Ein ganz klarer Fall

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Kullmann nickte nur nachdenklich. Schnell drehte Hübner sich um und ging zur Kollegin Deister, um sich dort ebenfalls eine Tasse Kaffee zu nehmen. Nach einem kurzen Gespräch mit ihr, das Kullmann allerdings nicht verstehen konnte, kam er wieder zu ihm zurück.

Kollege Jürgen Schnur kam ins Zimmer mit einer Liste in der Hand.

»Guten Morgen, ihr Frühaufsteher.« grüßte er grinsend, weil er wusste, wie unangenehm es war, samstags morgens um sechs in der Frühe in dieses Nieselwetter hinaus zu müssen, und dann noch zu solch einem erschütternden Fall.

»Guten Morgen, du Murmeltier. Was hast du denn da in der Hand?«

»Eine Liste über die Teilnehmer an dem Betriebsausflug der Fa. Schulz KG gestern. Die ganze Firma war dabei, viele sind es ja nicht, neun Personen.«

»Was macht die Firma Schulz KG?«

»Verkauf bzw. Vermietung von Spielautomaten“, antwortete Schnur kurz und verließ das Büro.

Grübelnd ging Hübner die Liste durch und musste feststellen, dass die Mitarbeiter dieser Firma durch das ganze Saarland verstreut waren, was die Arbeit natürlich mächtig erschwerte.

»Es bleibt wohl nichts anderes übrig, als mit den Befragungen anzufangen“, murmelte er vor sich hin und schlenderte mit der Liste hinter Kullmann her, der sich bemühte, unauffällig das Zimmer zu verlassen.

»Keine Chance, Teamkollege«, grinste er höhnisch dem älteren Kollegen zu. »Die Arbeit ruft. Je eher wir anfangen, desto besser.«

»Du immer mit deinen Weisheiten«, knurrte Kullmann und folgte dem Kollegen in den Hof zum Dienstwagen.

»Wir fangen am besten mit dem Chef der Firma an, Herrn Adrian Schulz«, bestimmte Kullmann während sie einstiegen.

»Ganz wie Sie wünschen«, höhnte Hübner.

Sie fuhren zu dem Sitz der Firma Schulz KG mitten in der großen Stadt, wo sie den Chef am ehesten vermuteten und hatten Glück. Die Firma befand sich in einem alten Reihenhaus aus rotem Backstein in der dritten Etage. Dort brannte Licht. Sie klingelten.

»Wer ist da?«, hörten sie eine Männerstimme durch die Rufanlage.

»Die Polizei.«

»Die Polizei?«, ertönte es völlig fassungslos zurück. »Sind Sie sicher, dass Sie hier richtig sind?«

»Ja, absolut“, bestimmte Kullmann

Der Summer ertönte. Hübner stieß die Tür auf und sie traten ein. Der Fahrstuhl war zu ihrem Pech defekt, so dass sie gezwungen waren, die Treppe hinaufzusteigen. Im dritten Stock wurden sie bereits von einem Mann mittleren Alters und strengen Gesichtszügen erwartet.

»Was führt denn die Polizei zu mir?«, fragte er, ohne sich vorzustellen.

»Guten Morgen, erst einmal“, keuchte Kullmann. »Dürfen wir nach diesen Anstrengungen wenigstens hereinkommen?«

»Sicher, entschuldigen Sie, treten Sie doch ein. Mein Name ist Adrian Schulz«, änderte er sogleich seinen Ton und ließ die beiden eintreten. Sie gelangten in einen großen modern ausgestatteten Büroraum überfüllt mit Personalcomputern, Fax-Geräten und Kopierern. Einige Ecken wurden durch Plexiglasscheiben von dem übrigen Büro getrennt. Der Boden war mit braunem Teppich ausgelegt, was dem Raum eine besondere Wärme verlieh. Das Mobiliar bestand aus alter, gut erhaltener Eiche, auch die Bürostühle verrieten einen besonderen Komfort.

Herr Schulz führte sie durch das Büro hindurch in ein weiteres Zimmer, das eine noch feudalere Ausstattung aufwies. Eine Ledercouchgarnitur protzte dort im Raum, umgeben von zimmerhohen Pflanzen, die sich teilweise sogar schon über die Decke ausbreiteten. Ein großer Schreibtisch aus Mahagoni, auf dem sich etliche Akten und sonstige Ordner türmten, stand am Fenster. Eine Seitenwand schmückte eine zimmerhohe Regalwand aus Mahagoni, auf der sich die Aktenordner stapelten. Leise Musik klang aus irgendeiner Ecke, die den ganzen Raum damit erfüllte. Es klang nach Chopin. Schulz bot ihnen den Platz auf der Couch an und setzte sich selbst an den Schreibtisch.

