Auf der Suche nach Wärme

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Auf der Suche nach Wärme
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Ella Mackener

Auf der Suche nach Wärme

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Impressum neobooks

Kapitel 1

Auf der Suche nach Wärme

Ella Mackener

Impressum

Texte: Copyright by Ella Mackerner

Umschlag: Copyright by Ella Mackener

Verlag: Ella Mackener

e.mackener@gmail.com

Danksagung

Ich danke Edda und Dieter für ihren unermüdlichen Zuspruch.

4 Uhr!

"Sorry, Kathrin! Ich muss los"

Ich schäme mich. Wir haben diesen neuen Kunden fast an der Angel und jetzt lasse ich die anderen allein mit dem Stress.

"Jetzt hör mal zu: Du hast die ganze letzte Woche je eine Stunde früher angefangen. Wenn wir ALLE noch in unseren Betten geratzt haben - da hast du hier schon die ersten Rundbriefe geschrieben. Jetzt mach dich heim und koch deinem Schmuckerl sein Leibgericht!", gibt sie cool zurück.

Ich hasse es, wenn sie ihn "Schmuckerl" nennt - das hört sich so waaahnsinnig feminin an, aber ich schiebe es einfach auf ihre Herkunft. Ansonsten ist Kathrin echt ein Schatz! Ich meine, es stimmt: Ich war die ganze Woche eher gekommen, um heute verfrüht in den Feierabend gehen zu können. Dennoch, nicht alle Chefs lassen einem so viel Freiraum.

Ich drücke ihr einen dicken Kuss auf die Wange und husche aus dem Büro, bevor sie es sich anders überlegen kann.

Auf der Treppe nach unten, gehe ich alles noch einmal durch: 3 Zwiebeln, 1 Tube Tomatenmark, 2 Dosen passierter Tomaten, Fleischbrühe, 1 Knoblauchzehe und 1 kg Gehacktes. Eigentlich ist es nicht viel, was ich brauche, aber ich gehe lieber dreimal alles durch, bevor ich etwas vergesse und die ganze Überraschung dahin ist.

Tom hat das Haus voll. Kevin, Johannes, Tim, Volker und Jan sind übers Wochenende bei uns zu Besuch. Ich habe also eigentlich nicht allzu viel Ambitionen zu der -wahrscheinlich schon trunkenen - Meute zu stoßen, aber was tut man nicht alles für die Liebe.

Tom freut sich schon seit Wochen auf dieses Wochenende mit seinen Jungs, aber, ich weiß auch, dass er etwas aufgeregt ist, wenn er das auch nicht zugeben würde. Er möchte mal wieder, dass alles perfekt läuft.

Wie immer hat er alles durchgeplant: Heute Abend Kiez, morgen Hafenrundfahrt und Hamburger Dungeon, danach zum Blue Port.

Morgen würden sie zum Mittag am Hafen ein Fischbrötchen essen und abends hatte er im Portugiesenviertel reserviert. Nur heute Abend hatte er Angst, dass sie verhungern würden. Also überrasche ich ihn mit meiner verfrühten Ankunft, um die Bande bekochen zu können.

Ich verstehe zwar auch nicht, warum er alles immer durchgeplant und perfekt haben muss, aber ich freue mich, dass ich ihm auf diesem Wege eine Freude machen kann.

Kapitel 2

Tom und ich sind seit 4 Jahren ein Paar. Wir kommen aus der gleichen Stadt; der gleichen winzigen Stadt, wo jeder jeden kennt und das Tratschen nie aufhört.

Ich bin dort mit meinen Großeltern und meiner Schwester in der Burgunderstraße aufgewachsen. Tom hat ca. 20 Minuten Fußweg von uns entfernt gewohnt - auf dem wunderschönen Echsberg.

Wir gingen zur selben Schule und kannten uns jahrelang nur beim Namen. Wir grüßten einander, wenn wir uns sahen, aber wir hatten über Jahre keine wirkliche Unterhaltung geführt. Er war attraktiv, aber der Funke war nie übergesprungen. Auf Christas und Heiners Hochzeit hat es dann geknistert. Ich weiß nicht, ob es Absicht von den beiden war, die mit 25 so ziemlich einzigen Singles des Abends an einen Tisch zu setzen oder nicht. So oder so - jetzt bin ich froh darum.

