"Krieg, Seuchen und kein Stück Brot"

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Gründe für die Standortwahl anhand exemplarischer Beispiele

Robert Mateja bezeichnet als Hauptmotiv für die Errichtung von Kriegsgefangenenlagern auf oberösterreichischem Boden die Tatsache, dass Oberösterreich bezüglich der Agrarproduktion als ergiebig und vom Kriegsgeschehen als „[…] ziemlich weit vom Schuß“52 galt.

So wie bei anderen Lagerstandorten außerhalb des Kronlandes Oberösterreichs hatten alle Lager grundlegende Voraussetzungen zu erfüllen. Vorrangig mussten vor allem die geographischen Gegebenheiten stimmig sein. Keinesfalls durfte das Lager in einem dicht verbauten Gebiet stehen, wo die Gefahr eines zu engen Kontakts mit der Zivilbevölkerung bestand. Das wurde beispielsweise in Freistadt nicht eingehalten, wo das Lager in unmittelbarer Nähe zur Stadt lag.

Ebenso war die Angrenzung an ein dichtes Waldgebiet nicht erwünscht, da sich dann die Fluchtgefahr erheblich steigerte, und außerdem hatte das gesamte Gelände für die Bewachungsmannschaften überschaubar zu sein. Ebenso entscheidend war das Vorhandensein einer funktionierenden Infrastruktur vor Ort. Dies umfasste die Möglichkeit, Straßen anzulegen, Strom- und Wasserversorgung zu gewährleisten bzw. Kanalisationen einzurichten und Abwässer entsorgen zu können. Schließlich war die rasche Anbindung an ein Verkehrsnetz eine unumgängliche Voraussetzung.53 Das alles traf wiederum ganz hervorragend auf den Lagerstandort Mauthausen zu.

Vielfach aber litten gerade die von der Front geschwächt ins Hinterland gebrachten italienischen Gefangenen unter den für sie ungewohnt rauen klimatischen Bedingungen. Als im Sommer 1916 eine schwedische Rot-Kreuz-Delegation nach Freistadt kam, wurde ihr von Kriegsgefangenen, die sich im Lagerspital befanden, ein Gesuch übermittelt, in dem es ganz unverblümt hieß: „Die Ursache unseres Zustandes ist Mangel an Medikamenten, überaus schlechte Ernährung und das für uns tödliche Klima […]“.54 Strenge Winter mit eiskalten Stürmen gab es auch in den niederösterreichischen Lagern und dort kämpften ebenso vor allem die italienischen Kriegsgefangenen mit ernsthaften gesundheitlichen Problemen wie in Oberösterreich.55

Die strengen Vorgaben führten aber andererseits zu immer aufwändigeren technischen und hygienischen Anforderungen und Baumaßnahmen. Im Rahmen einer Sitzung im K. u. K. Kriegsministerium am 1. März 1915 wurde im Einklang mit der Haager Landkriegsordnung (HLKO) bestimmt, dass zu allen Arbeiten bei der Errichtung der Kriegsgefangenenlager so weit als möglich die Kriegsgefangenen selbst heranzuziehen waren.56

Da bei Kriegsbeginn nur der Osten und Südosten der Monarchie vom Feind bedroht war, kamen zunächst alle österreichischen Länder und jene Teile des ungarischen Gebietes, die nicht unmittelbar von Kriegshandlungen bedroht waren, dafür in Betracht. Dies bedeutete, dass Oberösterreich, Niederösterreich, die Steiermark, Salzburg, Böhmen und in Ungarn der Militärkommandobereich Poszony als Lagerstandorte fungierten.