»Kaffee kann ich Ihnen leider keinen anbieten, da meine

Sekretärin heute nicht da ist. Wenn ich ihn selbst koche, kann ich ihn auch nicht anbieten«, meinte er verlegen, um endlich ein Gespräch einzuleiten.

»Das macht nichts«, erwiderte Kullmann, während er sich niederließ. Diese tiefen Sessel konnten noch so bequem sein, er mochte sie nicht. Das war für diesen Tag bereits der zweite, in dem er Platz nehmen musste. Es war immer wieder das gleiche Problem, aus diesen Sesseln herauszukommen, ohne das Bild eines alten Mannes dabei abzugeben. »Wir sind wegen den Mitarbeitern Klos und Wehnert hier.«

»Haben die beiden was verbrochen?«

»Warum fragen Sie das?«, erwiderte Hübner sogleich mit einer Gegenfrage.

»Warum sollte sonst die Polizei hier sein?«, erklärte Schulz seine spontane Frage.

»Die beiden sind heute Morgen erschossen im Wald aufgefunden worden“, antwortete Hübner ohne Umschweife.

Adrian Schulz reagierte nicht.

»Haben Sie verstanden, was ich gesagt habe?«

»Sicherlich.« Er schüttelte sich. »Sind sie tot?«

»Ja beide.«

»Wie ist so was möglich?«, fragte er verwundert.

»Um das herauszufinden, sind wir hier“, konterte Hübner ungehalten.

»Ach, Sie wissen noch nicht, wer das getan hat?«

»Nein.«

»Vermuten Sie etwa, jemand aus der Firma?« Es war an Schulz schwer zu erkennen, ob seine Sorge der Firma oder den Mitarbeitern Klos und Wehnert galt.

»Wir dürfen das nicht ausschließen. Aber die Ermittlungen haben erst angefangen, so dass wir noch gar nichts sagen können.

Zuerst müssen wir uns ja ein Bild über die beiden machen, bevor wir anfangen können, nach Verdächtigen zu suchen«, erklärte Kullmann sachlich. Schulz nickte nur verständnisvoll mit dem Kopf.

»Ich kann Ihnen die Personalakte geben. Aber das sagt wohl wenig darüber aus, wie sie waren«, stellte er nur fest.

»Sicher, aber die Akte kann nützlich sein. Was ist denn Ihr Eindruck, wie die beiden waren? Besteht die Möglichkeit, dass der Betriebsausflug im Zusammenhang mit der Tat steht?«

»Der Betriebsausflug? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Die Stimmung gestern war über den ganzen Tag gut und ausgelassen. Da gab es nicht den geringsten Zwist«, erklärte Schulz entschieden und zündete sich eine Zigarette an. Er wirkte nervös. »Warum fragen Sie mich nach diesen Dingen. Können Ihnen die Familien da nicht besser weiterhelfen?«

»Sie können sich sicherlich denken, dass die beiden Frauen zurzeit nicht belastbar sind. Und schon gar nicht mit solchen Fragen«, meinte Kullmann nur und zündete sich ebenfalls eine Zigarette an. Er hatte sich vor einiger Zeit angewöhnt, immer dann zu rauchen, wenn seine Arbeit ihn belastete. Plötzlich hatte er das dringende Bedürfnis nach einer Zigarette, was Hübner argwöhnisch beäugte.

»Erzählen Sie uns was über die beiden«, forderte Kullmann nun nochmal auf.

»Ich kann nicht viel sagen. Die Mitarbeiter kennen sich wohl besser miteinander. Ich weiß nur, dass beide für den Außendienst zugeteilt waren.«

»Wie lange sind die beiden schon bei Ihnen beschäftigt?«

»Jürgen Wehnert ist bestimmt schon 20 Jahre hier. Mein Vater hatte ihn schon eingestellt. Herbert Klos kam etwa vor 6 –7 Jahren auf Drängen von Herrn Wehnert. Daran kann ich mich noch gut erinnern, weil ich damals eigentlich noch keinen zweiten Außendienstmitarbeiter brauchte. Zu der Zeit lief das Geschäft nicht besonders. Aber Wehnert ließ nicht locker, er meinte, Klos besäße das Talent, das Geschäft wieder zu verbessern. Also gab ich nach und stellte ihn ein«, erzählte Schulz.