Wir haben uns den ganzen Abend pausenlos unterhalten. Ich hatte schnell Vertrauen zu ihm gefasst, wofür andere Jahre kämpfen mussten. Wir redeten über Gott und die Welt. Über die Vergangenheit und die Zukunft, über Hobbies und Ängste. Ich erzählte ihm sogar an demselben Abend von meiner Mutter.

An diesem Abend vergaßen wir alles um uns herum.

Schon am nächsten Morgen rief mich Christa an, wollte jedes Detail wissen.

Aber es gab keine Details. Gentleman-like brachte er mich nach Hause. Er zögerte zwar kurz beim Abschied, hauchte mir dann aber nur flüchtig ein Küsschen auf die Wange. Erst war ich enttäuscht, aber ich merkte schnell, dass er auf mehr als nur eine Affäre aus war. Gott sei Dank!

 

Wir trafen uns zum Abendessen. Dann gingen wir nur gemeinsam spazieren. Wir sahen uns 2-3 Mal die Woche. Die restliche Zeit telefonierten wir pausenlos; in jeder freien Minute. Es war lächerlich. Manchmal kicherten wir beide ununterbrochen am Telefon, weil wir beide wussten, wie verrückt das war.

Nach einem Monat waren wir offiziell ein Paar.

Kapitel 3

Ich muss schmunzeln, wenn ich daran zurückdenke. Ich liebe ihn immer noch wie am ersten Tag. Wir liegen immer noch die ganze Nacht eng umschlungen im Bett, wir können immer noch nicht voneinander ablassen, wenn der jeweils andere von der Arbeit kommt und können uns immer noch nicht trennen, wenn der jeweils andere zur Arbeit muss.

Ich weiß, dass uns viele um das beneiden, was wir haben. Ich weiß, dass uns viele als DAS Traumpaar bezeichnen und auch ich finde, dass wir ein echt großartiges Team sind.

Ich kann es kaum erwarten, seinen Blick zu sehen, wenn ich gleich in der Tür stehe.

Mittlerweile sitze ich in der Bahn. Alsterdorf, Sengelmannstraße und Ohlsdorf rauschen an mir vorbei. Ich bin fast ein bisschen aufgeregt. Kleinborstel - hier muss ich raus. Normalerweise laufe ich das letzte Stück, aber mit den Einkaufstüten nehme ich lieber den Bus. Als ich aussteige, wirft mir der ewig grimmige Busfahrer durch den Rückspiegel einen Blick zu. Seine Trotzigkeit kann mir heute nichts. Ich bedanke mich dennoch mit einem freundlichen Nicken.

Als ich in unsere Auffahrt einbiege, kann ich die Jungs schon grölen hören. Ich selbst muss auflachen. Wie zu erwarten, haben sie sich wohl das ein- oder andere Getränk bereits gegönnt. Ich überlege, sie nachher für ein Bier auf den Kiez zu begleiten. Die Jungs mögen mich. Sie würden sich sicher freuen. Und wenn ich es bei dem einen Bier belasse, haben sie nachher noch genug Zeit sich auszutoben. Vielleicht keine schlechte Idee.

Leise drehe ich den Schlüssel im Schloss. Ich will nicht, dass sie gleich mitkriegen, dass ich nach Hause gekommen bin. Dafür bin ich zu sehr auf Toms Gesicht gespannt.

Volker lacht gerade dreckig auf. Ich liebe diesen Typen. Nicht nur, weil er mich offensichtlich verehrt. Er hat mich durch seine Ehrlichkeit gewonnen. Volker ist ein absoluter Draufgänger, ein ewiger Junggeselle. Wahrscheinlich sollte ich mich am meisten um Tom sorgen, wenn er mit Volker unterwegs, aber das tue ich keineswegs. Volker macht keinen Hehl aus seinen Affären, aus seinen Saufgelagen und Fettnäpfchen. Wenn er etwas sagt, ist das meistens abgrundtief versaut und aufmüpfig, aber du kannst darauf gefasst sein, dass es aus tiefstem Herzen kommt. Was Volker sagt, stimmt. Und diese raue Direktheit hat mich ihn schätzen gelernt.

