Кавказ и Чечня – обозрение европейских ученых. Kaukasus und Tschetschenien. Ein Überblick der europäischen Wissenschaftler

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Im übrigen haben sich die Leute vielfach schon auf die russische Benennungsweise ihres Ortes eingestellt und nennen ihn dem Fremden gegenüber nach Art der Russen. Das gilt auch für den Volksnamen Nachtschoi. Dem Fremden gegenüber bezeichnet man sich als Tschetschene. In den abgelegenen Gebirgstälern freilich erhält man weder die eine noch die andere Antwort. Das Nationalitätsbewußtsein ist hier noch ganz unentwickelt, von einem Nationalgefühl im westeuropäischen Sinne natürlich ganz zu schweigen. Der Gebirgler bezeichnet sich eben nur als Mitglied dieses oder jenes Dorfes bzw. Sippe oder Großfamilie und sieht auch um sich herum nur solche verschiedenen Sippen; das Verständnis für den übergeordneten Begriff des Volkes ist ihm in seinem abgeschlossenen Tal noch nicht aufgegangen.

Mit der Ankunft des Stammes auf kaukasischem Boden, über die uns die erwähnte Sage vielleicht einen Anhaltspunkt gibt, beginnt der zweite Abschnitt der Geschichte des Volkes. Hierüber liegen nun bedeutend sicherere Nachrichten vor, wenn dieselben auch ausschließlich aus mündlichen Familienüberlieferungen bestehen mit all ihren Unsicherheiten besonders bezüglich der Zeitangaben. Diese Unsicherheit scheint, aber nicht in dem Maße für den geographischen Inhalt der Überlieferungen zu gelten, der uns hier hauptsächlich interessiert; es herrscht in dieser Beziehung nämlich in den verschiedenen Überlieferungen auffällige Übereinstimmung.

Die folgenden Angaben enthalten das wesentlichste aus einigen hierüber erfolgten Veröffentlichungen, teils von gebürtigen Tschetschenen, wie Laudajew, teils von gebürtigen Tschetschenen, wie Laudajew, teils von im Tschetschenengebiet tätig gewesenen russischen Beamten wie Ippolitow und Popow. (Lit. Verz. 24, 33. 47).

In diesem zweiten Abschnitt der tschetschenischen Geschichte handelt es sich vor allem um die Ausbreitung über das von ihnen heute eingenommene Gebiet. Hierbei lassen sich drei Phasen unterscheiden.

Als Ausgangspunkt melden die Überlieferungen mit großer Übereinstimmung den Ort (vielleicht ist es auch als Gauname aufzufassen) Naschach oder Naschache, also denselben Boden bezeichnet wird. Ein Dorf Naschache existiert heute noch und zwar im östlichen Teile des Gaues Galantschotsch oder Akki. Außerdem ist das Wort noch erhalten im Namen des Kalkgebirgsmassivs Naschacho-lam, der den Gau nach N gegen das niedere Waldgebirge abschließt. Zu den ältesten Siedlungen gehört auch Maisti. Beide Orte erfreuten sich noch lange großen Ansehens unter den Tschetschenen; besonders in strittigen Fragen des Adats, des Gewohnheitsrechtes, sollen die weisen Alten dieser Orte als letzte Instanz gegolten haben. Als älteste Gaue werden ferner genannt Childecheroi, Tschanti (Gegend von Itum-Kale). Recht früh scheinen auch die Gebiete von Scharoi, Schatoi und Tschaberloi eingenommen worden zu sein.

In größerem Abstande scheint dann erst die zweite Phase der Ausbreitung eingesetzt zu haben, die nach dem niedrigen Waldgebirge gerichtet war, vor allem ostwärts nach Itschkerien und Auch. Die Gründung der Dörfer in Itschkerien, als deren älteste Ersenoi, Agaschpatoi, Zontoroi genannt werden, soll nach den Ermittlungen Popows vor 600, 800 oder gar 1000 Jahren erfolgt sein, Zeitangaben, die naturgemäß höcht unsicher sind. Es würde das ungefähr mit der Blütezeit des georgischen Reiches unter der Königin Tamara (im 12. Jahrhundert) zusammenfallen. Vielleicht ist die Machtentfaltung der Georgier nach allen Seiten mit ein Anlaß gewesen zur Wanderung der Tschetschenen nach O. Daß der georgische Eibfluß sich damals auch auf den Nordhang des Kaukasus erstreckte, ist durch die Kirchenruine Tzchaba-Erdi unweit der tschetschenischen Grenze in Inguschen erwiesen, die im georgischen Stil des. 9. Jahrhunderts gehalten ist (Genaue Beschreibung bei Vsevolod Miller, Lit. Verz. 29), u. a. auch noch durch eine Inschrift in georgischen Buchstaben an einem alten Totenhause in einem Seitentale der Assa in Inguschien, die von Prof. Jakowlew gefunden wurde. (Lit. Verz. 19, S. 20). Der Gau Auch ist dabei ausschließlich von Leuten aus Akki (Galantschotsch) besiedelt worden; die Auch-Leute nennen sich selbst auch heute noch Akki.

