Bleiweiß – Der schleichende Tod

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Lilo spielte mit ihrem leeren Weinglas. Der letzte Tropfen begann anzutrocknen. Helen nahm es ihr aus der Hand, füllte es und reichte es ihr wieder. Er roch sehr viel besser, als er schmeckte.

„Wenn Du erst mal Deine Wunden geleckt hast, können wir uns auch morgen treffen und einen Plan schmieden.“

„Hast Du eine Idee?“

„Wir brauchen alle einmal einen Weckruf. Jeder isst gerne Steak, aber niemand möchte mit einem Metzger befreundet sein.“

Helen hatte, nach reichlich Alkohol, die perfekte Idee. Sie würde Paddy einem Treuetest unterziehen. Bei dieser Vorstellung glitzerten ihre flinken Augen wie Glasperlen. Sie bekamen eine warme Tönung und blickten mit unverhüllter Zuneigung auf Lilo.

In einem Magazin hatte sie erst kürzlich gelesen, dass Männer Menschen sind, bei denen Pubertät und Midlifecrisis fließend ineinander übergehen.

Der Auftrag – Club 56

Anders als die kleinen, dunklen Bars und Nobelrestaurants auf der Hafeninsel in Offenbach, in denen Lilo und ihre Freunde normalerweise verkehrten, war der Club 56 ein riesiges altes Lagerhaus, das man in eine Gaststätte mit Bar umgewandelt hatte. Von der hohen Decke hing ein gigantischer Leuchter in die Mitte des Raumes herab, der in einer Art Landhausstil eingerichtet war. Hinten standen, mit Sonnenblumen bepflanzt, mehrere große Tontöpfe, vorn war die stets gut besuchte Bar.

Heitere, sommerlich gekleidete Menschen saßen an den langen, mit blau-weißem Papier bedeckten Tischen, aßen Frankfurter Kranz, tranken Kaffee und genossen den schönen Tag. Andere liefen hierhin und dahin, um Freunde zu begrüßen. Wiederum andere balancierten gerippte Gläser mit Apfelwein vom Fass auf einem Tablett, gingen an das Buffet um sich Handkäse mit Musik, Grüne Soße und andere Köstlichkeiten zu holen.

Nach Lilos Schätzung hatten an den Tischen, im großen Speisesaal, leicht zweihundert Gäste Platz. Aus unsichtbaren Lautsprechern strömte, etwas aufdringliche, unpassende, bayerische Volksmusik. Der ideale Platz für ein geheimes Rendezvous.

„Du bist immer noch mit ihr verheiratet?“

„Ja. Immer noch.“ Theo goss sich ein Glas Bier ein und sah zu, wie der Schaum langsam hochstieg.

Es war weder ein nachdrückliches noch ein automatisches < Ja >.

„Bist Du glücklich?“ Lilo erwähnte den Besuch bei Helen mit keinem Wort. Sie hatte über ihre Ehe mit Theo ordentlich vom Leder gezogen.

Das Kinn auf die Hand gestützt, dachte Theo nach und konterte leichthin: „Selbstverständlich.“

Aber der Klang seiner Stimme verriet ihn. Sie hatte einen Unterton, die so beunruhigend war wie eine gefährliche Strömung eines trügerischen glatten Wasserspiegels.

„Lügner!“, sagte sie zu laut. Erschrocken über sich selbst sah sie sich um, ob sie belauscht wurden.

Niemand nahm Notiz von den beiden.

Er blickte auf das vom Kerzenschein beschienene Gesicht von Lilo. Seine Ehe mit Helen hatte längst an Feuer verloren.

„Du bist kein Mann, den man heiratet.“

„Ich habe auch immer gedacht, dass Du für die Ehe nicht taugst“, wehrte er beiläufig ab und trank betreten einen Schluck Bier.

Lilo errötete und brach verlegen ab. Sie nippte an ihrem Gänsewein und ging vorerst nicht darauf ein. Mit dem Daumen wischte sie die Lippenstiftspuren von ihrem Glasrand ab.

Es folgte eine Pause langen Überlegens.