"Ach kommt. Ihr seid doch nur neidisch. Als ob nicht jeder einzelne von euch sie flachlegen wollte" - und das ist Jan. Jan ist viel eher der Typ, gegenüber dessen ich mein Misstrauen nie ablegen konnte. Er ist einer dieser Schönlinge. Sein dunkles Haar trägt er etwas länger und gelt es sich stets nach hinten. Wenn alle in Hemd und Jeans ausgehen, trägt er einen Anzug, sein Gesicht glattrasiert. Er geht ins Fitnessstudio und das sieht man. Dennoch kann ich Jan nichts abgewinnen, aber die Frauen lieben ihn. Und das trägt er auch gerne zur Schau. Offensichtlich tut er gerade nichts anderes. Ich erwische mich, wie ich die Augen verdrehe.

"Nö, ich will nur eine ficken, aber die ist mit meinem Kumpel verlobt", raunzt Volker. Ich versuche mir das Lachen zu verkneifen. Die anderen kreischen vor Lachen, aber Volker heult auf. Sicher hat er von Tom einen Rümpfer gekriegt.

Als es wieder still wird, lässt Jan nicht locker: „Sie hat mich geritten als gäbe es keinen Morgen... arrrgh ...". Er gibt einen Laut von sich, der mich zum Würgen bringt. Wieder Gejohle der Jungs. Statt weiteren Details des Sex mit dieser Ach-so-schönen-Göttin zu lauschen, entschließe ich mich, die Treppe langsam hoch zu schleichen. Während Jan weiter singsangt:" Diese Hüften, diese karamell-farbene Haut...", schlüpfe ich aus meinen Schuhen und nehme die ersten Stufen.

"...dieses herzförmige Muttermal in ihrer rechten Leiste..."

Ich schnappe nach Luft. Ich erstarre. Selbst wenn mein Körper wöllte, ich könnte keinen weiteren Schritt machen. Mein Herz rast, mein Magen krampft.

Das war Tom!

Ich habe am ganzen Körper Gänsehaut.

Woher kennt er eine so intime Stelle einer anderen Frau?

Oben herrscht auf einmal Totenstille. Ich kann vor meinem inneren Auge sehen, wie sich Tom und Jan in Grund und Boden starren. Zwischen den Freunden hat auch immer eine Rivalität geherrscht.

"Du verarscht uns!", bricht Kevin das Schweigen.

"Oder?", hakt er gleich nach.

Ich habe mich noch immer nicht gerührt, bin wie zu Eis erstarrt.

Es folgt gedämpftes Gemurmel, dann Ausrufe des Erstaunens, Jubel.

Er muss den Jungs zu verstehen gegeben haben, dass das sein voller Ernst war.

Mein Körper ist schweißnass, mir ist kalt und warm zugleich. Die Tüten schneiden in meine Hände. Ich hatte ganz vergessen, dass ich sie noch immer fest umklammert hielt. In meinem Hals ein fetter Kloß. Ich möchte weinen, ich möchte aufschreien. Ich merke, wie ich zu zittern beginne. Vor Wut? Vor Angst? Angst, ihn zu verlieren? Angst, dass er mich wirklich betrogen hat? Angst, dass er mit so etwas zu protzen versucht? Angst, hier - auf halber Treppe beim Lauschen - erwischt zu werden?

Meine Gedanken rasen, aber mein Körper ist stocksteif.

"Es ist schon ewig her. Es hat mir ... uns auch wirklich nichts bedeutet. Es war nur Sex", stammelte Tom entschuldigend.

"Ich fasse es nicht"

"Das kann doch nicht wahr sein"

"Wann?"

Sie rufen durcheinander mit einer Mischung aus Empörtheit und Neid. Nur Jan schweigt.

Ich will die Runde stürmen. Ich will ihn zur Rede stellen. Ich will ihn anschreien. Ich will überhaupt schreien. Aber meine Kehle ist zugeschnürt. Mein Kopf sinkt auf meine Brust. Ich traue mich nicht mich zu rühren. Leise beginne ich zu schluchzen. Ich will keine Szene. Wie sollte das Wochenende dann weitergehen? Ich will nicht vor den anderen weinen. Sie sehen mich doch immer mit so viel Bewunderung an. Ich kann das heute nicht mit ihm ausfechten und das neue Wissen raubt mir ohnehin alle Kraft.

