Tarzan – Band 1 – Tarzan und die weiße Frau

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Das Heim in der Wildnis



Lord Grey­sto­ke und sei­ne Ge­mah­lin brauch­ten nicht lan­ge war­ten, denn am nächs­ten Mor­gen, als er auf Deck ge­hen woll­te, um sei­nen ge­wohn­ten Spa­zier­gang vor dem Früh­stück zu ma­chen, fiel ein Schuss und dann ein zwei­ter und ein drit­ter.



Der An­blick, der sich ihm bot, be­stä­tig­te sei­ne schlimms­ten Be­fürch­tun­gen. Der klei­nen Grup­pe von Of­fi­zie­ren stand die gan­ze bun­te Schiffs­mann­schaft der »Fu­wal­da« ge­gen­über, der schwar­ze Mi­chel an der Spit­ze.



Nach der ers­ten Sal­ve der Of­fi­zie­re eil­ten die Ma­tro­sen in De­ckung und feu­er­ten hin­ter Mast­bäu­men, Ru­der­haus und Kom­bü­se her­aus auf die fünf Män­ner, die die ver­hass­te Au­to­ri­tät des Schif­fes dar­stell­ten.



Zwei Ma­tro­sen wa­ren schon un­ter den Ku­geln des Ka­pi­täns ge­fal­len. Sie la­gen noch, wie sie ge­fal­len wa­ren, zwi­schen den Kämp­fen­den.



Jetzt stürz­te der ers­te Steu­er­mann vorn­über aufs Ge­sicht, und auf einen Be­fehl des schwar­zen Mi­chels feu­er­ten die wü­ten­den Ge­sel­len auf die vier über­le­ben­den. Die Mann­schaft hat­te nur sechs Feu­er­waf­fen auf­trei­ben kön­nen; des­halb war sie mit Boots­ha­ken, Äx­ten, Bei­len und Brech­ei­sen be­waff­net.



Der Ka­pi­tän hat­te sei­nen Re­vol­ver ab­ge­schos­sen und war im Be­griff, ihn wie­der zu la­den. Des zwei­ten Steu­er­man­nes Ge­wehr hat­te ver­sagt, und so wa­ren nur noch zwei Waf­fen den Meu­te­rern ge­gen­über, als die­se sich rasch den jetzt zu­rück­wei­chen­den Of­fi­zie­ren nä­her­ten. Auf bei­den Sei­ten wur­de fürch­ter­lich ge­flucht; dazu kam das Knal­len der Feu­er­waf­fen und das Schrei­en und Stöh­nen der Ver­wun­de­ten, so­dass es auf dem Ver­deck der »Fu­wal­da« wild ge­nug aus­sah.



Noch ehe die Of­fi­zie­re ein Dut­zend Schrit­te nach rück­wärts ge­macht hat­ten, fie­len die Leu­te über sie her. Ein di­cker Ne­ger spal­te­te dem Ka­pi­tän den Kopf, und einen Au­gen­blick spä­ter wa­ren auch die an­de­ren nie­der­ge­schla­gen, teils tot, teils durch Dut­zen­de von Schlä­gen und Schüs­sen ver­wun­det.



Kurz und grau­sig war das Werk der Meu­te­rer auf der »Fu­wal­da«, und bei all die­sen Vor­gän­gen stand John Clay­ton un­be­küm­mert an die Schiff­strep­pe an­ge­lehnt, rauch­te nach­denk­lich sei­ne Pfei­fe, als ob er ei­ner gleich­gül­ti­gen Kricket­par­tie zu­sä­he.



Als der letz­te Of­fi­zier ge­fal­len war, dach­te er dar­an, dass es Zeit sei, zu sei­ner Frau zu­rück­zu­ge­hen, da sonst ei­ner von der Mann­schaft sie al­lein fin­den könn­te.



Ob­gleich äu­ßer­lich ru­hig und gleich­gül­tig, war Clay­ton doch ängst­lich und er­regt, denn er fürch­te­te für die Si­cher­heit sei­ner Frau in der Nähe die­ser Ent­mensch­ten, in de­ren Hän­de das Schick­sal sie so un­barm­her­zig ge­wor­fen hat­te.



Als er sich um­dreh­te, um die Trep­pe hin­un­ter­zu­stei­gen, sah er zu sei­ner Über­ra­schung sei­ne Frau auf den Stu­fen ste­hen.



