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Die Mumie von Rotterdam

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»Das ist zu arg!« rief jetzt Beckje ernstlich böse werdend, sprang auf und lief nach der Thüre hin. Aber mit drei mächtigen Schritten hatte sie Jansen wieder eingeholt, drückte ihr einen derben Kuß auf die vollen Purpurlippen und führte sie zu ihrem Sitze zurück, indem er schmeichelnd sprach: »Habe ich dich denn nicht einen Engel genannt und ist denn ein Engel, ernst und wohl gemeint, nicht weit mehr, als ein Affengesichtchen, das ich dir im Scherz auf deinen lieben Hals lüge? Ich will dich aber gern auch die Wahrheit hören lassen und da bist du, so gewiß ein Orlogschiff keine Calebasse ist! mein Schutzengel, meine Retterin aus Schimpf und Schande und Todesgefahr gewesen.«

Befriedigt nahm die Capitänsfrau ihren Platz am Tische wieder ein und Jansen fuhr, während der Cojenbub Orangen und andere Früchte aufstellte, folgender Gestalt in seiner Erzählung fort:

»Das liebe Gesichtchen da – ich will sie durch keinen Beisatz weder ärgern, noch stolz machen – trug nicht die Wimpel der Ruhe und Freude so in seinen Zügen, wie jetzt. Es schien ein ganz anderes Beckje, von Furcht, Angst und Kummer bewegt und entstellt. »Ach, Ihr armer Mann,« flüsterte sie herab, doch deutlich genug, daß ich es vernehmen konnte, »warum habt Ihr nicht meiner Warnung geachtet und seyd nicht bei dem ersten Schritte in dieses Haus des Verbrechens wieder umgewendet und geflohen, so schnell Euch Euere Füße tragen mochten? Aber das ist nun zu spät, der Jammer ist unnütz und wir müssen darauf sinnen, ob Hülfe möglich und wie sie zu bewerkstelligen ist? Ich bin aus meinem Kämmerlein über das Dach herübergeklettert, denn ich ahnete wohl, daß sie Euch in diese Mordkammer geschleppt hätten, wo schon manches Herzblut geflossen seyn mag, denn ich sah den abscheulichen Claas herabsteigen. O, wie haben sie Euch gebunden und geknebelt, die Schändlichen! Jetzt sehe ich’s erst, da mein Auge sich an die Dämmerung gewöhnt hat. Doch wartet einen Augenblick. Ich komme gleich wieder und, ist meine Hand nicht ganz ungeschickt, so sollen Euere Bande bald gelös’t seyn.« Sie verschwand und es war mir, als erlösche das Sanct Elmo’s-Feuer auf der Mastspitze meiner Lebensfregatte. Ich sah wieder in den blauen Himmel. Ich grübelte vergebens darüber nach, wie sie es anfangen wolle, aus dieser Höhe und Entfernung meinen Mund von dem Knebel, die Brust von dem pressenden Riemen, Hände und Füße, von den Stricken zu befreien. Nach einigen Minuten, die mich eine Ewigkeit dünkten, zeigte sich wieder das liebe Gesicht in der Lucke. Ich athmete neu, ein Vorgefühl der Freiheit durchströmte mich schon erquickend. Das herrliche Mädchen streckte einen Arm durch die Oeffnung. Sie hielt in der Hand ein weißes Papier, das mir in jenem Augenblicke wie eine Freuden- und Friedensflagge vorkam. »Gebt Acht!« sagte sie. »In dieses Papier habe ich ein Messer gewickelt. Wenn es mir nur gelingt, es so auf Euer Lager zu werfen, daß Ihr es mit den Fingern greifen könnt, so ist Euch vor der Hand geholfen und wir wollen dann das Weitere bereden.« Sie hob den Arm zum Wurfe. Ich betete so inbrünstig, als wäre ich auf einem Schiffe, das eben der Sturm in den Abgrund schleudern wolle. Das Messer entfuhr ihrer Hand und Derjenige, der im Sturm und Wetter die Schiffe über der Tiefe erhält und die Wogen wieder ebnet, lenkte den Wurf: es fiel in die Bettstelle, dicht neben meinem Leibe nieder.«

Jansen schwieg einige Augenblicke. Man sah, daß diese Erinnerung ihn mit einem feierlichen Ernste erfüllte. Die Thränen standen ihm in den Augen. Niemand störte die Stille. Clelia war blaß geworden und ihr ganzes Wesen zeigte, wie sehr sie im Innern bewegt sey. Nach einer Pause reichte der Capitän seiner Frau treuherzig die Rechte über den Tisch hinüber, die sie, ihn offen und freudig anblickend, nahm. Dann sprach er weiter:

