Der Immun-Kompass

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Der Organismus verlässt sich auf ein doppeltes Schutzsystem

Für unsere neun Organsysteme eine Rangliste ihrer Wichtigkeit zu erstellen, ist überflüssig. Das Überleben braucht jedes einzelne, vom Atmungssystem bis zur Fortpflanzung. Während ein gesunder Körper alle fünf Sekunden einen Atemzug tätigt, absolviert das Immunsystem der Krankheitsabwehr in jeder Millisekunde Abermillionen Prozesse der Erkennung, der Bewertung und der Bekämpfung.

Begabte Medizinprofessoren erklären ihren Studentinnen und Studenten, dass die Krankheitsabwehr auf einem Sicherheitssystem beruht, das „ich“ von „nicht-ich“ unterscheidet und dann jede Anstrengung unternimmt, um alles nicht-ich zu zerstören. Alle Eindringlinge und ebenso krankhaft veränderte oder sogar krebsige Zellen sind Ziele der Abwehrzellen.

Wie komplex dieser Verbund ist, wird erst nach und nach begriffen. Letztlich entscheidet die Qualität der weißen Blutkörperchen über die Immunkompetenz. Im Augenblick differenziert die Wissenschaft elf Arten von weißen Blutkörperchen, vor allem Fresszellen, T-Lymphozyten, B-Lymphozyten, und Killerzellen. Sie wiederum produzieren 53 verschiedene Eiweiße mit der Fähigkeit, zu informieren und zu steuern.

Ohne diese Mammutleistung wären wir schutzlos. Diese Armee ist lebenswichtig und schläft deshalb nicht. Im Gegenteil. Während wir uns nachts durch das Herunterfahren unserer Wachsamkeit in höherem Maße gefährden, gleicht die Körperpolizei unser Schwächen durch erhöhte Sensibilität aus. Menschen mit Asthma erleben im Schlaf jeden nervigen Reiz stärker. Die daraus resultierende Krankheitsabwehr kann unangenehmer als bei Tag werden, mit Fieber, Schwellung, Entzündung und auch Schmerz als Warnung. Aber es geht ums Überleben, nicht um Wohlbefinden.

Keine Apparategruppe von Organen kann unabhängig von den anderen agieren. Die Systeme werden mit Blut versorgt, von Nerven gesteuert, sie bedienen sich der Funktion von Drüsen und setzen Muskeln ein. Zwischen ihnen bestehen Wechselwirkungen und Überschneidungen, das gilt für Mehrfachfunktionen der Sinnesorgane ebenso wie für das Zentrallabor Leber.

Zweifellos unterliegt aus diesen Gründen auch das Prinzip der Verhinderung von Gewebeschädigungen durch Krankheitserreger in allen Bereichen den Prozessen der Alterung. Es handelt sich um die zeitbezogene Verschlechterung der die Lebensvorgänge betreffenden Funktionen, die für das Überleben notwendig sind.

Jeder Mensch möchte sie verlangsamen. In Bezug auf das Immunsystem wäre dies besonders ratsam.

Je später also in Ihrem Leben Sie sich das dazugehörige Wissen einholen und anwenden, umso dringlicher.

Es handelt sich um einen komplexen Verbund aus mehr als 50 Zellfamilien und Substanzen zum Schutz des Organismus vor Pathogenen auf zellularer Ebene. Seine Agenten reisen durch den Körper mit dem Auftrag, Krankheiten erregende Mikrolebewesen oder Stoffe in der Luft oder in soliden Stoffen mit der Absicht, uns Schaden zuzufügen, von den Organen fernzuhalten. Ziel ist es, solche Risikostoffe aus dem Körper zu schaffen oder zu töten. Einige sehr aggressive Prozesse bilden sich auch im Organismus selbst, zum Beispiel die Anhäufung von Zellschädigungen durch hochreaktive Moleküle, die als freie Sauerstoffradikale bezeichnet werden.

Beinahe drei Viertel der aktiven Immunzellen üben ihre Funktionen im Darmtrakt aus.

Der Organismus verlässt sich auf ein doppeltes Schutzsystem.

