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Deutsche Humoristen, Zweiter Band

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

E. Th. A. Hoffmann:
Die Königsbraut

Ernst Theodor Wilhelm (durch einen Druckfehler in Amadeus verwandelt) Hoffmann wurde am 24. Januar 1776 in Königsberg geboren und war im preußischen Justizdienst (zuletzt in Warschau) tätig, bis er durch den Zusammenbruch des preußischen Staates 1806 brotlos wurde. Als Musikdirektor half er sich durch, bis er 1816 wieder als Rat bei dem Kgl. Kammergericht in Berlin angestellt werden konnte. Er starb am 24. Juli 1822 an der Rückenmarksschwindsucht.

Seine Dichtungen sind fast alle von dem Humor durchzogen, mit dem er, unterstützt durch seinen scharfen Verstand, den Menschen und Dingen die lächerlichen Seiten absah. Aber wie er im Leben bei all seiner beruflichen Tüchtigkeit wild, ungebunden, ein Nachtschwärmer war – so spielt auch in seinen Werken das Abenteuerliche, das Phantastische, das Unheimliche die größte Rolle. Grauenerregend ist die Schilderung der Spukgestalten, die in so vielen seiner Schriften vorkommen. Dabei ist Hoffmann kein Meister der Sprache, sein Ausdruck ist ungelenk; nur ihre unnachahmliche Anschaulichkeit verleiht seinen Schilderungen eine solche Lebendigkeit, daß man glaubhaft versicherte, er hätte sich vor seinen eigenen Spukgestalten gefürchtet.

»Die Königsbraut« ist viel freundlicher gehalten als die meisten anderen Hoffmannschen Erzählungen; das Dämonische spielt aber selbst in die hier geschilderte Philisterwelt hinein.

E. S.
Die Königsbraut
Ein nach der Natur entworfenes Märchen
(Aus den »Serapionsbrüdern«)
Erstes Kapitel

In dem von verschiedenen Personen und ihren Verhältnissen Nachricht gegeben, und alles Erstaunliche und höchst Wunderbare, das die folgenden Kapitel enthalten sollen, vorbereitet wird auf angenehme Weise.

Es war ein gesegnetes Jahr. Auf den Feldern grünte und blühte gar herrlich Korn und Weizen und Gerste und Hafer; die Bauerjungen gingen in die Schoten, und das liebe Vieh in den Klee; die Bäume hingen so voller Kirschen, daß das ganze Heer der Sperlinge, trotz dem besten Willen, alles kahl zu picken, die Hälfte übrig lassen mußte zu sonstiger Verspeisung. Alles schmauste sich satt tagtäglich an der großen, offnen Gasttafel der Natur. – Vor allen Dingen stand aber in dem Küchengarten des Herrn Dapsul von Zabelthau das Gemüse so über die Maßen schön, daß es kein Wunder zu nennen, wenn Fräulein Ännchen vor Freude darüber ganz außer sich geriet. –

Nötig scheint es, gleich zu sagen, wer Beide waren, Herr Dapsul von Zabelthau und Fräulein Ännchen.

