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Das Eulenhaus

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25

Die Operation war vorüber. Die Herzogin hatte Farbe bekommen und ihr Puls schlug kräftiger. Das gesunde Lebensblut Klaudines schien ihr neue, frische Kraft verliehen zu haben, es war wie ein Wunder. Sie lag sanft schlafend, wahrend in das geöffnete Fenster der duftige Hauch der Sommernacht wehte und eine tiefe Stille in dem Gemach herrschte. Regungslos saß die Schwester im Schatten des Bettvorhanges, so daß man nur die sanften regelmäßigen Atemzüge der Kranken hörte.

Klaudine stand in ihrem Zimmer mit verbundenem Arm. Sie fühlte sich matt. Das war aber nicht allein die Folge des fehlenden Blutes, die ganze Aufregung des Tages machte sich geltend. Ihre Füße wollten sie kaum noch tragen, und dennoch wies sie mit einer an Eigensinn grenzenden Hartnäckigkeit die Aufforderung, sich zu legen, zurück. Sie habe noch mit Baron Gerold zu sprechen, sagte sie, und wünsche dann sofort nach Hause zu fahren.

Die alte Herzogin, die ihr vom Bette Ihrer Hoheit in überströmendem Dankgefühl nachgefolgt war, bat wie eine besorgte Mutter, doch heute von dieser Unterredung abzusehen, nach der Operation müsse sie sich schonen, allein Klaudine blieb bei ihrem Verlangen. »Ich tue nichts halb!« erklärte sie mit ungewöhnlicher Ruhe.

Der Professor, den man zu Hilfe rief, wurde fast unangenehm. »Gut«, sagte der durch sein strenges Wesen bekannte Herr, »so mag denn diese Unterredung stattfinden, aber die Fahrt muß unterbleiben. Und nun trinken Sie ein Glas Wein!« Er hielt ihr mit einer Miene, die keinen Widerspruch zuließ, das Glas an die Lippen. Widerstrebend nippte sie ein wenig. Als sie aber Schritte auf dem Flur hörte, wandte sie das Antlitz der alten Herzogin zu: »Hoheit wollen mir gestatten, allein mit meinem Vetter zu reden!«

Die alte Hoheit zog sich kopfschüttelnd und betrübt zurück. Frau von Katzenstein und der Professor folgten ihr.

»Alles Glück mit Ihnen, lieber Baron«, flüsterte die Herzogin draußen dem blassen Manne zu, der sie beim Vorübergehen mit einer tiefen Verbeugung grüßte.

Fast ungestüm trat er ein. Er war zuletzt ruhelos im Parke umhergewandert, wo ihn der suchende Diener gefunden hatte. Seine erschreckten Blicke fielen auf die Binde, in der Klaudines Arm hing, auf das lose weite Morgenkleid, auf die halbgelösten Haare und das farblose, entstellte Gesicht des schönen Mädchens.

Was ging hier vor? fragten seine Augen, aber über seine Lippen kam kein Wort, er deutete nur stumm auf den Verband am Arme.

»Eine Kleinigkeit«, erwiderte sie, indem sie auf einen Stuhl wies, »nichts weiter als eine winzige Wunde, entstanden durch das Instrument des Arztes, der etwas Blut für die Herzogin brauchte. Kommen wir nun zur Sache, Baron!«

»Und das sagen Sie, als ob es so gar nichts wäre?« rief er außer sich. »Wissen Sie, daß das gleichbedeutend sein kann mit dem Tode?«

»Sie vergessen, daß eine Autorität die Operation leitete, und – wenn auch —«

»Sie haben freilich auch so gar niemand auf der Welt, dem Sie Schmerz bereiten würden, keinen, den Sie vorher fragen mußten: ›Darf ich es tun? Habe ich das Recht, meine Gesundheit, möglicherweise mein Leben, aufs Spiel zu setzen?‹«

»Doch«, erwiderte sie, »einen habe ich – Joachim – aber es war keine Zeit dazu.«

»Joachim!« wiederholte er mit der nämlichen Bitterkeit. »Ich, der ich eben um Ihr Leben gebeten hatte für mich, für mein Kind, ich war Ihnen keines Gedankens wert!«

Ihr war es plötzlich, als erfasse sie ein Schwindel, und sie ließ sich erschöpft in den Sessel nieder, neben dem sie gestanden hatte.

»Ich wollte ja mit Ihnen darüber reden«, begann sie wieder und sah an ihm vorbei, »ich versprach es der Herzoginmutter. Es soll nicht lange dauern. Sie sind so unsagbar großmütig, Vetter – ich weiß in der Tat nicht, wie ich Ihnen danken soll. Ich könnte es eigentlich nur, indem ich Ihre Großmut zurückweise und —«

Er stand unbeweglich und sah sie an.