»Lag auch das Messer, das mich von der Klippe, auf der ich fest saß, los machen konnte, an meiner Seite, so kostete es doch unsägliche Mühe, unsägliche Anstrengungen des hart zusammengeschnürten und gebundenen Körpers, ehe es mir gelang, erst mit der Spitze eines Fingers es näher zu bringen, dann es mit mehreren zu fassen und endlich mit der ganzen Hand zu ergreifen. Jetzt fühlte ich erst, daß die Hände von dem starken Zusammenschnüren, dicht über den Gelenken, wie taub und empfindungslos geworden waren. Nach und nach wurden sie durch die fortgesetzten Bewegungen der Finger, die erst matt, dann immer kräftiger an der Trennung des nächsten Strickes arbeiteten, wieder belebt. Ich kann Euch sagen, es war die härteste Arbeit meines Lebens. Ich habe in den wildesten Stürmen der indischen Meere das oberste Segel gehißt und wieder gelöst, in der größten Noth Raan und Maste gekappt, und wer die Sache kennt, weiß, daß sie kein Kinderspiel ist, daß in solchen Augenblicken das Leben nicht einen Deut gilt und der Tod schon den Anker nach der armen Seele auswirft! Aber ich habe in diesen Stürmen nicht die quälende Angst empfunden, wie unter dem Sägen an dem Stricke. Wenn die Worte, welche das Mädchen von oben herab zu mir sprach, mich nicht ermuntert und gestärkt hätten, ich hätte vielleicht der Abspannung, die sich meiner zu bemächtigen drohete, erlegen und – die Bluthunde hätten zu ihrer eigenen Sicherheit ihr mörderisches Werk zu Ende bringen müssen. Aber endlich, endlich – es war, als bräche die Sonne im Sturme hervor – endlich sprang das hartgespannte Band mit einem Geräusch, das selbst das Mädchen vernahm, und ein: »Gottlob!« in das ich von Herzen einstimmte, bebte über ihre Lippen. Nun ich einmal die eine Hand los hatte, war das Befreiungswerk bald vollendet. Stricke, Riemen und der schändliche Knebel lagen neben mir am Boden. Ich sprang auf, ich dehnte die entfesselten Glieder, ein lautes langes: »Ach!« in dem sich die gepreßte Brust Luft machte, war der erste Ton, der aus meinem Munde drang. Ich empfand Schmerzen und Abspannung in allen Theilen meines Körpers. Die gepeinigte Lage, in der ich mehrere Stunden lang verweilen müssen, hatte vielleicht ebenso viel Theil daran, als das betäubende Getränk, das mich meiner Besinnung beraubt und fühllos hingestreckt hatte, wie einen Klotz. Ich schritt, so rasch ich konnte, einigemale in dem kleinen Gemache auf und nieder, um mich in dem Gebrauche meiner Glieder zu üben. Dann blieb ich stehen, sah zu dem Mädchen hinauf und sagte: »Ich weiß Euch nicht groß mit Worten zu danken, aber man soll mich wie einen schäbigen Hund an der Raa-Noke aufhängen, wenn’s mir nicht jetzt in der Seele ist, wie an dem Tage, wo ich meinem Vater selig die Augen zudrückte und sie ihn dann hinabließen in das weite Grab des Meeres, aber diesesmal nicht vor innerem Jammer, sondern vor Dankbarkeit! Jungfer, ich will nicht viel sprechen, aber bin ich glücklich heraus aus diesem Teufelsloche, so müßt Ihr meine Frau werden oder ich thue mir ein Leid an.« – So unbehaglich der Sitz des Mädchens auf dem schrägablaufenden Dache seyn, so sehr ihr meine noch immer nicht überstandene Gefahr am Herzen liegen mochte, so mußte sie doch laut auflachen bei dieser seltsamen Werbung. »Ach, denkt an andere Dinge!« sagte sie dann wiederum in einem ängstlichen Tone! »Es liegt noch Viel zwischen diesem Augenblicke und dem, wo Ihr wieder frei in Gottes freier Luft wandelt und Euere Schritte hinlenken könnt, wohin Ihr wollt. Auf Nahrungsmittel und eine Stärkung, die Ihr ohne Besorgniß genießen könnt, habe ich mich vorgesehen. Es ist freilich nichts Besonderes, aber ich bringe, was ich heimlich bei Seite schaffen konnte.« Ein Paket fiel von oben herab; ich fing es mit meinen Händen auf. Meinen Dank glaubte ich der Geberin nicht besser beweisen zu können, als durch die schleunigste Untersuchung und Verwendung seines Inhalts. Die guten Nahrungsmittel und vor Allem ein reiner unverfälschter Genever, gaben mir meine Kräfte zurück. Während ich noch mit Essen und Trinken beschäftigt war, rief ich wiederum frohen Muthes zu dem Mädchen hinauf: »Jetzt laß sie kommen! Sie sollen fühlen, daß der Hochbootsmann der Medusa wieder von Stapel gelassen ist und mit gutem Winde fährt. Ihrer sechs fürchte ich nicht.« – »Vertraut nicht zu Viel auf Euere Kraft!« wandte das Mädchen im Tone der Besorgniß ein. »Gelänge es Euch auch die Treppe hinab, über den Hof und in den Vorplatz des Hauses zu kommen, so würdet Ihr doch da immer eine Menge entschlossener und bewaffneter Bösewichter finden, deren vereinten Anstrengungen Ihr unterliegen müßtet. Nennt mir lieber irgend einen Bekannten, den Ihr in der Stadt habt und der leicht und gleich zu finden ist, denn jeder Augenblick Verzugs kann Euch Gefahr bringen. Ich will Alles thun, Euch zu retten. Ich will – doch Ihr werdet schon sehen, was zu Euerer Befreiung geschieht, wenn mir nur irgend Jemand beisteht, der hier bekannt ist in der Stadt, denn ich selbst bin gänzlich fremd. Aber zögert nicht: nennt mir Euern Freund!