Radwanderung in Kanada

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21.6.

Nachdem es in der Nacht leicht geregnet hatte, lagen früh die Wolken bis unten auf dem Fraser River. Es war mächtig kalt geworden, und erst gegen 11 Uhr entschlossen wir uns loszufahren. Auf dem breiten Seitenstreifen der Nr. 5 ließ es sich trotz des leichten Anstieges sehr gut fahren, unangenehm war nur der Nieselregen, der schon nach kurzer Zeit wieder einsetzte. Dann wurde es steiler und die Berge, die anfangs noch frei waren, versteckten sich im Nebel, in den wir mehr und mehr hineinfuhren. Und mit dem stärker werdenden Regen wurde es, wie ich jedenfalls fand, immer kälter. Doch während ich mir noch einen Pullover unter- und Handschuhe anzog, zog sich Martin den Pullover aus. Er war durch den Anstieg so ins Schwitzen gekommen, dass er nun in Unterhemd und Goretexjacke fuhr. Unerklärlich, denn obwohl ich mich wärmer angezogen hatte, fror ich weiterhin jämmerlich. Martin hingegen hatte Hunger und wollte unbedingt was essen, was bei diesem starken Regen aber unmöglich war, denn jetzt schüttete es regelrecht. Schon bald hatten wir beide keine Kraft mehr und konnten nur eins tun, immer wieder kurze Pausen einlegen. Aber die machten Martin nicht satt, der inzwischen behauptete, er hätte einen Hungerast, und mich nicht wärmer, und irgendwie ging’s bald nicht mehr. Ein Blick aufs Thermometer zeigte, dass es tatsächlich kälter geworden war, nur noch acht Grad.

Wir hatten 750 Höhenmeter erreicht, als vor uns eine beleuchtete Galerie auftauchte. „Nein, nicht auch noch da durch!“ Wir waren fest entschlossen, hier und jetzt einen Platz fürs Zelt zu finden – bis hierher und nicht weiter! Egal wie stark es regnete und egal ob es hier womöglich Bären gab oder nicht, wir hatten die Nase gestrichen voll. So voll, dass wir tatsächlich eine Stelle fanden, die nicht unbedingt von der Straße einzusehen war.

Eigentlich würde man unter solchen Bedingungen niemals seine Räder abpacken, sein Zelt aufstellen und alles triefend nass einräumen wollen. Aber eben nur eigentlich. Denn allein der Gedanke, die nassen Klamotten vom Körper runter zu bekommen, sich in den Schlafsack zu kuscheln und wieder warm zu werden, spornt zu Höchstleistungen an. Und so stand im Nu das Zelt, nachdem ich zuvor sogar daran gedacht hatte, Plastetüten über die noch einigermaßen trockenen Sättel zu binden. Dennoch war am Ende der Prozedur das anfangs trockene Zeltinnere erneut tropfennass, aber es schwamm nichts, und von Oben kam nichts hinzu. Dabei hatten wir uns am Morgen noch darüber gefreut, dass die Schlafsäcke fast trocken waren. Jetzt bekamen sie aber nur von außen Nässe ab, denn die Regenkleidung legten wir ins Vorzelt, mehr als nass konnte nichts werden. Dann schlüpften wir in herrlich trockenen Sachen in die Schlafsäcke, und während ich mich bis zur Nassenspitze einmummelte, machte Martin auf dem kleinen Campingkocher Wasser heiß für eine Brühwürfel-Bouillon. Und das mitten im geschlossenen Zelt, und obwohl ich dabei vor Angst schwitzte, was mir sogar entgegen kam. Doch wir hatten derart viel Nässe ins Zelt geschleppt, dass ohnehin nichts hätte anbrennen können. Jedenfalls passierte nichts in dieser Richtung. Die Brühe allerdings wärmte uns auf und die Brote, die ich in der Zwischenzeit geschmiert hatte, machten Martin satt und die Welt war wieder in Ordnung.

Es mag vielleicht nicht glaubwürdig klingen, aber wenn all die Unwegsamkeiten eines solchen Tages Vergangenheit sind, ist es ein sehr wohliges Gefühl von Sicherheit, im warmen Schlafsack zu stecken und zu hören, wie der Regen draußen aufs Zelt trommelt. „Was jetzt runter kommt, kann morgen nicht mehr kommen”, sagte ich zu Martin. Dann schliefen wir ein.

