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Deutsche Humoristen, Zweiter Band

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»Ach,« erwiderte Fräulein Ännchen, »mir war so wohl zu Mute, so wohl, wie mir noch niemals gewesen. Dann dachte ich an den Herrn Amandus von Nebelstern. Ich sah ihn ordentlich vor Augen, aber er war noch viel hübscher als sonst und rauchte eine Pfeife von den virginischen Blättern, die ich ihm geschickt, welches ihm ungemein wohl stand. Dann bekam ich plötzlich einen ungemeinen Appetit nach jungen Mohrrüben und Bratwürstlein, und war ganz entzückt, als das Gericht vor mir stand. Eben wollte ich zulangen, als ich wie mit einem jähen, schmerzhaften Ruck aus dem Traum erwachte.«

– »Amandus von Nebelstern – virginischer Kanaster – Mohrrüben – Bratwürste!« – So sprach Herr Dapsul von Zabelthau sehr nachdenklich und winkte der Tochter, die sich entfernen wollte, zu bleiben.

»Glückliches, unbefangenes Kind,« begann er dann mit einem Ton, der noch viel weinerlicher war als sonst jemals, »daß du nicht eingeweiht bist in die tiefen Mysterien des Weltalls, die bedrohlichen Gefahren nicht kennst, die dich umgeben. Du weißt nichts von jener überirdischen Wissenschaft der heiligen Kabbala. Zwar wirst du auch deshalb niemals der himmlischen Lust der Weisen teilhaftig werden, die, zur höchsten Stufe gelangt, weder essen noch trinken dürfen als nur zur Lust, und denen niemals Menschliches begegnet; du stehst aber auch dafür nicht die Angst des Ersteigens jener Stufe aus, wie dein unglücklicher Vater, den noch viel zu sehr menschlicher Schwindel anwandelt, und dem das, was er mühsam erforscht, nur Grauen und Entsetzen erregt, und der noch immer aus purem irdischem Bedürfnis essen und trinken und – überhaupt Menschliches tun muß. – Erfahre, mein holdes, mit Unwissenheit beglücktes Kind, daß die tiefe Erde, die Luft, das Wasser, das Feuer erfüllt ist mit geistigen Wesen höherer und doch wieder beschränkterer Natur als die Menschen. Es scheint unnötig, dir, mein Dümmchen, die besondere Natur der Gnomen, Salamander, Sylphen und Undinen zu erklären, du würdest es nicht fassen können. Um dir die Gefahr anzudeuten, in der du vielleicht schwebst, ist es genug, dir zu sagen, daß diese Geister nach der Verbindung mit den Menschen trachten; und da sie wohl wissen, daß die Menschen in der Regel solch eine Verbindung sehr scheuen, so bedienen sich die erwähnten Geister allerlei lustiger Mittel, um den Menschen, dem sie ihre Gunst geschenkt, zu verlocken. Bald ist es ein Zweig, eine Blume, ein Glas Wasser, ein Feuerstahl oder sonst etwas ganz geringfügig Scheinendes, was sie zum Mittel brauchen, um ihren Zweck zu erreichen. Richtig ist es, daß eine solche Verbindung oft sehr ersprießlich ausschlägt, wie denn einst zwei Priester, von denen der Fürst von Mirandola erzählt, vierzig Jahre hindurch mit einem solchen Geist in der glücklichsten Ehe lebten. Richtig ist es ferner, daß die größten Weisen einer solchen Verbindung eines Menschen mit einem Elementargeist entsprossen. So war der große Zoroaster ein Sohn des Salamanders Oromasis, so waren der große Appollonius, der weise Merlin, der tapfre Graf von Cleve, der große Kabbalist Bensyra herrliche Früchte solcher Ehen, und auch die schöne Melusine war nach dem Ausspruch des Parazelsus nichts anders als eine Sylphide. Doch demunerachtet ist die Gefahr einer solchen Verbindung nur zu groß, denn abgesehen davon, daß die Elementargeister von dem, dem sie ihre Gunst geschenkt, verlangen, daß ihm das hellste Licht der profundesten Weisheit aufgehe, so sind sie auch äußerst empfindlich, und rächen jede Beleidigung sehr schwer. So geschah es einmal, daß eine Sylphide, die mit einem Philosophen verbunden, als er mit seinen Freunden von einem schönen Frauenzimmer sprach, und sich vielleicht dabei zu sehr erhitzte, sofort in der Luft ihr schneeweißes, schön geformtes Bein sehen ließ, gleichsam um die Freunde von ihrer Schönheit zu überzeugen, und dann den armen Philosophen auf der Stelle tötete. Doch ach – was spreche ich von anderen? warum spreche ich nicht von mir selbst? – Ich weiß, daß schon seit zwölf Jahren mich eine Sylphide liebt, aber ist sie scheu und schüchtern, so quält mich der Gedanke an die Gefahr, durch kabbalistische Mittel sie zu fesseln, da ich noch immer viel zu sehr an irdischen Bedürfnissen hänge, und daher der gehörigen Weisheit ermangle. Jeden Morgen nehme ich mir vor zu fasten, lasse auch das Frühstück glücklich vorübergehen, aber wenn dann der Mittag kommt – o Anna, meine Tochter Anna – du weißt es ja – ich fresse erschrecklich!