Bei den ersten Kriegsgefangenenlagern, die eingerichtet werden mussten, konzentrierte man sich auf das Vorhandensein von militärischen Anlagen. Dies war vom ökonomischen Aspekt her betrachtet durchaus sinnvoll, da die Gebäude ja bereits Eigentum der Heeresverwaltung waren und somit äußerst „günstig“ kamen. Dachte man zuerst daran, in erster Linie den Großgrundbesitz bei der Requirierung von Grundstücken heranzuziehen und somit den Kleingrundbesitz zu verschonen, musste diese wohlmeinende Absicht bald fallengelassen werden.57

Für Mauthausen als Standort eines Gefangenenlagers sprachen beispielsweise folgende Punkte: Es lag an zwei wichtigen Bahnlinien, der Summerauerbahn (Anschlussstück Gaisbach-Bahnknotenpunkt St. Valentin) und der Donauuferbahn (Bahnknotenpunkt St. Valentin-Wien). Auch die Hauptstraße von Freistadt nach Linz führte durch das Ortsgebiet. Gute Verkehrsverbindungen bestanden auch in Richtung Enns und Steyr (mittels Fähre). Dazu kam noch der Donauhafen. Dies alles bot für die damalige Zeit günstige Voraussetzungen für die Durchführung der Gefangenentransporte und ermöglichte zudem im Bedarfsfall den raschen Nachschub an Wachpersonal, Verpflegung und Bekleidung.

Im Falle von Marchtrenk wiederum erschien der Militärverwaltung der ausgewählte Platz aus den folgenden Gründen überaus günstig zu sein: Da war zunächst die Nähe der Bahn, darum günstig für die Gefangenen- und Truppenbzw. Wachsoldatentransporte. Dann bestand der Bodenuntergrund aus Schotter, das war günstig für die Hygiene des Lagers. Die als minderwertiger Kulturboden eingestufte Bebauungsfläche versprach einen geringen Schaden für die Landwirtschaft zu verursachen. Für den Bau des Lagers wurden auf dem gesamten Gelände verschiedene Plätze begutachtet. Zunächst ein Areal nördlich von Marchtrenk, längs der Staatsbahn. Dann besichtigte man die Gründe westlich von Marchtrenk. Schließlich kamen auch die freien Plätze südlich von Marchtrenk in Richtung der Auwälder in die engere Auswahl. Dabei stellte sich aber bald heraus, dass das Terrain schwierig zu überschauen war und somit eventuelle Fluchtversuche erheblich erleichterte.

Schließlich wurde eine große Fläche östlich von Marchtrenk, eine ausgeprägte Heidelandschaft, als besonders geeignet erachtet.58

Bei der Auswahl des Bauplatzes für das Kriegsgefangenenlager in Braunau am Inn war unter anderem der Grundsatz maßgeblich, dem Land nicht durch Entzug guter Ackergründe Schaden zuzufügen.59

Der Baukomplex lag auf beiden Ufern des Mattigbaches zwischen den Ortschaften Dietfurt und Aching und war auf insgesamt drei Katastralgemeinden aufgeteilt. Von dort konnte auch die zentrale Brunnenanlage betrieben werden und die Zuleitung des Wassers ins Lager erfolgen.60

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52 Mateja, Robert: Oberösterreich im 1. Weltkrieg. 1914–1918 (Diss. Univ. Innsbruck 1948) 225.

53 Vgl. Moritz, Verena: Zwischen Nutzen und Bedrohung. Die russischen Kriegsgefangenen in Österreich 1914–1921 (Bonn 2005) 73–78. Diese Vorgaben finden sich in dem 1915 vom K. u. K. Kriegsministerium herausgegebenen Dienstbuch J-35, Richtlinien und Erlässe zum Kriegsgefangenenwesen.

54 Rappersberger, Petra: Das Kriegsgefangenenlager Freistadt 1914–1918 (Dipl.-Arb. Univ. Wien 1988) 37.

55 Vgl. Koch, Rudolf: Im Hinterhof des Krieges. Das Kriegsgefangenenlager Sigmundsherberg (Horn 2002) 55

56 K. u. K. Kriegsministerium (Hg.): Kriegsgefangenenwesen, J-35. Sammlung und Sichtung der ergangenen Erlässe (Wien 1915) 117–118.

57 Vgl. Wiesenhofer, Franz: Gefangen unter Habsburgs Krone. K. u. K. Kriegsgefangenenlager im Erlauftal (Purgstall 1997) 22–23.

