Bleiweiß – Der schleichende Tod

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Die Muse

Aus reiner Neugier hatte Eddie, trotz Ablehnung des Auftrags, heimlich mehrere Kameras in Paddys Atelier, von seinem technisch hochbegabten Praktikanten Kevin, installieren lassen.

Dieser hatte ein einwöchiges Seminar, für viel Geld, direkt bei Paddy Moser, belegt.

Loreley, in der Kulturwelt sehr bewandert, war dagegen. Die Einteilung der Kursteilnehmer war ihr Part, die Vorlesungen und Malkurse alle völlig überbucht. Sie wusste, Kevin würde das so empfindliche Gleichgewicht im Schloss, wenn auch nur geringfügig, stören. Sie rechnete damit, denn sie betrachtete jeden Neuankömmling als Gefahr. Unter den Studenten herrschte nicht immer eitler Sonnenschein. Es würde Tage dauern, bis die alte Hackordnung wieder hergestellt war. Viele der Studierenden bekamen mehr Taschengeld als die aus sozial-schwachen Familien und sie ließen die anderen gerne spüren, an welcher Stelle der Nahrungskette sie standen. Für Paddy waren sie alle gleich.

Loreley liebte feste Gewohnheiten und sah diese in Gefahr.

An seinem ersten Arbeitstag nahm sie Kevin am Ellbogen, führte ihn herum und zeigte ihm die Örtlichkeiten. Die Führung endete in Paddys Atelier.

Was ihm zuallererst auffiel, war die Art, wie die Kommilitonen Loreley mit Stielaugen ansahen. In diesen Blicken lag weniger Zuneigung als vielmehr Besitzanspruch, sie beteten nicht nur Paddy an.

Dass sie ihn überhaupt nicht beachteten, faszinierte ihn. Loreley hatte Kevin die Hand auf den Arm gelegt und ihn von der Türöffnung weg ins Atelier gezogen, so dass es schwierig war, ihn zu übersehen. Er spürte ihre Anspannung, den Unmut. Loreley hatte zwar inzwischen die Hand von seinem Oberarm genommen, stand aber immer noch so nah neben ihm, dass ihr Arm den seinen streifte. < Als ob ich Hilfe bräuchte > dachte er und rückte von ihr ab. Die Fürsorge, die Loreley Kevin offensichtlich angedeihen lassen wollte, schien er absolut nicht nötig zu haben.

Ihr Blick wanderte von einem zum anderen. Die Widerspenstigkeit gegenüber dem Neuen war so offensichtlich und auf dem Höhepunkt angelangt, sich so streitsüchtig und unleidlich wie möglich zu verhalten. Doch die Erfahrung hatte sie gelehrt, die Buben nie allzu hart anzufassen. Solche Stimmungen dauerten nie an und je schlimmer sie sich gaben, desto stärker schwang der Pegel später in die entgegengesetzte Richtung.

Sie beendete ihre Musterung der Jungs und entdeckte, dass Paddy sie beobachtete.

„Ich möchte Dich mit Paddy Moser bekannt machen“, sagte Loreley zu Kevin milde, die angespannte Atmosphäre übersehend …

In den Augen des Praktikanten war nichts, was darauf hinwies, dass er etwas verbergen wollte oder um Hilfe flehte. Er sah Loreley einfach nur an, wie ein Mann irgendeine reizende Kleinigkeit betrachtete, einen kleinen Hund etwa, ohne jeden praktischen Wert und bedankte sich für ihre freundliche Einweisung.

Dem Anschein nach war Kevin immun gegenüber Loreley's Reizen.

Am Nachmittag gab es eine deprimierende Audienz, beileibe nicht die letzte dieser Art. Die Schüler und Studenten mussten zum Rapport antreten. Berichterstatten über ihr ungebührliches Verhalten dem Neuen gegenüber, über das gelernte und wie man es in die Tat umsetzen könnte.

Paddy verspürte den verständlichen Drang sein Wissen nicht für sich zu behalten.

Ticktack.

Er arbeitete dem Anschein nach wie ein Dynamo, lud sich auf und wenn er so richtig auf Tour war, sprühten die Funken.

Ticktack.

