Geist & Leben 1/2018

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Ähnliches wäre auch für Paare denkbar, die sich den Segen Gottes für ihre Liebe wünschen, aber eine sakramentale Ehe nicht eingehen können (z.B. aus kirchenrechtlichen Gründen) oder den Ansprüchen, die dabei an sie gestellt werden, nicht nachkommen wollen. Gottes Zuwendung ist tatsächlich nicht auf die aktiven Gemeindemitglieder beschränkt und könnte deshalb in Form einer Segensfeier für Liebende Ausdruck finden. Der Unterschied zu einer sakramentalen Eheschließung müsste dabei bewusst gemacht werden, denn es ist ja nicht ausgeschlossen, sondern erwünscht, dass sich einzelne Paare dann auf den Weg des Ehekatechumenats machen. In der bewussten Nachfolge Christi bedeutet das sakramentale Eheversprechen ja (auch): „Ich nehme dein Kreuz auf mich und mute Dir das meine zu – nicht allein deshalb, weil gute und böse Tage kommen werden, sondern weil jeder Mensch für den andern nicht nur Glück und Erfüllung, sondern auch Last und Enttäuschung sein kann.“ – In einen solchen erweiterten Horizont wären auch (unterschiedlich gestaltete) Feiern der Beerdigung einzuordnen, die an die jeweilige Situation der Betroffenen angepasst sind.

Die angesprochenen nicht-sakramentalen Feierformen wären der Realität der Fernstehenden angemessener und würden zugleich die Sakramente selbst vor einer Herabstufung in die „Belanglosigkeit“17 schützen. Dieser „Schutz“ der Sakramente kann sich im Übrigen auf die Arkan-Disziplin der Alten Kirche berufen, die ihre Mysterien nicht wirklich geheim halten, sondern für ihre tiefe Bedeutung indirekt werben wollte: Es sollte spürbar werden, dass es sich nicht um 0-8-15 Riten handelte, die man mal eben mitnehmen kann.

Solche Überlegungen sind nicht nur bloße Phantasiespiele. Im Osten der BRD ist die Volkskirche nach 12 Jahren Nazidiktatur und 40 Jahren DDR-Regime tatsächlich schon untergegangen, weshalb sich das Problem, die Illusion noch länger aufrechtzuerhalten, nicht mehr stellt. Hier konzipiert seit ca. 20 Jahren der Erfurter Dompfarrer und heutige Weihbischof Reinhard Hauke mit seinem Team innovative Projekte bzw. Ideen wie etwa die „Feier der Lebenswende“ für Jugendliche, die keiner Konfession angehören (also auch nicht gefirmt bzw. konfirmiert werden können), oder eine „Segensfeier zum Valentinstag für alle, die partnerschaftlich unterwegs sind.“18 „Das Ziel dieser Feierformen“, die als „präkatechumenal“ eingestuft sind, besteht nach Hauke „darin, dass sie die Lebensbereiche erschließen, in denen Menschen heute leben, zugleich jedoch bei Kirchenfernen die Hürde der Institution sowie das Gefühl der Bevormundung (!) überwinden wollen (…) Dass dabei auch neue Beziehungen bewusster Entscheidung hin zum Christentum erwachsen können (und auch erwachsen sind), ist möglich und sogar erwünscht, wird aber niemals zur Bedingung gemacht.“19

Wenn solche Initiativen Nachahmung fänden, wäre die Alternative der Überschrift (Abgrenzung oder Anpassung?) tatsächlich falsch gestellt, weil sich beides – auf verschiedenen Ebenen – als notwendig erweist: Eine Anpassung an die radikal veränderte Realität, in der sich die Kirchenzugehörigkeit vieler Christen extrem gelockert hat, weshalb innovative pastoral-liturgische Angebote (v.a. in den Städten) sinnvoll werden; aber andererseits auch die Abgrenzung auf dem zentralen Feld der Sakramentenpastoral, damit Taufe, Firmung, Eucharistie und sakramentale Eheschließung wieder den Stellenwert erhalten, der ihnen von ihrer Bedeutung her zukommt. Das Thema „Anpassung und/oder Abgrenzung?“ ist nicht neu, es war schon in den Gemeinden der ersten Jahrhunderte virulent. Die Geschichte des frühen Christentums ermutigt jedenfalls dazu, das Weltverhältnis der Kirche(n) auch heute wieder kreativ zu justieren.

1 F. Dünzl, Fremd in dieser Welt? Das frühe Christentum zwischen Weltdistanz und Weltverantwortung. Freiburg i.Br. u.a. 2015.

