Klimaschutz und 1,5 °C Leitplanke?

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2 Klimawandel – Klimaentwicklung

Zur Orientierung bei der Diskussion des Klimas vergangener Epochen der Erde dient die erdgeschichtliche Zeittafel in Abb. 5. Gemäß heutigem Wissen ist das Universum knapp 14 Milliarden Jahre alt. Eine Zeitspanne, die sich unserer beschränkten Vorstellungskraft entzieht. Anschaulich wird diese Zeitspanne, wenn man sie auf ein irdisches Jahr skaliert. Dann erfolgt der „Urknall“ am 1. Januar. Unser Sonnensystem entsteht (vor ca. 4,6 Milliarden Jahren) Anfang September. Die ersten Lebensformen auf unserer Erde bilden sich im Oktober. Die Dinosaurier tauchen am 26. Dezember auf und sterben am 28. wieder aus. Der homo sapiens erscheint am 31. Dezember dieses Weltenjahres, wenige Sekunden vor Mitternacht. Noch bevor ein weiterer Tag in diesem kosmischen Jahr vergangen sein wird, wird es die Menschheit nicht mehr geben. Unser Leben hat nicht einmal die Dauer eines Wimpernschlages. Mit dem Hitzetod der Erde werden bald auch alle Spuren unserer Existenz getilgt sein. Die Existenz der Menschheit scheint ein belangloses Ereignis in einem teilnahmslosen Universum zu sein. (10)


Abb. 5: Erdgeschichtliche Zeittafel. (11)

Bei der Betrachtung der Zeittafel erhebt sich sofort die Frage nach der geologischen Zeit.

Eine ausführliche Beschreibung der Grundprinzipien zur Bestimmung des Alters von Gesteinen würde im Rahmen dieser Betrachtungen zu weit führen. Es sei nur festgehalten, dass im 17. Jahrhundert der in Florenz lebende dänische Physiker und Arzt, Nikolaus Steno, einige Grundsätze zum Verständnis von geschichteten Steinen aufgestellt hat. Damit konnte das relative Alter vieler Gesteine bestimmt werden. Das absolute Alter ist erst seit der Kenntnis der Gesetze des radioaktiven Zerfalls instabiler Isotope bestimmbar. (12)

2.1 Klimageschichte – Proterozoikum (Urzeit) bis Holozän (geol. Gegenwart)

„Das Einzige, was Naturwissenschaft zu Wege bringen kann,

ist eine physikalisch konsistente Extrapolation in die Vergangenheit

ohne Gewähr auf geschichtlichen Ablauf.“

(Alfred Krabbe, Astrophysiker)

Entsprechend der Theorien von Physikern, Astronomen und Paläontologen wurde der Grundstein allen heutigen Lebens vor etwa 14 Milliarden Jahren gelegt. Da es keinerlei Daten aus dieser Zeit gibt, die den Verlauf der Entstehung und Entwicklung unserer Erde aufzeigen könnten, muss man sich – nolens volens – gänzlich auf die Theorien der Wissenschaft verlassen. Vor 10 Milliarden Jahren entstand unsere Galaxis, die Milchstraße. Die Sonne sowie unser Planet folgten wiederum ein paar Milliarden Jahre später. Der Entstehungszeitpunkt der Sonne wird auf etwa 4,6 Milliarden Jahre vor heute geschätzt. Die Erde entstand „kurze“ Zeit danach, höchstwahrscheinlich vor ca. 4,5 Milliarden Jahren. Bei der Entstehung der Erde traten enorme Energien und extrem starke Hitze auf. So betrug die bodennahe Temperatur etwa 180 °C. Es gab deshalb auch noch keine Meere, Niederschläge oder sonstiges Wasser.

Erst mit der fortschreitenden Abkühlung unterschritt vor ca. 4 Milliarden Jahren die Temperatur die 100 °C-Grenze, womit der Wasserdampf seinen Kondensationspunkt erreichte und sich Wassertropfen bilden konnten. Damit entstand langsam ein Wasserkreislauf und die Hydrosphäre (alle sichtbaren Gewässer). (13) Die ältesten Anzeichen für Ozeane auf unserer Erde sind in Gesteinen vorhanden, die inzwischen 3,2 Milliarden Jahre alt sind. Bis zur Entwicklung der Atmosphäre vergingen noch einmal 0,5 Milliarden Jahre. Vor ca. 2,5 Milliarden Jahren entstand der erste Sauerstoff und der Wasserdampf band sich fast ganz in Meeren und Seen, wodurch der Wasserdampf in der Atmosphäre zum Spurengas wurde. Mit dem Wasserdampf verschwand auch ein großer Teil des Kohlendioxids, das sich im Wasser band.


