Tasuta

Die Mumie von Rotterdam, Zweiter Theil

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Hazenbrook hatte bis jetzt auf das Gespräch dieser Leute, das von manchem derben Schiffmannsfluche, von mancher kräftigen Bemerkung der Lastträger gewürzt wurde, nicht geachtet. Erst als der Name Cornelius van Daalen genannt wurde, horchte er hoch auf und näherte sich auf eine unscheinbare Weise den Lärmenden.

»Die Landratze!« fuhr einer von den Matrosen im Tone der Verwunderung auf. »Wer hätte ihr das zugetrauet? Der Bursche ging immer so steif und vornehm in seinem Tressenrock an unser einem vorüber, daß man ihn eher für eine geputzte Segelstange, als für einen kühnen Jungen, der seinen Hals einmal an ein Wagstück setzt, gehalten hätte. Und er selbst hat die Schebecke in Brand gesteckt, eigenhändig sagst du?«

»So wahr ich Peter Trip heiße und ihr mich frei haltet am heutigen Morgen!« erwiederte mit schwerer Zunge der Angeredete und leerte ein großes Glas. »Freilich, müßte ich nicht immer wichtiger Geschäfte halber im Haven bleiben, hätte ich können auf der Syrene seyn, als es drunter und drüber ging mit dem überlegenen Spagnol, so hätte es eines solchen Naseweis von Landjunker nicht bedurft, um den Feind in die Luft zu sprengen!«

»Wenn sich das mit Saufen thun ließe, so wärest du gewiß der erste gewesen!« bemerkte, unter dem schallenden Gelächter seiner Genossen, ein Anderer. »Das ist dein wichtigstes Geschäft zu Land und zur See.«

»Laßt ihn weiter erzählen!« rief der erste. »Ihr werdet ihn böse machen mit Eueren aufgewärmten Witzen und dann erfahren wir nichts. Daß Peter Trip gern trinkt ist eine alte Geschichte hier in Rotterdam und wir wollen Neues hören von Draußen herein!«

»Er möchte nur gern allen Wachholder in der Welt für sich allein haben,« sagte Trip mit einem giftigen Blick auf den Spötter. »Aber ich lasse mich nicht irre machen, der Ruhm des Schiffes, dem ich angehöre, soll so laut werden, wie ihn Peters Mund nur auszubringen vermag und ihr alle da, die ihr auf Linienschiffen und Fregatten dient, sollt Respect bekommen vor der Barke Syrene, Capitän Jansen

»Erzähle nur, lieber Trip!« bat sein Freund. »Trink erst noch einmal! Das macht die Zunge geläufig.«

Weder zu dem einen, noch zu dem andern ließ sich Peter lange nöthigen. Der lauschende Hazenbrook erfuhr nun das kriegerische Abentheuer im Biesbosch, das unsern Lesern bereits bekannt ist. Der Erzählende selbst war von dem Bootsmanne eines Schiffes, welches der Syrene am Tage nach dem Gefechte begegnete, davon unterrichtet worden. Aber Eobanus erfuhr noch mehr. Er hörte, daß eine wunderschöne Jungfer mit Cornelius an Bord der Barke gewesen, daß beide schon am Abende des ersten Tages die Syrene verlassen, um ihre Reise nach Mastricht zu Lande fortzusetzen, er vernahm auch von zwei jungen Leuten, die auf dem nachfolgenden lustigen Freier von Rotterdam sich eingeschifft hatten und, der genauen Beschreibung zu Folge keine andern seyn konnten, als die Leydener Studenten Le Vaillant und La Paix.

Er sah seine Angelegenheit in schönster Blüthe stehen, der gedeihlichen Frucht entgegenreifend. Nichts schien ihm gewisser, als daß die zwei Jünglinge die Spur der Entflohenen gefunden haben mußten, daß entweder La Paix durch List oder Le Vaillant, der ein vortrefflicher Fechter war, durch Gewalt sich in den Besitz der Jungfrau van Vlieten setzen würde, um sie ihm zurückzubringen, als Pfand für des Vaters testamentarische Verfügung. Er war seelenvergnügt und stimmte, ohne an den Ort zu denken, wo er sich befand, zum Erstaunen aller Anwesenden das lateinische Lied an:

 
Ecce quam bonum,
Bonum et jucundum etc.
 