Mein Herz fühlt sich an, als ob es in Flammen aufgeht. Ich spüre wahrhaftig physische Schmerzen. Als ob mein Herz explodiert und Glassplitter im ganzen Körper verteilt. Meine Arme beginnen zu kribbeln. Sie sind auf einmal bleischwer. Über meinen ganzen Körper hat sich ein schwerer Mantel gelegt, der mich zu Boden ziehen will. Um meine Brust hat sich ein Gürtel gelegt, der sich immer enger zuschnürt; der mir die Luft raubt. Wie ein begossener Pudel stehe ich da auf der Hälfte der Treppe. Die Schultern tief, der Kopf auf der Brust, leises Schluchzen, das meinen Körper zum Beben bringt. Die Einkaufstüten in der Hand. Und oben ermutigende Jubelrufe.

"Maria war damals noch in der Klinik. Sie war seit Tagen nicht ansprechbar. Ich machte mir fürchterliche Sorgen, fühlte mich allein. Wir hatten so lange auf positive Nachrichten gehofft und wurden immer wieder vertröstet. Ich war mit meinen Kräften am Ende. Ihr wisst, wie sehr ich Maria liebe..."

Ich weiß nicht, wann ich zu weinen begonnen hatte, aber heiße Tränen rinnen unaufhörlich meine Wangen hinunter, tropfen von meinem Kinn.

"...und... ich wollte mich einfach mal wieder fallen lassen; in den Arm genommen werden. Scheiße man, echt, ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie leid mir das tut, man... Und Anna ging´s genauso!"

Anna!!!! Natürlich! Anna hatte ein Muttermal in der rechten Leiste!

Ich schnappe laut nach Luft. Oben verstummt auf einmal alles. Ich bekomme keine Luft, mein Kopf platzt, meine Sicht hinter einem Tränenschleier verschwommen.

In weiter Ferne höre ich, wie die Jungs ihn mit Fragen zu löchern beginnen. Sie haben mich nicht gehört.

Ich möchte noch mehr wissen und auch nicht. Ich kann nicht. Mehr kann ich für den Moment nicht ertragen. Meine Knie geben nach. Hastig, aber bemüht leise, hangle ich mich zurück nach unten. Die Einkaufstüten noch immer in den Händen.

Kapitel 4

Ich ziehe die Tür leise hinter mir ran und sinke zu Boden. Mit meiner Hüfte und meinem Hinterkopf noch immer an der Tür lasse ich mich einfach fallen. Ich ziehe die Knie an mein Gesicht, um mein Schluchzen zu dämpfen. Ich lasse den Tränen freien Lauf. Ich merke, wie mein Gesicht heißläuft. Immer wieder stoße ich mit meinem Hinterkopf an die Tür. Immer wieder, aber leise genug, um niemanden aufzuscheuchen. Voller Ungläubigkeit. Wie konnte er mir das antun? Wie konnte sie mir das antun? Die beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben. Wie konnten sie mich so hintergehen?

Ich denke an all die Momente, die wir in inniger Zweisamkeit verbrachten; die so ehrlich erschienen. War irgendetwas von alledem wahr? Eben sah ich uns noch als Traumpaar. Auf einmal stelle ich alles infrage.

Mir gehen so viele Gedanken durch den Kopf, dass ich nicht in der Lage bin, einen klaren Gedanken zu fassen.

Anna! Anna war die Person, an die ich mich immer wenden konnte; mit jeglichen Sorgen. Uns verband etwas Besonderes. Wir sind viel mehr als Halbschwestern. Wie konnte sie nur? Wie konnten sie mir das nur antun?

Zu wem sollte ich jetzt? Zwar hatte ich meinen Heimatort zu hassen begonnen, aber in Hamburg pflegte ich nur oberflächliche Freundschaften. Da war niemand, dem ich mich anvertrauen konnte. Niemand, vor dem ich mich zu weinen getrauen würde. Ich bin völlig auf mich allein gestellt. Die Trauer, die Einsamkeit und die Erkenntnis, mich an niemanden wenden zu können, übermannen mich.