»Und das würde heißen«, fuhr sie fort, »ein Mittel zurückweisen, welches einer Schwerkranken das Leben etwas verlängern könnte. So sagt die Herzoginmutter. Ich darf es also nicht. Vergeben Sie mir! Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag: verlobt sein, heißt nicht verheiratet sein. Wenn die Herzogin genesen sollte, so – so gehen wir auseinander, wenn sie sterben sollte – natürlich ebenfalls, es gilt ja nur ein Beruhigungsmittel, es ist ein wenig gewaltsam, ich weiß, aber – eine Verlobung ist nur ein Versprechen, und bekanntlich werden nicht alle Versprechen gehalten. Gott weiß, wie oft es geschehen mag, daß zwei sich trennen vor der Ehe, es ist keine Schande – ich – ich —«

Sie hatte rasch und immer rascher gesprochen. Jetzt lehnte der blonde Kopf schwach und mit geschlossenen Augen an den Polstern. Er war näher getreten, in seinem Gesichte zuckte es seltsam.

»Ich«, begann sie wieder, »ich werde nicht fort können von hier, aber Sie, Lothar, Sie sind frei. Sie finden nach der leider nicht zu umgehenden Veröffentlichung der Verlobung leicht einen Grund, um in irgendeinen fernen Weltwinkel zu gehen, bis —« und sie richtete sich plötzlich empor – »ich spreche dies nicht für mich, bei Gott nicht! Was liegt an mir? Mein reines Gewissen genügt mir vollkommen – aber die Ärmste dort drüben – begreifen Sie, Lothar?«

»Wir sollen also ein wenig Komödie spielen?« fragte er.

»Nicht lange! Nicht lange!« flüsterte sie, während ihre Augen ihn, wie um Verzeihung bittend, ansahen.

Er ergriff plötzlich ihre Rechte mit einer ungestümen leidenschaftlichen Bewegung.

»Es sei«, sagte er, »aber Sie sind krank, und vor allem, ehe die Komödie beginnt —«

»Lassen Sie sie gleich beginnen«, bat sie, »gehen Sie zur Herzoginmutter und melden Sie, daß ich Ihnen mein Jawort gab. Indessen rüste ich mich zur Heimfahrt. Ich bin so müde, so sterbensmüde.«

»Ich werde gehen«, sagte er ruhig, »und Sie werden sich legen, Sie werden nicht nach Hause fahren.«

»Ich werde es doch!« rief sie heftig, »vergessen Sie nicht, daß es eben nur eine Komödie ist, daß Sie sowohl wie ich unseren eigenen Willen vollkommen behalten!« Er bezwang sich und ging.

Klaudine starrte ihm nach wie im Traume. Sie fühlte ihre Kräfte schwinden, fühlte sich so schwach und gedemütigt! Am liebsten hätte sie sich den Verband vom Arme gerissen und ihr Leben mit dem Blute dahinfließen lassen. Es ward ihr so sonderbar mit einemmal vor Augen, so rot wie Blut, so schwebend und so wogend, als ob ihr Stuhl zu wanken beginne. Sie wollte sich an der Lehne festhalten und griff in die Luft. »Halt ein!« flüsterte sie, aber in rasendem Wirbel drehte es sich um sie, sie fühlte sich wie hochgehoben, dann empfand sie nichts mehr.

Die Schwester, die auf Befehl des Arztes hinübergeschlichen war, fand Klaudine bewußtlos. Mit der lautlosen Sorgfalt ihres Berufes holte sie Hilfe und legte die Ohnmächtige auf den Liegestuhl, wo sie bald wieder zu sich kam.

»Es ist nur Erschöpfung, Herr Baron«, sagte der Medizinalrat, den Lothar geholt hatte. »Nichts weiter. Lassen Sie die Kranke ganz ungestört, morgen wird sie wohl und frisch sein. Ich bitte Sie, bei solcher Jugend und Kraft! Fahren Sie ruhig nach Neuhaus, lieber Baron!«

Herr von Gerald schärfte der Kammerjungfer ein, die Schwester zu rufen, falls ihr bei dem gnädigen Fräulein irgend etwas bedenklich erscheine. Dann bat er auch Frau von Katzenstein, die Kranke zu beaufsichtigen.

Die alte Dame wollte eben noch einmal zu Klaudine hineingehen, um ihm Nachricht von ihr zu holen. Er stand wartend im Flur. Jetzt hörte er Klaudine drinnen sprechen – mit wem wohl? Deutlich konnte er jedes Wort verstehen.

