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Schulmeisters Marie

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Das war alles erlogen«, fiel hier eine Frau dem Erzähler eifrig ins Wort, »denn Ihr müßt wissen«, wandte sie sich an Joseph, »daß der Wirt auch gerade am Pfarrhause vorüberging, als die Schulmeisterin hineinschlich, und da ihm dies auffiel, so blieb er ein Weilchen stehen. Der hat nun ganz gesunde Augen im Kopfe, wie Ihr seht; aber von einem Kerl, der herausgesprungen sein soll, hat er nichts gesehen – das hat er auch vor Gericht ausgesagt – gelt, Tannenwirt?«

»Nu ja«, entgegnete dieser, indem sein Gesicht dunkelrot wurde – ob vor Zorn oder Verlegenheit, wer konnte es wissen? —, »unterbrich mich nicht, du bist und bleibst ein altes Plappermaul. – Am andern Morgen«, fuhr er fort, »gab‘s einen höllischen Lärm im Dorfe. Der Herr Pfarrer war wieder da und hatte eine hübsche Bescherung an seinem Schreibpult gefunden. Die Klappe war zwar ganz manierlich angelehnt, so daß Mamsell Dore am Abend vorher, als sie nach dem Weggang der Schulmeisterin noch einmal so oberflächlich hinsah, nichts merken konnte; aber das Schloß war erbrochen, und 700 Reichstaler, ein Kapital, das dem Herrn Pfarrer vor einigen Tagen heimgezahlt worden war, hatten Reißaus genommen.«

»Und das soll die Frau Lindner getan haben?« fragte Joseph.

»Ei freilich!« schrie der ganze Weiberchor, wie aus einem Munde. »Wer denn sonst?«

»Ihr ganzes Haus«, fuhr eine derselben fort, »wurde durchsucht; das half freilich nichts. Die wird doch nicht so dumm gewesen sein, das Geld im Hause zu behalten – das liegt irgendwo gut aufgehoben, bis die Leute nicht mehr so viel davon sprechen; dann geht die Reise nach Amerika; denn das war immer der Schulmeisterin ihr Plan… Gut also, es fand sich nichts weiter als fünfzig blanke Taler – Pflegegeld für das Kind, sagte sie, das sie ein Jahr vorher mit heimgebracht hatte; woher? – das kann Euch niemand sagen. Ob der Bastel mit seiner Vermutung so gar unrecht hat, weiß ich doch nicht – die Marie war gerade dazumal in der Stadt, um Nähen zu lernen – ich will aber nichts gesagt haben… Die Schulmeisterin wurde nun nach A. zur Untersuchung gebracht. Da hat sie aber einen Advokaten genommen, der hat die Sache so fein gedreht, daß man ihr nicht an den Kragen konnte – du lieber Gott, man weiß ja auch nicht, was der vielleicht dabei gehabt hat? Na, kurz und gut, sie ist heute entlassen worden; aber wenn auch alle Rechtsverdreher der Welt sagen, sie habe das Geld nicht – das ganze Dorf wird doch mit Fingern auf sie zeigen, denn hier glaubt‘s jedes Kind!«

»Ich aber nicht!« rief Joseph. »Die Frau ist keine Diebin, da wollt‘ ich gleich Hab und Gut verwetten!«

Der Wirt kehrte ihm zornig den Rücken; die Zunächstsitzenden konnten hören, wie er etwas von »naseweisen Gelbschnäbeln« und dergleichen in den Bart brummte. Er packte klirrend einige leere Krüge zusammen und trat in die Schenke. Auch in den Augen der Weiber hatte der unbefugte junge Anwalt der Verfemten bedeutend verloren. Er achtete indes ganz und gar nicht auf die giftigen Blicke, die ihm zuteil wurden, und begrüßte mit einer höflichen Verbeugung den Schullehrer des Dorfes, der stillschweigend einen Teil der Anklagen mit angehört hatte und nun, nachdem sich der Kreis der Zuhörer verlief, auf den jungen Mann zuschritt.

»Kommen Sie ein wenig mit mir!« sagte er. »Ich muß Ihnen danken für die gute Meinung, die Sie von der armen Witwe haben.«

Er faßte zutraulich und herzlich Josephs Hand und führte ihn nach einer entfernten Bank.