58 Vgl. OÖLA, Kriegssammlung 1914–1918, Sch. 65: Aus den Aufzeichungen (maschingetipptes Manuskript, Zl. 1850/1958) des ehemaligen Kooperators der Pfarre Marchtrenkm Alois Gruber, die unter dem Titel „Das K. u. K. Kriegsgefangenenlager Marchtrenk“ verfasst wurden.

59 Vgl. OÖLA, BH-Braunau am Inn, Sch. 875: Sammelakten KGFL-Braunau. Protokoll über die kommissionelle Erhebung betreffend die Errichtung eines Militärgefangenen-Lagers nächst Braunau am Inn vom 23.8. bis zum 4.9.1915.

60 Dies waren die Gemeinden Osternberg, Anzing und St. Peter sowie Forstern.

Die Aktivierung der Lager: Anspruch und Wirklichkeit

Eine kurze und lakonische Mitteilung des Pressebüros im K. u. K. Kriegsministerium im August 1914 umriss schlaglichtartig die neue militärische Dimension, wenn es etwa hieß, „[…] daß sofort nach Kriegsbeginn ein massenhafter Zuschub von Gefangenen stattfand […], der in der Kriegsgeschichte kaum seinesgleichen findet […]“.61

Die Einquartierung solch ungeheurer Mengen von Soldaten war freilich, dies war sofort klar, mit großen Schwierigkeiten verbunden. Und auch das wurde sehr rasch deutlich: Man war schlicht und ergreifend nicht darauf vorbereitet. Bereits vorhandene militärische Bauten wie Truppenübungsplätze und Festungsanlagen waren in viel zu geringem Ausmaß vorhanden, sodass man seitens des K. u. K. Kriegsministeriums den Bau komplexer „Barackenstädte“ anvisierte. Damit erhoffte man sich ausreichende Kapazitäten, gepaart mit einer gesicherten Unterbringung.

So wurden im Oktober 1914 die ersten Transporte, mehrere hundert russische Kriegsgefangene, bis zur Fertigstellung des Lagers in Wegscheid im Turm Nr. 25 des Artillerie-Depots in Linz untergebracht, wenngleich dies von Haus aus nur als temporäre Ersatzunterkunft gedacht war.62

 

Allerdings gewannen rasch sanitäre und hygienische Fragen eine vorrangige Bedeutung. Wie der Seuchenwinter 1914/15 in Oberösterreich zeigte, herrschten in so manchen Lagern katastrophale Verhältnisse.

Am 1. März 1915 fand im K. u. K. Kriegsministerium in Wien eine grundlegende Sitzung statt, an welcher außer den beiden Referenten, dem Oberleiter der K. u. K. Lagerbauleitungen Generalmajor Carossa und dem Oberstabsarzt Dr. Schattenfroh von der 14. Abteilung (Sanitätsabteilung), auch Vertreter der 8. Abteilung (Hochbau) und der 10. Abteilung (Kriegsgefangene) teilnahmen. Ebenso vertreten waren die Militärbaudirektoren jener Militärkommanden, in welchen Lager errichtet werden sollten.

Es wurde schließlich die Herausgabe eines Behelfs zu „Bauhygienischen Grundsätzen“ beschlossen.63

Eine weitere Schwierigkeit kam noch dadurch hinzu, dass die kriegsgefangenen Offiziere anders untergebracht werden sollten als die übrigen Mannschaften. Sie wurden zunächst in gesonderten Einzelgebäuden, welche das Militär kurzfristig angemietet hatte, beherbergt. Daneben wurden auch Hotels und Gasthäuser ins Auge gefasst. Und so mancher Beherbergungsbetrieb erhoffte damit neue Einnahmequellen lukrieren zu können, war doch seit Kriegsbeginn ein massiver Rückgang in den klassischen Fremdenverkehrsorten zu spüren gewesen.64 Was Oberösterreich betraf, so wurde kurzzeitig im Schloss Kreuzstein bei Mondsee eine Offiziersstation für kriegsgefangene Russen eingerichtet. Mit dem raschen Fortschritt des Lageraufbaues an den jeweiligen Standorten war damit jedoch bald Schluss, und die kriegsgefangenen Offiziere wurden innerhalb der Lager in eigenen Abteilungen bzw. Stationen konsigniert. Jedenfalls verfügte das K. u. K. Kriegsministerium die Aktivierung des Kriegsgefangenenlagers in Freistadt für den 18. Oktober 1914. Rund 3.000 Kriegsgefangene kamen Ende Oktober 1914 aus dem Militärkommandobereich von Poszony in Ungarn hierher. Die Belagskapazität wurde anfänglich jedoch auf 5.000 Mann limitiert. Aber bereits am 24. November 1914 wurde eine Vergrößerung des Belags um 10.000 Mann angeordnet. Die Fertigstellung der dazu erforderlichen Barackenbauten hoffte man durchaus optimistisch seitens der