»Vergeben Sie mir!« scholl laut die Stimme der Prinzeß Helene, aber es klang nicht flehend, es klang wie befehlend. Lothar runzelte die Stirn, er hatte Mühe, an sich zu halten, um nicht sofort hineinzugehen.

Frau von Katzenstein kam zurück. »Durchlaucht ist bei Fräulein von Gerold«, flüsterte sie.

»Seine Hoheit haben mir befohlen, Sie um Verzeihung zu bitten, Fräulein von Gerold«, klang es abermals da drinnen. »Ich bitte also hiermit um Verzeihung. Haben Sie es gehört?«

Außer sich trat der Baron über die Schwelle des matt erleuchteten Zimmers. Über das weiße Mädchengesicht dort in den Kissen des Liegestuhles ergoß sich Purpurglut, als sie ihn erblickte.

»0 mein Gott!« stammelte sie und machte eine abweisende Bewegung mit der gesunden Hand.

Es hatte sie nicht befremdet, daß er hier eindrang, sie dachte weiter nichts, als daß jetzt ein vernichtender Schlag auf dieses trotzige Geschöpfchen fallen müsse, das da so hochmütig an ihr Lager getreten war, um auf höheren Befehl »abzubitten«.

Die Prinzessin hatte ihn nicht bemerkt, sie stand da wie der verkörperte Trotz. Ihre Zerknirschung verwandelte sich, angesichts der Verhaßten, in Empörung.

»Sie wollen wohl nicht?« fragte sie. »Ich habe nicht lange Zeit zu warten, ich muß nach Neuhaus, Mama hat Frau von Berg nach mir geschickt, ich fahre aber nicht mit ihr, ich will nicht. Ich werde Baron Gerold um seinen Wagen ersuchen. Also zum drittenmal – ich bitte Sie um Verzeihung, Fräulein von Gerold!«

»Prinzessin, ich weiß zwar nicht, wofür eine Verzeihung erbeten wird – aber von Herzen gern«, erwiderte Klaudine mit bebenden Lippen.

»Durchlaucht, auf diese Weise eine schwer Gekränkte und Leidende um Verzeihung zu bitten, ist neu«, scholl jetzt Lothars erregte Stimme.

Die Prinzessin wandte sich, wie von einem elektrischen Schlag getroffen. Klaudines Augen sahen mit flehender Angst zu den seinen hinüber. Sie hielt den Atem an – oh sie wußte ja aus eigener Erfahrung, wie furchtbar sie wirken kann, die Gewißheit, den geliebten Mann verloren zu haben!

»Es gehört die ganze große Güte und Selbstlosigkeit meiner Braut dazu, um Eurer Durchlaucht die so eigentümlich erbetene Verzeihung zu gewähren.«

Totenstille herrschte im Gemach. Klaudine sah wieder jene rote heiße Flut vor ihren Augen. Wie? Konnte ein Mann so schonungslos verfahren mit der, die er liebte, um die er geworben hatte, seit Wochen schon? War es ein Akt der Verzweiflung, weil er sie aufgeben mußte?

 

Sie streckte die Hand aus. »Prinzessin«, sagte sie matt, als wollte sie um Verzeihung bitten.

Aber die zierliche, weiße Gestalt schwankte nicht, wie Klaudine gefürchtet hatte, sie schüttelte das dunkle Köpfchen mit dem kurzen Gelock stolz in den Nacken zurück. »Meinen Glückwunsch«, sprach sie kurz. Einzig in der erzwungenen lauten Stimme erkannte Klaudine die furchtbare Erschütterung des Mädchens, dessen glühende Liebe soeben den Todesstreich empfangen hatte.

Die Prinzessin übersah die Hand, die sich ihr bot. Stolz neigte sie den Kopf. »Begleiten Sie mich, Baron!« sagte sie befehlend und ging voran.

Lothar faßte statt ihrer die dargebotene Hand und führte sie an die Lippen. Klaudine entzog sie ihm hastig und unwillig.

»Wozu?« fragte sie und drehte den Kopf nach der Wand, »das ist überflüssig bei unserem Abkommen.«

Sie waren gegangen. Klaudine klingelte und ließ sich bei der Nachttoilette helfen und die Lichter löschen. Frau von Katzenstein schlich behutsam durch das dämmernde Gemach dem Bette zu – es rührte sich nichts hinter den Vorhängen, die Kranke schlief wohl schon den Schlummer der Erschöpfung? Als Frau von Katzenstein aber genauer hinsah, erblickte sie das Mädchen im Bette sitzend.

»Aber Klaudine, Sie ruhen noch immer nicht?« flüsterte die freundliche alte Dame besorgt und drückte einen Kuß auf das schöne Antlitz. »Eben erfahre ich von Ihrer Verlobung«, setzte sie bewegt hinzu, »Gott segne Ihren Herzensbund, meine liebste Gerold!« Dann ging sie still hinaus.