Das erste entwickelt sich bereits während der Schwangerschaft im Mutterleib und gilt deshalb als angeboren Anpassung. Hinzu kommt eine raffinierte bakteriologische Ausstattung bei einer Entbindung durch den Geburtskanal. Die Natur sieht vor, dass mit dem Kopf, der dicksten Stelle des Neugeborenen, durch die Darmwände aus der Mutter Stuhl herausgequetscht wird und das Baby dieses-Darm-Mikrobiom mitnimmt.

Dieser natürliche Schutz entfällt beim Kaiserschnitt. In einigen Kliniken werden zuvor Kolibakterien der Mutter besorgt, um das Neugeborene sofort nach der Geburt damit zu versorgen.

Die Erstausstattung des Immunsystems reagiert grundsätzlich auf alles Fremde, innerhalb von Minuten, und unser Leben lang gleich auf dieselbe, von den Erbinformationen festgelegte Weise. Wir können sie nicht verändern. Sie wird jedoch durch unseren Lebensstil gestärkt, etwa durch Bewegung und klug gewählte Mikronährstoffe, oder geschwächt, zum Beispiel durch Dauerbeschäftigung mit Umweltgiften.

Eine wichtige Funktion haben intelligente Barrieren wie die mehrlagigen Zellschichten zur Bedeckung aller inneren Körperoberflächen und der Haut. Ihre Zellen sind durch eine Art chemisch-physikalischen Reißverschluss widerstandsfähig miteinander verbunden und lassen nur ausgewählte solide Stoffe und Substanzen passieren.

Die Haut ist ein Wachstumsbremser für krankmachende Mikrolebewesen.

Die Augen produzieren eine Flüssigkeit mit Enzymen zur Bekämpfung von Kleinstorganismen.

In den Atemwegen wegen Pathogene durch Schleimgebunden.

In der Mundhöhle hat Speichel eine große Rolle.

Oberflächenbeläge können Materialien aufnehmen., zum Beispiel die Schleimhäute im Darm.

Die Magensäure enthält Salzsäure und zerstört gemeinsam mit Enzymen die Mehrzahl von Bakterien.

Im Darm entscheidet die Zusammensetzung der Bakterien des Darm-Mikrobioms fast alles. Eine direkte Verbindung zum Lymphsystem besteht ebenfalls.

Die Netzhaut des Auges, die Haarzellen innerhalb des Ohres, die Riechschleimhaut und unsere Geschmackszellen der Zunge – sie alle sind mit eigenen Beiträgen an der Krankheitsabwehr beteiligt.

Schließlich ist der Verdauungstrakt wie auch der Harntrakt ein essenzielles Abtransportsystem der Krankheitsabwehr.

Ähnliche Aufgaben der Beförderung übernehmen auch die Nierenkanälchen und die Gallenkanäle. Für die Funktion der Entsorgung sind auch zusätzliche Flimmerhärchen zu nennen, beispielsweise in der Luftröhre, die mit einem kräftigen Schlag fremde Partikel aus dem Körper entfernen können.

Im Verbund mit einer Drüse produzieren die Deckschichten Sekrete wie Speichel und Schweiß. Einschichtige Lagen ermöglichen einen Austausch von Gasen wie zum Beispiel die Bläschen der Lunge.

Die besondere Schutzfunktion der Innenauskleidung der großen Blutgefäße steht seit 50 Jahren im Zentrum heftiger Diskussionen über ihre Rolle im Verhindern oder Verursachen von Herz-Kreislauf-Gefäßerkrankungen.

Weitere etwa 40 spezielle Molekülgruppen stehen in den Körperflüssigkeiten Blut und Lymphe und an den Oberflächen der Zellen zur Bekämpfung jeden in den Körper eindringenden Feindes zur Verfügung. Es sind chemisch wirkende Substanzen mit zahllosen Fähigkeiten, zum Beispiel andere Stoffe aufzuspalten. Das genügt vielleicht schon, um Erreger zu töten. Aktiviert werden diese körpereigenen Enzyme durch jede Anwesenheit eines Pathogens auf verschiedene Weisen. Einige Immunhelfer steuert die Leber bei.