Das tobende Gelächter der Matrosen riß ihn aus seiner Zerstreuung empor. Von ihren Spottreden verfolgt, floh er auf sein Zimmer, aber indem er die Treppe zu diesem hinaufrannte, kam ihm noch ein sehr glücklicher Gedanke in den Sinn. Konnte er denn die Nachrichten, die er aus dem Munde des wachholderdurstigen Peter Trip gesammelt, nicht zum Vorwande eines Besuchs bei Herrn van Vlieten benutzen? Gab ihm nicht der glücklichste Zufall Mittel und Wege an die Hand, den Isisschleier, der sich vor ihm nicht lüften wollte, zu umgehen und hinter ihn zu blicken nach demjenigen, der seiner Sinne und Gefühle Meister geworden? Er kleidete sich rasch an. Der beste Rock und die Sonntagsweste wurden hervorgeholt, ein kleiner zierlicher Stahldegen an die Seite gesteckt und das Seidenhütchen mit der rothen Besetzung, das seine akademische Würde bezeichnete, unter den Arm genommen. Er betrachtete sich, nachdem Alles zu Stande gebracht, wohlgefällig im Spiegel.

»Du siehst ja aus, wie ein Bräutigam, Eobanus?« schmunzelte er sich selbst an. »Und bin ich es denn etwa nicht?« erwiederte er. »Bin ich nicht ein Bräutigam der Musen und will eben hingehen, ein neues Verlöbniß mit ihnen zu feiern per procurationem durch einen ihrer Stellvertreter?«

Er mußte, um das Haus zu verlassen, seinen Weg durch die Schenkstube nehmen. Hier war es indessen still geworden. Die Leute waren ihren Geschäften nachgegangen und nur die aufräumende Wirthin erblickte zu ihrer nicht geringen Verwunderung ihren Miethsmann im Glanze eines Feiertagsstaates, wie ihn in der guten Stadt Rotterdam nur die hochmögenden Herrn Bürgermeister bei festlichen Gelegenheiten zu tragen pflegten. Hazenbrook grüßte mit einem gnädigen Lächeln. Zufällig warf er einen Blick durch’s Fenster nach dem gegenüberliegenden van Vlietenschen Hause. Eben schritt, von dem Hausknechte, dessen Derbheit Eobanus zum Oeftern empfunden hatte, begleitet, ein ansehnlicher, sehr wohlbeleibter Mann, den großen Klappenhut tief auf die borstigen Augenbrauen gedrückt, die starkgliederige Gestalt in einen schwarzen Talar gehüllt, auf den Eingang los. Hazenbrook wurde bei dem Anblicke des Mannes – er wußte nicht warum, – von einem unangenehmen Gefühle ergriffen.

»O weh!« rief die Wirthin, indem sie ihrer Geschäftigkeit Einhalt that. »Es muß ein gefährlicher Kranker drüben im Hause seyn. Das ist der Doctor Mauritius, den man gewöhnlich nur den Leichendoctor nennt, da er immer erst gerufen wird, wenn die Kranken schon dem Tode nahe sind und die meisten ihm dann wegsterben unter der Hand. Er ist der geschickteste in der Stadt, aber er ist auch so reich, wie geschickt, und geht deshalb nur zu solchen, die von den andern Doctoren schon aufgegeben worden sind. Gewißlich ist Heer van Vlieten selbst der Kranke, denn man hat ihn schon seit vielen Tagen nicht außer dem Hause gesehen und von Jungfer Clötje und Philippintje wird Allerlei gemunkelt, das dem Alten wohl schwer aufs Herz und in die Glieder gefallen seyn mag. Aber nun ist’s vorbei mit Reichthum und Herrlichkeit – ich gebe keine Caffeebohne dafür, daß der Myn Heer nicht in einer halben Stunde kalt und todt auf seinem Damastbette liegt; der Doctor Mauritius läßt nicht mit sich spaßen!«

»Da muß ich auch dabei seyn!« rief Hazenbrook, dem der kalte Angstschweiß in dicken Tropfen auf Stirn und Wange getreten war. Wie ein Pfeil, schoß er aus dem Zimmer, über die Straße hinter dem Doctor her. Er fand die Thüre nur angelehnt, man hatte in der dringenden Eile und in der Besorgniß um den Kranken, der in der That den Besuch des verrufenen Leichendoctors veranlaßt, vergessen sie zu verschließen. Eobanus flog, ohne einem der Hausbewohner zu begegnen, die Treppe hinauf, nach dem Zimmer, in welchem er jene merkwürdige Uebereinkunft mit Herrn Tobias geschlossen. Es war leer. Nur das Fratzenbild des Schiwa grins’te ihn grauenvoll an, und die Pagoden wackelten, wie zum Gruße, mit den widrigen Kahlköpfen. Er fuhr zurück. Er lauschte ängstlich in den Gängen, ob er nicht irgendwo ein Geräusch vernähme, das ihm den Aufenthalt des Ersehnten anzeige. Da hörte er in seiner Nähe Stimmen: eine schwache, klagende, eine andere, die sich laut und ermahnend erhob. Nur eine Thüre trennte ihn von dem Gemache, in dem gesprochen wurde. Er legte das Ohr an und horchte. Kein Zweifel! Das war Herrn van Vlietens, ihm so lieblich klingender, heiserer Ton und die andere Stimme konnte keinem anderen angehören, als dem Leichendoctor. Tobias sprach so leise, daß Hazenbrook sich vergeblich bemühete, die Worte zu unterscheiden. Bald aber wurde jener von dem Doctor Mauritius unterbrochen, der sich sehr verständlich in folgender Weise vernehmen ließ:

»Ihr selbst tragt die Schuld Eueres Uebels, Myn Heer van Vlieten! Das heiße Clima Indiens hat Euere besten Kräfte aufgezehrt und Ihr thut nichts, sie zu ersetzen, Euch wieder ein Wenig in’s Fleisch zu werfen, das Euch, wie Figura zeigt, an allen Orten und Enden abgeht. Sehet mich an, Myn Heer! Ich bin gesund, weil ich wohl beleibt bin, ich bin wohlbeleibt, weil ich kräftige, nahrhafte Speisen genieße. Was soll aus Euch werden, wenn Ihr hier fortlebt in derselben Art, wie Ihr in Batavia existirt? Die scharfen Gewürze, die Liköre, das leider allgemein gewordene Theetrinken, werden Euch nach und nach ganz aufzehren von innen heraus, so daß Ihr vergeht, wie eine Lampe, der das Oel fehlt. Von dieser Stunde an müßt Ihr Euere Diät ändern oder Ihr seyd in den nächsten acht Tagen dem Schooße der Erde wiedergegeben. Ich werde zuvörderst für Euer Mittagsmahl sorgen. Ich schicke Euch Rindfleisch und Kartoffeln, eine Schöpsenkeule mit Gurken, einen Puterbraten mit Reis und einen Mehlbrei, der Euch, wenn Ihr ihn ein viertel Jahr lang täglich genossen habt, gewißlich das Zellgewebe ausfüllen soll mit schöner, spiegelblanker Corpulenz. Dazu eine Flasche alten Rheinwein, die Ihr leeren müßt bis auf den letzten Tropfen. Ladet Euch heitere theilnehmende Gäste ein. Auch ich werde zum Oeftern an Euerer Tafel erscheinen, um darauf zu sehen, daß Ihr mir tüchtig esset. Die häßliche Zimmetfarbe Eueres Antlitzes, das Gelb in Eurem Auge – sie müssen fort, denn sie sind widerwärtige Zeichen innerlicher Destruction. Essen müßt Ihr, essen – so viel als möglich, damit Ihr fett, das heißt gesund und glücklich werdet. Sagt es denn nicht schon die Stimme des Volks, die einen reichen, glücklichen Mann dick nennt, daß nur in der Corpulenz das einzige irdische Heil liegt? Und vox populi vox Dei: das lasse ich mir nicht wegläugnen!«

 

Dem lauschenden Hazenbrook sträubte sich das Haupthaar bei diesen entsetzlichen Rathschlägen, die seinen theuersten Hoffnungen Verderben droheten. Er konnte nicht länger ein gleichgültiger, unthätiger Zuhörer bleiben. Doch besaß er Geistesgegenwart genug, um einzusehen, daß es gerathen seyn dürfte, den innerlich kochenden Zorn unter äußere Milde und Freundlichkeit zu verbergen. Er öffnete leise die Thüre und trat ein. Das Zimmer war nicht groß, er stand gleich vor dem Lager, auf welchem der Kranke ruhete, zwischen diesem und dem Doctor Mauritius.

»Der Herr Collega verzeihen,« redete er mit sanfter einschmeichelnder Stimme, die sich aber bald in den Ton der gereizten Leidenschaftlichkeit verwandelte, den Doctor an, »aber ich kann unmöglich, was die Diät des Patienten betrifft, der gleichen Meinung seyn, die ich zufällig vor der Thüre vernommen! Was ist Gesundheit? Körperliches Wohlbefinden: der Körper mag nun dick oder dünn seyn! Im Gegentheil ist eine edle Hagerkeit, welche die ursprünglichen Formen der menschlichen Leibesgestalt rein hervortreten läßt, weit vorzuziehen jener schwammigen Beleibtheit, die allenthalben, statt schöner, wohl und weise von dem Schöpfer berechneter Form, nur monströse Auswüchse, häßliche Balggeschwulste zeigt. Nichts ist auch dem irdischen Leben nachtheiliger, als wenn die besten Kräfte sich im unseligen Fette, dieser Schmachgeburt der Schlemmerei und Völlerei, verlieren. Wie kann das Blut belebend die Adern durchströmen, wenn immer der Schwamm des Zellgewebes an ihm saugt? Wohin kann die Spannkraft der Nerven noch wirken, wenn Alles erschlafft ist unter gemeinen sinnlichen Reizen? Habt Ihr je vernommen, bester Heer Collega, daß Methusalem Corpulenz besessen habe? Ist nicht Fettleibigkeit der sichere Vorbote der Schlag- und Steckflüsse, der Gicht und Wassersucht? Hinweg mit ihr! Hager, fettlos muß die Welt werden, um sich einer dauerhaften Gesundheit zu erfreuen.«