Abb. 6: Rekonstruktion des mittleren Temperatur- und Niederschlagsverlaufs der Erde seit 3,8 Milliarden Jahren. E = Eiszeitalter; E = Eiszeitalter mit Eisbildungen an beiden Polen; W = eisfreies Warmklima. (14)

Wie aus Abb. 6 ersichtlich, gab es in der Erdgeschichte abwechslungsweise Phasen mit extremen Warmzeiten und globalen Vereisungen. Vor ca. 2,3 Milliarden Jahren hat sich das erste Eiszeitalter eingestellt. Größtenteils war es jedoch auf der Erde immer relativ warm. Eine Betrachtung des Zeitraumes ab ca. 600 Millionen Jahren (ab senkrechtem Strich in Abb. 6.) zeigt uns ein zyklisches Auftreten von Kalt- und Warmzeiten mit einer Zykluszeit von ca. 150 Millionen Jahren (Abb. 7).


Abb. 7: Das Auftreten von Kalt- und Warmzeiten mit ca. 150 Millionen Jahren Zykluszeit. (15)

Die „mittlere globale“ Temperatur von ca. 22 °C bestimmte die überwiegende Zeit der Erdgeschichte, sodass man für die letzten 600 Millionen Jahre von relativ konstanten Leben ermöglichenden Umständen sprechen kann. Das schließt tiefgreifende Veränderungen nicht aus. So hat die Erde, wie Abb. 7 zeigt, seit 600 Millionen Jahren 4 kalte und 4 warme Klimamodi durchlebt. Bei der Interpretation der wichtigsten Messdaten aus Bohrkernmessungen, Baumringanalysen, Gesteinsablagerungen, Radiokohlenstoffdatierung 14C etc., muss berücksichtigt werden, dass es sich nur um indirekte Hinweise, sogenannte Proxy- bzw. Stellvertreterdaten, handelt. Außerdem geben Proxydaten in der Regel nur die lokale Klimageschichte wider. Alles, was wir wissen, ist nicht warum, sondern dass es geschah! Trotzdem kann man mit diesen Messwerten eine einleuchtende Beschreibung der Vergangenheit erstellen. Es ist deshalb einfacher, die Klimavergangenheit zu deuten ohne die Kausalität, also den Zusammenhang von Ursache und Wirkung, zu kennen, da man auf Indizien zurückgreifen kann. Wie in Abschnitt 1.5 dargelegt, ist dagegen eine Prognose des künftigen Klimas kaum möglich. Der Grund liegt hauptsächlich darin, dass in die Rechenmodelle, soweit bekannt, zahlreiche Parameter einfließen, die nicht gemessen, sondern nur geschätzt und/oder vermutet werden. Man kann künftige Ereignisse nicht exakt voraussagen, wenn man nicht einmal in der Lage ist, den gegenwärtigen Zustand genau zu messen. Bei einer Aussage zum möglichen künftigen Klimawandel kann man deshalb, bei sauberer wissenschaftlicher Arbeit, nicht von Prognosen, sondern lediglich von Szenarien reden. Eine Folge der Unberechenbarkeit chaotischer, nichtlinearer Systeme.

Trotzdem ist unser Glaube an die Beständigkeit des Wetters so alt wie die Bibel. Steht doch im Alten Testament (1. Mose 8,22) geschrieben:

„Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“

Dass das Klima nicht so beständig und zuverlässig ist, wie wir es gerne hätten, geht aus den Abb. 6 und 7 und den dazugehörigen Ausführungen hervor. Hierzu gilt, dass je weniger weit die Klimavergangenheit zurückliegt, umso aussagekräftiger und plausibler sind entsprechende Interpretationen. Als nächstes befassen wir uns mit dem gegenwärtigen Eiszeitalter, das in der Fachsprache als Quartär bezeichnet wird. Es ist die jüngste Formation des Kanäozoikums, der Erdneuzeit. Das Quartär wird in das Pleistozän, das eigentliche Eiszeitalter, und das Holozän, die Nacheiszeit, in der wir leben, untergliedert (Zeittafel Abb. 5).