Falls diese ersten Maßnahmen nicht ausreichen, rufen diese Abwehrkämpfer ihre Kollegen von der Entzündungspolizei zum Tatort. Vitale entzündlichen Reaktionen gegen Auslöser von Krankheiten sind besonders typisch für das angeborene Immunsystem. Ihr idealer Einsatz ist aktuell und zeitlich befristet. Sichtbare Symptome sind die Rötung der Haut, Schmerz, Schwellung, Wärme und eingeschränkte Funktionen. Auch Fieber, Herzrasen und das vermehrte Erscheine von weißen Blutkörperchen und weiterer Eiweiße im Blut sind ebenfalls diagnostisch messbare Veränderungen.

Mehr als ein halbes Dutzend verschiedener Zelltypen sind als Kämpfer für unsere Gesundheit mit der Waffe Entzündung in den Lymphbahnen, im Blut und in Geweben unterwegs.

Neben dem fast stur und automatisch agierenden angeborenen Abwehrsystem entwickelt der einzelne Körper eine individuell ausgestaltete Anpassungsfähigkeit an neue, veränderte oder bisher unbekannte Krankheitserreger. Diese zweite Immunabwehr arbeitet mit der Körperpolizei der ersten Stunde zusammen und ergänzt sie durch spezielle Fähigkeiten.

Eine zentrale Aufgabe unter allen Substanzen üben dabei spezielle weiße Körperchen im Blutstrom aus. Sie werden B-Zellen und T-Zellen genannt, wissenschaftlich B-Lymphozyten und T-Lymphozyten.

Beinahe die Hälfte der Immunzellgruppen können im Gefahrenfall die Blutbahnen und das Lymphsystem verlassen und sich auch in den Geweben aufhalten. Sie können durch Aufnahme und Verdauung Erreger selbst vernichten.

Das B steht für Bone, im Englischen Knochen, da sie im Knochenmark entstehen und dort auf ihren Einsatz über das Lymphsystem warten. Das T steht für Thymus.

Auch weiße Zellen, aus denen später T-Zellen werden, entstehen ursprünglich innerhalb der Wirbelsäule. Sie wandern jedoch in die Thymusdrüse hinter dem Brustbein, die auch als das Gehirn der Krankheitsabwehr bezeichnet wird. In dieser Drüse werden diese weißen Blutkörperchen der Kategorie Lymphozyten für ihre Fähigkeit, Fremdstoffe zu erkennen, verändert.

Dabei erhalten die jetzt als T-Lymphozyten eingestuften Zellen an ihrer Oberfläche eine Andockstelle, einen Rezeptor. Durch Kontakt gibt sich daran ein möglicherweise gefährlicher Stoff zu erkennen. Diese Gruppe der Störer wird als Antigene bezeichnet. Es ist beispielsweise ein Virus oder auch der Abfallrest eines von der Körperabwehr vernichteten Eiweißmoleküls, beispielsweise von einer geschädigten Zelle im Begriff, zu einer Krebszelle zu mutieren. Auf Grund einer Alarmsituation durch die T-Zellen werden Eiweiße gebildet, die in der Lage sind, Antigene zu killen oder zu zerstören. Diese Kämpfer im Dienst des Immunsystems heißen Antikörper.

In dieser Rolle ist die Thymusdrüse in den ersten Lebensjahren wesentlich am weiteren Aufbau des Immunsystems beteiligt.

 

Das Ergebnis einer Studie aus der chinesischen Stadt Wuhan belegte im Juni 2020: Patienten mit einer geringen Zahl dieser bestimmten T-Zellen haben das wesentlich größere Risiko, schwere Erkrankungen wie eine Lungenentzündung oder eine zu starke Blutgerinnung zu entwickeln (Quelle: „EBioMedicine“).

Diese spezielle Form von Killerzellen agiert im Idealfall optimal mit der größten Untergruppe der weißen Blutkörperchen, die sich tatsächlich in der Blutbahn befinden. Durch Erreger oder Fremdkörper oder zerstörte Körperzellen werden sie – neutrophile Granulozyten genannt – in die bedrohten Gewebe gelockt, wo sie als Fresszellen – Phagozyten genannt - tätig werden.