Herr Tobias sah ängstlich zu dem Doctor hinauf. Er bemerkte, daß sich auf dessen Stirn eine dunkele Wolke zusammenzog, er wollte sie durch einige entschuldigende Worte zerstreuen, aber ehe er zum Sprechen kommen konnte, brach das drohende Wetter schon los.

»Wer sagt das, wer wagt mir zu opponiren?« donnerte Mauritius im Tone der höchsten Erbitterung, den der Angriff auf seine eigene Persönlichkeit mit sich brachte, den Professor an. »Ich habe noch nie eine Disputationem über die Kunst des Hypocrates und Galenus ausgeschlagen, aber, ehe ich mich darauf einlasse, muß ich erst wissen, ob ich mit einem Manne vom Fache oder einem Ignoranten zu thun habe, als welchen Euch Euere bisher ausgesprochenen Grundsätze darstellen. Sagt Euern Namen, ich bin der Doctor Mauritius, wohlbekannt in den gesammten Generalstaaten!«

»Und ich bin Eobanus Hazenbrook,« erwiederte mit Würde der Aufgeforderte, »Professor ordinarius der weltberühmten Lugduner Academie, Custos theatri anatomici daselbst und ein Freund und College des großen Boerhaave

»Des großen Boerhaave!« spottete Mauritius. »O, ich habe ihn noch sehr klein gesehen, diesen großen Boerhaave, ehe er das theologische Barett gegen den medicinischen Doctorhut vertauscht. Damals schrieb er Predigten statt Recepte und es wäre gut, wenn er dabei geblieben wäre, denn seine tolle Neuerungssucht wird die edle Kunst bald in einen blauen Dunst verwandeln. Ihr also, Myn Heer,« fuhr der Doctor mit grinsendem Hohne fort, »seyd der Professor Hazenbrook, von dem ich schon so vieles Merkwürdige gehört? Nun es ist mir in Wahrheit eine unerwartete Annehmlichkeit, ein so seltsames Exemplar wissenschaftlicher Monstruosität, wie Ihr dem Rufe nach seyn sollt, in dieser Stunde kennen zu lernen.«

»Ein seltsames Exemplar – eine wissenschaftliche Monstruosität?« fragte erstaunt Eobanus. »Was wollt Ihr damit sagen?«

»Also den berüchtigten Mumienprofessor sehe ich vor mir, in wahrhafter leiblicher Gestalt!« sprach, ohne sich stören zu lassen, mit beißendem Spott der Doctor weiter. »Da wundert’s mich freilich nicht, daß Ihr die Hagerkeit in Schutz nehmt, denn Ihr möchtet gern die gesamte Menschheit zu einem Stockfische ausdörren und sie dann einbalsamiren für Euere Naturalienkammer. Der edelste, höchste Zweck der ärztlichen Wissenschaft, Menschenwohl zu erhalten und zu befördern, ist Euch fremd geblieben, da er keinen Werth für Euch hat und Ihr den Menschen erst anfangt hoch zu achten, wenn er im Begriff ist, seinen letzten Seufzer auszuhauchen. O, ich kenne Euch wohl und Euer Treiben! Man weiß, welche Versuche Ihr daheim angestellt, man weiß aber auch, wie sie Euch vereitelt worden sind durch die Natur selbst, der Ihr Gewalt anthun wolltet. Mit Euch consultire ich nicht! Einer von uns beiden ist zu viel hier,« wandte er sich jetzt zu Tobias, dem das ruhige Lager indessen zum glühenden Laurentiusroste geworden war: »soll er gehen oder ich

»Um Gotteswillen,« stöhnte van Vlieten, während Hazenbrook bei der unerwarteten Entdeckung seiner, wie er wähnte, im tiefsten Geheimnisse betriebenen Einbalsamirungs-Versuche, stumm und starr seinem Feinde gegenüber stand: »ich will ja gern Rindfleisch essen und Brei schlucken und fett werden, wenn es nur anschlägt! Aber verlaßt mich nicht, Myn Heer Doctor! Auf Euch setze ich meine einzige Hoffnung und in dieser Stunde schwöre ich den Gewürzen, dem Liköre und dem Thee ab. Schickt mir für heute Etwas aus Euerer vortrefflichen Küche, morgen will ich schon selbst sorgen und es soll braten, sieden und broddeln in meinem Hause, wohin man nur blickt.«

»So ist es recht!« sagte belobend Mauritius und trat auf die eine Seite des Bettes, um dem Kranken nochmals den Puls zu fühlen.