»Und hat es sich denn bestätigt?«

»Nicht unbedingt. Das Geschäft lief wieder besser, was aber nicht der Verdienst von Klos war. Was Wehnert mir über diesen Mann erzählte, stimmte nicht unbedingt. Man soll die Toten ja ruhen lassen, aber wenn Sie mich danach fragen, kann ich nur sagen, dass Klos keine besonderen Leistungen brachte. Was er am besten konnte, war, andere von der Arbeit abzuhalten. Er glaubte zeitweise, er würde hier als Alleinunterhalter beschäftigt.«

Die Worte verrieten, dass Schulz seinem Mitarbeiter Klos keine besondere Sympathie entgegenbrachte und dies auch nicht verheimlichte.

»Wie standen die Kollegen und Kolleginnen zu den beiden?«

»Sehr gut. Klos war in allen Dingen der Redeführer und Wehnert tat es ihm nach. Auf diese Weise waren beide beliebt unter den Kollegen, sie konnten die Stimmung immer aufheitern.«

»Was macht Ihre Firma denn genau?«, funkte Hübner dazwischen.

»Wir organisieren den Verkauf und die Vermietung von Spielautomaten.«

»Ja, das wissen wir. Wo bekommen Sie die Geräte denn her. Wie ich sehe, gibt es hier keine Werkstatt, die diese Automaten produziert.«

»Wir beziehen die Automaten von den beiden saarländischen Firmen Deskoswi und Royal und verkaufen bzw. verleihen sie an Gasthäuser, Kaufhäuser und vor allen Dingen Spielcasinos und Spielotheken im ganzen Saarland. Einige ausgefallene Automaten beziehen wir auch von Firmen von außerhalb, aber nur wenige«, erklärte Schulz.

»Und was heißt bei Ihnen Außendienst, das was Klos und Wehnert bei Ihnen machten?«

»Werbung vor Ort zum Beispiel. Einige Automaten werden neu vorgeschlagen bzw. andere Automaten müssen zurückgezogen werden und in einigen Fällen ist es notwendig, dass jemand hinausfährt und an Ort und Stelle alles abklärt. Das war ihre Aufgabe.«

»Waren die beiden immer zusammen unterwegs?«

»Ja immer.«

»Immer?«, Hübner war erstaunt.

»Ja, was ist daran so ungewöhnlich? Mir war es lieber so wegen der Sicherheit«, konterte Schulz.

»Arbeitet bei Ihnen sonst niemand mehr im Außendienst?«

»Nein, bisher hatte ich ja keinen Grund, noch jemand einzustellen. Die beiden machten ihre Arbeit ja gut, wobei ich feststellen musste, dass wohl Wehnert die produktive Arbeit geleistet hat und Klos sich damit stets ganz gut profilierte. Allerdings hat unter den Kollegen das niemand bemerkt. Sie ließen sich von Klos blenden und mir war es auch gleichgültig, wie es sich verhielt, solange die Arbeit nicht darunter litt.«

 

»Und das hat sie nicht?«

»Nein, es lief ohne Komplikationen.«

Die Beamten verabschiedeten sich von Schulz und meinten abschließend: »Es wird wohl unvermeidlich sein, alle Mitarbeiter Ihrer Firma zu befragen.«

»Tun Sie das nur«, bemerkte Schulz nicht ohne Ironie.

Kullmann und Hübner stiegen in den Wagen ein und schauten sich an.

»Getroffen hat es ihn nicht gerad«, stellte Hübner fest.

»Das ist mir auch aufgefallen. Das macht den Mann aber noch lange nicht verdächtig«, wertete Kullmann sogleich ab, weil er sich schon denken konnte, was in Hübners hübschem Kopf vorging.

»Na ja, mal sehen, wie die anderen Mitarbeiter der Firma auf die Botschaft reagieren werden.«

Nach einer halben Stunde Fahrt kamen sie am Haus der Mitarbeiterin Ida Fichte an. Es war ein kleines Haus mit einem hübschen Garten, der gepflegt angelegt war mit Fleißigen Lieschen, die in ihren schönsten Farben blühten, Azaleenstöcken, einem mächtigen Schneeballenstock und blühenden Rosenstöcken. Mit staunenden Blicken gingen die beiden Beamten durch diese pittoreske Vegetation zum Haus und klingelten. Während sie auf eine Reaktion aus dem Haus warteten, setzte wieder Regen ein, der geräuschvoll auf die Pflanzen plätscherte, sich dort zu Perlen formte und tröpfchenweise auf den Boden fiel. Lange hielt diese Idylle jedoch nicht, denn der Regen wurde rasch stärker. Kullmann schlug seinen Kragen hoch, um sich so zu schützen, während Hübner regungslos dastand und die Tropfen auf sich herab prasseln ließ.