Die Schüler konnten kaum Schritthalten, aber keiner wollte es auch entbehren.

Kevin hatte nicht vor, die ganze Zeit hier herumzulungern. Sein Plan war es, dass Schloss zu durchforsten.

Nach dem gemeinsamen Abendessen sammelte er die Teller ein, wobei er einen großen Bogen um die Mikrowelle machte. Man konnte ja nie wissen, was für bösartige Strahlen in der Luft herumschwirrten und darauf warteten, ihn anzugreifen. Er behielt die Uhr im Auge, die eine Sekunde nach der anderen herunter tickte, bevor er sich dann trotzig direkt vor das Gerät stellte. „Kommt doch und holt mich“, flüsterte er und lachte beinahe übermütig. Seine Wangen bekamen Grübchen. Verrückt. Da hatte er doch tatsächlich die Mikrowelle zum Kampf aufgefordert.

Anschließend zog er pfeifend los um sich mit den Gegebenheiten der einzelnen Räume bekanntzumachen.

Eine Woche war vergangen. Die Zeit verstrich wie im Flug.

Die Aufzeichnung, die Kevin für Eddie sichergestellt hatte, war langweilig und ermüdend. Das Bildmaterial vom Atelier ähnelte einem Stil-Leben.

Eddie hatte sich von dem vor ihm liegenden Tag ein vollständiges Bild gemacht, so pflegte er bei einer Tasse schwarzen Kaffee und einem Stück Käsekuchen eine kleine Pause einzulegen, um die Morgenzeitung zu studieren. Auf der Seite mit der Offerte: Nachruf, fing er an. Immer las er zuerst die Todesanzeigen. Eddie wusste selbst nicht mehr, wann er damit angefangen hatte, es zur Routinelektüre machte und wusste auch nicht mehr, warum.

„Jemanden gefunden den Du kennst?“, fragte Kevin. „Was die Leute nicht alles tun um in die Zeitung zu kommen“ neckte er.

„Chef, dass musst Du Dir ansehen. Diese Frau ist unglaublich.“

Eddie holte sich einen neuen Kaffee und zog sich einen Stuhl bei, nahm vor dem Bildschirm platz, zündete sich eine Zigarette an. „Na, dann lass mal sehen.“

Beim Betrachten der Aufzeichnung kam Eddie sich vor wie ein Voyeur. Er hatte einen Fächer in der Hand. Mit seinem handbetriebenen Ventilator wedelte er sich frische Luft zu. Die Klimaanlage hatte vorübergehend, wieder einmal, ihren Geist aufgegeben.

Die Wirkung, die von Loreley ausging, hatte nichts mit den Maßstäben gewöhnlicher Schönheit zu tun, sondern mit einer unglaublich starken Ausstrahlung. Sie war zu flach, zu dünn, zu groß. Sie hatte die Statur eines unterernährten Knaben. Loreley war Anfang, Mitte vierzig und hatte viel Ähnlichkeit mit ihrer Mutter.

Es war ein Ereignis sie anzusehen, wie sie dort, am Rand der Couch, vorgebeugt auf der Kante hockte, als sei sie ganz aufmerksam. Loreley umklammerte mit beiden Händen die mondän übereinandergeschlagenen Beine. Sie hatte sich nicht bewegt, saß von Anfang an in derselben Stellung. Diese Fähigkeit zur absoluten Bewegungslosigkeit, dass hatte es Paddy so leicht gemacht, mit ihr zu arbeiten. Stundenlang konnte sie so, wenn man es von ihr verlangte, im grellen Scheinwerferlicht sitzen. Bis ihre Muskeln oft sichtbar zu zittern begannen, aus Verkrampfung, bis Tränen aus ihren Augen traten, die sie diszipliniert mit ihren Wimpern, die wie künstliche Fliegen eines Anglers aussahen, weg blinzelte.

„Was ist das, was sie um den Hals hängen hat und bis zum Bauchnabel reicht? Eine Perlenkette?“, wollte Kevin wissen und ging auf Vergrößerung.

