnen Rohstahl fest kaufen. Es war ein Auftrag von zwei Milliarden Dollar. Cyrus Stonard gab sich nicht mit Kleinigkeiten ab. Nahm man als das Wahrscheinliche an, daß seine Agenten zur gleichen Stunde bereits in allen anderen europäischen Stahlwerken verhandelten, so mußte er für rund fünfzig Milliarden Dollar kaufen. Öltjen überschlug die Produktionsziffern der Industriegemeinschaft. Baumann kalkulierte. Jordan schrieb die Frage nach der Art der Zahlung.

Die Antwort kam in einer Minute zurück.

»Gute Dollarschecks. Zahlbar bei den besten Banken des Kontinents.«

Reinhard Isenbrand wechselte einen Blick mit Jordan.

»Der Dollar wird fallen. Wir brauchen reale Werte. Verpfändung amerikanischer Bodenschätze. Von Erzgruben und Petroleumquellen im Werte von zwei Milliarden. Sonst machen wir das Geschäft nicht.«

Die Antwort flog in das Postrohr. Professor Pistorius sprach weiter:

»Unsere Fabrikation ist zu mehr als 99 % eine Friedensfabrikation. Aber wir haben zwei Spezialitäten, die auch für den Krieg in Betracht kommen. Flugzeugmotoren. Dann unsere durch Kreisel stabilisierten Unterwasserboote für Handelstransporte. Unsere Stabilisierung ist besser als die der Kriegsboote der streitenden Mächte.«

Wieder ein Zeichen der Pneupost. An Philipp Jordan. Aber diesmal von einem anderen Vertreter. Mr. Bellhouse verhandelte für England über die sofortige Lieferung von hunderttausend Motoren. Preise der Industriegemeinschaft. Zahlbar in Gold.

Noch bevor die Herren darüber einen Beschluß fassen konnten, warf das Rohr einen neuen Brief aus. Mr. Stamford lehnte die Verpfändung amerikanischer Bodenschätze ab. Offerierte dafür den Betrag in deutscher, in der Union gemachter Anleihe mit Golddeckung.

Reinhard Isenbrand lehnte ab.

»So reich sind wir vorläufig noch nicht, daß wir unsere eigenen Anleihen zurücknehmen können. Verpfändung oder keinen Stahl!«

Das englische Angebot war einer Diskussion wert.

Der nächste Brief betraf Mr. Stamford. Er holte drahtlos neue Informationen von Washington ein. Würde in einer Stunde neues Angebot machen.

Der englische Antrag war gut. Aber er war noch besser, wenn er nach Kriegsausbruch kam. Dann traten die 300 % Zuschlag automatisch ein. Auch die Vollmachten Isenbrands waren durch die Industriegemeinschaft beschränkt. Wurde jetzt abgeschlossen, geschah es wahrscheinlich zu Preisen, die schon in wenigen Tagen weit überholt sein konnten.

Das Rohr warf ein neues Briefchen in den Raum. An den Chef selbst.

»Meine Herren, in diesem Augenblick meldet unser Berliner Vertreter: ›Die Regierungen von Rußland, Deutschland und Frankreich haben unbedingte Neutralität beschlossen. Sich gegenseitigen Schutz derselben verbürgt!‹ Es ist so gekommen, wie ich es vermutete. Für die Abschlüsse folgende Gesichtspunkte: Die Valuten beider Kriegführenden werden stürzen. Lieferung daher nur gegen Zahlung in deutscher Währung. Oder gegen Verpfändung von Bodenschätzen. Gold ist mit Vorsicht in Zahlung zu nehmen. Sein Kurs ist Schwankungen unterworfen. Wenn die Abschlüsse vor Kriegsausbruch getätigt werden, ist für alles nach dem Ausbruch zu liefernde Material der Aufschlag der Industriegemeinschaft einzusetzen.

Das große Wettrennen um die Erzeugnisse unserer Arbeit hat begonnen. Ich hörte, daß der linksstehende Teil unserer Arbeiterschaft proenglisch gegen den Gewaltherrscher Stonard ist. Sorgen Sie für Aufklärung. Wir haben jetzt nicht Politik zu treiben, sondern nur für unsere Volkswirtschaft zu arbeiten und zu verdienen. Geben Sie mir Bericht, sowie sich etwas von Wichtigkeit ereignet. Im Anschluß an größere Aufträge ist die Vermehrung der Belegschaft und der Ausbau der Werke sofort in Angriff zu nehmen.«

In der Dunkelheit der kurzen Sommernacht senkte sich R. F. c. 1 aus der Höhe auf den Wald von Trenton hinab. Noch lagen die großen Staatswerke leblos in der Finsternis, die Wege und Stege des Ortes und erst recht des Waldes waren menschenleer. Silvester Bursfeld kannte das Gehölz von seinem früheren Aufenthalt. Einen tiefen grabenartigen Einschnitt zwischen alten Eichen, der das Flugschiff bequem aufnehmen konnte, so daß sein Rumpf selbst in nächster Nähe unsichtbar in der Bodenfalte steckte. Zu allem Überfluß rafften sie das vorjährige Laub zusammen, das hier in hoher Schicht auf dem Boden lag, und bestreuten den Körper des Schiffes damit.