« – Diese letzten Worte sprach der Herr Dapsul von Zabelthau mit beinahe heulendem Ton, indem ihm die bittersten Tränen über die hagern, eingefallenen Backen liefen; dann fuhr er beruhigter fort: »Doch bemühe ich mich gegen den mir gewogenen Elementargeist des feinsten Betragens, der ausgesuchtesten Galanterie. Niemals wage ich es, eine Pfeife Tabak ohne die gehörigen kabbalistischen Vorsichtsmaßregeln zu rauchen, denn ich weiß ja nicht, ob mein zarter Luftgeist die Sorte liebet und nicht empfindlich werden könnte über die Verunreinigung seines Elements, weshalb denn auch alle diejenigen, die Jagdkanaster rauchen, oder »Es blühe Sachsen«, niemals weise und der Liebe einer Sylphide teilhaftig werden können. Ebenso verfahre ich, wenn ich mir einen Haselstock schneide, eine Blume pflücke, eine Frucht esse oder Feuer anschlage, da all mein Trachten dahin geht, es durchaus mit keinem Elementargeist zu verderben. Und doch – siehst du wohl jene Nußschale, über die ich ausglitschte und rücklings umstülpend das ganze Experiment verdarb, das mir das Geheimnis des Ringes ganz erschlossen haben würde? Ich erinnere mich nicht, jemals in diesem nur der Wissenschaft geweihten Gemach (du weißt nun, weshalb ich auf der Treppe frühstücke) Nüsse genossen zu haben, und um so klarer ist es, daß in diesen Schalen ein kleiner Gnome versteckt war, vielleicht um bei mir zu hospitieren und meinen Experimenten zuzulauschen. Denn die Elementargeister lieben die menschlichen Wissenschaften, vorzüglich solche, die das uneingeweihte Volk wo nicht albern und aberwitzig, so doch die Kraft des menschlichen Geistes übersteigend, und eben deshalb gefährlich nennt. Deshalb finden sie sich auch häufig ein bei den göttlichen magnetischen Operationen. Vorzüglich sind es aber die Gnomen, die ihre Fopperei nicht lassen können und dem Magnetiseur, der noch nicht zu der Stufe der Weisheit gelangt ist, die ich erst beschrieben, und zu sehr hängt an irdischem Bedürfnis, ein verliebtes Erdenkind unterschieben in dem Augenblick, da er glaubte, in völlig reiner, abgeklärter Lust eine Sylphide zu umarmen. – Als ich nun dem kleinen Studenten auf den Kopf trat, wurde er böse und warf mich um. Aber einen tiefern Grund hatte wohl der Gnome, mir die Entzifferung des Geheimnisses mit dem Ringe zu verderben. – Anna! – meine Tochter Anna! – vernimm es – herausgebracht hatte ich, daß ein Gnome dir seine Gunst zugewandt, der, nach der Beschaffenheit des Ringes zu urteilen, ein reicher, vornehmer, und dabei vorzüglich fein gebildeter Mann sein muß. Aber, meine teure Anna, mein vielgeliebtes, herziges Dümmchen, wie willst du es anfangen, dich ohne die entsetzlichste Gefahr mit einem solchen Elementargeist in irgend eine Verbindung einzulassen? Hättest du den Cassiodorus Remus gelesen, so könntest du mir zwar entgegnen, daß nach dessen wahrhaftigem Bericht die berühmte Magdalena de la Croix, Äbtissin eines Klosters zu Cordua in Spanien, dreißig Jahre mit einem kleinen Gnomen in vergnügter Ehe lebte, daß ein gleiches sich mit einem Sylphen und der jungen Gertrud, die Nonne war im Kloster Nazareth bei Köln, zutrug; aber denke an die gelehrten Beschäftigungen jener geistlichen Damen und an die deinigen. Welch ein Unterschied! Statt in weisen Büchern zu lesen, fütterst du sehr oft Hühner, Gänse, Enten und andere jeden Kabbalisten molestierende Tiere; statt den Himmel, den Lauf der Gestirne zu beobachten, gräbst du in der Erde; statt in künstlichen horoskopischen Entwürfen die Spur der Zukunft zu verfolgen, stampfest du Milch zu Butter und machest Sauerkraut ein zu schnödem winterlichem Bedürfnis, wiewohl ich selbst dergleichen Speisung ungern vermisse. Sage! kann das alles einem feinfühlenden philosophischen Elementargeist auf die Länge gefallen? – Denn, o Anna! durch dich blüht Dapsulheim, und diesem irdischen Beruf mag und kann dein Geist sich nimmer entziehen. Und doch empfandest du über den Ring, selbst da er dir jähen, bösen Schmerz erregte, eine ausgelassene, unbesonnene Freude! – Zu deinem Heil wollt' ich durch jene Operation die Kraft des Ringes brechen, dich ganz von dem Gnomen befreien, der dir nachstellt. Sie mißlang durch die Tücke des kleinen Studenten in der Nußschale. Und doch! – mir kommt ein Mut, den Elementargeist zu bekämpfen, wie ich ihn noch nie gespürt! – Du bist mein Kind – das ich zwar nicht mit einer Sylphide, Salamandrin oder sonst einem Elementargeist erzeugt, sondern mit jenem armen Landfräulein aus der besten Familie, die die gottvergessenen Nachbarn mit dem Spottnamen »Ziegenfräulein« verhöhnten, ihrer idyllischen Natur halber, die sie vermochte, jeden Tages eine kleine Herde weißer, schmucker Ziegen selbst zu weiden auf grünen Hügeln, wozu ich, damals ein verliebter Narr, auf meinem Turm die Schalmei blies. – Doch du bist und bleibst mein Kind, mein Blut! – Ich rette dich; hier diese mystische Feile soll dich befreien von dem verderblichen Ringe!«