„Paddy hat die Parüre für umgerechnet 25.000,-- DM in Schottland erworben. Das Collier ist mehrsträngig aufgezogen und besteht aus unregelmäßigen, weiß-silbrigen chinesischen Kaschierperlen. Der Verschluss, ein Drachenkopf ist aus rhodiniertem Weißgold, 14 Karat, mit 8-Kant Diamanten im Brillantschliff besetzt und wurde zusätzlich mit Smaragden und Rubinen verziert, die Augen, zwei Saphire im Treppenschliff. Dazu gehört ein Armband, ein Ring und ein Paar Ohrringe.

„Rhodinieren? Was bedeutet das?“

„Dabei handelt es sich um einen chemischen Vorgang, in dem ein Metall mit Rhodium, einem Platin ähnlichen Metall, überzogen wird.“

„Aha. Muss man das wissen?“

„Nein. Aus den Erzählungen anderer weiß ich, dass auf dieser Garnitur ein Fluch liegt. Alle Trägerinnen kamen ums Leben.“

„Böses Karma“, spottete sein Praktikant.

Eddie schlug ihm die Tageszeitung zackig, aber dennoch zärtlich, auf den Kopf. „Räum den Mist weg!“, befahl er.

Dieser Schmuck war alles, außer Loreley, was Paddy von Salome geblieben war.

Die Aufzeichnungen landeten in Ablage P. P, wie Papierkorb, die Kameras hatte Kevin bei einer Nacht- und Nebelaktion wieder deinstalliert.

Er folgerte, dass Paddy und Loreley bestimmt kein Liebespaar waren. Sie gingen zwar sehr vertraut miteinander um, aber Sex? Für ihn undenkbar.

Es musste eine andere Verbindung geben. Eher wie zwischen Geschwistern.

Was wusste Eddie darüber?

Kaum, nachdem die Kameras nicht mehr aufzeichneten, spielte sich folgendes ab:

Paddy saß auf einem kleinen Hocker vor einer leeren Leinwand, hatte ein Glas mit eiskalter Cola in der Hand und wollte einen Schluck trinken, als er auf dem Beistelltisch etwas schimmern sah. Es war ein Wasserkringel, wie von einem feuchten Glas. Dies war nicht weiter bemerkenswert, nur hatte er an diesem Morgen noch nichts auf diesem Tisch abgestellt. Sein Glas war trocken und er hielt es noch immer in der Hand. Bereits um diese Uhrzeit war es schon sehr warm. Der Wasserrand konnte unmöglich noch vom Vortag sein.

Er nippte an seinem Getränk und starrte versonnen auf den Abdruck, versuchte sich einen Reim darauf zu machen. Sein Blick wanderte zu Loreley und wieder zurück zum Tisch.

Verwundert sprang er auf, nahm einen Lappen und wollte ihn wegwischen. Als er sich wieder dem Wasserkringel zuwandte, war er verschwunden.

Paddy begann zu krampften und wurde von einem schrecklichen Anfall gepackt. Das Glas fiel ihm aus der Hand. Sein Gesicht lief blau an, er rang nach Luft. Er klammerte sich mit beiden Händen an die Staffelei und krümmte sich. Paddy schien das Gleichgewicht zu verlieren, taumelte dicht an Loreley heran und rutschte nach und nach auf den Boden. Paddy bekam einen heftigen Hustenanfall, rang nach Luft bis ihm das Blut in den Kopf schoss und seine Adern an Hals und Stirn hervortraten. Sein Ächzen steigerte sich zu einem hilflosen Röcheln. > O Gott, mein Herz! Mein Herz! > keuchte er und fasste sich an selbiges, als wolle er es sich aus der Brust reißen.

 

Das Sonnenlicht, das durch die Fenster schien, fiel strahlend auf seine Stirn und glitzerte in den winzigen Schweißtropfen wie ein Diadem aus Juwelen. Seine Knie schlugen gegeneinander, seine Zähne klapperten.

Loreley leistete Erste Hilfe und gab ihm eine Spritze, die sie immer griffbereit hatte. Dieser Zusammenbruch war nicht sein erster. Sie häuften sich in letzter Zeit. Mühsam klappte er eine Auge auf. Sie konnte sehen, dass Paddy noch nicht sterben wollte.

