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Der Widerspenstigen Zähmung

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Märgi loetuks
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Er tastete die Treppe hinunter, auf der aus Sparsamkeit kein Licht brannte.

Das Geräusch des Holzsägens drang an sein Ohr.

Er schmunzelte. Was mochte der Alte zu so später Stunde noch für ein Kunstwerk zusammenzimmern? Welche Arbeit nahm ihn so gefangen, daß er sogar das wiederholte Zeichen zum Essen überhört hätte?

Aber plötzlich lief es Adolf eiskalt über den Rücken. Das war kein

Holzsägen … das war ein langgezogenes Röcheln…

Er sprang atemlos die Stiege hinab, riß die Türe zur Werkstatt auf.

Da lag der alte Bindegerst mit geschlossenen Augen neben der Drechslerbank am Boden. Die Hände griffen mit gekrümmten Fingern nach dem Hinterkopf, aus dem das Blut sickerte, und mit dem Schnaps der zerbrochenen Flasche eine schmierige Lache bildete.

»Vadder, was is Derr?«

Adolf kniete neben ihm nieder, versuchte den Ächzenden aufzurichten.

»Vadder«, wimmerte er. »Vadder, so redd doch 'n Ton!«

Aber der Alte gab keine Antwort. Nur sein Röcheln klang noch schärfer, und sein Gesicht verzerrte sich in doppeltem Schmerz.

Adolf stand auf. Instinktiv erkannnte er, was geschehen war. Der Alte hatte, wie so oft, im Schnapsrausch das Gleichgewicht verloren, war gegen die Drechslerbank getaumelt und mit dem Hinterkopf in eines der geschärften, spitzigen Werkzeuge gefallen.

Wieder kniete er nieder.

»Vadder, kennstde mich dann net? Ich bin doch der Adolf!«

Er rüttelte den Bewußtlosen.

Da schlug Bindegerst die Augen auf. Seine Hände tasteten an Adolfs Ärmel. Er richtete den Kopf ein wenig empor, sank aber gleich wieder zurück.

»Willstde Wasser, Vadder? So sag doch ebbes … ich fercht mich ja so!«

Die Lippen des Sterbenden bewegten sich, aber er brachte kein Wort hervor.

»Willstde merr was sage, Vadder?«

Ein kaum sichtbares Kopfnicken.

Adolf riß ihm die Joppe auf, nestelte mit zitternden Händen den Kragen ab. Das schien dem Verblutenden wohl zu tun.

»Adolf … Adolf … ich habb Derrsch versproche … weilsde merr mit dem Sparkassebuch …«

»Awwer Vadder, des is doch jedz ganz egal, des dhut doch nix …«

»Adolf …!«

»Ja, Vadder?«

Er beugte sein Ohr dicht zu Bindegersts Mund. Aber die Worte ertranken in rasselndem Stöhnen.

Adolf umarmte den zuckenden Leib, küßte die Stirn verzweifelt.

Noch einmal kehrte das Bewußtsein auf kurze Augenblicke zurück.

»Adolf … Du bist … zu gut for se …«

»Nein, Vadder! Nein!« jammerte Adolf. »Sag des net!«

»… Adolf … des Kättche unn der Hippestiel … der Friseer … schon iwwer zwaa Jahr … Adolf!!«

Er versuchte sich aufzurichten, seine angstvoll geweiteten Augen starrten in unbekannte Ferne. »…ich wollt Derrsch schon immer … die zwaa … des Kättche unn der Hippestiel… die zwaa…«

Er ballte die Faust, sein Leib wälzte sich in der Lache, seine Linke griff in die Scherben der Flasche, zerkrallte sie. Aber er fühlte nichts mehr.

Adolf rannte die Treppe hinauf. »Kättche, der Vadder sterbt!«

Ein gellender Schrei antwortete ihm.

Dann war er allein.

Er schloß die Türe zur Treppe. Eisige Ruhe überkam ihn. Noch nie in seinem Leben hatte er die Dinge so klar gesehen.

Was geschah hier? Sein Schwiegervater starb. Gut, alle Menschen müssen sterben. Auch sein Gustavchen hatte sterben müssen. Und war doch so jung gewesen.

Aber weshalb hatte Katharina so geschrieen? Das war der Schrei tiefsten

Schmerzes gewesen. Also liebte sie doch einen Menschen, ihren Vater. —

Ihren Sohn, ihren Gatten hatte sie nie geliebt. Merkwürdig.