Klaudine griff sich wild an die Stirn. »Herzensbund!« sagte sie bitter, »welch furchtbarer Hohn!«

Sie grübelte und grämte sich bis über Mitternacht hinaus, bis sich ihre Gedanken verwirrten. Der schrecklichste Tag ihres Lebens war vorüber. Was würde ihm nun noch folgen an Qual und Herzensleid?

26

In der Frühe des folgenden Tages ward Klaudine durch einen Boten der Herzoginmutter, welche ihr einen köstlichen Blumenstrauß nebst einem Brillantring sandte, aus schwerem bleiernem Schlaf geweckt.

Es tat ihr weh, sich auf das Gestern besinnen zu müssen, und nur mit Anstrengung konnte sie sich erheben. Die Kammerfrau der Herzogin erschien, als sie eben angekleidet war, und beschied sie in das Krankenzimmer.

Mit müden Schritten trat sie über die Schwelle. Das ganze purpurrote Gemach war von Sonnenglanz erfüllt, am Lager seiner Gemahlin stand der Herzog mit den kleinen Prinzen, die beiden jüngsten hielten Rosen in den Händen, der älteste etwas anderes, das funkelte und blitzte. Der Herzog schritt ihr entgegen und küßte ihr die Hand.

»Nehmen Sie meinen und meiner Söhne innigsten Dank für Ihren freudigen Opfermut«, sprach er, indem er sie zum Bette führte. »Sehen Sie selbst, gnädiges Fräulein, er hat großes vollbracht!«

Die Herzogin streckte ihr die Hände entgegen, während der Erbprinz sich jubelnd an sie hing. »Ich habe ja immer gewußt«, sagte er, »Sie haben Mut, Fräulein von Gerold, und dies geben wir Ihnen, ich und mein Bruder, weil Sie Mama wieder gesund gemacht haben.«

Er reichte ihr ein kostbares Schmuckstück und die Händchen der anderen hielten ihr stumm die Rosen entgegen.

»Klaudine«, flüsterte die Herzogin.

Sie kniete in alter Gewohnheit am Bette nieder, aber der Kopf legte sich nicht wie sonst zutraulich an die Wange der Freundin, sie verharrte wie eine jener gemalten Beterinnen in der Schloßkirche, mit niedergeschlagenen Augen und unbeweglicher Miene. »O, warum denn Dank! Ich tat ja nichts«, sagte sie.

Die Herzogin gab, von ihr ungesehen, ihrem Gemahl ein Zeichen, sich zu entfernen. Leise trat er hinaus, die beiden ältesten Prinzen folgten ihm, nur das Kleinste blieb auf dem Bette sitzen und spielte mit den Rosen.

»Dank, Klaudine, tausendfachen Dank! Und nimm auch meinen treuesten Glückwunsch zu deiner Verlobung. Ich erfuhr sie vorhin durch Mama. Es hat mich überrascht, Klaudine. Warum sagtest du mir nie davon, daß du ihn liebst?«

Klaudine blieb stumm, dann erschrak sie. Wenn sie ihre Rolle so schlecht spielte, dann war ja die ganze Komödie vergeblich! Hier galt es also vor allen Dingen, sich mutig zu zeigen.

»Mir wurde es so schwer, darüber zu sprechen«, stammelte sie, »ich wußte ja nicht, ob er mich wiederliebt.«

Die Herzogin drückte ihr die Hand.

»Klaudine«, flüsterte sie, »weißt du – der Herzog dauert mich, denn er liebt dich!«

»Hoheit, nein!« rief das Mädchen, »er liebt mich nicht!«

»Doch, Klaudine«, versicherte die Kranke, »sieh, ich hatte ja einen Brief von ihm in den Händen – an dich.«

Klaudine fuhr empor. »Einen Brief? Ich habe nur einen von Seiner Hoheit erhalten, und der —«

»Pst!« flüsterte die Herzogin. »Ganz recht! Ich verstand ihn gestern nicht, heute erklärte mir Adalbert seine Bedeutung selbst. Er hat mir alles gesagt, es ist ihm nicht leicht geworden. Ich weiß alles, Klaudine, und er dauert mich, weil du ihm nun verloren bist.«

»Elisabeth!« stotterte das Mädchen, dem fast die Sprache versagte. »Es ist ein Irrtum Seiner Hoheit, und welcher Mensch —«

»Ja, ein Irrtum! Oh, ich verstehe, ich kann es begreifen, aber hier innen ist’s so öde, so still geworden, Klaudine.« Sie legte einen Augenblick eine Hand auf die Brust und strich dann schmeichelnd über Klaudines Arm, der in der Binde hing.

