Kein Vergessen

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Kein Vergessen
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Kein Vergessen

Ein Roman


von

Ernst Meder

Für Svenja Tabea

Wer das Leben nicht schätzt, der verdient es nicht

(Leonardo da Vinci)

Wer die Zukunft von Kindern zerstört, zerstört die Zukunft der Menschheit.

Kein Vergessen

Ernst Meder

Roman


Kein Vergessen

Ernst Meder

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de Copyright © 2013 Ernst Meder ISBN: 978-3-8442-7473-8

Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Buch darf nicht – auch nicht auszugsweise – ohne schriftliche Genehmigung kopiert werden.

1. Kapitel

Er saß in unmittelbarer Nähe zum Schlosspark Bellevue auf einer Parkbank, sein Kopf war nach leicht nach vorne gebeugt. Ein unbefangener Betrachter konnte annehmen, dass der ältere Mann eingeschlafen war, oder, dass er mit halb geschlossenen Augen über ein Problem grübelte, welches ihn beschäftigte.

Das Laub der Sträucher hinter der Parkbank verdeckte den Zaun zum Schlosspark des jeweiligen Bundespräsidenten, auf den die sonntäglichen Spaziergänger in den kalten Jahreszeiten blickten. Hätte der alte Mann seinen Kopf gehoben, er hätte direkt auf die Rückseite des Restaurants „Teehaus“ geblickt, in dem er seit geraumer Zeit sein sonntägliches Mittagsmahl einnahm.

Für viele der Spaziergänger war der ältere Mann kein Unbekannter. Hatten sie ihn doch häufig auf der Bank sitzen gesehen, wenn sie am Sonntagvormittag durch den im Tiergarten spazierten oder zum Essen in dem Restaurant einkehrten. Seine Anwesenheit auf dieser Bank war inzwischen zum festen Bestandteil geworden, einige der Spaziergänger kannten diese Bank nur in Verbindung mit ihm.

Auf der Bank sitzend, las er in der ausgebreiteten Sonntagszeitung, dabei betrachtete er von Zeit zu Zeit die vorbeikommenden Familien. Mit Nachsicht und einem gelegentlichen Lächeln unterbrach er seine sonntägliche Lektüre, wenn er dem ausgelassenen Spiel von Kindern zusah.

Es war zum Ritual geworden, seitdem seine Frau gestorben war. Sonntags führte ihn sein erster Gang in die evangelische Kirche der Kaiser-Friedrich-Gedächtnis-Kirchengemeinde an der Händelallee, die in unmittelbarer Nähe zu seiner Wohnung lag. Zu seinem Leidwesen erinnerte an der Kirche nichts mehr an ihre neugotische Vorgängerin, die im Zweiten Weltkrieg zerstört worden war. Er hatte diese Besuche nach dem Tod seiner Frau beibehalten. Obwohl es seine Frau gewesen war, die so intensiv an ihren Gott geglaubt und ihn deshalb jeden Sonntag zum Besuch des Gottesdienstes gedrängt hatte.

Nachdem er seinen sonntäglichen Kirchgang absolviert hatte, spazierte er im Anschluss an den Besuch der Kirche, mit langsamen Schritten zum S-Bahnhof Bellevue. Hier im Eingangsbereich des Bahnhofs kaufte er immer seine Sonntagszeitung, ehe er sich zu seiner Bank begab. Für diesen sonntäglichen Spaziergang wählte er immer diesen Weg, auch wenn andere Wege kürzer gewesen wären. Die Absicht die ihn bewog diesen längeren Spaziergang zu nutzen lag daran, dass er es genoss, einmal in der Woche seinem Bewegungsdrang nachzukommen. Sein Bedürfnis nach der frischen Luft im Park, der er am Sonntag mit einer gewissen Kontinuität nachging.

Mit seiner Zeitung ging er, sofern es das Wetter zuließ, zu seiner erwählten Bank um sich darauf niederzulassen. Er hatte die Bank deshalb gewählt, da er dabei die Umgebung beobachten konnte, während er seine Zeitung las. Es waren die spielenden Kinder, die bei schönem Wetter auf der Wiese herumtollten und die ihn immer noch erfreuten.