Es ist möglich, daß du, geliebter Leser, auf irgend einer Reise begriffen, einmal in den schönen Grund kamst, den der freundliche Main durchströmt. Laue Morgenwinde hauchen ihren duftigen Atem hin über die Flur, die in dem Goldglanz schimmert der emporgestiegenen Sonne. Du vermagst es nicht, auszuharren in dem engen Wagen, du steigst aus und wandelst durch das Wäldchen, hinter dem du erst, als du hinabfuhrst in das Tal, ein kleines Dorf erblicktest. Plötzlich kommt dir aber in diesem Wäldchen ein langer, hagerer Mann entgegen, dessen seltsamer Aufzug dich festbannt. Er trägt einen kleinen grauen Filzhut, aufgestülpt auf eine pechschwarze Perücke, eine durchaus graue Kleidung, Rock, Weste und Hose, graue Strümpfe und Schuhe, ja selbst der sehr hohe Stock ist grau lackiert. So kommt der Mann mit weit ausgespreizten Schritten auf dich los, und indem er dich mit großen, tief liegenden Augen anstarrt, scheint er dich doch gar nicht zu bemerken. »Guten Morgen, mein Herr!« rufst du ihm entgegen, als er dich beinahe umrennt. Da fährt er zusammen, als würde er plötzlich geweckt aus tiefem Traum, rückt dann sein Mützchen und spricht mit hohler, weinerlicher Stimme: »Guten Morgen? O mein Herr! wie froh können wir sein, daß wir einen guten Morgen haben – die armen Bewohner von Santa Cruz – soeben zwei Erdstöße, und nun gießt der Regen in Strömen herab!« – Du weißt, geliebter Leser, nicht recht, was du dem seltsamen Manne antworten sollst, aber indem du darüber sinnest, hat er schon mit einem: »Mit Verlaub, mein Herr!« deine Stirn sanft berührt und in deinen Handteller geguckt. »Der Himmel segne Sie, mein Herr, Sie haben eine gute Konstellation,« spricht er nun ebenso hohl und weinerlich als zuvor und schreitet weiter fort. – Dieser absonderliche Mann war eben niemand anders als der Herr Dapsul von Zabelthau, dessen einziges ererbtes ärmliches Besitztum das kleine Dorf Dapsulheim ist, das in der anmutigsten, lachendsten Gegend vor dir liegt und in das du soeben eintrittst. Du willst frühstücken, aber in der Schenke sieht es traurig aus. In der Kirchweih ist aller Vorrat aufgezehrt, und da du dich nicht mit bloßer Milch begnügen willst, so weiset man dich nach dem Herrenhause, wo das gnädige Fräulein Anna dir gastfreundlich darbieten werde, was eben vorrätig. Du nimmst keinen Anstand, dich dorthin zu begeben. – Von diesem Herrenhause ist nun eben nichts mehr zu sagen, als daß es wirklich Fenster und Türen hat, wie weiland das Schloß des Herrn Baron von Tondertonktonk in Westfalen. Doch prangt über der Haustür das mit neuseeländischer Kunst in Holz geschnittene Wappen der Familie von Zabelthau. Ein seltsames Ansehen gewinnt aber dieses Haus dadurch, daß seine Nordseite sich an die Ringmauer einer alten verfallenen Burg lehnt, so daß die Hintertüre die ehemalige Burgpforte ist, durch die man unmittelbar in den Burghof tritt, in dessen Mitte der hohe, runde Wachtturm noch ganz unversehrt dasteht. Aus jener Haustür mit dem Familienwappen tritt dir ein junges, rotwangiges Mädchen entgegen, die mit ihren klaren blauen Augen und blondem Haar ganz hübsch zu nennen, und deren Bau vielleicht nur ein wenig zu rundlich derb geraten. Die Freundlichkeit selbst, nötigt sie dich ins Haus, und bald, sowie sie nur dein Bedürfnis merkt, bewirtet sie dich mit der trefflichsten Milch, einem tüchtigen Butterbrot und dann mit rohem Schinken, der dir in Bayonne bereitet scheint, und einem Gläschen aus Runkelrüben gezogenen Branntweins. Dabei spricht das Mädchen, die nun eben keine andere ist als das Fräulein Anna von Zabelthau, ganz munter und frei von allem, was die Landwirtschaft betrifft, und zeigt dabei gar keine unebenen Kenntnisse. Doch plötzlich erschallt wie aus den Lüften eine starke, fürchterliche Stimme: »Anna – Anna! Anna!« – Du erschrickst, aber Fräulein Anna spricht ganz freundlich: »Papa ist zurückgekommen von seinem Spaziergange und ruft aus seiner Studierstube nach dem Frühstück!« – »Ruft – aus seiner Studierstube?« frägst du erstaunt. »Ja,« erwidert Fräulein Anna oder Fräulein Ännchen, wie sie die Leute nennen, »ja, Papas Studierstube ist dort oben auf dem Turm, und er ruft durch das Rohr!« – Und du siehst, geliebter Leser! wie nun Ännchen des Turmes enge Pforte öffnet und mit demselben Gabelfrühstück, wie du es soeben genossen, nämlich mit einer tüchtigen Portion Schinken und Brot nebst dem Runkelrübengeist hinaufspringt. Ebensoschnell ist sie aber wieder bei dir, und dich durch den schönen Küchengarten geleitend, spricht sie so viel von bunter Plümage, Rapuntika, englischem Turneps, kleinem Grünkopf, Montrue, großem Mogul, gelbem Prinzenkopf und so fort, daß du in das größte Erstaunen geraten mußt, zumal, wenn du nicht weißt, daß mit jenen vornehmen Namen nichts anderes gemeint ist als Kohl und Salat. –