»Da haben Sie wieder einmal«, begann er, sich niedersetzend, »den starren, unbeugsamen Bauerneigensinn! – Ich weiß, ich kann mit Ihnen frisch von der Leber weg sprechen; denn Sie haben drei Jahre lang eine tüchtige, städtische Schule besucht und stehen so hoch, daß Sie Ihren Stand mit seinen Fehlern und Vorzügen überblicken können… Man mag einen Engel vom Himmel herunterholen, diese Leute eines Besseren zu überzeugen – wenn er nicht den Sack mit dem gestohlenen Geld in der einen und den wirklichen Dieb in der anderen Hand hält, so wird er so wenig ausrichten als alle Vernünftigdenkenden. Denn einmal wird es ihnen vermöge ihrer schwerfälligen Auffassungsweise wirklich schwer, zweierlei Vermutungen aufzunehmen, und dann glauben sie manchmal, wie zum Beispiel in diesem Fall, das Schlimmste am liebsten… Soll man sich nicht ärgern, wenn man sieht, wie es keinem einfällt, die Anklägerin, Mamsell Dore, von der niemand weiß, wo sie eigentlich herstammt – zu beargwöhnen, während alle die Schulmeisterin verdammen, deren ganzer, reiner Lebenswandel vorliegt und keinem ein Geheimnis sein kann… Die unglückliche Frau hat freilich den Fehler begangen, streng zurückgezogen zu leben, was auf dem Dorfe, wo die wenigen Bewohner nur auf sich angewiesen sind, stets unangenehm auffällt und böses Blut macht. Wer indes das stille, sinnige Gemüt des armen Weibes kennt, das im Umgang mit einem vortrefflichen Mann höhere Genüsse kennengelernt hat, als da Spinnstuben- und Kirmsenlustbarkeiten sind, der wird sie entschuldigen… Das können Sie mir glauben, sie würde eher samt ihren Kindern verhungern, als daß ihre Hände fremdes Gut anrührten.«

»Und ihre Tochter?« fragte Joseph hastig, indem er den Schullehrer durchdringend ansah.

»Ihre Tochter?« wiederholte dieser unwillig erstaunt. »Nun, die sieht doch wahrhaftig nicht aus, als ob sie gestohlen…«

»Nein, nein«, unterbrach ihn Joseph, »das meine ich nicht… Bastel beschuldigte sie« – er brach ab, während ein tiefes Rot in seine gebräunten Wangen stieg.

»Ja, ich weiß, was der nichtswürdige Bube heute von ihr gesagt hat«, erwiderte der Lehrer zornig, »aber auch nur er, der selbst keinen Schuß Pulver wert ist, konnte eine solche niederträchtige Verleumdung aussprechen… Das Mädchen ist rein wie die Sonne am Himmel, und wer‘s nicht glauben will, der mag ihr nur in das Gesicht sehen… ich würde nicht den Mut haben, in ihrer Nähe auch nur ein unlauteres Wort fallenzulassen… Die Schulmeisterin hat allerdings sehr unüberlegt gehandelt, als sie ein Kostkind in ihr Haus nahm, dessen Herkunft sie zu verschweigen gelobt hatte. Sie mußte Rücksicht auf ihre erwachsene Tochter nehmen… Das arme Mädchen! Die Beschuldigung hat sie wie ein Blitz getroffen… Sie ist überhaupt zu beklagen, weil sie viel zu fein erzogen ist für ihre Verhältnisse. Ihr Vater hat sich viel mit ihr beschäftigt, denn sie ist gescheit und gelehrig in allem – er hat sie zart behandelt wie seine Blumen; es war ein Fehler, denn er mußte den Boden berücksichtigen, auf welchen diese Blume angewiesen ist. Sie wird dadurch mehr zu leiden haben als wenn er sie in glücklicher Unwissenheit gelassen hätte.«

»Und meinen Sie, es gäb‘ nicht noch Leute, die ein solches Mädchen zu schätzen wüßten?« rief Joseph erregt. Ohne eine Antwort abzuwarten, sprang er empor und ging einigemal hastig auf und ab.

Mittlerweile war es Abend geworden. Das Dorf lag bereits im tiefen Schatten. Desto heller glänzte seine uralte kleine Kirche, die, friedlich umschattet von einem Lindenkreise, den Gipfel der Anhöhe krönte, auf welcher das Haus der Schulmeisterin lag. Ein weiches Abendlüftchen flüsterte in den Gipfeln, und die letzten Strahlen der Sonne stahlen sich golden durch die grüne Dämmerung der Lindenzweige – sie glitzerten in den spitzen Kirchenfenstern, dem unangetasteten Wohnsitz friedlicher Schwalben, und überhauchten die Schar graubemooster Leichensteine auf dem kleinen Friedhof so rosig und lebenswarm, als seien sie Vorboten des gewaltigen Auferstehungsrufes.