« – Ich mußte mir gestehen, daß das Mädchen Recht hatte. Ich besann mich hin und her. Meine Verwandten konnten mir zu nichts dienen, denn ich wußte ja kaum mehr von ihnen, als ihre Namen: nicht einmal ihre Wohnung. Da fiel mir der Jude Abraham Eleazar, auf der Jüdenkracht zunächst der Synagoge, ein. Ihn nannte ich dem Mädchen, sagte ihr zugleich, welchen Dienst ich ihm am gestrigen Abende geleistet hätte und daß er die einzige Person in der großen Stadt Amsterdam sey, von der ich, wenn auch nur mit weniger Wahrscheinlichkeit, einen Beistand in diesem Nothfalle erwarten könne. »Er ist ein Jude,« versetzte das Mädchen, »aber er ist auch ein Mensch. Kann ich nur glücklich aus dem Sünderhause entwischen, so bin ich in einer Viertelstunde bei ihm und ich lasse ihm keine Ruhe, bis er mitkommt zur Hülfe. Lebt wohl bis dahin, aber unternehmt nichts, als im dringendsten Falle zu Euerer Vertheidigung!« Ich hörte sie am Dache hinabklettern. Ich lauschte auf das Geräusch, so lange es zu vernehmen war und als es nun gänzlich verhallte, kam ich mir vor, wie ein Ausgesetzter auf einer wüsten Insel. Ich fühlte mich in einer großen Aufregung, aber ich erkannte auch, daß ich aller meiner Kräfte wieder mächtig sey und nahm mir vor, sie, wenn es Noth thue, mit Aufsetzung aller Segel zu gebrauchen. Meine Blicke fielen auf das Messer, das noch auf dem Bette lag. Ich nahm es in die Hand: es hatte eine gute scharfe Klinge. »Messer gegen Messer,« dachte ich, »wenn es so kommt!« und steckte es in den Gürtel, zu dem ich einen der Stricke machte, indem ich mir ihn um den Leib knüpfte. Die Schändlichkeit des rothköpfigen Wirthes und des heuchlerischen Claas ging mir in einemfort im Kopfe herum und erfüllte mich mit Ingrimm. Ich war auf ihren Eintritt gefaßt, ich wollte über sie herfallen, wie der Sturm nach der Windstille, sie unschädlich machen und mein Heil weiter suchen, wenn nicht schon früher meine Befreiung durch das Mädchen erfolgen würde. Wie das Alles geschehen sollte, mußte ich dem Augenblicke überlassen. Ich schritt in unruhiger Erwartung das kleine Gemach auf und nieder. Ich untersuchte auch die Thüre und die Seitenwände; jene bestand aus starkem, unerschütterlichem Eichenholze, diese waren gemauert und hielten das Dach in einer Höhe, die ich nicht erreichen konnte. Die Bettstelle brach unter meinem Versuche, sie von der Stelle zu rücken, zusammen. Sie war in dem Boden befestigt gewesen und mit ihr wurde meine Hoffnung, sie als Werkzeug zu einer möglichen Flucht durch eine Oeffnung in dem Dache, die ich freilich erst hätte brechen müssen, zu gebrauchen, vernichtet. Ich blieb also der Erwartung auf meine Freunde oder meine Feinde überlassen. Die Spannung, in der ich wiederum einige Stunden hinbrachte, kann ich Euch nicht beschreiben. Der Abend kam; von dem Mädchen hörte und sah ich nichts. Kein Signal, kein Geräusch, das Hülfe verkündigte! Jeden Augenblick konnte ich jetzt die verdammten Seelenkoper eintreten sehen. Ich befand mich in einer Aufregung meiner Kräfte, wie ich sie noch nie empfunden hatte, und nur meine innere Wuth konnte ihr gleichen. Ich wünschte fast, daß jetzt die Bösewichter erschienen, um mit eigener Hand Rache an ihnen nehmen zu können. Da hörte ich ein Getrappel auf der Treppe, das immer näher kam, da vernahm ich Stimmen – ich erkannte die Sprechenden: es waren die beiden Menschenhändler, der Rothkopf und sein Geselle Claas. Sie lachten und schienen guter Dinge. Ich habe einmal in Bengalen ein Tigerthier gesehen, das auf seine Beute lauerte. So muß ich damals in dem Winkel neben der Thüre meines Kerkers gestanden haben, um über den ersten Eintretenden herzustürzen. Dennoch beschloß ich in dieser ungeheuren Empörung meines ganzen Wesens, kein Blut zu vergießen, wenn es möglich wäre. Da rasselten die Schlüssel an der Thüre, da klirrte der Riegel, da nannte Claas mit höhnischer Stimme meinen Namen – aber zugleich hatten ihn auch meine Fäuste an der Kehle ergriffen, ich drang, ihn schwebend haltend, hinaus, er würgte vergebens nach einem Hülferuf, mit einer Kraft, die ich mir selbst nicht zugetraut hätte, schleuderte ich ihn in einen Winkel, daß er besinnungslos da lag, keines Wortes, keiner Bewegung mächtig. Heulend flog der Wirth die Treppe hinab, ich mit Riesenschritten hinter ihm her. So ging es über den Hof, nach dem Vorplatze. »Der Teufel hat ihm geholfen! Herbei, ihr Freunde! Er bringt mich um! Er schlägt mich todt!« rief der Schurke im Fliehen. Auf dem Vorplatze, vor der Thüre des Gastzimmers, in das er eben stürzen wollte, erwischte ich ihn am Genicke. Aber schon hatte sein Geheul seine Helfershelfer herbeigerufen. Wohl an zwanzig Kerle, denen Mord und Todschlag aus den Augen blitzten, drangen aus der Thüre. »Er hat den Claas ermordet! Haltet ihn fest, macht ihn kalt!