In seiner Verzweiflung stürzte Hazenbrook auf die andere und raunte dem Patienten in die Ohren:

»Gedenkt unseres Vertrags! Ich habe schon Nachricht von der Tochter. Sie hat den Weg nach Mastricht genommen, meine Leute setzen ihr nach.«

»Laßt mich in Frieden!« entgegnete unwillig Tobias. »Was habe ich von der Clötje und was hat sie von mir, wenn ich todt bin? Erst muß ich gesund werden, fett muß ich werden, um Vaterfreuden zu genießen, dann mag sie wieder kommen und dann mögt auch Ihr Euch wieder einfinden zu weiterer Besprechung. Bis dahin Gott befohlen!«

»Ihr habt es vernommen!« sagte Mauritius gebieterisch, indem er in triumphirender Haltung vor den Professor trat. »Euere Gegenwart ist dem Patienten lästig, sie kann ihm sogar zu großem Nachtheile gereichen. Wollt Ihr hartnäckig erwarten, daß man Euch mit Gewalt entferne? Wollt Ihr es auf Euer Gewissen laden, daß Ihr meinem Kranken durch Euern Trotz den Appetit verderbt und er dann weder Mehlbrei noch Puterbraten, noch Rheinwein zu sich nehmen mag, die ihn allein erretten können vom nahen Tode? Fort mit Euch, Heer Mumienprofessor, oder ich rufe das Hausgesinde!«

»Alles ist verloren!« jammerte aus dem Zimmer stürzend Eobanus. »Er wird fett oder er stirbt vor der Zeit. Ich bin geprellt, ich bin schändlich betrogen!«

Erst in der stillen Umgebung seines Zimmers fand er die verlorene Besinnung wieder, aber sein Leben schien ihm öde und werthlos. Er wünschte, er hoffte nichts mehr.

5

Gegen den Mittag eines ziemlich kalten Novembertages hielt vor einem einsamen Bauernhofe, nur etwa eine halbe Tagereise von Mastricht entfernt, ein ländliches Fuhrwerk, wie es, sobald es die kalte Jahreszeit erlaubt, in jenen Gegenden gebräuchlich ist. Es hatte die Nacht gefroren, Kanäle und Teiche waren mit einer festen Eishülle bedeckt, nur die größeren Flüsse hatten der Gewalt des früh einfallenden Frostes nicht unterlegen. Das Fuhrwerk, dessen wir gedachten, bestand aus dem oberen Theile eines Leiterwagens, das auf einer Schleife befestigt war und mit dieser einen leicht über die Schneeflur und den Eisspiegel hingleitenden Schlitten bildete. Die beeis’te Leinwandhülle über den Wagen ließ nicht entdecken, ob jemand sich im Innern desselben befand. Den zwei magern Pferden, welche ihn zogen, sah man die Ermüdung und das Bedürfniß, bei gutem Futter im warmen Stalle die verlorenen Kräfte wiederzuersetzen, an. Ihre Glieder zitterten, ihre Köpfe waren tief zur Erde herabgesenkt. Demungeachtet schien der Führer, der in diesem Augenblicke von seinem hölzernen Sitze herabsprang, keinen längeren Aufenthalt an diesem Orte zu beabsichtigen. Er rief einen Knaben aus dem Hause und nachdem er diesem bedeutet, den Thieren Brot und Wasser zu geben, trat er zu dem Fuhrwerke, lös’te die obere Decke und unterstützte zwei heraussteigende Frauen mit einer Leichtigkeit und einem Anstande, die mit dem groben Kittel, der ihn verhüllte, im Widerspruche waren. Die Frauen schienen, wie er selbst, der Umgegend anzugehören. Ihre Kleidung war ländlich, wohl verwahrend gegen die Kälte, und sie hatten sich so sehr in das weite schwarze Regentuch verhüllt, daß man Gestalt und Antlitz nicht zu erkennen vermochte. Die eine nahm, während sie dem Hause zuschritt, den Arm des Mannes, die andere folgte langsamer nach, indem sie einen Pack trug, dessen äußere Hülle aus der feinsten holländischen Leinwand bestand.

Im Kamine der Küche glühete ein freundliches Torffeuer. An diesem nahmen sogleich die Frauen Platz, ohne jedoch noch ein Wort gegen den Landmann gesprochen zu haben, der ihnen mit freundlicher Einladung bis zur Hausthüre entgegen gekommen war.