Nach der Überlieferung sollen auch die Inguschen und die Karabulaken vom Zentrum Naschache aus in ihre heutigen Sitze gelangt sein.

Damit war die Besiedlung des tschetschenischen Berggebietes vollendet. Erst in weitem Abstande folgte die dritte und letzte Phase der Ausbreitung, nämlich die Besiedelung der Ebene. Sie begann etwa um den Anfang des 18. Jahrhunderts. Zur freiwilligen Besiedlung trat nach Beendigung der kaukasischen Kriege noch die unruhigen Tschetschenen hier besser beobachten konnte, als es in den Bergen möglich war. Auch heute dauert die Auswanderung nach der Ebene noch an, auch jetzt veranlaßt und gefördert durch die Regierung. Es handelt sich um die reichen Ländereien, die den sowjetfeindlichen Kosakenstanizen längs der Ssunscha gehört hatten und nach deren Vernichtung den Gebirglern zur Verfpgung gestellt wurden. Man will damit dem empfindlichen Mangel an brauchbarem Ackerland in den höheren Bergen steuern. Ebenso verfährt man jetzt in den anderen autonomen Republilken, besonders in der daghestanischen.

Die Ausbreitung der Tschetschenen hat die Ssunscha-Ebene schon hinter sich gelassen. Eine Reihe von Aulen befindet sich schon jenseits der niedrigen Höhenzüge längs des Terek. Ebenso gibt es einige auf daghestanischem Gebiet in der Kumüken-Ebene, deren Bewohner sich 1917/18 durch Vernichtung der dortigen blühenden deutschen Kolonistendörfer einen traurigen Ruhm erworben haben.

Nun darf natürlich nicht angenommen werden, daß die Ausbreitung der Tschetschenen zu dem heutigen Volkskörper ganz aus einiger Kraft erfolgt wäre, sondern es steht fest, daß sie dabei im Laufe der Zeit viele fremde Bestandteile in sich aufgenommen haben. Es wird dies wiederum durch die Familienüberlieferungen bestätigt. Sehr stark sind dabei georgische Volkselemente beteiligt gewesen, d. h. solche der Berggeorgier und unter diesen werden besonders die Tuschen erwähnt. Deren Einfluß ist stark spürbar im Scharo-Argun-Gebiet, aber auch weiter abwärts, z. B. im Gebiet von Schatoi. Mir war dort ein Mann durch seine ausgeprägt georgische Physiognomie aufgefallen. Es erwies sich auch, daß seine Familie tatsächlich georgischen Ursprungs, aber längst tschetschenisiert war. Andere Familien wieder sind daghestanischen Ursprungs, auch kumükischen, persischen u. a. Eine Familie will sogar firengischer, d. h. westeuropäischer, eine andere wieder griechischer Abstammung sein.

Als Grund für das häufige Einströmen fremder Elemente in den tschetschenischen Volksköper wird gewöhnlich angegeben, daß dieselben bei den Tschetschenen, die stets ein demokratisches Volk ohne ständische Gliederung gewesen seien – sie unterscheiden sich noch heute, d. h. bis zur Revolution, darin von den anderen kaukasischen Bergvölkern —, vor der Bedrückung durch eigene oder fremde Gewalthaber Zuflucht gesucht hätten. Es werden vermutlich auch solche darunter gewesen sein, die sich der Strafe für irgend welche Vergehen entziehen wollten.

Man wird vor allem auch annehmen müssen, daß die Tschetschenen bei ihrem Vordringen nach O in ein z. T. wenigstens schon besiedeltes Gebiet kamen. Vielleicht wohnten schon daghestanische Stämme dort. Laudajew erwähnt jedenfalls ausdrücklich (S. 11 u. 12), daß das Land awarischen Chanen gehört hätte, von deren Zinsherrschaft die Tschetschenen sich erst im Laufe der Zeit freigemacht hätten, zumal die Aucher. Auch heute noch wohnt der awarische Stamm der Salauter am Nordlang der Andischen Kette; jedoch nur in einem etwa 30 km breiten Streifen westlich des Ssulak; westlich des Aktasch wohnen nur Tschetschenen.