Seit wann bist du hier, Ali­ce?



Von An­fang an, ant­wor­te­te sie. Wie schreck­lich, John! O, wie schreck­lich! Das kön­nen wir aus den Hän­den sol­cher Men­schen er­war­ten?



Ein Früh­stück, hof­fe ich, ant­wor­te­te er, tap­fer lä­chelnd, um ihre Furcht zu zer­streu­en.



Ich will sie we­nigs­tens fra­gen, füg­te er hin­zu. Komm mit mir, Ali­ce. Wir dür­fen sie nicht glau­ben las­sen, dass wir et­was an­de­res als eine höf­li­che Be­hand­lung von ih­nen er­war­ten.



Un­ter­des­sen um­ring­ten die Ma­tro­sen die to­ten und ver­wun­de­ten Of­fi­zie­re, und ohne Un­ter­schied und ohne Mit­leid be­gan­nen sie, Tote und Ver­wun­de­te über Bord zu wer­fen. Mit der­sel­ben Herz­lo­sig­keit ver­fuh­ren sie mit ih­ren ei­ge­nen Ver­wun­de­ten und mit den Lei­chen drei­er See­leu­te, de­nen ein gü­ti­ges Ge­schick einen so­for­ti­gen Tod durch die Ku­geln der Of­fi­zie­re be­schie­den hat­te.



Plötz­lich be­merk­te ei­ner von der Mann­schaft die sich nä­hern­den Clay­tons, und mit dem Rufe: Hier sind noch zwei für die Fi­sche! stürz­te er mit er­ho­be­ner Axt auf sie zu.



Aber der schwar­ze Mi­chel war flin­ker, so­dass der Ka­me­rad, ehe er noch ei­ni­ge Schrit­te ge­macht hat­te, durch einen Schuss nie­der­ge­streckt war.



Mit lau­tem Ru­fen zog er die Auf­merk­sam­keit der an­de­ren auf sich, und, auf Lord und Lady Grey­sto­ke zei­gend, rief er: Die­se sind mei­ne Freun­de, und sie sol­len in Ruhe ge­las­sen wer­den. Ver­steht ihr? Ich bin jetzt Ka­pi­tän die­ses Schif­fes, und was ich be­feh­le, ge­schieht, füg­te er, sich zu den Clay­tons wen­dend, hin­zu. Blei­ben Sie für sich al­lein, und kein Mensch wird Ih­nen ein Leid zu­fü­gen! Da­bei sah er dro­hend zu sei­nen Ka­me­ra­den hin­über.



Die Clay­tons be­ach­te­ten denn auch die An­wei­sun­gen des schwar­zen Mi­chels so ge­nau, dass sie nur we­nig von der Mann­schaft sa­hen und nichts von den Plä­nen der Leu­te er­fuh­ren.



Ge­le­gent­lich hör­ten sie einen schwa­chen Wi­der­hall von Zank und Streit zwi­schen den Meu­te­rern, und zwei Mal er­schüt­ter­ten Schüs­se die stil­le Luft. Der schwar­ze Mi­chel eig­ne­te sich aber sehr gut zum Füh­rer die­ses zu­sam­men­ge­wür­fel­ten Vol­kes, denn er ver­stand es, sie in sei­ner Ge­walt zu be­hal­ten.



Am fünf­ten Tage nach der Er­mor­dung der Of­fi­zie­re wur­de vom Aus­guck Land ge­mel­det. Ob es eine In­sel oder Fest­land war, wuss­te der schwar­ze Mi­chel nicht, aber er kün­de­te Clay­ton an, dass, wenn es sich her­aus­stell­te, dass die Ge­gend be­wohn­bar sei, er und Lady Grey­sto­ke mit ih­rem Ge­päck dort an Land ge­setzt wer­den soll­ten.



Für ein paar Mo­na­te wer­den Sie dort gut auf­ge­ho­ben sein, er­klär­te er ih­nen, und un­ter­des­sen wer­den wir wohl an ir­gend­ei­ner un­be­wohn­ten Küs­te lan­den und uns zer­streu­en kön­nen. Dann will ich der bri­ti­schen Re­gie­rung mel­den, wo Sie sind und sie wird bald ein Kriegs­schiff sen­den, um Sie ab­zu­ho­len. Es wäre eine schwie­ri­ge Sa­che, Sie in ei­ner zi­vi­li­sier­ten Ge­gend lan­den zu las­sen, ohne dass eine Men­ge Fra­gen ge­stellt wür­den, die kei­ner von uns glaub­haft be­ant­wor­ten könn­te.