»Wenn die noch lange braucht, dann bin ich tropfnass“, stellte er missmutig fest. Im gleichen Augenblick wurde die Tür von einer kleinen unauffälligen Frau mittleren Alters geöffnet.

»Wer sind Sie?«, frage sie mit zaghafter Stimme.

»Wir sind von der Polizei und haben ein paar Fragen an Sie«, leitete Hübner geschwind das Gespräch ein. »Dürfen wir hereinkommen, es ist hier draußen ziemlich nass?«

»Sicherlich, wenn Sie von der Polizei sind“, meinte sie nur staunend, ließ sich aber vorsichtshalber die Dienstmarken vorzeigen.

Daraufhin ließ sie die beiden eintreten. In der anspruchslos eingerichteten Küche angelangt setzten sie sich an den einzigen Tisch, wo Frau Fichte bereits begonnen hatte, Kartoffeln zu schälen. Verlegen räumte sie die Arbeit weg und meinte nur: »Ich lebe zwar allein, aber manchmal habe ich das Bedürfnis, mir etwas Gutes zu kochen.«

Hübner und Kullmann nickten beipflichtend.

»Wir sind wegen den Arbeitskollegen Klos und Wehnert hier“, begann Hübner und erzählte ihr, was mit den beiden passiert war.

Stumm setzte sie sich an das andere Tischende und sah die beiden an, als wüsste sie nicht, wie sie darauf reagieren sollte.

»Wie gut kannten Sie die beiden?«

»Nur als Arbeitskollegen. Privat kannte ich sie nicht«, antwortete sie kurz.

Das ganze Gespräch erwies sich nicht als fruchtbar. Frau Fichte war im Innendienst in der Antragsaufnahme beschäftigt und schien ein zurückgezogener und ruhiger Mensch zu sein.

Informationen konnte man von ihr wohl keine erwarten. Den Betriebsausflug empfand sie, wie es zu erwarten war, als nette Abwechslung, wobei sie sich aber nicht näher über Einzelheiten äußerte. Nach kurzer Zeit verließen die beiden Beamten das Haus wieder und fuhren zurück zum Präsidium.

Dort herrschte reges Treiben. Der Wirt des Lokals Zur alten Mühle, wo die abschließende Betriebsfeier stattgefunden hatte, war dort und unterhielt das ganze Kollegium mit seiner lauten Stimme.

Kullmann ließ ihn ganz außer Acht, ging zielstrebig in sein Zimmer und schloss die Tür. Die laute Stimme war trotzdem ganz deutlich zu hören und er konnte jedes Wort verstehen, was ihm nicht recht war.

Er wollte seine Eindrücke ordnen und dazu brauchte er Ruhe. Aber die war ihm nicht gegönnt. Er hörte, wie der Wirt sich ausführlich darüber äußerte, wie irgendeine fremde Blondine sich verhalten hatte, was die getragen hatte, mit wem sie gesprochen hatte, ja sogar, welche Zigarettenmarke sie geraucht hatte. Aber niemand habe diese schöne Blonde gekannt. Nun wurde Kullmann hellhörig. Neugierig kam er wieder aus seinem Zimmer hervor und gesellte sich zu den Kollegen, die sich von dem Wirt unterhalten ließen.

»Aah, ist das euer Boss?«, rief er sogleich rüpelhaft, als er Kullmann kommen sah.

»Vorgesetzter, das Wort ›Boss‹ gibt es bei uns nicht“, korrigierte Kullmann ihn sogleich. »Aber fahren Sie mit Ihren Geschichten ruhig fort. Ich höre gerne zu.«

»Ja, wie ich dann schon sagte, diese Braut zog mit den aufreizenden Klamotten alle Blicke auf sich. Eine Oberweite hatte die...“, dabei machte er eine typische Handbewegung. »Da hätte man am liebsten selbst mal, na ja.« schmunzelte er. »Jedenfalls hatte diese Blondine nach einiger Zeit zwei Männer um sich herum, die sie den Rest des Abends freihielten mit ColaCognac und so. Abgeneigt war von den dreien keiner, das merkte man gleich. Als die drei dann ziemlich abgefüllt waren, sind sie dann zusammen fort. Einer der beiden ist doch tatsächlich noch mit dem Wagen gefahren, bei dem, was der getrunken hatte.« Nachdenklich schüttelte der Wirt den Kopf.