Neben ihm wirkte sie klein und unscheinbar. Es war lange her, dass sie sich zuletzt begegnet waren. Lilo hatte sich offensichtlich sehr verändert. Gewiss, ihr Haar hatte immer noch diese widerspenstige Mähne aus schwarzen Locken aber ihr Gesicht war anders, als er es in Erinnerung hatte. Früher strahlte es eine grimmige Entschlossenheit und Selbstsicherheit aus. Nicht besonders schön, aber gleichwohl faszinierend, besonders wegen der glutvollen und klugen Augen. Jetzt sah sie abgehärmt und gehetzt aus. Sie hatte abgenommen. Er sah Schatten in ihrem Gesicht, in ihren eingefallenen Wangen, die früher nicht da waren.

Einen Augenblick war etwas von der alten Vertrautheit zwischen ihnen, aber sie stellte den Abstand schnell wieder her.

„… aber ja. Eine Frau kann so immer noch am leichtesten zu Geld kommen. Schon als kleines Mädchen wollte ich reich sein. Ich wollte nie etwas anderes geschenkt bekommen, keine Puppen, kein Spielzeug, am liebsten war mir immer Geld. Ich habe dazugelernt. Manchmal leicht, manchmal schwer, aber gelernt habe ich es. Man kann alles für Geld kaufen und ich mag Leute nicht, die das nicht zugeben. Reich bist Du erst, wenn Du nicht mehr fragst, woher das Geld kommt und das erreichst du als Frau nur in einer Ehe! Eine Frau in meinem Alter hat nur eines zu befürchten: Die Zukunft“, stieß sie zornig hervor und wickelte eine Strähne ihres Haares um den Mittelfinger bevor sie sie sich hinter das linke Ohr strich. Ihre Augen sprühten in einem lodernden Feuer und ließen von ihrer früheren Schönheit ahnen.

„Und wie ist die Ehe mit einem egozentrischen Künstler wie Paddy Moser, der Dich wie eines seiner Schmuckstück behandelt?“, beeilte sich Theo zu fragen. Er blickte auf und fixierte Lilo mit einer Intensität, die ihr Unbehagen bereitete.

Als sie seinen Blick erwiderte, hatte sie das Gefühl, dass er sich irgendwie in ihr Gehirn eingeschlichen hatte und darin herumwühlte, auf der Suche nach dem wunden Punkt.

„In Ordnung, glaub ich. Ich bin eine treue Ehefrau.“

„Du konntest noch nie gut lügen.“

„Wie meinst Du das?“

Theo ging auf ihre Frage nicht ein. „Ich hab Deinen Göttergatten in einem vornehmen Restaurant, umgeben von Schöngeistern gesehen, wo die Kellner dich hochnäsig behandeln, aber um ihn sprangen sie herum wie emsige Bienen. Seine Stimme war von derselben Qualität wie sein Lächeln. Frisch und schwungvoll. Allenthalben sah man zarte Wangen gezeichnet von beherzten Bruderküssen. Paddy Moser, ein Mann, der über sich selbst spottete und ich fragte mich, ob das wirklich Überlegenheit war, oder ob er nicht eine Fassade zeigte, die sich von der Wirklichkeit unterschied. Ein Mann, der seine Lebensweisheit über die Gruppe ergoss. Paddy duldete dabei keine Unterbrechung. Souverän brachte er seine Zweifler zum Schweigen.“ Er machte eine Pause um seine Worte wirken zu lassen.

Was er Lilo verschwieg: Theo machte sich gegenüber Paddy natürlich bemerkbar und auf sein Zeichen hin trafen sich beide auf der Toilette und heckten einen Plan aus.

Es kam zu einer Übergabe.

Theo schwenkte das Bier im Glas, um zu sehen, ob es noch schäumte. Es schwappte über, der Rest blieb schal. Theo leckte sich die Lippen und trank es trotzdem achselzuckend aus. „Hast Du Probleme mit ihm?“

„Wie kommst Du darauf?“

„Nur so.“ Ein boshaftes Grinsen lag auf seinem Gesicht.

Mit einem lauten Seufzen atmete sie aus. „Ich spiele in seinem Leben nicht mehr die erste Geige.“

Es schien sie sehr zu beschäftigen.

„Und das soll ich ändern? Was erwartest Du von mir?“

Die Frage, mit so sanfter Stimme vorgebracht, ließ Lilo verstummen. Sie mochte es gar nicht, wie er ihr zu Leibe rückte, doch dann besann sie sich auf ihr Anliegen. Ihr Blick wanderte zur Eingangstür. Es vergingen ein paar Sekunden. Als sie wieder sprach klang ihre Stimme etwas weicher, leise und schläfrig, als ob sie in Trance wäre.