Die Volkszahl der Tschetschenen dürfte also früher viel geringer gewesen sein als heute, und damit auch ihre politische Bedeutung.

In der Ssunscha-Ebene wohnten vor den Tschetschenen auch schon Russen. Semenow schreibt ausdrücklich S. 206: «Aus vielen Anzeichen geht zweifelsfrei hervor, daß seit der Mitte des 16. Jahrhunderts auf tschetschenischem Gebiete auch orthodoxe Russen siedelten». Als dieselben, wohl aus Sicherheitsgründen, sich hinter den Terek zurückzogen, folgten die Tschetschenen nach. Eine Vermischung mit ihnen erfolgte jedenfalls nicht.

Beim Vordringen in die Ebene hatten die Tschetschenen Reibereien mit den Kalmüken, teilweise auch – im W – mit den Kabardinern. Von einer Verschmelzung mit jenen istnichts verlautet. Rein mongolische Merkmale habe ich z. B. unter den Tschetschenen nicht beobachtet.

Die Kurgane schreiben sie einem Volke Ani zu, das einst in der Ebene gewohnt haben soll. Der Name des Feldes Ani-irsau südwestlich Urus-Martan erinnert daran. (G. A. Wertepow, Lit. Verz. 41, S. 11—21).

Während bischer nur die Rede von der Aufnahme fremder Volksbestandteiledurch die Tschetschenen war, so sei hier auch ein Fall erwähnt, in dem sie ihrerseits in Nachbarvölkern aufgegangen sind. So wurde mir die interessante Tatsache erzählt, daß ein beträchtlicher Teil der Bewohner der Stanize Tscherwljonaja am Terek von Tschetschenen des Itschkerischen Dorfes Guni abstamme, die jetzt aber vollkommen russifiziert und echte Kosaken geworden wären. Diese Tatsache beweist aufs neue, wie nachhaltig der Einfluß der Kaukasusvölker auf die Kosaken gewesen ist, nicht nur in Lebensweise, Kleidung und allgemeiner Geistesrichtung, sondern auch durch Blutmischung. Die erwähnten Tschetschenen sollen einst zu den Kosaken geflüchtet sein, um der Bekehrung zum Islam zu entgehen.

Hierzu sei noch bemerkt, daß die Einteilung der Ausbreitungsgeschichte der Tschetschennen in drei Perioden von mir stammt. In den erwähnten Veröffentlichungen ist sie aber ohne weiteres gegeben und auch in Anbetracht der vorhandenen Zeitangaben erscheint sie mir berechtigt und vor allem geeignet, einen besseren Überblick über die Entwicklung zu bieten.

Entscheidend für die Geschicke des tschetschenischen Volkes wird dann die Bekehrung zum Islam, die im 18. Jahrhundert vom Daghestan aus begann, wo er schon im 8. Jahrhundert durch die Araber hingebracht worden war, wenn auch die völlige Islamisierung, besonders des Nordwestens, sicher erst viel später abgeschlossen war. Die Tschetschenen gerieten dadurch auch unter den Einfluß des Müridismus, im besonderen Schamils, der ihre völlige Bekehrung dann durchführte. Teils freiwillig, teils gezwungen durch die Despotie Schamils, nahmen sie an den erbitterten Kämpfen gegen die Russen teil, die um die Mitte des vorigen Jahrhunderts mit ihrer Unterwerfung endeten. Eine starke mohammedanische Bewegung ging noch einmal nach dem Zusammenbruch des Zarenreiches durch das Land, als, wie schon erwähnt, der Tschetschene Dischninski das Nordkaukasische Emirat gründete, in dem ich selbst tätig war. Emir war ein Aware Usun-Hadschi, ein wie ein Heiliger verehrter Greis; Dischninski nannte sich pompös Großwesir. Man wollte die Zeit des in den Bergen unvergessen Schamil wieder erneuern und kämpfte gegen die Kosaken. Die Sowjets beseitigten dieses Emirat bald wieder, ermordeten den ihnen infolge seiner Begabung unbequemen Dischninski und errichteten 1923 das Autonome Gebiet der Tschetschenen.

