Tarzan – Band 1 – Tarzan und die weiße Frau

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Kala war die gan­ze Zeit über mit ih­rem an­ge­nom­me­nen Kin­de auf dem mäch­ti­gen Bau­me ge­blie­ben, aber Ker­schak rief sie mit den an­de­ren her­un­ter, und da sei­ne Stim­me kei­nen Zorn ver­riet, ließ sie sich leicht von ei­nem Ast auf den an­de­ren her­un­ter und ge­sell­te sich zu den an­de­ren auf den Heim­weg.

Wenn ein­zel­ne ver­such­ten, Kalas merk­wür­di­ges Kind zu be­se­hen, so zeig­te sie ih­nen knur­rend die Zäh­ne und stieß sie war­nend zu­rück.

Als sie aber ver­si­cher­ten, dass sie dem Kin­de kein Leid an­tun woll­ten, er­laub­te Kala ih­nen, nä­her­zu­kom­men, aber nie­mand durf­te es an­rüh­ren.

Kala schi­en zu wis­sen, dass ihr Säug­ling zart und ge­brech­lich sei, und sie fürch­te­te, dass die rau­en Hän­de ih­rer Ka­me­ra­den das klei­ne We­sen ver­let­zen könn­ten. Sie dach­te an den Tod ih­res ei­ge­nen Jun­gen, und um nicht auch ihr neu­es Kind zu ver­lie­ren, drück­te sie die­ses auf dem Mar­sche fest an sich, so­dass der Weg für sie na­tür­lich sehr be­schwer­lich war.

Die an­de­ren Jun­gen rit­ten auf den Rücken ih­rer Müt­ter, wo­bei sie die klei­nen Arme fest um den haa­ri­gen Hals leg­ten, wäh­rend ihre Bei­ne sich un­ter den Ach­sel­höh­len der Mut­ter fest­hiel­ten.

Der klei­ne Lord Grey­sto­ke war an der Brust sei­ner neu­en Mut­ter bes­ser ge­bor­gen, und sei­ne Händ­chen spiel­ten mit den lan­gen schwar­zen Haa­ren ih­res Bu­sens.

Der weiße Affe

Kala pfleg­te ih­ren klei­nen Find­ling zärt­lich, wun­der­te sich in­des­sen im Stil­len, warum er nicht so kräf­tig und so ge­wandt wur­de, wie die klei­nen Af­fen der an­de­ren Müt­ter. Es war nun bei­na­he ein Jahr, das der klei­ne Schelm in ih­ren Be­sitz ge­lang­te, und doch konn­te er kaum al­lein ge­hen, und was gar das Klet­tern be­traf, — o du mei­ne Güte! wie dumm war er da­bei!

Manch­mal un­ter­hielt sich Kala mit den an­de­ren Weib­chen über ihr hoff­nungs­vol­les Kind, aber sie konn­ten nicht ver­ste­hen, dass ein Kind so lang­sam für sich selbst sor­gen lern­te. Schon mehr als zwölf Mo­na­te wa­ren ver­gan­gen, seit Kala das Jun­ge mit­ge­bracht hat­te, und es konn­te noch nicht ein­mal al­lein Fut­ter su­chen.

Hät­ten sie gar ge­wusst, dass das Kind schon drei­zehn Mo­na­te alt war, als es in Kalas Be­sitz kam, so hät­ten sie den Fall als völ­lig hoff­nungs­los an­ge­se­hen, denn die klei­nen Af­fen ih­res Stam­mes wa­ren in zwei bis drei Mo­na­ten der­art fort­ge­schrit­ten, wie die­ser Find­ling in fünf­und­zwan­zig Mo­na­ten. Tu­blat, Kalas Ehe­mann, war sehr är­ger­lich, und wenn das Weib­chen nicht so wach­sam und be­sorgt ge­we­sen wäre, hät­te er das Jun­ge bei­sei­te ge­schafft.

Er wird nie­mals ein großer Affe wer­den, sag­te er. Im­mer wirst du ihn zu tra­gen und zu be­schüt­zen ha­ben. Was kann er dem Stam­me nüt­zen? Nichts! Er wird nur eine Last sein! Wir wol­len ihn in das hohe Gras le­gen und ihn dort ru­hig ein­schla­fen las­sen. Dann kannst du Mut­ter an­de­rer, stär­ke­rer, jun­ger Af­fen wer­den, die uns in un­sern al­ten Ta­gen pfle­gen kön­nen.

Nie­mals, ge­bro­che­ne Nase, ant­wor­te­te Kala, ich be­hal­te ihn, und wenn ich ihn mein gan­zes Le­ben lang tra­gen müss­te.

Und dann ging Tu­blat zu Ker­schak und dräng­te ihn, sei­ne Au­to­ri­tät bei Kala gel­tend zu ma­chen, dass sie Tar­zan auf­ge­ben soll­te; so nann­ten sie näm­lich den klei­nen Lord Grey­sto­ke: Tar­zan, das heißt Weiß­haut.

Als aber Ker­schak mit Kala dar­über sprach, droh­te sie, vom Stam­me weg­zu­lau­fen, wenn man sie mit dem Kin­de nicht in Ruhe lie­ße. Da das Fort­lau­fen ei­nes der un­ver­äu­ßer­li­chen Rech­te des Dschun­gel­volks ist, so­bald ein Mit­glied mit den An­ge­hö­ri­gen un­zu­frie­den ist, so plag­te man Kala wei­ter nicht mehr da­mit, denn sie war ein wohl­ge­bau­tes, jun­ges Weib und man moch­te sie nicht ver­lie­ren.

