Welt der Schwerter

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Der Tempel verfügte sicher über ein ähnlich enges Netz von Zuträgern wie das Königshaus. Nicht zuletzt darum war das Verhältnis zum Tempel ein ständiger Streitpunkt zwischen dem König und Siluren. Wenn Siluren den Thron bestieg, würde die bessere Zusammenarbeit mit dem Tempel nicht nur auf den No’Ridahl zurückzuführen sein. Siluren würden weder falscher Stolz noch Machtgier daran hindern, alle Wissensquellen zu Galathräas Wohl zu nutzen.

Aber Cor war nicht als Unterhändler hier, seine Aufgabe bestand nicht darin, die Politik des Königshauses zu verteidigen. »Die Könige von Oneräa«, sagte er, »haben schon mehrfach versucht, Galathräa zu überwältigen, das letzte Mal vor drei Jahren. Es ist ihnen nicht gelungen.«

»Seit zwei Jahren nun sitzt Krolan der Fahle auf dem Thron, ein Anhänger der Geister, wie man munkelt. Er hatte genug Zeit, neue Waffen zu schmieden und neue Männer auszuheben. Für Galathräa ist dies eine Zeit großer Unsicherheit. Er wäre klug, die Gelegenheit zu nutzen, und genau das scheint er im Sinn zu haben.«

»Diese Zeit ist auch nicht unsicherer als andere.«

Die Priorin musterte ihn scharf. »Haltet mich nicht für dumm, Graf Thul. Ich weiß sehr wohl, dass der König nicht nach der Akh’Eldash geschickt hätte, wenn er sich bester Gesundheit erfreute. Ich bin sicher, König Krolan von Oneräa kann die Zeichen ebenso deuten.«

»Mein Vater ist ein besonnener, vorausschauender Mann«, sagte Cor und fragte sich dabei, warum ihn diese Worte nicht würgen ließen. »Sollte Krolan die Grenze tatsächlich überschreiten, wird er feststellen, dass der König weder krank noch schwach ist. Sorgt Euch nicht, das Reich ist bestens gerüstet.«

Das Lächeln der Priorin machte deutlich, dass sie diese Worte mit gesunder Skepsis aufnahm. Offenbar war sie eine kluge Frau. Siluren würde in ihr eine wertvolle Verbündete finden. »Dennoch stelle ich dem Königshaus unser Wissen zur Verfügung. Zieht Eure eigenen Schlüsse daraus.« Sie schob ihm die Blätter zu. »Soll ich eine Vorleserin in Eure Räume schicken?«

»Danke, ich bin des Lesens mächtig.« Er griff nach den Papieren und fing einen erstaunten Blick der Priorin auf.

Wieder einmal setzte man ihn mit seinem Vater gleich. Der König hatte sich nie die Mühe gemacht, Feder und Tinte zu meistern. Er hatte zu diesem Zwecke ausreichend Schreiber zur Verfügung und würde sich damit ebenso wenig die Hände beschmutzen wie mit dem Leeren seines Nachttopfs.

Seines Vaters Abneigung gegen diese Kunst hatte sich noch verstärkt, als Siluren sie sich angeeignet hatte, und darum hatte Cor es heimlich lernen müssen. Siluren war sein geduldiger Lehrer gewesen. In aller Verschwiegenheit hatten die Jungen dies betrieben, hatten Griffel und Wachstafel im Stall verborgen gehalten, um Vaters Missfallen zu vermeiden. Der König wusste bis heute nicht, dass Cor einen Brief ebenso sicher lesen konnte wie die Fährte eines Karindenbocks.

Er nahm die Blätter an sich. »Ich werde die Briefe heute Abend lesen und Euch morgen wieder zukommen lassen.«

»Das ist nicht nötig, Graf Thul. Das sind Kopien für Euch.«

»Sehr aufmerksam, danke.« Vermutlich waren die Schreiben um Passagen gekürzt, von denen das Königshaus in den Augen der Priorin keine Kenntnis zu haben brauchte. Er erhob sich und die Priorin entließ ihn mit einem Nicken.