Clay­ton wehr­te sich ge­gen die Un­mensch­lich­keit, sie an ei­ner un­be­kann­ten Küs­te zu lan­den und den wil­den Tie­ren und viel­leicht noch wil­de­ren Men­schen preis­zu­ge­ben.



Sei­ne Wor­te wa­ren aber ver­geb­lich und nur ge­eig­net, den schwar­zen Mi­chel zu er­zür­nen. Schließ­lich ließ er es da­bei be­wen­den, und such­te nur noch sei­ner üb­len Lage die bes­te Sei­te ab­zu­ge­win­nen.



Ge­gen drei Uhr nach­mit­tags ka­men sie in die Nähe ei­ner wun­der­vol­len be­wal­de­ten Küs­te, an der eine Lan­dungs­stel­le zu sein schi­en.



Der schwar­ze Mi­chel sand­te ein klei­nes, mit ei­ni­gem Mann be­setz­tes Boot aus, um zu un­ter­su­chen, ob die »Fu­wal­da« dort ein­fah­ren könn­te.



Nach etwa ei­ner Stun­de kehr­ten sie zu­rück und mel­de­ten, das Was­ser sei tief ge­nug, so­wohl in der Ein­fahrt, als auch im In­nern der Bucht.



Ehe es dun­kel­te, lag das Schiff fried­lich vor An­ker auf der stil­len, spie­gel­glat­ten Flä­che des Bu­sens.



Die Um­ge­bung des Stran­des war von präch­ti­gem, halb­tro­pi­schem Grün be­wach­sen, wäh­rend in der Fer­ne die Ge­gend, die sich als Hü­gel- und Ta­fel­land vom Ozean ab­hob, fast lücken­los mit Ur­wald be­deckt war.



Kein Zei­chen ei­ner mensch­li­chen Woh­nung war sicht­bar, aber dass Men­schen sehr wohl dort le­ben konn­ten, be­wies die Fül­le der Vö­gel und an­de­ren Tie­re, die man vom Deck der »Fu­wal­da« er­blick­te, als auch der Schim­mer ei­nes klei­nen Flus­ses, der in die Bucht mün­de­te und fri­sches Was­ser in Fül­le spen­de­te.



Als sich die Nacht auf die Erde senk­te, stan­den Clay­ton und sei­ne Frau noch an der Re­ling, in stil­les Nach­den­ken über ihr künf­ti­ges Schick­sal ver­sun­ken. Aus dem fins­te­ren Schat­ten des mäch­ti­gen Wal­des ka­men die Lock­ru­fe der wil­den Tie­re.



Das dump­fe Brül­len des Lö­wen und ge­le­gent­lich der schril­le Schrei ei­nes Pan­thers.



Die Frau drück­te sich fes­ter an ih­ren Mann, von ah­nungs­vol­lem Schau­der er­grif­fen über das Grau­si­ge, das im schreck­li­chen Dun­kel der kom­men­den Näch­te vor ih­nen lag, wenn sie bei­de ganz al­lein auf die­ser wil­den ein­sa­men Küs­te sein wür­den.



Spät am Abend kam der schwar­ze Mi­chel zu ih­nen und wies sie an, ihre Vor­be­rei­tun­gen zu ih­rer für den nächs­ten Tag an­ge­setz­ten Lan­dung zu tref­fen. Sie ver­such­ten ihn zu be­we­gen, sie an ei­ner wohn­li­che­ren Küs­te zu lan­den, so­dass sie hof­fen könn­ten, in freund­li­che Hän­de zu fal­len, aber kei­ne Bit­ten, kei­ne Dro­hun­gen und kei­ne Ver­spre­chun­gen konn­ten ihn rüh­ren.