« stöhnte der Rothkopf. Ich warf ihn zu Boden. Wohin ich blickte, glänzten mir Messer entgegen, Mordgebrüll stürmte auf mich ein. Ich drängte mich an die Wand, entschlossen mein Leben theuer zu verkaufen. Noch trennte mich der am Boden liegende, ohnmächtige Wirth von dem Gesindel. Da nahmen ihn einige auf, um ihn bei Seite zu bringen. Ich sah den Augenblick vor mir, in dem nun Alle über mich herstürzen würden. »Blut um Blut!« dachte ich und griff nach dem Messer in meinem Gürtel. Ehe ich es noch zog, ehe ich meinen Gegnern noch zeigen konnte, daß auch ich nicht waffenlos sey, erklang plötzlich ein heftiger Lärm vor der Thüre des Hauses, der den im Innern noch übertönte. »Im Namen der Obrigkeit!« riefen viele Stimmen von Außen. Ein schneidender Pfiff schallte aus der Mitte des mich umgebenden Haufens. Die Kerle stiebten auseinander, wie Staub vom Wirbelwinde getroffen. Viele eilten in das Zimmer zurück; andere flohen über den Hof nach dem Hinterhause. Aber schon war die Thüre des Hauses unter den Schlägen der Häscher zusammengebrochen. Sie drangen ein, sie stürmten in das Zimmer, sie fanden hier die Seelenverkäufer im Streite mit einer Anzahl ihrer Cameraden, die durch die Fenster eingestiegen waren. Ich hatte mich ruhig von einigen der Häscher, die sich gleich Anfangs meiner bemächtigten, ergreifen lassen und wartete den Augenblick ab, wo ich meine Flagge aufziehen und mich zu erkennen geben konnte. Indessen ging es wild im Zimmer und im Hinterhause her, wo sich die verwegenen Schurken gegen die Uebermacht der anstürmenden Häscher zu vertheidigen suchten. Ein großer Haufen Volks hatte sich vor dem Hause versammelt und vermehrte, durch seine gegen die Seelenkoper ausgestoßenen Flüche und Verwünschungen, das Getöse. Den Eingang hielt ein Polizeibeamter besetzt und verwieß mit seinem Stabe diejenigen, die sich zu nahe herbeidrängten, zur Ruhe. Ich war bei meiner früheren Bemühung die Thüre zu erreichen, an eine Stelle gelangt, wo ich, immer von den Häschern bewacht und gehalten, dem Beamten ganz nahe stand. Ein Laut, so lieblich, wie das Wort: »Land!« nach einer langen und unglücklichen Seefahrt traf plötzlich durch den gewaltigen Lärm mein Ohr. »Das ist er! das ist er!« rief eine zarte Stimme in meiner Nähe. »Wir sind noch zur rechten Zeit gekommen. Sie haben ihn nicht umgebracht! Er ist gerettet!« Ich blickte auf. Neben dem Polizeibeamten stand in der Thür das Mädchen, dem ich meine Freiheit und mein Leben verdankte. Ihr Angesicht strahlte wie die glänzende See bei heiterem Himmel. Ueber ihre Schulter sah der Jude Abraham Eleazar herein. »Der Gott Abrahams und Jacobs sey gepriesen,« sagte er, »der unser Werk gelingen ließ! Eine Hand wäscht die andere im Leben und so mir der Christ nicht hätte geholfen von dem Schmaddern und von der Speise vom unreinen Thier, so hätte ich ihm nicht können wiederhelfen aus der egyptischen Gefangenschaft, von dem Verrathe der bösen Rotte Korah.« Ich nickte Beiden zu. Der Polizeibeamte mochte nun einsehen, daß ich nicht zu den Seelenkopern gehörte, er gab seinen Untergebenen Befehl, mich frei zu lassen, und rief mich in seine Nähe. Er wußte meinen Stand und meinen Namen. Er sagte, daß ich es für ein großes Glück halten könne, lebendig dieser Mordhöle entkommen zu seyn, daß sie schon lange Nachricht von ihrem Daseyn gehabt, aber immer vergebens ihr nachgespürt, bis jetzt endlich die Entdeckungen des Mädchens und des Juden sie zur rechten Zeit an den rechten Ort geführt hätten. Ich berichtete ihm in wenigen Worten, woher der Wind in den letzten Stunden geblasen habe und wie es mir gelungen sey, aus meinem Gefängnisse zu brechen. Der Jude und das Mädchen hörten aufmerksam zu. Es war jetzt stiller geworden im Zimmer. Die Seelenkoper hatten der Uebermacht unterlegen, man brachte sie gebunden und geknebelt heraus. Mehrere von ihnen bluteten stark, auch einige der Häscher waren verwundet. Jene wurden sogleich weiter, mitten durch die tobende Volksmenge, die nur mit großer Mühe von Mißhandlungen zurückgehalten werden konnte, ins Gefängniß geschafft. Auch die Schurken, die in den obern Raum des Hinterhauses geflüchtet waren, erschienen jetzt, von den Häschern herbeigeschleppt: unter ihnen, ächzend und stöhnend, der elende Claas. Er warf mir einen grimmigen Blick zu, aber auch er wurde mit seinen Genossen ohne Aufenthalt den übrigen nachgetrieben. Ganz zuletzt fand man, unter einem leeren Fasse versteckt, den rothköpfigen Wirth. Er mußte sich während des Getümmels erholt haben und dorthin gekrochen seyn. Er konnte oder wollte nicht gehen. Man warf ihn auf einen Karren, der zufällig in der Nähe hielt. Der Pöbel begleitete ihn spottend und verwünschend nach dem Stadthause. Ich will es nun so kurz wie möglich machen und mit vollen Segeln ans Ziel steuern! Beckje rückt schon ungeduldig den Stuhl und möchte gern den Caffee kochen, der ihr fast ebensosehr am Herzen liegt, wie mir der Genever. Genug! Das