Als Tar­zan her­an­wuchs, mach­te er schnel­le­re Fort­schrit­te, so­dass er mit zehn Jah­ren ein vor­züg­li­cher Klet­te­rer war, und auf der Erde konn­te er so wun­der­vol­le Din­ge aus­füh­ren, wie sie sei­ne klei­nen Brü­der und Schwes­tern nicht fer­tig be­ka­men. In man­chen Din­gen un­ter­schied er sich von ih­nen, und sie staun­ten oft über sei­ne über­ra­gen­de Ge­schick­lich­keit, aber in Be­zug auf Kräf­te und Wachs­tum war er sehr zu­rück­ge­blie­ben, denn mit zehn Jah­ren wa­ren die großen Men­schen­af­fen voll er­wach­sen; man­che von ih­nen wa­ren über sechs Fuß hoch, wäh­rend der klei­ne Tar­zan erst ein halb­er­wach­se­ner Kna­be war.

Und doch — was für ein Jun­ge war er!

Von frü­he­s­ter Ju­gend an hat­te er sei­ne Hän­de dar­in ge­übt, sich nach dem Bei­spiel sei­ner Rie­sen­mut­ter von Ast zu Ast zu schwin­gen, und als er grö­ßer wur­de, ver­brach­te er gan­ze Stun­den da­mit, mit sei­nen Brü­dern und Schwes­tern von ei­ner Baum­kro­ne zur an­de­ren zu klet­tern.

Er konn­te in der schwin­deln­den Höhe der Baum­kro­nen zwan­zig Fuß weit sprin­gen und mit un­fehl­ba­rer Ge­nau­ig­keit einen vom Wir­bel­sturm be­weg­ten Ast er­grei­fen.

Er konn­te sich zwan­zig Fuß tief in ra­schem Ab­stieg von Ast zu Ast her­un­ter­fal­len las­sen, und er konn­te den höchs­ten Gip­fel des stol­zes­ten tro­pi­schen Rie­sen mit der Schnel­lig­keit ei­nes Eich­hörn­chens er­klet­tern. Ob­schon er erst zehn Jah­re zähl­te, war er kräf­tig wie ein Durch­schnitts­mensch von drei­ßig Jah­ren und be­hän­der als die meis­ten ge­üb­ten Ath­le­ten es je wer­den. Und sei­ne Kräf­te wuch­sen von Tag zu Tag.

Sein Le­ben un­ter die­sen wil­den Af­fen war glück­lich, denn in sei­ner Erin­ne­rung gab es kein an­de­res Le­ben; auch wuss­te er nicht, dass es im Wel­tall au­ßer die­sem Wald und den Dschun­gel­tie­ren, mit de­nen er ver­traut war, noch et­was an­de­res gab.

Er war schon fast zehn Jah­re alt, als er an­fing, zu er­ken­nen, dass ein Un­ter­schied zwi­schen ihm und sei­nen Ka­me­ra­den be­stand. Sein klei­ner, von der Son­ne ge­bräun­ter Kör­per ver­ur­sach­te ihm plötz­lich ein tie­fes Scham­ge­fühl, denn er er­kann­te, dass er voll­stän­dig un­be­haart war, wie eine Schne­cke oder ein Rep­til.

Er ver­such­te die­sem Übel­stand ab­zu­hel­fen, in­dem er sich von Kopf bis zu den Fü­ßen mit Lehm be­klei­de­te, aber die­ser trock­ne­te und fiel ab. Au­ßer­dem fühl­te er sich so un­be­hag­lich da­bei, dass er sich lie­ber schäm­te, als die Un­be­quem­lich­keit wei­ter auf sich zu neh­men.

In dem hö­her ge­le­ge­nen Land­strich, in dem sich sein Stamm auf­hielt, war ein klei­ner See und in des­sen kla­ren stil­len Was­ser sah Tar­zan zu­erst sein Spie­gel­bild.

An ei­nem schwü­len Tag der tro­ckenen Jah­res­zeit ging er mit ei­nem sei­ner Vet­tern an das Ufer, um zu trin­ken. Als sie sich hin­über­beug­ten, spie­gel­te die ru­hi­ge Flä­che bei­der Ge­sich­ter wie­der: die wil­den, schreck­li­chen Ge­sichts­zü­ge des Af­fen, ne­ben de­nen des ari­sto­kra­ti­schen Spröss­lings ei­nes al­ten eng­li­schen Hau­ses.

Tar­zan war ent­setzt. Es war schon schlimm ge­nug, un­be­haart zu sein, aber wie konn­te er nur eine sol­che Ge­sichts­bil­dung ha­ben! Er wun­der­te sich, dass die an­de­ren Af­fen ihn über­haupt noch an­sa­hen.

Die­ser klei­ne Schlitz von ei­nem Mund und die­se win­zi­gen, klei­nen Zäh­ne! Wie küm­mer­lich sa­hen die­se aus ne­ben den mäch­ti­gen Lip­pen und den ge­wal­ti­gen Fän­gen sei­ner glück­li­che­ren Brü­der! Und die­se klei­ne, schma­le Nase, so dünn, dass sie halb ver­küm­mert aus­sah. Er er­rö­te­te, als er sie mit den schö­nen, brei­ten Nüs­tern sei­nes Ge­fähr­ten ver­glich. Wel­che groß­ar­ti­ge Nase! Sie be­deck­te ja das hal­be Ge­sicht. Es muss doch ge­wiss schön sein, so statt­lich aus­zu­se­hen, dach­te der arme klei­ne Tar­zan.