»Wer waren die beiden Männer?«, fragte Kollege Schnur.

»Die Namen kann ich Ihnen nicht sagen, aber ich würde sie sofort wiedererkennen.«

Daraufhin nahm Schnur ein Foto hervor, auf dem die beiden Toten abgebildet worden waren in den frühen Morgenstunden und hielt es dem Wirt vor die Nase. Dieser erblasste. Damit hatte er offensichtlich nicht gerechnet.

»Um Gotteswillen“, stieß er aus. »Die sind ja tot.«

»Deshalb sind Sie hier. Wir ermitteln in diesem Fall“, erklärte Hübner kurz.

»Sind das die beiden Männer, mit denen die blonde Frau fortgegangen ist?«, fragte Schnur.

»Ja, das sind die beiden.«

»Na, dann haben wir schon ’mal einen Anhaltspunkt“, lobte Hübner gleich. »Und die Blondine, würden Sie die auch wieder erkennen?«

»Das weiß ich nicht, die hatte je ’ne Sonnenbrille an.«

»Eine Sonnenbrille? In einer regnerischen Nacht? In einer dunklen Kneipe?«, meinte Hübner ironisch.

»Ja. Ich habe mir darum keine Gedanken gemacht, die Stimmung war gut, warum sollte ich da etwas Verdächtiges vermuten?«, wehrte der Wirt sich.

»Da haben Sie nun auch wieder recht. Nicht jede Blondine bringt Ihre Verehrer gleich um“, fuhr Hübner in dem gleichen Ton fort.

»Wir wissen auch nicht, ob diese Frau es getan hat“, schaltete Kullmann sich ein. »Einen Menschen zu erschießen, ist vielleicht noch gut möglich für einen Durchschnittsbürger, aber gleich zwei. Da muss schon jemand her, der sich mit Waffen und dergleichen auskennt.«

»Ach was, die beiden waren doch betrunken, die konnten wohl nicht mehr richtig reagieren«, wehrte Hübner ab.

»Das wissen wir aber nicht. Das Adrenalin kann die Reaktion trotz Alkohol erheblich verbessern«, belehrte Kullmann. »Aber wir müssen erst den Autopsie-Bericht abwarten, um zu erfahren, wie viel Alkohol überhaupt getrunken wurde.«

»Oh, das war eine ganze Menge. Also ich trinke nicht so viel, obwohl ich schon eine Menge vertrage«, meinte der Wirt.

»Und diese Blondine war gestern Abend zum ersten Mal da?«, wollte Hübner sich nochmal versichern.

»Ja, ich hab’ die vorher noch nie gesehen, die wäre mir aufgefallen, bei der Figur.«

Kullmann und Hübner zogen sich in Hübners Büro zurück.

»Da hätten wir ja mal einen Anfang«, meinte Hübner.

»Ja, es gibt ja auch in der Stadt fast keine Blondine mit einer guten Figur, die nachts Sonnenbrillen träg«, murmelte Kullmann.

»Sicherlich wäre es unsinnig, eine Fahndung nach dieser Unbekannten herauszugeben, was bedeutet, dass wir weiterhin die Mitarbeiter der Firma Schulz KG befragen müssen. Aber ist dir aufgefallen, dass weder Schulz noch diese Ida Fichte diese Blondine erwähnt haben?«

Kullmann blickte auf: »Ja richtig. Das bedeutet, wir müssen nochmal zu den beiden.«

Hübner nickte.

Die Tür ging auf und Anke Deister kam herein. Als sie sah, dass Kullmann sich auch im Büro befand, entschuldigte sie sich und verschwand schnell wieder. Kullmann schaute kurz zu seinem Kollegen, runzelte nachdenklich die Stirn und verließ dann das Zimmer mit den Worten: »Ich wollte dein Büro sowieso verlassen.«

Hübner wollte noch etwas entgegnen, doch Kullmann war bereits verschwunden.

In seinem Büro angekommen, ließ er sich in seinen Stuhl sinken und versuchte, sachlich darüber nachzugrübeln, was die Kollegin Deister wohl in Hübners Zimmer wollte. Sollte sich dort etwas abspielen, wovon er bis zu dem Zeitpunkt nichts mitbekommen hatte? Die Tatsache, dass er wohl wieder der letzte war, der betriebsinterne Angelegenheiten erfuhr, ärgerte ihn dabei weniger.