Ich meine, daß der kurze Besuch, den du, geliebter Leser, in Dapsulheim abgestattet, hinreichen wird, dich die Verhältnisse des Hauses, von dem allerlei seltsames, kaum glaubliches Zeug ich dir zu erzählen im Begriff stehe, ganz erraten zu lassen. Der Herr Dapsul von Zabelthau war in seiner Jugend nicht viel aus dem Schlosse seiner Eltern gekommen, die ansehnliche Güter besaßen. Sein Hofmeister, ein alter wunderlicher Mann, nährte nächstdem, daß er ihn in fremden, vorzüglich orientalischen Sprachen unterrichtete, seinen Hang zur Mystik, oder vielmehr besser gesagt, zur Geheimniskrämerei. Der Hofmeister starb und hinterließ dem jungen Dapsul eine ganze Bibliothek der geheimen Wissenschaften, in die er sich vertiefte. Die Eltern starben auch, und nun begab sich der junge Dapsul auf weite Reisen, und zwar, wie es der Hofmeister ihm in die Seele gelegt, nach Ägypten und Indien. Als er endlich nach vielen Jahren zurückkehrte, hatte ein Vetter unterdessen sein Vermögen mit so großem Eifer verwaltet, daß ihm nichts übrig geblieben, als das kleine Dörfchen Dapsulheim. Herr Dapsul von Zabelthau strebte zu sehr nach dem sonnegebornen Golde einer höheren Welt, als daß er sich hätte aus irdischem viel machen sollen; er dankte vielmehr dem Vetter mit gerührtem Herzen dafür, daß er ihm das freundliche Dapsulheim erhalten mit dem schönen, hohen Wartturm, der zu astrologischen Operationen erbaut schien, und in dessen höchster Höhe Herr Dapsul von Zabelthau auch sofort sein Studierzimmer einrichten ließ. Der sorgsame Vetter bewies nun auch, daß Herr Dapsul von Zabelthau heiraten müsse. Dapsul sah die Notwendigkeit ein und heiratete sofort das Fräulein, das der Vetter für ihn erwählt. Die Frau kam ebensoschnell ins Haus, als sie es wieder verließ. Sie starb, nachdem sie ihm eine Tochter geboren. Der Vetter besorgte Hochzeit, Taufe und Begräbnis, so daß Dapsul auf seinem Turm von alle dem nicht sonderlich viel merkte, zumal die Zeit über gerade ein sehr merkwürdiger Schwanzstern am Himmel stand, in dessen Konstellation sich der melancholische, immer Unheil ahnende Dapsul verflochten glaubte. Das Töchterlein entwickelte unter der Zucht einer alten Großtante, zu deren großer Freude, einen entschiedenen Hang zur Landwirtschaft. Fräulein Ännchen mußte, wie man zu sagen pflegt, von der Pike an dienen. Erst als Gänsemädchen, dann als Magd, Großmagd, Haushälterin, bis zur Hauswirtin herauf, so daß die Theorie erläutert und festgestellt wurde durch eine wohltätige Praxis. Sie liebte Gänse und Enten, und Hühner und Tauben, Rindvieh und Schafe ganz ungemein; ja selbst die zarte Zucht wohlgestalteter Schweinlein war ihr keineswegs gleichgültig, wiewohl sie nicht wie einmal ein Fräulein in irgend einem Lande ein kleines weißes Ferkelchen mit Band und Schelle versehen und erkieset hatte zum Schoßtierchen. Über alles und auch weit über den Obstbau ging ihr aber der Gemüsegarten. Durch der Großtante landwirtschaftliche Gelehrsamkeit hatte Fräulein Ännchen, wie der geneigte Leser in dem Gespräch mit ihr bemerkt haben wird, in der Tat ganz hübsche theoretische Kenntnisse vom Gemüsebau erhalten; beim Umgraben des Ackers, beim Einstreuen des Samens, Einlegung der Pflanzen stand Fräulein Ännchen nicht allein der ganzen Arbeit vor, sondern leistete auch selbst tätige Hilfe. Fräulein Ännchen führte einen tüchtigen Spaten, das mußte ihr der hämische Neid lassen. Während nun Herr Dapsul von Zabelthau sich in seine astrologischen Beobachtungen und in andere mystische Dinge vertiefte, führte Fräulein Ännchen, da die alte Großtante gestorben, die Wirtschaft auf das beste, so daß, wenn Dapsul dem Himmlischen nachtrachtete, Ännchen mit Fleiß und Geschick das Irdische besorgte.

 

Wie gesagt, kein Wunder war es zu nennen, wenn Ännchen vor Freude über den diesjährigen, ganz vorzüglichen Flor des Küchengartens beinahe außer sich geriet. An üppiger Fülle des Wachstums übertraf aber alles andere ein Mohrrübenfeld, das eine ganz ungewöhnliche Ausbeute versprach.