Sündenhaus wurde von dem Polizeibeamten in allen Räumen und Verdecken durchsucht. – Er witterte glücklich meine Kleider und Papiere aus. Ich erhielt sie zurück und zugleich die Weisung, daß ich nun hingehen könne, wohin ich wolle. Aber ich blieb dennoch. Das Mädchen, dem ich so Viel schuldig war, sah ängstlich dem Treiben des Beamten zu, der Alles verschloß und versiegelte. Sie befand sich, allem Anscheine nach, in großer Verlegenheit. Als endlich der Beamte auch die Hausthüre sperrte und mit dem obrigkeitlichen Siegel versah, gestand sie, daß sie nun nicht wisse, wohin sie sich wenden solle, daß ihr ganzes elterliches Erbe, dessen sich der Rothkopf, als Stiefbruder ihrer verstorbenen Mutter und ihr Vormund, bemächtigt habe, in dem Hause befindlich sey und sie niemanden kenne, der in der großen Stadt sich ihrer annehmen würde. Der Polizeibeamte hörte das gleichgültig an, meinte, er könne da nicht helfen, aber sie solle am nächsten Tage vor der Obrigkeit erscheinen und dort ihre Ansprüche geltend machen. »Kommt mit mir!« sagte der Jude. »Ich will Euch führen in mein Haus, aber ich kann Euch nicht behalten über Nacht, als das Kind eines Goi. Wir müssen Rath schaffen, wir müssen eine Schlafstelle für Euch suchen bei Euern Leuten.« Da fiel mir zum Glücke ein, den Polizeimann, der eben fortgehen wollte, nach meinen Verwandten zu fragen. Er kannte sie, er wußte ihre Wohnung. Nun war uns geholfen. Ich dankte dem Juden für Alles, was er zu meiner Rettung gethan, ich versprach nochmals ihn zu besuchen, ich sagte ihm unbedachtsam, daß er als ein guter Christ an mir gehandelt habe. »Als ein guter Jüd!« versetzte er eifrig und mit einem saueren Gesichte: »denn auch unser Gesetz sagt: du sollst den Nächsten lieben, als dich selbst.« Er entfernte sich in großer Eile. Während ich nun in der Dämmerung mit dem Mädchen nach der Gegend hinschritt, wo meine Verwandten hausen mußten, nannte sie mir ihren Namen und erzählte mir, daß sie von Alkmaar gebürtig sey, vor einigen Wochen ihre Eltern kurz nach einander verloren habe, dann von dem Wirthe des Werbhauses, ihrem einzigen noch lebenden Verwandten, von dessen Geschäft und Handthierung sie nichts geahnt, samt ihrem elterlichen Erbe nach Amsterdam abgeholt worden und hier nun bald mit Entsetzen wahrgenommen habe, daß der Mann, der sich Vaterrechte über sie angemaßt, ein verabscheuungswürdiger Bösewicht, daß Seelenverkäuferei sein Handwerk, daß es seine Absicht sey, sich ihres Vermögens zu bemächtigen. Sie war auf das Strengste gehalten, wie eine Magd zu den geringsten Arbeiten genöthigt, selbst thätlich mißhandelt worden. Was sie sehen und hören mußte in der kurzen Zeit ihres Aufenthaltes in dem Werbhause, hatte sie mit Abscheu erfüllt. Sie wäre so gern entflohen, aber sie wußte nicht wohin. Sie war der Verzweiflung nahe, als ich die Schwelle des Hauses betrat. Ich habe Euch gesagt, was der Antheil, den sie an mir nahm, bewirkte. Sie war als ich ihr den Juden Eleazar genannt, sogleich aus dem Hause entwischt und zu jenem geeilt. Es dauerte lange, ehe sie dem Juden die ganze Geschichte begreiflich machen konnte. Endlich wurde sie ihm klar und er nahm nun sogleich Mantel und Schabbesdeckel, um mit Beckje zum Polizeimeister zu gehen. »Soll mir Gott, dem Goi muß geholfen werden!« Hatte er gesagt: »Der Eleazar leidet keine Schulden und will bezahlen auf den letzten Deut, das Capital samt den Procentje.« Zum Glück war der Polizeimeister der nahe Verwandte eines ostindischen Compagnieherrn. Er gerieth, als er die Sache vernahm, in den größten Zorn und schickte sogleich die Wache ab, die gerade ankam, als ich nicht weit davon war, wider meinen Willen hinauf in die himmlische Ewigkeit gehißt zu werden. Bramsegel und Backbord! ich bin wieder so weitläufig geworden, wie ein altes Weib beim Caffeegeschwätz. Aber nun soll’s auch im Sturmwinde ans Ende gehen! Meine Verwandten nahmen uns freundlich auf, nach vier Wochen voll Laufereien und Hin- und Her-Geschreib erhielt Beckje ihr Vermögen heraus, ich selbst am Morgen des nämlichen Tages den verlangten, ehrenvollen Abschied und am Nachmittage gab uns der Domine für die Lebensfahrt zusammen. Als wir nach einigen Tagen Amsterdam verließen, um nach Rotterdam zu ziehen, traten uns von der Schanze am Thore, ein Paar Elende an und bettelten um ein Almosen. Sie waren mit Lumpen bedeckt, sie schleppten an Ketten schwere eiserne Kugeln nach und wurden von einem Schergen bewacht. Das wulstige rothe Haar des einen schob sich zur Seite: wir erkannten den Wirth. Der andere sah auf, es war Claas. Ich warf ihnen, was ich von Silbergeld in der Tasche trug, hin. Sie rafften es gierig auf, sie wollten danken – da erkannten sie uns, ein wüstes Geheul, Flüche und Verwünschungen strömten über ihre Lippen. Beckje drängte mich nach der Barke hin, die im Canale unserer wartete, während jene sich selbst und ihre Ketten auf die Bastion zurückschleppten.«