Damit nahm Herr Dapsul von Zabelthau eine kleine Feile zur Hand und begann an dem Ringe zu feilen. Kaum hatte er aber einigemal hin und her gestrichen, als Fräulein Ännchen vor Schmerz laut aufschrie: »Papa – Papa, Sie feilen mir ja den Finger ab!« So rief sie, und wirklich quoll dunkles dickes Blut unter dem Ringe hervor. Da ließ Herr Dapsul die Feile aus der Hand fallen, sank halb ohnmächtig in den Lehnstuhl und rief in aller Verzweiflung: »O! – o! – o! – es ist um mich geschehn! Vielleicht noch in dieser Stunde kommt der erzürnte Gnome und beißt mir die Kehle ab, wenn mich die Sylphide nicht rettet. – O Anna – Anna! – geh – flieh!« –

 

Fräulein Ännchen, die sich bei des Papas wunderlichen Reden schon längst weit weg gewünscht hatte, sprang hinab mit der Schnelle des Windes. –

Drittes Kapitel

Es wird von der Ankunft eines merkwürdigen Mannes in Dapsulheim berichtet und erzählt, was sich dann ferner begeben. –

Der Herr Dapsul von Zabelthau hatte eben seine Tochter unter vielen Tränen umarmt und wollte den Turm besteigen, wo er jeden Augenblick den bedrohlichen Besuch des erzürnten Gnomen befürchtete. Da ließ sich heller, lustiger Hörnerklang vernehmen, und hinein in den Hof sprengte ein kleiner Reiter von ziemlich sonderbarem, possierlichem Ansehen. Das gelbe Pferd war gar nicht groß und von feinem zierlichen Bau, deshalb nahm sich auch der Kleine trotz seines unförmlich dicken Kopfs gar nicht so zwergartig aus, sondern ragte hoch genug über den Kopf des Pferdes empor. Das war aber bloß dem langen Leibe zuzuschreiben, denn was an Beinen und Füßen über den Sattel hing, war so wenig, daß es kaum zu rechnen. Übrigens trug der Kleine einen sehr angenehmen Habit von goldgelbem Atlas, eine ebensolche hohe Mütze mit einem tüchtigen grasgrünen Federbusch und Reitstiefel von schön poliertem Mahagoniholz. Mit einem durchdringenden Prrrrrr! hielt der Reiter dicht vor dem Herrn von Zabelthau. Er schien absteigen zu wollen, plötzlich fuhr er aber mit der Schnelligkeit des Blitzes unter dem Bauch des Pferdes hinweg, schleuderte sich auf der andern Seite zwei-, dreimal hintereinander zwölf Ellen hoch in die Lüfte, so daß er sich auf jeder Elle sechsmal überschlug, bis er mit dem Kopf auf dem Sattelknopf zu stehen kam. So galoppierte er, indem die Füßchen in den Lüften Trochäen, Pyrrhichien, Daktylen u. s. w. spielten, vorwärts, rückwärts, seitwärts in allerlei wunderlichen Wendungen und Krümmungen. Als der zierliche Gymnastiker und Reitkünstler endlich still stand und höflich grüßte, erblickte man auf dem Boden des Hofes die Worte: »Sein Sie mir schönstens gegrüßt samt Ihrem Fräulein Tochter, mein hochverehrtester Herr Dapsul von Zabelthau!