»Ei, meine schönen, lieben Mohrrüben!« so rief Fräulein Ännchen ein Mal über das andere, klatschte in die Hände, sprang, tanzte umher, geberdete sich wie ein zum heiligen Christ reich beschenktes Kind. Es war auch wirklich, als wenn die Möhrenkinder sich in der Erde über Ännchens Lust mitfreuten, denn das feine Gelächter, das sich vernehmen ließ, stieg offenbar aus dem Acker empor. Ännchen achtete nicht sonderlich darauf, sondern sprang dem Knecht entgegen, der, einen Brief hoch emporhaltend, ihr zurief: »An Sie, Fräulein Ännchen, Gottlieb hat ihn mitgebracht aus der Stadt.« Ännchen erkannte gleich an der Aufschrift, daß der Brief von niemandem anders war als von dem jungen Herrn Amandus von Nebelstern, dem einzigen Sohn eines benachbarten Gutsbesitzers, der sich auf der Universität befand. Amandus hatte sich, als er noch auf dem Dorfe des Vaters hauste und täglich hinüberlief nach Dapsulheim, überzeugt, daß er in seinem ganzen Leben keine andere lieben könne als Fräulein Ännchen. Ebenso wußte Fräulein Ännchen ganz genau, daß es ihr ganz unmöglich sein werde, jemals einem andern als dem braunlockigten Amandus auch nur was weniges gut zu sein. Beide, Ännchen und Amandus, waren daher übereingekommen, sich je eher desto lieber zu heiraten und das glücklichste Ehepaar zu werden auf der ganzen weiten Erde. – Amandus war sonst ein heiterer, unbefangner Jüngling; auf der Universität geriet er aber Gott weiß wem in die Hände, der ihm nicht nur einbildete, er sei ein ungeheures poetisches Genie, sondern ihn auch verleitete, sich auf die Überschwenglichkeit zu legen. Das gelang ihm auch so gut, daß er sich in kurzer Zeit hinweggeschwungen hatte über alles, was schnöde Prosaiker Verstand und Vernunft nennen, und noch dazu irriger Weise behaupten, daß beides mit der regsten Phantasie sehr wohl bestehen könne. – Also von dem jungen Herrn Amandus von Nebelstern war der Brief, den Fräulein Ännchen voller Freude öffnete und also las:

»Himmlische Maid!

Siehest du – empfindest du – ahnest du deinen Amandus – wie er selbst Blum' und Blüte vom Orangenblüthauch des duftigen Abends umflossen, im Grase auf dem Rücken liegt und hinaufschaut mit Augen voll frommer Liebe und sehnender Andacht! – Thymian und Lavendel, Rosen und Nelken, wie auch gelbäugigte Narzissen und schamhafte Veilchen flicht er zum Kranz. Und die Blumen sind Liebesgedanken, Gedanken an dich, o Anna! – Doch geziemt begeisterten Lippen die nüchterne Prose? – Hör', o höre, wie ich nur sonettisch zu lieben, von meiner Liebe zu sprechen vermag.

 
Flammt Liebe auf in tausend durst'gen Sonnen,
Buhlt Lust um Lust im Herzen ach so gerne,
Hinab aus dunklem Himmel strahlen Sterne
Und spiegeln sich im Liebestränenbronnen.
 
 
Entzücken, ach! zermalmen starke Wonnen
Die süße Frucht, entsprossen bittrem Kerne,
Und Sehnsucht winkt aus violetter Ferne,
In Liebesschmerz mein Wesen ist zerronnen.
 
 
In Feuerwellen tost die stürm'sche Brandung,
Dem kühnen Schwimmer will es keck gemuten,
Im jähen, mächtgen Sturz hinabzupurzeln.
 
 
Es blüht die Hyacinth' der nahen Landung;
Das treue Herz keimt auf, will es verbluten,
Und Herzensblut ist selbst die schönst' der Wurzeln!
 

Möchte, o Anna, dich, wenn du dieses Sonett aller Sonette liesest, all' das himmlische Entzücken durchströmen, in das mein ganzes Wesen sich auflöste, als ich es niederschrieb und es nachher mit göttlicher Begeisterung vorlas gleichgestimmten, des Lebens Höchstes ahnenden Gemütern. Denke, o denke, süßeste Maid, an deinen getreuen, höchst entzückten Amandus von Nebelstern.