Als zwei harmlose und unauffällige Wanderer schritten Silvester Bursfeld und Atma der Stadt zu. Im Scheine der Morgendämmerung gingen sie an den ersten Häusern des Ortes vorbei und näherten sich ihrem Ziele. Sie kamen zu früh. Viel zu früh, denn die Uhr der nahen Kirche verkündete eben erst die vierte Morgenstunde. Silvester Bursfeld brannte vor Ungeduld. Er gab erst Ruhe, als sie vor dem wohlbekannten Hause in der Johnson Street standen. Mit sehnsüchtigen Blicken betrachtete er die grünumsponnenen Fenster des Gebäudes. Am liebsten wäre er kurzerhand über den Zaun gestiegen und hätte die Bewohner aus dem Schlafe alarmiert.

Die unerschütterliche Ruhe Atmas brachte ihn wieder zur Besinnung.

»Ruhig, Logg Sar. Keine Übereilung. Wenn das Mädchen noch hier ist, werden wir sie auch in drei Stunden aufsuchen können.«

Die Worte des Inders warfen neue quälende Zweifel in die Seele Silvesters. »Wenn das Mädchen noch hier ist.« Was meinte Atma damit? Wo sollte Jane anders sein als bei ihrer Mutter? Wußte Atma irgend etwas und wollte es nicht sagen? Die Pein der Ungewißheit übermannte ihn. Seufzend folgte er dem Inder und ließ sich neben ihm auf einer Bank in den nahen Parkanlagen nieder. Langsam und bleiern schlichen die Stunden. Vom Kirchturm schlug es fünf, sechs und nach weiteren qualvollen sechzig Minuten sieben Uhr. Silvester sprang auf.

»Jetzt ist es Zeit. Um sieben Uhr ist Jane stets munter, schon in der Wirtschaft tätig.«

Nach wenigen Minuten stand er vor dem Gitter und schellte. Der schrille Ton der elektrischen Glocke war in der Morgenstille deutlich zu vernehmen. Aber im Hause blieb alles ruhig. Dreimal, viermal wiederholte Silvester das Schellen, ohne daß sich etwas geregt hätte.

Atma war ihm nur langsam gefolgt. Bedächtig, als wolle er das erste Wiedersehen der Liebenden nicht stören. Jetzt stand er neben Silvester, deutete mit der Hand auf eine Stelle der Hauswand.

»Sieh!«

Eine kleine weiße Tafel hing dort im Efeugewirr der Hauswand. Im unsicheren Licht der Morgendämmerung war sie den Blicken Silvesters entgangen. Jetzt war sie deutlich zu erkennen und auch zu lesen. Die triviale alltägliche Mitteilung, daß das Haus zu vermieten, das Nähere im Nachbarhause zu erfahren sei. Silvester spürte, wie seine Knie zitterten und ihm den Dienst versagten. Er mußte sich auf den Inder lehnen.

»Ich ahnte es, daß wir das Mädchen hier nicht finden würden. Aber wir werden es finden und werden es nach Europa bringen.«

Diese wenigen mit Überzeugung gesprochenen Worte Atmas gossen neue Kraft in Silvesters Seele. Er folgte dem Gefährten, der zum Nachbarhause ging, dort Einlaß begehrte und auch fand.

Die Herren wünschten das zur Vermietung stehende Nachbarhaus zu sehen. Aber gern … Es könne sofort geschehen.

An der Seite Atmas schritt Silvester durch die ihm so wohlbekannten Räume. Dort stand der Nähtisch am Fenster. An ihm saß Jane, als er sie das letztemal vor seiner Verhaftung sah. Die Stickerei, an welcher sie damals arbeitete, lag auch jetzt noch dort. Geradeso, als ob die Stickerin eben erst aufgestanden sei. Wenn jemand ein Haus verließ, um seinen Wohnsitz woanders zu nehmen, dann würde er sicherlich die Arbeit dort nicht so liegenlassen. Silvester Bursfeld konnte eine Bemerkung nicht unterdrücken.