« Er hatte diese Worte mit schönen römischen Unzialbuchstaben in das Erdreich geritten. Hierauf sprang der Kleine vom Pferde, schlug dreimal Rad und sagte dann, daß er ein schönes Kompliment auszurichten habe an den Herrn Dapsul von Zabelthau von seinem gnädigen Herrn, dem Herrn Baron von Porphyrio von Ockerodastes, genannt Corduanspitz, und wenn es dem Herrn Dapsul von Zabelthau nicht unangenehm wäre, so wolle der Herr Baron auf einige Tage freundlich bei ihm einsprechen, da er künftig sein nächster Nachbar zu werden hoffe. –

Herr Dapsul von Zabelthau glich mehr einem Toten als einem Lebendigen, so bleich und starr stand er da an seine Tochter gelehnt. Kaum war ein »Wird – mir – sehr erfreulich sein« mühsam seinen bebenden Lippen entflohen, als der kleine Reiter sich mit denselben Zeremonieen, wie er gekommen, blitzschnell entfernte. –

»Ach, meine Tochter,« rief nun Herr Dapsul von Zabelthau heulend und schluchzend, »ach, meine Tochter, meine arme unglückselige Tochter, es ist nur zu gewiß, es ist der Gnome, welcher kommt, dich zu entführen und mir den Hals umzudrehen! – Doch wir wollen den letzten Mut aufbieten, den wir etwa noch besitzen möchten! Vielleicht ist es möglich, den erzürnten Elementargeist zu versöhnen, wir müssen uns nur so schicklich gegen ihn benehmen, als es irgend in unserer Macht steht. – Sogleich werde ich dir, mein teures Kind, einige Kapitel aus dem Laktanz oder aus dem Thomas Aquinas vorlesen über den Umgang mit Elementargeistern, damit du keinen garstigen Schnitzer machst.« – Noch ehe aber der Herr Dapsul von Zabelthau den Laktanz, den Thomas Aquinas oder einen andern elementarischen Knigge herbeischaffen konnte, hörte man schon ganz in der Nähe eine Musik erschallen, die beinahe der zu vergleichen, die hinlänglich musikalische Kinder zum lieben Weihnachten aufzuführen pflegen. Ein schöner, langer Zug kam die Straße herauf. Voran ritten wohl an sechzig, siebzig kleine Reiter auf kleinen gelben Pferden, sämtlich gekleidet wie der Abgesandte in gelben Habiten, spitzen Mützen und Stiefeln von poliertem Mahagoni. Ihnen folgte eine mit acht gelben Pferden bespannte Kutsche von dem reinsten Kristall, der noch ungefähr vierzig andere minder prächtige, teils mit sechs, teils mit vier Pferden bespannte Kutschen folgten. Noch eine Menge Pagen, Läufer und andere Diener schwärmten nebenher auf und nieder, in glänzenden Kleidern angetan, so daß das Ganze einen ebenso lustigen als seltsamen Anblick gewährte. Herr Dapsul von Zabelthau blieb versunken in trübes Staunen. Fräulein Ännchen, die bisher nicht geahnt, daß es auf der ganzen Erde solch niedliche schmucke Dinge geben könne als diese Pferdchen und Leutchen, geriet ganz außer sich und vergaß alles, sogar den Mund, den sie zum freudigen Ausruf weit genug geöffnet, wieder zuzumachen. –