Nachdem er seine Zeitung gelesen hatte, ging er zu dem etwa einhundert Meter entfernten Restaurant, wo er, seit dem Tod seiner Frau, sein Mittagessen einnahm. Diese wiederkehrenden sonntäglichen Handlungen, vom Kirchgang bis zum Mittagessen hatten sich inzwischen so manifestiert, dass er auf keine dieser Handlungen verzichten wollte. Die einzige Abweichung, die er akzeptierte, war nur dem Wetter geschuldet. Wenn es zu kalt war oder wenn es regnete, dann verlegte er sein sonntägliches Leseritual in den Innenraum des Restaurants.

Vom Bedienungspersonal kannten ihn inzwischen alle, seit er vor knapp vier Jahren zum ersten Mal hier gegessen hatte. Sie hatten sich an ihn gewöhnt, versuchten ihm so weit entgegenzukommen, dass sie zu der Zeit, zu der er gewöhnlich sein Mittagessen einnahm, den Tisch am Fenster freizuhalten. Er hatte nie auf einem bestimmten Tisch bestanden, allerdings hatte er immer diesen Tisch ausgewählt, wenn er die Möglichkeit dazu hatte.

Sein Umgang mit dem Personal war immer zuvorkommend und höflich, nie war er unangenehm aufgefallen, oder hatte seinen Unmut über die Qualität der Speisen geäußert. Jeder vom Personal versuchte sonntags immer den Tisch zugeteilt zu bekommen, an dem er aß, da sein Trinkgeld immer sehr großzügig ausfiel, so als wollte er damit seine Zufriedenheit dokumentieren.

Für alle war er ein netter älterer Herr, der immer gut gekleidet und höflich war und dessen Auftreten an einen höheren Beamten erinnerte. Alle mochten ihn, wenn man sie gefragt hätte, wie sie sich ihren Großvater wünschen, ausnahmslos alle hätten ihn als Vorbild gewählt.

Dieser ältere Herr saß nun, offenbar in Gedanken versunken auf der Bank, als ein kleines Mädchen auf ihn aufmerksam wurde.

Mama, Mama guck mal, der Opa hat auch so einen Schal wie Du, dabei zeigte sie auf den älteren Herren.

Laura lass den Opa, Du siehst doch, dass er schläft, versuchte die Mutter ihre Tochter abzuhalten.

Laura hielt kurz inne, durch die Neugierde getrieben lief sie trotz der Ermahnung ihrer Mutter zur Bank.

Ich werde den Opa fragen, woher er den gleichen Schal hat, dabei zupfte sie den alten Mann an seinem Arm, um sich bemerkbar zu machen.

Die Mutter, die versuchte ihre Tochter zurückzuhalten lief hinterher, plötzlich erstarrte sie, ihr Gesicht wurde blass.

Laura komm sofort hierher rief sie erschrocken aus. Sie hatte in die offenen Augen gesehen dabei bemerkt, dass diese wächsern wirkten, fast so, als ob man durchsehen konnte. Laura komm hierher, die Stimme ihrer Mutter klang jetzt schärfer, als diese protestierte. Aber Mama, ich hab den Opa doch gar nicht fragen können, dabei versuchte sie sich aus dem Griff ihrer Mutter zu winden.

Bleib hier, der Opa ist krank rief sie, während sie verzweifelt in ihrer Handtasche wühlte, resignierend gab sie auf, sie hatte es schon wieder zu Hause vergessen. Aufgeregt wandte sich an den ersten Passanten, der ihr entgegenkam, entschuldigen Sie, haben Sie ein Telefon, als dieser zaudernd nickte, versuchte sie zu flüstern. Bitte, Sie müssen die Polizei anrufen, der alte Mann auf der Bank ist tot, dabei drehte sie sich ab, damit Laura nichts von dem geflüsterten Gespräch mitbekommt.

Entweder hatte sie das Gehör ihrer Tochter unterschätzt oder sie war doch zu laut bei ihrer Bitte. Wer ist tot Mama fragte Laura dabei hörte sie auf, an der Hand ihrer Mutter zu ziehen. Bei ihrer Mutter schien es doch interessanter zu sein oder noch zu werden. Mama wer ist tot fragte sie noch mal, dieses Mal bereits lauter, sie guckte dabei neugierig auf den Passanten was dieser jetzt machen würde. Dieser hatte sich inzwischen ein paar Schritte von ihnen entfernt, dabei sein Mobiltelefon aus der Jackentasche gezogen um eine Nummer einzutippen.