Vielmehr sorgte er sich um Anke Deister. Sie war ihm ans Herz gewachsen. Empfand er für sie doch bereits starke väterliche Gefühle, so dass der Gedanke, sie in Hübners Gunst zu wähnen, ihm einen heftigen Stich versetzte. Zu viel hatte er in den letzten 5 Jahren von Hübners Lebensgewohnheiten zwangsläufig mitbekommen. Er war ein Frauenheld und sonnte sich in seinem Glück. Unerträglich wäre es für Kullmann, dass es auch eine Frau wie Anke Deister treffen könnte. Aber was konnte er tun? Jeder Versuch, sie zu ermahnen oder zu warnen, würde das Gegenteil hervorrufen: Trotz. Also musste er wohl unbeteiligt zusehen.

Hübner stürmte in sein Zimmer und meinte in bestimmendem Ton: »Was ist, fahren wir nun zu Schulz und Fichte oder verschieben wir das auf morgen?«

»Warum dieser Überfall?«, beschwerte sich Kullmann, der sich aus seinen Gedanken gerissen fühlte. Sein Blick schweifte zum Fenster, das zum grauen Hof zeigte, auf das der heftige Regen prasselte.

Bei diesem Wetter war er trübsinnig und wusste genau, es würde ihm schwerfallen, nun zu diesen beiden hinauszufahren, und deshalb lehnte er entschieden ab. Sein Tonfall verriet, dass er Hübners Auftreten nicht duldete und dieser verschwand auch wieder ohne Widerrede. Übellaunig suchte Kullmann sich einige Akten den Fall betreffend zusammen und verließ sein Büro.

Kapitel 2

Seit Stunden flimmerte schon der Fernseher vor sich hin. Werbung über Pflegelotion oder Waschpulver, ab und zu ein Zeichentrickfilm oder eine Reportage über Tierversuche bis endlich der Aktuelle Bericht seine Anfangsmusik ertönen ließ. Schnell legte sie das Bügeleisen nieder und setzte sich auf das kleine Sofa vor dem Flimmerkasten, wo sie sich bereits ein gemütliches Nest aus mehreren Wolldecken zusammengebaut hatte.

Nach der Begrüßung des Fernsehsprechers ging es gleich mit den Nachrichten des Tages los.

»In den frühen Morgenstunden machte ein Jogger einen grausigen Fund. Zwei Leichen wurden in einem offenstehenden PKW aufgefunden, die Schusswunden im Bereich des Kopfes und der Brust aufwiesen. Es handelt sich dabei um Herbert Klos, 39 Jahre alt und verheiratet und um Jürgen Wehnert, 41 Jahre alt und auch verheiratet. Das Landeskriminalamt hat eine Sonderkommission gebildet, um diese schreckliche Tat schnellstmöglich aufzuklären.

Es fehlt ihr bisher jedoch jede Spur.«

Es wurden Fotos von den beiden Betroffenen ausgestrahlt.

Diese Fotos waren garantiert schon mehrere Jahre alt, dachte sie verärgert. Sie zeigten die beiden von ihrer schönsten Seite. Versuchte die Presse, die Tat auf diese Weise dramatischer zu schildern, als sie wirklich war?

»Für Hinweise von Zeugen können Sie folgende Telefonnummer anrufen. Das Landeskriminalamt nimmt alle Hinweise entgegen.«

Dann ging es weiter mit Politik.

Mit gemischten Gefühlen wandte sie sich wieder dem Bügeleisen zu. Vor ihr lag ein graues, einfaches und hochgeschlossenes Sweatshirt und wartete darauf geglättet zu werden. Sie konnte sich jedoch nicht darauf konzentrieren. Die Fotos, die die Presse über den Fernseher ausstrahlte, hatten sie etwas aus dem Konzept gebracht. Sie wirkten so jugendlich und unscheinbar, schon fast nett. Wollte die Presse Mitleid für die beiden erregen, damit der Hass auf den Mörder nur noch größer und die Hilfsbereitschaft stärker wurde? Wer kannte diese beiden wirklich? Sie kannte sie besser als alle anderen. In den letzten beiden Jahren hatte sie genug über sie in Erfahrung gebracht. Lange genug hatte sie sich selbst blenden lassen, sie musste Lehrgeld bezahlen. Aber nicht nur sie, was ihr ein wenig Trost spendete. Sie war mit Sicherheit nicht der einzige Mensch, der sich über den Tod der beiden freute.

 

Das Telefon klingelte. Es war eine seit etwa zwei Jahren eng vertraute Person, Eva.

»Ich habe gerade den Aktuellen Bericht gesehen«, meinte Eva.