2.2 Klimageschichte des Holozäns, dem aktuellen Interglazial

Der Abkühlungsprozess des jetzigen Eiszeitalters hat bereits vor rund 5 Millionen Jahren im Pliozän begonnen. (16) So kam es zu Beginn des Quartärs, im Pleistozän, zur Vereisung der Pole und der Nordhalbkugel. Paläoklimatologen vermuten, dass wir uns gerade am Ende eines Eiszeitalters befinden, jedoch noch innerhalb einer Eisepoche, von der wir nicht wissen, wann sie zu Ende ist.

Wie Abb. 8 zeigt, ist diese Nacheiszeit, das Holozän (griech. „ganz neu“) von relativ großen Klimaschwankungen geprägt. Aus paläontologischer Sicht befinden wir uns innerhalb des globalen Eiszeitalters in einer Warmphase (auch Interglazial genannt). Im erdgeschichtlichen Vergleich bleibt jedoch das Klima auch in einer Warmphase eines globalen Eiszeitalters relativ kalt.


Abb. 8: Klimaschwankungen im Holozän (Das zyklische Auftreten von Optima und Pessima), im Wesentlichen der nördlichen Hemisphäre. (17)

Eine Retrospektive dieser jüngsten und bedeutsamsten Phase menschlicher Entwicklung beginnt im Großen und Ganzen 20.000 bis 18.000 Jahre vor heute, dem Höhepunkt und Ausklingen der Würmeiszeit oder Altsteinzeit, im Diluvium, dem jüngeren Pleistozän. In der anschließenden, bis heute anhaltenden Warmzeit, dem Holozän, stellten sich entscheidende kulturelle und siedlungsgeschichtliche Entwicklungen ein. In dieser erdgeschichtlichen Epoche bilden sich auch die heutigen Landschaftsformen heraus. Diese Periode von etwa 10.000 Jahren gilt unter Klimaforschern als klimatisch ausgesprochen stabil und von bemerkenswert langer Dauer. Lenkt man jedoch sein Augenmerk auch auf weniger dramatische Fluktuationen des Temperaturverlaufs, so wird nicht nur eine signifikante Instabilität sichtbar, sondern auch ihre Auswirkungen auf menschliche Aktivitäten und Veränderung des bewohnten Erdkreises verständlich. (18)

Man kann davon ausgehen, dass mit dem Datum „10.200 Jahre vor heute“ die letzte Kaltzeit mit dem Zerfall der Gletschermassen definitiv zu Ende war und sich unmittelbar die bisher wärmste nacheiszeitliche Klimaperiode anschloss – das erste Holozänoptimum, während dem die Temperaturen 2–2,5 °C höher gelegen haben dürften als heute. Die Menschen wurden sesshaft und bauten erste Siedlungen. Es war der Übergang von Jagd auf Ackerbau und Viehzucht.

 

Im zweiten Klimaoptimum des Holozäns (ca. 3.000 v. Chr. bzw. ca. 5.000 Jahre v. heute) etablieren sich die großen Kulturen der Babylonier, Chinesen, Perser, Ägypter. Die Temperaturen dürften ähnlich wie im ersten Holozänoptimum gelegen haben.

Während des römischen Klimaoptimums war es höchstwahrscheinlich deutlich wärmer als heute. Kein Wunder, dass die Römer in „Sandalen“ ihr Weltreich ausbauen konnten und Hannibal es gelang mit Elefanten die Alpen zu überqueren.

In der Epoche vom 5. bis 6. Jahrhundert, dem Völkerwanderungs-Pessimum, herrscht nicht nur in Europa Unruhe. Vermutlich durch den massiven Ausbruch des Krakataus (Abb. 25, S. 67) kam es zu einem Kälteeinbruch, der zu unerträglichen Lebensbedingungen führte. Es war nicht die nomadische Natur der Goten und Germanen, sondern vermutlich die Kälte, also kein Wunsch, sondern Notwendigkeit, die Familien mit Kind und Kegel, Vieh und Waffen in den Süden trieb. Ihre Richtung wies die Sonne. Sie machten nicht Halt im europäischen Kernland, sondern zogen weiter in den „richtigen Süden“, nach Iberien, Italien, und nach Nordafrika. In jener Zeit wurden Germanenstämme Nordafrikaner. (19) Als ich Anfang der Sechziger Jahre einige Monate rund ums Mittelmeer reiste, habe ich mich noch gewundert, im Süden Tunesiens blauäugige Araber (Berber) zu treffen. Die klimabedingte Völkerwanderung gibt die Erklärung. Die Bewegungen waren nicht chaotisch, auch wenn die Völkerwanderung Chaos auslöste und die alte Ordnung zerstörte.

