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Im Hause des Kommerzienrates

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Der jähe Umschwung in Doktor Brucks Karriere wurde noch immer wie ein Wunder angestaunt. Dass der zuvor kaum noch mitleidig über die Achsel angesehene, so hart verurteilte und verfemte junge Arzt plötzlich als fürstlicher Hofrat durch die Straßen der Residenz schritt, konnte mancher nur schwer begreifen. Der Mann wuchs nun in den Augen des Publikums und der gesamten Hofgesellschaft himmelhoch, und weil er durch seine Übersiedelung nach L…..g für die Zukunft unerreichbar wurde, so wollte jeder Leidende womöglich noch von ihm hergestellt sein. So kam es, dass Doktor Bruck auf einmal mit einer kaum zu bewältigenden Praxis förmlich überbürdet war. Sein angefangenes Manuskript blieb unberührt auf dem Schreibtisch liegen; er schlief in der Stadtwohnung, aß meist eilig im Hotel, das angebotene Couvert im Hause des Kommerzienrates konsequent ablehnend, und musste die flüchtige Besuchszeit in der Villa und bei der Tante Diakonus, wie er sich ausdrückte, seinen Patienten abstehlen.

Käthe sah ihn nicht oft, und deshalb fiel es ihr umso mehr auf, wie sehr er sich verändert habe – jedenfalls in Folge der Anstrengung, meinte sie. Er sah bleich und ermüdet aus, und sein früher wohl zurückhaltendes, nachdenklich stilles, aber überaus mildes Wesen war einer finsteren Verschlossenheit gewichen. Mit Käthe hatte er seit jenem Moment, wo sie ihn, von Floras Armen umstrickt, im Flur überrascht hatte, kaum zwei Worte gewechselt, und zwar in so scheuer, schnell abbrechender Weise, dass sie sich nicht verhehlen konnte, er zürne ihr ihres damaligen unwillkommenen Erscheinens wegen. Sie ging ihm deshalb auch verletzt, mit einem Gemisch von Trotz und Verlegenheit aus dem Wege, wo sie nur konnte.

In seinem Verhalten zu Flora dagegen war nicht die leiseste Wandlung eingetreten; er war genau ein so ernster, würdevoller Bräutigam, wie an dem Tage, wo Käthe die Verlobten zum ersten Male zusammen gesehen. Sie musste manchmal denken, der ganze entsetzliche Auftritt im Fremdenzimmer der Tante Diakonus sei entweder ein toller Spuk ihrer eigenen Phantasie gewesen, oder Doktor Bruck müsse vergessen und unliebsame Erinnerungen in seinem Gedächtnisse so spurlos auslöschen können, wie selten ein Mensch. Flora mochte freilich erwartet haben, dass mit ihrer Bitte um Verzeihung, mit ihrer offen an den Tag gelegten Reue sofort wieder jenes schöne, innige Verhältnis eintreten werde, wie es zu Anfang ihrer Brautschaft bestanden. Musste er nicht, bei seiner unzerstörbaren Leidenschaft für sie, namenlos glücklich sein, sie nun unwiderruflich besitzen zu dürfen? Vielleicht barg er tief innen dieses Glück, aber zeigte es nur nicht, und seine schöne Braut tröstete sich mit dem Gedanken, dass ein Mann wie Bruck allerdings nicht so rasch versöhnlich sein dürfe; wusste sie doch, dass mit der Hochzeit, die nunmehr für den September festgesetzt worden war, alles anders werden müsse.

Mittlerweile war der 20. Mai, Floras Geburtstag, herangekommen. Auf allen Tischen ihres Zimmers dufteten Blumen, welche die guten Freundinnen herkömmlicher Weise gebracht hatten. Auch die Fürstin hatte der Braut des Hofrats, welcher mit Gnadenbeweisen förmlich überschüttet wurde, ein prachtvolles Bouquet geschickt, und von den »stolzesten Granden« des Hofes waren Glückwünsche in der schmeichelhaftesten Form eingelaufen. Ja, es war ein Tag des Triumphes für die schöne Braut, ein Tag, an welchem sie wieder einmal so recht bestärkt wurde in ihrer felsenfesten Überzeugung, dass sie wirklich ein Liebling der Götter, eine für einen auserwählten Lebensweg Geborene sei.