 

»Es ging alles so schnell«, erklärte der jugendliche Führer. »Mr. Glossin brachte Miß Jane in seinen Kraftwagen und fuhr sofort mit ihr weg. Sie hatte nur wenig Gepäck bei sich.«

Silvester hatte genug gesehen. Durch einen Blick verständigte er sich mit Atma.

Ob die Herren die Wohnung mieten wollten?

Vielleicht … sie würden es sich überlegen. Im Laufe des Nachmittags wiederkommen. Ein kurzer Abschied, und die Freunde gingen die Johnson Street entlang. Silvester schritt wie im Traum dahin. Mechanisch wiederholten seine Lippen wohl hundertmal die letzten Worte des Inders: »Wir werden das Mädchen finden und sicher nach Europa bringen.« Die eintönige Wiederholung gab ihm allmählich das innere Gleichgewicht zurück. So folgte er Atma, der den Weg zum Bahnhof einschlug.

»Wohin wollen wir, Atma? Was wird aus unserem Schiff?«

»Das Schiff liegt gut versteckt. Nach Neuyork wollen wir. Den Doktor Glossin fragen, wo das Mädchen ist.«

Silvester erschrak.

»Das heißt, den Kopf in den Rachen des Löwen legen.«

Atma blieb unbewegt und erwiderte gleichmütig: »Du trägst den Strahler an der Seite. Verbrenne ihn zu Asche, wenn er dir Böses tut. Aber verbrenne ihn erst, wenn er mir geantwortet hat.«

Dr. Glossin stand im Privatkabinett des Präsident-Diktators. Cyrus Stonard schob einen Stoß Briefe beiseite und ließ seinen Blick einen kurzen Moment auf dem Doktor ruhen.

»Was haben Sie in der Affäre Bursfeld festgestellt?«

»Über den Vater, daß er seit vielen Jahren tot ist.«

»Kennen die Engländer sein Geheimnis?«

»Ich bin überzeugt, daß sie nichts davon wissen. Als Gerhard Bursfeld fühlte, daß ihm sein Geheimnis auf hypnotischem Wege entrissen werden sollte, hat er sich selbst getötet. Ich habe prominente Leute in England befragt … Sie wissen von nichts.«

Ein Schimmer der Befriedigung glitt über die durchgeistigten Züge des Diktators.

»Dann … meine ich, können wir losschlagen, sobald die Unterwasserstation an der ostafrikanischen Küste in Dienst gestellt ist.«

»Wir können es, Herr Präsident, wenn wir es nur mit England zu tun haben.«

Der Diktator blickte verwundert auf.

»Mit wem sollten wir es sonst noch zu tun bekommen?«

Dr. Glossin zögerte mit der Antwort. Nur stockend brachte er die einzelnen Worte heraus: »Mit den Erben Bursfelds …«

Cyrus Stonard zerknitterte den Entwurf einer Staatsdepesche.

»Den Erben … die Sache scheint sich zu komplizieren. Neulich war es nur einer. Der famose Logg Sar, der so merkwürdig aus Sing-Sing entwischte und unser bestes Luftschiff mitnahm. Wer ist denn jetzt noch dazugekommen?«

»Zwei Freunde, die auf Gedeih und Verderb mit Silvester Bursfeld verbunden sind.«

»Drei Leute also. Drei einzelne schwache Menschen. Sie glauben im Ernst, daß drei Menschen unserem Dreihundert-Millionen-Volk gefährlich werden könnten? Herr Dr. Glossin, Sie werden alt. In früheren Jahren hatten Sie mehr Selbstvertrauen.«

Die Worte des Präsident-Diktators trafen den Arzt wie Peitschenhiebe. Er erblaßte und errötete abwechselnd. Dann sprach er. Erst stockend, dann fließender und schließlich mit dem Feuer einer unumstößlichen inneren Überzeugung: »Herr Präsident, ich habe vor dreißig Jahren gesehen, wie Gerhard Bursfeld mit einem einfachen Apparat, nicht größer als meine Hand, auf große Entfernungen Dynamit sprengte. Ich sah, wie er Patronen in den Läufen weit entfernter Gewehre zur Explosion brachte, und wie er fliegende Vögel in der Luft verbrannte … Ich staunte, ich hielt es für Zauberei, und … Gerhard Bursfeld lachte und sagte, es wäre der erste Anfang einer neuen Erfindung. Ein schwacher Versuch, dem ganz andere, viel größere folgen würden.«

»Gerhard Bursfeld ist seit langen Jahren tot. Sie sagten es eben selbst. Seine Erfindung wurde mit ihm begraben.«

Cyrus Stonard sagte es. Es sollte abweisend klingen, aber seiner Stimme fehlte die sichere Entschiedenheit, die ihr sonst eigentümlich war.