„Ein paar delikate Fotos den entsprechenden Leuten zugespielt – und ich könnte die Scheidung einreichen.“ Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. Es war eine kalte, einstudierte Geste. Sie blieb ernst und angespannt. „Du weißt, dass ich lange gebraucht habe, um das zu erreichen und deshalb bin ich wachsam.“ Sie warf ihm einen flehentlichen Blick zu. Sie wusste, dass sie mit Hilfe eines kleinen Flirts und indem sie die naive Unschuldige spielte, dass von ihm bekommen würde, was sie wollte.

„So, so.“ Insgeheim machte Theo sich über ihren Plan hämisch lachend lustig. < So tief bist Du also gesunken um auf ein solches lächerliches Mittel zurückzugreifen. Das ist einfach nur billig! > Theo ließ es dabei bewenden. „Männer sind immer auf der Pirsch nach der idealen Frau – vor allem nach der Hochzeit. Treue ist nicht immer eine Frage des Charakters. Es ist eine Frage der Gelegenheit.“

„Du sprichst von Dir?“, gab sie mit einem ironischen Grinsen zurück und zog dabei die Augenbrauen hoch.

Theo blieb ihr abermals eine Antwort schuldig. Er ließ den Kopf gramerfüllt hängen und sah verdrießlich auf sein Glas, seine Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst. Sie betrieb psychologische Spielchen. Ein eindeutiges Zeichen für Wut und Hass. Sie war bösartig!

Lilo hatte jetzt Sicherheit. Mehr als andere. Und mehr als andere musste sie darüber wachen, jeden Augenblick.

„Am Samstag findet im Schloss eine Hochzeit statt. Paddy hat den Ballsaal im Erdgeschoss freigeben ...“. Lilo rang mühsam um Fassung. < Reiß dich zusammen! > befahl sie sich wütend, als ihr die Tränen in die Augen stiegen.

Da ihr Wehklagen leider keinen Heilbalsam aufs geschundene Herz träufelte, schluckte sie die Tränen herunter bevor sie verebbten.

Theo erwiderte nichts und keine Miene seines unbewegten Gesichts verriet seine Gedanken.

< Wir hatten einst eine schöne Zeit – leider nur viel zu kurz >, dachte er. < Du geldgeiles Miststück! >

Lilo hatte keine bösen Träume mehr, so etwas Ähnliches hatte sie gesagt. Sie waren nur in ihrem Kopf und somit hatte sie von ihnen nichts zu befürchten. Sie hatte gelernt, erhobenen Hauptes durch ihre Albträume zu wandeln und sich von ihnen keinen Schrecken mehr einjagen zu lassen.

Nun hatte sie zwar keine Angst mehr, aber noch immer keine Macht über ihre Träume. So gelang es ihr zum Beispiel nicht, ungebetene Gäste fernzuhalten. Immer wieder suchten sie in ihren Träumen Fremde heim, die nicht die Absicht hatten, zu ihrer Unterhalten beizutragen. Sie lungerten faul und untätig herum, als sei Lilos Kopf ein Wartezimmer. Sie hatte nicht selten das Gefühl, dass ihre Träume hinter den Kulissen der Träume anderer abspielten. Aber die bei weitem kuriosesten Besucher ihres Unterbewusstseins waren die Toten.

 

Theo kannte Loreley vom Sehen. Ihr Ruf eilte ihr voraus. Sie hatte lange, fantastische Beine, eine schmale Taille, intensiv blaue Augen und einen schön geschwungenen Mund. Ihre hellbraunen Haare waren glatt und lang bis zum Po. Oft band sie sie zu einem smarten Pferdeschwanz zusammen. Dabei zog sie das Haar so straff nach hinten, dass es ihre Gesichtshaut wie ein Facelifting zu spannen schien.

Theo nahm sich vom Italiener an der Ecke eine Pizza mit und kramte zu Hause noch einen vergammelten Salatkopf aus dem Gemüsefach des Kühlschranks. Er zupfte die welken, braunen Blätter ab, bis er zu dem gerade noch essbaren Kern vorgedrungen war. Es war ein blasser und wenig appetitanregender Salat, den er mehr als Pflichtgefühl als aus Genuss verzehrte. Zum genießen fehlte im die Muse. Theo aß nur, um seinen Energiespeicher für sein Vorhaben aufzufüllen.