Die scheue Dienerin hatte vor der Tür gewartet und brachte ihn nun zu den Gästequartieren, die sich im östlichen Flügel des Gebäudes befanden. Auch hier waren die Zimmer von einem offenen Gang aus erreichbar, der zu einer freundlicheren Jahreszeit wohl die Wärme der Sonne einfing. Auf diesem umlaufenden Söller stand Helim, der Kutscher, und ließ Rauchwolken aus seiner Pfeife steigen. Sie füllten die Luft mit würzigem Duft.

Cor blieb neben ihm stehen und betrachtete die Landschaft, die der Abend in ein verwaschenes Blau tauchte.

»Schlechte Nachrichten?«, frage Helim.

»Unruhe an der Ostgrenze. Nichts, was uns Sorgen machen müsste.« Noch konnte der Winter jederzeit zurückkehren. Krolan würde nicht so unvernünftig sein, seine Truppen jetzt auszusenden.

Helim nahm die Pfeife aus dem Mund und hob die Nase in den Wind. »Es riecht nicht mehr nach Schnee«, sagte er.

Er mochte recht haben. Es war wärmer geworden. Die Mittagssonne hatte bereits Kraft, und selbst hier, in den Bergen, taute es schon an den sonnigen Plätzen.

»Sie haben uns Abendbrot gebracht«, fuhr Helim fort. »Gut und reichlich, aber Dendar war dennoch enttäuscht.«

Coridan lächelte. »Sie werden uns nicht mit den Stiftsdamen speisen lassen.«

»Nicht einmal Euch?«

»Die meisten von ihnen sind bereits lange versprochen, Helim, und ich bin keine gute Partie.« Das war nicht völlig richtig. Es hatte durchaus die eine oder andere Anfrage gegeben, niederer Adel, der gehofft hatte, durch eine Ehe mit dem königlichen Bastard die Gunst oder zumindest die Aufmerksamkeit des Königs zu erringen. Doch unter den Angeboten war keines gewesen, das Ruothgar ernsthaft in Betracht gezogen hätte, und Coridan hatte es nicht eilig mit dem Heiraten.

»Ihr seid immerhin ein Graf.«

Coridan lachte auf. »Herr einer kalten Burg zwischen kahlen Felsen. Mein Vater hat mir die Thulmark geschenkt, weil niemand sie haben wollte.«

Helim schob sich das Mundstück der Pfeife wieder zwischen die Lippen. »Es kann dort sehr schön sein«, sagte er. »Wenn die Hochweiden in der Sonne liegen und der Schnee auf den Gipfeln leuchtet.«

Coridan drehte sich zu ihm und betrachtete den alten Mann. »Du stammst aus der Thulmark?«

»Ich bin dort geboren und aufgewachsen.«

Das hatte er nicht gewusst. »Ein karges Land, heißt es, das harte Menschen hervorbringt.«

»So sagt man.« Der Kutscher nickte bedächtig. »Seid Ihr schon dort gewesen?«

»Einmal.« Cor wandte sich wieder der Landschaft zu. Nach und nach verbarg die Dunkelheit die Felder und das Dorf, das am Fuße der Berge lag. »Die Menschen sind tatsächlich hart. Wie du.«

»Habt Ihr mich deshalb für diese Reise ausgewählt?« Helim schmunzelte. »Ich dachte, der Grund sei, dass ein Graubart wie ich der Akh’Eldash nicht mehr verfallen kann.«

»Ich habe dich ausgesucht, weil du kein Duckmäuser bist. Die meisten Bediensteten im Schloss fürchten meinen Vater – und sie fürchten mich, weil ich ihm ähnlich bin. Das kann ich nicht gebrauchen.«

Helim kaute auf dem Mundstück seiner Pfeife herum. »Ihr täuscht Euch. Die Menschen sehen keineswegs Euren Vater in Euch. Ruothgar ist maßlos und unberechenbar, Ihr hingegen seid in allem diszipliniert und kaltblütig. Ich habe nie einen beherrschteren Menschen kennengelernt als Euch.« Er nahm die Pfeife aus dem Mund und betrachtete den Kopf, in dem das Feuer erloschen war. »Das ist es, was sie an Euch fürchten.«

Cor sah den Kutscher zweifelnd an. »Warum sollten sie meine Beherrschtheit fürchten?«

»Sie macht Euch unbarmherzig.«

»Unsinn.«

Helim klopfte den Tabak an der Balustrade aus. Dann hob er den Kopf und sah Cor gerade ins Gesicht. »Wie kann ein Mann barmherzig sein, der nicht einmal barmherzig ist gegen sich selbst?«

***

Am nächsten Tag bereitete Cor sich gewissenhaft auf das Treffen mit der Akh’Eldash vor. Er wusch und rasierte sich und tauschte die robuste Reisekleidung gegen etwas Angemesseneres. Lieber allerdings hätte er weiterhin Leder und Eisen getragen.