Und doch lag ein leichter Schatten auf ihrer Stirn, und sie runzelte öfter ungeduldig und ärgerlich die Brauen. Auf dem Tische inmitten des Zimmers, zwischen den Gaben der Großmama und der Schwestern, stand eine hübsche Tischuhr von schwarzem Marmor; Doktor Bruck hatte sie am frühen Morgen mit einem begleitenden Glückwunschbillett geschickt und sich für die Vormittagsstunden wegen seines Nichterscheinens entschuldigt, da er einen Schwerkranken vorläufig nicht verlassen dürfe.

»Ich begreife Leo nicht, dass er nichts Hübscheres für mich zu finden gewusst hat, als das steinerne Unding da«, sagte sie, verdrießlich auf die Uhr zeigend, zu der Präsidentin, die das Bouquet der Fürstin aus der Vase genommen hatte und unablässig daran roch, als müsse es einen ganz besonderen Duft ausströmen. »Ein schwarzes Geburtstagsgeschenk gibt man doch nicht gern; ich für meinen Teil finde es zum Mindesten geschmacklos.«

»Die Uhr ist vollkommen passend, gerade in Deinem Geschmacke gewählt, Flora; sie soll jedenfalls das wunderlich tiefsinnige Arrangement dieses Zimmers vervollständigen«, sagte Henriette. Sie lag auf dem roten Ruhebette und streifte mit einem spöttischen Blicke die schwarzen Säulenstücke in den vier Zimmerecken.

»Unsinn! Du weißt so gut wie ich, dass ich diese Einrichtung nicht mitnehmen kann. Moritz hat das Zimmer nach meiner speziellen Angabe eingerichtet, wie es ist, aber geschenkt hat er mir meines Wissens weder Möbel noch Ausschmückung. Ich möchte den Kram auch um alles nicht mitschleppen; man sieht sich ebenso satt und müde an einer stereotypen Zimmereinrichtung, wie an einer oft getragenen Toilette. Was in aller Welt soll ich nun mit der schwarzen Figur da in meinem L…..ger Boudoir anfangen, das lila dekoriert und mit Bronzegerät geschmückt sein wird?«

»Ein frisches Bouquet wäre mir auch lieber gewesen, aber Du bist ja nicht sentimental, Flora«, meinte Henriette, nicht ohne einen boshaften Anflug in der Stimme. Käthe aber, heute zum ersten Male schneeweiß gekleidet, stand neben einem herrlich entwickelten Myrtenbaume, welchen die Tante Diakonus selbst gezogen und herübergeschickt hatte, und ließ die Hand mit einem wehmütigen Lächeln wie schmeichelnd über die feinblättrigen, biegsamen Zweige gleiten. niemand beachtete das selten schöne Geschenk, dessen Hingabe jedenfalls ein schweres inneres Opfer gekostet hatte.

Nach Tische hielt man sich im Balkon- und Empfangszimmer auf, weil immer noch Gratulanten kamen und gingen. Sämtliche Türen der Zimmerreihe waren zurückgeschlagen; es war ein herrlicher Aufenthalt, dieses untere Stockwerk. Durch das vergoldete Bronzegitter des Balkons zogen weiche Lüfte, die den Duft vom jungen Lindenlaube der Allee und aus den halboffenen Blütenknospen der Boscage herübertrugen, und in die hohen Fenster fiel das goldene Maienlicht; nur dem dunkelpurpurnen Zimmer vermochte es keinen Reflex abzulocken, das sah grämlich und kalt aus wie immer, und dem weichen Gefühle musste der aufgehäufte Reichtum lebender Blumen zwischen diesen vier Wänden geradezu grausam erscheinen.

Henriette lag in einem Schaukelstuhle, der offenen Balkontür gegenüber. Sie hatte auch gern »maienhaft wie Käthe« aussehen wollen und ihr hageres Figürchen in eine ganze Wolke weißer Mullgarnierungen gesteckt, aber fröstelnd hüllte sie den Oberkörper in einen weichen Schal von gesticktem Crêpe de Chine, und darüber her wogte aufgelöst ihr reiches, blondes Haar, das sie seit dem letzten schweren Leidensanfalle nicht mehr aufnestelte. So still liegend und vom halbgedämpften Sonnenlichte überspielt, mit den weitoffenen, blauglänzenden und schwarzbewimperten Augen, der kalkweißen Haut, die nur in der Nähe der zarten Schläfen ein fieberhaft roter Anhauch betupfte, sah sie heute aus wie ein Wachspüppchen. Sie hatte Käthe an den Flügel im Musiksalon geschickt und wartete nun mit in den Schoß gefalteten Händen auf den Anfang des Schubert’schen Liedes »Lob der Tränen«. Da verdunkelten sich plötzlich die Fieberflecken auf dem schmalen Gesichtchen zum tiefsten Karmin, und die verschränkten Hände fuhren unwillkürlich nach dem Herzen – Doktor Bruck trat in den Salon.