Mein Schluchzen wird zu einem Klageruf. Ich verliere jegliche Kontrolle über mich.

Ich muss hier weg!

Überhastet rapple ich mich hoch, stolpere, fange mich in letzter Minute und renne los.

Kapitel 5

Man kann nur das Rascheln der Blätter in den Bäumen und das Plätschern der Alster hören, wenn kleine Wellen auf das Ufer treffen. Der Mond spiegelt sich im Wasser wider. Er verwandelt die Alster in ein Glitzermeer. Lauter kleine Lichtspitzen, die auf mich zurollen. Ich bin von völliger Dunkelheit umgeben. Normalerweise würde mir diese Situation einen kalten Schauer über den Rücken laufen lassen. Jetzt empfinde ich das Hier und Jetzt als friedlich. Aber im Gegensatz zu dem, was in mir vorgeht, wäre wohl jede Umgebung friedlich.

Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier sitze. Ich weiß nicht, wohin ich soll.

Mein Schluchzen ist verebbt; die Tränen getrocknet. Mich erfüllt eine unerträgliche Leere. Sie füllt meinen ganzen Körper, erstreckt sich bis zu meinen Fingerspitzen. Ich bin wie betäubt, fühle gar nichts mehr.

Nicht die Mücken, die mich langsam aussagen; nicht die Kälte, die langsam meine Kleider einnimmt; nicht den jungen Mann, der sich neben mich setzt.

"Wat n schejner lauer Sommeroabend, nejch?!"

Langsam drehe ich mich um. Ich bin eine aufgeschlossene Person. Unter anderen Umständen hätte ich ihm ein herzliches Lächeln geschenkt, wäre fröhlich auf eine oberflächliche Unterhaltung eingegangen. Aber nicht unter diesen Umständen.

Er muss erst Anfang 20 sein. Er trägt volles Haar, welches er mit etwas Wachs locker nach hinten gekämmt hat - nicht versnobt. Leger. Der Mondschein enttarnt sein Gesicht als makellos. Keine Fältchen, die aus seinem Leben erzählen.

Ich sehe ihn schon viel zu lange ausdruckslos an. Mir ist nach keiner Unterhaltung, ich bin längst für keine Ablenkung zu haben. Ich möchte nur die Leere genießen. Kurz nicht von dem Schock und der Trauer übermannt zu werden, wieder atmen zu können, ist beinahe ein Genuss. Eine Pause, die ich mir nicht nehmen lassen möchte.

Also stehe ich auf und verschwinde in der Dunkelheit.

Kapitel 6

"Sehr gerne, Frau ..."

Sie schaut mich über ihre wieder-moderne schmale Brille an. Die Haare mit einer Klemme hochgesteckt, die gut hätte aus den 80ern stammen können. Das halbdurchsichtige Kastanienbraun, welches sich unentwegt mit dem Karamell mischte. Aber in ihrer Uniform und preziös geschminkt, wirkt sie dennoch elegant.

 

"Frau Hanau", erkenne ich auf ihrem Namensschild. In goldenen matten Buchstaben eingraviert. Auf einem schwarz-glänzendem Hintergrund.

"Entschuldigen Sie!", reißt sie mich aus meinen Gedanken.

"Auf welchen Namen geht das bitte?"

Sie spricht vorsichtig. Fast wie mit einem Kind. Ich muss fürchterlich aussehen! Verheult, zerzaust, einsam. So wie ich mich fühle.

"Auf Tha...", meine Stimme bricht.

"Auf Thaler, bitte. Maria Thaler", flüstere ich.

"Natürlich, Frau Thaler. Ihre Zimmernummer ist 301. Darf Ihnen Herr Meisinger mit dem Gepäck helfen", sie deutet auf einen freundlich lächelnden jungen Mann hinter mir. Er sieht mich mit einer Mischung aus Mitleid und Ermutigung an.

Ich trage noch immer die Einkaufstüten.

Kapitel 7

3 Uhr morgens.

Habe ich überhaupt geschlafen?

Ich wälze mich im Bett, suche nach dem warmen Fleck, der mir sagt, dass er nur kurz auf Toilette ist, dass ich alles geträumt habe. Langsam, nur ganz langsam öffne ich die Augen. Als ob ich damit rückgängig machen könnte, die Augen geöffnet zu haben sowie ich erkenne, dass er nicht da ist.