Während des Gespräches mit dem Schullehrer hatten Josephs dunkle Augen unablässig das Häuschen der Schulmeisterin gesucht, das sich mit seinem eng begrenzten, aber blumengeschmückten Gärtchen traut an die niedere, halbzerbröckelte Kirchhofsmauer schmiegte. Aber seit die unglückliche Frau mit ihren Kindern unter seiner Tür verschwunden war, lag es im tiefsten Schweigen. Kein Lebenszeichen war weder hinter den Fenstern noch im Garten zu bemerken, und der Schullehrer meinte auf Josephs ungeduldige Bemerkungen hin, das sei wohl kein Wunder, denn da drinnen flössen ja jetzt die Tränen des Wiedersehens und – des Jammers.

Endlich öffnete sich eine Seitentür des Hauses, nach dem Garten zu, und Marie trat heraus, auf dem Arm ein rotbackiges Kind haltend, das indes, mit Händen und Füßen zappelnd, auf den Boden begehrte. Marie, die sich offenbar unbeobachtet glaubte, da man vom Tanzplatz aus, des vorstehenden Hauses wegen, den Garten nicht sehen konnte, sprang an das Ende des schmalen Weges, kniete nieder und streckte ihre Hände dem Kind entgegen, das in seinem hochroten Röckchen, wie eine kleine frische Hagebutte, nun wankend und trippelnden Schrittes, die Ärmchen vorgestreckt, seinen Lauf versuchte, bis es jauchzend und lallend in ihre Arme taumelte. Sie wiederholte dies Spiel so oft, bis ihre Wange glühte und sie trotz des sehr vernehmlichen Protestierens des kleinen Schreihalses innehalten mußte.

Joseph, halb durch einen Baumstamm verdeckt, konnte ungestört das Mädchen beobachten, und der Schulmeister konnte bemerken, daß dies auch so eifrig und fleißig wie nur möglich geschah. Wunderlieblich war sie in der Tat, das konnte der strengste Kritiker nicht leugnen. Auf Joseph hatte diese Gestalt, als sie, den neugierigen Menschenhaufen durchbrechend, sich vor ihre gekränkte Mutter stellte und deren Verteidigung mit blitzenden Augen und vollklingender Stimme übernahm, den mächtigsten Eindruck gemacht. Das überaus geräuschlose Walten seiner Mutter im Hause, ihre sanfte, leise Stimme sowie das unbedingte Fügen in den Willen seines verstorbenen Vaters, und nach dessen Tode in den seinen, hatten ihn nicht ahnen lassen, daß dem Frauencharakter auch eine gewisse Selbständigkeit und Kraft innewohnen könne, die, weit entfernt von Unweiblichkeit, in Momenten der Aufregung imstande sei, jeglicher Anfechtung und Unbill wehrhaft entgegenzutreten… Das linkische, unbeholfene Wesen der Bauerntöchter, ihr albernes Lachen auf jede Anrede, waren auch nicht geeignet gewesen, ihm das Weib von dieser Seite zu zeigen – deshalb war ihm Marie eine nie gesehene Erscheinung… Und nun, wie ganz anders, und doch ebenso anziehend, zeigte sie sich ihm in diesem Augenblick wieder! Zwar lag noch immer ein gewisser Ernst auf ihrer klaren Stirn, aber der strenge, verachtende Zug, der bei jenem Auftritt ihre Lippen umzuckt hatte, war einem kindlichen Lächeln gewichen, und in der Haltung ihres Kopfes lag etwas demütig Madonnenhaftes. Bei den täppischen Schrittchen ihres kleinen Pflegebefohlenen leuchteten ihre Augen auf und richteten sich mit dem Ausdruck von Befriedigung auf ihre Mutter, die totenblaß in der Tür lehnte. Es schwebte zwar ein freundlicher Zug um den Mund der alten Frau, aber es war jenes starre Lächeln, das manchmal die Züge überschleicht, während der ausdruckslose Blick andeutet, daß die Seele nichts davon weiß.

 

Als Marie sah, daß die kleinen Künste und Fortschritte des Kindes fast nicht bemerkt wurden, rief sie ihre jüngere Schwester und übergab ihr das Kleine. Dann umschlang sie ihre Mutter mit beiden Armen und führte sie nach einer kleinen Tür in der Kirchhofsmauer, hinter welcher beide verschwanden.

»Sie gehen an das Grab meines Vorgängers«, sagte der Schullehrer. »Armes Weib, möchte sie Trost und Beruhigung dort finden!«

Joseph aber lief in tiefer Bewegung abermals auf und ab.