Die achtspännige Kutsche hielt dicht vor dem Herrn Dapsul von Zabelthau. Reiter sprangen von den Pferden, Pagen, Diener eilten herbei, der Kutschenschlag wurde geöffnet, und wer nun aus den Armen der Dienerschaft herausschwebte aus der Kutsche, war niemand anders als der Herr Baron Porphyrio von Ockerodastes, genannt Corduanspitz. – Was seinen Wuchs betraf, so war der Herr Baron bei weitem nicht dem Apollo von Belvedere, ja nicht einmal dem sterbenden Fechter zu vergleichen. Denn außerdem, daß er keine volle drei Fuß maß, so bestand auch der dritte Teil dieses kleinen Körpers aus dem offenbar zu großen, dicken Kopfe, dem übrigens eine tüchtige, lang gebogene Nase sowie ein Paar große, kugelrund hervorquellende Augen keine üble Zierde waren. Da der Leib auch etwas lang, so blieben für die Füßchen nur etwa vier Zoll übrig. Dieser kleine Spielraum war aber gut genutzt, denn an und für sich selbst waren die freiherrlichen Füßchen die zierlichsten, die man nur sehen konnte. Freilich schienen sie aber zu schwach, das würdige Haupt zu tragen; der Baron hatte einen schwankenden Gang, stülpte auch wohl manchmal um, stand aber gleich wieder wie ein Stehaufmännchen auf den Füßen, so daß jenes Umstülpen mehr der angenehme Schnörkel eines Tanzes schien. Der Baron trug einen enge anschließenden Habit von gleißendem Goldstoff und ein Mützchen, das beinahe einer Krone zu vergleichen, mit einem ungeheuren Busch von vielen krautgrünen Federn. Sowie der Baron nun auf der Erde stand, stürzte er auf den Herrn Dapsul von Zabelthau los, faßte ihn bei beiden Händen, schwang sich empor bis an seinen Hals, hing sich an diesen, und rief mit einer Stimme, die viel stärker dröhnte, als man es hätte der kleinen Statur zutrauen sollen: »O mein Dapsul von Zabelthau – mein teurer, innigst geliebter Vater!« Darauf schwang der Baron sich ebenso behende und geschickt wieder herab von des Herrn von Dapsuls Halse, sprang oder schleuderte sich vielmehr auf Fräulein Ännchen los, faßte die Hand mit dem beringten Finger, bedeckte sie mit laut schmatzenden Küssen, und rief ebenso dröhnend als zuvor: »O mein allerschönstes Fräulein Anna von Zabelthau, meine geliebteste Braut!« Darauf klatschte der Baron in die Händchen, und alsbald ging die gellende, lärmende Kindermusik los, und über hundert kleine Herrlein, die den Kutschen und Pferden entstiegen, tanzten wie erst der Kurier zum Teil auf den Köpfen, dann wieder auf den Füßen, in den zierlichsten Trochäen, Spondäen, Jamben, Pyrrhichien, Anapästen, Tribrachen, Bachien, Antibachien, Choriamben und Daktylen, daß es eine Lust war. Während dieser Lust erholte sich aber Fräulein Ännchen von dem großen Schreck, den ihr des kleinen Barons Anrede verursacht, und geriet in allerlei wohlgegründete ökonomische Bedenken. »Wie,« dachte sie, »ist es möglich, daß das kleine Volk Platz hat in diesem kleinen Hause? – Wäre es auch mit der Not entschuldigt, wenn ich wenigstens die Dienerschaft in die große Scheune bettete, hätten sie auch da wohl Platz? Und was fange ich mit den Edelleuten an, die in den Kutschen gekommen und gewiß gewohnt sind, in schönen Zimmern sanft und weich gebettet zu schlafen? – Sollten auch die beiden Ackerpferde heraus aus dem Stall, ja wäre ich unbarmherzig genug, auch den alten lahmen Fuchs herauszujagen ins Gras, ist dennoch wohl Platz genug für alle diese kleinen Bestien von Pferden, die der häßliche Baron mitgebracht? Und ebenso geht es ja mit den einundvierzig Kutschen! – Aber nun noch das Ärgste! – Ach du lieber Gott, reicht denn der ganze Jahresvorrat wohl hin, all diese kleinen Kreaturen auch nur zwei Tage hindurch zu sättigen?« Dies letzte Bedenken war nun wohl das allerschlimmste. Fräulein Ännchen sah schon alles aufgezehrt, alles neue Gemüse, die Hammelherde, das Federvieh, das eingesalzene Fleisch, ja selbst den Runkelrübenspiritus, und das trieb ihr die hellen Tränen in die Augen. Es kam ihr vor, als schnitte ihr eben der Baron Corduanspitz ein rechtes freches, schadenfrohes Gesicht, und das gab ihr den Mut, ihm, als seine Leute noch im besten Tanzen begriffen waren, in dürren Worten zu erklären, daß, so lieb dem Vater auch sein Besuch sein möge, an einen längern als zweistündigen Aufenthalt in Dapsulheim doch gar nicht zu denken, da es an Raum und allen übrigen Dingen, die zur Aufnahme und zur standesmäßigen Bewirtung eines solchen vornehmen, reichen Herrn nebst seiner zahlreichen Dienerschaft nötig, gänzlich mangle. Da sah aber der kleine Corduanspitz plötzlich so ungemein süß und zart aus wie ein Marzipanbrötchen und versicherte, indem er mit zugedrückten Augen Fräulein Ännchens etwas rauhe und nicht zu weiße Hand an die Lippen drückte, daß er weit entfernt sei, dem lieben Papa und der schönsten Tochter auch nur die mindeste Ungelegenheit zu verursachen. Er führe alles mit sich, was Küche und Keller zu leisten habe; was aber die Wohnung betreffe, so verlange er nichts als ein Stückchen Erde und den freien Himmel darüber, damit seine Leute den gewöhnlichen Reisepalast bauen könnten, in dem er mitsamt seiner ganzen Dienerschaft, und was derselben noch an Vieh anhängig, hausen werde.