Er ist nicht da. Tränen rinnen heiß meine Wangen hinunter. Tom, Tom! Komm her! Halte mich! Flüstere mir ins Ohr, dass du bei mir bist, dass du mich nie verlässt. So, wie du es immer getan hast, wenn ich einen Alptraum hatte.

Ein dicker Kloß schnürt mir die Kehle zu. Ich versuche die Schmerzen, die er auslöst, zu schlucken. Ich träume von deinen Händen, wie sie mir durch die Haare fahren, wie du mich auf die Stirn küsst und mich in deinen Arm nimmst. Mein Kopf hat perfekt in deine Armbeuge gepasst.

Ich sehne mich so nach dir. Ich wollte niemals ohne dich sein. Wie konntest du mir das antun?

Mein Kissen ist in warmen Tränen getränkt. Ich verfalle in lautes Schluchzen. Aus meiner Kehle kommen herzzerreißende Laute: langgezogene Klagerufe, über die ich jegliche Kontrolle verliere. Ich verliere selten die Kontrolle über mich selbst, aber jetzt ist es mir völlig egal, ob mich wer hört. Es ist mir egal, ob sich irgendwer von meinem Weinen gestört fühlt. Die einzigen Menschen, die mir nicht egal waren, haben mir mein Herz rausgerissen und es in Stücke zerfetzt. Ich möchte die Wut darüber nur zu gern an jemandem auslassen.

Irgendwann ist nur noch mein Schnaufen zu hören, meine Nase, die ohne mein Zutun immer wieder Sauerstoff in meine Lungen pumpt, in unregelmäßigen Abständen. Mein Körper macht, was mein Verstand ihm am liebsten verbieten möchte.

Mein Kopf liegt schwer auf dem Kissen. Ich liege auf dem Bauch und mein zerknautschtes Gesicht liegt inmitten eines Sees, der mein halbes Gesicht bedeckt. Mein Körper ist bleischwer. Meine Arme kann und mag ich nicht bewegen. Irgendwann schlafe ich vor Erschöpfung ein.

4:35 Uhr. Ich liege noch immer so wie ich eingeschlafen war. Vor mir ein Lichtermeer. Die Skyline Hamburgs ist wunderschön, aber ich sehe sie in diesem Moment nicht. Ich starre ins Nichts. Meine Augen sind nur halb geöffnet. Sie sind schwer, ich bin müde. Ich möchte schlafen, möchte mich ins Land der Zufriedenheit zurückträumen, aber ich weiß, dass ich kein Auge mehr zumachen würde.

Mit der letzten Kraft, die in meinem Körper zu verblieben sein scheint, stemme ich mich hoch und lehne mich mit dem Rücken an die Wand, der Blick immer noch steif nach draußen gerichtet.

Am Horizont macht sich allmählich ein hellerer Streifen breit.

Ich wende mich ab. Und starre die gegenüberliegende Wand in Grund und Boden.

Tom, ich liebe dich! Du fehlst mir. Ich möchte nicht ohne dich sein. Du fehlst mir fürchterlich! Ich will in deinen Armen liegen und alle Tränen weinen. Dann sollst du mich noch fester umarmen. Wir werden uns lieben und am nächsten Tag ist alles wieder gut.

Wie sehr ich mir das wünschen würde. Aber ich befürchte, ich könnte "es" nie vergessen. Ich glaube, ich wäre nie in der Lage, den Betrug auszublenden. Kurzweilig - ja. Aber bin ich bereit, auf Dauer immer wieder damit konfrontiert zu werden?

Würde ich mir damit nicht das Leben schwer machen? Oder leichter, da es jetzt für mich der einfachste Weg wäre? Natürlich, die Trennung würde bedeuten, dass sich unser Freundeskreis, der so eng miteinander verwoben ist, mehr oder weniger für eine Seite entscheiden müsste. Nicht, dass ich das verlangen würde, aber nach einer Trennung bin ich wohl kaum bereit, auf der nächsten Geburtstagsparty dem Menschen gegenüber zu treten, der mich verletzte, wie noch nie ein Mensch zuvor. Abgesehen vielleicht von Anna.