22.6.

Die ganze Nacht über schüttete es weiter, am Morgen war Ruhe, es nieselte nur noch. Der Nebel hatte sich verdichtet, von der Galerie war jetzt nichts mehr zu sehen, und die Wolken umschlossen auch unser Zelt. Ein Morgen also, an dem man sich ruhigen Gewissens von einer Seite auf die andere hätte wälzen können, um noch eine Runde zu schlafen. Und das hätten wir unter Garantie auch getan, wenn es nur etwas gemütlicher im Zelt gewesen wäre. Aber das Wasser hatte sich nicht nur unter den Luftmatratzen gesammelt, alles war noch genauso klitschnass, wie wir es am Vortag einräumen mussten. Wie sollte es auch getrocknet sein, zumal sich im geschlossenen Zelt und bei diesen Temperaturen auch noch die Atemluft niederschlägt. Wenigstens lagen die nassen Jacken, Überhosen und auch Schuhe draußen in der Apside. Aber der Gedanke, dass wir alles in Kürze anziehen mussten, war nicht unbedingt der angenehmste.

Zunächst stellte ich mir die Frage: Was ziehe ich an? Eine Frage, die für jede Frau vor einem Höhepunkt wichtig ist. Und dabei spielt es keine Rolle, ob dieser Höhepunkt das Kennenlernen eines potentiellen Partners ist oder schlicht und einfach ein Pass. Doch während ein potentieller Partner durch entsprechende Kleidung optisch bezirzt werden soll, spielt es für einen Pass keine Rolle, ob du ihn schweißgebadet oder zitternd erreichst. Witterungsmäßig gesehen müsste ich somit den dicken Pullover wählen, der Steigung nach, die vor uns lag und die es in sich hatte, das T-Shirt. Vorsichtshalber zog ich beides an, ausziehen konnte ich mich unterwegs immer noch.

Erst aber frühstückten wir, und als dann der Himmel immer noch keine Anstalten machte sich zu bessern, machten wir wenigstens alles startklar. So zogen wir, wenn auch nach kurzer Überwindungsphase, die von beiden Seiten durchnässten Goretex-Jacken und -Hosen über. Die noch immer klitschnassen Schuhe stellten zum Glück nicht das erwartete Problem dar, denn wir hatten Goretex-Söckchen mitgenommen, und so fühlten sie sich noch nicht einmal kalt an.

Hinter der Schneegalerie wurde es anstrengender, weil steiler, und dann kam auch ich ins Schwitzen, sodass wir schließlich beide die Pullover ausziehen mussten. Dennoch waren wir bald von innen genau so nass wie von außen. Es stieg und stieg.

Bei 1.244 Metern hatten wir den Pass erreicht. Erst jetzt registrierte ich, dass es nicht mehr nieselte. Dafür war es aber hier oben so kalt, dass wir schleunigst wieder die dicken Pullover hervorholten. Doch selbst diese konnten nicht verhindern, dass wir auf der langen Abfahrt, die jetzt vor uns lag, gottsjämmerlich froren.

Die Rettung nahte in Form eines Rastplatzschildes mit einer großen Tasse darauf. Es rüttelte sämtliche Lebensgeister in mir wieder wach, die durch die lange Abfahrt völlig erstarrt waren. Und es kam noch besser. Neben einem rollenden Backwarenstand gab es auf dem Rastplatz auch ein Toilettenhäuschen mit sauberem großem Vorraum. Das Privileg, eine Frau zu sein, nutzte ich gleich schamlos aus und suchte mir dort einen Platz auf dem Fenstersims, während Martin erst noch Gebäck und ein heißes Getränk herbeischaffte. Dann wärmten wir uns von innen und langsam auch von außen auf. Und als wir auf der Weiterfahrt, es ging immer noch abwärts, plötzlich ein kleines Stück blauen Himmel entdeckten, war die Welt wieder in Ordnung.