2 Ebd., 506.

3 Vgl. D. Emeis, Zwischen Ausverkauf und Rigorismus. Zur Krise der Sakramentenpastoral. Freiburg i.Br. u.a. 41993; ebd., 120, Anm. 3 verweist Emeis auf frühere Beiträge zu diesem Thema.

4 Vgl. etwa B. Leven, Relevanz und Identität, in: HerKorr 70/4 (2016), 4 f.; neuerdings wieder J. Röser, Die Werktagskirche, in: CiG 69/13 (2017), 135 f., hier: 136.

5 Siehe https://www.facebook.com/kreuzkirche.muenster/posts/916981931710887 (Stand: 24.01.2017). Wiederholt und ausführlich erläutert hat Thomas Frings seine Erklärung in dem lesenswerten Buch: Aus, Amen – Ende? So kann ich nicht mehr Pfarrer sein. Freiburg i.Br. u.a. 2017.

6 Vgl. z.B. H. Haslinger, Wider den Rückzug aus der Wirklichkeit, in: HerKorr 70/8 (2016), 48–51.

7 Ebd. 51.

8 Ebd. 50.

9 Das Problem und die kirchlichen Reaktionen darauf beschreibt K. Piepenbrink, Christliche Identität und Assimilation in der Spätantike. Probleme des Christseins in der Reflexion der Zeitgenossen (Studien zur Alten Geschichte 3). Berlin 22009, 125–161.

10 So die Auskunft von U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus. 1. Teilband (EKK I/1). Zürich u.a. 1985, 188.

11 Das Hirtenwort der deutschen Bischöfe zum Papstschreiben Amoris laetitia findet sich unter http://de.radiovaticana.va/news/2017/02/01/hirtenwort_der_deutschen_bisch%C3%B6fe_-_voller_wort-laut/1289536 (Stand: 01.02.2017).

12 Ebd.

13 Vgl. V. Resing, Tappen im Dunkeln, in: HerKorr 71/3 (2017), 4 f., hier: 5.

14 Siehe http://de.radiovaticana.va/news/2016/06/17/papst_viele_kirchliche_ehen_ung%C3%BCltig/1237927 (Stand: 10.03.2017).

15 Vgl. T. Frings, Aus, Amen – Ende?, 145–170 [s. Anm. 5].

16 Vgl. ebd., 154 [s. Anm. 5].

17 Ebd., 83.

18 Diese und weitere Beispiele sind beschrieben bei R. Hauke, Mitfeiern – miterleben – mitgestalten. Neue Perspektiven und Anregungen für die Seelsorge an Christen und Nichtchristen. Leipzig 2014.

19 Ebd., 19.


Bernd Liebendörfer | Böblingen

geb. 1955, Dr. theol., Dekan der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Böblingen

bernd@liebendoerfer.com

Wer ist Christus für uns heute?

Beispiele einer Theologie der Nachfolge aus der Evangelischen Kirche

Nachfolge ist bis heute ein fesselnder Begriff. Nachfolge Christi leben, das klingt faszinierend und spricht auch heute einfache Gemeindeglieder ebenso an wie theologisch qualifizierte Menschen in Wissenschaft und Kirche. Offen liegt auf der Hand, dass sich Nachfolge heute anders gestalten muss als zur Zeit der Jünger(innen) Jesu. Es geht für uns nicht mehr darum, die Netze am See Genezareth zurückzulassen, Beruf und Familie aufzugeben und mit Jesus durch Galiläa oder Judäa zu ziehen. Allerdings können wir ihn auch auf der Wanderung oder am Ende des Tages nicht mehr befragen, wie es den Jünger(inne)n damals möglich war. Nachfolge heute muss anders aussehen. Unvorstellbar, dass alle Christen zu Wanderprediger(inne)n werden müssen, um Nachfolge zu leben.

Diese Erkenntnis ist zunächst nicht neu. Josef Thorer hat unlängst in dieser Zeitschrift darauf aufmerksam gemacht, dass es bereits für Ignatius von Loyola klar zu erkennen war, „dass es nicht (mehr) möglich ist, Jesus äußerlich vollständig nachzuahmen.“1 Das verschärft die Frage nur, wie denn Nachfolge Christi heute verstanden werden kann oder verstanden werden muss. Die Vorstellungen dazu, was denn Nachfolge sei, gehen in Theologie und Kirche weit auseinander. Das macht eine Beschäftigung mit dem Thema umso dringlicher. Das verdeutlicht schnell eine nähere Betrachtung einzelner Autor(inn)en. Im letzten Jahrhundert hat Dietrich Bonhoeffer mit seinem Buch Nachfolge ein Werk zum Thema vorgelegt, an dem man heute noch nicht vorbeikommt, wenn man über Nachfolge reden will. Bei einer Untersuchung, wie Bonhoeffers Nachfolge in Theologie und Kirche aufgenommen worden ist, fallen zwei prominente Theologen auf, der Professor für Systematik Karl Barth und der Bischof von Berlin-Brandenburg Albrecht Schönherr.2 Das Nachfolge-Verständnis dieser drei herausragenden Persönlichkeiten soll im Folgenden in den Blick genommen werden.