Indessen schritt ihr Begleiter unruhig in der Küche auf und nieder. Er trat bald an’s Fenster, an das die immer dichter fallenden Schneeflocken schlugen, und trommelte an den Scheiben; bald that er einige hastige Schritte nach dem Hauseigenthümer hin, als wollte er eine Frage an diesen richten, die ihm sehr wichtig sey, aber ehe er sie noch vorbrachte, schien er sich eines anderen zu besinnen, und kehrte wieder zum Fenster zurück.

Der Besitzer des Hofes hatte sich, nachdem er eine Zeitlang vergebens auf die Anrede seiner Gäste gewartet, behaglich in einen weiten Lehnsessel niedergelassen. Von hier aus beobachtete er ruhig die Bewegungen und das Benehmen der schweigenden Gesellschaft. Endlich zeigte sich ein Lächeln auf seinem Angesichte, er stand auf, ging zu dem Manne hin und sagte mit gutmüthiger Freundlichkeit:

»Ich errathe, was Euch im Kopfe herumgeht! Ihr seyd ein guter Niederländer und möchtet nicht gern mit dem Franzosengesindel, das hier in der Gegend schwärmt, zusammenkommen. Ich kann Euch das nicht verdenken, es ist auch nicht meine Liebhaberei. Warum wollt Ihr aber Euch nicht einem Landsmanne vertrauen? In den ganzen Generalitätslanden ist keiner, der einen wackeren Oranier an den Feind verriethe!«

»Holland und England!« rief der andere, in welchem wir nun den Junker van Daalen, so wie in seinen Gesellschafterinnen Clelien und Philippintje erkennen, in einem Tone, als wälze sich eine Last von seiner Brust: »Du hast recht! Kein rechtschaffener Niederländer verräth den andern. Die Künste und Schliche, die ich in den letzten Tagen anwenden mußte, um den Streifpartheien zu entgehen, haben mir den Kopf ganz verwirrt. Dann verließ uns auch, wo die Gefahr am dringendsten war, der feige Bursche, der uns zum Führer diente, mit Wagen und Pferden, ich mußte die elenden Thiere mit dem zerbrechlichen Fuhrwerke kaufen und, da ich die Wege nicht kannte, oft auf’s Geradewohl umherirren.«

»Sprecht nicht so laut!« ermahnte mit warnender Gebehrde der Landmann. »Vor mir seyd Ihr sicher, aber nicht vor anderen, die sich mit halber Gewalt in mein Haus gedrängt haben.«

»O, ich bin bewaffnet und habe wohl schon eher die Herren Franzosen meinen Degen empfinden lassen!« antwortete Cornelius, indem er seinen Kittel aufschlug, unter dem sich Pistolen und ein kurzes Schwerdt zeigten. »Sagt schnell, wer ist es und wie viele sind ihrer?«

In dem ersten Schrecken über die Entdeckung, welche sie aus dem Munde ihres gutmüthigen Wirthes vernahmen, hatte eine der Frauen sich rasch umgewendet und das Regentuch, das beinahe zur Hälfte ihr Gesicht verhüllte, war auf die Schulter niedergefallen. Der für weibliche Schönheit keinesweges unempfindliche Landmann sah mit Bewunderung in Cleliens reizendes, durch die freie Luft, der sie einige Tage lang sich ausgesetzt hatte, in blühender Frische glänzendes Angesicht. Tief erröthend bemerkte sie es und zog langsam wieder das Tuch hinauf.

 

»Auch ohne die Waffen hättet Ihr den Kriegsmann nicht verleugnen können!« sagte der ehrliche Niederländer, nachdem er seine freundlichen Blicke zur Genüge auf Clelien hatte ruhen lassen, wieder zu Cornelius gewandt, »Euer ganzes Wesen verräth Euch. Schon als Ihr ankamet und Euere Pferde halten machtet, sah ich Euch an, daß Ihr nicht gewohnt seyd, die Handthierung eines Fuhrmanns zu treiben. Ihr hieltet die Peitsche, wie einen Degen, Ihr schwanget sie, als wolltet Ihr auf den Feind einhauen. Als Ihr an den Wagen tratet, um die Frauen herabzuheben, standet Ihr kerzengrade und sahet so kühn um Euch, wie ein Feldhauptmann an der Spitze seines Häufleins. Die Jungfer da,« fuhr er auf Clelien deutend fort, »ist auch nicht bei uns auf dem Lande gewachsen und ich wette, es ist dieselbe, der von den wilden Gesellen, vor denen ich Euch warnte, nachgespürt wird.«