Nach ein paar Bissen schob er den Pappkarton von sich weg und stand auf.

Helens Augen waren grünlich und hatte eine gelb gesprenkelte, meergrüne Iris. Ihre Haare waren blond, dauergewellt und kurz geschnitten.

Im Gegensatz zu Lilo war sie an ihrer ersten großen Liebe klebengeblieben.

Theo, eine außergewöhnliche Persönlichkeit, war lustig, humorvoll, charmant, intelligent, ein guter Zuhörer und konnte bei Frauen eine unheimliche Faszination auslösen. Glücklicherweise besaß er Helen gegenüber ein umgängliches Naturell. Theo war großzügig und in seiner typischen Zurückhaltung vermied er es, sich zwischen Helen und ihre Freundinnen, die er, wenn überhaupt, kaum kannte, zu drängen. Er war ein wilder, gutaussehender, kultivierter Lebemann. Beherrscht, elegant. Und er gefiel nicht nur ihr.

Theo war offiziell ein geschätzter Fotograf, aber in der Realität war er ein gefürchteter Paparazzo. Für genügend Zaster hätte er seine eigene Großmutter verkauft. Auch ihm eilte sein Ruf, in gewissen Kreisen, voraus. Er war oft auf Reisen, eher selten Zuhause.

Helen war, was sie nach außen nie zeigen würde, eine zerbrechliche Frau. Sie konnte es immer schlechter ertragen, dass ihr Mann in allen Ecken und Enden der Welt unterwegs war und für ein Foto manchmal sein Leben aufs Spiel setzte. Theos Rücken und ein Teil seiner rechten Seite trugen Narben, die von einer leidenschaftlichen Umarmung mit dem Tod zeugten.

Aus diesem Grund schob sie es vor sich her, ein Kind zu bekommen. Jetzt war es zu spät. Sie hatte so jung geheiratet. Eine Zeitland war es Leidenschaft gewesen.

Sich zu betrinken was etwas für schwache Menschen, eine Krücke für diejenigen, die nicht genügend Kraft besaßen, ihr eigenes Leben zu leben, auf den eigenen Füßen zu stehen. Sich zu betrinken hieß, vor etwas davonzulaufen.

Helen selbst zählte sich nicht zu dieser Spezies.

Ihr Bett stand am Fenster. Sie wechselte die Plätze, wo sie den Alkohol versteckte. Der Bettkasten war eine gute Stelle, um mit der Suche zu beginnen.

Er hatte ihr Zimmer lange nicht mehr betreten. Der Anblick war ein ziemlicher Schock. Überall Nippes. Sie war morgens immer in Eile und es musste schwer sein aufzustehen, nach einem Abend mit der Flasche, jeden Tag sich wieder neu aufzuraffen. Duschen, anziehen, frühstücken.

So sah der Raum auch aus. Nach einem schnellen Aufbruch. Halboffene Schranktüren und Schubladen, die Kleider auf dem Bett, die sie herausgenommen, aber nicht angezogen hatte. Auf dem Fußboden lag ihr noch feuchter Bademantel. Theo hängte ihn auf einen Kleiderbügel.

Auf einer Kommode, neben einem Kerzenständer, stand ein Kristallglas. Sie goss es sich im Wohnzimmer immer voll, das letzte, was sie jeden Abend tat, ehe sie sich hierher zurückzog. Das letzte Glas von vielen, aber das Wichtigste, um ihr in den Schlaf zu helfen.

Die Türen an den Seitenteilen ihrer Kommode waren verschlossen, der Schlüssel abgezogen, aber er wusste, wo er zu suchen hatte.

Eine Zeitlang hatte sie ihn einfach dadurch hinters Licht geführt, dass sie dreiviertel leere Flaschen offen herumstehen ließ. Die vollen Flaschen hatte sie verborgen, in Koffern und Stoffbeuteln, in denen sie ihre Schuhe und Handtaschen aufbewahrte.