Dietrich Bonhoeffer

Dietrich Bonhoeffer befasste sich mit dem Thema Nachfolge schon 1934 in seiner Londoner Zeit. Von dort kam er ein Jahr später nach Deutschland zurück, um das Predigerseminar der Bekennenden Kirche zu leiten und junge Pfarrer für den Dienst auszubilden. Die Vorlesungen über Nachfolge waren das besondere Charakteristikum seines Predigerseminars in Finkenwalde. 1937 wurde sein Buch Nachfolge veröffentlicht.3

Bonhoeffer schrieb in der Zeit des Dritten Reiches. Das hat seine Gedanken und seine Ausdrucksweise sicherlich radikaler gemacht. In der Zeit, als Adolf Hitler als der „Führer“ den „blinden Gehorsam“ für sich forderte, forderte Bonhoeffer im Gegenzug den „einfältigen Gehorsam“ allein gegenüber Christus. Diese zeitgeschichtliche Prägung von Bonhoeffers Nachfolge darf nicht übersehen werden. Doch ist sein Werk keineswegs nur eine Antwort auf den Nationalsozialismus. Solch eine Vorstellung würde zu kurz greifen.

Zwar lassen sich Bonhoeffers Ausführungen nicht aus dem zeitgeschichtlichen Kontext lösen. Dennoch lässt sich mehr erkennen. Ein wichtiger Beweggrund war für Bonhoeffer seine Sorge um die Kirche und damit meinte er primär die evangelische Kirche. Diese Sorge hat schon früh und vor dem Dritten Reich begonnen. Bonhoeffer sah die Kirche als sehr gefährdet an. Laut Bonhoeffer lag das v.a. daran, dass die Kirche nur die Gnade Gottes verkündete und nicht darauf aufmerksam machte, dass Gott auch Ansprüche an den Menschen habe. Nur Gottes Gnade zu verkünden, war für Bonhoeffer zu billig. Er nannte es deswegen „billige Gnade“. Diese Verkündigung von Gnade allein führe zu einer falschen Beruhigung der Menschen und nicht zu einem christlichen Leben. Bonhoeffer stellt dagegen die „teure Gnade“. Damit meint er den Weg der Nachfolge. In der Nachfolge Christi wird den Menschen einiges abverlangt. Das ist der Preis. Darum ist die Gnade, die auf diesem Wege erlangt wird, teuer. Als Beispiel dienen Bonhoeffer die Jünger Jesu, die einst alles hätten verlassen müssen. Dieser Weg der Nachfolge ist für Bonhoeffer der einzige Weg zum Heil. Für ihn gehören Glaube und ein aktiv gestaltetes Leben im Gehorsam gegenüber Christus so eng zusammen, dass er die berühmte Formulierung prägt: „Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt.“4 Entscheidend ist für ihn, dass der Mensch in der Nachfolge immer nur den Blick auf Christus gerichtet hat. Das Wort Christi gilt für Bonhoeffer in diesem Zusammenhang stets als klar und ihm ist im Sinne des „einfältigen Gehorsams“ unbedingt und ohne Zögern oder Rückfragen Folge zu leisten. Wer zögert oder Rückfragen stellt, falle damit schon aus der Nachfolge heraus und vom Weg des Heils ab. Dabei hat bei Bonhoeffer das (Mit-)Tragen des Kreuzes Christi stets einen wichtigen Stellenwert. Der/die Nachfolgende muss sich darauf einstellen, Erfahrungen des Leides auf diesem Wege zu machen, ohne das Kreuz selbst zu suchen. Nochmals sei hervorgehoben, dass Bonhoeffer in diesem Weg der Nachfolge den einzigen Weg zum Heil sieht. Das führt zu zwei Konsequenzen, die nicht unerwähnt bleiben dürfen.