K. u. K. Militärverwaltung bis Mitte Dezember 1914 abgeschlossen zu haben. Insgesamt sollte das Kriegsgefangenenlager an die 50.000 Kriegsgefangene aufnehmen.65

Nur acht Tage vorher, am 10. Oktober 1914, wurden im Zuge einer kommissionellen Verhandlung über die Errichtung des Lagers wesentliche bautechnische Grundlagen fixiert.

Anwesend dabei waren Vertreter der Stadtgemeinde Freistadt, an der Spitze Bürgermeister Theodor Scharitzer, ein Beauftragter der K. u. K. Militärverwaltung sowie Vertreter der Grundbesitzer, ein technischer Sachverständiger der K. K. Statthalterei aus Linz sowie der für die sanitären Belange zuständige Bezirksarzt Dr. Moosböck. Der Mediziner äußerte sich eher skeptisch. Der Platz sei vom sanitären Standpunkt aus ungeeignet. Der Untergrund sei schottrig und wasserundurchlässig. Der Platz für die Baracken sei durch den umliegenden Sumpf der kälteste in der ganzen Umgebung.66

Die Bettensorten stellte das K. u. K. Kriegsministerium zur Verfügung. Im Rahmen einer Begehung wurde der Exerzierplatz, er befand sich nur etwa 300 m südlich der Stadt, als der geeignetste Platz ausgewählt.67

Der noch im November zur Schau gestellte Optimismus bezüglich einer raschen Fertigstellung erwies sich aber als Trugschluss, denn schon zur Jahreswende war klar, dass man um eine Erweiterung des Lagers nicht umhinkam. Das eingesetzte Baupersonal unterschied sich nunmehr aber erheblich von der Anfangszeit. Wurde die im Herbst 1914 errichtete Lagergruppe noch größtenteils durch angeheuerte Zivilarbeiter errichtet, wurden die übrigen Lagererweiterungsbauten von den Kriegsgefangenen selber ausgeführt. Bis Jahresende 1915 kamen noch drei weitere Lagergruppen dazu: Lagergruppe II, die südlich an die Lagergruppe I angrenzte, wurde Anfang März 1915 fertiggestellt, Lagergruppe IV umfasste sowohl die Unterkunftsbaracken der eigenen Offiziere als auch jene der Wachmannschaften, sie waren ab April 1915 bezugsfertig. Diese Lagergruppe bestand auch noch aus Neben- und Wirtschaftsgebäuden. Im November 1915 war dann die Lagergruppe III vollendet. Die Bauarbeiten waren dort zunächst aufgrund von Problemen bei der notwendigen Fäkalienbeseitigung für einige Zeit unterbrochen. Ab diesem Zeitpunkt besaß das Kriegsgefangenenlager eine Belagskapazität von 25.000 Mann und von den ursprünglich von Seiten des K. u. K. Kriegsministeriums gewünschten 50.000 konnte gar keine Rede mehr sein.68

Das Lager in Mauthausen hingegen wurde erst am 10. November 1914 aktiviert. In diesem Zusammenhang erfolgte eine Überstellung von 3.000 serbischen Kriegsgefangenen, die ebenfalls aus Poszony kamen.69 Der Barackenbau auf den Zirkinger Feldern hatte dort bereits am 23. September 1914 begonnen.

Es handelte sich dabei um nur dünne Schotterböden, unter denen sich starke Lehmschichten verbargen, die außerdem im Inundationsgebiet der Donau lagen. Mangels rasch aufzutreibender Arbeitskräfte aus der Umgebung, es musste also improvisiert werden, verfiel man auf eine kuriose Idee.