Interessiert blickte sie zu dem Mann, der ganz aufgeregt in sein Telefon sprach, dabei jedoch so leise war, dass sie tatsächlich nichts hören konnte. Mama wer ist tot fragte sie noch einmal, diesmal schon etwas ungeduldiger, scheinbar wollte ihre Mutter ihr etwas Wichtiges vorenthalten. Doch diese wirkte völlig verstört, überlegte gerade, ob sie mit ihrer Tochter nicht den Ort des Geschehens verlassen sollte, sie hatte gerade ihren ersten Toten außerhalb eines Films gesehen.

Durch ihr Verhalten hatte sie bei anderen Spaziergängern die Neugierde ausgelöst, die diese wiederum veranlassten den Spaziergang zu unterbrechen. Plötzlich wurden sie von mehreren Personen umgeben, die alle ihr Wissen zum Besten geben wollten. Sollte man ihn nicht besser hinlegen, oder wäre es nicht günstiger ihn von dem Schal zu befreien, der doch sehr eng zu sitzen schien. Jeder hatte etwas beizutragen, als unvermittelt eine Gruppe Jugendlicher erschien die für Stimmung und Empörung unter den inzwischen versammelten vermeintlichen Experten sorgten.

Durch die Ansammlung angezogen, sowie der bereits erkennbaren Abneigung der bereits vorher Anwesenden, ließen diese sich zu verbalen Albernheiten hinreißen. Wegen der offen gezeigten Abneigung fühlte sich einer der Jugendlichen zu größeren Taten animiert, ging unter den anerkennenden Blicken seiner Freunde zu dem älteren Herrn auf der Bank.

Er stieß ihn leicht an, wobei er laut sagte, Hallo Opa, geht’s Dir nicht gut, seine Absicht, Eindruck bei seinen Freunden zu schinden hatte ihn wohl dazu veranlasst. Durch den Stoß in Bewegung geraten sank der alte Mann mit einem Seufzen von der Bank, wo er regungslos liegen blieb.

Der Junge, erschrocken von dem was er losgetreten hatte, stand blass vor dem Toten. Bei diesem war durch die Bewegung sowie dem Aufprall auf dem Boden der letzte Rest an Luft aus der Lunge gepresst worden. Dieses Verpuffen, das sich wie ein Seufzen bei den Umstehenden anhörte, ließ auch andere erbleichen oder erschrocken die Hände vor das Gesicht nehmen.

 

Immer noch erstarrt stand der Junge vor dem inzwischen auf dem Boden liegenden Toten, als zwei uniformierte Polizeibeamte an die Menschenmenge herantraten. Wer hat bei der Polizei angerufen, wo ist der Tote, fragend blickte er in die Menge, als der Anrufer zögernd auf die Beamten zuging. Er wies auf den Liegenden, der plötzlich sichtbar wurde, das Eintreffen der Polizeibeamte löste die Erstarrung diverser Schaulustiger sowie des Jungen vor der Bank.

Sein Instinkt reagierte auf die Uniform wie von selbst, schnell wandte er sich ab, wobei er gleichzeitig zu rennen begann. Die anderen Jugendlichen sahen ihren Anführer verschwinden, dies war auch das Zeichen für sie ebenfalls das Weite zu suchen. Diese Auflösungserscheinung löste auch bei anderen Schaulustigen das Fortführen des sonntäglichen Spaziergangs aus, niemand wollte in diese Geschichte hineingezogen werden.

Der Anrufer wandte sich an den Polizisten, diese Frau, er wandte sich um, aber auch diese hatte die Verwirrung genutzt, um sich von der Menschentraube abzusetzen. Hilflos mit den Achseln zuckend meinte der Anrufer, sie ist nicht mehr da. Also diese Frau setzte er erneut an, mit ihrem Kind hat den Toten gefunden dann hat sie mich gebeten bei der Polizei anzurufen, weil sie kein Telefon dabei hat. Er blickte sich noch einmal um, schüttelte verwundert mit dem Kopf, sie ist tatsächlich verschwunden.