»Elisabeth«, sprach diese, »du bist immer eine so fromme Natur gewesen, du richtest sonst so mild die Handlungen der Menschen. Willst du hier ein harter Richter sein?«

Die Herzogin schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe verziehen. Die kleine Spanne Zeit, die mir noch bleibt, soll freundlich verfließen. Ach, Klaudine, zum ersten Male, seit ich sein Weib bin, hat er heute früh mit mir gesprochen, wie ich es immer ersehnt habe, wachend und träumend. Herzlich und aufrichtig, mild und gut hat er gesprochen. Es kommt zu spät, ja, ja – aber es ist so schön, so süß, und deshalb habe ich ihm verziehen. Es ist nur noch ein Rest, so ein Rest dummer Eitelkeit in mir. Weißt du, ich wollte ihm immer gefallen und bedachte gar nicht, daß ich ein so elendes, krankes Geschöpf bin. Da habe ich mir rasch den Spiegel hier genommen und hineingeschaut, es tat ein bißchen weh zuerst, aber dann —«

Sie verstummte, und in ihren Augen schimmerte es feucht, während sie sich zum Lächeln zwang.

Klaudine konnte es nicht hindern, ihr rollten ein paar große Tränen über die Wangen.

»Er dauert mich so«, sagte die Herzogin noch einmal, »ich will gut und geduldig und liebevoll gegen ihn sein. Und wer mir noch leid tut«, fuhr sie fort, »das ist Helene – sie liebt deinen Bräutigam.«

»Ja!« hauchte das Mädchen.

»O du schönes, von Gott begnadetes Geschöpf du«, sagte die Kranke, »dem aller Herzen sich zuneigen! Wie mag es wohl sein, wenn man so geliebt wird?« Es klang so traurig, so hoffnungslos.

Klaudine stand auf und wandte sich zum Fenster. Sie durfte nicht zeigen, wie weh ihr war.

»Ich will dich nicht länger zurückhalten, Klaudine«, fuhr die Herzogin fort, »du hast so viele, viele Pflichten heute. Du mußt dich Mama als Braut vorstellen und deinem Kindchen als Mutter, und ihr werdet so viel zu sprechen haben, du und er. Geh, Klaudine, geh mit Gott!« Sie lächelte. Der kleine Prinz hatte ihr jauchzend das Spitzenhäubchen von dem dunklen Haar gezagen und brachte seinen geöffneten Mund an ihre blassen Lippen. Hastig wandte sie das Gesicht. »Mein Liebling«, hörte Klaudine sie flüstern, »Mama darf dich ja nicht küssen, Mama ist krank.«

Das erregte Mädchen vermochte kaum mit Fassung die durchsichtige Hand zu küssen und ruhig hinauszugehen. Sie sank in ihrem Zimmer auf einen Sessel und barg die weinenden Augen in den Händen. Verwundert schaute das Kammermädchen sie an. Das sollte eine Braut sein? Eine reiche, glückliche Braut, die da so blaß und finster saß? Die Zofe bückte sich und nahm ein Kästchen auf, das eben achtlos von dem Schoß ihrer Dame geglitten, es war beim Fallen aufgesprungen und den überraschten Augen der Dienerin sprühte es buntfarbig entgegen, ein wunderbares Halsband aus Brillanten. Klaudine beachtete es nicht, sie fühlte nur eines, sie würde die Verstellung, welche nun beginnen sollte, nicht ertragen.

Gedankenlos kleidete sie sich endlich um. Da das Kleid von gestern verdorben war, war sie genötigt, ein schwarzes Spitzenkleid anzulegen, welches sie mit ein paar Rosen aufputzen wollte. Diese aber, farblos wie ihr Gesicht, machten das dunkle Kleid nicht freundlicher, ebensowenig wie die weiße Armbinde, welche sich grell von dem Schwarz des Anzugs abhob. So ging sie am Arme Lothars in die Gemächer der alten Herzogin, wo beide dann be einem Frühstück, zu dem das Brautpaar von Seiner Hoheit befohlen wurde, die Glückwünsche des kleinen Hofstaates entgegennahmen.

Am frühen Nachmittag fuhr Lothar mit ihr in seinem Wagen nach Neuhaus. Die ganze Dienerschaft des Gutes war auf der Freitreppe versammelt und rief dem jungen Paar ein schallendes Hurra! entgegen. Beate stand mit ausgebreiteten Armen, in der rechten Hand einen Rosenstrauß, auf der Schwelle, neben ihr die alte Dörte, welche die Kleine im weißen Kleidchen auf ihren Armen tanzen ließ. Über Beates großes, lachendes Gesicht liefen die hellen Freudentränen.