Die mittelalterliche lange Wärmeperiode verhalf zu relativem Wohlstand in Europa. Die Wikinger (nord.: „vikingr“, „Seefahrer“, „Seeräuber“) besiedelten Grönland und bauten dort Getreide an. Erich der Rote, der wegen Mordverdacht Island verlassen musste, scheint Grönland im richtigen Moment entdeckt zu haben. Die Schar von Nordländern, die ihm folgte und sich an der Küste der großen Insel niederließ, hatte Aussicht auf einen angenehmen Lebensstandard. Das Schmelzen der Arktis, der Fjordgletscher, und Weinanbau in Schweden und England bedingte sich gegenseitig. Die Wikinger segelten bis Nordamerika und versuchten sich dort niederzulassen. Ohne Nachschub vom Mutterland waren sie jedoch dem Untergang geweiht. Es wurde nichts mit der Ansiedlung von Nordeuropäern in Nordamerika. Dies gelang erst fast genau 500 Jahre später, als ein neuer Ansturm mit neuen Mitteln und größerer Menschenmengen eintraf.

Um 1200 begann sich das Wetter zu verschlechtern. Die mittelalterliche Wärmeperiode neigte sich ihrem Ende zu und die Siedler in Grönland wurden von der Versorgung mit Schiffen abhängig bis sie, im Lauf der Jahrhunderte, durch das Vordringen des Eises der kleinen Eiszeit von der Umwelt abgeschnitten wurden. (20)

Die kleine Eiszeit in Europa, vor ca. 300 Jahren, gilt in der heutigen Klimadiskussion als das klassische Beispiel einer durch kurzfristige Schwankungen geprägten natürlichen Klimavariation. In Europa wüteten Pest, Malaria, Cholera und die Themse war zugefroren. Laut Berichten über die holländische Kanalschifffahrt waren auch die Kanäle, die im frühen 17. Jahrhundert entstanden, um die größten holländischen Städte miteinander zu verbinden, im Winter zugefroren und unpassierbar geworden. Noch heute erinnern die Bilder der alten holländischen Meister des 16. und 17. Jahrhunderts an diesen Zeitabschnitt. Die Maler Rembrandt van Rijn, Jan Vermeer, Hendrick Avercamp bedienten sich bei ihren Gemälden nicht künstlerischer Freiheit (21); sie schufen Zeugnisse für das damalige Klima (Abb. 9).


Abb. 9: Das Gemälde „Eisvergnügen“ von Hendrick Avercamp zeigt Menschen auf einem zugefrorenen Kanal in den Niederlanden im kalten Winter 1608. Heute dagegen sind die Kanäle im Winter meist eisfrei. Solche künstlerischen Darstellungen sind nur aus der Zeit zwischen 1565 und 1640 bekannt. (21)

Es ist nicht bekannt, wodurch diese Kälteperiode entstand. Die Vermutung ist, dass sie mit einem ungewöhnlichen Zeitabschnitt in der Geschichte der Sonne zusammenhängt, in dem die Astronomen eine ungewöhnlich geringe Zahl an Sonnenflecken beobachtet haben, Abb. 10. (Um Missverständnissen vorzubeugen sei hier betont, dass die Sonnenflecke nicht selbst Ursache, sondern nur ein Indikator für eine Änderung der Sonnenaktivität und damit der solaren Ausstrahlung sind; ausführlich behandelt in Abschnitt 3.2.2.2, Aktivitäten der Sonne).


Abb. 10: Das Maunder’sche Minimum zwischen 1645 und 1715. Angaben der Häufigkeit als Sonnenflecken-Relativzahl seit 1610. (22)

Diese Periode wurde nach dem englischen Astronomen Edward Walter Maunder (1851–1928) benannt, der im Nachhinein die geringe Anzahl der Sonnenflecke in dieser Periode erkannte.

Sonnenflecke waren kurz vor dem Maunderminimum erstmals systematisch beobachtet worden, sodass zu jener Zeit noch keine Erwartungen bezüglich ihrer Häufigkeit gemacht werden konnten. Nur im Nachhinein ließ sich erkennen, dass sich der Zustand der Sonne ab 1715 signifikant von dem zwischen 1645 und 1715 unterscheidet.