Er war sonst keineswegs unsicher in der Gegenwart von Frauen, hatte durchaus schon von den Wonnen gekostet, die sie einem Mann zu schenken vermochten. Aber dies war die Akh’Eldash, und ihre geheimnisvolle Macht über die Männer beunruhigte ihn. Nicht mehr Herr über seine Entscheidungen zu sein, dieser Gedanke behagte ihm nicht. Und was anderes bedeutete es, sich zu verlieben?

Er klopfte und wartete, bis die Zofe öffnete. Dann trat er in einen Raum, dessen Einrichtung Bequemlichkeit und Schönheit miteinander verband. Gepolsterte Sitzmöbel in sanften Farben, Tische mit geschwungenen Beinen, ein Schrank mit Intarsien, wie sie typisch für die Riefenau waren. Er würde der Akh’Eldash verdeutlichen müssen, dass die Reisetage weniger angenehm verlaufen würden.

Die Akh’Eldash, wieder verschleiert, erhob sich hinter einem Schreibtisch. »Ich danke für Euren Besuch, Erlaucht.« Noch immer klang sie kühl, sogar noch kühler als am Vortag. »Bitte. Tretet näher.« Sie wies auf einen Stuhl vor dem Tisch.

Er gehorchte, setzte sich jedoch nicht. »Der Kronprinz sendet Euch seine Verehrung. Er hat mir aufgetragen, Euch dies hier zu übergeben.« Er stellte das Holzkästchen auf den Tisch, das Siluren ihm mitgegeben hatte. Ihr Zögern verriet ihre Verwunderung. Sie hob es hoch und betrachtete die Intarsien.

»Es gehörte seiner Mutter«, erklärte er, »der siebenundvierzigsten Akh’Eldash, Mirana von Etharold. Er sendet es Euch zum Zeichen seiner aufrichtigen Zuneigung. Ihr werdet auf Hohenvarkas mit Freude erwartet.«

Es war noch immer befremdlich, mit einem weißen Schleier zu reden. Andererseits schürte das zarte Gewebe seine Neugier. Welches Gesicht mochte sich darunter verbergen? Ob es so zierlich war, wie ihre Hände vermuten ließen? Die Akh’Eldash hatte grazile Finger mit perfekt geformten Nägeln. Damit öffnete sie das Kästchen und betrachtete das Medaillon.

Coridan erinnerte sich an die Worte seines Bruders und räusperte sich. »Prinz Siluren trug mir auf, Euch zu versichern, dass er Euer Lager nicht teilen wird, bevor Ihr ihm dieses Medaillon zukommen lasst. Damit könnt Ihr ihm Eure Bereitschaft zeigen, ihn zu empfangen.«

Die Bewegung des Schleiers verriet, dass sie den Kopf hob. »Das ist sehr rücksichtsvoll«, sagte sie und schloss die Schatulle energisch, »aber ich bin bereit, meine Pflicht zu erfüllen.«

 

Anders als ihrer beider Vater würde es Siluren sicher nicht genügen, dass seine Frau »ihre Pflicht erfüllte«. Aber Gefühlsangelegenheiten waren nicht Coridans Stärke. Siluren würde sicher bessere Worte finden, und so sagte er zur Erklärung nur: »Wir hatten mit einer jüngeren Akh’Eldash gerechnet.«

»Ich bin nicht verantwortlich für die Wahl der Erdmutter.« Sie setzte das Kästchen mit einem dumpfen Ton auf den Tisch zurück. »Wie mein Gemahl muss auch ich auf ihre Weisheit vertrauen.«

Hatte er sie etwa beleidigt?