Er ant­wor­te­te ih­nen:



Ich bin der ein­zi­ge Mann an Bord, der Sie bei­de nicht lie­ber tot sähe, und wenn ich auch weiß, dass dies der ein­zig ver­nünf­ti­ge Weg wäre, un­sern ei­ge­nen Kopf zu si­chern, so ist der schwar­ze Mi­chel doch nicht der Mann, der eine Wohl­tat ver­gisst. Sie ha­ben mir ein­mal das Le­ben ge­ret­tet, — ich ret­te das Ih­ri­ge, aber das ist auch al­les, was ich tun kann. Die Leu­te wol­len sich nicht län­ger hier auf­hal­ten, und wenn wir Sie nicht schnells­tens lan­den, so könn­ten sie leicht an­de­ren Sin­nes wer­den. Ich will al­les, was Ih­nen ge­hört, ans Land set­zen, eben­so Kü­chen­ge­rä­te und ei­ni­ge alte Se­gel­tü­cher für Zel­te und ge­nug Es­sen, bis sie Früch­te und Wild fin­den wer­den. Da Sie auch ihre Ge­weh­re zum Schutz ha­ben, kön­nen Sie hier leicht le­ben, bis Hil­fe kommt. Wenn ich glück­lich von hier fort bin, will ich se­hen, dass die bri­ti­sche Re­gie­rung er­fährt, wo Sie sind. Wo ich in Zu­kunft le­ben wer­de, kann ich Ih­nen nicht ge­nau sa­gen, denn ich weiß es selbst noch nicht. Aber man wird Sie schon fin­den.

 



Als der schwar­ze Mi­chel fort war, ging das jun­ge Paar schwei­gend hin­un­ter; bei­de wa­ren in düs­te­re Ah­nun­gen ver­sun­ken.



Clay­ton glaub­te nicht, dass der schwar­ze Mi­chel auch nur im Ge­rings­ten die Ab­sicht hat­te, die bri­ti­sche Re­gie­rung von ih­rem Auf­ent­halt zu be­nach­rich­ti­gen. Auch war er nicht si­cher, dass nicht ir­gend­ein Ver­rat für den nächs­ten Tag be­ab­sich­tigt war, wenn sie mit den See­leu­ten lan­de­ten, die sie mit ih­rem Ge­päck be­glei­ten soll­ten. So­bald sie aus des schwar­zen Mi­chels Sicht wa­ren, konn­ten ei­ni­ge der Leu­te sie nie­der­schla­gen, so­dass das Ge­wis­sen des schwar­zen Mi­chels rein blieb.



Und selbst wenn sie die­sem Schick­sal ent­gin­gen, sa­hen sie nicht noch schwe­re­ren Ge­fah­ren ent­ge­gen? Wäre er al­lein ge­we­sen, so hät­te er hof­fen kön­nen, noch vie­le Jah­re zu le­ben, denn er war ein kräf­ti­ger, ath­le­tisch ge­bau­ter Mann.



Aber was wür­de aus Ali­ce und dem an­de­ren klei­nen Le­ben wer­den, das schon so früh den Müh­se­lig­kei­ten und schwe­ren Ge­fah­ren ei­ner Wild­nis aus­ge­setzt wür­de?



Der Mann er­schau­er­te, als er über den schreck­li­chen Ernst und die fürch­ter­li­che Hilf­lo­sig­keit ih­rer Lage nach­dach­te. Aber eine gü­ti­ge Vor­se­hung be­wahr­te ihn da­vor, die schreck­li­che Wirk­lich­keit vor­aus­zu­se­hen, die sie in den Tie­fen des düs­te­ren Wal­des er­war­te­te.



Am nächs­ten Mor­gen wur­den in al­ler Frü­he ihre zahl­rei­chen Kof­fer und Kis­ten aufs Deck be­för­dert und in be­reit­lie­gen­de Boo­te her­un­ter­ge­las­sen, die sie an Land brin­gen soll­ten.



Es war eine große Men­ge der ver­schie­den­ar­tigs­ten Sa­chen, denn da die Clay­tons mit der Mög­lich­keit ge­rech­net hat­ten, fünf bis acht Jah­re in ih­rem neu­en Auf­ent­halts­ort zu blei­ben, so hat­ten sie ne­ben dem Not­wen­di­gen auch vie­le Lu­xussa­chen mit­ge­nom­men.



Der schwar­ze Mi­chel sorg­te da­für, dass nichts von Clay­tons Ei­gen­tum an Bord blieb. Ob aus Mit­leid für sie oder in sei­nem ei­ge­nen In­ter­es­se, wäre schwer zu sa­gen. Auf alle Fäl­le wäre das Vor­han­den­sein von Ei­gen­tum ei­nes ver­miss­ten bri­ti­schen Be­am­ten auf ei­nem ver­däch­ti­gen Schiff in je­dem zi­vi­li­sier­ten Ha­fen schwer zu er­klä­ren ge­we­sen. Der schwar­ze Mi­chel war denn auch so eif­rig be­müht, über die Aus­füh­rung sei­ner An­ord­nung zu wa­chen, dass er bei den See­leu­ten so­gar dar­auf drang, Clay­ton sei­ne Re­vol­ver zu­rück­zu­ge­ben.