 

Zum einen bekommt das Tun des Menschen in Bonhoeffers Ausführungen einen solch hohen Stellenwert, dass die Frage der Erlösung und des ewigen Heils nicht mehr allein durch Gottes Gnade beantwortet zu werden scheint. Es entsteht der Eindruck, dass der Mensch eine Mitwirkung habe. Wenn aber die aktive Gestaltung des Lebens der Nachfolgenden zur Voraussetzung für das ewige Heil wird, ist dies ein Gedanke, der besonders in der lutherischen Theologie erhebliche Bedenken hervorruft.

Zum anderen sieht Bonhoeffer bereits selbst, dass diesen Weg der Nachfolge nicht alle werden gehen können. Zweifel daran äußert er bereits in seinem Vorwort, nämlich in der Überlegung, ob ein Arbeiter oder Geschäftsmann, ein Landwirt oder Soldat diesen Weg würde gehen können. Die Nachfolgenden als die wahre Kirche Jesu Christi werden nach seiner Einschätzung immer nur eine kleine Schar bleiben. Das Verhältnis von dieser kleinen Schar zur sichtbaren Kirche wird von Bonhoeffer nicht bis ins Letzte geklärt. Die „Volkskirche“ kritisiert er aber immer wieder scharf. Wer allerdings den Weg der Nachfolge geht, wird diesen Weg als einen Weg der Heiligung erleben, auf dem Christus den Menschen umgestaltet, nach Bonhoeffer bis zur Christusgleichheit sogar schon in diesem Leben. Dieses Resultat erscheint doch sehr erstaunlich, zumal wenn es schon in diesem Leben erreicht werden soll. Üblicherweise wird die Vollendung erst im Jenseits, im Eschaton erwartet.

Bonhoeffers bleibendes Verdienst ist es, auf den engen Zusammenhang zwischen christlichem Glauben und den daraus resultierenden Werken aufmerksam gemacht zu haben. Er skizziert einen herausfordernden Weg des Glaubens. Er hat seiner Kirche an einem ganz entscheidenden Punkt den Spiegel vorgehalten. Sein Seminarist, enger Freund und Biograph Eberhard Bethge hielt fest, dass Bonhoeffer mit seiner Nachfolge das uralte Thema der Heiligung der Kirche zurückgewonnen habe.5 Auf der anderen Seite muss aus heutiger Sicht gesagt werden, dass Bonhoeffers Darlegungen von einer Radikalität geprägt sind, die heute schwer zu teilen ist. Zudem wird das Tragen des Kreuzes bei ihm so stark betont, dass Nachfolge eine dunkle Färbung bekommt. Ob Nachfolge in Bonhoeffers Sinne tatsächlich der einzige Weg zum Heil ist, darf ebenso in Frage gestellt werden, wie das Erreichen der Vollendung schon in diesem Leben. Und ob die Kirche sich angesichts ihres Sendungsauftrages hin zu allen Völkern (Mt 28) damit begnügen darf, nur eine kleine Schar zu bleiben, muss ebenfalls kritisch gesehen werden.

Auch wenn Bedenken deutlich werden und Bonhoeffers Nachfolge-Gedanke heute sicher von vielen so nicht mehr geteilt werden kann, hat er eine Vorlage geliefert, die viel Beachtung fand und bis heute findet. Die Verkaufszahlen seines Buches waren damals sofort hoch und sind es heute noch. Es ist in viele Sprachen übersetzt. Doch spannend ist in der Folge die Frage, wie sehr und wie konkret Bonhoeffers Vorstellung von Nachfolge das Denken anderer geprägt hat.

Karl Barth

Karl Barth gilt vielen als der bedeutendste protestantische Theologe des 20. Jhs. Zwischen ihm und Bonhoeffer lässt sich eine sehr wechselhafte und gerade dadurch interessante Beziehung beobachten. Barth ist 20 Jahre älter als Bonhoeffer. Bonhoeffer setzt sich schon in seiner Habilitationsschrift mit Barths Dialektischer Theologie auseinander. 1931 verbringt er drei Wochen in Bonn, um Barth zu hören. Es kommt 1931/32 zu drei persönlichen Begegnungen. An der Gründung der Bekennenden Kirche sind beide beteiligt, allerdings in unterschiedlicher Weise. Bonhoeffer arbeitet zunächst am Betheler Bekenntnis mit, geht dann aber enttäuscht schon 1933 nach London, während Barth im folgenden Jahr maßgeblich das Barmer Bekenntnis prägt. Bonhoeffer bleibt im lockeren Kontakt mit Barth, der ihm doch innerlich beständig ein wichtiger Gesprächspartner ist. 1936 bittet Bonhoeffer Barth um eine Einschätzung seiner Überlegungen zum Thema Nachfolge, doch Barth reagiert recht reserviert. Bei aller Wertschätzung von Barth kann Bonhoeffer ihm in seinen letzten Jahren auch kritisch einen „Offenbarungspositivismus“ vorwerfen. Barth äußert sich im Gegenzug im Jahr 1952 durchaus sehr differenziert über Bonhoeffer. Selbst dessen Nachfolge steht er nicht unkritisch gegenüber, dennoch kann er ihr hohe Anerkennung zollen und ankündigen, dass er ihr in seiner Kirchlichen Dogmatik „breiten Raum werde geben müssen“.6 Dabei lässt Barth auch erkennen, dass seine Wertschätzung nicht zuletzt daher rührt, dass Bonhoeffer seinen persönlichen Weg der Nachfolge bis zur letzten Konsequenz gegangen ist und dabei sein Leben gelassen hat.