 

D) Anthropologische Beobachtungen. Das tschetschenische Volk ist rassisch genau so wenig einheitlich wie irgend ein anderes. Ebenso aber wie bei den meisten Völkern ein bestimmter Typ herausgebildet wird, der als die charakteristische körperliche Erscheinungsform empfunden wird, so auch bei den Tschetschenen. Und zwar zählt dieser unstreitig zur vorderasiatischen Rasse. Die Tschetschenen machen darin keine Ausnahme von den übrigen kaukasischen Völkern, deren anthropologischer Grundstock ebenfalls von dieser Rasse gebildet wird. Deren Merkmale sind bekannt. Es handelt sich also um mittel- bis großwüchsige kräftige Menschen mit kurzem, steilem Kopf, starker Adlernase und gewöhnlich dunklem Haar und Augen.

Man muß jedoch auch innerhalb der vorderasiatischen Rasse, die ja über ein riesiges Gebiet verbreitet ist, genau so mit verschiedenen Schlägen rechnen, wie man es innerhalb der hellen nordwesteuropäischen Rasse z. B. schon getan hat. Innerhalb der mir näher bekannten Völker mit vorderasiatischer Rassengrundlage – den Nordarmeniern, Ostgeorgiern mit Pschawen und Chewsuren, aserbeidschaner Tataren, einer Reihe daghestanischer Völker, Inguschen und in geringerem Maße Kumüken und Osseten – habe ich jedenfalls sehr deutlich unterschiedene Schläge dieser Rassen geglaubt feststellen zu können.

Um den tschetschenischen Vorderasiaten zu kennzeichnen, möchte ich mich zunächst negativ ausdrücken. Sein Profil hat nicht die übertriebene vorderasiatische Form, wie sie etwa bei den Armeniern so häufig beobachtet werden kann. Ein derartiges Profil, etwa wie das des von v. Luschan aufgenommenen Armeniers, um ein bekanntes, in viele rassenkundliche Bücher übergegangenes Bild zum Vergleich heranzuziehen, kommt bei den Tschetschenen überhaupt nicht vor. Freilich ist es auch nach meinen Beobachtungen unter den Armeniern durchaus eine Seltenheit. Der von mir aufgenommene Tschetschene, Abb. 5 und 6 rechts, dürfte innerhalb seines Volkes wohl das Extrem an vorderasiatischer Gesichtsbildung darstellen. Den tschetschenischen Normaltypus zeigt etwa Abb. 7. Es ist also ein durchaus gemildertes vorderasiatisches Profil mit zwar großer, doch mäßig geschwungener und nicht fleischiger Nase und mit leidlich gebildetem Kinn, letzteres besonders im Gegensatz zu Abb. 5, auf der, wie allgemein bei ausgesprochen vorderasiatischen Profilen, das Kinn weiter zurücktritt und flacher ausgebildet ist, als es unserem Schönheitssinne entspricht. Das Profil Abb. 7 wirkt nicht auffällig, sondern ausgeglichen und gefällt durch seinen Schwung und kühnen großen Schnitt. Auch der rechts sitzende Mann auf Abb. 8 ist ein guter Vertreter hierfür. Sein Gesicht wird man ohne Einschränkung als männlich schön bezeichnen können. Die Gesichter sind durchaus häufig, die an das Raubvogelhafte des vorderasiatischen Typs kaum noch erinnern, sondern eine fast gerade und schmale Nase haben und bei denen nur der kurze, steile Schädel des vorderasiatische Erbe andeutet. Diese ebenmäßigen Gesichter sind es, die den alten Ruhm kaukasischer Schönheit begründet und seiner Zeit wohl auch Blumenbach u. a. veranlaßt haben, seinen Begriff der kaukasischen Rasse aufzustellen. Man hat früher, besonders zur Zeit der kaukasischen Kriege, als Bodenstedt im Kaukasus weilte, die Kaukasusvölker zu sehr idealisiert, insbesondere ihre körperliche Schönheit vielleicht über Gebühr gerühmt. Später ist man in den umgekehrten Fehler einer allzu nüchterne Betrachtungsweise verfallen. Irreführend wirken hierbei oft Veröffentlichungen anthropologischer Aufnahmen, bei danen naturgemäß gern extreme Typen ausgewählt werden. Das gilt z. B. von dem in Günthers Rassenkunde veröffentlichen Bilde eines Imeretiners aus Kutais, das wohl einen der häßlichsten Männer darstellt, die in dieser Stadt zu finden waren. Demgegenüber muß wieder einmal betont werden, daß die Kaukasusvölker und unter ihnen besonders die Nordkaukasier an körperlicher Schönheit ihre Nachbarvölker auf jeden Fall übertreffen. Man braucht sich nur einmal von Rostow her dem Kaukasus zu nähern und man wird beobachten können, wie sich auf den Stationen die reinen Kaukasiergesichter mit ihren großen und geraden Zügen aus der Masse der unklareren russischen Physiognomien herausheben.