Aber als er in sei­ne ei­ge­nen Au­gen sah, da war er noch mehr ent­setzt: ein brau­ner Fleck, ein grau­er Kreis, und dann rei­nes Weiß! Fürch­ter­lich! Die Schlan­gen hat­ten nicht ein­mal so häss­li­che Au­gen wie er.

Er war so sehr in die Be­trach­tung sei­ner Ge­sichts­zü­ge ver­tieft, dass er nicht hör­te, wie das hohe Gras sich hin­ter ihm teil­te und ein großer Kör­per sich ver­stoh­len durch den Dschun­gel schlich. Auch sein Ka­me­rad, der Affe, hör­te nichts, denn er trank, und das Geräusch sei­ner sau­gen­den Lip­pen und das Gur­geln über­tön­ten die lei­sen Schrit­te des Ein­dring­lings.

Kei­ne drei­ßig Schrit­te hin­ter den bei­den duck­te sich Sa­bor, die Rie­sen-Lö­win, in­dem sie den Schwanz hin und her warf. Vor­sich­tig be­weg­te sie ihre große Tat­ze vor­wärts, und sie setz­te sie ge­räusch­los nie­der, ehe sie die an­de­re hob. So schlich sie nä­her. Ihr Bauch be­rühr­te fast den Bo­den. Sie glich ganz ei­ner großen Kat­ze, die den Sprung auf ihre Beu­te vor­be­rei­tet.

Jetzt war sie bis auf etwa zehn Fuß an die zwei klei­nen, ah­nungs­lo­sen Spiel­ka­me­ra­den her­an­ge­kom­men. Sorg­fäl­tig zog sie ihre Hin­ter­fü­ße un­ter ih­ren Kör­per, wäh­rend die star­ken Mus­keln sich sicht­lich un­ter dem herr­li­chen Fell be­weg­ten.

Sie lag fast flach auf der Erde. Nur die obe­re Krüm­mung des glän­zen­den Rückens war sicht­bar, als sie sich zum Sprun­ge an­schick­te.

Nun we­del­te sie nicht mehr mit dem Schwei­fe; ru­hig und ge­ra­de lag er hin­ter ihr.

Ei­nen Au­gen­blick hielt sie inne, als ob sie in Stein ver­wan­delt wäre, und dann sprang sie mit ei­nem schreck­li­chen Schrei auf. Nun hät­te man den­ken kön­nen, das wäre von ihr un­klug ge­han­delt, denn ohne die­sen Schrei hät­te sie si­che­rer über ihre Op­fer her­fal­len kön­nen. Aber Sa­bor, die Lö­win, war eine klu­ge Jä­ge­rin. Sie kann­te das un­glaub­lich fei­ne Ge­hör und die er­staun­li­che Schnel­lig­keit des jun­gen Dschun­gel­vol­kes, und sie wuss­te, dass sie den mäch­ti­gen Sprung nicht ohne Geräusch aus­füh­ren konn­te. Der wil­de Schrei aber soll­te nicht eine War­nung sein, son­dern die ar­men Op­fer vor Schre­cken läh­men, wenn auch nur für eine Se­kun­de, die ihr ge­nüg­te, um ihre ge­wal­ti­gen Kral­len in das wei­che Fleisch zu schla­gen und sie am Ent­flie­hen zu ver­hin­dern.

 

Was den Af­fen be­traf, so war ihr Kunst­griff rich­tig. Der klei­ne Kerl duck­te sich einen Au­gen­blick zit­ternd, und die­ser Au­gen­blick wur­de zu sei­nem Ver­der­ben.

An­ders war es mit Tar­zan, dem Men­schen­kind. Sein Le­ben in­mit­ten der Ge­fah­ren des Dschun­gels hat­te ihn ge­lehrt, un­er­war­te­ten Vor­fäl­len mit Selbst­ver­trau­en zu be­geg­nen, und die Fol­ge sei­ner hö­he­ren Geis­tes­kräf­te war ein schnel­les Den­ken, das weit über den Fä­hig­kei­ten der Af­fen stand.

So reg­te der Schrei der Lö­win das Hirn und die Mus­keln des klei­nen Tar­zan zum au­gen­blick­li­chen Han­deln an.

Vor ihm lag das tie­fe Was­ser des Sees, hin­ter ihm der si­che­re Tod, ein grau­sa­mer Tod un­ter den Klau­en und zwi­schen den Fän­gen der Lö­win.

Tar­zan hat­te einen Ab­scheu vor dem Was­ser, so­weit es nicht dazu diente, sei­nen Durst zu stil­len. Sei­ne wil­de Mut­ter hat­te ihn auch ge­lehrt, das tie­fe Was­ser des Sees zu mei­den, und hat­te er nicht erst vor ei­ni­gen Wo­chen die klei­ne Ree­ta un­ter der glat­ten Flä­che ver­sin­ken se­hen, so­dass sie nie wie­der zu ih­rem Stamm zu­rück­kehr­te?