Besser gesagt, fast in Ordnung, denn wir fuhren noch immer auf der Straße, und dabei sollte es doch über die alte Eisenbahntrasse gehen. Aber ganz ehrlich, bei diesem bisherigen Hundewetter war es auf Asphalt gewiss angenehmer als auf holprigem oder schlammigem Untergrund, zumal wir bei dem Nebel von der Landschaft ohnehin nichts mitbekommen hätten. Trotzdem, rein theoretisch, und wenn ich das Buch nicht falsch interpretiert hatte, musste, nachdem noch ein Anstieg hinter uns lag, bei Exit 250 der Zugang zur alten Bahnstrecke nach Brookmere zu finden sein. Und tatsächlich fanden wir ihn.

Aber die Trasse war nicht so einfach zu befahren. Hier hatten wir die Wahl, unsere Blicke entweder über die naturbelassenen Wiesen und Wälder und über die Blumen am Wegesrand schweifen zu lassen und dabei hinzufallen oder mit gesenktem Blick den Boden nach der befahrbarsten Spur abzutasten, denn auch größere Steinbrocken waren vom Hang heruntergekommen und blockierten mitunter den Weg.

An der ehemaligen Station Brookmere war die Trasse zur großen, ebenen Fläche geworden und ein rotbrauner Wasserturm, ein Überrest aus der Zeit des Kettle Valley Railway, leuchtete uns wie frisch restauriert entgegen. Dort hatte man auch Schwellen und Schienen belassen, und in unmittelbarer Nähe stand ein gelber Eisenbahnwaggon mit der Aufschrift: CP RAIL.

„Hier bleiben wir ein Weilchen und essen was“, sagte Martin, „hier kann ich mich direkt in die Zeit des Silberbooms, besser des schwierigen Abtransportes des silberhaltigen Gesteins, versetzen.“ Offenbar hatte Martin da mehr Phantasie als ich. Ein alter Wasserturm und ein genauso alter Railwaywagen versetzten mich nicht in nostalgische Stimmung. Da holte ich lieber die aufblasbaren kleinen Kopfkissen zum Hinsetzen heraus, denn der Boden war doch ziemlich nass.

Die Trasse hatte sich danach verbreitert, zu einer Art Fahrweg. Doch dass sie besser geworden wäre, konnte man nicht sagen, nur anders, jetzt war es eine sogenannte Waschbrettpiste, die sich auch nicht gut fahren ließ.

Nahe dem ehemaligen Haltepunkt Spearing Station sollte ein aufgehängtes echtes Fahrrad und darüber ein gemaltes, unechtes Pferd, die Radler und Reiter in den dahinter liegenden Campingplatz locken. Und da wir meinten, eigentlich genug gefahren zu sein, ließen wir uns locken. Jetzt, in der Vorsaison, konnten wir auf dem naturbelassenen Platz zelten, wo und wie wir wollten, außer uns hatte scheinbar noch niemand Urlaub. In einem überdachten, offenen Schuppen hätten wir bei Regen die Möglichkeit gehabt, an Tisch und Bank unser Abendbrot zu verzehren, aber da sich das Wetter auffallend gebessert hatte, zogen wir es vor, im Grünen zu speisen. Hier war alles Natur, und wir hätten sogar im Freien duschen können, wenn wir gewollt hätten. Aber das Angebot des Chefs, Wasser zu holen, um seine Spezialanfertigung aufzufüllen, lehnten wir dankend mit der Begründung ab, dass unsere Haut bereits genügend Wasser abbekommen habe.

 

23.6.

Gerade als wir früh zusammenpacken wollten, fing es wieder an zu regnen, zwar nur kurz, trotzdem mussten wir erneut ein nasses Zelt einpacken. Auch war es hier in etwa 900 Metern Höhe am Morgen noch ziemlich frisch. Die Trasse führte dann sanft abwärts in Richtung Tulameen. An einer Wegkreuzung warnte das bekannte schräg gestellte Kreuz vor der Bahn, die längst Geschichte war. Auf den Flügeln stand je ein Wort: Kettle, Valley, Trail, Road.