Was den Körperbau anbelangt, so fand ich bei Armeniern, Ostgeorgien, Chewsuren und Daghestanern in der Hauptsache mittelgroße, kräftige Gestalten, oft weniger schlank als untersetzt, auf keinen Fall großwüchsig; stellenweise ist der Menschenschlang ausgesprochen klein, wie in manchen Gebieten Daghestans, z. B. Kasikumuch, Gumbet. Ihnen gegenüber fallen die Tschetschenen entschieden durch höheren Wuchs auf. Man braucht nur einmal vom letzten Chewsurendorf Schatil nach dem Kistendorf Dscharego zu wandern und man staunt geradezu über den plötzlichen anthropologischen Wechsel: bei den Chewsuren robuste, breite Gestalten, bei den Kisten hochgewachsene, schlanke, ja elegante Erscheinungen. Diese Beobachtung wird mir bestätigt durch die Berichte Radde’s. (Lit. Verz. 36).

Denselben Unterschied konstatierte ich zwischen Itschkerien einerseits und Andiern und Awaren, besonders Gumbetern, andererseits.

Die Schlankheit wirkt manchmal direkt übertrieben, so daß man von gertenschlank sprechen kann. In anderen Gegenden würden derartige Gestalten vielleicht als schwächlich bezeichnet werden; mit Unrecht, denn die Schultern sind gewöhnlich breit, schmal sind nur die Hüften. Der Körper erhält dadurch einen ungemein biegsamen, elastischen, manchmal etwas lässigen Zug. Sehr unterstrichen wird diese Linie noch durch die in der Ebene ziemlich allgemein getragene Tscherkesska. (Abb. 9). In den Bergen wird es weniger erkennbar, weil dort gewöhnlich der schwere Schafpelz die Glieder verhüllt, ausgenommen Mälchisti, so wieder die Tscherkesska vorherrscht.

Fettleibigkeit, die ich bei Armeniern und Ostgeorgiern sowohl bei Männern als auch bei Frauen oft beobachtete, besonders in vorgerückteren Lebensjahren, fehlt so gut wie ganz; Straffheit und Magerkeit herrschen vor.

Großgewachsen erscheinen die Tschetschenen vielleicht nur ihren Nachbarvölkern gegenüber; das Durchschnittsmaß erreicht kaum das des Norddeutschen. Größen über 1,85 m habe ich mit Sicherheit nur zweimal beobachten können. Der eine war ein Kiste aus Mälchisti, der andere, der größte Tschetschene überhaupt, war der schon erwähnte Großwesir des einstigen Emirats, Dischninski. Dieser Umstand trug übrigens nicht wenig dazu bei, sein Ansehen unter den einfachen Gebirglern zu festigen. Er war auch gleichzeitig eine durchaus aristokratische Erscheinung, die alle Vorzüge der Rasse in sich vereinigte, freilich auch die Fehler.

Im vorstehenden wurde die Rassengrundlage des tschetschenischen Volkes als vorderasiatisch bezeichnet, man könnte sie aber auch mit demselben Recht dinarisch nennen. Dinarische Menschen habe ich auf Wanderungen in Kärnten und Steiermark und unter serbischen Kriegsgefangenen in größerer Zahl beobachten können und wenn ich sie vergleiche mit dem vorherrschenden Menschenschlag bei den Tschetschenen, so finde ich keinen wesentlichen Unterschied, der dazu berechtigen würde, im Gegensatz zu ersteren hier von einer besonderen vorderasiatischen Rasse zu sprechen. Für Armenier und manche Daghestaner mag dies berechtigt sein, doch auch nur in dem Sinne, daß die kennzeichnenden Merkmale der dinarischen Rasse hier noch übertriebener ausgefallen sind; der Kopf wird leicht zum ausgesprochen Spitzkopf, die Nase unschön groß; der Wuchs stellenweise etwas kleiner. Bei den Tschetschenen ist das eben im all gemein nicht der Fall, ebenso wenig bei Inguschen und Osseten und auch nicht, nach der landläufigen Vorstellung, bei den Tscherkessen. In diesem einschränkenden Sinne spreche ich also bei den Tschetschenen von vorderasiatischer Rasse.