»Ja, ich auch.«

»Das einzige, was mich störte, waren diese Fotos. Sie sahen darauf so nett aus, so etwas nennt man Täuschungsmanöver. Was wollen die damit erreichen?«

»Das weiß ich auch nicht. Aber ich denke, die Polizei wird noch erfahren, was für Menschen sie waren.«

»Kommst du mich morgen besuchen? Ich bin morgen den ganzen Tag allein. Mein Mann fährt mit Markus in den Holiday-Park.«

»Ja, das ist eine gute Idee.«

Die beiden hängten ein.

*

An der Haustür klingelte es Sturm. Unter Murren beeilte Kullmann sich, um zu vermeiden, dass der junge Kollege noch mehr Lärm veranstaltete zu dieser frühen Zeit.

Es war Sonntagmorgen und es regnete nicht mehr. Einige Sonnenstrahlen arbeiteten sich mühsam durch die grauen Wolken und ließen den neuen Tag in einem Zwielicht erscheinen. Blinzelnd öffnete der Alte die Tür und grummelte etwas, was ein Guten-Morgen-Gruß sein sollte.

»Ich hoffe, du hast was Wichtiges so früh am Morgen.«

»Klar, die Ergebnisse einiger Befragungen. Ich dachte es interessiert dich“, stürmte der junge Mann ins Haus hinein.

Kullmann bewohnte ein kleines altes einstöckiges Haus im Ortsteil Schafbrücke mit einem ordentlich angelegten Vorgarten, einer kleinen Terrasse, die das ganze Jahr über leer stand, und einem kleinen Garten, den die Kinder aus der Nachbarschaft zum Spielen belagerten. Er selbst verbrachte wenig Zeit in diesem Häuschen, das zu einer Seite auf das verträumte Grumbachtal blickte und zur anderen Seite auf den regen Verkehr der Kaiserstraße, die Hauptverbindungsstraße zum Zentrum der Stadt Saarbrücken.

Beim Betreten dieses Hauses überkam Hübner ständig das Gefühl, von der Haustür zum Wohnzimmer in eine andere Welt zu treten. Aus dem Verkehrslärm, dem ständigen Autohupen, dem Menschengewirr in die Stille, die sich auf der anderen Seite des Hauses über den kleinen Wald und die grünen Hügel erstreckte. Augenblicklich hatte sogar Hübner das Gefühl, entspannter zu sein. Genüsslich ließ er sich auf das Sofa sinken und ließ seinen Blick durch das Fenster zum Garten schweifen, der zur frühen Stunde noch völlig ruhig und leer war. Kullmann kam einige Minuten später hinter seinem Kollegen her und stellte zwei alte Sammeltassen auf den Tisch, in die er einen gut duftenden Kaffee einschenkte.

»Ich weiß zwar nicht, ob du bereits bei einer deiner ›Damen‹ Kaffee bekommen hast, biete ihn dir aber trotzdem an«, bemerkte er dazu.

Hübner ging auf diese Anspielung gar nicht ein, sondern kam gleich zum Thema.

»Also Frau Ida Fichte war schon früh gegangen, sie hatte diese blonde Frau nicht mehr gesehen, das war zu erwarten und Adrian Schulz hatte ihr keine Bedeutung beigemessen. Der wusste gar nicht, dass die beiden noch mit ihr weitergezogen sind.«

Weiterhin erzählte er von den Ergebnissen seiner Befragungen, wonach er systematisch alle Mitarbeiter der Fa. Schulz KG besucht hatte, die sich infolge der Betriebsfeier bis spät in die Nacht, alle zu Hause aufgehalten hatten.

Zuerst war er bei einem Kollegen, der im Bereich Auftragsannahme beschäftigt war. Ein unangenehmer Mann, der ständig zweideutige Bemerkungen über die Mitarbeiter machte. Als er zum Thema der geheimnisvollen Blondine kam, holte er erst richtig aus und berichtete, dass der Kollege Klos bei einem Fest niemals die Finger von den Frauen lassen konnte, obwohl er verheiratet war.

Aber das hatte ihn nie daran gehindert, jede Gelegenheit zu nutzen und alles zu versuchen. Wie weit er wirklich ging, konnte er nicht sagen. Darüber hatte Herbert Klos nur wichtigtuerische Andeutungen gemacht. Im Fall der geheimnisvollen Blondine konnte er jedoch mit Bestimmtheit sagen, dass sie zur späten Stunde mit dem Wagen von Klos verschwunden waren.

»Und von Wehnert war nicht die Rede?«, erinnerte Kullmann den eifrigen jungen Kollegen daran, dass Klos nicht das einzige Opfer war.