Nach geraumer Zeit änderte sich das Terrain, vor uns tauchten ausgedehnte Weideflächen auf, wo es sich zwar auf dem begrasten Weg recht gut fahren ließ, lediglich das ständige Öffnen und Schließen der allgegenwärtigen Weidezäune war nur etwas für Nervenstarke. Denn man musste bei dieser Tätigkeit sehr gefühlvoll und auch umsichtig zu Werke gehen. Nicht nur, dass die Gattertüren mitunter wacklig, krumm und schief zusammengenagelt und mit einem phantasievollen Drahtverhau versehen waren, nein, es gab auch solche aus Stacheldraht, und die waren möglicherweise extra zur Abschreckung der Radwanderer gedacht. Denn in geringer Entfernung verlief unten am Hang die Fahrstraße, die ständig leicht auf- und abwärts führte. Wir jedenfalls hatten das Öffnen und Schließen nach einiger Zeit satt. „Bevor wir uns noch verletzen“, sagte ich zu Martin, „fahren wir lieber drüben auf der Straße.“ Es war dann leider auch nur eine Schotterstraße und wir machten nicht viel gut; doch dann erreichten wir sogar Asphalt.

Hinter Coalmout kreuzte die Railwaystrecke die Straße, und wir hätten ein schlechtes Gewissen gehabt, wären wir einfach auf Asphalt weiter gefahren. Allerdings, die Trasse war, und das sah man auf den ersten Blick, ganz frisch geschottert, hier konnte noch niemand gelaufen, geschweige denn gefahren sein. Doch sie hatte einen großen Vorteil, sie lief eben im Tal dahin. Die Straße hingegen stieg ganz gewaltig an. Schließlich gaben wir dem Tal den Vorzug in der Hoffnung, dass der Weg bald besser würde.

Der Versuch zu fahren scheiterte allerdings kläglich, wir kamen einfach nicht vorwärts. Also Absteigen und Schieben. Das Tal war irgendwie großartig, rechts und links, links unmittelbar neben dem Weg ragten steil die Berge in den blauen Himmel, von dem jetzt auch die Sonne wieder herunter prasselte. Der Fluss begleitete uns auf der rechten Seite, und die Strecke hätte traumhaft sein können, wenn nur der Schotter nicht gewesen wäre. Aber er war da. Und als auch nach der nächsten leichten Wegkrümmung die einsehbare Piste unverändert blieb, hatten wir es nach immerhin zwei Kilometern satt. Wir wendeten die Räder und schoben sie die gesamte Strecke zurück.

„Also eine geführte Tour kann unmöglich über solchen Schotter gehen, da würden die Teilnehmer protestieren und ihr Geld zurück verlangen“, sagte ich zu Martin. „Wahrscheinlich fahren sie nur durchs Myra Canyon, wo die Trasse fahrradfreundlich ausgebaut sein soll. Ansonsten ist die alte Bahnstrecke wohl mehr für Wanderer wieder hergerichtet worden.“ Martin sah das genau so und meinte, in dem Werbeblatt sei auch hauptsächlich von diesem großartigen Canyon die Rede gewesen.

Also auf die Asphaltstraße. Diese aber stieg und stieg, dann fiel sie ein Stück und stieg erneut an. Mehrmals kreuzten Hirsche unseren Weg, es waren herrliche Tiere, denen wir aber auf einer schnellen Abfahrt nicht gern begegnet wären. Sie hatten sich ein ungünstiges Terrain gesucht, denn zwei überfahrene, noch blutende Tiere lagen an der Straße. Oben angekommen, total geschafft, bot sich uns ein fantastischer, fast senkrechter Blick in die Tiefe: 160 Meter unter uns erkannten wir deutlich neben dem Tulameen River die von uns geschmähte Trasse, hier war sie zum Teil begrast, aber mit geradezu riesigen Pfützen, die mitunter den gesamten Weg einnahmen. Wir klopften uns auf die Schulter: Gut, dass wir den Trail verlassen hatten – überhaupt, der Blick von hier oben war noch besser als der von unten, er war einfach toll.