In die Boo­te wur­den auch ver­la­den: Salz­fleisch und Schiffs­zwie­back, et­was Kar­tof­feln und Boh­nen, Streich­höl­zer und Koch­ge­schirr, ein Werk­zeug­kas­ten und die al­ten Se­gel, die der schwar­ze Mi­chel ih­nen ver­spro­chen hat­te.



Als ob der schwar­ze Mi­chel die­sel­ben Be­fürch­tun­gen ge­hegt hät­te, wie Clay­ton, be­glei­te­te er die bei­den an Land, und ver­liest sie als letz­ter, nach­dem die See­leu­te die mit­ge­nom­me­nen Schiff­ston­nen mit fri­schem Trink­was­ser ge­füllt hat­ten.



Als die Boo­te sich lang­sam über die glat­ten Was­ser der Bucht be­weg­ten, sa­hen Clay­ton und sein Weib schwei­gend de­ren Ab­fahrt zu, mit ei­nem Ge­fühl von dro­hen­dem Un­glück und äu­ßers­ter Hilf­lo­sig­keit.



Und hin­ter ih­nen, über dem Rand ei­nes nied­ri­gen Hü­gels, lau­er­ten auf sie an­de­re böse Au­gen, die un­ter zot­ti­gen Brau­en leuch­te­ten.



Als die »Fu­wal­da« durch die enge Aus­fahrt der Bucht fuhr und ih­nen hin­ter ei­ner Land­spit­ze au­ßer Sicht kam, schlang Lady Ali­ce ihre Arme um Clay­tons Hals und brach in ein fas­sungs­lo­ses Schluch­zen aus.



Tap­fer hat­te sie die Ge­fah­ren der Meu­te­rei über sich er­ge­hen las­sen und mit hel­den­mü­ti­ger Stär­ke der schreck­li­chen Zu­kunft ent­ge­gen­ge­se­hen, aber nun, da die Schre­cken der völ­li­gen Ver­las­sen­heit sie über­fie­len, lie­ßen ihre über­reiz­ten Ner­ven nach und der Rück­schlag trat ein.



Ihr Mann ver­such­te nicht, ihre Trä­nen zu hem­men. Es war bes­ser, der Na­tur ih­ren Lauf zu las­sen, da­mit die lang ver­hal­te­ne Ge­müts­be­we­gung sich aus­lös­te, und es ver­ging man­che Mi­nu­te, ehe das jun­ge Weib, das ei­gent­lich noch ein Kind war, sich wie­der be­herr­schen konn­te.



O John, rief sie schließ­lich, wie ent­setz­lich! Was fan­gen wir an? Was sol­len wir nur tun?



Wir kön­nen nur eins tun, Ali­ce, und er sprach so ru­hig, als ob sie in ih­rem trau­li­chen Heim sä­ßen, und das ist ar­bei­ten! Die Ar­beit muss un­ser Heil sein. Wir dür­fen uns kei­ne Zeit zum Nach­den­ken las­sen, denn sonst wür­den wir ver­rückt wer­den. Wir müs­sen ar­bei­ten und war­ten. Ich bin si­cher, dass Hil­fe kom­men wird und dass sie schnell kommt, so­bald es be­kannt wird, dass die »Fu­wal­da« ver­lo­ren ist, selbst wenn der schwar­ze Mi­chel sein Wort nicht hal­ten soll­te.



Ja, John, wenn es sich nur um uns bei­de han­del­te, sag­te sie seuf­zend, so könn­ten wir es schon aus­hal­ten, das weiß ich, aber —