Die Sonderstellung des vorderasiatischen Tschetschenen wird noch erwiesen durch die Farben von Haar, Auge und Haut. Menschen mit rein schwarzen Haaren, ganz dunklen Augen, die bei Armeniern und auch stellenweise bei Georgiern vorherrschen, sind unter den Tschetschenen nicht allzu häufig, sofern sie beide Merkmale in sich vereinigen. Man kann nur von einem Typ sprechen, der im Gesamteindruck dunkel erscheint. Am ehesten ist noch das Kopfhaar dunkel, auch schwarz, die Augen dagegen braun oder von einer Farbe, die sich schlecht genau bestimmen läßt. Man kann sie vielleicht als ein helles Braun, das einen Stich ins grünliche auffällt, das ist die starke Verbreitung von Blonden und Helläugigen, hauptsächlich der letzteren. Welcher Helligkeitsgrad nun gerade vorherrscht, läßt sich mit Sicherheit nicht sagen; man sieht sowohl graue und graugrünliche Augen als auch rein blaue, himmelblaue Augen, wie sie in Norddeutschland nicht reiner sein können.

Etwas seltener als helle Augen trifft man helles Kopfhaar an. Es liegen hier aber sehr starke Nachdunkelungserscheinungen vor. Bei Kindern sieht man es nämlich wesentlich häufiger als bei Erwachsenen und von dunkelhaarigen Erwachsenen versicherten mir verschiedene, in der Jugend blond gewesen zu sein. Aufgefallen ist mir bei Männern allgemein das frühe Ergrauern; bei Dreißigjährigen war es in der Regel schon deutlich zu erkennen. Sicher ist dafür auch das ständige Tragen der schweren Lammfellmütze verantwortlich zu machen. Auch kahlköpfige Männer sieht man nicht gar so selten. Schädelstudien werden durch diese Sitte natürlich sehr erschwert und man muß schon bei den Leuten übernachten, um bloße Köpfe sehen zu können; im Freien sieht man barhäuptige Menschen, ganz gleich ob Mann, Frau oder Kind, niemals.

Der Farbwert des Blond entspricht vielleicht weniger dem fahlen Blond der Ostrasse als vielmehr dem der Nordrasse und hat Neigung zum Goldblond, wenn ich es auch in reiner Ausprägung nicht beobachtet habe. Auch ausgesprochen rothaarige Individuen habe ich mehrfach gesehen; ihre Augenfarbe war ein ganz helles Braun.

Häufiger als blondes Kopfhaar sind blonde Bärte zu sehen, wobei mir ein braunroter Ton aufgefallen ist, auch bei Männern mit dunklem Haar und braunen Augen. Der Bartwuchs ist schön voll und grade, und es wird auch eine gewisse Sorgfalt darauf verwandt. Auch wallende Barbarossa-Bärte kann man antreffen, wobei zu bemerken ist, daß die Verwendung von Hennah nicht üblich ist. Die Mehrzahl der Männer gestattet sich übrigens nur einen Schnurrbart.

Die Haut des blonden Tschetschenen ist zart und fein, wundervoll der Teint zuweilen bei jungen Mädchen. Bei Männern ist das Gesicht von Wind und Wetter gerötet, nicht gebräunt, ein Umstand, der besonders für die nordische Rasse kennzeichnend ist. Der Leib aber hat weiße Hautfarbe im besten Sinne. Ich konnte das einmal in Mälchisti beobachten. Eine Anzahl von Kisten war damit beschäftigt, Holz den Argun hinunter zu flößen, d. h. lose Stämme, die sie, selbst im Wasser stehend, mit langen Stangen in den nervigen Fäusten zwischen den gischtumsprüchten Felsblöken hindurchbugsierten. Obwohl sie völlig unbekleidet waren, genierten Kolonne. Die waldigen Hänge, der rauschende Bergstrom und die unverhüllten Reckengestalten der Flößer boten damals eine Szenerie von seltener Romantik, die mir ständig in Erinnerung geblieben ist, grade weil ihr ein ausgesprochen nordischer Zug nicht fehlte. Dergleichen günstige Gelegenheiten haben sich mir im übrigen mohammedanischen Kaukasus nicht wieder geboten; eine starke Prüderie hindert hier die Männer, sich unbekleidet zu zeigen. Umgekehrt ist ihnen auch der Anblick des wenn auch nur teilweise entblößten Körpers eines anderen unangenehm; ich mußte das mehrfach konstatieren, als ich im Winter 1919/20 einen Monat lang schwer krank in einem Hause in Botlich (Andisches Daghestan) lag; ich konnte damals keinen der Männer dazu bewegen, mir irgendwie behilflich zu sein und sowie ich Anstalten machte, mich einmal zu erheben, verließ alles trotz meines Gegenredens fluchtartig das Gemach. Ich glaube nicht, daß das auf irgendwelchen Aberglauben, etwa Furcht vor Ansteckung, zurückzuführen war.