Über diese Worte des Baron Porphyrio von Ockerodastes wurde Fräulein Ännchen so vergnügt, daß sie, um zu zeigen, es käme ihr auch eben nicht darauf an, ihre Leckerbissen Preis zu geben, im Begriff stand, dem Kleinen Krapfkuchen, den sie von der letzten Kirchweih aufgehoben, und ein Gläschen Runkelrübengeist anzubieten, wenn er nicht doppelten Bitter vorziehe, den die Großmagd aus der Stadt mitgebracht und als magenstärkend empfohlen. Doch in dem Augenblick setzte Corduanspitz hinzu, daß er zum Aufbau des Palastes den Gemüsegarten erkoren, und hin war Ännchens Freude! – Während aber die Dienerschaft, um des Herrn Ankunft auf Dapsulheim zu feiern, ihre olympischen Spiele fortsetzte, indem sie bald mit den dicken Köpfen sich in die spitzen Bäuche rannten und rückwärts überschlugen, bald sich in die Lüfte schleuderten, bald unter sich kegelten, selbst Kegel, Kugel und Kegler vorstellend u. s. w., vertiefte sich der kleine Baron Porphyrio von Ockerodastes mit dem Herrn Dapsul von Zabelthau in ein Gespräch, das immer wichtiger zu werden schien, bis beide Hand in Hand sich fortbegaben und den astronomischen Turm bestiegen.

Voller Angst und Schreck lief nun Fräulein Ännchen eiligst nach dem Gemüsegarten, um zu retten, was noch zu retten möglich. Die Großmagd stand schon auf dem Felde und starrte mit offnem Munde vor sich her, regungslos, als sei sie verwandelt in eine Salzsäule wie Loths Weib. Fräulein Ännchen neben ihr erstarrte gleichermaßen. Endlich schrieen aber beide, daß es weit in den Lüften umherschallte: »Ach mein Herr Jemine, was ist denn das für ein Unglück!« – Den ganzen, schönen Gemüsegarten fanden sie verwandelt in eine Wüstenei. Da grünte kein Kraut, blühte keine Staude; es schien ein ödes, verwüstetes Feld. »Nein,« schrie die Magd ganz erbost, »es ist nicht anders möglich, das haben die verfluchten kleinen Kreaturen getan, die soeben angekommen sind – in Kutschen sind sie gefahren? Wollen wohl vornehme Leute vorstellen? – Ha ha! – Kobolde sind es, glauben Sie mir, Fräulein Ännchen, nichts als unchristliche Hexenkerls, und hätt' ich nur ein Stückchen Kreuzwurzel bei der Hand, so sollten sie ihre Wunder sehen. – Doch sie sollen nur kommen, die kleinen Bestien, mit diesem Spaten schlage ich sie tot!« Damit schwang die Großmagd ihre bedrohliche Waffe hoch in den Lüften, indem Fräulein Ännchen laut weinte.

Es nahten sich indessen jetzt vier Herren aus Corduanspitzes Gefolge mit solchen angenehmen, zierlichen Mienen und höflichen Verbeugungen, sahen auch dabei so höchst wunderbar aus, daß die Großmagd, statt, wie sie gewollt, gleich zuzuschlagen, den Spaten langsam sinken ließ, und Fräulein Ännchen einhielt mit Weinen.