»Dina, Herzenskind«, rief sie, das Mädchen an sich ziehend, »wer hätte das gedacht!« Und sie riß das Kind von dem Arm seiner Wärterin: »Da hast du eine Mutter, du Wurm! Und was für eine!« jubelte sie.

Lothar wehrte der allzu lauten Freude mit einem Blick auf die stumme Klaudine.

»Sie kann Leonie ja nicht halten, Beate«, sagte er und gab das Kind der Wärterin zurück, um gleich darauf seine Braut in das nächste Zimmer zu führen. »Du quälst mir Klaudine heute nicht mit Fragen, sorgst jetzt für eine Erfrischung, Schwesterchen, und dann machst du mit uns eine Spazierfahrt nach Brötterode.«

»Aber, Lothar, da ist ja heute großes Konzert vor dem Kurhause.«

»Gerade deshalb, liebe Beate!«

Die Schwester ging kopfschüttelnd, ihre Befehle zu geben, und während sie sich rasch fertig machte, murmelte sie, ganz gegen ihre Gewohnheit, vor sich hin: »Ich denke, Brautleute sitzen immer am liebsten in einer einsamen Laube, und die, welche sonst von Natur nicht zu solchem Trara neigen, fahren am ersten Verlobungstage mittenhin unter die Lästermäuler!«

Sie begriff überhaupt heute noch nicht alles, ihr war noch von der geräuschvollen Abreise der durchlauchtigsten Damen ganz wirbelig zu Sinne, sie hatte auch in der vergangenen Nacht kein Auge zugetan. Als gestern abend spät Lothar mit der Prinzessin allein angefahren kam, stand ihr vor Schreck das Herz einen Augenblick still. Ihre Blicke hatten zwar nur flüchtig des Bruders Gesicht gestreift, aber sie hatte es doch gewußt, der ist Bräutigam! Es lag so ein eigener Glanz darauf. Und die Prinzessin lief so eilends die Stufen empor.

»Die berichtet der Frau Mama jetzt ihr Glück«, hatte sie sich gedacht. – Und da rief Lothar sie in sein Zimmer, und als sie hereinkam, lehnte er an seinem Gewehrschrank. »Schwester Beate«, sagte er, »ich habe mich verlobt.«

Sie hatte ihm die Hand gedrückt und ihn herzlich auf den Mund geküßt. »Ich gratuliere dir, Lothar.« »Und du freust dich gar nicht, Beate?«

»Lothar«, hatte sie gesagt, »man denkt immer, wenn ein Bruder heiratet, man müsse eine Schwester bekommen, aber —« und sie hatte gutmütig gelächelt, »du kannst dir doch unmöglich deine Beate neben der Prinzessin als Schwester vorstellen? Wir würden nebeneinander sein wie so ein gutes, braves Haushuhn und ein Goldfasan, gelt? Aber das ist Nebensache, wenn du nur glücklich wirst.«

»Ich habe die Absicht, es zu werden. Und wenn auch ein Schwan nicht besser passen mag zum Haushuhn als ein Goldfasan, so hoffe ich doch, daß sich diese beiden, ins Menschliche übertragen, ganz leidlich füreinander schicken werden. Ich habe mich nämlich mit Klaudine verlobt, du kluge Schwester.«

Mit Klaudine! Nun, da ließ sich ihrer Klugheit doch wahrlich nicht spotten, wenn man es so heimlich anfing! »Gott sei gedankt!« hatte sie gesagt, als sie sich von dieser Überraschung allmählich erholte. »Da setze dich hin und erzähle!«

Er hatte auch erzählt, alles mögliche – von der Operation und der Gefahr der Kranken, von Klaudines Mut und Opferwilligkeit – alles, nur nicht das, was sie hören wollte. Und sie hatte nicht weiter geforscht.

Nun holte sie ihren allermodernsten Hut hervor, und dachte, indem sie ihn aufsetzte, an die Abreise heute früh und an die schreckliche Szene in der Kinderstube. Die kleine Leonie lag nach dem Bade schlafend im Bettchen. Da war Ihre Durchlaucht Prinzeß Thekla erschienen, fix und fertig zur Abreise, hinter ihr Frau von Berg, und hatte nichts mehr und nichts weniger verlangt als das Kind! Die alte Dörte hatte sich darauf mit ausgebreiteten Armen vor das Bettchen gestellt und erklärt, das müßte der Herr ihr erst selbst sagen, daß die Kleine mit der Großmutter abreisen solle! Durchlaucht vergaßen sich aber in diesem Augenblick so weit, daß sie die alte Bäuerin höchst eigenhändig an die Seite zu schieben versuchten. Allein so ein derbes Weib steht fest an seinem Platz.