N.S. Vergiß nicht, o hohe Jungfrau, wenn du mir antwortest, einige Pfund von dem virginischen Tabak beizupacken, den du selbst ziehest. Er brennt gut und schmeckt besser als der Portoriko, den hier die Bursche dampfen, wenn sie kneipen gehn.« –

Fräulein Anna drückte den Brief an die Lippen und sprach dann: »Ach wie lieb, wie schön! – Und die allerliebsten Verschen, alles so hübsch gereimt. Ach wenn ich nur so klug wäre, alles zu verstehen, aber das kann wohl nur ein Student. – Was das nur zu bedeuten haben mag mit den Wurzeln. Ach gewiß meint er die langen roten englischen Karotten, oder am Ende gar die Rapuntika, der liebe Mensch!«

Noch denselben Tag ließ es sich Fräulein Ännchen angelegen sein, den Tabak einzupacken und dem Schulmeister zwölf der schönsten Gänsefedern einzuhändigen, damit er sie sorglich schneide. Fräulein Ännchen wollte sich noch heute hinsetzen, um die Antwort auf den köstlichen Brief zu beginnen. – Übrigens lachte es dem Fräulein Ännchen, als sie aus dem Küchengarten lief, wieder sehr vernehmlich nach, und wäre Ännchen nur was weniges achtsam gewesen, sie hätte durchaus das feine Stimmchen hören müssen, welches rief: »Zieh' mich heraus, zieh' mich heraus – ich bin reif – reif – reif!« Aber wie gesagt, sie achtete nicht darauf. –

Zweites Kapitel

Welches das erste wunderbare Ereignis und andere lesenswerte Dinge enthält, ohne die das versprochene Märchen nicht bestehen kann.

Der Herr Dapsul von Zabelthau stieg gewöhnlich mittags hinab von seinem astronomischen Turm, um mit der Tochter ein frugales Mahl einzunehmen, das sehr kurz zu dauern und wobei es sehr still herzugehen pflegte, da Dapsul das Sprechen gar nicht liebte. Ännchen fiel ihm auch gar nicht mit vielem Reden beschwerlich, und das um so weniger, da sie wohl wußte, daß, kam der Papa wirklich zum Sprechen, er allerlei seltsames, unverständliches Zeug vorbrachte, wovon ihr der Kopf schwindelte. Heute war ihr ganzer Sinn aber so aufgeregt durch den Flor des Küchengartens und durch den Brief des geliebten Amandus, daß sie von beiden durcheinander sprach ohne Aufhören. Messer und Gabel ließ endlich Herr Dapsul von Zabelthau fallen, hielt sich beide Ohren zu und rief: »O des leeren, wüsten, verwirrten Geschwätzes!« Als nun aber Fräulein Ännchen ganz erschrocken schwieg, sprach er mit dem gedehnten weinerlichen Tone, der ihm eigen: »Was das Gemüse betrifft, meine liebe Tochter, so weiß ich längst, daß die diesjährige Zusammenwirkung der Gestirne solchen Früchten besonders günstig ist, und der irdische Mensch wird Kohl und Radiese und Kopfsalat genießen, damit der Erdstoff sich mehre und er das Feuer des Weltgeistes aushalte wie ein gut gekneteter Topf. Das gnomische Prinzip wird widerstehen dem ankämpfenden Salamander, und ich freue mich darauf, Pastinak zu essen, den du vorzüglich bereitest. Anlangend den jungen Herrn Amandus von Nebelstern, so habe ich nicht das mindeste dagegen, daß du ihn heiratest, sobald er von der Universität zurückgekehret. Laß es mir nur durch Gottlieb hinaufsagen, wenn du zur Trauung gehest mit deinem Bräutigam, damit ich euch geleite nach der Kirche.« – Herr Dapsul schwieg einige Augenblicke und fuhr dann, ohne Ännchen, deren Gesicht vor Freude glühte über und über, anzublicken, lächelnd und mit der Gabel an sein Glas schlagend – beides pflegte er stets zu verbinden, es kam aber gar selten vor – also fort: »Dein Amandus ist einer, der da soll und muß, ich meine ein Gerundium, und ich will es dir nur gestehen, mein liebes Ännchen, daß ich diesem Gerundio schon sehr früh das Horoskop gestellt habe. Die Konstellationen sind sonst alle ziemlich günstig. Er hat den Jupiter im aufsteigenden Knoten, den die Venus im Gesechstschein ansiehet. Nur schneidet die Bahn des Sirius durch, und gerade auf dem Durchschneidungspunkt steht eine große Gefahr, aus der er seine Braut rettet. Die Gefahr selbst ist unergründlich, da ein fremdartiges Wesen dazwischen tritt, das jeder astrologischen Wissenschaft Trotz zu bieten scheint. Gewiß ist es übrigens, daß nur der absonderliche psychische Zustand, den die Menschen Narrheit oder Verrücktheit zu nennen pflegen, dem Amandus jene Rettung möglich machen wird. O meine Tochter (hier fiel Herr Dapsul wieder in seinen gewöhnlichen weinerlichen Ton), o meine Tochter, daß doch keine unheimliche Macht, die sich hämisch verbirgt vor meinen Seheraugen, dir plötzlich in den Weg treten, daß der junge Herr Amandus von Nebelstern doch nicht nötig haben möge, dich aus einer andern Gefahr zu retten als aus der, eine alte Jungfer zu werden!« – Dapsul seufzte einigemal hintereinander tief auf, dann fuhr er fort: »Plötzlich bricht aber nach dieser Gefahr die Bahn des Sirius ab, und Venus und Jupiter, sonst getrennt, treten versöhnt wieder zusammen.« –

So viel als heute sprach der Herr Dapsul von Zabelthau schon seit Jahren nicht. Ganz erschöpft stand er auf und bestieg wieder seinen Turm.