»Nein!« rief er endlich aus. »Wie konnten die Menschen nur den Mut haben, diese Frauen zu beschuldigen! Wie fangen sie es an, einen so schmählichen Verdacht festzuhalten?«

»Glauben Sie mir«, sagte der Lehrer, »die Ringelshäuser fühlen das moralische Übergewicht dieser beiden nicht. Kommt ihnen je eine dunkle Ahnung davon, so nennen sie‘s Hochmut – Sie haben sich vorhin überzeugen können. Das Recht aber, diese Eigenschaft zu besitzen, gestehen sie nur dem reichen Manne zu; dem beugen sie sich auch willig – wie ja der Bauer, nicht anders als viele andere Leute auch, geneigt ist, nach Geld und Gut den menschlichen Wert zu bemessen… Nun können Sie sich denken, daß jene unglückliche Familie in den Augen der Gemeinde zwiefach verdammungswürdig ist, denn man nennt sie arm und hochmütig…«

Hier wurde er unterbrochen. Vom Tanzplatz her kam Hand in Hand eine große Schar Mädchen. Sie traten vor Joseph, und eine derselben hub unter dem Gekicher der anderen an: »Der Anton, Euer Bruder, sagt, Ihr könntet so gewaltig schön singen… Seht, singt eins – da habt Ihr des Schulzen Michel seine Zither.«

»Aber«, riefen die anderen, als Joseph Miene machte, seinen Vortrag auf seinem bisherigen Platze zu halten, »kommt lieber mit hinauf unter die Linden, dort sitzen die Weiber, die möchten Euch auch gern hören.«

»So mögen sie hierherkommen«, antwortete Joseph kurz und fing an, die Zither zu stimmen.

Die Mädchen redeten leise und eifrig miteinander und blickten hinauf nach dem Haus der Frau Lindner. Endlich sagte eine entschlossen: »Das geht ein für allemal nicht; denn da könnte sich wohl gar am Ende Schulmeisters Marie einbilden, Ihr sänget ihretwegen… Guckt, das Haus ist just gegenüber!«

Es war ein Glück, daß die Dämmerung hereingebrochen war, denn Josephs Gesicht ward flammendrot, und an dem leidenschaftlichen Blick, den er auf das genächtete Häuschen richtete, würden die gesamten Dorfschönen höchstwahrscheinlich kein geringes Ärgernis genommen haben.

»Die sieht nicht danach aus«, entgegnete er endlich, »als ob sie auf mein Lied hören würde, geschweige denn, das sie denken möchte, es gelte ihr.«

Und er begann mit schöner, weicher Baritonstimme das Volkslied:

 
Ach, wär‘ es möglich dann,
Daß ich dich lassen kann!
Hab‘ dich von Herzen lieb,
Das glaube mir.
 

Während des Gesanges kam der Mond langsam heraufgezogen und überflutete das Dorf mit seinem Silberglanze fast taghell. Und Bäume, Blumen und Menschen hatten ein anderes Aussehen in diesem geisterhaften Lichte, dessen feiner, bleicher Strahl tönend an verborgene, ungekannte Saiten unseres Innern schlägt, so daß wir anders empfinden und uns selbst rätselhafter sind als im klaren Sonnenlicht.

In der Geißblattlaube, von der dichten Blätterwand verdeckt, lehnte Marie regungslos. Sie konnte den Zauber nicht begreifen, der sie bewog, den einschmeichelnden Tönen immer wieder zu lauschen und nach dem Sänger hinüberzublicken… Die Stimme des Fremden klang so warm und innig, und ein ebensolcher Blick war heute aus seinen dunklen Augen auf sie gefallen, als sie, die Mutter stützend, den Tanzplatz verlassen hatte… Ihr Herz pochte heftig, und helle Tränen tropften an ihren Wimpern. Ihr Gebet am Grabe des Vaters hatte beruhigend auf ihr tiefverletztes Ehr- und Kindesgefühl gewirkt; und nun drangen diese Klänge in ihre Seele und erweckten den Schmerz aufs neue… Etwas anderes konnte es doch nicht sein?

*

Der Sommer war verflogen. Die Sonne hüllte ihr bleiches Gesicht verdrossen in graue Nebelschleier, als wolle sie die fruchtberaubten Bäume und Felder nicht sehen, auf die sie erst so emsig das Gold der Reife gestreut; oder als fürchte sie die Schauer des Herbstwindes, der, die müden Zweige unbarmherzig schüttelnd, einen goldgelben Blätterregen über Weg und Steg warf und die langen Silberfäden des Altweibersommers mutwillig vor sich her trieb, obgleich sie sich an gelben Grashalmen und dürren Blumenkronen anzuklammern suchten.