Karl Barth ist wohl in der Tat der Systematiker, der sich nach Bonhoeffer in einer Ausführlichkeit wie kein anderer dem Nachfolge-Gedanken im letzten Jahrhundert gewidmet hat. Zunächst spricht Karl Barth schon 1942 in seiner Kirchlichen Dogmatik (KD II/2) von der Gnade, die der Ethik vorgeordnet ist (598) und von dem konkreten Tun, das sich aus dem Blick auf Christus ergibt (599). Damit fasst er schon Themen an, die zum Nachfolge-Gedanken gehören. Die Gnade ist dabei ein ganz entscheidender Punkt. Sie ist nach Barth dem menschlichen Handeln, der Ethik, vorgeordnet. Diese Vorordnung ist dabei nicht unbedingt zeitlich, aber der Sache nach zu denken. Der Sachordnung nach hat die Gnade und damit die Rechtfertigung die Priorität (KD IV/2, 574). Die Frage der Rechtfertigung ist somit für Barth schon erledigt, bevor das Handeln diskutiert werden muss. Nachfolge kann folglich gar nicht wie bei Bonhoeffer der einzige Weg zum Heil sein, aber sie entspricht ihm. Die Heilszusage ist der Nachfolge vorgeordnet. Des Weiteren kann auch bei Barth der Blick auf Christus, die Orientierung an Christus für die Gestaltung des christlichen Lebens hervorgehoben werden. Wenn Barth bei der Gnade anders denkt als Bonhoeffer, so geht er hier mit ihm konform.

1945 in KD III/1 schildert Barth den Gedanken des Bundes, den Gott mit den Menschen eingehen will. Dieser Gemeinschaftswille Gottes mit dem Menschen ist für Barth grundlegend und schlägt maßgeblich auf seine Vorstellung von Nachfolge durch. In KD III/4 aus dem Jahr 1951 finden sich sodann zwei Skizzen von Nachfolge, die hier aus Platzgründen übergangen werden müssen. Auch in den Folgejahren äußert sich Barth zur Nachfolge. Ausführlich und in großer Breite geschieht das aber erst 1955 (KD IV/2). Anforderungen aus der Nachfolge dürfen laut Barth das „allein aus Gnade“ (sola gratia) bei der Rechtfertigung nicht überschatten (18). Nachfolge ist für Barth die Antwort auf Gottes befreiende Gnade in der Gemeinschaft mit ihm (19). Im Rahmen der Versöhnungslehre macht Barth klar, dass zu dieser Versöhnung nicht nur Gottes Selbsterniedrigung, sondern ebenso des Menschen Erhöhung gehört. Diese vollzieht sich in der Heiligung. Ihr ist der § 66 gewidmet und dort legt Barth ausführlich seinen Nachfolge-Gedanken dar. In diesem Paragraphen findet sich auch Barths Bezug und sein hohes Lob über Bonhoeffers Nachfolge. Er bezeichnet es als „(m)it Abstand das Beste, was dazu geschrieben ist“ (604). Barth sieht, dass dort „die Sache so tief angefaßt und so präzise behandelt ist, daß ich wohl versucht sein könnte, sie hier einfach als großes Zitat einzurücken, weil ich wirklich nicht der Meinung bin, hier etwas Besseres sagen zu können“ (604). Trotz dieser außergewöhnlich hohen Anerkennung geht Barth allerdings gar nicht näher auf Bonhoeffers Nachfolge-Überlegungen ein. Er hat ja zuvor schon für sich abweichende Entscheidungen getroffen.