Als wir endlich Princeton erreichten, hatte die Tourist-Info bereits geschlossen, und niemand konnte uns sagen, wo sich der Campingplatz befindet. Schließlich hatte Martin mit seinem Charme bei einer jungen Dame Glück. Doch der Platz lag außerhalb, und wir mussten zuerst die Bahntrasse suchen, auf deren Niveau wir wieder herunter gefahren waren. Schließlich hatten wir noch einige Kilometer auf dem schmalen Weg zurückzulegen, und noch einmal waren Konzentration und Steuerkünste gefragt. Dennoch konnten wir von Glück reden, dass wir auf der Waldseite ankamen, denn der offizielle Eingang zum Campingplatz war längst geschlossen.

Dreiviertel acht stand unser Zelt. „Also ich wasch mich erst morgen früh“, sagte ich mit Bestimmtheit, „und auch Zähneputzen fällt flach, ich bin einfach zu müde.“

24.6.

Wir hatten schlecht geschlafen. Sicher waren die vielen Anstiege am Vortag sowie das Schieben auf dem Schotter zu kraftraubend gewesen, denn an den 72 gefahrenen Kilometern kann es nicht gelegen haben, das war normaler Durchschnitt.

Als alles ein- und aufgepackt war und wir loswollten, hatte der Campingplatz seine Tore noch nicht geöffnet und auch die Office war noch verwaist. Also konnten wir nicht, wie geplant auf die Straße, sondern mussten auf der Gegenseite durch den Wald und wieder auf die miserable alte Bahnstrecke mit nur einer Spur, die vielleicht für Reiter, nicht aber für bepackte Räder geeignet war. Trotzdem kein Grund sich zu ärgern, schließlich hatten wir für Übernachtung und ausgiebiges Duschen am Morgen keinen Knopf bezahlt. Außerdem erreichten wir auch bald die Fahrstraße Nr. 3, sie führte aber nicht wie die Trasse direkt nach Penticton, sondern nach Süden, nach Keremeos, von wo wir dann am nächsten Tag hoch nach Penticton wollten.

Die Berge beidseitig der Straße waren gewaltig, viele mit riesigen Schuttkegeln vom Silberabbau. Doch was war das? Was klebte da ganz oben am Steilhang, unmittelbar neben einer fast senkrecht erscheinenden Schlucht? Martin holte das Teleobjektiv aus der Vorderradtasche, und jetzt bestätigte es sich: Hütten – hoch oben klebten mehrere Indianerhütten förmlich am Hang. Vom Gipfel kommend war eine Art Weg zu erkennen, der im Zickzack zu den Hütten führte. Entweder täuschte es oder einige von ihnen hingen tatsächlich schräg am Abhang. Wie war so etwas nur möglich? Wie konnte man da oben Hütten bauen, um dann dort auch noch zu leben? Was mag der Grund gewesen sein, dass sich die Indianer so weit aus der Zivilisation zurückgezogen hatten?

Seit dem frühen Morgen strahlte die Sonne vom wolkenlosen Himmel, und im Laufe des Tages war es wieder ausgesprochen heiß geworden. Aber die Strecke ließ sich sehr gut fahren, sodass wir nach 78 Kilometern auf dem Eagle R.u.V.-Park in Keremeos noch nicht ausgelastet waren. Folglich untersuchten wir während einer kleinen Wanderung noch einen Schutthang, aber leider haben wir kein Silber gefunden.

25.6.

Die ganze Nacht stürmte es und unser Zelt wackelte wie ein Lämmerschwanz. Am Morgen hatte sich alles beruhigt und von einem wolkenlosen Himmel begrüßte uns die Sonne. Ein gemütlicher Urlaubstag lag vor uns, so glaubten wir jedenfalls, denn Penticton, wohin wir auf der 3a fahren wollten, hatte etwa die gleiche Höhe wie Keremeos. Man sollte sich aber nie zu früh freuen, denn die Sache hatte wieder mal einen Haken. Dieser Haken war ein 350 Meter hoher Gebirgszug, der zwischen den beiden Orten lag und den uns die Landkarte natürlich vorenthalten hatte. Wenn’s wenigstens direkt hoch und drüben direkt wieder hinunter gegangen wäre, aber nein, das bereits gewohnte ständige Auf und Ab. Erst ganz oben machten wir eine längere Pause in einem herrlichen Nadelwald, der weder angepflanzt war noch konnte er abgeholzt werden, es war einfach zu steil, zu wild und zu bucklig. Und rings um uns hohe und steile Berge.