Flora flog ihm entgegen und hing sich an seinen Arm. Sie ließ ihm kaum Zeit, die anderen zu begrüßen, und zog ihn in ihr Zimmer, damit er ihre Geburtstagsgeschenke ansehe. Die schöne Dame, die so lange ihrem ganzen Tun und Lassen den Stempel der Gelehrsamkeit, der ernstgrübelnden Forschung aufzudrücken verstanden, zeigte heute, an ihrem neunundzwanzigsten Geburtstage, die naive Grazie einer Sechzehnjährigen, und in dieser Wandlung war sie mit ihrem lieblich belebten Gesicht und dem weichen Spiel der schlanken, biegsamen Glieder auch wirklich jugendlich reizend.

Käthe stand am Notenschrank und suchte nach dem begehrten Lied, als das Brautpaar hinter ihr weg nach Floras Zimmer schritt; sie sah sich nur flüchtig um, wobei sie einen halbverlegenen Gruß vom Doktor erhielt, und suchte dann um so emsiger.

»Sieh, Leo, mit dem heutigen Tage schließe ich die Vergangenheit ab, in der ich so schwer geirrt und mich nahezu um mein Lebensglück gebracht hätte«, sagte Flora drüben mit unwiderstehlich süßer Stimme, während Käthe einen dicken Notenstoß aus dem Schranke hob. »Ich will die Erinnerung an jenen schlimmen Abend nicht wieder wachrufen, wo ich alle Herrschaft über mich verloren und in der Aufregung und Gereiztheit Aussprüche getan habe, um die meine Seele, mein Herz selbst nicht wussten, aber um der Wahrheit willen, und weil ich mir doch das selbst schuldig bin, muss ich Dir sagen, dass auch Du damals geirrt hast, was Dein absprechendes Urteil betrifft. Es war nicht der Trieb, mich hervorzutun, der mich der Schriftstellerei zugeführt hat, sondern in der Tat die Begabung – deutlich gesagt – der Genius. Frage mich nicht weiter! Ich kann Dir nur versichern, dass ich meinen Weg gemacht haben würde, und zwar durch mein Werk ›Die Frauen‹, das Du ja nicht kennst. Es ist nach Aussprüchen von kompetenter Seite wohl geeignet, meinen Namen rühmend in alle Welt hinauszutragen, aber wie könnte es mir jetzt wohl noch einfallen, an Deiner Seite meinen eigenen Weg zu gehen und meine speziellen Fähigkeiten geltend machen zu wollen? Nein, Leo, ich werde mich einzig und allein in Deinem Ruhme sonnen, wie es der Frau ziemt, und damit mir auch in Zukunft die Versuchung nie wieder nahetritt, müssen diese Blätter, das Resultat emsigen Studiums und des poetischen Quells, der nun einmal in meiner Seele quillt und sprudelt, aus der Welt verschwinden.«

 

Käthe umschritt in diesem Augenblick, das endlich gefundene Notenblatt in der Hand, den Flügel. Sie sah, wie Flora das Manuskript mit einigen Streichhölzchen entzündete und es auflodernd in den Kamin warf. Die schöne Braut wandte dabei den Kopf nach der Fensterseite zurück, wo jedenfalls der Doktor stand; vielleicht wünschte sie, er möchte den Versuch machen, sie in ihrem Beginnen zu hindern, allein kein Schritt wurde hörbar; keine rettende Hand streckte sich aus, um das »kostbare« Brennmaterial den Flammen zu entreißen. Der Brandgeruch, den der Frühlingswind in das Zimmer zurücktrieb, wehte in den Musiksalon, und während Flora mit fest eingeklemmter Unterlippe und seltsam glimmenden Augen vom Kamin zurücktrat, nahm Käthe hastig den Platz am Flügel ein und begann sofort die Liszt’sche Phantasie über das »Lob der Tränen«.

Käthe wollte Brucks Antwort nicht hören, denn es war ihr schrecklich, stets unfreiwillige Zeugin der Szenen zwischen den Verlobten zu sein – Bruck musste sie zuletzt hassen. Aber sie war namenlos empört über die abermalige Komödie, die sich eben wieder vor ihren Augen abgespielt. Das abgegriffene, wandermüde Manuskript, das aus seinen »Zickzackwegen durch die Welt« von kompetenter Seite wiederholt als nicht brauchbar zurückgeschickt worden war, es hatte die Rolle eines tränenwerten Opfers spielen müssen, das die Seelengröße, die hehre Selbstüberwindung eines hochbegabten, sich und ihren Genius verleugnenden Weibes dem strengen Herrn und Gebieter brachte.