 

»Das mag Gott mir verzeihen«, hatte die Alte gesprochen, indem sie den fürstlichen Händen energisch wehrte, »daß ich so den Respekt vergesse gegen eine, die zu unserem durchlauchtigen Herzogshause gehört! Aber er wird mir verzeihen, ich tue meine Pflicht, ich lasse meinem Herrn nichts stehlen.«

»Einfältige Person«, hatte Frau von Berg gescholten, »wer will denn stehlen? Ihre Durchlaucht ist die Großmutter des Kindes.«

»Mein Herr mag’s mir selbst sagen!« war die Gegenrede gewesen.

»Ihr Herr ist ja nicht zu Hause, nehmen Sie Vernunft an!«

Aber auch das half nichts, Dörte hatte den Ellenbogen in die Seite gestemmt und war auf ihrem Posten geblieben. Plötzlich war es ihr gelungen, den altmodischen Glockenzug zu erwischen – manch ungeduldiges Läuten mochte von dort schon erklungen sein, aber so wie heute wohl noch nie.

Die Kinderstubenklingel war im ganzen Hause bekannt. In diesem Zimmer hatten der alte Herr und die Frau krank gelegen und waren hier gestorben – kein Wunder, daß alle Welt dachte, es sei ein Unglück geschehen, und daß Lothar, der eben von seinem morgendlichen Ritt in die Felder zurückgekommen war, allen voran den Flur entlang gejagt war, Beate hinter ihm drein, und daß von allen Seiten die Dienerschaft hinzustürzte.

»Was geht hier vor?« war seine erste Frage gewesen. Er schien seinen Augen nicht zu trauen, als er Ihre Durchlaucht erblickte, die sich beim Frühstück wegen ihrer Kopfschmerzen hatte entschuldigen lassen und die nun dort stand mit hochrotem Gesicht und mit gebieterischer Stimme sprach: »Ich wünsche meine Enkelin mit mir zu nehmen, und diese Person —«

»Ah! Durchlaucht glaubten, ich sei so versunken in mein Bräutigamsglück, daß ich die Stunde der Abreise vergessen würde? Oder vielmehr, Durchlaucht wollten mein Nachhausekommen nicht abwarten und mit einem früheren Zug abreisen? Deshalb die Wagen vor der Auffahrt? Und Durchlaucht wünschen die Enkelin mitzunehmen« – seine Stimme hatte geklungen wie fernes Wettergrollen – »ohne meine Erlaubnis vorher einzuholen? Mit welchem Rechte, wenn ich fragen darf?«

»Sie ist das Kind meiner Tochter!«

»Und das meine! Das Recht des Vaters dürfte doch wohl etwas über dem Recht der Großmutter stehen, Durchlaucht.«

»Nur auf wenige Monate, Gerald«, hatte die Prinzessin eingelenkt, die jetzt wohl zu der Einsicht kam, daß sie in ihrem Groll eine Torheit begangen hatte.

»Nicht auf eine Stunde!« rief er, und eine auffallende Blässe hatte sich auf sein Gesicht gelegt. »Dies Kind will ich bewahren vor dem Gifthauch, der da draußen weht und die reinsten Blüten aussucht, um sie zu verderben. Meine Tochter soll erzogen werden, wie es einst Sitte war im Hause meiner Vorfahren, einfach, natürlich und vornehm denkend. Und hier wird es geschehen, hier in Neuhaus, Durchlaucht, unter meiner und meiner künftigen Gattin eigener Aufsicht!« Und er hatte rasch die Vorhänge des Bettchens zurückgeschlagen, in dem die Kleine mit erschrockenen Augen lag. »Wenn Durchlaucht Abschied nehmen wollen?« – hatte er kühl hinzugesetzt.

Die Prinzessin war einen Augenblick zu der Wiege getreten, die Stirn des Kindes mit ihren Lippen berührend, und dann ohne ein weiteres Wort durch den Flur nach der Halle hinausgerauscht, wo Prinzeß Helene, mit der Hofdame und dem Kammerlierrn, der Mutter harrte. Die alte Durchlaucht war eingestiegen, mit dem verbindlichsten Lächeln auf den Lippen, Beate, die sich tief verbeugte, hatte aber doch kaum ein herablassendes Kopfneigen für ihre wochenlange Gastlichkeit bekommen. Lothar saß den Durchlauchten gegenüber, wie damals, als er sie holte. Als die Pferde anzogen, war aus zwei dunklen Mädchenaugen ein langer Blick über das alte Haus geglitten, so voll bitterer Enttäuschung, so voll schmerzlicher Reue, daß Beate trotz aller Erleichterung vor Mitleid das Herz geschwollen war. Arme, kleine, trotzige Prinzessin!