Das Weglaufen der Jungen hatte nur kurz ein Zucken bei den Beamten ausgelöst, sie wussten, diesen Wettbewerb konnten sie nur verlieren, ihre sportliche Zeit lag schon einige Jahre zurück. Resigniert notierte der eine Beamte was ihm der Anrufer erzählte, während der zweite Beamte versuchte, die Fundstelle abzusichern, dabei die noch vorhandenen Schaulustigen anzuhalten. Es war zwecklos, der Austausch der Schaulustigen brachte zwar immer neue Gesichter aber keine neuen Erkenntnisse über das Auffinden des Toten.

Eigentlich waren sie hier falsch, dies war doch die Aufgabe der Mordkommission. Er nahm sein Sprechfunkgerät, meldete den Todesfall an die Zentrale, um Beamte des LKA1, der Mordkommission zum Tatort anzufordern. Wieso Tatort, er hatte keine Ahnung, ob der Tote von selbst gestorben war, oder ob jemand nachgeholfen hatte. Er beschrieb die Lage, außerdem erklärte er sich bereit, dass er und sein Kollege an der Stelle bleiben und diese absichern würden.

Während der andere Polizist gerade dabei war den Namen sowie die Adresse des Anrufers zu notieren blickte er sich um, überall nur neue Gesichter. Karl, ich hol mal das Absperrband aus dem Auto sagte er, pass hier etwas auf, dann wandte er sich ab. Dieser konzentrierte sich auf seine Notizen, blickte dabei prüfend in die Runde, vielleicht stand der Täter in der Nähe, um sich das Schauspiel anzusehen.

Die Beamten des LKA1 ließen sich Zeit, es dauerte fast eine halbe Stunde, bis diese endlich auftauchten. Das hätten sie auch zu Fuß geschafft, sagte einer der Gaffer zu seinem Nachbarn. Die dachten wohl der ist sowieso tot, der haut nicht mehr ab, dabei stieß er ein gackerndes Lachen aus. Der so Angesprochene entschloss sich daraufhin, eiligst diesen Ort zu verlassen.

Was für ein Aufwand, auf einmal waren mehr Polizisten als Schaulustige vor Ort, wobei die Beamten der KTU sich besonders hervorhoben in ihren weißen Einwegoveralls.

Schnell sicherten sie den Tatort dann tauchte auch schon der Arzt auf, der nach einer ersten oberflächlichen Untersuchung als Erstes den Tod feststellte. Der Fotograf, der bereits wartete, fragte noch mal in die Runde, hat jemand etwas verändert oder wurde der so gefunden.

Karl, der mit seinem Kollegen immer noch vor Ort war, meldete sich, einer der Jungs hat ihn angefasst, dabei ist er wohl von der Bank gerutscht. Scheiße, knurrte der Hauptkommissar des LKA1, hättet ihr nicht besser aufpassen können, habt ihr den Jungen wenigstens. Nein der ist abgehauen, als er uns gesehen hat. So ein Mist, moserte der vom LKA erneut, der Tatort ist kontaminiert und wir können die Spuren nicht vernünftig zuordnen.

In der Zwischenzeit hatte der Fotograf seine Arbeit abgeschlossen und der Arzt begann jetzt, den Toten genauer zu untersuchen. Währenddessen nahm die KTU die Untersuchung der Umgebung sowie die daktyloskopische Spurensicherung vor, die Auswertung bei so einem kontaminierten Tatort konnte Wochen dauern.

Der Arzt meldete sich zu Wort, nachdem er den Schal abgenommen hatte. Komm mal rüber sagte er zu dem Hauptkommissar, dann zeigte er auf den blauroten Striemen am Hals, der wurde erwürgt stellte er nüchtern fest.

Kann mir mal jemand sagen, wie der heißt, wo der wohnt, er sah zum Arzt, sieh mal in seinen Taschen nach, vielleicht hat er ja Papiere dabei. Kommentarlos hielt er kurz danach eine Brieftasche in der Hand, sieh selbst nach, damit gab er diese weiter.

Der Kommissar zog aus der Brieftasche zuerst den Ausweis heraus, dann begann er zu lesen. Walter Hornbach, er drehte den Ausweis um, damit er die Adresse feststellen konnte, der wohnt um die Ecke. Der Hauptkommissar ging zu seinem Kollegen, der bisher vergeblich versucht hatte aus den herumstehenden Gaffern etwas Brauchbares zu erfahren, aber alle beteuerten, erst nach dem Auffinden hier eingetroffen zu sein.