Wie sollte ein Mann jemals eine Frau verstehen? Cori­dans Umgang mit ihnen hatte sich bisher auf willige Mägde und kurze Liebschaften mit Bürgerlichen beschränkt. Von den kichernden jungen Damen des Adels hatte er sich ferngehalten, und auch sie hatten zumeist keinen Wert auf Umgang mit dem Bastard des Königs gelegt. Die Akh’Eldash sah sicher nichts anderes in ihm, und vermutlich fühlte sie sich schon allein dadurch beleidigt, dass er sie statt des Kanzlers abholte.

Er straffte die Schultern. Es war klüger, nur noch Fragen zu beantworten, die ihm gestellt wurden. Sie hatte ihn kommen lassen, es war an ihr, den Verlauf des Gespräches zu bestimmen.

Das tat sie auch. Sie griff nach einer Papierröhre und entrollte sie auf dem Tisch: eine Karte des Reiches, deren Enden sie mit Statuetten mythologischer Figuren beschwerte. »Ich möchte den Weg besprechen. Welche Strecke hattet Ihr Euch vorgestellt?«

»Wir folgen der traditionellen Route über Atankaja«, er zeigte ihr die Stadt auf der Karte und ließ seinen Finger dann der Straße folgen. »Von dort nach Mirin, Gut Fengajahr und Liffim. Falls Ihr wünscht, können wir von Mirin aus Eure Familie besuchen, das würde kaum einen Tag Umweg bedeuten.«

»Warum nehmen wir nicht diese Strecke?« Ihr Finger glitt über das Papier. »Sie erscheint mir viel kürzer.«

»Über die Berge?« Er schüttelte den Kopf. »Die Pässe sind im Winter mit der Kutsche nicht befahrbar. Außerdem gibt es dort keine standesgemäße Unterkunft.«

»Ich verstehe. Welche Unterbringung habt Ihr vorgesehen?«

Sie war fordernd, aber sie respektierte vernünftige Argumente. Gut. »Es ist ein jahrhundertealtes Vorrecht einiger Häuser, die Akh’Eldash auf ihrer Brautreise zu beherbergen. Ich habe sie auf der Herreise bereits angewiesen, alles entsprechend vorzubereiten.«

»Um welche Häuser handelt es sich dabei?«

Er zählte ihr die Namen der Fürsten auf, die sie in den jeweiligen Städten beherbergen würden. »Unsere Gastgeber werden außerdem eine Zusatzeskorte für die jeweils nächste Wegstrecke stellen.«

»Erwartet Ihr Schwierigkeiten?«

»Nein. Es ist lediglich der Würde Eures Amtes angemessen.«

Sie schwieg einen Moment lang, und er hatte den Eindruck, dass ihn hinter dem Schleier aufmerksame Augen musterten. »Ich habe gehört, dass an der Ostgrenze die Wachbesatzungen verstärkt wurden.«

Es erstaunte ihn, dass sie über solche Dinge informiert war. Natürlich, der Tempel war ein Machtfaktor im Reich und die Priesterinnen wussten diese Macht zu bewahren, aber die Akh’Eldash war doch recht jung und gerade erst geweiht. Traditionell war sie nicht mehr als ein Instrument in den Händen der Schwesternschaft.

»Das ist richtig«, sagte er. »Es gibt Hinweise darauf, dass Krolan der Fahle erneut seine Truppen mobilisiert.« Die Briefe der Priorin hatten zwar nichts völlig Neues enthalten, aber sie hatten doch deutlich gemacht, wie ernsthaft der König von Oneräa seine Kriegsvorbereitungen betrieb. Glücklicherweise war auch sein Vater in den vergangenen Monaten nicht untätig gewesen. »Noch ist Winter, Gesalbte. Es ist unwahrscheinlich, dass Krolan in den kommenden Tagen angreift. Anderenfalls hätte König Ruothgar Euch nicht holen lassen.«

»Man führt im Winter keine Kriege?«

»Nicht, wenn man bei Verstand ist, Gesalbte.«

Sie schwieg abwartend. Also erklärte er es ihr.

»Man würde die Truppen unnötigen Fährnissen aussetzen. Die Angreifer würden in ihren Zelten erfrieren, während unsere Leute sich in ihren Städten und Festungen wärmen könnten. Außerdem ist das Schanzen bei gefrorenem Boden kaum möglich.«

»Ich verstehe.« Sie hob die Figurinen hoch, und das Papier rollte sich zusammen. »Wie viele Tage veranschlagt Ihr für die Reise?«

»Fünf. Entsprechend mehr, wenn Ihr Eure Familie zu sehen wünscht.«

»Die Schwesternschaft ist meine Familie. Ein Umweg ist unnötig.«

Das hatte hart geklungen. Hegte sie einen Groll gegen die ihren, oder hatte sie sich schlicht damit abgefunden, dass ihr bisheriges Leben zu Ende war?