Paddy liebte diese Frau, mehr als sein Leben. Was sollte er nur ohne sie machen? Loreley war der Wind unter seinen Flügeln.

In der darauffolgenden Nacht ereignete sich folgendes: Wie ein Geist schlafwandelte Paddy durchs Schloss.

An einer der Türen las er das unerbittliche Wort: Geschlossen. Er packte den Knauf und rüttelte. Zu seiner Überraschung drehte er sich in seiner Hand, die Tür öffnete sich, aber nicht auf seinen Druck hin. Sie wurde von innen geöffnet und Paddy schaute in das schwach beleuchtete Gesicht eines sehr alten und außerordentlich zerbrechlich wirkenden kleinen Mannes.

„Bitte, treten Sie ein“, sagte eine sanfte, ziemlich zittrige Stimme und schwache Schritte schlurften vor ihm her.

Die Dunkelheit, in dem großen, trübsinnigen Raum, wurde nur durch zwei tropfende Kandelaber erhellt. Die Möbel wirkten unheimlich und geheimnisvoll und die schwache Beleuchtung warf drohende geradezu gefährliche Schatten. Paddy verspürte ein starkes Verlangen sofort wieder zu gehen, aber die Dunkelheit um ihn herum lichtete sich und er sah, dass der alte Mann eifrig hier und da weitere Kerzen anzündete.

Paddy sah ihn nun verhältnismäßig deutlich. Er hinterließ einen unbeschreiblichen Eindruck auf ihn. Während er ihn anstarrte, musste Paddy an Rembrandt denken. Wer anders hätte eine Vorstellung von den unheimlichen Schatten auf dem verwüsteten Gesicht geben können? Müde. Ein Wort das man leichthin benutzt. Nie zuvor war es ihm deutlicher geworden, was es bedeuten konnte. Eine so unsägliche, geduldige Erschöpfung. Die tiefliegenden Augen, wie unbelebte Planeten in dem welken Gesicht. Die matte Gebrechlichkeit dieser gebeugten, zitternden Gestalt. Die Worte Staub und Asche gingen ihm durch den Kopf. Der Mann wirkte kaum stabiler als ein Knäuel aus Staub und Spinnweben, die durch einen Atemzug oder durch eine Berührung zerstört werden konnte.

„Sie sind Maler?“ In seiner Stimme lag die Stumpfheit äußerster Gleichgültigkeit. Sie war sehr leise, kaum hörbar und dennoch war eine merkwürdige, fast flehende Eindringlichkeit in ihr und seine Augen fixierten Paddy matt. Ein verzehrender, starre Blick.

Paddy wollte nur weg. Ja. Sofort! Schon allein die Nähe des alten Mannes bedrückte ihn und ihm wurde erbärmlich elend.

Die frostige Stille, unterbrochen von dem müden Schlurfen der Filzpantoffeln des Alten, gingen ihm auf die Nerven. Seit wie vielen Jahren mochte er schon < unfähig zum Leiden > sein?, überlegte Paddy.

„Leben Sie hier schon lange?“, wollte er wissen.

„Seit langer, langer, langer Zeit.“ Die Antwort kam leise wie ein Seufzer und als er sprach, schien Zeit nicht mehr eine Sache von Tagen, Wochen, Monaten oder Jahre zu sein, sondern eine eintönige Langeweile, die sich ins Unermessliche erstreckte. Paddy begann sich über die Müdigkeit und die Melancholie des alten Mannes zu ärgern, die ihn ansteckte und seine Stimmung so unerklärlich niederdrückte.

Der Alte nahm, gefolgt von Paddy, eine taumelnde Wanderung durch den Raum auf. Seine Schritte wurden schneller.

Paddy jagte ihn weiter und weiter, durch endlose Alleen Mobiliars hindurch, aber er entzog sich ihm immer wieder. Spinnweben streiften sein Gesicht. Weiterzugehen war nicht verlockend. Er ließ davon ab.