»Nachgespürt – ihr?« fuhr der Junker, von Zorn und Befremden ergriffen auf, während die zwei Frauen ängstliche Blicke auf den Hausbesitzer richteten. »Es ist nicht möglich, niemand kann wissen – «

»Ihr könnt Euch darauf verlassen!« unterbrach ihn mit leiser, behutsamer Stimme der Landmann. »Ihr seyd Herr Cornelius van Daalen und das ist Jungfrau Clelia van Vlieten. Man kennt Euch, man hat Euch genannt und ich bin überzeugt, daß diejenigen, welche Euch nachsetzen, nichts Gutes gegen Euch im Schilde führen.«

Die drei Reisenden waren im höchsten Grade betreten über diese Entdeckung. Jeder Gedanke an einen Irrthum mußte verschwinden, als ihr wohlmeinender Wirth die Namen der zwei Hauptpersonen aussprach. Aber wer konnten diese Verfolger seyn, die eine so genaue Kenntniß des Weges besaßen, den das flüchtige Paar eingeschlagen hatte? Sie mußten, so dachte Cornelius, nothwendig im Auftrage des Herrn van Vlieten handeln, sie waren, wie es ihm bald nicht mehr zu bezweifeln schien, abgesandte Gerichtspersonen von Rotterdam, die sich wenigstens der Geliebten bemächtigen wollten, um sie in das väterliche Haus zurückzuführen.

»Die Wege der Vorsehung sind wunderlich!« jammerte indessen Philippintje. »Um ein gottgefälliges Werk zu thun, dem entsetzlichen Schiwa auszuweichen und der noch entsetzlicheren Nonnenschaft, sind wir ausgezogen, gleich dem Volke Israels aus dem Lande Egypten, aber auch uns verfolgt der grimmige Pharao und ich sehe noch kein rothes Meer, das uns den Gefallen thun will, ihn zu verschlingen!«

»Still!« gebot, durch den Drang der Umstände beunruhigt und gereizt, Cornelius nach ihr hin. »Seyd so gut,« wandte er sich dann zu dem Hausbesitzer, »und gebt mir eine nähere Kunde von den Leuten, die Ihr meint. Beschreibt mir ihre Personen, nennt mir ihre Anzahl und sagt mir, ob Ihr sie für Niederländer oder für Fremde haltet?«

»Einen Augenblick!« erwiederte der Landmann, ging hierauf zur Thüre und fuhr, nachdem er diese sorgfältig verschlossen und verriegelt, in jenem gedämpften Tone, den er bisher beobachtet hatte, fort. »Es sind ihrer vier. Aber nur zwei von ihnen scheinen eigentlich Absichten auf Euch und Euere Reisegefährtin zu haben. Die anderen beiden kommen mir vor, wie ein Paar verlaufene Gesellen, die sich gegen Bezahlung zu jedem Streiche hergeben und wenn ich nicht irre, so habe ich ihre Galgengesichter schon am Haven von Antwerpen gesehen, wenn ich Viktualien zum Verkaufe dorthin gebracht. Sie mengen sich auch wenig in das Gespräch jener zwei, unterhalten sich meist in flämischer Mundart und von niedrigen, nichtswürdigen Dingen. Jene aber sind ein Paar junge Leute von hübschem, munterem Ansehen. Sie sagen, sie wären Studenten von Leyden, aber ich halte sie für verkappte Franzosen, denn, wenn sie auch mit mir holländisch reden, so sprechen sie doch unter sich in französischer Zunge, von der ich bei dem Getreidehandel über die Grenze Manches verstehen gelernt habe.«

»Und diese sollten uns nachforschen, uns verfolgen?« fiel der Junker im Tone des Unglaubens und Zweifels ein. »Unmöglich!« setzte er versichernd zu. »Ich kenne diese Leute nicht, ihr Unternehmen ist gewiß gegen einen anderen gerichtet!«