Es wurde drüben gesprochen. Käthe hörte durch die Melodie, welche ihre Hände energischer als sonst den Tasten entlockten, die ernste, unbewegte Stimme des Doktors, aber sie verstand zu ihrer eigenen Beruhigung kein Wort, und als sie schloss, da kam auch Flora schon wieder herüber, um in das Balkonzimmer zurückzukehren. Diesmal hing sie nicht an Brucks Arm; sie hielt das Bouquet der Fürstin in der Hand und ging neben dem Doktor her, verdrossen wie ein gescholtenes Kind, das aber nicht zu widersprechen wagt – Flora hatte ihren Herrn und Meister gefunden. … Ein zorniger Seitenblick streifte die am Flügel sitzende Schwester, die eben die Hände von den Tasten sinken ließ. »Gott sei Dank, dass Du fertig bist, Käthe!« sagte sie stehen bleibend. »Du lärmst ja auf dem Instrument, dass man sein eigenes Wort nicht versteht. Schau, Deine eigenen Sachen spielst Du ja ganz nett – das sind eben harmlose Kindermelodien ohne alle Tiefe – an Schubert und Liszt aber solltest Du Dich nicht wagen; dazu fehlt Dir das Verständnis und vor allem die Fertigkeit.«

»Henriette hat die Pièce zu hören gewünscht«, entgegnete Käthe gelassen und schloss den Flügel. »Für eine fertige Klavierspielerin habe ich mich nie ausgegeben –«

»Nein, Herzenskäthe, das hast Du niemals getan, bist auch keine Virtuosin, die Bockssprünge mit ihren Fingern macht«, fiel Henriette ein; sie stand plötzlich, wie hingeweht, auf der Schwelle des Musiksalons, »aber das Mädchengemüt möchte ich kennen, das Schubert inniger aufzusagen vermöchte, als Du – oder meint Schwester Flora, die Tränen, die einem dabei in die Augen treten, weine und heuchle man aus purer Gefälligkeit?«

»Kranke Nerven, Kindchen – weiter nichts!« lachte Flora und folgte dem Doktor in den Salon, von wo die Präsidentin ihn gerufen hatte.

Die alte Dame saß drüben mit etwas echauffiertem Gesicht, in der einen Hand die Lorgnette, in der anderen einen Brief, den ein Bedienter eben gebracht hatte. »Ach, liebster, bester Hofrat«, – sie gebrauchte diesen Titel, so oft er sich anbringen ließ; denn er schmeichelte ihrem Ohre trotz alledem und alledem – »da schreibt mir eben meine Freundin, die Baronin Steiner, dass sie in den nächsten Tagen hierherkommen will, um Rat und Hilfe bei Ihnen zu suchen. Sie ist ganz trostlos über ihren kleinen Enkel, den Stammhalter der alten Familie von Brandau – der Junge hinkt seit einiger Zeit ein wenig, und die tüchtigsten Ärzte tappen im Dunkeln über den Ursprung des Leidens. Wollen Sie das Kind untersuchen und in Behandlung nehmen?«

»Sehr gern, vorausgesetzt, dass die Dame nicht allzu große Ansprüche an meine Zeit macht.« Er kannte schon diese hocharistokratisch sich gebärdenden Damen, die gar zu gern »warten lassen« und einen angehenden Schnupfen wie eine Todeskrankheit respektiert sehen wollen.

Die Präsidentin war sichtlich verletzt durch die gleichgültige Art und Weise, mit welcher ihre Bitte aufgenommen wurde; sie antwortete nicht.

»Die Baronin ist sehr pikiert über meinen neulichen Absagebrief«, wandte sie sich an Flora, »der Zettel da« – sie tippte mit der Lorgnette auf das Briefblatt – »strotzt von Anzüglichkeiten, und wenn nicht Sorge und Angst an sie heranträten, würde sie mir wohl nie wieder geschrieben haben; wie mich das schmerzt, kann ich kaum sagen. Sie will nun im ersten besten Hotel wohnen, von wo aus unser Hofrat am ersten zu erreichen ist, und bittet mich wenigstens um die Gefälligkeit, ihr eine Wohnung von fünf Zimmern auszumachen.« Jetzt zuckte ein wahrhaft vernichtender Blick unter den breiten Lidern hervor nach dem jungen Mädchen im weißen Kleide, das ihr gegenüber hinter einem Stuhle stand und, die Hände auf die Lehne desselben gelegt, mit niedergeschlagenen Augen den Verhandlungen zuhörte, wobei abwechselnd Erröten und Blasswerden über das liebliche Gesicht hinflogen – war doch jedes Wort ein Vorwurf für sie.