Ännchen wurde andern Tages ganz frühe mit der Antwort an den Herrn von Nebelstern fertig. Sie lautete also:

»Mein herzlieber Amandus!

Du glaubst gar nicht, was dein Brief mir wieder Freude gemacht hat. Ich habe dem Papa davon gesagt, und der hat mir versprochen, uns in die Kirche zur Trauung zu geleiten. Mache nur, daß du bald zurückkehrst von der Universität. Ach, wenn ich nur deine allerliebsten Verschen, die sich so hübsch reimen, ganz verstünde! – Wenn ich sie so mir selbst laut vorlese, dann klingt mir alles so wunderbar, und ich glaube dabei, daß ich alles verstehe, und dann ist alles wieder aus, und verstoben und verflogen, und mich dünkt's, als hätt' ich bloß Worte gelesen, die gar nicht zusammen gehörten. Der Schulmeister meint, das müsse so sein, das sei eben die neue vornehme Sprache, aber ich – ach! – ich bin ein dummes, einfältiges Ding! – Schreibe mir doch, ob ich nicht vielleicht Student werden kann auf einige Zeit, ohne meine Wirtschaft zu vernachlässigen? Das wird wohl nicht gehen? Nun, sind wir nur erst Mann und Frau, da kriege ich wohl was ab von deiner Gelehrsamkeit und von der neuen vornehmen Sprache. Den virginischen Tabak schicke ich dir, mein herziges Amandchen. Ich habe meine Hutschachtel ganz voll gestopft, soviel hineingehen wollte, und den neuen Strohhut derweile Karl dem Großen aufgesetzt, der in unserer Gaststube steht, wiewohl ohne Füße, denn es ist, wie du weißt, nur ein Brustbild. – Lache mich nicht aus, Amandchen, ich habe auch Verschen gemacht, und sie reimen sich gut. Schreib mir doch, wie das kommt, daß man so gut weiß, was sich reimt, ohne gelehrt zu sein. Nun höre einmal:

 
Ich lieb' dich, bist du mir auch ferne,
Und wäre gern recht bald deine Frau.
Der heitre Himmel ist ganz blau,
Und abends sind golden alle Sterne.
Drum mußt du mich stets lieben
Und mich auch niemals betrüben.
Ich schick' dir den virginischen Tabak
Und wünsche, daß er dir recht wohl schmecken mag.
 

Nimm vorlieb mit dem guten Willen; wenn ich die vornehme Sprache verstehen werde, will ich's schon besser machen. – Der gelbe Steinkopf ist dieses Jahr über alle Maßen schön geraten, und die Kruppbohnen lassen sich herrlich an, aber mein Dachshündchen, den kleinen Feldmann, hat gestern der große Gänsericht garstig ins Bein gebissen. Nun – es kann nicht alles vollkommen sein auf dieser Welt – hundert Küsse in Gedanken, mein liebster Amandus, deine treueste Braut, Anna von Zabelthau.

N.S. Ich habe in gar großer Eil' geschrieben, deswegen sind die Buchstaben hin und wieder etwas krumm geraten.

 

N.S. Du mußt mir das aber bei Leibe nicht übel nehmen, ich bin dennoch, schreibe ich auch etwas krumm, geraden Sinnes, und stets deine getreue Anna. –

N.S. Der Tausend, das hätte ich doch bald vergessen, ich vergeßliches Ding. Der Papa läßt dich schönstens grüßen und dir sagen, du seist einer, der da soll und muß, und würdest mich einst aus einer großen Gefahr retten. Nun, darauf freue ich mich recht und bin nochmals deine dich liebendste, allergetreueste Anna von Zabelthau.« –