Auf den Blick seines Kollegen antwortete er mit einem lakonischen Achselzucken, was so viel wie alles zwecklos bedeuten mochte. Kannst Du mal bei der Adresse vorbeifahren, um Dich umzuhören, ob jemand etwas über den älteren Herren sagen kann. Dann wandte er sich an die immer noch an der Seite wartenden Streifenbeamten. Können Sie bitte meinen Kollegen begleiten und sich dabei auch in der Nachbarschaft nach Herrn Hornbach erkundigen.

Als die Drei verschwunden waren, wandte er sich an eine Kollegin der KTU, sag mal Karin weißt Du, weshalb hinter dem Gebüsch ein Zaun entlang läuft. Erstaunt sah sie ihn an, Du kennst dich wohl nicht aus, das ist der Park der zum Schloss Bellevue gehört, in dem wandelt immer Dein Bundespräsident. Deiner wohl nicht, knurrte er zurück, er fühlte sich bloßgestellt.

Die KTU war fertig, jetzt konnte er sich den Tatort näher ansehen, er blickte auf die Bank, auf welcher der Tote gesessen hatte, als er aufgefunden worden war. Unmittelbar hinter der Bank begannen die Büsche sowie das Gestrüpp welche den direkten Blick in den Präsidentenpark verhinderten.

Der oder die Täter konnten sich durch die Büsche von hinten angeschlichen haben, um den alten Herrn zu erwürgen. Aber weshalb sollte jemand etwas Derartiges tun, sein Geld sowie seine Papiere waren noch in seinem Besitz. Er dachte nach, irgendetwas passte hier überhaupt nicht zueinander.

Sieh Dir das Mal an, rief der Arzt, er hatte zwischenzeitlich die Leiche umgedreht und den Schal entfernt. Ich kann nichts sehen, meinte dieser, außer dass er sich beim Rasieren geschnitten haben muss. Das meine ich nicht, schüttelte der Arzt resignierend sein Haupt, waren den heute alle nur noch begriffsstutzig, ich meine den Anstecker oder Pin, wie auch immer Du das nennen möchtest.

Der Hauptkommissar bückte sich, dabei setzte er sich auf seine Fersen, da steht was drauf. Mann oh Mann jetzt brauch ich bald ne Brille was steht da, „KEIN VERGESSEN“. Komischer Anstecker, so einen hab ich noch nie gesehen. Ich auch nicht meinte der Arzt, eigentlich ist das ein Verbotsschild ich kann es nur nicht zuordnen, aber mit dem Aufdruck hat es nichts zu tun. Vielleicht war er in einem Verein, den Du nicht kennst, meinte sarkastisch der Hauptkommissar, dann wandte er sich ab.

Er blickte in die Runde, die KTU war gerade dabei alles einzupacken. Einer der Techniker brachte einen Leichensack, um den Toten in das Institut für Rechtsmedizin zu bringen, wo er den Aufschlitzern ausgeliefert war. Eigentlich war diese etwas despektierliche Aussage nicht gerechtfertigt, der einzige Pathologe, den er seit Jahren kannte, war Dr. Nagel. Dieser hatte sich seit fast fünfundzwanzig Jahren mit Leib und Seele diesem Beruf verschrieben. Dabei hatte er versucht, die dunklen Seiten der Menschheit anhand der gelieferten Leichen aufzudecken. Über den gesamten Zeitraum mussten das bereits viele tausend Tote gewesen sein.

Er blickte über die noch verbliebenen Neugierigen, als er den Anrufer noch in der Nähe der vorherigen Stelle sah. Der konnte doch nach Hause seine Daten waren doch aufgenommen. Er ging zu ihm, Ihre Daten wurden doch aufgenommen, fragte er ihn. Als dieser nickte, fuhr er fort, was fällt ihnen eigentlich zu der jungen Frau und der Tochter ein, die sie gebeten hat anzurufen.

Er überlegte lange, er wollte schon nachfragen, als dieser etwas stockend antwortete. Die Frau hat kurze blonde Haare, auf der linken nein auf der rechten Wange einen kleinen Leberfleck in Höhe des Nasenflügels. Ihre Tochter ist etwa vier bis fünf Jahre alt, sie wurde von ihrer Mutter Laura gerufen.

Das haben Sie alles in der kurzen Zeit wahrgenommen während Sie gebeten wurden bei uns anzurufen fragte er zweifelnd, dann fügte er hinzu, sie sollten sich als Zeuge registrieren lassen.