Abb. 4: Gesamtansicht des Kriegsgefangenenlagers Mauthausen im Jahre 1914 (erste Bauetappe)

Man behalf sich fürs Erste mit 700 sogenannten „Wiener Plattenbrüdern“, in der Mehrzahl Kleinkriminelle, die aber dem lokalen K. K. Gendarmerieposten gehörig zu schaffen machten.70 Erst einen Monat später, am 22. Oktober 1914, kamen 300 russische Kriegsgefangene aus dem Lager Kleinmünchen-Wegscheid hinzu.

Das Kriegsgefangenenlager umfasste eine Fläche von 68 Hektar und erstreckte sich hauptsächlich auf die Industriegemeinde Haid. Von den insgesamt acht Lagergruppen, die im Jahre 1917 bestanden, war die Lagergruppe I nur knappe 1,5 km vom Ortszentrum Mauthausen entfernt. Die übrigen Gruppen grenzten unter anderem an die Nachbargemeinde Ried bei Mauthausen. In nordöstlicher Richtung, in der Ortschaft Oberzirking, wurde das Lager von einer Bezirksstraße, die Richtung Schwertberg führte, umschlossen. Die Donauuferbahn und die Hauptstraße von Freistadt nach Linz durchschnitten das Lager. Eine Gemeindestraße teilte das Lager überdies in eine nördliche und südliche Richtung. In Letzterer befand sich auch die Lagergruppe III, wo sich im Rahmen einer Eigenwirtschaft Rinder-, Schweine- und Geflügelstallungen befanden.71 Es war schließlich die Lagergruppe I, in der Ende Dezember 1914 eine Reihe von Infektionskrankheiten ausbrach, die sich zu einer wahren Epidemie steigern sollten. Schon kurze Zeit nach der Aktivierung des Lagers sah sich das Lagerkommando mit massiven Beschwerden durch die zivilen Verwaltungsbehörden konfrontiert. In einem dringlichen Schreiben wandte sich der K. K. Bezirkshauptmann Dr. Schusser Anfang Dezember 1914 an die Statthalterei in Linz, um über anscheinend unhaltbare Zustände im Mauthausener Lager zu berichten. Anstelle der Russen hätten, wie allgemein bekannt, die weit gefürchteteren Serben in einer Stärke von 14.000 Mann Einzug gehalten.

Schon der Anblick dieser „rauf- und rachsüchtigen Massen“72 habe gezeigt, dass es einen großen Gegensatz zu den bisher interniert gewesenen Russen gäbe.

Man stellte von Seiten der Behörde eine tiefe Besorgnis und Unruhe in der Bevölkerung fest. Außerdem war die Kapazität der Wachmannschaft, da man die Serben als sehr gefährlich einstufte, nach Meinung von militärischen Sachverständigen nicht ausreichend. So verfüge das ungarische Landsturmwachbataillon Nr. 101 nur über zwei Maschinengewehre. Die zur Verfügung stehenden Rekruten galten als mindertauglich und schlecht ausgebildet. Hartnäckige Gerüchte, beispielsweise, dass die zwei Landsturm-Kompanien in kürzester Zeit wieder abkommandiert würden, steigerten die Angst der Bevölkerung.

Die K. K. Bezirkshauptmannschaft wurde aufgrund dieser Gerüchte von Vertretern der umliegenden Gemeinden förmlich bestürmt, alles aufzubieten, damit zur Bewachung „[…] dieses rauf- u. plünderungssüchtigen Balkanvolkes […]“73 eine für alle Eventualitäten verlässliche und ausreichend gerüstete Wachmann-schaft zur Verfügung stand. In diesem Zusammenhang wurden angeblich bereits Pläne zur Aufstellung einer Bürgerwehr geschmiedet. Der Kommandant des Lagers, Oberst Schmidt, bestritt alle Vorwürfe und reklamierte für das Lager eine Atmosphäre des gegenseitigen Respekts und der Disziplin.