Aber von zwei Übeln wähl­te Tar­zan rasch ent­schlos­sen das klei­ne­re, und noch ehe Sa­bors Schrei an das Ende des stil­len Dschun­gels ge­drun­gen war und noch be­vor das Tier sei­nen Sprung halb aus­ge­führt hat­te, war Tar­zan in das kal­te Was­ser ge­sprun­gen, das über sei­nem Kop­fe zu­sam­menschlug. Er konn­te nicht schwim­men, und das Was­ser war sehr tief, aber er ver­lor auch nicht einen Au­gen­blick das Selbst­ver­trau­en und sei­ne Fin­dig­keit, die Kenn­zei­chen ei­nes hö­he­ren We­sens wa­ren.

Bei dem Ver­such, auf die Ober­flä­che zu ge­lan­gen, be­weg­te er schnell Hän­de und Bei­ne, und wahr­schein­lich mehr durch Zu­fall als durch Ab­sicht ahm­te er die Stö­ße ei­nes schwim­men­den Hun­des nach, so­dass er in ein paar Se­kun­den die Nase über Was­ser hat­te. So fand er, dass, wenn er sich wei­ter so be­weg­te, er wei­ter im Was­ser fort­kam.

Er war freu­dig über­rascht über die­se neue Fä­hig­keit, die er sich so schnell an­ge­eig­net hat­te, wenn er auch kei­ne Zeit hat­te, wei­ter dar­über nach­zu­den­ken.

Jetzt schwamm er am Ufer ent­lang, und dort sah er das wil­de Tier, das ihm nach­stell­te, über den leb­lo­sen Kör­per sei­nes klei­nen Spiel­ge­nos­sen ge­duckt.

Die Lö­win be­ob­ach­te­te Tar­zan ge­spannt; sie er­war­te­te of­fen­bar, dass er ans Land zu­rück­kehr­te.

Der Kna­be hü­te­te sich aber wohl da­vor. Er er­hob viel­mehr sei­ne Stim­me zu dem Hil­fe- und Warn­ruf, der bei den Af­fen üb­lich war.

Gleich dar­auf kam eine Ant­wort aus der Fer­ne, und in we­ni­gen Mi­nu­ten schwan­gen sich vier­zig bis fünf­zig große Af­fen schnell und ma­je­stä­tisch durch die Bäu­me, dem tra­gi­schen Schau­platz ent­ge­gen.

Al­len vor­an war Kala, denn sie hat­te die Stim­me ih­res lie­ben Kin­des er­kannt, und bei ihr war die Mut­ter des klei­nen Af­fen, der jetzt tot un­ter der schreck­li­chen Sa­bor lag.

Ob­schon die Lö­win mäch­ti­ger und bes­ser zum Kamp­fe aus­ge­rüs­tet war als die Af­fen, so hat­te sie doch kei­ne Lust, es mit ei­ner gan­zen Schar die­ser wü­ten­den großen Tie­re auf­zu­neh­men, und mit ei­nem är­ger­li­chen Knur­ren sprang sie schnell in das Ge­büsch und ver­schwand.

Tar­zan schwamm jetzt ans Ufer und klet­ter­te schnell aufs Land. Er fühl­te sich so er­frischt und so be­hag­lich zu Mute, dass er fort­an kei­ne Ge­le­gen­heit ver­säum­te, täg­lich im See, im Fluss oder im Meer zu ba­den.

Lan­ge konn­te Kala sich nicht an die­sen An­blick ge­wöh­nen, denn ob­schon ihr Volk schwim­men konn­te, wenn es dazu ge­zwun­gen war, so ging ein Affe doch nur un­gern und nie frei­wil­lig ins Was­ser.

Das Er­leb­nis mit der Lö­win hat­te üb­ri­gens eine Ab­wechs­lung in Tar­zans ein­tö­ni­ges Da­sein ge­bracht, das nur in der stumpf­sin­ni­gen Wie­der­ho­lung des Fut­ter­su­chens, Es­sens und Schla­fens be­stand.

Der Stamm, zu dem er ge­hör­te, durch­streif­te eine Stre­cke von an­nä­hernd fünf­und­zwan­zig Mei­len längs der Küs­te und etwa fünf­zig Mei­len ins Bin­nen­land hin­ein. In die­ser Ge­gend zo­gen die Af­fen fast ohne grö­ße­re Un­ter­bre­chung hin und her; doch blie­ben sie ge­le­gent­lich auch mo­na­te­lang an ei­nem Ort. So­bald sie aber die schnel­le Wan­de­rung von Baum­kro­ne zu Baum­kro­ne auf­nah­men, durch­ma­ßen sie das gan­ze Ge­biet in we­ni­gen Ta­gen.

Viel hing von der Fut­ter­ver­sor­gung, der Wit­te­rung und der Be­dro­hung durch Raub­tie­re ab. Ker­schak führ­te sei­nen Stamm oft auf wei­te Mär­sche, bloß weil es ihn lang­weil­te, an ein und der­sel­ben Stel­le aus­zu­hal­ten.