Den Abstecher zu den Okanagan Wasserfällen, von denen ich mir was Tolles versprochen hatte, hätten wir uns besser gespart, ein glatter Reinfall, überhaupt nichts Besonderes. Selbst der Skaha Lake, an dessen rechtem Ufer entlang wir nach Penticton hineinfuhren, hatte landschaftlich nichts weiter zu bieten als eben Wasser.

Anders der Okanagan Lake. An seinem Strand und in seinem Wasser schien sich halb Penticton zu tummeln, und das will was heißen, denn Penticton ist eine relativ große Stadt. Doch bei 30 Grad im Schatten war dieser Badebetrieb kaum verwunderlich. Wir allerdings suchten nur den Campingplatz.

26.6.

In der Nacht war es so unangenehm warm gewesen, dass wir nicht in die Schlafsäcke konnten, sondern uns nur auf die Luftmatratzen legten. Auch weckte uns die Sonne früh beizeiten und heizte das Zelt sofort auf. Uns ärgerte sie damit nicht, denn frühes Starten war sowieso vorgesehen, heute ging es dem ersten Höhepunkt des Kettle Valley Railway Trails entgegen. Doch zunächst mussten wir für die drei kommenden Tage einkaufen, in der Wildnis gab es nichts.

Auf der Straße in Richtung Naramata fahrend, suchten wir den Einstieg in die Trasse. Ich hatte gelesen, diese würde gleichmäßig ansteigen bis zum Chute Lake mit Campingplatz in 1.191 Metern Höhe. Von da aus ginge es dann ins berühmte Myra Canyon mit seinen gewaltigen Brücken. Die Erwartung war also groß.

Dann kam der Einstieg. Ein nichtssagender Sandweg, der noch dazu neben der Asphaltstraße lang führte. So eine Enttäuschung! Wir holten die Karte hervor, tatsächlich, auch dort verlief der Trail relativ parallel zur Straße. Dann entdeckte ich nach etwa vier Kilometern eine kurze, dünne Verbindungslinie zwischen beiden. „Der Sandweg hier gefällt mir gar nicht, da verpassen wir nichts”, sagte ich, „wir sollten die vier Kilometer auf der Straße weiterfahren.” Martin gab zu bedenken, dass die Bahnstrecke gleichmäßig ansteigen würde, die Straße aber durchaus fallen könne und uns dann vielleicht ein steiler Verbindungsweg bevorstehe. „Na und, dann schieben wir eben das kurze Stück”, entgegnete ich und Martin nickte: „Wenn du meinst.” Offenbar traute mir mein Mann mehr Sachverstand zu als ich tatsächlich hatte, denn Routenplanung und Kartenlesen fielen nicht in sein Aufgabengebiet, da verließ er sich voll auf mich. Also fuhren wir auf der Straße.

Diese fiel tatsächlich. Nicht sofort und auch nur leicht, aber sie fiel und fiel, und uns wurde langsam ungemütlich. Gerade als wir umkehren wollten tauchte der Verbindungsweg auf. Na endlich. Zunächst ging es schiebender Weise ganz manierlich an zwei oder drei Häusern vorbei, aber dann! Nicht nur der selbe unangenehme Sand, den wir meiden wollten, der Weg wurde steil. So steil, dass ich das beladene Rad nicht mehr vorwärts bekam, es steckte regelrecht im Sand fest. Dabei hatte ich Mühe, es überhaupt noch zu halten. „Bleib stehen!”, rief Martin, der schon ein ganzes Stück über mir war. Er legte sein Rad an den Hang und erbarmte sich meiner. Noch zwei oder gar dreimal musste er die Räder wechseln, dann hatte Martin beide hoch geschafft, und ich schlich wie ein begossener Pudel, schnaufend und mit hängenden Ohren hinterher, mein Selbstbewusstsein war ganz unten am Hang geblieben. Und Martin – als hätte er nicht eben selbst noch auf dem letzten Loch gepfiffen, sagte nicht etwa: „Du wolltest ja unbedingt auf der Straße fahren“, oder „alles deine Schuld!“ Nein, er gab mir einen Klaps auf den Po und meinte: „Das kann jedem mal passieren.“

Hier war der Trassenbelag besser, fahrradfreundlicher, bei einer leichten, gleichmäßigen Steigung von etwas mehr als zwei Prozent. Wir nahmen die Fototaschen auf den Rücken, sie drückten vorerst nicht, aber es lagen ja noch ein langer Weg und 850 Höhenmeter vor uns. Es war bereits am Morgen ziemlich heiß und bei diesem stahlblauen Himmel konnte es nur noch heißer werden.