Abb. 5: Das Kriegsgefangenenlager Mauthausen (Plan im Maßstab 1:2880)

Es war am 2. Dezember 1914, als um die Mittagszeit ein Abgesandter der K. u. K. Militärbauleitung, Hauptmann Jüngling, per Bahn in Marchtrenk eintraf und anschließend den erstaunten Gemeindevertretern im Auftrag des K. u. K. Kriegsministeriums mitteilte, dass die Gemeinde als Standort für ein Kriegsgefangenenlager ausgewählt worden war.

Dieses Datum gilt auch als eigentlicher Baubeginn, denn noch am gleichen Tag brachte ein Lastenzug das erste Bauholz für die Errichtung von Baracken. Mitte Dezember 1914 war die erste Baracke fertiggestellt und bis Ende des Jahres 1914 sollte ihre Zahl auf 40 anwachsen. Am 31. Dezember 1914 kamen die ersten 300 Russen im Lager Marchtrenk an. Sie hatten einen Fußmarsch von 13 km aus dem Gefangenenlager Kleinmünchen hinter sich.74


Abb. 6: Das Kriegsgefangenenlager Marchtrenk um 1915 (im Original als farbige Postkarte)

Nach Fertigstellung gab es drei Teillager mit insgesamt 500 Baracken zur Unterbringung von 50.000 Gefangenen. Die Höchstzahl der Gefangenen war im Mai 1915 mit 35.000 Mann zu verzeichnen. Die Bewachung der Gefangenen wurde von 850 Mann und 23 Offizieren des K. u. K. Wachbataillons durchgeführt. Zwischen der zweiten und der dritten Lagergruppe befand sich ein Kriegerfriedhof mit einer Gesamtfläche von 1.300 m².75

Einen Monat später, Anfang Juni 1915, erteilte dann das K. u. K. Kriegsministerium dem Bauleiter der K. K. Militärbauleitung für das Barackenlager in Salzburg, Hauptmann Alois Dostal, den telefonischen Befehl, in der Nähe von Braunau am Inn einen Bauplatz für ein Kriegsgefangenenlager zu erkunden. Das Lager sollte über eine Belagsstärke von 30.000 Mann verfügen. Bereits am 5. Juni 1915 genehmigte eine Kommission den Bauplatz und ordnete den Baubeginn an. Das Lagerkommando Braunau wurde offiziell aber erst am 9. Juli 1915 aktiviert.

Von zentraler hygienischer Bedeutung war auch eine funktionstüchtige Abwasserbeseitigungsanlage. Der Vertreter der Bezirkssanitätsbehörde, Dr. Schrack, forderte ein ausgefeiltes System, das jegliche Seuchengefahr von vorneherein ausschloss. Man wusste zu diesem Zeitpunkt am Beispiel von Mauthausen nur zu gut, welche verheerenden Folgen gravierende sanitäre Mängel und unerhörte Schlampereien nach sich zogen.

Sehr bald nach Fertigstellung einiger Baracken kamen am 25. Juni 1915 die ersten russischen Kriegsgefangenen aus den Kriegsgefangenenlagern Deutsch-Gabeln und Grödig in Salzburg nach Braunau, insgesamt 2.541 Mann. Es folgten dann Transporte aus den Lagern Hart bei Amstetten, Reichenberg, Josefstadt und Milowitz. Russische kriegsgefangene Offiziere kamen im Frühjahr 1915 auch aus der inzwischen aufgelassenen Offiziersstation Kreuzstein bei Mondsee.

Die Evidenzhaltung der Kriegsgefangenen erfolgte in allen Lagern nach der gleichen Methode: Zunächst gab es die Aufnahme in die Personenkartei, dann die äußerliche Kenntlichmachung durch eine Lagernummer, sie wurde jedoch nur bei kriegsgefangenen Mannschaften verwendet, und schließlich wurden Evidenzblätter und sogenannte Grundbuchblätter angelegt.

 

Die Zivilbevölkerung an den Lagerstandorten musste einen nicht unbeträchtlichen Beitrag zur Ausstattung der Kriegsgefangenenlager mit Einrichtungsgegenständen aller Art leisten, denn gemäß Kriegsleistungsgesetz wurden die Güter beschlagnahmt und in den sofortigen Gebrauch des Militärs übernommen. Bei dieser Gelegenheit wurde auch häufig an den Patriotismus der Bevölkerung appelliert.