Paddy spürte Unendlichkeit. Die Stille wurde von dem Geräusch einer schlagenden Standuhr unterbrochen. Ein wundervolles, komplizierte Stück mittelalterlicher Handwerkskunst. Aus einer Nische unter ihrem außerordentlich fein gemalten Zifferblatt tauchten wunderliche Figuren auf. Während eine von ihnen auf eine Glocke schlug, trippelten die anderen mit gesetzten Schritten und begannen zu tanzen. Seine Aufmerksamkeit war ganz von diesem bezaubernden Schauspiel gefesselt. Nach dem letzten Glockenschlag wandte Paddy sich wieder um. Er war allein ...

Bei Tagesanbruch fand Loreley Paddy im Garten. Sie musterte ihn streng. „Nicht schon wieder!“ Er schlief auf dem Rasen, vor den Rosen. Vorsichtig weckte sie ihn. Ein erdrückendes Gefühl ergriff von ihr Besitz. Sie brachte ihn ins Schloss, in sein Zimmer, half ihm beim Entkleiden und brachte ihn ins Bett.

Paddy glühte wie eine Herdplatte, er hatte Fieber, schlief sofort weiter. Sein gesamter Körper bebte wie bei einem Anfall von Schüttelfrost. Er klapperte mit den Zähnen.

Loreley setzte sich auf die Bettkante, ohne den Blick von Paddy zu lassen und hielt seine Hand, streichelte sie zärtlich. Sie fühlte, wie tiefe Schwermut in ihr aufstieg.

Ticktack.

Etwas später ging Loreley zum Gerätehaus, holte eine Gartenschere und schnitt alle Rosen ab. Ihre Finger begannen zu bluten, doch sie griff beherzt zu und schnitt weiter. Sie hasste diese Pflanzen und mied sie wie der Teufel das Weihwasser.

Als ob sie so einfach die Geister loswerden würde!

0:00 Nachtjournal RTL

„Und das sehen Sie heute, unter anderem, im Nachtjournal: Eines der in der Zeit zwischen dem 13. Februar und 26. Mai aus dem Frankfurter Städel Museum gestohlene Gemälde ist aufgetaucht ...

In der Mall, im Frankfurter Hessen-Center, einer der bedeutendsten Antik-Märkte in der Rhein-Main-Region, präsentieren am vergangenen Wochenende wieder nahezu einhundert Aussteller aus dem gesamten Bundesgebiet und dem benachbarten Ausland ihre Schätze. Zum Verkauf angeboten wurde ein umfangreiches Sortiment hochwertiger Antiquitäten und antiker Sammlerstücke aus dem Jugendstil: Antike Möbel, Lampen und Leuchter, Tischwäsche, Porzellan, Glas, altes Tafelsilber, Gemälde und Bücher, Spielzeug, Schmuck und Uhren. Auch aus dem Kunstgewerbestil von 1920 – 1940, die Zeit des Art deco, wurde vieles angeboten.

Hier tauchte eines der vermissten Bilder aus dem im Frühjahr verübten Kunstraub aus dem Frankfurter Städel auf. Der Verkäufer gab an, dass Gemälde beim Sperrmüll gefunden zu haben. Nach ausgiebiger Untersuchung, durch Fachleute, stellte sich der Sensationsfund allerdings als Fälschung dar.“

Der geheimnisvolle Fund

Lilo hielt inne. Es war 7:00 Uhr. Wer in aller Herrgottsfrühe war schon auf den Beinen, außer ihr?

Sie stand auf der obersten Stufe der Treppe als wäre sie gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Lilo stand da wie angenagelt und nestelte an ihrer Halskette.

Durch die halbgeöffnete Schlosstür drangen Stimmen an ihr Ohr.

Verflixt. Eugen Hofer, Spitzname Barbarossa, unterhielt sich lautstark mit ein paar Studenten. Unterhaltung war leicht untertrieben.

Sie sah ihn bildlich vor sich. Dick wie ein Fass, etwas grobschlächtig. Sein rundes, freundliches Gesicht, seinen hässlichen roten Schnurrbart und seinen Kopf, wo bereits das Knie durch sein Haar wuchs.

„Halt endlich Dein Krümelloch!“, befahl er. Eugen tobte! Schäumte vor Wut, faltete einen von den Jugendlichen ordentlich zusammen. „Das ist kein Dummejungenstreich!“

Er hatte eine Postkarte aus Gretna Green erhalten. < Liebe Grüße aus Schottland, bin auf dem Weg >. Er schlug sie einem der Studenten um die Ohren.