Die Herren kündigten sich als die den Herrn Baron Porphyrio von Ockerodastes, genannt Corduanspitz, zunächst umgebenden Freunde an, waren, wie es auch ihre Kleidung wenigstens symbolisch andeutete, von vier verschiedenen Nationen, und nannten sich: Pan Kapustowicz aus Polen, Herr von Schwarzrettig aus Pommern, Signor di Broccoli aus Italien, Monsieur de Roccambolle aus Frankreich. Sie versicherten in sehr wohlklingenden Redensarten, daß sogleich die Bauleute kommen und dem allerschönsten Fräulein das hohe Vergnügen bereiten würden, in möglichster Schnelle einen hübschen Palast aus lauter Seide aufbauen zu sehen.

 

»Was kann mir der Palast aus Seide helfen,« rief Fräulein Ännchen laut weinend im tiefsten Schmerz, »was geht mich überhaupt euer Baron Corduanspitz an, da ihr mich um alles schöne Gemüse gebracht habt, ihr schlechten Leute, und alle meine Freude dahin ist.« Die höflichen Leute trösteten aber Fräulein Ännchen und versicherten, daß sie durchaus gar nicht Schuld wären an der Verwüstung des Gemüsegartens, daß derselbe im Gegenteil bald wieder in einem solchen Flor grünen und blühen werde, wie ihn Fräulein Ännchen noch niemals und überhaupt noch keinen in der Welt gesehen.

Die kleinen Bauleute kamen wirklich, und nun ging ein solches tolles, wirres Durcheinandertreiben auf dem Acker los, daß Fräulein Ännchen sowohl als die Großmagd ganz erschrocken davon rannten bis an die Ecke eines Busches, wo sie stehen blieben und zuschauen wollten, wie sich dann alles begeben würde.

Ohne daß sie aber auch nur im mindesten begriffen, wie das mit rechten Dingen zugehen konnte, formte sich vor ihren Augen in wenigen Minuten ein hohes prächtiges Gezelt aus goldgelbem Stoff mit bunten Kränzen und Federn geschmückt, das den ganzen Raum des großen Gemüsegartens einnahm, so daß die Zeltschnüre über das Dorf weg bis in den nahgelegenen Wald gingen und dort an starken Bäumen befestigt waren.

Kaum war das Gezelt fertig, als der Baron Porphyrio von Ockerodastes mit dem Herrn Dapsul von Zabelthau hinabkam von dem astronomischen Turm, nach mehreren Umarmungen in die achtspännige Kutsche stieg, und nebst seinem Gefolge in derselben Ordnung wie er nach Dapsulheim gekommen, hineinzog in den seidenen Palast, der sich hinter dem letzten Mann zuschloß.