 
 

Jansen schwieg. Niemand hatte seiner Erzählung mit größerer Aufmerksamkeit zugehört, als Clelia. Das vielbewegte Leben, das sich hier vor ihrer Erkenntniß entrollte, contrastirte zu sehr mit dem, welches sie bisher geführt hatte, um nicht durch seine Neuheit und Frische sie zu reizen und über ihren gewöhnlichen Gesichtskreis zu erheben. Es schien ihr selbst angenehm, dergleichen erfahren zu haben und in einer späteren, ruhigen Zeit, in einem beglückenden Gefühle der Gegenwart, die Erinnerungen daran zu verjüngen. Wie wenig Bemerkenswerthes und Wichtiges hatte doch ihre Vergangenheit aufzuweisen? Die unerwartete Entfernung aus dem Vaterhause, die plötzliche Reise, welche sie schon in ein vertrauliches Verhältniß mit zwei ihr vorher gänzlich unbekannten Personen, Jansen und Beckje, gesetzt hatte, der Wechsel der Umgebungen, selbst das Geheimniß der vorgeblichen Geschwisterschaft mit Cornelius, waren die ersten Dinge, die, wie es ihr jetzt dünkte, ihrem Leben einen Reiz verliehen, dessen es bisher entbehrt hatte. Ihre, unter dem Drucke der Alltäglichkeit schlummernde und unthätig gewordene Phantasie war mit einemmale, durch die Begegnisse eines Tages, durch die Mittheilung der wunderlichen Verheirathungsgeschichte eines Paares, das sie vor Augen hatte, zu der regsamsten Thätigkeit belebt worden. Sie sah ein, daß sie in der Lage, in die sie gerathen, auf ihre eigene Selbstständigkeit rechnen müsse, sie fühlte, daß sie diese aufrecht erhalten könne, wenn sie gegen die Rückkehr ihrer alten Gemüthsträgheit, die man ihr fälschlich für Gedankentiefe angepriesen hatte, auf der Hut sey, wenn sie sich im Voraus auf alle noch so abentheuerliche und gefahrvolle Begebenheiten gefaßt halte. Clelia war einer von denjenigen Characteren, die erst sehr großer, ganz aus dem gewöhnlichen Geleise sie führender Erschütterungen bedürfen, um ihre innere Kraft und Wahrheit in das äußere Leben treten zu lassen.