Lie­bes Weib, ant­wor­te­te er sanft, ich habe dar­an ge­dacht, aber wir müs­sen auch mit die­sem Er­eig­nis rech­nen, wie mit al­lem, was noch kom­men wird, tap­fer und mit Ver­trau­en in un­se­re Ge­schick­lich­keit. Vor hun­dert­tau­send Jah­ren stan­den un­se­re Vor­fah­ren ei­ner ent­le­ge­nen düs­te­ren Ver­gan­gen­heit vor den­sel­ben Schwie­rig­kei­ten wie wir jetzt, viel­leicht so­gar in die­sem sel­ben Ur­wal­de. Dass wir heu­te hier sind, ist ein Be­weis ih­res Sie­ges. Was sie ta­ten, soll­ten wir es nicht auch tun? Und so­gar bes­ser, denn sind wir nicht mit hö­he­rem Wis­sen aus­ge­rüs­tet, und be­sit­zen wir nicht Schuss-, Ver­tei­di­gungs- und Ver­pfle­gungs­mit­tel, die die Wis­sen­schaft uns gab, die je­nen aber noch völ­lig un­be­kannt wa­ren? Was sie mit un­voll­kom­me­nen Werk­zeu­gen und Waf­fen aus Stein und Kno­chen voll­brach­ten, das kön­nen wir si­cher auch.



Ach John, ich wünsch­te ein Mann zu sein mit der Phi­lo­so­phie ei­nes Man­nes, aber ich bin bloß ein Weib, das mehr mit dem Her­zen als mit dem Ver­stand sieht, und al­les, was ich sehe, ist zu schreck­lich, zu un­denk­bar, als dass ich es in Wor­te fas­sen könn­te. Ich hof­fe nur, dass du recht hast, John. Ich will mein Bes­tes tun, um eine wa­cke­re Ur­wald­frau zu sein, der tap­fe­re Ka­me­rad ei­nes Wild­nis­man­nes.



Clay­tons ers­ter Ge­dan­ke war, ein Ob­dach für die Nacht her­zu­stel­len, worin sie vor den um­her­strei­chen­den Raub­tie­ren ge­schützt wä­ren.



Er öff­ne­te den Kof­fer, der sei­ne Ge­weh­re und die Mu­ni­ti­on ent­hielt, da­mit sie we­nigs­tens be­waff­net wä­ren, wenn sie über der Ar­beit an­ge­grif­fen wür­den, und dann such­ten sie einen Ort für ihre ers­te Nachtru­he.



Etwa hun­dert Me­ter vom Ufer war eine ziem­lich lich­te, ebe­ne Stel­le, und sie be­schlos­sen, ge­ge­be­nen­falls hier ein fes­tes Haus zu bau­en. Vor­läu­fig hiel­ten sie es aber für das Bes­te, eine klei­ne Platt­form in den Bäu­men zu er­rich­ten und zwar so hoch, dass sie au­ßer der Reich­wei­te der wil­den Tie­re wä­ren. Zu die­sem Zweck wähl­te Clay­ton vier im Recht­eck ste­hen­de Bäu­me aus, die etwa acht Fuß von­ein­an­der ent­fernt wa­ren. Dann hieb er von an­de­ren Bäu­men lan­ge Äste ab und band die­se mit den Stri­cken, die ihm der schwar­ze Mi­chel über­las­sen hat­te, etwa zehn Fuß über der Erde an den er­wähn­ten vier Bäu­men fest.



So hat­te er ein Gerüst, über das er dann dün­ne­re Äste eng zu­sam­men­leg­te, um einen Fuß­bo­den in der Höhe her­zu­stel­len. Die­sen Bo­den be­leg­te er mit rie­si­gen We­deln von »Ele­fan­te­nohr«, das rings­um mas­sen­haft wuchs, und zu­letzt noch mit ei­nem großen mehr­fach ge­fal­te­ten Se­gel­tu­che.



Sie­ben Fuß hö­her leg­te er in ähn­li­cher Wei­se ein Dach an. Die Wän­de des Ge­ma­ches aber stell­te er ein­fach da­durch her, dass er rings her­um Se­gel­tuch auf­häng­te.



Als die­ses vollen­det war, hat­te er ein ziem­lich ge­müt­li­ches, klei­nes Nest, in das er Bett­de­cken und ei­ni­ges von dem leich­ten Ge­päck trug.



Es war in­zwi­schen Spät­nach­mit­tag ge­wor­den, und die Abend­stun­den wur­den dazu be­nützt, um eine kräf­ti­ge Lei­ter her­zu­stel­len, auf der Lady Ali­ce in ihr neu­es Heim ge­lan­gen konn­te. Den gan­zen Tag über war der Wald voll von leb­haf­ten, präch­tig ge­fie­der­ten Vö­geln und von sprin­gen­den, schwat­zen­den Af­fen ge­we­sen, die die­se neu­en An­kömm­lin­ge und ih­ren wun­der­vol­len Nest­bau mit al­len Zei­chen des In­ter­es­ses be­trach­te­ten.