Aber mit dem Vater hatte sie ja unter einer Decke gesteckt. Die Beiden hatten ja gemeinsames Spiel gespielt, sie hatte ihn betrogen, und der Alte wußte es – seit zwei Jahren —

Plötzlich griff er mit den Händen an den Hinterkopf, so wie es vorhin

Bindegerst getan hatte.

»Ich will nix wisse!« stöhnte er. »Ich will nix wisse!«

Er ging wieder hinunter in die Werkstatt.

Da lag der alte Bindegerst ganz still. Und Käthchen saß auf dem Schemel, auf dem er einst dem Alten beim Schnitzen der Wiege und dann beim Zimmern des Grabkreuzes zugeschaut hatte, und weinte, wie er sie noch nie hatte weinen sehen.

Es trieb ihn unwillkürlich, sie zu trösten, er hob die Hand, sie zu streicheln, aber er zog die Hand wieder zurück, als habe er sie glühendem Eisen genähert. Und ging hinaus.

Und wieder kam der Zug zum Friedhof, der Pfarrer redete, die Nachbarn drückten ihm beileidsbezeigend die Hand, und Herr Hippenstiel trug wieder seinen tadellos gebügelten Zylinder und die erstklassigen schwarzen Glacéhandschuhe.

Adolf beobachtete ihn genau. Er lauerte, ob der Friseur und Käthchen einen Blick wechseln würden.

Aber Katharina hielt während der ganzen Dauer des Begräbnisses das

Taschentuch vors Gesicht und schluchzte ununterbrochen.

Und Adolf dachte: »Vielleicht haww ich'n in der Uffregung falsch verstanne. Vielleicht hat er aach in der Besoffeheit net gewißt, was er redt. Odder vielleicht hat'r ganz was annerscht sage wolle, unn die Wörter sin em im Sterwe dorchenanner komme? Könnte ich'n nur aus der Erd' kratze unn en noch emal frage!«

Er nahm sich vor, Hippenstiels Laden zu besuchen. Er wollte sich rasieren lassen und dabei genau auf das Benehmen Hippenstiels und des Gehilfen achten: irgendwie würden sie sich schon verraten, durch ein Lächeln, ein Zucken der Mundwinkel, eine unwillkürliche Geste. Oh, ihm würde nichts entgehen.

Aber er führte den Plan nicht aus. Ihm fehlte die Tatkraft. Er besaß nicht den Mut, dem Unglück entschlossen entgegenzutreten. Er wußte nicht, daß das Unglück eines jener Raubtiere ist, die keinen Angriff wagen, wenn man ihnen furchtlos ins Auge sieht.

Statt sich durch rasches Zugreifen Gewißheit zu verschaffen, fing er an zu grübeln, zu kombinieren, wie es seine Art war.

Er rief sich jene Szene draußen auf der Waldbank ins Gedächtnis zurück, als Bindegerst ihn so unvermutet wegen des Sparkassenbuchs um Verzeihung gebeten hatte: »Vielleicht kimmt doch emal e Gelegenheit, wo ich mich erkenntlich zeige kann! Vielleicht!«

Was hatte der Vater damit gemeint? Hatte er Adolf damals schon die Augen öffnen wollen? War das eine Andeutung gewesen, die er nicht verstanden hatte?

Er hatte ja auch im Sterben vom Sparkassenbuch zu lallen begonnen.

Sollte die Enthüllung der versprochene Dank sein?

Und wie ihm Bindegerst in der letzten Zeit ausgewichen war! Und sein Vorwurf »des war net gut, daß De da enuffgezoge bist!« Hatte der Alte deutlicher sein können? Und das Alles hatte er überhört.

»Ich bin blind«, sagte sich Adolf. »Wie die Kinner, wann se Blindekuh spiele, laaf ich mit verbunnene Aage erum, unn dapp nach rechts, unn dapp nach links, unn erwisch nix, sonnern reiß merr nor an de Bäum unn Hecke die Händ blutig! Ich bin dümmer wie die Bolizei erlaabt, unn grad uff #dem# Gebiet erlaabt doch die Bolizei mehr wie uff jeddem annern. Ich bin e Kamel, so groß, daß es in der ganze Wüst' kaan Blatz hätt'. Wie der Verstand ausgedeilt worn is, muß ich geschlafe hawwe. Awwer ich glaab als, der Verstand is iwwerhaapts net #ausgedeilt# worn, sonnern der liewe Gott hat'n unner die Mensche geschmisse, wie die reiche Leut als Klaageld unner die Buwe schmeiße, unn die Frechste hawwe am meiste erwischt.«

Konnte sich der alte Mann nicht überhaupt getäuscht haben? Wenn seine Anklage sich nur auf leeren Verdacht gründete? Einen Beweis hatte er ja nicht gegeben.