Doch auch während der kleinen Eiszeit gab es erhebliche Klimaschwankungen. So stellen zum Beispiel die Zeiträume von 1570 bis 1630 und von 1675 bis 1715 besonders kalte Zeitabschnitte dar. Die kleine Eiszeit war eine Erdabkühlung, die mit regionalen und zeitlichen Schwerpunkten weltweit auftrat und später auch für Nordamerika, Russland und China und inzwischen auch in den polaren Eiskernen nachgewiesen wurde. Während dieser Zeit traten häufig sehr kalte Winter und niederschlagsreiche, kühle Sommer auf. (23) Für die Menschen hatte das schwerwiegende Folgen. Die Sommer waren nasskalt, sodass der Weizen auf den Halmen verfaulte. Es kam zu Hungersnöten. Im Jahre 1788 wurde in Frankreich durch schwere Unwetter die Aussaat vernichtet. Brot wurde knapp und die Preise stiegen enorm. Der dritte Stand, der größte aber auch unterprivilegierte Teil der Bevölkerung, musste hungern. Der folgende Winter 1788/89 war der kälteste der letzten 300 Jahre. 1789 kam es zum Ausbruch der Französischen Revolution. Geschichtlich war damit auch das Ende des „Ancien Régime“ besiegelt.

2.3 Zusammenfassung

Die Atmosphäre, also die Luft, ist ein Gasgemisch, das durch die Gravitation an der Erdoberfläche gehalten wird. Man kann sich die irdische Atmosphäre auch als ein Luftmeer vorstellen, das die ganze Erdoberfläche überflutet und auf dessen Grund wir leben. Dieses Meer hat jedoch, im Gegensatz zu den Wasserozeanen der Erde, keine scharf ausgeprägte Oberfläche. Die Dichte der Luft nimmt, der Natur der Gase entsprechend, mit der Höhe über der Erde ab. Die Atmosphäre hat keine feste obere Grenze, sondern verliert sich, immer dünner werdend, in den leeren Raum. Sie ist ein chaotisches, instabiles System, was bedeutet, dass selbst geringste Änderungen der Anfangsbedingungen nach einer gewissen Zeit zu einem völlig anderen Systemverhalten führen. Ein Grund, warum die Reaktion nichtlinearer Systeme langfristig nicht vorhersagbar ist. Die Atmosphäre ist der Ort, wo das Klima stattfindet. Den augenblicklichen Zustand der Atmosphäre an einem bestimmten Ort nennen wir das Wetter. Wenn wir von Klima reden, muss uns immer bewusst sein, dass es sich um eine fiktive, statistische „Größe“ handelt, die sich vom Wetter ableitet. Im Gegensatz zum Wetter, in seiner schönen und rauen Wirklichkeit, kann man Klima nicht erleben. (24) Es ist und bleibt ein theoretisch errechnetes Konstrukt anhand des vergangenen Wetters. Wie auf S. 18 erwähnt, beschloss die internationale Staatenwelt, dem Klima eine 30-jährige Wetterbeobachtungsperiode zugrunde zu legen. Sie erklärte die Periode 1901 bis 1930 zur „Klimanormalperiode“. Wie in Abschnitt 2.1 darauf hingewiesen, versucht die Paläoklimatologie, anhand von sogenannten Proxy- bzw. Stellvertreterdaten, die unterschiedlichen klimatischen Verhältnisse in der Vergangenheit zu deuten. Diese Rekonstruktionen des Klimas zeigen, dass es in der Erdgeschichte abwechslungsweise Phasen mit extremen Warmzeiten und globalen Vereisungen gab. Die Extrapolation in die Vergangenheit mag physikalisch konsistent sein, sie ist aber keine Gewähr für den geschichtlichen Ablauf. Eine Prognose des künftigen Klimas aus den Klima-Stellvertreterdaten der Vergangenheit ableiten zu wollen, ist deshalb wissenschaftlich inakzeptabel. Der Grund liegt einerseits darin, dass in die dafür erstellten Computerprogramme, soweit bekannt, zahlreiche Parameter einfließen, die nicht gemessen, sondern nur geschätzt bzw. vermutet werden, und andererseits wir es mit nichtlinearen, dynamischen Systemen zu tun haben. Die Klimageschichte des gegenwärtigen Erdzeitalters, dem Holozän, ist von einem häufigen Wechsel von Kalt- und Warmphasen geprägt. Paläoklimatologen vermuten, dass wir uns gerade am Ende eines Eiszeitalters befinden, jedoch innerhalb einer Eisepoche, von der wir nicht wissen, wann sie zu Ende ist. Die Temperatur-Optima und -Pessima der Vergangenheit hatten entscheidende Auswirkungen auf menschliche Aktivitäten und Veränderungen des bewohnten Erdkreises. Es zeigt sich jedoch deutlich, dass es den Menschen während der wärmeren Perioden am besten ging.