Im Idealfall funktioniert das optimal. Bei bestimmten Erkrankungen ist die Anzahl der „Neutros“ jedoch so sehr erhöht, dass sie die Menge an total wichtigen T-Zellen verringern oder deren Potenziale unterdrücken. Das muss vermieden werden. Denn danach haben es Viren und andere Pathogene leichter, ihren Weg der Zerstörung fortzusetzen.

Ein gefährliches Übergewicht an neutrophilen Granulozyten wird beispielsweise bei Herzinfarkt, Übersäuerung des Körpers, Schilddrüsenüberfunktion oder bei Chemotherapie ermittelt.

Auch altersbedingt, bei schwerem Übergewicht und unter Medikamenten zur Abwehrunterdrückung nach einer Transplantation sinkt die Zahl der T-Zellen.

Spätestens im Verlauf des vierten COVID-19-Monats 2020 wurde erkannt, dass Übergewichtige eine Gruppe mit den höchsten SarsCoV-2-Risiken bilden, unabhängig von ihrem Alter. Die Wahrscheinlichkeit eines schweren Infektionsverlaufs mit hohem Body Mass-Index ab 30 war vergleichbar mit einem stark geschwächten Immunsystem oder einer chronischen Erkrankung der Lunge oder der Nieren. Das setzt in den U.S.A. etwa 40 Prozent der Bevölkerung einer erhöhten Gefahr aus.

In einer britischen Studie, die auf 17 Millionen Bürgerinnen und Bürger blickte, stellte sich heraus, dass die Sterblichkeit bei COVID-19 bei schwerem Übergewicht etwa doppelt so groß war wie bei Menschen mit Normalgewicht. Die Bedrohung stieg mit höherem BMI immer weiter an.

Ähnliche Zusammenhänge wurden bei Grippeepidemien in den 1950er und 1960er Jahren und in der H1N1-Pandemie 2009 ermittelt.

Erst waren reine körperliche Atembeschwerden bei schwerem Bauch als Ursache vermutet worden. Inzwischen stehen Fettzellen im Blickpunkt. Sie produzieren und sie regulieren Hormone, sie vermehren Eiweiße mit der Eigenschaft, Blut zu verklumpen, und sie reduzieren ein Hormon, das Lungengewebe vor Entzündungen schützt. Schon der letzte Punkt könnte erklären, warum bei Übergewichtigen die Lunge versagt. Blutklumpen können Herzattacken, Schlaganfälle und Lungenprobleme verursachen – alles Probleme, die sich bei Patientinnen und Patienten mit COVID-19 häufen.

Außerdem weisen Menschen mit Übergewicht mehr Andockstellen der Kategorie ACE2 für das Virus Sars-CoV-2 auf, und zwar noch mehr als Lungengewebe. Es sind offene Tore für das Eindringen eines Virus und der Start seiner unkontrollierbaren Vermehrung. Es könnte schlicht bedeuten, dass Übergewichtige mehr Viren in sich tragen, mit denen das Immunsystem fertig werden muss (Quelle: „Why Does Obesity Increase Your COVID Risk?“ WebMD. 20. Juli 2020).

Mediziner aus Wuhan, Virologen an der Uniklinik Essen und Wissenschaftler der Gesellschaft für Virologie, Düsseldorf, waren sich auf Grund dieser Erkenntnisse einig: Bei mit dem Virus sars-CoV-2 oder mit anderen Keimen Infizierten sollte unverzüglich versucht werden, die Killerzellen zu stimulieren, zum Beispiel mit den Vitaminen A und C und mit Impfstoffen.

In einem Milliliter Blut werden 10.000 weiße Blutkörperchen vermutet. Das wären insgesamt 50 Millionen, die alle innerhalb weniger Tage erneuert werden müssen. Übrigens, genauso viele Zellen, 50 Millionen, entstehen in unserem Körper in jeder einzelnen Sekunde, durch Teilung und Kopieren.

Meistens sind bakterielle Enzyme, also Substanzen mit chemischen Wirkungen, ihre Gegner. Alle bedrohlichen Kategorien werden unter günstigen Voraussetzungen von den T-Zellen beseitigt.