Beate ertappte sich darüber, daß sie da noch immer vor dem Spiegel stand und an den Hutbändern knüpfte. Sie seufzte tief auf. Gottlob, es war Friede im Hause! Dort oben wehte die kräftige Waldluft den letzten Hauch von dem durchdringenden Parfümgeruch aus dem Zimmer der Frau von Berg, und die Hausmädchen hatten längst die Scherben eines kostbaren Kristallglases fortgeräumt, das die alte Prinzessin in ihrem Jähzorn gegen den Kachelofen geschleudert hatte. Auf dem Rasenplatz wurden die Betten gelüftet. Morgen würde alles sein wie früher – gottlob!

»Verzeiht mir«, sprach sie mit heller Summe, als sie ein paar Minuten später in das Wohnzimmer trat, wo Klaudine durch das Fenster blickte, während Lothar gedankenvoll vor dem Bilde seines Vaters stand, um die ganze Zimmerlänge entfernt von seiner Braut. »Verzeiht, ich komme etwas spät. Man hat euch doch den Kaffee gebracht? Nun, ich wäre bereit zur Fahrt!«

Lothar ging erst jetzt gemessen auf seine Braut zu und bot ihr den Arm wie auf einem Hofball: »Eine Fahrt in der freien Luft wird Ihnen gut tun, Klaudine.«

Wie? Sie nannten sich nicht einmal »du!« Beate fing an, sich wirklich zu ärgern über diese förmlichen Menschen.

»Bitte, Lothar«, erwiderte Klaudine, »geben Sie Befehl, nach der Fahrt am Eulenhause zu halten. Ich sehne mich nach Ruhe – ich fühle mich noch matt.«

»Ja, natürlich! Wir müssen doch noch Joachim einen Brautbesuch machen«, war die Antwort.

Es war eine recht stille Fahrt. Als der Wagen den Abhang hinunterrollte dem Tale zu, aus dem die roten Dächer dss kleinen Badeortes schimmerten, lehnte sich Klaudine seufzend zurück. Auch das noch! Sie hatte es geahnt, er wollte sie zeigen – als seine Braut.

Von dem Kurhause schallten die Klänge eines Walzers herüber, als sie in die Allee einbogen. Auf dem freien Platze, in dessen Mitte der Musiktempel sich erhob, standen zahlreiche Tischchen, mit rot und weißen Decken belegt. Die ganze vornehme Kurgesellschaft saß dort plaudernd an einer riesigen Tafel, die der Oberkellner mit Argusaugen hütete, damit ja kein Unwürdiger sich an ihr niederlasse.

Heute war keiner der Sitze leer, und die Unterhaltung, so lebhaft wie lange nicht, betraf die gestrigen Ereignisse in Altenstein. Die Mär von der Ungnade der Herzoginmutter gegen ihren früheren Liebling war auf aller Lippen, natürlich entstellt, nicht zum Wiedererkennen vergrößert und verschlimmert. Nach der einen Lesart sollte die alte Herzogin Klaudine geboten haben, sofort das Schloß zu verlassen, die andere wußte von zurückgezogener Pension, ein dritter behauptete, die schöne Gerold habe es zu erzwingen gewußt, daß sie noch bei Tafel erscheinen durfte, und betont, daß der Herzog der Regierende und der allein Befehlende sei.

Oh, unglaublich! Und dazu der Blutsturz der Herzogin! Die arme Frau, die arme Frau! Vor Kummer und Aufregung natürlich!

Dem Herzog konnte man ja schließlich das Abenteuer nicht einmal übelnehmen, wenn Klaudine so leichtsinnig war. Man zuckte die Achseln und lächelte über die arme, betrogene Frau, die geglaubt hatte, eine Freundin an ihr zu besitzen.

»Oh, schauderhaft!« klagte eine ältere Baronin. »Wie es wohl herausgekommen ist?«

»Wie nur Baron Gerold diese Sache auffaßt? Er sah aus wie eine Leiche, als die alte Herzogin die Gerold so abfallen ließ.«

Ein Gewirr von Stimmen erhob sich auf diese Worte. Aber auf einmal ward es still, irgendwer hatte gesagt: »Das ist ja der Neuhäuser Wagen!«

Man gab sich den Anschein, als ob man über irgend etwas anderes angelegentlich spräche. Die Damen wandten sich zu einander und bewegten die Fächer, aber aller Augen waren dorthin gerichtet, wo das Gefährt sich näherte. Die schönen Rappen vor dem Wagen tänzelten unter den Klängen des Walzers daher, Kutscher und Diener auf dem Bock leuchteten in tadellosen blaugelben Livreen, und da im Rücksitz?