Rechtfertigung und Heiligung gehören für Barth ganz eng zusammen, fallen praktisch in Eins. Sie entsprechen Gottes Selbsterniedrigung und der Erhöhung des Menschen. Beides sind Teile der einen Gnade Gottes. Nachfolge kann wiederum praktisch mit Heiligung in Eins gesetzt werden. So ist es nur folgerichtig, dass ab 1955 für Barth Christ-Sein und Nachfolge leben quasi identisch sind und zu austauschbaren Begriffen werden.

Barth kann in der Folge sprachlich selbständig, aber in der Sache ganz nahe an Bonhoeffer erklären, dass es bei aller Bindung an Christus keine Christusidee, kein christozentrisches Gedankensystem gebe (606). Nachfolge sei konkret, aber gleichzeitig inhaltsleer (607 f.). Doch er sieht Nachfolge keineswegs nur situativ im Gehorsam auf ein jeweiliges Wort Christi. Es brauche auch die nötige Kontinuität. So macht Barth in den Evangelien sechs Grundlinien aus. In ihnen geht es um Besitz, Ehre, Gewalt, Familie, Religion und das Tragen des Kreuzes. Bei allem neuerlichen und gegenwärtigen Gebieten Christi ist Barth überzeugt: „Eine Abweichung von jenen Hauptlinien wird (…) nicht in Frage kommen“ (626).

Es muss bei diesen ausgewählten Gedanken Barths zur Nachfolge bleiben. Seine Darlegungen sind viel umfangreicher, differenzierter und tiefer. Die Rechtfertigung und die Gnade sind für Barth der Sache nach eindeutig der Nachfolge vorgeordnet. Darin möchte ich Barth zustimmen. Nachfolge ist damit von einer großen Last befreit. Dass allerdings Nachfolge bei ihm dann quasi zu einem Synonym für Christ-Sein wird, wirft doch Rückfragen auf. Weder sind alle Anhänger(innen) Jesu zu dessen Zeit in seiner Nachfolge gewesen, noch zeigen aktuelle Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen, dass allen Kirchenmitgliedern eine Orientierung an der Botschaft Jesu wichtig ist.7 Barth meinte – trotz aller inhaltlichen Offenheit – sechs Grundlinien für ein Leben in der Nachfolge benennen zu können. Allein schon die Tatsache, dass hier die Nächstenliebe fehlt, wirft Bedenken auf und zeigt die Vorläufigkeit seiner Entscheidung.

Karl Barth hat sich sicherlich durch Bonhoeffer stark in seinen Gedanken zur Nachfolge anregen lassen. Aber er hat seinen Nachfolge-Gedanken sehr eigenständig entwickelt und differenziert dargelegt. Dass Gott die Gemeinschaft, den Bund mit dem Menschen sucht, ist bei ihm dabei ein Ausgangspunkt und eine Grundlage, die weitreichend seine Gedanken prägt. Man kann direkt bedauern, dass Barths Nachfolge-Gedanke im Mammutwerk seiner Kirchlichen Dogmatik nicht selbständig stärker zur Wirkung kommt.

Albrecht Schönherr

Albrecht Schönherr war nach dem Studium der Theologie und einem Vikariat in Potsdam Seminarist bei Bonhoeffer in Finkenwalde. Dort begegnete er dessen Nachfolge-Gedanken. Er bezeugt in seiner Autobiographie, dass niemand außer seiner Mutter ihn in seinem Leben so geprägt habe wie Bonhoeffer in jener Zeit. Und in der Tat, soweit ich sehen kann, gibt es niemanden, der erkennbar den Nachfolge-Gedanken Bonhoeffers so stark und so vollständig für sein eigenes Leben aufgenommen hat wie Albrecht Schönherr. Er ist davon durchdrungen. Später wurde Schönherr Bischof von Berlin-Brandenburg und der erste Vorsitzende des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR. In allen seinen Funktionen und darüber hinaus wurde deutlich, wie sehr Schönherr vom Nachfolge-Gedanke geprägt war. Konsequent gedacht hörte das Leben in der Nachfolge für ihn mit dem Eintritt in den Ruhestand nicht auf.8 In seinen Veröffentlichungen geht es vielfach um Nachfolge. Teilweise ist der Begriff schon in den Titeln zu finden. Wer sich auf den Nachfolge-Gedanken bei Schönherr einlässt, merkt schnell, dass dieser sehr wohl ein qualifizierter Theologe war. Aber er arbeitete als Mann der Kirche und nicht unbedingt wissenschaftlich bzw. akademisch. Das führt freilich dazu, dass seine Gedanken sehr praxisnah sind. Sie sind geprägt durch seine langjährige Lebenserfahrung und sie sind nicht nur Resultate einer abstrakten Geistesarbeit. Der Nachfolge-Gedanke bei Albrecht Schönherr kommt damit stark verändert gegenüber Bonhoeffer zum Ausdruck. Ohne dass sich Schönherr irgendwo deutlich gegen Bonhoeffer abgrenzt, hat er doch sehr eigenständig den Nachfolge-Gedanken weiterentwickelt.