 

Die freieren Auffassungen der Tschetschenen spiegeln sich auch in der freieren Stellung der Frau wieder, die unverschleiert geht und offen mit den Männern sprechen darf, was man im inneren Daghestan kaum jemals beobachten kann.

Um den Gesamteindruck des blonden Tschetschenen verständlicher darzustellen, möchte ich ihn vergleichen mit blonden Nordeuropäern. S. Paudler hat in seinem Werk über die hellfarbigen Rassen scharf unterschieden zwischen der dalischen Cro-Magnon-Rasse und der gewöhnlichen langköpfigen, blonden Nordrasse. Von beiden kommt für einen Vergleich nur die letztere in Frage. Die blonden Kaukasier ähneln ihr in der größeren Weichheit und Glattheit der Linien, den volleren Lippen und im runderen Schnitt der Augenöffnung. Die herben, harten Holzschnittgesichter, wie man sie etwa bei Westfalen häufig sieht, fehlen nach meinen Beobachtungen, ganz zu schweigen von den bei Paudler veröffentlichen extrem-dalischen Typen aus Skandinavien. Sie kommen auch meines Wissens bei anderen Kaukasusvölkern kaum vor.

Ein Vergleich mit den hellen nordwesteuropäischen Langkopfrassen kann aber nur bezüglich der Farben und der Form des Gesichtes durchgeführt werden. Im Schädelbau unterscheiden sich die blonden Tschetschenen nämlich nicht von ihren dunkleren Stammesgenossen. Hier wie dort derselbe kurze steile Schädel, auch dieselbe Adlernase. Der Mann in der Mitte von Abb. 8 vereinigte alle Farbenmerkmale des hellen Schlages in sehr reiner Form in sich, war über 1,80 m groß, hatte aber dabei einen selbst für tschetschenische Verhältnisse kurzen und hohen Kopf. Längere Schädel mit geringer Hinterhauptswölbung kommen vor, sind aber genau so auch bei dunkelhaarigen und —äugigen zu finden. Sie erreichen jedoch nie das Ausmaß des normalen nordischen Langschädels. Nichtsdestoweniger machen hochgewachsene blonde Tschetschenen mit ihren langen, schmalen Gesichtern und in ihrem ganzen Auftreten tatsächlich durchaus den Eindruck von blonden Nordländern.

In Maisti und Mälchisti lassen sich Schädelbeobachtungen sehr leicht anstellen, da man in dortigen Totenhäusern Schädel in großer finden kann. Ich fand auch dort keine Langschädel; freilich habe ich keine Messungen vorgenommen, sondern nur nach dem Augenmaß geschätzt.

Dieser schlank gewachsene, kurzköpfige und großnasige Menschenschlag, der also sowohl in dunkler wie auch in heller Komplexion auftritt, überwiegt unter den Tschetschenen so stark, daß die noch vorhandenen anderen Rassenbestandteile das Gesamtbild nicht wesentlich abändern können. Der wichtigste von diesen ist ein Typ, der dem alpinen gleichkommt. Es handelt sich also um meist dunkle, kurzgewachsene Menschen mit plumpem Körper- und Schädelbau. Abb. 5 u. 6 zeigt einen Vertreter dieser Rasse, der aber verhältnismäßig regelmäßige Gesichtszüge, insbesondere eine ziemlich feine Nase aufweist, während die Gesichter im allgemeinen eher unschön wirken. Soweit meine Beobachtungen reichen, scheint dem alpinen Tschetschenen das Rundliche, Volle zu fehlen, das den Alpinen Mittel- und Westeuropas gewöhnlich kennzeichnet. Der Körper ist eher straff und kantig, was vielleicht durch die Lebensweise mit bedingt ist. Ich kann nicht sagen, daß ich zwischen diesem und dem hochgewachsenen Typus in bedeutender Menge Mischtypen angetroffen hätte. Beide existieren vielmehr unvermittelt nebeneinander. Ich entsinne mich nicht, einen großgewachsenen Tschetschenen getroffen zu haben, der einen massigen Kopf mit kurzer Nase und flachem Profil gehabt hätte oder umgekehrt einen kurz und untersetzt gebauten, mit vorderasiatischer Schädel- und Gesichtsbildung. Die beiden Männer von Abb. 5 u. 6 sind im Sitzen aufgenommen und erscheinen daher groß. In Wirklichkeit war der Vorderasiat rechts gut einen Kopf größer als der Alpine links.