»Wie Ihr wünscht.«

»Wann erwartet Ihr mich morgen?«

»Wenn es Euch genehm ist, möchte ich bei Sonnenaufgang aufbrechen.«

»Einverstanden.« Sie nahm die Papierrolle auf. »Von meiner Seite wäre dann alles geklärt. Ich danke für Euer Kommen.«

Tatsächlich? Keine Frage über Siluren oder den König? Keine über Hohenvarkas und die Art, wie man dort lebte?

Sie bemerkte sein Zögern. »Besteht Eurerseits noch Klärungsbedarf, Erlaucht?«

»Nein, ich ... dachte nur, Ihr hättet vielleicht noch andere Fragen. Fragen, die Euren zukünftigen Gatten betreffen.«

Sie ließ das Papier sinken. »Da mir keine Wahl in der Angelegenheit bleibt, ist das unnötig. Ich ziehe es vor, mir meine eigene Meinung zu bilden, sobald ich Gelegenheit dazu habe.«

Das verschlug ihm die Sprache. Für die Akh’Eldash schien diese Verbindung, die doch vom Zauber der Liebe umsponnen sein sollte, tatsächlich mehr eine Geschäftsbeziehung zu sein. Hatte die Göttin für Siluren tatsächlich eine so kalte, hartherzige Gefährtin gewählt?

»Wie Ihr wünscht.« Er verneigte sich knapp und wandte sich zum Gehen. Die Zofe öffnete ihm, doch er blieb an der Tür stehen und drehte sich noch einmal zu der Akh’Eldash um. »Prinz Siluren ist ein guter Mann«, sagte er. »Er hat es verdient, dass Ihr ihm unvoreingenommen gegenübertretet.«

»Das werde ich, Erlaucht, seid Euch dessen gewiss.«

Er überlegte kurz, ob er noch etwas sagen sollte, entschied sich aber dagegen und verließ den Raum.

***

Als der Graf endlich gegangen war, atmete Lynn auf. Was hatte er nur an sich, dass ihr Puls flatterte und ihre Beine zitterten? Sie hasste es, hasste sich selbst dafür, dass sie sich nicht unter Kontrolle hatte.

»Ihr habt ihn ganz schön abgefertigt«, sagte Blinthe, nachdem sie die Tür geschlossen hatte.

»Die sollen gleich wissen, dass sie mich nicht herumschubsen können.« Lynn zog den Schleier vom Kopf und ließ sich auf den Stuhl fallen.

»Und es interessiert Euch gar nicht, wie der Kronprinz so ist?«

»Natürlich interessiert es mich, aber was wird mir sein Bote schon anderes sagen, als was man über einen Prinzen eben sagt?«

Außerdem hatte Lynn bereits ihre neuen Rechte als Akh’Eldash genutzt, um bei Schwester Dregna, der Herrin über die Korrespondenz des Tempels, Erkundigungen über beide Brüder einzuholen.

Siluren führte offenbar selbst einen Briefwechsel mit dem Tempel. Seine klare, geschwungene Schrift wirkte fast feminin, und auch der Inhalt war befremdlich unmännlich. Offenbar tauschte er sich mit Schwester Felingra über die Wirkung und den Anbau von Kräutern aus, und philosophierte mit Schwester Grathania über die Gleichheit der Menschen trotz verschiedener Stände. Immerhin schrieb er präzise und verständlich.

Im Volk bestand noch keine Einigkeit über den Beinamen, den man ihm zulegte. Manche nannten ihn Siluren den Zauderer oder sogar noch unverblümter Prinz Hasenfuß. Bei anderen trug er den Beinamen der Gutherzige. Immerhin das ließ hoffen. »Ich habe genug Lobhudeleien über Prinzen, Erbgrafen und Junker gehört. Sie sind doch alle gleich.«

»Graf Thul ist anders«, sagte Blinthe leise. Offenbar hatte der Mann sie beeindruckt.