 

Christlicher Glaube ist für Albrecht Schönherr einfach Nachfolge. Die Überschneidung oder den Unterschied zu anderem Verständnis von Glauben diskutiert er nicht. Allerdings bezeichnet er Nachfolge auch nicht als den einzigen Weg zum Heil. Die Frage der Gnade, besonders der Rechtfertigung berührt Schönherr nur wenig, aber es wird deutlich, dass für ihn die Rechtfertigung allein aus Glauben kommt und nicht durch unser Tun. Sie ist somit der Nachfolge vorgeordnet. Rechtfertigung kann für ihn auch bedeuten, bereit gemacht zu werden zum Dienst an Christus.9 Nicht zuletzt, weil der Begriff des Glaubens vieldeutig und unscharf geworden sei, spricht er lieber von Nachfolge. Dabei darf der Christ/die Christin an keiner Stelle und in keiner Position Christus als die Mitte aus den Augen verlieren.10

Zentral ist bei ihm die Frage, die er quasi von Bonhoeffer übernommen hat und die bei ihm in geringfügigen Variationen immer wieder auftaucht: „Wer ist Christus für uns heute?“11 Diese Leitfrage dient dazu, die Orientierung für das eigene Handeln zu gewinnen. Dabei ist für Schönherr unstrittig, dass es ein klares, Weg weisendes Wort Christi kaum gibt. Doch Christus kann uns in vielfältiger Weise Zeichen geben und in allem ist mit ihm zu rechnen. Dabei kann es sehr schwierig bleiben, die jeweils richtigen nächsten Schritte zu erkennen. Entscheidungen können für Schönherr durchaus „Schritte im Dunkeln“ sein.12 Der Mensch müsse aber in der Nachfolge Verantwortung übernehmen und damit auch die Gefahr von bzw. die Bereitschaft zu Fehlentscheidungen eingehen. Damit beschreitet Schönherr einen anderen Weg als Bonhoeffer mit der Forderung des einfältigen Gehorsams. Für Schönherr heißt Nachfolge „Fühlung mit Jesus“ halten.13 Das Leben in der Nachfolge ist ein Leben in der Schule Gottes mit ständig neuen Überraschungen. Wiederholt spricht er vom „Abenteuer der Nachfolge“. Was das Auf-sich-Nehmen des Kreuzes betrifft, so spielt es bei Schönherr eine deutlich geringere Rolle als bei Bonhoeffer. Bei Schönherr wird vielmehr gleichwertig dagegengestellt, dass wir mit Christus siegen werden.14 Das leichte Joch Christi auf sich zu nehmen, führe zur Freude.

Schönherr wendet die Vorstellung von Nachfolge nicht nur für den einzelnen Christen an, sondern auch auf die Kirche an sich. Sie muss sich selbst fragen, was es für sie bedeutet, Nachfolge zu leben. Weit stärker als bei Bonhoeffer wird sie damit Kirche für andere.15 Kirche darf sich folglich nicht zu sehr um sich selber kümmern und laut Schönherr nicht vorrangig „Körperpflege“ betreiben. Es könne durchaus Christus entsprechen, wenn sie in Lumpen einhergehe.16 Kirche ist für Schönherr Zeugnis- und Dienstgemeinschaft. Schönherr kann aber gleichfalls von der Kirche als einer Lerngemeinschaft reden, denn Nachfolge bedeutet für ihn ein ständiges Lernen in der Schule Gottes und man erlernt sie nicht im Selbststudium.

Zahlreiche kleinere, praktische Akzente machen Schönherrs Beschreibung von Nachfolge in theologisch wohl verantworteter Weise weiter sympathisch. Als Beispiele seien hier nur genannt: Während für Bonhoeffer gilt, dass dem Ruf Christi unmittelbar Folge zu leisten ist, kann Schönherr die Erkenntnis weitergeben, dass der Ruf Christi und der Eintritt in die Nachfolge zeitlich durchaus auseinanderfallen können. Nachfolge bedeutet bei Schönherr auch keinen ständigen Aktivismus. Es kann auch einmal „Rasttag“ sein. Schließlich, gerade weil es zu entdecken gilt, was Christus heute von uns will, gewinnen für ihn Gruppen in der Gemeinde neue Bedeutung. Hier können die Menschen in der Nachfolge einander beraten und einander beistehen.