Sie war in dem Sinne keine Trinkerin, dass es irgendjemand aufgefallen wäre. Sie würde jederzeit leugnen, überhaupt zu trinken. Was sie brauchte war lediglich ein Glas nach einem anstrengenden Tag.

Er fand den Schlüssel für das Möbelstück in der Tasche ihres Bademantels.

Mehrere Flaschen Wodka, davon eine noch offen, hatte sie im Schrank gebunkert.

Er nahm sie an sich. Einen silbernen Lippenstift, der sich nicht öffnen ließ, ließ er liegen. Dessen Inhalt: Vermutlich ihr Tabletten-Vorrat.

Er öffnete das Fenster bevor er den Raum verließ.

Die Glasscheibe hielt beides fest. Sein Gesicht und die Landschaft, wie eine doppelt belichtete Platte.

Theo wartete auf Helens Rückkehr.

Es schien ihm fast sinnlos zu warten und er überlegte, dass er einfach so gehen konnte, aber er fand, er war es ihr schuldig, nicht einfach nur einen Zettel zu hinterlassen. Sie hatte ein Anrecht darauf, es von ihm selbst zu hören, dass er sie verlassen würde. Es änderte nichts, aber ein Anrecht darauf hatte sie. Er hatte Helen schließlich von Anfang an belogen und betrogen, dass Pflaster der Verwundung nie abgerissen. Sein Herz hatte eine tiefe unsichtbare Narbe und als er Lilo sah begann es erneut zu schmerzen. Helen hatte nie eine Chance gehabt – gegen einen Traum kam niemand an. Es war unfair von ihm, unfair von Anfang an.

Theo war zum Sterben elend.

Das Problem war, dass sie in ihm etwas sah, was er nicht erfüllen konnte. Sie hatte ihn geliebt und er hatte sie gemocht und Menschen die Helen liebte, hatten besonders vollkommen zu sein. Sie durften keine Schwäche zeigen, keinen Irrtum begehen. Anderen hätte sie vielleicht noch verziehen, ihm nicht!

Die Haustür öffnete sich und Theo ging ihr entgegen. Helen wollte sich auf dem Absatz umdrehen, als Theo sie am Arm packte und versuchte, sie ins Wohnzimmer zu ziehen.

Helen zuckte zusammen, als hätte er ihr wehgetan. „Was soll das?“, sagte sie ungehalten in die Stille hinein. „Lass mich sofort los!“

„Entschuldigung.“ Er lockerte seinen Handgriff. „Ich möchte mich mit Dir unterhalten“. Besorgnis schwang in seiner Stimme mit. „Ich ...“

Sie schnitt ihm das Wort ab und schaffte es, ein Gesicht zu machen, als interessiere es sie wirklich. „Wozu? Was gibt es zu besprechen, was so relevant ist?“, erkundigte sie sich in Zeitlupe den Kopf schüttelnd. Diese Geste hatte sie sich bei älteren Männern abgeschaut und sie passte nicht zu ihr. „Ich bin müde und möchte mich hinlegen.“ Sie war nervöse und unruhig. Sie blickte auf die Tür ihres Zimmers. Es war nur diese Tür die sie von ihrer Flasche trennte.

„Ich möchte mit Dir sprechen.“ Schweiß brach ihm unter den Achselhöhlen aus, benässte das Hemd.

Sie gab noch nicht auf. „Ich zieh mich nur rasch um ...“, sagte sie mit kalter Schärfte.

„Bitte!“ Theo hielt sie am Arm zurück.

„Herr Gott, was ist denn so verdammt wichtig?“, fluchte sie nicht im geringsten eingeschüchtert.

Sie folgte ihm angespannt ins Wohnzimmer und blieb steif in der Nähe der Tür stehen. Helen schaute sich um.

„Willst Du Dich nicht setzen?“

„Sag was Du zu sagen hast, ich hatte einen anstrengenden Tag.“

Sie bemerkte die Flaschen auf dem Regal und wurde zugänglicher Laune. Helen dachte Theo wäre wütend. Ihr Körper entspannte sich. Sie warf ihre Handtasche auf einen der Sessel und näherte sich dabei wie unbeabsichtigt dem Regal mit dem Wodka. Sie versuchte nicht dorthin zu sehen, aber es kostete sie große Beherrschung.

Theo glaubte zu bemerken, dass Helen schwerer atmete.