Der Anrufer lief rot an, ich glaube ich muss das erklären, ich habe diese Frau schon häufiger hier mit ihrer Tochter gesehen, wenn beide spazieren gegangen sind oder gespielt haben. Da ich die Frau sehr attraktiv finde, habe ich sie des Öfteren beobachtet, obwohl sie mich wahrscheinlich nicht wahrgenommen hat.

Wissen Sie vielleicht auch, wo sie wohnt, vielleicht war er ihr auch noch nachgeschlichen. Nein, tut mir Leid, verfolgt habe ich sie nicht, ich habe aber festgestellt, dass sie sonntags immer um die gleiche Zeit spazieren geht.

Er nahm das vorerst zur Kenntnis, vielleicht kommen wir in dieser Angelegenheit noch mal auf Sie zurück. Haben Sie an der Bank oder in der Nähe Spuren hinterlassen.

Ich weiß nicht, ja vielleicht habe ich auch schon einmal auf der Bank gesessen und dabei etwas angefasst. Ob ich dabei Spuren hinterlassen habe, er zuckte mit seinen Schultern, ich kann es Ihnen nicht sagen.

Wenn die Anzahl der Spuren überschaubar ist und wir auf nicht zu viele unbekannte Spuren stoßen, melden wir uns noch einmal, um diese abzugleichen. Schließlich wollen wir Sie doch ausschließen oder, fügte er nach einer kleinen Pause hinzu. Er verabschiedete sich, dann ging er mit einem leichten Grinsen zurück zum Tatort.

Nachdenklich fuhr mit seiner Hand über sein Kinn, überlegte dabei angestrengt, habe ich alles berücksichtigt oder habe ich etwas vergessen.

Eine Aussage seines alten Lehrers fiel ihm wieder ein, immer wenn er an einem Tatort sei, solle er an die Locard’schen Regeln denken. Was er damit meinte, dass kein Kontakt zwischen zwei Objekten vollzogen werden kann, ohne dass dabei wechselseitige Spuren hinterlassen werden. Seine Aufgabe war es nun, dafür zu sorgen, dass diese Spuren gefunden und berücksichtigt wurden, ohne etwas zu vergessen oder zu übersehen.

Aus den Augenwinkeln sah er das Einsatzfahrzeug mit seinem Kollegen zurückkommen, sollten die schon fertig sein, er blickte auf seine Uhr auch er war inzwischen fast drei Stunden am Tatort. Erwartungsvoll wartete er auf die Neuigkeiten, die hoffentlich Erhellendes beitragen konnten.

Habt Ihr was erreicht, war jemand zu Hause, hat er Familie, was sagen die Nachbarn kamen die Fragen wie aus einem Maschinengewehr.

Zu Hause war niemand, nach Aussagen von Nachbarn wohnt er allein, seit seine Frau gestorben ist. Er soll ein pensionierter Beamter sein sagte der eine Nachbar, der andere meinte er ist Lehrer im Ruhestand. Genaueres wusste aber keiner, eine Nachbarin hat ihn jedoch jeden Sonntag in der Kirche gesehen. Er lebte ziemlich zurückgezogen, hatte keine Kontakte zu seinen Nachbarn, trotzdem können die nicht verstehen, dass jemand etwas gegen den alten Herrn gehabt haben soll.

Was für ein beschissener Sonntag dachte er, kurz vor der Pensionierung und dann noch so ein beschissener Mord. Mit diesem Standpunkt, dass er sich kurz vor der Pensionierung befinde, stand er allerdings allein. Vielleicht stimmte seine Frau dieser Ansicht noch zu, sein Dienstherr hatte allerdings Einwände. Letztendlich hatte man sich geeinigt, er konnte seine Ansicht weiter vertreten, allerdings in seiner Freizeit.

Er blickte seinen jungen Kollegen an, versuche ob Du jemand erreichst der uns Auskunft über eventuelle Familienmitglieder machen kann. Gehe bei der Kirche vorbei, frage den Pfarrer, lasse Dir die Daten aus dem Melderegister übermitteln.

Er drehte sich um, die Anzahl der Neugierigen war wieder gewachsen, es widerte ihn an, wenn er sah, wie sensationsheischend diese dastanden und gafften. Schickt die Gaffer nach Hause wandte er sich an die wartenden uniformierten Beamten, es gibt nichts mehr zu sehen der Tote ist auch schon weg.