»Nein, nein!« versetzte der redliche Warner ärgerlich und kopfschüttelnd. »Ihr seyd es und noch mehr die liebliche Jungfrau da, auf welche sie einen Streich abgesehen haben. Meinen Augen und Ohren kann ich trauen und woher sollte ich denn Euch, die ich in dieser Stunde zum erstenmale sehe, bei Namen zu nennen wissen, wenn ich diese Namen nicht von andern erfahren hätte, welchen an den Personen ungemein viel gelegen ist? Genug! Es war in der Dämmerung des heutigen Morgens, als mit einemmale Pferdegestampf die Straße herab klang, die Reiter vor meiner Wohnung hielten und mit heftigem Klopfen und unter wilden Drohungen Einlaß verlangten. Ich überzeugte mich bald, daß ich mit meinem fünfzehnjährigen Knaben den Stürmenden einen vergeblichen Widerstand leisten würde. Ich öffnete also freiwillig und fragte ruhig nach ihrem Begehren. Sie aber eilten an mir vorüber, gleich die Treppe hinauf in die besten Zimmer. Hier empfingen mich, der wohl ein ziemlich saueres Gesicht zeigen mochte, die jungen Leute lachend, versicherten, ich könne ganz ruhig seyn bei ihrem Besuche, sie stünden für Alles und würden, was ihnen an Speise und Trank nöthig sey, bei Gulden und Stüber bezahlen. Zur Bekräftigung ihrer Worte händigten sie mir ein Stück Geld ein. Dann aber fingen sie sogleich an, sich sehr genau nach einem Manne und zwei Frauen zu erkundigen, die am gestrigen Tage hier vorübergekommen seyn möchten. Sie beschrieben Euch und Euere Reisegefährtinnen auf das Deutlichste, sie nannten, indem sie in dem Wahne, ich verstehe sie nicht, französisch mit einander sprachen, Euere Namen und einer von ihnen schwur, er müsse Euch die Tochter des Herrn van Vlieten abjagen und solle er Euch bis an’s Ende der Welt verfolgen! Sie sagten, wenn Ihr noch nicht vorübergezogen wäret, so müßtet Ihr heute durchaus ankommen, sie hätten die sichere Spur. Jetzt habt Ihr Alles vernommen, was ich weiß. Ihr seyd ein guter Holländer, deswegen halte ich zu Euch. Wären nur noch ein Paar Männer, wie wir im Hause, so wollten wir schon fertig werden mit den fremden Schelmen – und doch, wenn ich’s bedenke – « setzte er unruhig die Mütze rückend hinzu – »ich könnte Euch nicht öffentlich beistehen, denn hier an dem abgelegenen Orte muß ich jeder Parthei Freund scheinen. Aber Ihr selbst werdet jetzt am Besten wissen, was Ihr zu thun habt, um in Frieden Alles auszugleichen, denn gewißlich sind Euch die Leute bekannt und Ihr durchschaut den Grund Ihres Betragens.«

»Ich will ein Franzose werden, wenn ich sie kenne und mehr von ihnen weiß, als was Ihr mir gesagt habt!« betheuerte Cornelius und ging bewegt im Zimmer auf und nieder. »O ich fürchte sie nicht,« fuhr er zu sich selbst sprechend fort, »und wollte ihnen wohl den Weg zeigen, aber – Clelia! Nein, nein! Sie darf keine Gefahr mehr laufen. Der Mann hat Recht. Wir müssen dem seltsamen Handel auf friedlichem Wege auszuweichen suchen!«

In diesem Augenblicke rief ihn das geliebte Mädchen mit sanfter Stimme zu sich heran.

»Ich weiß, Ihr seyd kühn und muthig, Junker Cornelius,« sagte sie, »aber bezwingt diesesmal jede Aufwallung, die uns Allen Nachtheil und mir vielleicht um Euretwillen schweren Kummer bringen dürfte. Ja, Cornelius, Ihr seyd mir theuer und jede Gefahr, die Euerem Leben droht, jeder Tropfe Eueres Blutes, der in einem solchen Streite vergossen werden könnte, würde mich unglücklich und elend machen. Laßt uns still wieder den Wagen besteigen und unseren Weg fortsetzen. So gelingt es uns vielleicht, diesen unbekannten, räthselhaften Verfolgern zu entgehen.«

»Clötje, du sprichst wie ein Buch!« stimmte ängstlich Philippintje ein. »Ja! Wir wollen wieder in den Wagen, wir wollen fort.«

Der Landmann aber trat kopfschüttelnd zu ihnen heran und sagte:

»Ihr irrt, wenn Ihr glaubt, daß Ihr nicht bemerkt und erkannt worden seyd! Die zwei jungen Leute haben Falkenaugen und seit dem frühen Morgen liegen sie schon hinter den Fenstern, um zu spioniren. Kein Hofknecht im schlechten Kittel, kein Butterweib im Regentuche ist vorübergegangen, ohne daß nicht einer von ihnen herabgeschossen wäre, wie der Blitz, um sie näher zu untersuchen. Bei Euch verhalten sie sich still. Das kommt daher, weil sie ihrer Sache gewiß sind. Aber sie schmieden gewiß einen Anschlag, wie sie Euch am Sichersten angreifen, wenn Ihr an nichts denkt. Laßt mich einmal hinauf! Ich will in dem dunkeln Kämmerchen, das an ihr Zimmer stößt, einmal lauern und lauschen. Da ist jedes Wort zu vernehmen, da kann ich durch eine Spalte in der Bretterwand selbst jede ihrer Bewegungen beobachten.«