Als sie Theos verzweifelte Miene sah versuchte sie zu lächeln, ein leicht erschrecktes verquere Lächeln, das sie immer dann aufsetzte, wenn es darum ging, sich einem zu entziehen. Sie hätte ihn gerne am Hals gepackt und geschüttelt, damit er endlich zum Wesentlichen kam.

Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie alles so ruhig hinnehmen würde und dieses bezaubernde Lächeln überraschte ihn noch mehr.

„Ich hatte meine Chance“, sagte sie halsstarrig und schüttelte ihr Haupt, wie über etwas, das ihr Kopfzerbrechen machte.

Der nächste Auftrag

Einen Fuß nach hinten gegen eine Hauswand abgestützt, die Zigarette im Mundwinkel hängend, den Blick auf eine Zeitung gerichtet, wartete er auf den passenden Zeitpunkt um die Bank zu betreten.

Ein Mann hatte eine Leiter gegen eine Litfaßsäule gelehnt und fuhr mit einem Leim-Besen über die Plakatfläche, war dabei, eine Reklame zu überkleben.

Sie ging voraus. Die Treppe hinunter, die zum Tresorraum der Bank führte und öffnete die Tür. Sie knarrte.

Beide traten ein. Sie standen vor einer Wand mit vielen Fächern. Der Raum war hoch und der Lack um die Schlüssellöcher herum abgekratzt.

Sie öffnete mit einem Schlüssel den gewünschten Safe, trat ein paar Schritte zurück, wartete, bis er den Seinen hervorholte.

„Ihren Schlüssel“, wiederholte sie, wie ein Papagei, bereits zum zweiten mal.

Er hatte ihn die ganze Zeit über in seiner rechten Hand. Schweißperlen traten ihm, trotz der Kühle die hier herrschte, auf die Stirn, die er mit einem Taschentuch wegwischte.

Dann steckte er seinen Schlüssel ein, verwundert, dass er tatsächlich passte und sich drehen ließ. Die Tür öffnete sich, die Klappe schwang zur Seite und er zog einen matt glänzenden Metallkasten heraus. Er trug ihn zu einem Tisch.

Die Bankangestellte verließ den Raum, ließ ihn mit dem Inhalt allein. Der Geruch ihres Parfüms, das er nicht kannte, verschwand mit ihr.

Er blieb allein zurück, in einem Raum, der wie eine Grabkammer roch. Was für ein verrücktes Spiel.

Er bekam Zweifel, dass das Geld wirklich da war, dass die Kassette, wenn er sie öffnete, leer sei.

In zwanghafter Berechnung, unangenehm wie ein Traum, überschlug er die Zeit, die ihm bis zum Attentat noch zur Verfügung stand. Ein unvorstellbarer Ozean an Zeit? Jeder falsche Schritt konnte fatal sein.

Er öffnete den Deckel.

In der Mitte lag, ein in einem Tuch eingeschlagen, eine Waffe, darunter das Geld, die Anzahlung für … einen Freundschaftsdienst.

Er starrte auf die gebündelten Banknoten, aber er verspürte nicht die erwartete Freude. Er nahm eines der Päckchen heraus. Es fühlte sich nicht wie Geld an. Er zog einzelne Scheine heraus. Sie waren kalt und glatt und ohne Leben. Neue Scheine! Er begann die Banknoten zu zählen. Schein für Schein. Dann gab er auf, versuchte sie wieder in die Banderole zu stecken, sie passten nicht mehr in den schmalen Streifen.

Es war an der Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass das Geld ihm gehören könnte, wenn er seinen Auftrag erfüllte.

Die Waffe war viel zu gewaltig, für den Zweck, einen einzigen Schuss aus nächster Nähe abzufeuern. Er wog die Walter P38 in der Hand und verspürte leichte Übelkeit. Schweiß brach ihm unter den Achselhöhlen aus, benässte das Hemd.

Plötzlich fühlte er etwas, was in dieser Klarheit nicht dagewesen war. Es war Hass, der alles andere auslöschte, purer, plötzlich zutage tretender reiner Hass, eine Flamme, die ihre Nahrung in sich selbst fand.

Die Stahlkammer glich mehr denn je einer Gruft. Er fühlte sich unbehaglich.

Als er die Bank verließ, zündete er sich mit einem Sturmfeuerzeug eine Zigarette an.