3 Ursachen für das Auftreten von Kalt- und Warmzeiten

Die Suche nach den Ursachen für die Eiszeitalter der Erdgeschichte gehört auch heute noch zu den spannendsten Herausforderungen der Paläoklimatologie. Zahlreiche zyklische und nichtzyklische Prozesse wirken auf das Klima der Erde ein und verstärken oder neutralisieren sich gegenseitig. Viele der Einflussgrößen sind wissenschaftlich verstanden, andere sind als grundsätzlicher Wirkungszusammenhang plausibel, aber noch nicht quantifiziert, was auch daran liegt, dass das Wissen spärlicher wird, je weiter man in der Vergangenheit zurückgeht. Grundsätzlich kann bei der Ursachenforschung der natürlichen Klimaveränderungen zwischen terrestrischen und extraterrestrischen bzw. astronomischen Einflüssen unterschieden werden.

3.1 Terrestrische Ursachen

3.1.1 Kontinentaldrift – Bewegung der Lithosphärenplatten

Betrachtet man die Erde aus einer Raumschiffumlaufbahn, so sieht man eine wunderschöne, blau-weiße Kugel im Samtschwarz4 des Weltalls schweben, Abb. 1, und erkennt, abgesehen von den Wolken, den Zimmerglobus. Nach Auffassung der Geologen entspricht der Anblick jedoch nur einer Momentaufnahme, einer zufälligen, vorübergehenden Anordnung von Land und Meer, die sich im nächsten Moment schon wieder verändert. Die Kontinente der Erde hatten nicht immer die Lage und das Aussehen, das sie heute haben. Verantwortlich hierfür ist der sogenannte Kontinentaldrift, auch Kontinentalverschiebung genannt, was bedeutet, dass die Kontinente sich fortwährend auseinanderbewegen und wieder zusammentreffen. Der deutsche Wissenschaftler Alfred Wegener (1. 11. 1880–November 1930) beschrieb als Erster die langsame Bewegung, Vereinigung und Aufspaltung von Kontinenten.

Wegener folgerte aus der genauen Passung der Küstenlinien von Afrika und Südamerika, dass diese Bruchstücke eines ehemals größeren Kontinents gewesen sein könnten, der in der erdgeschichtlichen Vergangenheit auseinandergebrochen war. Er konnte durch vielfältige Untersuchungen seine Theorie erhärten. Dazu zählen u. a. folgende von ihm zusammengetragenen Argumente (Abb. 11):

 Faltengürtel und Scherzonen aus Südamerika lassen sich in Afrika mit ähnlichen Gesteinsfolgen vergleichen.

 Auf allen Südkontinenten finden sich Klimazeugen der permo-karbonen Eiszeit.

 Bestimmte fossile und gegenwärtig lebende Floren und Faunen beiderseits des Atlantik stimmen überein.

 Fossilien kälteliebender Landpflanzen mit zungenförmigen Blättern (des Farns Glossopteris) waren auf allen Südkontinenten verbreitet.

 Fossile Überreste von Mesosaurus, eines im Süßwasser lebenden Reptils, konnten sowohl in Afrika als auch in Südamerika nachgewiesen werden.


Abb. 11: Die farbig dargestellten paläobiogeographischen Verbreitungsgebiete von Cynognathus, Mesosaurus, Lystrosaurus und Glossopteris untermauern, dass sie ehemals Teil eines größeren Kontinents (Gondwana) waren. (25)

 

Aufgrund der in Abb. 11 dargestellten paläobiogeographischen Verbreitungsgebiete rekonstruierte Wegener einen Superkontinent, den er Pangaea (griech.: „Ganz-Erde“) nannte, der alle Landmassen umfasste, Abb. 12.