Albrecht Schönherr beeindruckt dadurch, dass er bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten, ohne dabei aufdringlich zu werden, von Nachfolge Christi gesprochen hat. Seine Worte bekommen dadurch Gewicht, dass in ihnen zum Ausdruck kommt oder man in ihnen deutlich spürt, dass Albrecht Schönherr diese Vorstellung von Nachfolge selbst als Lebens- und Glaubenskonzept praktiziert hat. Er spricht aus eigener Erfahrung. Wer akademische Durchdringung sucht, wird wahrscheinlich bei Schönherr an manchen Punkten die letzte Klarheit vermissen. Wer aber sich auf den Weg der Nachfolge einlassen will für das eigene Leben, kann bei ihm sehr wertvolle Gedanken finden.

Die Herausforderung bleibt

Von Nachfolge zu sprechen, ist heute noch für viele faszinierend. Dass dabei Nachfolge Christi anders verstanden werden muss als in der Zeit, von der die Evangelien über Jesu und seine Jünger(innen) berichten, liegt auf der Hand. Doch an drei prominenten Beispielen aus der Evangelischen Kirche konnte gezeigt werden, dass die Vorstellungen von Nachfolge heute deutlich auseinandergehen. In Wirklichkeit ist die Vielfalt noch viel größer. Dabei liegen ganz wichtige Fragen auf dem Tisch.

Dietrich Bonhoeffer geht von einem strikten, nämlich dem „einfältigen Gehorsam“ aus, der Christus gegenüber geleistet werden müsse. Dieser Weg der Nachfolge ist für ihn der einzige Weg zum Heil. Das führt unter anderem dazu, dass die wahre Kirche Christi immer nur eine kleine Schar bleiben wird. Wie dann diese kleine Schar mit den zahlreichen Gläubigen besonders in den großen Volkskirchen ins Verhältnis zu setzen ist, bleibt bei ihm offen, müsste aber geklärt werden.

Karl Barth und Albrecht Schönherr unterscheiden praktisch nicht zwischen Christ-Sein und Nachfolge. Doch damit bekommen sie auf der anderen Seite wie Bonhoeffer ein Problem. Denn weder durch die Evangelien noch durch aktuelle religionssoziologische Studien kann solch eine Vorstellung gestützt werden. Vielmehr muss man von dorther sagen, dass keineswegs alle, die sich als Christen verstehen, ständig den Blick auf Christus haben, wie alle drei vorgestellten Autoren dies erwarten.

Weitere gleichgewichtige Fragen könnten aufgelistet werden. Es gibt viel Klärungsbedarf, wenn wir von Nachfolge reden. Sicher ist vermutlich nur eins: Auch in Zukunft wird über Nachfolge unterschiedlich gedacht werden. Aber gerade deswegen ist es nötig, Rechenschaft zu geben und offen zu legen, was wir je mit Nachfolge meinen.17 In der Vergangenheit wurde das oft nicht hinreichend geleistet. Doch die Herausforderung bleibt und verspricht spannende Diskussionen.

1 J. Thorer, Gott oder Gottes Willen finden, in: GuL 89 (2016), 229. Zur Unterscheidung von Nachahmen und Nachfolgen braucht es eine eigene Diskussion, die im Rahmen dieses Artikels nicht geführt werden kann.

2 B. Liebendörfer, Die Rezeption von Dietrich Bonhoeffers „Nachfolge“ in der deutschsprachigen Theologie und Kirche. Stuttgart 2016.

3 Eine ausführliche Darstellung in: B. Liebendörfer, Der Nachfolge-Gedanke Dietrich Bonhoeffers und seine Potentiale in der Gegenwart. Stuttgart 2016. J. Ratzinger, Künder des Wortes und Diener eurer Freude. Theologie und Spiritualität des Weihesakramentes. Freiburg i.Br. u.a. 2010, 480.

4 D. Bonhoeffer, Nachfolge, in: M. Kuske / I. Tödt (Hrsg.), Dietrich Bonhoeffer Werke 4, Gütersloh 32002, 52.

5 E. Bethge, Dietrich Bonhoeffer, Theologe – Christ – Zeitgenosse. Eine Biographie. Gütersloh 92005, 518 f.

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