Ob­wohl Clay­ton und sei­ne Frau scharf auf­pass­ten, sa­hen sie kei­ne grö­ße­ren Tie­re, aber zwei­mal ka­men ihre klei­nen Af­fen­nach­barn her­bei, sa­hen schrei­end und schwat­zend zu und zo­gen of­fen­bar er­schreckt über die ge­heim­nis­vol­len Vor­gän­ge, die sie hier be­ob­ach­te­ten, wie­der ab.



Als die Nacht her­ein­ge­bro­chen war, hat­te Clay­ton die Lei­ter fer­tig, und als er einen großen Be­häl­ter mit Was­ser aus dem na­hen Fluss ge­füllt hat­te, stie­gen die bei­den in ihr ver­hält­nis­mä­ßig si­che­res, luf­ti­ges Ge­mach.



Da es warm war, hat­te Clay­ton die Sei­ten­vor­hän­ge über das Dach zu­rück­ge­schla­gen. Als sie nun sich wie Tür­ken über ihre Bett­de­cken kau­er­ten, schrie Lady Ali­ce, die an­ge­strengt in die dun­keln Schat­ten des Wal­des hin­aus­sah, plötz­lich auf, in­dem sie Clay­tons Arm er­fass­te.



John! flüs­ter­te sie. Sieh doch! Was ist das? Ein Mann! Als Clay­ton zur an­ge­ge­be­nen Rich­tung schau­te, sah er die Schat­ten­ris­se ei­ner großen, auf­recht­ste­hen­den Ge­stalt. Ei­nen Au­gen­blick stand sie hor­chend still, dreh­te sich lang­sam um und ver­schwand im Schat­ten des Dickichts.



Was ist das, John?



Ich weiß es nicht, Ali­ce, ant­wor­te­te er ernst, es ist zu dun­kel, um so weit zu se­hen, und es war viel­leicht nur ein Schat­ten, den der aus­ge­hen­de Mond ge­wor­fen hat.



Nein, John, es war kein Mann, es war eine rie­si­ge, gro­tes­ke Ka­ri­ka­tur ei­nes Men­schen. O, wie ich mich fürch­te!



Er schloss sie in sei­ne Arme, ihr lie­be und er­mu­ti­gen­de Wor­te ins Ohr flüs­ternd, denn für ihn gab es nichts Schmerz­li­che­res, als die Angst sei­nes jun­gen Wei­bes. Er ver­stand die­se Angst sehr wohl, ob­schon er selbst tap­fer und furcht­los war, — eine sel­te­ne Gabe, wenn auch nur eine der vie­len Ei­gen­schaf­ten, die ihn bei al­len, die ihn kann­ten, be­liebt ge­macht hat­te. Bald dar­auf ließ er die Vor­hän­ge her­un­ter, be­fes­tig­te sie an den Bäu­men und ließ nur eine klei­ne Öff­nung zum Ufer hin frei.



Als es nun in ih­rem luf­ti­gen, klei­nen Rau­me stock­dun­kel war, leg­ten sie sich auf die De­cken und ver­such­ten im Schlaf ihre trau­ri­ge Lage zu ver­ges­sen.



Clay­ton leg­te Büch­se und Re­vol­ver ne­ben sich und sah im­mer zur Öff­nung hin.



Kaum hat­ten sie die Au­gen ge­schlos­sen, als der schre­cken­er­re­gen­de Schrei ei­nes Pan­thers hin­ter ih­nen aus dem Dschun­gel er­scholl. Es kam nä­her und na­her, bis sie das große Tier un­mit­tel­bar un­ter sich hör­ten.



Über eine Stun­de lang hör­ten sie es schnup­pernd und an den Bäu­men un­ter ih­nen krat­zend, bis es sich schließ­lich zum Strand ver­zog, wo Clay­ton es deut­lich im hel­len Mond­schein er­kann­te — ein großes, schö­nes Tier, das größ­te, das er je ge­se­hen.



In den lan­gen Nacht­stun­den fan­den sie we­nig Schlaf, denn die Nacht­ge­räusche des von My­ria­den von Tie­ren wim­meln­den Dschun­gels hiel­ten ihre über­reiz­ten Ner­ven wach, so­dass sie hun­dert