Nie hatte Fräulein Ännchen den Papa so gesehen. Auch die leiseste Spur der Betrübnis, von der er sonst stets heimgesucht, war weggetilgt von seinem Antlitz; es war beinahe, als wenn er lächelte, und dabei hatte sein Blick in der Tat etwas Verklärtes, das denn wohl auf ein großes Glück zu deuten pflegt, das jemandem ganz unvermutet über den Hals gekommen. – Schweigend nahm Herr Dapsul von Zabelthau Fräulein Ännchens Hand, führte sie hinein in das Haus, umarmte sie dreimal hintereinander und brach dann endlich los: »Glückliche Anna – überglückliches Kind! – glücklicher Vater! – O Tochter, alle Besorgnis, aller Gram, alles Herzeleid ist nun vorüber! – Dich trifft ein Los, wie es nicht so leicht einer Sterblichen vergönnt ist! Wisse, dieser Baron Porphyrio von Ockerodastes, genannt Corduanspitz, ist keinesweges ein feindseliger Gnome, wiewohl er von einem dieser Elementargeister abstammt, dem es aber gelang, seine höhere Natur durch den Unterricht des Salamanders Oromasis zu reinigen. Aus dem geläuterten Feuer ging aber die Liebe zu einer Sterblichen hervor, mit der er sich verband und Ahnherr der illüstersten Familie wurde, durch deren Namen jemals ein Pergament geziert wurde. – Ich glaube dir, geliebte Tochter Anna, schon gesagt zu haben, daß der Schüler des großen Salamanders Oromasis, der edle Gnome Tsilmenech – ein chaldäischer Name, der in echtem reinen Deutsch so viel heißt als Grützkopf – sich in die berühmte Magdalena de la Croix, Äbtissin eines Klosters zu Cordua in Spanien, verliebte, und wohl an die dreißig Jahre mit ihr in einer glücklichen, vergnügten Ehe lebte. Ein Sprößling der sublimen Familie höherer Naturen, die aus dieser Verbindung sich fortpflanzte, ist nun der liebe Baron Porphyrio von Ockerodastes, der den Zunamen Corduanspitz angenommen, zur Bezeichnung seiner Abstammung aus Cordua in Spanien, und um sich von einer mehr stolzen, im Grunde aber weniger würdigen Seitenlinie zu unterscheiden, die den Beinamen Saffian trägt. Daß dem Corduan ein Spitz zugesetzt worden, muß seine besonderen elementarisch-astrologischen Ursachen haben; ich dachte noch nicht darüber nach. Dem Beispiel seines großen Ahnherrn folgend, des Gnomen Tsilmenech, der die Magdalena de la Croix auch schon seit ihrem zwölften Jahre liebte, hat dir auch der vortreffliche Ockerodastes seine Liebe zugewandt, als du erst zwölf Jahre zähltest. Er war so glücklich, von dir einen kleinen goldnen Fingerreif zu erhalten, und nun hast du auch seinen Ring angesteckt, so daß du unwiderruflich seine Braut geworden.« – »Wie,« rief Fräulein Ännchen voll Schreck und Bestürzung, »wie? – seine Braut? – den abscheulichen kleinen Kobold soll ich heiraten? Bin ich denn nicht längst die Braut des Herrn Amandus von Nebelstern? – Nein! – nimmermehr nehme ich den häßlichen Hexenmeister zum Mann, und mag er tausendmal aus Corduan sein oder aus Saffian!« – »Da,« erwiderte Herr Dapsul von Zabelthau ernster werdend, »da sehe ich denn zu meinem Leidwesen, wie wenig die himmlische Weisheit deinen verstockten irdischen Sinn zu durchdringen vermag! Häßlich, abscheulich nennst du den edlen elementarischen Porphyrio von Ockerodastes, vielleicht weil er nur drei Fuß hoch ist, und außer dem Kopf an Leib, Arm und Bein und anderen Nebensachen nichts Erkleckliches mit sich trägt, statt daß ein solcher irdischer Geck, wie du ihn dir wohl denken magst, die Beine nicht lang genug haben kann der Rockschöße wegen? O meine Tochter, in welchem heillosen Zustande bist du befangen! – Alle Schönheit liegt in der Weisheit, alle Weisheit in dem Gedanken, und das physische Symbol des Gedankens ist der Kopf! – Je mehr Kopf, desto mehr Schönheit und Weisheit, und könnte der Mensch alle übrigen Glieder als schädliche Luxusartikel, die vom Übel, wegwerfen, er stände da als höchstes Ideal! Woraus entsteht alle Beschwerde, alles Ungemach, alle Zwietracht, aller Hader, kurz alles Verderben des Irdischen, als aus der verdammten Üppigkeit der Glieder? – O welcher Friede, welche Ruhe, welche Seligkeit auf Erden, wenn die Menschheit existierte ohne Leib, Steiß, Arm und Bein! – wenn sie aus lauter Büsten bestünde! – Glücklich ist daher der Gedanke der Künstler, wenn sie große Staatsmänner oder große Gelehrte als Büste darstellen, um symbolisch die höhere Natur anzudeuten, die ihnen inwohnen muß vermöge ihrer Charge oder ihrer Bücher! – Also! meine Tochter Anna, nichts von Häßlichkeit, Abscheulichkeit oder sonstigem Tadel des edelsten der Geister, des herrlichen Porphyrio von Ockerodastes, dessen Braut du bist und bleibst! – Wisse, daß durch ihn auch dein Vater in kurzem die höchste Stufe des Glücks, dem er so lange vergebens nachgetrachtet, ersteigen wird. Porphyrio von Ockerodastes ist davon unterrichtet, daß mich die Sylphide Nehahilah (syrisch, so viel als Spitznase) liebt, und will mir mit allen Kräften beistehen, daß ich der Verbindung mit dieser höheren geistigen Natur ganz würdig werde. – Du wirst, mein liebes Kind, mit deiner künftigen Stiefmutter wohl zufrieden sein. – Möge ein günstiges Verhängnis es so fügen, daß unsere beiden Hochzeiten zu einer und derselben glücklichen Stunde gefeiert werden könnten!« – Damit verließ der Herr Dapsul von Zabelthau, indem er der Tochter noch einen bedeutenden Blick zugeworfen, pathetisch das Zimmer. –