Dem Fräulein Ännchen war eine schwere Last entnommen, als sie diesen Brief fertig hatte, der ihr nicht wenig sauer geworden. Ganz leicht und froh wurde ihr aber zu Mute, als sie auch das Couvert zu stande gebracht, es gesiegelt, ohne das Papier oder die Finger zu verbrennen, und den Brief nebst der Tabaksschachtel, auf die sie ein ziemlich deutliches M. v. N. gepinselt, dem Gottlieb eingehändigt, um beides nach der Stadt auf die Post zu tragen. – Nachdem das Federvieh auf dem Hofe gehörig besorgt, lief Fräulein Ännchen geschwind nach ihrem Lieblingsplatz, dem Küchengarten. Als sie nach dem Mohrrübenacker kam, dachte sie daran, daß es nun offenbar an der Zeit sei, für die Leckermäuler in der Stadt zu sorgen und die ersten Mohrrüben auszuziehen. Die Magd wurde herbeigerufen, um bei der Arbeit zu helfen. Fräulein Ännchen schritt behutsam bis in die Mitte des Ackers, faßte einen stattlichen Krautbusch. Doch sowie sie zog, ließ sich ein seltsamer Ton vernehmen. – Man denke ja nicht an die Alraunwurzel und an das entsetzliche Gewinsel und Geheul, das, wenn man sie herauszieht aus der Erde, das menschliche Herz durchschneidet. Nein, der Ton, der aus der Erde zu kommen schien, glich einem feinen, freudigen Lachen. Doch aber ließ Fräulein Ännchen den Krautbusch wieder fahren und rief etwas erschreckt: »I! – wer lacht denn da mich aus?« Als sich aber weiter nichts vernehmen ließ, faßte sie noch einmal den Krautbusch, der höher und stattlicher emporgeschossen schien als alle anderen, und zog beherzt, das Gelächter, das sich wieder hören ließ, gar nicht achtend, die schönste, die zarteste der Mohrrüben aus der Erde. Doch sowie Fräulein Ännchen die Mohrrübe betrachtete, schrie sie laut auf vor freudigem Schreck, so daß die Magd herbeisprang und ebenso wie Fräulein Ännchen laut aufschrie über das hübsche Wunder, das sie gewahrte. Fest der Mohrrübe aufgestreift saß nämlich ein herrlicher goldner Ring mit einem feuerfunkelnden Topas. »Ei,« rief die Magd, »der ist für Sie bestimmt, Fräulein Ännchen, das ist der Hochzeitsring, den müssen Sie nur gleich anstecken!« – »Was sprichst du für dummes Zeug,« erwiderte Fräulein Ännchen, »den Trauring, den muß ich ja von dem Herrn Amandus von Nebelstern empfangen, aber nicht von einer Mohrrübe!« – Je länger Fräulein Ännchen den Ring betrachtete, desto mehr gefiel er ihr. Der Ring war aber auch wirklich von so feiner zierlicher Arbeit, daß er alles zu übertreffen schien, was jemals menschliche Kunst zu stande gebracht. Den Reif bildeten hundert und hundert winzig kleine Figürchen in den mannigfaltigsten Gruppen verschlungen, die man auf den ersten Blick kaum mit dem bloßen Auge zu unterscheiden vermochte, die aber, sahe man den Ring länger und schärfer an, ordentlich zu wachsen, lebendig zu werden, in anmutigen Reihen zu tanzen schienen. Dann aber war das Feuer des Edelsteins von solch ganz besonderer Art, daß selbst unter den Topasen im grünen Gewölbe zu Dresden schwerlich ein solcher aufgefunden werden möchte. »Wer weiß,« sprach die Magd, »wie lange der schöne Ring tief in der Erde gelegen haben mag, und da ist er denn heraufgespatelt worden, und die Mohrrübe ist durchgewachsen.« Fräulein Ännchen zog nun den Ring von der Mohrrübe ab, und seltsam genug war es, daß diese ihr zwischen den Fingern durchglitschte und in dem Erdboden verschwand. Beide, die Magd und Fräulein Ännchen, achteten aber nicht sonderlich darauf, sie waren zu sehr versunken in den Anblick des prächtigen Ringes, den Fräulein Ännchen nun ohne weiteres ansteckte an den kleinen Finger der rechten Hand. Sowie sie dies tat, empfand sie von der Grundwurzel des Fingers bis in die Spitze hinein einen stechenden Schmerz, der aber in demselben Augenblick wieder nachließ, als sie ihn fühlte.