»Mein Gott, es ließe sich ja schließlich in der Beletage einrichten, wenn die gute Steiner nicht à tout prix fünf Zimmer haben müsste«, fuhr die Präsidentin fort. »Aber sie braucht doch notwendig einen Salon für sich und ihre Tochter Marie, ein Wohnzimmer für den kleinen Job von Brandau und seine Gouvernante, und allermindestens drei Schlafzimmer – die Jungfer kommt ja auch mit.« Sie stützte sorgenschwer und tief verstimmt den Kopf in die Hand.

»Das will alles in allem sagen, dass Käthe für die Besuchszeit dieser wildfremden und anmaßenden Frau Baronin im Wege ist«, fuhr Henriette scharf und zornig heraus.

»Ich habe mich bereits erboten, in die Mühle zu gehen«, sagte die junge Schwester ohne eine Spur von Empfindlichkeit und strich beschwichtigend mit der Hand über Henriettens Haar.

»O nein, da weiß ich etwas Besseres, Käthe – wenn Du denn einmal weichen musst«, rief die Kranke mit aufleuchtenden Augen. »Wir bitten die Tante Diakonus um das liebe, traute Fremdenzimmer für Dich; ich weiß, sie wird ganz glücklich sein, Dich drüben zu haben, denn Du bist ja ihr Augapfel. … Dein Flügel wird hinübergeschafft, und da darf ich dann auch kommen, so oft ich will« – sie verstummte plötzlich mit einem Blicke auf den Doktor. Dieser hatte sich zuerst abgewendet und durch das Fenster gesehen, und jetzt kehrte er ihr das tiefverfinsterte Gesicht zu, und das, was sie aus seinen Augen ansprühte, war heftiger, zürnender Widerspruch; sie traute ihren Sinnen kaum – er war gar nicht mehr er selbst.

»Ich finde es praktischer und schlage deshalb vor, dass der Knabe mit seiner Erzieherin in meinem Hause einquartiert wird«, sagte er kalt und gezwungen.

Die Präsidentin rückte und zupfte verlegen an der Schleierwolke unter ihrem Kinn, auch konnte sie ein flüchtiges, ironisches Lächeln kaum unterdrücken. »Das wird sich schwerlich arrangieren lassen, bester Hofrat«, versetzte sie. »Meine alte Freundin wird sich um keinen Preis von Job trennen wollen, und dann – Sie haben keinen Begriff davon, wie entsetzlich verwöhnt der Junge ist. Unser kleiner, lieber Erbprinz ist nicht so exquisit logiert, wie dieser einzige und letzte Spross der Brandaus; das dürre, hässliche Kerlchen schläft unter Atlasdecken und seidensamtenen Vorhängen. Mein Gott ja, die Familie kann das, und findet solch eine luxuriöse Umgebung selbstverständlich. Unsereins kommt aber in Verlegenheit, wenn es gilt, sie zu logieren.«

»Und weshalb ziehst Du es vor, das kleine Scheusälchen – dieser gefeierte letzte Spross der Brandau ist nämlich der ungezogenste, nichtsnutzigste Bengel, den die Welt hat – der armen Tante Diakonus ins Haus zu bringen, Leo?« fragte Henriette heftig und gereizt den Doktor; sie war urplötzlich in jene krankhafte Aufregung verfallen, welche sie öfter Dinge sagen ließ, die sie nachher bitter bereute. »Was hat Dir denn Käthe getan? Ich sehe es längst mit Ingrimm, wie ungerecht und vorurteilsvoll Du gegen sie bist, ist sie Dir nicht vornehm genug, weil der Schlossmüller ihr Großvater war? Nie fällt es Dir ein, sie auch nur anzureden, und das ist doch geradezu lächerlich, denn sie ist und bleibt Floras Schwester, so gut wie ich. Unter uns allen waltet das trauliche ›Du‹ – nur sie ist die Ausgestoßene.«

»Mein lieber Schatz, dieses ›Du‹ ist mir längst ein Dorn im Auge, und wenn es auf mich allein ankäme, dann dürftest Du es so wenig gebrauchen, wie Käthe auch«, fiel Flora ein. »Aufrichtig gestanden, ich gönne keiner anderen auch nur das Jota von einem Vorrechte, das mir allein zusteht. In Bezug auf Dich will ich Gnade für Recht ergehen lassen – mag es dabei bleiben, von Käthes Seite aber würde ich mir eine solche Vertraulichkeit zu Leo ganz ernstlich und energisch verbitten.« Sie schlang ihren Arm um die Schulter des Doktors und schmiegte sich mit einem zärtlichen Aufblicke eng an seine hohe Gestalt.