Nachts schlie­fen die Af­fen auf der Erde, wo die Dun­kel­heit sie ge­ra­de über­fiel. Manch­mal be­deck­ten sie den Kopf, sel­ten den üb­ri­gen Kör­per, mit den großen Blät­tern des Ele­fan­te­nohrs. Wenn die Näch­te kalt wa­ren, la­gen sie zu zweit oder dritt an­ein­an­der­ge­schmiegt, um sich ge­gen­sei­tig zu wär­men, und so schlief Tar­zan alle die­se Jah­re hin­durch in Kalas Ar­men. Dass das rie­si­ge wil­de Tier die­ses Kind ei­ner an­de­ren Ras­se lieb­te, ist nicht zu be­zwei­feln, und auch er lieb­te die­ses große, haa­ri­ge Tier, wie er sei­ne jun­ge Mut­ter ge­liebt hät­te, wenn sie am Le­ben ge­blie­ben wäre.

War er un­folg­sam, so knuff­te sie ihn al­ler­dings, aber sie war nie grau­sam ge­gen ihn, und sie lieb­kos­te ihn häu­fi­ger als sie ihn straf­te.

Tu­blat, ihr Gat­te, hass­te ihn, und mehr als ein­mal war er nahe dar­an, sei­nem jun­gen Le­ben ein Ende zu be­rei­ten. Tar­zan ließ sei­ner­seits nie eine Ge­le­gen­heit vor­über­ge­hen, sei­nem Pfle­ge­va­ter zu zei­gen, dass er sei­ne Ge­füh­le voll er­wi­der­te. Und wenn er, ge­bor­gen in sei­ner Mut­ter Arme oder von den schlan­ken Äs­ten ho­her Bäu­me, ihn är­gern, ihm Ge­sich­ter schnei­den oder Schimpf­wor­te zu­ru­fen konn­te, so tat er es.

Dank sei­ner hö­he­ren In­tel­li­genz und sei­ner Ge­schick­lich­keit konn­te er tau­send lose Strei­che er­sin­nen, die Tu­blat das Le­ben sau­er mach­ten.

Früh in sei­ner Kind­heit hat­te er ge­lernt, aus lan­gen Grä­sern, die er dreh­te und an­ein­an­der knüpf­te, Stri­cke zu for­men, und die­se brach­te er so an, dass Tu­blat dar­über stol­per­te, wenn er nicht gar von ei­nem über­hän­gen­den Aste aus ver­such­te, ihm den Strick um den Hals zu le­gen.

Beim Spie­len und durch al­ler­lei Ver­su­che lern­te er kräf­ti­ge Kno­ten und Fang­sch­lin­gen knüp­fen, und mit die­sen spiel­ten er und die jün­ge­ren Af­fen. Auch die­se ver­such­ten sei­ne Kunst nach­zuah­men, aber kei­ner von ih­nen war so er­fin­de­risch wie er. Ei­nes Ta­ges hat­te Tar­zan beim Spie­len ei­nem flie­hen­den Ka­me­ra­den sei­nen Strick nach­ge­wor­fen, in­dem er das Ende in der Hand be­hielt. Durch Zu­fall fiel die Sch­lin­ge um den Hals des lau­fen­den Af­fen, so­dass die­ser ge­zwun­gen war, ste­hen zu blei­ben.

Tar­zan war über die­se Wir­kung ver­wun­dert. Das ist ein neu­es, schö­nes Spiel, dach­te er, und er ver­such­te das Kunst­stück noch ein­mal. So lern­te er durch fort­ge­setz­te Übung die Kunst des Sch­lin­gen­wer­fens.

Von nun an war das Le­ben Tu­blats ein ste­tes Alp­drücken. Im Schlaf, auf dem Mar­sche, bei Tag und bei Nacht, im­mer muss­te er da­mit rech­nen, dass der bos­haf­te Jun­ge ihm heim­lich eine Sch­lin­ge um den Hals zu le­gen und ihn da­mit zu er­wür­gen ver­such­te.

Kala straf­te Tar­zan zwar, und Tu­blat schwor ihm schreck­li­che Ra­che. Auch der alte Ker­schak nahm sich der Sa­che an, warn­te und droh­te, aber al­les war ver­ge­bens.

Tar­zan trotz­te ih­nen al­len, und die dün­ne, star­ke Sch­lin­ge leg­te sich auch fer­ner um Tu­blats Hals, wenn er es am we­nigs­ten ver­mu­te­te.

Die an­de­ren Af­fen hat­ten ihre Freu­de dar­an, denn Tu­blat war ein un­an­ge­neh­mer, al­ter Pa­tron, den nie­mand lei­den moch­te. In Tar­zans klu­gen, klei­nen Geist dreh­ten sich man­che Ge­dan­ken, und hin­ter die­sen war die gött­li­che Macht des Ver­stan­des.

Tar­zan sag­te sich, wenn er mit ei­ner sol­chen Sch­lin­ge einen Af­fen fan­gen konn­te, wes­halb nicht auch Sa­bor, die Lö­win? Es war der Keim ei­nes Ge­dan­kens, der vor­läu­fig nur in sei­nem Un­ter­be­wusst­sein leb­te, bis er in spä­te­ren Jah­ren zur Vollen­dung ge­dieh.

Dschungelkämpfe

Auf sei­nen Wan­de­run­gen kam der Stamm oft in die Nähe der stil­len, ver­schlos­se­nen Hüt­te an der klei­nen Bucht. Tar­zan hät­te gar zu ger­ne ge­wusst, wel­ches Ge­heim­nis dar­in ver­bor­gen war.

Er ver­such­te zwar, durch die Fens­ter zu schau­en, aber sie wa­ren ver­hängt. Dann dach­te er dar­an, auf das Dach zu klet­tern, um durch den Ka­min hin­un­ter­zu­kom­men, viel­leicht könn­te er auf die­se Wei­se er­fah­ren, wel­che Wun­der in­ner­halb die­ser Wän­de ver­bor­gen wa­ren.