Natürlicherweise erzählte sie mittags dem Herrn von Zabelthau, was ihr Seltsames auf dem Mohrrübenfelde begegnet, und zeigte ihm den schönen Ring, den die Mohrrübe aufgesteckt gehabt. Sie wollte den Ring, damit ihn der Papa besser betrachten könne, vom Finger herabziehen. Aber einen stechenden Schmerz empfand sie wie damals, als sie den Ring aufsteckte, und dieser Schmerz hielt an, solange sie am Ringe zog, bis er zuletzt so unerträglich wurde, daß sie davon abstehen mußte. Herr Dapsul betrachtete den Ring an Ännchens Finger mit der gespanntesten Aufmerksamkeit, ließ Ännchen mit dem ausgestreckten Finger allerlei Kreise nach allen Weltgegenden beschreiben, versank dann in tiefes Nachdenken und bestieg, ohne nur ein einziges Wort weiter zu sprechen, den Turm. Fräulein Ännchen vernahm, wie der Papa im Hinaufsteigen beträchtlich seufzte und stöhnte.

Andern Morgens, als Fräulein Ännchen sich gerade auf dem Hofe mit dem großen Hahn herumjagte, der allerlei Unfug trieb und hauptsächlich mit den Täubern krakeelte, weinte der Herr Dapsul von Zabelthau so erschrecklich durch das Sprachrohr herab, daß Ännchen ganz bewegt wurde und durch die hohle Hand hinauf rief: »Warum heulen Sie denn so unbarmherzig, bester Papa, das Federvieh wird ja ganz wild!« – Da schrie der Herr Dapsul durch das Sprachrohr herab: »Anna, meine Tochter Anna, steige sogleich zu mir herauf.« Fräulein Ännchen verwunderte sich höchlich über dieses Gebot, denn noch nie hatte sie der Papa auf den Turm beschieden, vielmehr dessen Pforte sorgfältig verschlossen gehalten. Es überfiel sie ordentlich eine gewisse Bangigkeit, als sie die schmale Wendeltreppe hinaufstieg und die schwere Tür öffnete, die in das einzige Gemach des Turmes führte. Herr Dapsul von Zabelthau saß, von allerlei wunderlichen Instrumenten und bestaubten Büchern umgeben, auf einem großen Lehnstuhl von seltsamer Form. Vor ihm stand ein Gestell, das ein in einen Rahmen gespanntes Papier trug, auf dem verschiedene Linien gezeichnet. Er hatte eine hohe, spitze, graue Mütze auf dem Kopfe, trug einen weiten Mantel von grauem Kalmank und hatte einen langen weißen Bart am Kinn, so daß er wirklich aussah wie ein Zauberer. Eben wegen des falschen Bartes kannte Fräulein Ännchen den Papa anfangs gar nicht und blickte ängstlich umher, ob er etwa in einer Ecke des Gemaches vorhanden; nachher, als sie aber gewahrte, daß der Mann mit dem Barte wirklich Papachen sei, lachte Fräulein Ännchen recht herzlich und fragte: ob's denn schon Weihnachten sei, und ob Papachen den Knecht Ruprecht spielen wolle?

Ohne auf Ännchens Rede zu achten, nahm Herr Dapsul von Zabelthau ein kleines Eisen zur Hand, berührte damit Ännchens Stirne und bestrich dann einigemal ihren rechten Arm von der Achsel bis in die Spitze des kleinen Ringefingers herab. Hierauf mußte sie sich auf den Lehnstuhl setzen, den Herr Dapsul verlassen, und den kleinen beringten Finger auf das in den Rahmen gespannte Papier in der Art stellen, daß der Topas den Zentralpunkt, in den alle Linien zusammenliefen, berührte. Alsbald schossen aus dem Edelstein gelbe Strahlen rings umher, bis das ganze Papier dunkelgelb gefärbt war. Nun knisterten die Linien auf und nieder, und es war, als sprängen die kleinen Männlein aus des Ringes Reif lustig umher auf dem ganzen Blatt. Der Herr Dapsul, den Blick von dem Papier nicht wegwendend, hatte indessen eine dünne Metallplatte ergriffen, hielt sie mit beiden Händen hoch in die Höhe und wollte sie niederdrücken auf das Papier; doch in demselben Augenblick glitschte er auf dem glatten Steinboden aus und fiel sehr unsanft auf den Hintern, während die Metallplatte, die er instinktmäßig losgelassen, um womöglich den Fall zu brechen und das Steißbein zu konservieren, klirrend zur Erde fiel. Fräulein Ännchen erwachte mit einem leisen Ach! aus dem seltsamen träumerischen Zustande, in den sie versunken. Herr Dapsul richtete sich mühsam in die Höhe, setzte den grauen Zuckerhut wieder auf, der ihm entfallen, brachte den falschen Bart in Ordnung und setzte sich dem Fräulein Ännchen gegenüber auf einige Folianten, die übereinander getürmt. »Meine Tochter,« sprach er dann, »meine Tochter Anna, wie war dir so eben zu Mute? was dachtest, was empfandest du? welche Gestaltungen erblicktest du mit den Augen des Geistes in deinem Innern?« –