Machte es diese Berührung in Gegenwart der anderen, oder war er innerlich so bestürzt und empört über Henriettens rücksichtslose Vorwürfe – der Doktor fuhr empor, als halte ihn eine Schlange und nicht ein schöner, weicher Mädchenarm umschlungen, und sein Gesicht war weiß und blutlos wie der Tod.

Käthe wandte sich ab und wollte das Zimmer verlassen – sie hätte laut aufweinen mögen, so entsetzlich wehe hatte man ihr getan, aber sie verbiss standhaft die Qual und bemühte sich, ihre äußere Haltung zu behaupten; da wurde die Tür geöffnet, auf die sie zuschritt, und der Kommerzienrat trat herein. Wunderlich, sie vergaß in diesem Augenblicke völlig die Abneigung, die sich ihr während der letzten Zeit in das Herz geschlichen; sie dachte nur daran, dass er ihr Vormund sei, Vaterstelle bei ihr vertreten und sie schützen müsse, und in Folge dieses Antriebes trat sie neben ihn und legte die Hand auf seinen Arm.

Er sah sie überrascht, aber froh lächelnd an und drückte ihre Hand unter schalkhaftem Augenblinzeln mit seinem Arme fest an das Herz. Die Hände hatte er nicht frei; er trug eine kleine Kiste, die er auf den Tisch stellte, hinter welchem die Präsidentin saß. Sein Eintreten unterbrach eine unsäglich peinliche Szene und Henriette, die sie herbeigeführt, hätte ihm jetzt um den Hals fallen mögen für den heiteren, frohmütigen Ton, den er in seiner Unbefangenheit anschlug.

»Nun bin ich getröstet; da ist endlich mein Angebinde für Dich eingetroffen, Flörchen«, sagte er. »Mein Berliner Agent entschuldigt sein Zögern mit der Umständlichkeit der Fabrikanten.« Er lüftete den Deckel. »Apropos, ich habe auch noch eine Geburtstagsfreude für Dich«, unterbrach er sich in leichtfertig scherzendem Tone. »Eben sagt man mir, dass Du gerächt bist; heute Morgen ist die Hauptheldin des Attentates im Stadtforste, die mit den gefahrdrohenden Nägeln, verurteilt und ihr eine ganz bedeutende Gefängnisstrafe zuerkannt worden; die anderen, entweder noch sehr jung oder zu der Missetat von der Anstifterin verführt, wie sich herausgestellt hat, sind meist mit einem blauen Auge davongekommen.«

»Ich will nicht hoffen, dass Flora diese Nachricht wirklich als Geburtstagsfreude aufnimmt«, rief Henriette. »Allerdings, Strafe muss sein, und der großen, wilden Megäre kann es nicht schaden, wenn sie durch Stillsitzen ein wenig zahm gemacht wird, allein für uns selbst hat in jenem entsetzlichen Auftritt etwas so namenlos Beschämendes und Niederschlagendes gelegen – es ist schrecklich, sich so verhasst und verwünscht zu wissen, und die Verhassteste von uns allen ist Flora – dass Du besser getan hättest, Moritz, gerade heute darüber zu schweigen.«

»Meinst Du?« lachte Flora. »Moritz kennt mich besser; er weiß, dass ich hoch über der sogenannten Volksstimme stehe und, um populär zu werden, nie einen Finger rühre. Und Du hast früher nicht anders gedacht, Henriette. Ich möchte wissen, was Du noch vor acht Monaten gesagt haben würdest, wenn irgendjemand die Volksinteressen in unseren Salons betont und vertreten hätte – das waren Dir ›böhmische Dörfer‹. Aber seit Käthe da ist, sind diese Fragen in unserer Beletage so über alle Gebühr an der Tagesordnung, dass einem Angst und bange wird vor so viel spartanischer Tugend und unfehlbarer Mädchenweisheit. Es sollte mich sehr wundern, wenn unsere Jüngste nicht bereits in ihrem Kochbuch Braten und Suppen aufgeschlagen hätte, die notwendig sind, um die Büßende bei Kräften zu erhalten.«