»Das Geheimnis ist nicht mehr begraben. Es war eingesargt, aber es ist wieder auferstanden. Logg Sar … Silvester Bursfeld hat die Entdeckung von neuem gemacht und … er muß sie bedeutend vervollkommnet haben. Der Vater sprach von der Möglichkeit, durch telenergetische Konzentration an jeder Stelle des Erdballes Millionen von Pferdestärken auf engstem Raume zu fesseln. Er sprach davon, daß seine Erfindung jedem Kriege ein Ende bereite. Der Sohn tritt in die Fußstapfen des Alten. Zu dritt sitzen sie in Schweden am Torneaelf und bauen an der Erfindung weiter. Gelingt es ihnen, sie so zu entwickeln, wie der Vater es vorhatte, dann …«

Cyrus Stonard hatte sich erhoben. Mit der ausgestreckten Rechten gebot er dem Arzte Schweigen.

»Sprechen Sie es nicht aus, was mein Ohr nicht hören darf. Sie nannten den Ort, an dem die Erfinder ihre … bedenklichen Künste treiben. Sie kennen ihn genau?«

»Genau. Ein abgelegenes Haus an den Ufern des Tornea … Acht Kilometer von Linnais entfernt.«

»So befehle ich Ihnen, diese drei Erfinder zu vernichten … Aber gründlich. Das bitte ich mir aus. Nicht wieder Pfuscharbeit wie neulich in Sing-Sing. In vierzehn Tagen ist die Unterwasserstation kriegsbereit. Ich erwarte bis dahin Ihre Meldung, daß mein Befehl vollzogen ist. Unauffällig … und gründlich.«

Doktor Glossin war entlassen. Die Gebärde des Diktators war nicht mißzuverstehen. Er ging mit schwerem Herzen. Ein unklares Gefühl lastete auf ihm.

Während das Regierungsschiff ihn in eiligster Fahrt von Washington nach Neuyork brachte, suchte er des dumpfen dunklen Gefühles dadurch Herr zu werden, daß er seine narkotischen Pillen nahm und einen halbstündigen künstlichen Schlaf genoß. Aber als er durch die Straßen Neuyorks schritt, war das Gefühl wieder da und wurde von Minute zu Minute stärker.

Der Doktor betrat das Haus in der 317ten Straße. Der Lift brachte ihn in das zehnte Stockwerk. Sein Diener nahm ihm Stock und Hut ab, und dann saß er in dem bequemen Schaukelstuhl seines Wohnzimmers und begann zu überlegen. Mit einer Objektivität, als ob es sich um eine dritte fremde Person handle, analysierte er seine Empfindungen und kam nach zehn Minuten zum Ergebnis, daß er Furcht habe.

Dr. Edward Glossin, der Mann mit dem weiten Gewissen, der über Leichen hinweg sich jeden Weg erzwang, hatte zum erstenmal in seinem Leben Furcht. Cyrus Stonard hatte ihm den Auftrag gegeben, drei Menschen zu beseitigen. Ein einfacher Auftrag im Vergleich mit so manchem anderen. Das Rezept war simpel und oft bewährt. Man nahm ein Luftschiff mit einem Dutzend kräftiger Polizisten oder Soldaten, fuhr bei Dunkelheit nach Linnais, umstellte das Haus, verhaftete die Gesuchten und schlug sie bei der Verhaftung tot, weil sie Widerstand leisteten. Ganz einfach war die Sache. Der Doktor hatte sie öfter als einmal praktisch ausprobiert.

Doch diesmal hatte Dr. Glossin Angst. Ein inneres Gefühl warnte ihn, mit Silvester Bursfeld und seinen Freunden anzubinden … Aber der Befehl des Diktators. Wenn Cyrus Stonard befahl, gab es nur zwei Möglichkeiten: Zu gehorchen oder die Strafe für den Ungehorsam zu erleiden.

Dr. Glossin sann hin und her, wie er sich aus dem Dilemma ziehen könne. Ausgehoben mußte das Nest in Linnais werden. Die Gefahr, daß man sich die Finger dabei verbrannte, war nach seiner sicheren Überzeugung vorhanden. Aber nur ein inneres Gefühl sagte ihm das. Äußerlich sah das Unternehmen ziemlich harmlos aus. Man mußte es einem Dritten plausibel machen. Aber wem? Wer hatte noch ein Interesse, die Erfindung und die Erfinder vom Erdboden zu vertilgen?

So würde es gehen! Eine Möglichkeit tauchte in seinem Gehirn auf.

Natürlich! Das war der richtige Weg. Die Engländer hatten genau soviel Interesse am Untergange Silvester Bursfelds und seiner Freunde wie die Amerikaner.