Aber war Katharinas verändertes Wesen nicht Beweis genug? Für wen zierte und schmückte sie sich? Und parfümierte sich, daß es kaum auszuhalten war? Und behandelte ihn mit offenkundiger Verachtung? Mit der Verachtung, die dem Manne, der sich betrügen läßt, nur allzu reichlich gebührt?

Adolf wußte nicht, was er glauben sollte. Denn er #wollte# nicht

glauben. Ihm war zumute wie einem schuldigen Verbrecher vor der

Urteilsverkündung. Er bebte: gibt es kein Mittel, gar kein Mittel, die

Entscheidung hinauszuzögern?

Nun wich er Katharina aus, wie ehemals Bindegerst ihm. Er konnte ihr nicht in die Augen sehen, nicht mit ihr sprechen. Gleichgültiges brachte er nicht über die Lippen, und den Verdacht, der ihm die Seele beschwerte, wollte er nicht preisgeben.

Er kannte aus Romanen und Zeitungsgeschichten die heroische Geste, mit der sich betrogene Gatten zu rächen pflegen. Aber zu dieser Geste hätte er sich nie aufraffen können. Denn er verspürte keinen Rachedurst. Nicht einmal richtig »böse sein« konnte er dem Herrn Hippenstiel, – nur traurig war er, trostlos traurig.

Alle Sterne seines Himmels waren erloschen, tiefschwarze Nacht umbrodelte ihn.

»Was haww ich eigentlich von mei'm ganze Lewe gehabbt? E Fußball bin ich, den wo die Herrn Feldmann unn Schröder vom Geschäft uff die Post, von der Post haam, unn von dahaam ins Geschäft gekickt hawwe! Unn wie e Fußball bin ich von alle Mensche nor mit Fußtritte beehrt worn. – Naa, daß ich gerecht bleib, e paar aastännige Mensche haww ich #doch# kenne gelernt: de Herr Bernheim, der merr immer sei Butterbrod zor Vesper gewwe hat, »Da, Adolf, freß!« unn de Schröder, des gutmiedig Zwaazentnerferkel, unn de Herr Baldrian, der mich zum himmlische Delefonfräulein ausbilde wollt'. Des warn gute Mensche, unn wann die groß Schnaps-Sintflut komme dhät, wo der ahl Bindegerst davoo geschwermt hat, dann dhät ich de liewe Gott bitte: »Nemm die drei mit in die Arch', se verdiene's! Die iwwerig Menschheit kannstde ruhig versaufe lasse! Mich zu allererscht! Ich kann sowieso net schwimme! Wann ich aach e Fußball bin.

Unn ich habb doch emal Wunner geglaabt, was ich for e Mordskerl bin. Damals, wie merr verlobt warn, wie ich mit'm Kättche awends am Mää spaziern gange bin. Ach, wär' ich doch damals gestolwert unn ereigeborzelt! Da hätte wenigstens die Fisch was zu lache gehabbt! …«

»Adolf,« sagte Katharina am dritten Tag nach Bindegersts Begräbnis, »des

 

Haus geheert jedz uns!«

»Ja,« sagte Adolf, »jedz geheert's uns. Merr könne's verkaafe, wannstde maanst.«

»Schafskobb!« fuhr ihn Katharina an. »Des guckt Derr widder ganz ähnlich! Nix werd verkaaft! Awwer unne die Werkstatt unn de Lade wer' ich vermiete. Verstanne?«

Und sie führte diese Absicht sogleich aus. Als Adolf einige Tage später ins Geschäft ging, arbeiteten schon drunten die Handwerker an der Auffrischung der Räume.

Und am nächsten Mittag turnte vor dem Schaufenster ein Mann auf einem Gestell herum und pinselte in großen Buchstaben den Namen einer Firma auf die Glasscheibe.

»Gottlieb« stand da. Der Nachnamen war noch nicht geboren.

Drüben an der Ladentüre stand Herr Hippenstiel und schaute dem

Malkünstler zu.

»Gu'n Dach, Herr Borges!« rief er hinüber.

Aber Adolf gab keine Antwort.

»Wann ich mich nur e bissi verstelle könnt!« murmelte er. »Wann ich nor so e bissi Katzefreundlichkeit heuchele könnt! Awwer ich bring's net fertich. So was dummes wie ich werd net zum zweite Mal geborn!«

Er ging geradewegs ins Geschäft, denn auch das Abholen der Geschäftsschlüssel in Herrn Feldmanns Wohnung besorgte längst der neue, junge Ausläufer.