»Das nicht«, entgegnete Käthe mutig und ernsthaft in das vor Spott und Sarkasmus zuckende schöne Gesicht der impertinenten Schwester hinein; »aber nach ihren Familienverhältnissen habe ich mich erkundigt – sie hat vier kleine Kinder, und ihr unverheirateter Bruder, der in Moritzens Spinnerei beschäftigt war und für die halbverwaiste Kleine mitgesorgt hat, liegt schon längere Zeit krank danieder. Es versteht sich von selbst, dass diese fünf hilflosen Menschen unter der notwendigen Strafe nicht mitleiden dürfen, und da will ich lieber gleich sagen, dass ich die Verpflegung in die Hand genommen habe, bis die zwei Versorger wieder arbeitsfähig sind.«

 

Der Kommerzienrat fuhr herum – er schien denn doch einen Widerspruch auf den Lippen zu haben. »Ja, Moritz«, sagte das junge Mädchen rasch mit einem ausdrucksvollen Blick, »das sind so Momente, wo mir vor dem Geldschrank meines Großvaters weniger graut.«

Die Präsidentin rückte ungeduldig auf ihrem Lehnstuhl hin und her – diese krasse Sentimentalität ging ihr über den Spaß. »Das sind ja recht hübsche Eröffnungen! Wie wunderlich und verdreht sich doch solch ein Kindskopf die Welt malt! In gefährlichere Hände kann der Reichtum gar nicht kommen.« rief sie tiefgeärgert. »Ja, nicht wahr, bester Bruck, da stehen Sie nun auch und sehen sich nachdenklich die Hand an, die sich so hilfsbedürftig an Moritzens Arm anklammert und dabei doch so willkürlich und eigenmächtig das Geld zum Fenster hinauswirft, das er mit mehr Strenge verwalten sollte?«

Käthe zog augenblicklich die Hand zurück. Sie sah noch, wie die Augen des Doktors unverwandt und finster auf ihren Fingerspitzen hafteten und dann erschrocken über die gegenüberliegende Wand hinstreiften.

»Ach, Großmama, ein Blick der Missbilligung ist das ganz sicher nicht gewesen«, rief Flora scharf; sie trat mit einer ungestümen Gebärde ein wenig zurück und beobachtete argwöhnisch den Farbenwechsel auf dem schönen Gesichte des Verlobten. »Bruck war ja selbst immer so eine Art Enthusiast für das sogenannte Volkswohl –«

»Aber jetzt doch nicht mehr, mein Kind – jetzt, wo er bei Hofe verkehrt und die Gnade des Fürsten besitzt, wie kaum ein anderer?«

»Und weshalb sollte ich diesem Verkehre meine Grundsätze unterordnen?« fragte der Doktor anscheinend ruhig, allein seine Stimme klang unsicher und bewegt, als habe er noch mit inneren Stürmen zu kämpfen.

»Mein Gott, Sie werden doch nicht mit diesen Umsturzmenschen, diesen Sozialdemokraten, gehen wollen?« rief die Präsidentin ganz bestürzt und alteriert.

»Ich glaube, schon einige Male ausgesprochen zu haben, dass ich gar keiner dieser heftig streitenden Parteien angehöre, eben aus Humanität. Ich bemühe mich, den klaren Überblick zu behalten, den der Parteihass stets trübt und welcher doch so notwendig ist, wenn man zum wahren Menschenwohle wirken will.«

Währenddem hatte der Kommerzienrat geschäftig die Kiste ausgepackt. Ihm war es stets höchst fatal, wenn das Gespräch auf ein Gebiet hinüberspielte, wo die Meinungsdifferenzen ihm das häusliche Behagen, wenn auch nur für einen Moment, störten. Er entfaltete maisgelben Atlas und veilchenfarbenen Seidensammet. »Zwei Toiletten zu Deinem ersten Debüt als Frau Professorin auf dem Balle und in der Soiree«, sagte er unmittelbar nach Brucks Ausspruche zu Flora.

Er hatte seinen Zweck erreicht – der Glanz, den er hinbreitete, war zu verführerisch für Damenaugen; selbst Henriette vergaß momentan ihren Groll, als auch noch elegante Fächer und Kartons mit Pariser Blumen und Federn das reiche Geburtstagsgeschenk vervollständigten. Aber noch war der Inhalt der Kiste nicht erschöpft. »Die anderen Damen meines Hauses dürfen nicht leer ausgehen, umso weniger, als ich einstweilen eine Reise nicht in Aussicht und mithin für die nächste Zeit nicht die Gelegenheit habe, Etwas mitbringen zu dürfen«, fuhr der Kommerzienrat fort.