Im Sinne ihres Erfinders, der Evolution, richtet sich die angeborene Fähigkeit zur Einleitung von Entzündungen idealerweise nur gegen Mikrolebewesen, die getötet und entsorgt werden können. Im modernen Leben haben sich die Gesichter unserer Krankheiten jedoch gewaltig verändert, was das Immunsystem auf einen Irrweg locken kann.

Fresszellen steuern für gewöhnlich kranke oder kaputte Zellen an, umfließen sie und verleiben sie sich ein. Gegen Viren funktioniert dieses Zerstörungsprinzip jedoch nicht. Die Aktivierung der Fresszellen gegen diese Bedrohung kann so zur Gefahr werden. Offensichtlich startet das Immunsystem mit bestimmten Signalen starke Entzündungswellen, um immer mehr neue Fresszellen zu aktivieren und um die sich rasant vermehrenden Viren loszuwerden. Es ist, als werde ein Schalter umgelegt. Bestimmte Voraussetzungen erhöhen diese Wahrscheinlichkeit, wozu ein höheres Alter, Übergewicht, Bluthochdruck und Diabetes zählen.

Bei Älteren neigt das Immunsystem eher zu entzündlichen Reaktionen (Quelle: Dr. Thomas Kamradt, Deutsche Gesellschaft für Immunologie. DER SPIEGEL, 11. 06. 2020).

Vermutet wird, dass rasch anwachsende Fettzellen kontinuierliche besonders gefährliche Reaktionen nach sich ziehen. Vielleicht wegen Sauerstoffmangels rufen diese Gewebe das Immunsystem zu Hilfe. Statistisch steigen dadurch die Risiken von inflammatorischem Stress und von Krebs.

Während der Coronapandemie mussten in New Yorker Krankenhäusern überproportional viel mehr Patientinnen und Patienten mit einem Body Mass-Index von 30 und darüber behandelt werden. Aus Daten von mehr als 4.100 Infizierten wurde glaubhaft errechnet: Bei einem männlichen Patienten um die 50 Jahre, 1,80 Meter groß und 96 Kilo schwere – das entspricht einem B.M.I. von 30 – resultierten diese Belastungen in einer Vervierfachung des Sterberisikos. Ab einem B.M.I. von 40 erhöhte sich die Todeswahrscheinlichkeit auf das Sechsfache.

Entzündliche Prozesse werden irrtümlicherweise auch durch Stresszustände, durch Umweltchemikalien, durch Medikamentenwirkstoffe und Nahrungszusätze verursacht. Sogar das so genannte toxische Sitzen, ein stundenlanger bewegungsarmer Lebensstil (sedentary behaviour, „Deutschland sitzt sich krank“) wird vom überwachsamen Organismus als ein Erkrankungszustand gewertet, der bekämpft werden muss. Wieder ist die Entzündung die erste Wahl.

Eine einzige Runde von neun anstrengenden Minuten im Fitnessstudio änderte von 17.662 Molekülen im Blut 9.815.

Geleistet wurden rhythmische Gymnastikübungen mit geringer Intensität, die den Ausübenden noch genug Luft zum Sprechen ließen.

Die Testpersonen waren 40 Jahre alt oder darüber. Innerhalb einer Stunde verzeichneten Wissenschaftler im Anschluss zuerst einen steilen Anstieg von Signalstoffen, die eine Entzündung befürworten, und danach ihr Austausch zugunsten von entzündungshemmen den Molekülen. Im Wesentlichen hatten die von Bewegung beeinflussten Blutanteile Funktionen im Stoffwechsel, im Immunsystem, in der Reparatur beschädigter Zellen und in der Erzeugung von Appetit.

Nicht jeder Organismus, der für diese Arbeit gemessen wurde, reagierte ähnlich. Große Unterschiede zeigten sich bei Menschen mit Diabetes. Bei Insulinresistenz war der Trend zu Entzündungsprozessen erhöht, was den Verdacht nährt, dass Menschen mit gestörtem Stoffwechsel von körperlicher Anstrengung erst einmal weniger profitieren (Quelle: „A single session of exercise alters 9815 molecules in our blood“. New York Times. 10. Juni 2020).