 

Er wandte sich an seinen Kollegen, der gerade telefonisch versuchte an Informationen zu kommen. Ich gehe mal in das Restaurant, vielleicht können die mir etwas über den Toten sagen, vielleicht kennt ihn da jemand.

Am Tresen wandte er sich an die junge Frau, dabei zeigte er ihr seine Dienstmarke. Kriminalpolizei, Melzer ist mein Name, ich hab da mal ne Frage, er lächelte sie an, endlich jemand bei dem sich das lohnte zu lächeln. Er betrachte sie etwas länger, bis sein Blick zu ihren Augen zurückkam.

Sie blickte ihn neugierig aber auch ängstlich an, wir haben mitbekommen, dass der alte Mann umgebracht wurde, das ist so traurig, er hat jeden Sonntag bei uns gegessen. Wie kann man so einen lieben alten Opa umbringen, fragte sie, der hat doch niemanden etwas getan.

Sind sie sicher, dass er ein harmloser Opa war?

Hier im Restaurant war er unser Lieblingsgast, immer höflich zu jedem ein freundliches Wort außerdem gab er immer reichlich Trinkgeld fügte sie bedauernd hinzu.

Das tut mir Leid, meinte er trocken, aber wissen Sie sonst noch etwas, außer dass er mit Geld um sich geworfen hat.

Mit rotem Gesicht sagte sie, so habe ich das nicht gemeint, er war einfach ein freundlicher großzügiger Gast. Mehr weiß ich auch nicht über ihn zu sagen, warf sie ihm jetzt bockig den Rest an den Kopf.

Er lächelte in sich hinein, jetzt konnte er normal reden das Gesäusel sowie die Glorifizierung waren beendet. Der Lack des Oberflächlichen war ab, jetzt musste er nur noch den Lack bei dem Toten abkratzen.

Ich bedauere, wenn ich mich missverständlich ausgedrückt habe, können Sie mir sagen, ob er immer allein war oder ob er in Begleitung gekommen ist. Ob er andere Gäste gekannt oder begrüßt hat, alles, was uns Hinweise auf ihn als Person aber auch auf eventuelle Täter geben könnte.

Sie war zwar immer noch zickig aber jetzt war sie auch aufmerksam, sie dachte nach. Nein, jetzt wo sie es sagen, fällt es mir auch auf, er war immer allein er sprach nie mit einem anderen Gast. Eigentlich ist das komisch, wenn ich daran denke, der kam jeden Sonntag, seit ich hier bin und das ist seit fast vier Jahren. In der Zeit habe ich ihn immer nur allein gesehen.

Nachdem sie ihm noch mitgeteilt hatte, dass sie ihn am besten von allen Angestellten gekannt habe, verabschiedete er sich. Er hatte auch nicht wirklich erwartet, dass er den Täter hier treffen würde.

Sein junger Kollege hatte zwischenzeitlich die Telefonnummer des Pfarrers ermittelt, diesen sogar erreicht, dabei erfahren, dass er mit seiner Frau gerade Kaffee trank.

Hat er auch was anderes erzählt, oder hat sich euer Gespräch nur um Kaffee gedreht meinte er sarkastisch.

Leicht verlegen meinte dieser, nein das war seine Frau, komm auf den Punkt unterbrach sein Vorgesetzter ihn erneut. Nach einem Räuspern sagte er, wobei er seine Notizen überflog, der Pfarrer kennt, er korrigierte sich, kannte den Toten als Mitglied seiner Gemeinde. Er war bereits früher in seiner Gemeinde, als seine Frau noch lebte, die ist vor etwas mehr als vier Jahren gestorben, woran wusste er nicht. Außerdem hat er gesagt, dass sie wohl kinderlos waren, also ist auch kein direkter Verwandter da.

Er blickte zu den beiden Beamten, die immer noch den Tatort bewachten, dabei wirkten als hätte man sie hierher bestellt und dann vergessen. Sie können abbrechen meine Herren, nehmen sie das Absperrband ab dann können sie weiter ihren Dienst verrichten. Komm wir fahren nach Hause meinte er zu seinem Kollegen, der ihn erst irritiert ansah dann mitbekam, dass mit nach Hause das Büro gemeint war.

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