Abb. 12: Der Superkontinent Pangäa, während der Trias vor ca. 240 Millionen Jahren. (25)

Wegen Fehlens einer plausiblen Erklärung der Verschiebung konnte sich die Theorie der Kontinentaldrift jedoch lange nicht durchsetzen. Erst die Entwicklung der Plattentektonik-Theorie um 1960, also 30 Jahre nach Wegeners Tod, brachte die allgemeine Anerkennung der Kontinentaldrift. Der Begriff Plattentektonik resultiert aus der Erkenntnis, dass es eigentlich nicht die Kontinente selbst sind, die sich gegeneinander verschieben, sondern dass diese auf Platten der Erdkruste sitzen, die auseinanderdriften, weil sie auf dem zähflüssigen Magma der Erde schwimmen, Abb. 13. Die kontinentale Erdkruste ist 20 bis 70 km dick, die ozeanische nur ca. 6 km. Die Kruste bildet eine extrem dünne Schale (nur 0,2–0,8 % des Erdradius und nur 0,4 % der Gesamtmasse der Erde) einer immer noch glühend heißen Kugel. Wir leben also auf einem höchst zerbrechlichen Planeten. Die Erdkruste ist im Vergleich so dünn wie eine Eierschale, aber nicht so geschlossen. Die wichtigsten geodätischen Verfahren zur Messung der Plattenbewegungen sind: Das GPS (Global Positioning System), mit Hilfe autonom arbeitender Messstationen, das Satelliten-Laser-Radar (SLR)-System und die Very Long Baseline Interferometry (VLBI). (26) Letzteres ist Abb. 14 zugrunde gelegt.


Abb. 13: Tektonik – Plattengrenzen mit Kontinenten. (25)

Wenn auch die Rekonstruktion der Geschichte der Plattenbewegungen viel Spekulation enthält, kann man davon ausgehen, dass die Welt vor 500 Millionen Jahren ganz anders aussah als heute. Am Ende des Paläozoikums vor ca. 250 Millionen Jahren, zur Zeit des Perms, vereinigen sich alle Kontinente der Erde zu einem einzigen, riesigen Kontinent Pangäa (Abb. 12). Er ist umgeben von dem einzigen Ozean, genannt Panthalassa. Das Klima war allgemein kühler als heute. Mitteleuropa liegt mit heißem Wüstenklima fast am Äquator. Im Gegensatz dazu werden weite Teile der Südhalbkugel (Afrika, Indien, Südamerika, Australien) von riesigen Eismassen bedeckt. Vor ca. 220 Millionen Jahren, in der Trias, beginnt der Superkontinent Pangäa zu zerbrechen. Im Alttertiär vor ca. 65 Millionen Jahren sind Afrika, Arabien und Vorderindien vom eurasischen Kontinent getrennt. Zwischen Europa und Nordamerika besteht eine Landbrücke, die einen Austausch der Säugetierfaunen ermöglicht. Im Jungtertiär vor ca. 30 Millionen Jahren entstehen die großen Faltengebirge Alpen und Himalaja. Die Polgebiete und Kontinente nähern sich ihrer heutigen Position und erhalten allmählich ihre jetzige Gestalt. Während dieser Epoche war der Südpol mit Eis bedeckt, der Nordpol jedoch noch eisfrei. Tropische Regenwälder bedeckten Europa und Nordamerika. Zu Beginn des Tertiärs ist das Klima noch gleichförmig und warm, die Polargebiete sind waldbedeckt (Kohle in Grönland und Spitzbergen!). Gegen Ende des Alttertiärs beginnt dann ein deutlicher Temperaturrückgang. Die mittlere Jahrestemperatur in Europa sinkt von über 20 °C auf 12 °C am Ende des Tertiärs (Abb. 7).

Die im Tertiär begonnene kontinuierliche Abkühlung setzt sich im Quartär (ca. 2 Millionen Jahre v. H.) fort. Die mittlere Jahrestemperatur erreicht an der Pliozän-Pleistozän-Grenze 10 °C, was zur Vereisung der Nordhalbkugel führt. Das Eis dringt bis Mitte Deutschland vor. Erst Ende der Würmeiszeit, mit dem Übergang zum Holozän, weicht das Eis wieder endgültig nach Norden zurück. Die Kontinentaldrift ist ein kontinuierlicher, dynamischer Vorgang. Die einzelnen Platten bewegen sich mit ca. 0,5 bis 10 cm pro Jahr (Abb. 14, Indexziffer 157).