„Bildet Ihr Euch ein, mich ungestraft in die Pfanne zu hauen? Ich vergesse nie etwas. Ich vergelte Gleiches mit Gleichem!“

Ein arrogantes Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Lief vielleicht nicht alles wie am Schnürchen, so, wie es von Prinzessin Evelyn verlangt wurde?

Im Ballsaal stieg jemand auf einen Stuhl und hängte die letzten weiße Strohsterne auf. Allmählich sah die Bühne wie eine vom Monsun zerfetzte Markise aus. Der Gestaltungstechniker fand das schön. In Wahrheit zeugte es vor allem von blindem Aktionismus. Im vorderen Teil des großen Raumes, als besonderer Akzent, dominierte ein schwarzer Konzertflügel.

Die Hochzeitsvorbereitungen liefen immer noch auf Hochtour.

Bis tief in die Nacht, von Barbarossa überwacht, war er und seinen Lakaien, am Werk. Es herrschte Ausnahmezustand. Sämtliche Angestellten inklusive Gärtner und Chauffeur, von seiner Assistentin, seiner Sekretärin bis hin zur Putzfrau waren alle emsig, teils fieberhaft damit beschäftigt, das Silber zu putzen und die Kristallgläser auf Hochglanz zu polieren. Das kostbare Porzellan, auf weißen Dammasttischdecken, stand auf den Tischen, die Kerzen brannten probeweise und flackerten hektisch, obwohl keine Zugluft herrschte. Blumentöpfe und exklusive Orchideen-Gestecke unterstrichen die Perfektion.

Alles, was nicht vor Ort war, wurde angekarrt.

Lilo vernahm das Geräusch von einem Fahrzeug.

Der Getränkelieferant traf ein und brachte Bier vom Fass, Wein, antialkoholische Getränke und Unmengen an Champagner.

Sie hatte wenig Lust weder dem einen noch den anderen zu begegnen.

Die Feier im Schloss war für den späten Nachmittag geplant. Sollte Eugen nach dem Rechten sehen, ob alles so vorbereitet war, wie es seiner Tochter wünschte? Noch bestand die Möglichkeit kleinster Veränderungen.

Sie drehte sich um und raste, wie von Furien gehetzt, den Flur entlang, hielt Ausschau nach einem Schlupfloch. Ihre Absätze hämmerten auf dem harten Steinboden und das Klappern hallte im ganzen Gebäude wider. Sie öffnete die erstbeste Tür und schloss sie leise hinter sich wieder zu.

Das Schloss hatte viel Zimmer und Geheimtüren, die nur Paddy wie seine Westentasche kannte. Lilo residierte hingegen in Fechenheim, einem auf der anderen Mainseite gelegenen Bungalow. Sie verbrachte eher selten die Nächte im Schloss und schon gar nicht in Paddys Bett.

Die Tatsache, dass man sie immer wieder anstarrte wurde ihr allmählich unheimlich. Die vielen Menschen die Tag und Nacht durch das Gebäude wuselten. Ein Schloss, dass nie wirklich schlief.

Die Wohnung war nicht groß. Ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, ein geräumiges Bad und eine kleine Küche. Es war nichts bemerkenswertes an den Räumen. Sie war komfortabel und das war wirklich alles, was man über sie sagen konnte.

Im Gang stapelten sich die Hochzeitsgeschenke.

Befand sie sich in der Honeymoon Suite? Auf gar keinen Fall!

Teure Möbel, weder besonders geschmackvoll noch geschmacklos, die aussahen, als seien sie in einem großen, langweiligen Geschäft aufs Geratewohl gekauft worden. Ungemusterte, dreifarbig gewebte Leinenvorhänge, ein Teppich, der nichts als eben ein Teppich war, ein großer Büroschreibtisch aus hellem Holz, sehr ordentlich. Ein großes Sofa, keine Sessel. Ein ziemlich hässlicher Couchtisch mit Messingfassung. Ein paar Fächer mit Büchern in einem Hängeregal, in dem auch eine Hausbar und zusätzliche Lautsprecher für den riesigen, altmodischen Musikschrank, an der angrenzenden Wand, untergebracht waren. Daneben eine große Vitrine mit mehreren Reihen säuberlich etikettierter Schallplattenhüllen. Zentralheizung wie im übrigen Gebäude.