Die Trasse verlief unmittelbar am Steilhang und verführte uns immer wieder zu einem kurzen Halt. Die Blicke schweiften dann hinunter zu dem langgestreckten blauen Okanagan See und über die Berge hinweg ins weite Land. Hier am Steilhang gab es kaum, und wenn, nur niedrige Bäume und ein paar Büsche, also keinen Schatten auf der Strecke. Die Sonne aber brannte unbarmherzig, sodass uns der erste Tunnel für eine kurze Rast äußerst gelegen kam.

Beim Weiterfahren begegneten uns etliche, von oben kommende Radler, ohne Gepäck, dafür alle mit den gleichen Rädern und den gleichen zierlichen Lenkertaschen. Aha, so sah also eine geführte Gruppe aus. Sie hatten sich gewiss von der Werbeanzeige des Reiserveranstalters begeistern lassen, genau wie wir. Der Unterschied war nur: Sie hatten gebucht und konnten die Natur ohne jede Anstrengung genießen, denn sie mussten nur abwärts fahren. Das Aufwärts besorgt bei einer geführten Tour der Veranstalter, indem er seine Schäfchen nebst Fahrrädern im Auto transportiert. Und auch was Essen, Trinken und Unterkunft betrifft, handelt es sich um ein Rundumsorglospaket. Wir dagegen sind unser eigener Veranstalter, Reiseplaner und Reiseleiter, Fahrradmonteur und Koch, wir brauchen keinen Verpflegungswagen und keinen Getränkeautomaten, denn unser Essen holen wir aus den Kaufhallen und die Trinkerei vom Wasserhahn der Tankstellen. Dafür ist unsere Tour absolut selbstbestimmt, viel länger und trotzdem billiger. Und nicht zu unterschätzen sei außerdem bei solch einer „Du it self Tour“ die Zunahme der Müskelchen, besonders aber die Abnahme der Fettpölsterchen.

 

Die Radlergruppe war mit Sicherheit von der Gaststätte am Chute Lake aus gestartet, wo sie sich nach ausgiebiger Stärkung auf die Räder setzen konnte, um im Abwärtsrollen die großartige Landschaft in sich aufzunehmen. Unsere Richtung bevorzugte offenbar niemand, wir waren die Einzigen und blieben nach dieser Begegnung auch völlig allein.

Plötzlich vernahm ich ein eigentümliches Rasseln! Vor uns? – unter uns? – nein, jetzt fast zwischen unseren Rädern – eine große Klapperschlange! Man hätte annehmen können, ich wäre zu Tode erschrocken gewesen oder hätte aufgeschrien, aber wahrscheinlich registriert man die Gefahr im ersten Moment gar nicht und reagiert automatisch richtig: Ein Schwenk nach außen – und die Gefahr, die Schlange zu überfahren, war gebannt.

Martin, der das Rasseln gar nicht gehört hatte, den erst: „Eine Klapperschlange!“ aufschreckte, verfiel sofort, genau wie ich, in Hektik: Apparat raus – Räder fallen lassen, um das gefährliche Reptil noch zu fotografieren, das sich mit klappernd erhobenem Schwanz in die Büsche schlug. Kaum war die Gefahr vorüber, stellte sich irgendwie ein tolles Gefühl ein, es hatte schon was, so Auge in Auge mit einer Klapperschlange gestanden zu haben. Aber plötzlich erschrak ich doch, und der Schreck zog sich mir durch Mark und Bein: „Wir haben das Schlangenbiss-Set nicht mitgenommen!“ Auf allen Reisen hatten wir es dabei, aber weder in Australien noch in den USA noch sonst wo gebraucht, und so hatten wir es diesmal schlicht und einfach vergessen. Erst jetzt wurde uns klar, dass wir im Fall der Fälle hier oben rettungslos verloren gewesen wären.