Abb. 14: Heutige Bewegung der tektonischen Platten, der Lithosphäre. Die Pfeile zeigen die Bewegungsrichtung, die Ziffern die Geschwindigkeiten in mm/Jahr der Platten. (26)

Man unterscheidet drei Arten von Plattengrenzen: An divergenten Plattengrenzen bewegen sich die Platten voneinander weg. Ein Beispiel sind die Mittelozeanischen Rücken (Gebirge), die in nahezu allen Weltmeeren vorhanden sind. Bedingt dadurch, dass der ständig entstehende Raum zwischen den auseinanderweichenden Platten mit Magma gefüllt wird, ist die divergente Plattengrenze durch Vulkanismus und Erdbebentätigkeit gekennzeichnet. Bei konvergenten Plattengrenzen stoßen die Platten gegeneinander. Dabei taucht die eine Platte unter die andere in den Erdmantel ab. Dieser Vorgang wird Subduktion genannt, Abb. 17 und 18. Die Wechselwirkung zwischen der abtauchenden und der sich darüber bewegenden Platte setzt sich entlang der Kontaktfläche über viele Kilometer und bis in Tiefen von über 100 km fort. Dabei kommt es zu einem bedeutenden Austausch von Gesteinsmassen sowie von Flüssigkeiten und Gasen. Dieser Austausch führt zu einem intensiven Vulkanismus. An den Rändern der kollidierenden Platten gibt es weltweit die meisten Vulkaneruptionen. Da der Pazifik von konvergenten Plattengrenzen umgeben ist, gibt es rund um den Pazifik Vulkane in großer Zahl. Der Begriff Feuergürtel des Pazifiks ist auf diesen Vulkanismus zurückzuführen. (27) Transformplattengrenzen sind gegeben, wenn zwei Platten aneinander vorbeigleiten. Dieser Vorgang erfolgt nicht kontinuierlich, sondern ruckartig, wodurch Erdbeben entstehen. Die San-Andreas-Verwerfung vor Kalifornien ist ein Beispiel für eine Transformplattengrenze. Die Mechanismen der Plattenbewegungen werden auf den S. 55 ff. detaillierter beschrieben.

Obwohl es keine Möglichkeit gibt zu wissen, wie die Erde in weiter Zukunft aussehen wird, kann man doch versuchen die gegenwärtigen Plattenbewegungen in die Zukunft zu projizieren und ein wohlbegründetes Szenario erstellen. Gemäß der von dem amerikanischen Geologen Christopher Scotese (28) angestellten Vermutungen wird die Erde in 50 Millionen Jahren etwas schief aussehen. Nordamerika wird sich leicht gegen den Uhrzeigersinn drehen; Eurasien wird sich im Uhrzeigersinn drehen und England dem Nordpol näher bringen. Sibirien dreht sich südwärts zu warmen, subtropischen Breitengraden. Afrika wird mit Europa und Arabien kollidieren (das wird aber ein Getöse geben) und damit das Mittelmeer und das Rote Meer schließen (nichts mehr mit „Ballermann“). Von Spanien, quer durch Südeuropa, den mittleren Osten bis nach Asien werden sich Gebirge von der Dimension des Himalajas erheben. Die Heraushebung von Festland in bedeutende Höhen verändert in erster Linie groß- und kleinräumig die Luftströmungen. Die Änderung der Zirkulationsmuster in der Atmosphäre brachte einst die notwendige Feuchtigkeit auf die Kontinente, die zur Vergletscherung weiter Teile der Nordhalbkugel beitrug. Weiters wird mit der Kontinentaldrift der Atlantische Ozean „geschlossen“, was zwangsläufig das Ende des Golfstromes, unserer derzeitigen „Fernheizung“, bedeutet. Schließlich wird in ca. 250 Millionen Jahren der Großteil der Landmassen wieder zu einem Superkontinent fusionieren, den Scotese Pangäa Ultima nennt, Abb. 15. Wie sich zeigt, liegt die übergeordnete Kontrolle der zwei Hauptmodi des globalen Klimas, Warmzeit Kaltzeit, in der Konfiguration der Kontinente, und damit der globalen Verteilung der Energie durch die ozeanischen und atmosphärischen Systeme.


Abb. 15: Kontinentaldrift, Verteilung der Landmassen nach C. Scotese, von heute bis „Pangäa Ultima“ in 250 Millionen Jahren. (28)

Wenn auch die Realität der Kontinentaldrift heute kaum noch bezweifelt wird, so besteht über die Kräfte im Erdinneren, die die Bewegungen der Platten auslösen, fast noch so viel Unklarheit wie zu Zeiten Wegeners.

Zwecks besserem Verständnis der Plattentektonik zunächst etwas zum inneren Aufbau der Erde (Abb. 16). Die Zahlen und Daten in Abb. 16 sind allerdings nicht immer ganz gesichert, und der physikalisch-chemische Zustand des Erdkerns wird von einigen Autoren unterschiedlich beurteilt. Sehr grob gesehen ist die Erde in zwei mächtige Schalen gegliedert: Den Erdkern und den Erdmantel.