Die Präsidentin nahm mit süßem Lächeln einen kostbaren Spitzenschal in Empfang, und Henriette erhielt eine weiße Taffetrobe, in Käthes widerstrebende Hand aber drückte der Kommerzienrat mit einem eigentümlich verständnisvollen, vielsagenden Blicke ein ziemlich umfangreiches Etui.

Dieser eine Blick rief blitzschnell in der Seele des jungen Mädchens einen wahren Sturm der widerwärtigen Empfindungen wach, die sie in der letzten Zeit zu ihrem eigenen Befremden so sehr gegen den Schwager und Vormund eingenommen. Nein, und abermals nein! So seltsam feurig und so innig vertraut, als gelte es ein Geheimnis, um das nur sie beide wüssten, durfte und sollte er sie nicht anblicken – sie wollte sich das ein- für allemal verbitten. Scham, Abneigung und der fast unbezwingliche Drang, ihren Widerwillen gleich jetzt, vor aller Ohren, unverhohlen auszusprechen, das alles kämpfte in ihr und mochte sich wohl auf ihrem Gesicht spiegeln, wenn es auch missverstanden wurde.

»Nun, Käthe, ist es Dir so etwas Neues, beschenkt zu werden?« fragte Flora. »Was hat Dir denn Moritz zugesteckt? Einmal müssen wir es doch erfahren, das süße Geheimnis – gib nur her, Kind!« – Sie fing das Etui auf, das eben im Begriff war, auf die Erde zu fallen, und drückte auf die Feder. Ein blassrotes Feuer entströmte den Steinen, die, als Halsband aneinandergereiht, auf schwarzem Sammet lagen.

Die Präsidentin nahm die Lorgnette vor die Augen. »Superbe gefasst! Eigentlich zu künstlerisch, zu antik für die Imitation, wenn sie auch modern und selbst von hochgestellten Damen augenblicklich sanktioniert wird. … Der Glasfluss ist merkwürdig rein und feurig.« Sie blinzelte angestrengt hinüber und streckte nachlässig die Hand aus, um sich das Etui zur näheren Besichtigung auszubitten.

»Glasfluss?« wiederholte der Kommerzienrat beleidigt. »Aber, Großmama, wie können Sie mich denn für so entsetzlich unnobel halten? Ist denn auch nur ein Faden hier unecht?« – Er fuhr mit der Hand durch die knisternden Stoffe. »Ich kaufe grundsätzlich nie Imitation – das sollten Sie doch aus Erfahrung wissen.«

Die Präsidentin biss sich auf die Lippen. »Das weiß ich, Moritz – ich bin nur ganz konsterniert der Tatsache gegenüber; das sind Rubinen-Exemplare, wie sie, meines Wissens, unsere liebe Fürstin nicht einmal aufzuweisen hat.«

»Dann tut mir der Fürst leid, dass ihm die Mittel dazu fehlen«, rief der Kommerzienrat unter übermütigem Lachen. »Übrigens müsste ich mich schämen, gerade Käthe etwas Wertloses zu schenken, Käthe, dem Goldkind, das in zwei Jahren aus dem eigenen Besitze jedes beliebige Kapital entnehmen und sich Juwelen anschaffen kann, so viel sie Lust hat. Wie würde sie dann die Imitation als eine Beleidigung verächtlich in die Ecke werfen!«

»Ich glaube das selbst«, fiel die Präsidentin mit kühler Ironie ein; »Käthe hat eine merkwürdige Passion für alles Schwere, in welchem recht viel Geld steckt – das beweisen ihre ewigen Taffettoiletten. Aber, mein Kind« – sie heftete die Augen scharf auf das junge Mädchen, das die bebenden Hände wieder auf der Stuhllehne gefaltet und keine Miene gemacht hatte, das Geschmeide zurückzunehmen – »auch die Art, sich zu kleiden, muss vom Taktgefühle, vom guten Ton ausgehen, wenn man denn einmal gern zur feinen Welt gehören möchte. Achtzehn Jahre und Brillanten passen nicht zusammen – an einen Mädchenhals gehört ein schlichtes Kreuz oder Medaillon am Sammetbande, allerhöchstes eine einfache Perlen- oder Korallenschnur.«

»Ich bitte Dich, Großmama, Käthe bleibt doch nicht immer achtzehn Jahre und auch nicht immer ein Mädchen«, rief Flora mit frivolem Mutwillen. »Das weiß ich am besten, gelt, Käthe?«