Während der Wechsel der Ansichten und Empfindungen, den wir so eben zu schildern versucht haben, mit Blitzesschnelle in ihr vorging, hatte Jansen das volle Glas ergriffen, das ihm die wieder freundlich gewordene Beckje hingeschoben, und sagte mit einer Rührung, die man dem rauhen und jovialen Seemanne nicht zugetraut hätte:

»Ja, ihr Freunde! So ist es gekommen, daß Beckje und ich jetzt an einem Steuerruder sitzen. Was ich dachte und sprach, als ich fest geschnürt und geknebelt auf dem Marterlager des Rothkopfs ausgestreckt lag, als mein Schutzgeist, durch die Dachluke zu mir herabsah und mir Hoffnung und Erquickung spendete, als ich ihn wieder erblickte, Freiheit und Erlösung aus der Gewalt der verdammten Piraten bringend, das ist nun Alles wahr geworden und ich habe es in den fünf Jahren, daß wir nun zusammen segeln, keinen Augenblick bereut. Stoßt an! Sie soll leben. Vivat mein Affengesicht!« setzte er, rasch in einen fröhlichen Ton übergehend, hinzu.

Die Gläser waren gehoben, die Männer wollten in Genever, die Frauen in feinem Muscatwein Bescheid thun, da erhob sich unerwartet ein wilder Lärm auf dem Verdecke, die Mannschaft lief unruhig hin und her und eine Alles übertönende Stimme rief hastig und rauh:

»Ein Segel auf der Lufseite! Nur zwanzig Schiffslängen weit! Es tritt hinter der Insel hervor, es steuert auf uns zu – Hölle und Teufel! Es ist ein Spagnol! Eine Schebecke von zehn Canonen!«

Jansen stürzte den Inhalt seines Glases hinab und warf dieses zu Boden, daß es in unzähliche Splitter zertrümmerte.