Dann wendete sich die Strecke um fast 180 Grad und führte nun stellenweise durch lichten Wald. Der Weg streckte und streckte sich. Schweigend fuhren wir nebeneinander, kein Laut ringsum, nur das Fahrgeräusch war zu vernehmen. Durch die Hitze klebte die Kleidung förmlich am Körper. Die Lenkertaschen drückten mehr und mehr und es musste immer öfter die Schulterseite gewechselt werden. Der zwar leichte, aber immer gleichbleibende Anstieg, bei dem die Beine ständig die selbe Trittfrequenz beibehalten mussten und keine Sekunde ausruhen konnten, ermüdeten mehr und mehr, und so mussten wir immer mal kurze Pausen einlegen. Zwar redeten wir uns ein, bald oben zu sein, doch wenn der Höhenmesser richtig anzeigte, und davon mussten wir ausgehen, war unser Tagesziel noch lange nicht in Sicht.

Jetzt aber kündigte ein Schild eine sogenannte D-Tour an, eine Umgehung, nämlich den Adra Tunnel Bypass Trail. Dieser Tunnel war einst mit 500 Metern der längste Tunnel der gesamten Bahnstrecke, ein Spiraltunnel, der aber leider einsturzgefährdet war. Und so hat man 1992 sicherheitshalber beide Zugänge durch Betonblöcke versperrt und unpassierbar gemacht.

Wenn wir noch vor einer Minute geglaubt hatten todmüde zu sein, fühlten wir uns plötzlich so munter, dass wir Bypass und Räder erstmal links liegen ließen und der Trampelspur folgten, um uns zumindest den Tunneleingang anzusehen. Der kurze Abstecher hatte sich tatsächlich auch gelohnt, wir konnten uns im Schatten vor dem Tunnel erholen, weil wunderbar kühle Luft von innen nach draußen drang.

Jetzt versuchte ich Martin davon zu überzeugen, dass wir doch hier einen geeigneten Platz fürs Zelt suchen könnten, um erst morgen das letzte Stück hoch zu fahren. Aber meine bessere Hälfte war nicht begeistert von diesem Vorschlag. Es könne doch nicht mehr weit sein, meinte er, und lockte mich mit den Worten: „Dort gibt es eine Gaststätte, da brauchst du keine Brote zu schmieren, da lassen wir uns einfach bedienen.“ Und in Anbetracht dieser verlockenden Aussicht sowie der Tatsache, dass mein Mann am Morgen zu nachgiebig war und wir dann die Kletterei hatten, gab ich mich geschlagen und sagte: „Na gut.“

Aber wir waren noch lange nicht oben und mussten tastsächlich beide ans Limit gehen, um den Campingplatz am Chute Lake in 1.191 Metern Höhe zu erreichen. Endlich! Nur noch schnell das Zelt aufstellen, alles einräumen, um dann erwartungsvoll die Gaststätte aufzusuchen. Es war viertel nach sechs, als wir uns in dem völlig leeren Gastraum einen schönen Platz gesucht hatten, nur – es kam kein Kellner. Schließlich wurde uns mitgeteilt, dass die Küche bereits geschlossen sei. Wir machten beide lange Gesichter. Doch dann hellten sie sich auf, es gab ja wenigstens Bier, das Martin in einer Glasvitrine entdeckt hatte. „Na dann genehmigen wir uns eben ein kühles Helles nach dieser Hitze und Anstrengung.“ Der Wirt aber schüttelte bedauernd den Kopf, auch das sei nicht möglich, er habe noch keine Lizenz, diese sei sehr teuer und vor Saisonbeginn könne er sich diese nicht leisten.

Also doch Brote schmieren. Dabei erlebte ich noch eine weitere unangenehme Überraschung. Wahrscheinlich hatte ich in Anbetracht des bevorstehenden Gelages die Packtaschen zu schnell oder zu schwungvoll ins Zelt verfrachtet, jedenfalls war der Margarinebecher in Schieflage geraten und teilweise ausgelaufen. Und so hatte ich als Krönung dieses anstrengenden Tages auch noch eine Packtasche zu säubern.

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