»Ich glaab, se dhäte's iwwerhaapts net merke, wann ich dahaam bleiwe dhät! An mich denkt kaa Mensch!«

Mit dieser Behauptung tat Adolf Borges der Menschheit wieder einmal Unrecht. Denn gerade an diesem Nachmittag sagte der dicke Herr Schröder zu seinem Teilhaber:

»Hermann, nächste Woch' werd's dreißig Jahr, daß der Adolf bei uns is.

Maanstde net, merr sollt da erjend ebbes mache?«

»Schreib emal an die Kasern, vielleicht halte se e Parad for en ab!«

»Da werd'r kaan Wert druff lege. Awwer e Geschenk könnt mer'm doch gewwe. Es braacht ja net gleich e Milljon koste. Unn aach'm Personal sollt merrsch sage, daß se so e klaa Feier veraastalte. Der Herr Baldrian könnt die Festredd halte, ich glaab, dem leiht so was! – Unn 's war doch aach e Reklam' fors Geschäft, wann's in die Zeidung käm.«

»Mach, was De willst! Mir is worscht, ich bin kaa' Danzlehrer!«

Als Adolf Abends nach Hause kam, war der Mann mit dem Malgestell verschwunden.

Und Adolf las auf der Glasscheibe:

Gottlieb Hippenstiel

Coiffeur und Friseur

Ausführung aller Haararbeiten zu billigsten Preisen.

* * * * *

Eine unbändige Wut überkam ihn.

Also an #ihn# hatte Katharina den Laden vermietet. So weit trieb sie den

Zynismus.

Er stürmte hinauf, bereit, Katharina zu prügeln, zu mißhandeln.

Aber schon auf der Treppe wurde er in seinem Entschluß schwankend. Was nützte es, eine Szene zu machen? Gar keinen Wert hatte es. Es war ja doch Alles aus.

Und als er vor der Wohnungstüre stand, hörte er drinnen zwei lachende

Stimmen.

Da stieg er langsam zur Dachstube. Er schloß das Fenster, denn draußen regnete es.

Er nahm das Bild Gustavchens von der Wand, betrachtete es lange, lange.

Dann drehte er es um, schnitt es aus dem Rahmen, zerriß es in kleine

Fetzen, stopfte sie in den Ofen und verbrannte sie.

Ganz ruhig und bedächtig tat er das.

Wie ein sorglicher Familienvater, der seine Angelegenheiten ordnet.

Dann zog er der Holzfigur den Matrosenanzug aus. Er rollte ihn zusammen, schnürte ihn mit dem Schlips fest.

Nahm das Bündel unter den Arm und stieg langsam, auf den Zehenspitzen, die Treppe hinab.

An der Wohnungstüre blieb er einen Augenblick stehen.

Und nun schlich er durch die naßtrüben Straßen, dem Main zu.

Das Bündelchen mit Gustavs Matrosenanzug hielt er dicht an sich gepreßt.

»Babba, was machß'n Du da??« frug plötzlich ein Stimmchen.

»Ich geh ins Wasser, Gustavche! Versaufe dhu ich mich!«

»Warum dann, Babba?«

»Da bistde noch zu jung dazu, des verstehstde noch net, mei Liebling.«

»Awwer 's Wasser is doch so kalt, Babba?«

»Des spier' ich net mehr, mei Kind. Ich habb kaa Gefiehl mehr. Laß' mich nor mache!«

Das Zwiegespräch verstummte.

Bis nach einer Weile das Stimmchen wieder begann: »Die Mama is bees!«

»Des mußtde net sage, lieb Gustavche! Die Mama kann nix dafor. Du mußt

Dei Mama lieb hawwe!«

Der Regen geißelte sein Gesicht. Er eilte, ans Ziel zu kommen.

* * * * *

Auf einem der großen Mainkähne saßen schwatzend drei Schiffer, in dichten Sturmmänteln und Kapuzen. Der Jüngste von ihnen spielte Ziehharmonika.

»Hastde nix plumpse heern?« frug der eine.

»Mir war's aach so! 's werd e Bierflasch ins Wasser gefalle sei'!«

»Hoffentlich kaa volle!« lachte der Frager.

Sie wandten sich wieder ihrem unterbrochenen Schwatz zu.

Und die Ziehharmonika spielte gedehnt:

 
»Katharinchen mit dem Selleriekopp, Allez hopphopphopp, Allez hopphopphopp… «
 

=Münchner Buchgewerbehaus M. Müller & Sohn=

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