In sei­ner kind­li­chen Ein­bil­dung stell­te er sich al­ler­lei merk­wür­di­ge Din­ge vor, die dar­in ent­hal­ten sein müss­ten, und je mehr er ein­sah, dass er nicht ohne wei­te­res hin­ein­ge­lan­gen kön­ne, de­sto leb­haf­ter wur­de sein Wunsch, das Rät­sel zu lö­sen.

Er klet­ter­te stun­den­lang um das Dach und die Fens­ter her­um, um ein Mit­tel zu ent­de­cken, sich Ein­gang zu ver­schaf­fen, aber auf die Tür ach­te­te er nur we­nig, denn sie schi­en ihm eben­so fest zu sein, wie die Wän­de der Hüt­te.

Kurz nach­dem er das Aben­teu­er mit Sa­bor er­lebt hat­te, kam er wie­der in die Nähe der Hüt­te. Da schi­en es ihm, als ob die Tür ein un­ab­hän­gi­ger Teil der Wand sei, in die sie ein­ge­setzt war, und zum ers­ten Mal kam ihm der Ge­dan­ke, dass dies der Weg sei, ins In­ne­re zu ge­lan­gen, nach dem er so lan­ge ver­geb­lich ge­sucht hat­te.

Er war al­lein, wie schon so oft, wenn er die Hüt­te auf­such­te, denn die Af­fen hat­ten eine Ab­nei­gung da­ge­gen. Die Ge­schich­te von dem Don­ner­stock hat­te in die­sen zehn Jah­ren nichts an Schre­cken ver­lo­ren, und sie um­gab noch im­mer die ver­las­se­ne Woh­nung des wei­ßen Man­nes mit ei­ner für die Af­fen un­heim­li­chen At­mo­sphä­re.

Nie­mand hat­te Tar­zan er­zählt, in wel­cher Be­zie­hung er selbst zu der Hüt­te stand. Die Spra­che der Af­fen ist so wort­arm, dass sie nur we­nig dar­über be­rich­ten konn­ten, was sie in der Hüt­te ge­se­hen. Sie hat­ten auch kei­ne Wor­te, um die selt­sa­men Leu­te und ihre Sa­chen zu be­schrei­ben, und so kam es, dass, als Tar­zan alt ge­nug war, um zu ver­ste­hen, die Sa­che längst vom Stamm ver­ges­sen war.

Nur in ei­ner ganz un­kla­ren und un­be­stimm­ten Wei­se hat­te Kala ihm er­klärt, dass sein Va­ter ein selt­sa­mer, wei­ßer Affe ge­we­sen sei, aber er wuss­te nicht, dass Kala nicht sei­ne Mut­ter war.

An die­sem Tage nun ging er so­fort auf die Tür zu, un­ter­such­te sie stun­den­lang und mach­te sich an den Schar­nie­ren, am Knopf und an der Klin­ke zu schaf­fen. Schließ­lich fand er den rich­ti­gen Griff, und vor sei­nen er­staun­ten Au­gen sprang die Tür knar­rend auf.

Zu­erst wag­te er sich nicht hin­ein, aber als sei­ne Au­gen sich all­mäh­lich an das Halb­dun­kel im In­nern ge­wöhnt hat­ten, be­trat er lang­sam und vor­sich­tig den Raum.

In der Mit­te lag ein Ske­lett auf dem Bo­den. Das Fleisch war von den Kno­chen voll­stän­dig ver­schwun­den; nur die ver­mo­der­ten Über­res­te der Klei­der hin­gen noch dar­an. Auf dem Bet­te lag ein ähn­li­ches, grau­en­haf­tes, schmä­le­res Ge­rip­pe, wäh­rend da­ne­ben in ei­ner Wie­ge ein drit­tes, win­zi­ges Ske­lett lag.

Tar­zan warf nur einen flüch­ti­gen Blick auf die­se Zeu­gen ei­ner furcht­ba­ren Tra­gö­die. Sein wil­des Dschun­gel­le­ben hat­te ihn an den An­blick to­ter und ster­ben­der Tie­re ge­wöhnt. Auch wenn er ge­wusst hät­te, dass er auf die Über­res­te sei­ner El­tern blick­te, so wäre er nicht ge­rühr­ter ge­we­sen.

Die Mö­bel und der üb­ri­ge In­halt des Rau­mes fes­sel­ten sei­ne Auf­merk­sam­keit mehr. Er be­sich­tig­te man­che Din­ge mi­nu­ten­lang, das fremd­ar­ti­ge Hand­werks­zeug, die Waf­fen, die Bü­cher, Pa­pier und Klei­der, die den Ver­hee­run­gen der Zeit in der feuch­ten Luft der Dschun­gel­hüt­te nur we­nig wi­der­stan­den hat­ten.

Er öff­ne­te Kas­ten und Schrän­ke, die ihm völ­lig neu wa­ren, und in die­sen fand er den In­halt viel bes­ter er­hal­ten. Un­ter an­de­rem ent­deck­te er ein schar­fes Jagd­mes­ser, mit dem er sich schon gleich in den Fin­ger schnitt. Das hin­der­te ihn aber nicht, wei­te­re Ver­su­che da­mit an­zu­stel­len, und er fand, dass er mit sei­nem neu­en Spiel­zeug Holz­split­ter vom Tisch und von den Stüh­len ab­schnei­den konn­te. Das amü­sier­te ihn eine gan­ze Wei­le, aber schließ­lich wur­de er des­sen über­drüs­sig, und er setz­te sei­ne Nach­for­schun­gen fort.