Unbedeutend erscheint mir der Anteil der das russische Volk hauptsächlich aufbauenden Ostrasse. Von ausgesprochen mongolischen Rassenmerkmalen, die ja bei der früheren Nachbarschaft der Kalmüken und der jetzigen der Nogaier immerhin möglich wären, habe ich ebenfalls nichts beobachten können. Sie finden sich weit eher im nördlichen Awarien, doch auch nur in Form von besonders stark hervortretenden Backenknochen; Mongolenaugen sind mir nicht begegnet.

Was nun die Frage der geographischen Verbreitung der einzelnen Typen anbelangt, so kann ich mit einiger Sicherheit nur Angaben über die Verbreitung der Blonden machen und da läßt sich wohl sagen, daß in dieser Beziehung in den einzelnen Gauen doch große Verschiedenheiten obwalten.

Ganz bestimmt ist im westlichen Teil des Tschetschenengebietes der Prozentsatz der Blonden größer als im östlichen. Im W gibt es Gegenden, in denen die Bevölkerung als überwiegend hell bezeichnet werden muß. Bezüglich der Farbe der Augen steht diese Behauptung außer allem Zweifel; aber auch der Anteil von Individuen mit hellem Haar, Haut und Augen wird dort nahezu 50% ausmachen.

In erster Linie sind dies die Gebiete längs des Tschanti-Argun von Mälchisti bis Schatoi. Besonders in diesen beiden Endgebieten war ich überrascht durch die große Zahl von im Gesamteindruck nordischen Erscheinungen, zumal die Blondheit hier noch vereinigt war mit ausnahmsweise gutem Wuchs. In Maisti, dem Nachbargau von Mälchisti, habe ich das weniger empfunden11). Durch Reinheit der Gesichtszüge fiel mir noch die Bevölkerung der Tallandschaft Chotscharoi auf. Von den Schatoier Mädchen wurde es bereits erwähnt, Ferner ist das Oberlaufgebiet des Scharo-Argun zu nennen, wenn auch vielleicht nicht mehr in dem Maße wie das Gebiet von Schatoi. Von Tschaberloi habe ich nur die östlichen und die östlichen und die westlichsten Dörfer kennen gelernt, Tschobach-kineroi und Choi, wo mir das blonde Element nicht besonders stark vertreten zu sein schien; aber grade Tschaberloi wurde mir von einigen Tschetschenen als Gebiet mit vorwiegend blonder Bevölkerung bezeichnet. Überhaupt waren manche weit herumkommende Tschetschenen über die anthropologischen Verschiedenheiten der einzelnen Gaue recht gut orientiert, so z. B. über den guten Wuchs der Leute im entlegenen Mälchisti. Meine Beobachtungen über die Verteilung der Blonden wurde mir von ihnen durchaus bestägt. Auf meine diesbezüglichen Fragen wurde mir ohne großes Besinnen erklärt, daß in dem einen Gebiet mehr Blonde, in dem anderen mehr Schwarze wohnten.

Das Verschwinden des blonden Elements nach O hin empfand ich besonders deutlich im südlichen Auch, und mit Überschreiten der andischen Wasserscheide auf daghestanisches Gebiet hinüber herrschte das dunkle Element schon durchaus vor, sowohl in Gumbet, wie auch in Andi. Hand in Hand ging damit eine Zunahme der groben und unschönen Gesichter. Ihr Ausdruck war im Dorfe Benoi wenig vertrauenerweckend. Bei den übrigen Tschetschenen und besonders bei den Gumbetern, die bei ihnen Kukuruz einhandeln, stehen die Leute von Benoi auch in recht schlechtem Rufe.

Die Tatsache, daß das blonde Element im W überwiegt, gewinnt an Interesse, wenn man einen Rückblick auf die Geschichte der Besiedlung wirft. Es zeigt sich dann, daß die Gebiete, in denen die Tschetschenen der Überlieferung nach zuerst ansässig waren, mehr Blonde aufweisen als die später besiedelten im O. Ich möchte mich nicht in Vermutungen darüber ergehen, wie sich das erklärt; nahe liegt es jedenfalls, die Urasche darin zu suchen, daß die östlichen Gaue erst später kolonisiert wurden, wobei, wie schon ausgeführt, mit Aufsaugung anderer Bevölkerungsteile vermutlich zu rechnen ist.

11Unter Kindern bemerkte ich dort einige auffallend jüdische Gesichter, Abb. 10.
Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?