»Der verdammte Biesbosch1 sagte er. »Zwischen seinen tausend Inseln und Inselchen verkriegen sich die feigen Don’s und warten es ab, bis sie ein Fahrzeug erlauern, das sie unbewaffnet oder dem sie sich überlegen glauben. Aber Bramsegel und Backbord! Capitän Jansen wird ihnen das Fahrwasser weisen. Meine Böller sollen ihnen auf keine Frage die Antwort schuldig bleiben!«

Er stürmte hinaus und hinauf; Beckje, im ganzen Gesichte erglühend, ihm nach. Cornelius war bei dem ersten Rufe aufgesprungen und hatte, von kriegerischem Ungestüm belebt, nach seinem Degen und seinen Pistolen gegriffen. Jetzt dachte er an Clelia, jetzt fiel ihm bei, wie er durch seine Unbesonnenheit die Geliebte in eine Gefahr gebracht habe, in der ihre Freiheit, ihr Leben, ihre ganze Zukunft bedroht erschienen. Ein Kleinmuth, wie er ihn noch nie empfunden, bemächtigte sich seiner. Er wagte nicht, das Mädchen anzusehen. Mit niedergeschlagenen Blicken näherte er sich ihr, die auch ihren Sitz verlassen hatte, und sprach in ängstlich gepreßtem Tone:

»Bei allen Waffenthaten Wilhelms von Oranien schwöre ich Euch, hochwerthe Clelia, daß mich der Gedanke, Euch in diese Lage versetzt zu haben, trostlos macht. Ich bin außer mir, ich kenne mich selbst nicht mehr. Sonst jubelte und jauchzte es in mir, wenn ich hörte, der Feind sey nahe, und noch vor einer Stunde dachte ich es mir als das Herrlichste und Größte, für Euch zu kämpfen, vielleicht Euer Leben zu erhalten durch irgend eine kriegerische That. Aber das ist nun mit einemmale vorbei, da die Wirklichkeit eintritt. Das Gefühl meiner Schuld liegt mir lastend in der Brust und mein ganzer Muth ist niedergedrückt unter seiner Schwere.«

»Schämt Euch, Junker Cornelius, und ruft nur immer den ersten Gedanken zurück, der Euch und der Liebe, die Ihr mir so oft gelobtet, Ehre bringt!« versetzte das Mädchen in einem so festen und aufmunternden Tone, daß der gewesene Kriegshauptmann ein anderes, fremdes Wesen zu hören glaubte und überrascht aufblickte. Clelia stand in ruhiger Haltung vor ihm. Sie war sehr blaß, aber ein Feuer der Begeisterung und der Seelenstärke glänzte aus ihren Augen, das den jungen Mann irre in seiner eigenen Wahrnehmung machte. »Warum sollte mich entsetzen,« fuhr sie fast heiter fort, »was Viele meines Geschlechtes schon vor mir erfahren haben? Kommt, Junker! Zeigt Euch des Ruhmes würdig, den Ihr schon in Kriegswerken erworben habt. Ein muthiger Mann mehr im Streite vermag Viel. Kommt! Auch ich will sehen, wie es oben steht. Ich muß den Feind erkennen, mit dem wir um Freiheit und Leben streiten werden. Habe ich auch nicht den verwegenen Sinn und die männliche Keckheit von Jansens Frau, die sie treibt, an dem Kampfe Theil zu nehmen, so will ich doch auch nicht feiern. Schickt mir die Verwundeten herab, an denen es nicht fehlen wird. Ich will sie verbinden und ihrer pflegen, wie ich es vermag.«

»Clelia!« erwiederte, von Bewunderung erhoben, Cornelius. »Ihr habt Euch in kurzer Zeit wunderbar verändert. Ich stehe beschämt vor Euch, wie eine Memme vor einem Helden. Jetzt erst fühle ich die ganze Unwürdigkeit meines Betragens, aber – beim Schwerdte des großen Marlborough! – ich will Euerer würdig werden, oder untergehen in diesem Kampfe, dessen Schrecknissen Ihr mit dem Muthe eines alten Kriegers entgegen seht.«

1So heißt eine Art von See zwischen den Grenzen von Holland und Brabant, der sich erst im Jahre 1421 durch Ueberschwemmung gebildet hat.