 

In ei­nem mit Bü­chern ge­füll­ten Schrank fand er eine Kin­der­fi­bel mit schö­nen far­bi­gen Bil­dern, die sei­ne Neu­gier aufs höchs­te er­reg­ten.

Da gab es man­cher­lei Af­fen, die ein ähn­li­ches Ge­sicht hat­ten, wie er, und gleich beim ers­ten Buch­sta­ben A fand er auch klei­ne Af­fen, wie er sie täg­lich im Ur­wal­de auf den Bäu­men um­her­klet­tern sah. Aber nir­gends fand er im Buch ein Bild von sei­nem ei­ge­nen Volk, kein Bild von Ker­schak, Tu­blat oder Kala.

Zu­erst ver­such­te er, die klei­nen Fi­gu­ren von den Blät­tern weg­zu­neh­men, aber bald sah er, dass sie nicht le­bend wa­ren, ob­schon er nicht wuss­te, was sie ei­gent­lich sei­en und er auch kei­ne Wor­te hat­te, sie zu be­schrei­ben.

Die Schif­fe und Ei­sen­bahn­zü­ge, die Kühe und Pfer­de, die er im Buch sah, wa­ren ganz sinn­los für ihn, da er sich nicht vor­stel­len konn­te, was das sein moch­te, aber noch viel we­ni­ger konn­te er be­grei­fen, was die Buch­sta­ben sein soll­ten, die­se klei­nen Din­ger, die sich un­ter und zwi­schen den far­bi­gen Bil­dern be­fan­den. Er dach­te, es könn­te eine sel­te­ne Art Kä­fer sein, denn vie­le von ih­nen hat­ten Bei­ne, ob­gleich nir­gends Au­gen oder ein Mund zu se­hen war.

Das war also Tar­zans ers­te Be­kannt­schaft mit den Buch­sta­ben des Al­pha­bets, und da­bei war er schon über zehn Jah­re alt! Na­tür­lich hat­te er nie et­was Ge­druck­tes ge­se­hen, hat­te auch nie mit ei­nem le­ben­den We­sen ge­spro­chen, das et­was von dem Vor­han­den­sein ei­ner ge­schrie­be­nen Spra­che wuss­te. Auch hat­te er noch nie je­mand le­sen ge­se­hen.

Es war also kein Wun­der, dass der Jun­ge den Sinn der selt­sa­men Fi­gu­ren nicht er­ra­ten konn­te.

Ge­gen die Mit­te des Bu­ches fand er sei­ne alte Fein­din, die Lö­win Sa­bor, und wei­ter sah er Hi­stah, die Schlan­ge, sich win­den.

O, das war sehr in­ter­essant! Nie­mals in all die­sen Jah­ren hat­te er sich über et­was so ge­freut. Er war so ver­tieft in die Be­trach­tung der Bil­der, dass er nicht be­merk­te, wie die Dun­kel­heit her­ein­brach, bis er die Fi­gu­ren nicht mehr deut­lich un­ter­schei­den konn­te.

Er leg­te das Buch in den Schrank zu­rück und schloss die Tür, denn er woll­te nicht, dass sonst je­mand sei­ne Schät­ze fin­den und zer­stö­ren soll­te. Als er in die Abend­däm­merung hin­aus­ging, schloss er die Tür der Hüt­te so hin­ter sich zu, wie sie war, ehe er das Ge­heim­nis der Hüt­te ent­deckt hat­te. Zu­vor aber hat­te er noch das Jagd­mes­ser vom Bo­den auf­ge­ho­ben, um es sei­nen Ka­me­ra­den zu zei­gen.

Er war noch kaum zwölf Schrit­te ge­gan­gen, als sich aus dem Schat­ten ei­nes Ge­bü­sches vor ihm eine große Ge­stalt er­hob. Zu­erst dach­te er, es sei ei­ner von sei­nem ei­ge­nen Vol­ke, aber dann er­kann­te er plötz­lich Vol­ga­ni, den Rie­sen-Go­ril­la.

Er war so nahe, dass sich ihm kei­ne Aus­sicht zur Flucht bot. Der klei­ne Tar­zan wuss­te, dass er für sein Le­ben zu kämp­fen hat­te, denn die großen Tie­re wa­ren die Tod­fein­de sei­nes Stam­mes.

Wäre Tar­zan ein voll er­wach­se­ner Affe ge­we­sen, da hät­te er den Kampf mit dem Go­ril­la schon aus­ge­nom­men, aber er war nur ein klei­ner eng­li­scher Jun­ge, wenn auch sehr mus­ku­lös für sein Al­ter. Wenn er auch sei­nem grau­sa­men Feind nicht ge­wach­sen war, so floss in sei­nen Adern doch das Blut ei­ner mäch­ti­gen Kämp­fer­ras­se, und dazu kam, dass er sich wäh­rend sei­ner kur­z­en Le­bens­zeit un­ter die­sem wil­den Dschun­gel­vol­ke or­dent­lich trai­niert hat­te.