Doppelt bedauerlich ist, dass fast unausweichlich die gutgemeinten Entzündungen ohne aktuellen Anlass nahezu immer ohne Erfolg bleiben. Danach wird der inflammatorische Killerstress immer stärker und chronisch. In Extremfällen endet es mit der sinnlosen Zerstörung von harmlosen körpereigenen Geweben durch chronischen inflammatorischen Stress. Überreaktionen präsentieren sich auch als Allergien.

Oder, noch schlimmer, es kommt durch die Unfähigkeit des Immunsystems, unsere Organe als körpereigen zu erkennen und zu verschonen, zur krankhaft übersteigerten Produktion von Angriffssubstanzen. Wie der Name Antikörper vermuten lässt, entwickeln sich Abwehrreaktionen gegen gesunde Moleküle. Es droht eine oder mehrere von 38 Autoimmunerkrankungen. Zu den am besten bekannten zählen Alopecia areata, Diabetes mellitus Typ I, Hashimoto-Thyreoiditis, Morbus Bechterew, Morbus Crohn, Multiple Sklerose und Psoriasis.

Die heftigen Entzündungsattacken geschehen sogar weiterhin, obwohl eine Infektion längst besiegt ist. Der Organismus erkennt nicht, dass das Schlimmste schon überstanden ist. Durch diese Überreaktion bleibt die Krankheit am Ende nicht auf die Lunge beschränkt, sondern auch das Herz, Gefäße, das Gehirn oder andere Organe werden ihre Opfer.

Fledermäuse geben Rätsel auf und machen Hoffnung

Wer chronische Entzündungen vermeiden, länger leben und gefährliche Folgen von Viruserkrankungen wie COVID-19 vermeiden möchte, hat zwei Wege: Entweder eine Infektion völlig ausschließen, was praktisch nicht möglich ist, oder die Erfolgschancen der Krankheitsabwehr auf die speziellen Bedrohungen einstellen. Dabei bietet sich der Wissenschaft das Immunsystem von Fledermäusen als Studienobjekt an.

Fledermäuse werden seit Langem verdächtig, Quellen von Viruserkrankungen wie Tollwut, Ebola und Sars-CoV-2 zu sein. Wie können sie derart gefährliche Erreger übertragen, ohne selbst daran zu Grunde zu gehen?

In der Regel stehen die Größe eines Lebewesens und seine Lebensspanne in einer logischen Beziehung. Je kleiner ein Organismus ist, desto kürzer lebt er. In dieser Hinsicht leisten manche Fledermausarten mit einer Lebensdauer von 30 bis 40 Jahren Enormes (Quelle: „Cell Metabolism“, Juli 2020). Sie erreichen das durch die Fähigkeit ihres Immunsystems, Viren zu bekämpfen ohne zerstörerische Entzündungsprozesse.

Im menschlichen Organismus können Viren derartige Antworten auslösen, und es ist häufig diese inflammatorische Stressreaktion, die tötet, und nicht das Virus selbst. Ziel ist die Beseitigung des Virus und die Unterdrückung der Infektion. Jedoch häufig stürzt die vom Körper gewählte Abwehrmethode den Organismus schicksalhaft in einen Überlebenskampf mit ungewissem Ausgang. Inflammatorischer Stress hat eine mitentscheidende Rolle beim Altern und bei der Krankheitsentstehung.

Warum ist das Immunsystem von etwa 1.000 Fledermausarten für uns Menschen doppelt interessant? Einerseits sind sie besonders stark gefährdet. Es sind die einzigen unter den 6.399 Säugetierarten, die fliegen können. Sie sind häufig unterwegs und bringen neue Substanzen mit sich zurück. Sie leben in engen, dunklen Kolonien, übertragen Erreger und bieten Viren beste Infektionsmöglichkeiten. In diesem Zusammenhang müssen sie im Stande sein, Temperaturunterschiede rasch auszugleichen, ihren Stoffwechsel explosionsartig zu steigern und zu drosseln und Gewebeschäden rasch zu beheben. Diese Anpassungen werden kontinuierlich aktualisiert, und das scheint sie zu schützen (Quelle: „Could Bats Hold Clues to COVID Treatments?“ HealthDay. 16. Juli 2020).

Die Frage ist offen, wie das auch uns Menschen gelingen könnte.

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