Mitte November 1914 requirierte das Lagerkommando in Freistadt eine Vielzahl von Gegenständen in brauchbarem Zustand, was auch von der Stadtgemeindevorstehung umgehend bestätigt und für rechtens erklärt wurde: Darunter befanden sich Studiertische, gewöhnliche Tische, Sessel, Spucknäpfe, Waschtische, Waschbottiche, Wascheimer, Aktenstellagen und komplette Stehlampen bzw. Wandhängelampen. Wenig später wurden aus umliegenden Privatwohnungen und Geschäftskanzleien weitere Stühle, Schreibtische sowie mehrere Schreibmaschinen und andere Büroutensilien an das K. K. Wach-Bataillon übergeben.

Die Begehrlichkeiten des Militärs kannten scheinbar auch im Frühjahr 1915 kein Ende. Immer wieder waren es Tische, Stühle, Wandkästen und Petroleum-Lampen, die das Militär benötigte. Schließlich lehnte die Stadtgemeindevorstehung weitere Anforderungen mit der Begründung ab, dass dies die Aufrechterhaltung der Arbeit in öffentlichen Ämtern und in den Gewerbebetrieben bald unmöglich mache und überdies unter der Bevölkerung eine gereizte Grundstimmung begünstigen würde.76

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61 KA (Kriegsarchiv), Abt. 10-2/72-1, 1914.

62 Vgl. Tagespost 12.10.1914, 5.

63 Vgl. Wiesenhofer, Franz: Gefangen unter Habsburgs Krone. K. u. K. Kriegsgefangenenlager im Erlauftal (Purgstall 1997) 19–22.

64 Vgl. Moritz, Verena: Zwischen Nutzen und Bedrohung. Die russischen Kriegsgefangenen in Österreich 1914–1921 (Bonn 2005) 70–75.

65 Vgl. KA (Kriegsarchiv), 1914, 10. Abt. 10-2/154.

66 Vgl. OÖLA, Kriegssammlung 1914–1918, Sch. 131.

67 Vgl. Rappersberger, Petra: Das Kriegsgefangenenlager Freistadt 1914–1918 (Dipl.-Arb. Univ. Wien 1988) 3–4.

68 Vgl. OÖLA, Kriegssammlung 1914–1918, Sch. 131: Anhang zum Protokoll über die kommissionelle Verhandlung vom 10. Oktober 1914.

69 Vgl. KA (Kriegsarchiv), 1914, 10. Abt. 10-2/154: Es handelte sich hier um ein Telegramm des K. u. K. Kriegsministeriums an das Militärkommando Innsbruck 1914, 10. Abt. 10-2/200.

70 Vgl. K. K. Landesgendarmeriekommando: Chronik des K. K. Gendarmeriepostens Mauthausen, ohne Seitenzählung (Linz 1914–1918).

71 Vgl. Privatarchiv Ing. Johann Pirklbauer: Plan des Kriegsgefangenenlagers Mauthausen (Maßstab 1:2880 vom 15.6.1917).

72 KA (Kriegsarchiv), 1914, 10. Abt. 10-2/200-10: Unter der Aktenzahl Nr. 8959, ex 1914, datiert mit 1.1.1915, werden beide Berichte, jener des K. K. Bezirkshauptmannes in Perg, Schusser, und jener des Kommandanten des KGFL in Mauthausen, Oberst Schmidt, angeführt.

73 Vgl. ebenda, 1914, 10. Abt. 10-2/200-10.

74 Vgl. OÖLA, Kriegssammlung, Sch. 65: „Das K. u. K. Kriegsgefangenenlager Marchtrenk“, verfasst von Kooperator Alois Gruber (Zl. 1850/1958).

75 Vgl. Weinzierl, Herbert Franz: Marchtrenk. Zehn Jahre Marktgemeinde (Marchtrenk 1995) 131–135.

76 Vgl. OÖLA, Stadtarchiv Freistadt, Sch. 380.

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