Er kann­te kei­ne Furcht, ob­gleich sein Herz schnel­ler schlug, wenn er ein Aben­teu­er er­leb­te. Wohl hät­te er ver­sucht, zu ent­kom­men, weil er sich sag­te, dass er dem großen Go­ril­la nicht ge­wach­sen war, aber da er ein­sah, dass die Flucht un­mög­lich war, trat er ihm tap­fer ent­ge­gen, ohne auch nur mit ei­nem Mus­kel zu zu­cken.

Er kam dem wil­den Tier so­gar bei sei­nem An­griff halb­wegs ent­ge­gen. Mit den Fäus­ten schlug er auf das Un­ge­tüm ein, und wenn das auch an und für sich so un­nütz ge­we­sen wäre wie der Kampf ei­ner Flie­ge ge­gen einen Ele­fan­ten, so hielt er doch noch in der einen Hand das Mes­ser, das er in der Hüt­te ge­fun­den hat­te, und als das Tier sich ihm schla­gend und bei­ßend nä­her­te, rich­te­te er die Spit­ze des Mes­sers zu­fäl­lig ge­gen des­sen haa­ri­ge Brust. Als es sich nun tief in den Kör­per hin­ein­bohr­te, schrie der Go­ril­la vor Schmerz und Wut auf.

In die­ser kur­z­en Se­kun­de lern­te der Kna­be sein schar­fes glän­zen­des Spiel­zeug als Waf­fe ge­brau­chen, und als das Tier ihn zu Bo­den schlug, um ihn zu zer­rei­ßen, stieß er ihm die Klin­ge wie­der­holt bis ans Heft in die Brust.

Der Go­ril­la, der auf sei­ne Art kämpf­te, ver­setz­te dem Kna­ben schreck­li­che Schlä­ge mit sei­ner Hand und riss ihm mit sei­nen ge­wal­ti­gen Hän­den das Fleisch von Hals und Brust.

Ei­nen Au­gen­blick lang wälz­ten sich die bei­den in wil­dem Kampf auf dem Bo­den. Die Stö­ße, die der Jun­ge mit sei­nem blu­ti­gen, zer­fleisch­ten Arme aus­führ­te, wur­den im­mer schwä­cher, und end­lich erstar­ben die Be­we­gun­gen mit ei­nem krampf­haf­ten Ruck: Tar­zan, der jun­ge Lord Grey­sto­ke, roll­te wie leb­los auf die ab­ge­stor­be­ne Pflan­zen­de­cke des Dschun­gel­bo­dens.

Eine Mei­le weit im Wal­de hat­te der Stamm den wil­den An­griffs­schrei des Go­ril­las ge­hört. Ker­schak hat­te die Ge­wohn­heit, sei­ne An­ge­hö­ri­gen zu­sam­men­zu­ru­fen, wenn Ge­fahr droh­te, teils um sich ge­gen­sei­tig ge­gen einen ge­mein­sa­men Feind zu schüt­zen, teils um sich zu über­zeu­gen, ob auch noch alle Mit­glie­der sei­nes Stam­mes vor­han­den wa­ren.

Das tat er denn auch dies­mal, zu­mal man nicht wis­sen konn­te, ob je­ner Go­ril­la viel­leicht nur ei­ner von meh­re­ren war. So merk­te man, dass Tar­zan fehl­te. Tu­blat wehr­te sich aber hef­tig da­ge­gen, ihm zu Hil­fe zu ei­len. Ker­schak selbst moch­te den klei­nen frem­den Find­ling auch nicht or­dent­lich lei­den, und so ließ er sich von Tu­blat über­re­den, mit ei­nem Ach­sel­zu­cken kehr­te er zu der Stel­le zu­rück, wo er sich auf ei­nem Hau­fen Blät­ter sein La­ger be­rei­tet hat­te.

Kala dach­te aber an­ders. Kaum hat­te sie be­merkt, dass Tar­zan fehl­te, als sie schleu­nigst durch die Äste hin­durch­brach und zwar in der Rich­tung, von wo die Schreie des Go­ril­las noch im­mer deut­lich her­ka­men.

Die Dun­kel­heit war nun völ­lig her­ein­ge­bro­chen, und der früh auf­stei­gen­de Mond warf mit sei­nem schwa­chen Lich­te selt­sa­me Schat­ten in das dich­te Laub­werk des Wal­des.

Hier und dort dran­gen die sil­ber­hel­len Strah­len auf die Erde, aber sie tru­gen nur dazu bei, die Dun­kel­heit der Dschun­gel­wild­nis noch stär­ker her­vor­tre­ten zu las­sen.

Wie ein rie­si­ges Ge­s­penst schwang Kala sich ge­räusch­los von ei­nem Baum zum an­de­ren; bald glitt sie flink an ei­nem großen Ast ent­lang, bald schwang sie sich von ei­nem Ast auf einen wei­te­ren Baum, um mög­lichst schnell an den Ort der Ka­ta­stro­phe zu kom­men, denn ihre Kennt­nis des Dschun­gel­le­bens ließ sie er­ra­ten, was vor­ge­fal­len sein moch­te.

Die Schreie des Go­ril­las ver­kün­de­ten, dass er sich im Kampf auf Le­ben und Tod mit ei­nem an­de­ren Be­woh­ner des wil­den Wal­des be­fand. Plötz­lich hör­te das Ge­schrei auf und eine To­des­s­til­le herrsch­te im Dschun­gel.