Es war nicht einmal sehr sauber. Ordentlich in dem Sinne allerdings, als nicht viel herumlag und das Zimmer offensichtlich nicht wirklich bewohnt wurde. Keine Blumen und nichts an persönlichen Dingen. Eine ganze Menge militärischer Kinkerlitzchen. Eine kleine Messingkanone auf einer eichenen Lafette stand auf dem Tisch, auf Wandkonsolen einige Segelschiffmodelle, darunter die 1958 in Dienst gestellte, als Bark getakelte, Gorch Fock II. Ein offener Kasten aus Mahagoniholz, in dem auf grünem Filz ein Paar Duellpistolen aus dem 18.Jahrhundert lagen. Auf dem anderen Wandbrett befanden sich ebenfalls Waffen: eine silberbeschlagene Muskete, Arkebuse oder dergleichen sowie ein hölzerner Humidor. Leer. Offensichtlich hatte sein Besitzer das Zigarrenrauchen aufgegeben. Allerlei Stehrümmchen. Keine Bilder an der Wand. Das Fenster ging zur Mainseite. Auf einem kleinen Beistelltisch stand ein großen Schiffsteleskop aus Messing. Es war ein recht wohnliches Zimmer. Bemerkenswert schön hätte es niemand genannt.

Warum war dieser Raum so nichtssagend?

 

Die Tür zum angrenzenden Schlafzimmer stand offen. Auch dort wenige Möbel und nichts, was den persönlichen Geschmack verraten hätte, es sei denn die Vorliebe für gymnastische Übungen.

Ein Bett, ein Kleiderschrank, ein Spiegel.

Eine an der Decke befestigte und freischwingende Strickleiter aus Hanf-Seil und Bambussprossen. Ein Springsein, ein paar Hanteln, ein Punchingball …

Allerdings wurde der Raum von einem Tisch beherrscht, der um all seine Ausziehmöglichkeiten erweitert worden war. Darauf lag ein Brett und auf dem Brett ein Puzzle, das einem schon beim bloßen Ansehen Kopfschmerzen bereitete. < Die Skyline von Frankfurt in dreitausend Teilen > stand auf der Schachtel.

Schritte auf dem Flur rissen Lilo aus ihren Gedanken. Sie kamen näher, die Stimme von Eugen Hofer wurde lauter, gefolgt von unterschiedlichem Gemurmel.

Verzweifelt suchte sie nach einem Fluchtweg. Lilo entdeckte eine weitere Tür, öffnete sie und wollte eintreten um sich zu verstecken, blieb allerdings auf der Schwelle stehen.

Auf einmal bekam sie wahnsinnige Kopfschmerzen. Ein penetranter Geruch aus Lack und Farben raubten ihr den Atem.

Ein Kabuff, klein wie eine Schuhschachtel und … was sie erblickte warf sie vollkommen aus der Bahn. Sie ging einen Schritt zurück und schlug die Tür mit einem lauten Knall wieder zu. Ihr wurde von der Duftwolke ganz schwindelig.

Die Migräne klopfte bereits an ihre Schädeldecke, ihre Schmerzen wurden unerträglich. Sie halluzinierte. Lilo fiel in Ohnmacht, sank der Länge nach auf den Boden. Diagnose: Leichte Gehirnerschütterung!

Nur ein paar Minuten später wurde sie von Eugen und den Jungs, bepackt mit weiteren Hochzeitsgeschenken, gefunden.

Er wirkte sehr wütend als er den Notruf absetzte. Was hatte Lilo hier zu suchen und was hatte sie gefunden?

Mit einem Nervenzusammenbruch, Gedächtnisverlust rund um das traumatische Erlebnis, wurde sie ins Krankenhaus eingeliefert und musste die Nacht dort verbringen.

Lilo hatte für den Abend der Hochzeitsfeier ein wasserdichtes Alibi.

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