»Der Zeuge behauptete, die beiden Kollegen waren dafür bekannt, unkonventionellen Sex zu praktizieren, in unserem Fall bedeutet das, sie waren zu dritt«, erklärte Hübner grinsend.

»Was veranlasst diesen Zeugen zu solch einer Aussage?», zweifelte Kullmann.

»Angeblich hatten beide nach dem Betriebsausflug vor zwei Jahren mächtig damit geprahlt. Dieses Thema schien ihn eindeutig zu amüsieren.«

»Was ereignete sich vor zwei Jahren?«, fragte Kullmann verwirrt. Er konnte keine Zusammenhänge erkennen.

»Damals hatten die beiden Opfer ein ähnliches Abenteuer mit einer gewissen Elvira Reinhardt. Sie war bis zu diesem Zeitpunkt in der Firma Schulz KG beschäftigt. Mit ihr sind sie auch in der Nacht zusammen weggegangen. In der folgenden Woche hatten sie nichts Besseres zu tun, als ständig bis ins Detail darüber zu plaudern, was vorgefallen ist.«

»Wie scheußlich“, schüttelte Kullmann verächtlich den Kopf.

»Und was hat Elvira Reinhardt darüber erzählt?«, wollte er wissen.

»Direkt nach dem Betriebsausflug hatte sie gekündigt.«

»Und das war alles vor zwei Jahren?«, staunte Kullmann.

Hübner nickte.

»Was war daran so ungewöhnlich, dass der Kollege alles noch so genau in Erinnerung behalten hat?«

»Nach seinen Worten lag es an den Kollegen Klos und Wehnert. Diese beiden waren die Partylöwen, ohne sie lief nichts, kam keine Stimmung auf. Es werden in dieser Firma lediglich ein Betriebsausflug und eine Weihnachtsfeier veranstaltet, mehr läuft in dem Laden nicht. Letztes Jahr waren die beiden auf dem Betriebsausflug nicht dabei. Aus diesem Grunde war der Ausflug völlig uninteressant und vor allen Dingen keinem besonders im Gedächtnis haften geblieben«, erklärte Hübner weit ausschweifend. „Nach seiner Aussage war Klos der Anstifter und Wehnert lief in seinem Schatten herum. Klos hatte sich auch stets bei den weiblichen Bediensteten eingeschmeichelt und bei den Herren der Schöpfung mit seinen Jagdtrophäen gebrüstet. Er hat wohl mehr als einer Frau mit seiner Lebensweise wehgetan.«

Kullmann lauschte gespannt Hübners Worten, die wie ein Wasserfall auf ihn hernieder prasselten. Als endlich Stille eintrat fragte er nur kurz: »War das alles?«

Hübner stutzte. »Ich denke, das ist ein Anfang.«

»Meinst du, wir sollten nun nach betrogenen Ehemännern fahnden, wo wir noch nicht einmal die Namen der Frauen wissen, die Kontakt zu Klos hatten?« Die Ironie in Kullmanns Stimme wuchs.

»Wusstest du, dass der Vater von Klos vor einigen Jahren Landtagsabgeordneter war?« versuchte Hübner abzulenken.

»Ja. Josef Klos wurde vor 14 Jahren ermordet. Die Tat wurde allerdings nie aufgeklärt. Man behauptete, es sei ein politisches Motiv gewesen, wobei ich kaum glauben kann, dass es in unserem kleinen Land so wichtige politische Bewegungen geben kann«, murrte Kullmann, stand auf und ging auf das Fenster zu, um den Anblick seines sonnenbeschienenen Gartens zu genießen.

»Ich glaube, du bist mit dem falschen Fuß aufgestanden«, knurrte Hübner, mittlerweile in seinem Enthusiasmus gebremst. »Jedenfalls dachte ich, es würde dich interessieren.«

»Hast du nicht noch andere Mitarbeiter befragt?«

»Doch, zum Beispiel den jungen Nachfolger von Elvira Reinhardt. Aber er ist ruhig und hat auch wenig zu berichten. Allerdings gibt es da noch diese Angestellte im Personalbüro. Die war gesprächiger.«

»Zum Beispiel?«, forderte Kullmann den Kollegen auf, genauer zu werden.

»Sie sah in Herbert Klos einen stets gut gelaunten Menschen, der immer zu Späßen bereit war und beste Laune unter den Kollegen verbreitete.«

»Und seine Frauengeschichten? Für gewöhnlich reagieren Frauen auf so was doch viel sensibler als Männer“, schlürfte Kullmann seinen Kaffee, ohne Hübner dabei aus den Augen zu lassen.