»Natürlich. Er ist ein Bastard.« Lynn benutzte mit Absicht das hässliche Wort. Das Wort, das ihn herabwürdigen sollte, ihn verächtlich machen. Seltsamerweise tat es das nicht. Es umgab ihn im Gegenteil mit einer Glorie tragischen Heldentums.

Wie entschlossen er für seinen Bruder eingestanden war – seinen Halbbruder. Den Mann, der alles hatte, was ihm selbst verwehrt bleiben würde, nur, weil er die falsche Mutter hatte. Dabei war er der Ältere von beiden. Und anscheinend der Beeindruckendere. Er führte zwar keine eigene Korrespondenz mit dem Tempel, aber auch von ihm hatte Schwester Dregna berichten können. Coridan der Kaltblütige, durch seines Vaters Gnaden Graf von Thul, war ein Turniersieger und ein Kriegsheld. Trotz seiner Jugend hatte er schon zu einigen Gelegenheiten ein eigenes Regiment in eine Schlacht geführt, und offenbar hatte er vor drei Jahren bei der Rückeroberung Carondims eine bedeutende Rolle gespielt, hatte den Sieg möglich gemacht, weil er unerschütterlich geblieben war, wo andere längst den Kopf verloren hätten.

Verdammt – warum dachte sie schon wieder über ihn nach? Sie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und fühlte den Abdruck des Lorun-Uhn.

»Mein Haar ist ganz zerdrückt«, maulte sie und Blinthe ließ sich nicht lange bitten. Während sie die Bürste über Lynns Locken zog, sagte sie: »Er hat gar kein Schwert getragen.«

»Das wäre auch unhöflich gewesen in den Räumen einer Dame.«

»Ich meine ein Schauschwert.«

Diese leichten, stumpfen Waffen waren unter den Männern des Adels als Statussymbol Mode geworden. Lynn lächelte bei dem Gedanken eines solchen Spielzeuges an seiner Hüfte. »Ich bezweifle, dass Graf Thul eine einzige Waffe besitzt, die nicht zum Kampf taugt.«

»Da habt Ihr wohl recht.« Blinthe seufzte. »Obwohl er keinerlei Waffe bräuchte, um mich zu überwältigen.«

Dieser Satz beschwor in Lynn ein Bild herauf: Der Graf mit dem Schwert in der Hand, erhitzt und schwitzend vom Kampf, wie er mit dem Lächeln eines Siegers den Arm um ihre Hüften legte und sie zu sich heranzog …

Sie räusperte sich und setzte sich aufrechter hin, um das Bild zu vertreiben. Was war nur los mit ihr? Die Männer, die sie in den letzten Jahren zu sehen bekommen hatte, waren ihr allesamt entweder abstoßend oder lächerlich erschienen. Warum fand sie nichts Lächerliches an ihm?

Weil sie ihn noch nicht lange genug beobachtet hatte! Früher oder später würde er genau wie die anderen seine überragende Männlichkeit und seine eingebildete Überlegenheit beweisen wollen. Er würde in der festen Überzeugung, dass alle Frauen ihn anhimmelten, herumstolzieren. Sie musste ihn nur dazu bringen, die Maske der Gelassenheit fallen zu lassen und sein wahres, überhebliches Ich zu zeigen, dann würde diese merkwürdige Verzauberung verschwinden und sie würde ihn genauso als Maulheld entlarven, wie sie es sonst auch tat.

Es war ja nicht so, dass ihr Vater in all den Jahren gar keine möglichen Partien gefunden hätte. Das Haus Vallathrys war einflussreich genug, dass sich die eine oder andere Familie von solch einer Verbindung Vorteile versprechen mochte. Aber Lynn hatte jedem der Bewerber gezeigt, dass sie das hohle Gehabe und die leeren Phrasen durchschaute. Sie hatte dafür gesorgt, dass diese Männer sich ihrer eigenen Lächerlichkeit bewusstwurden. Keiner der Kandidaten hatte danach noch großes Interesse an ihr gezeigt.

Das würde ihr mit diesem Bastard-Prinzen auch gelingen. Es würde nur ein wenig länger dauern. Vielleicht sollte sie sich doch noch rasch einen Trell zulegen, nur um ihn zu ärgern.

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?