Wie öde und einsam lag jetzt Ringelshausen zwischen den Bergen, die, nun ihres Laubgewandes entkleidet, große, verwitterte Felsblöcke zwischen den braunen Stämmen der Bäume unverhüllt und drohend zeigten!

Wenn der Leser übrigens glaubt, daß die Ringelshäuser mit der immer lebloser werdenden Natur harmonierten, dann irrt er sich. Ja, wenn das einfache Wörtchen »Kirmse« nicht wäre! Aber das hat auf dem Lande einen so gewaltigen Klang, einen so belebenden Zauber, daß der Wonnemond mit all seinem Blühen und Treiben ein wahres Kinderspiel dagegen ist.

Der Schornstein auf dem Gemeindebackhause in Ringelshausen dampfte weidlich. Manchmal öffnete sich die Tür mit einer gewissen Feierlichkeit, und es traten Frauen heraus, die auf großem Kuchenbrett die wohlgeratenen duftenden Meisterwerke ihrer Backkunst nach Hause trugen… Welches Gaudium für die Dorfjungen, welche, die Hände in den Taschen und die weiße Zipfelmütze lang auf den Rücken hinabhängend, mit gespreizten Beinen und sehnsüchtig hinübergestrecktem Halse die Kuchenträgerinnen vorbeidefilieren ließen! Am Brunnen scheuerten die Mägde mit wahrer Inbrunst, und die längs der Wände aufgestellten Eimer, das blitzende Kupfer- und Messinggeschirr waren leuchtende Zeugen ihres Fleißes. Es war ja aber auch am letzten Nachmittag vor der Kirmse – wer möchte da müßig stehen?

Im traulichen Stübchen saß Marie förmlich vergraben unter Spitzen und Bändern, die ihre fleißigen, geschickten Hände in jenen Koloß verwandelten, den die Thüringer Bäuerinnen als ihren schönsten Kopfschmuck hoch in Ehren halten. Sie hatte in der Stadt Zeit und Gelegenheit zum Aneignen dieser Kunstfertigkeit gewissenhaft benutzt. In der Umgegend hatte sie eine ausgebreitete Kundschaft; von Ringelshäusern dagegen wurden ihr sehr wenig Aufträge; einmal, weil das Sprüchlein: »Der Heller gilt da am wenigsten, wo er geprägt ist« – das vorzüglich die Deutschen niemals zuschanden werden lassen – zum Teil auch hier seine Anwendung fand, und dann der alten Feindseligkeit wegen.

Heute galt es übrigens, flink zu sein; denn der Bestellungen waren viele. Marie saß auch tief über ihre Arbeit geneigt, und nur wenn ihre Mutter durch das Zimmer ging, wobei dieselbe nie unterließ, schmeichelnd über den Scheitel der Tochter zu streichen oder ihre Schulter sanft zu klopfen, dann blickte sie zärtlich, aber auch bekümmert in die Höhe… Ach, wie war die teure Mutter verändert, wie verfallen die Gestalt, wie schmerzlich der Ausdruck ihres Gesichts! Die Unglückliche litt unfaßbar unter dem Druck der Schande, der auf ihrem Ruf lastete, und es gab kein linderndes Mittel gegen dies schwere Leiden. Man nennt ein reines Bewußtsein die beste Stütze in der Trübsal; aber seine tröstende Kraft reicht nicht immer aus gegen den bittern Schmerz unverschuldeten Elends und die Giftpfeile der Verleumdung, unter denen das Herz doch zuckt und blutet, wenn es auch noch so rein von Schuld ist… Wie viele müssen sterben mit dem schmerzlichen Bewußtsein, daß der falsche Schein, der ihr Leben vergiftet hatte, nun seine Flecken ungestört auf ihren Namen werfen werde, denn sie sind die Unterliegenden. Niemand ist sicher, ohne alle Schuld jenem Gespenst zu verfallen, das weiß ein jeder – und doch, der glühende Steppenwind vernichtet sein Opfer nicht erbarmungsloser als die Zunge des Menschen den Namen seines Nächsten – oft nur auf ein schwankendes, haltloses Gerücht hin.

»Wie hübsch und traut könnte es bei uns sein, wenn das Unglück nicht über uns gekommen wäre!« dachte Marie seufzend, indem ihr Blick durch das gemütliche Stübchen glitt. Draußen riß der Wind an den dürren Weinranken und schlug die entblätterten Notenzweige, an denen noch einzelne braune Hagebutten hingen, heftig gegen die Fenster; die waren jedoch fest und ließen wohl das helle Licht, aber keinen rauhen Luftzug herein. Das bewies die kleine Grasmücke, die fröhlich zwitschernd in ihrem Drahtkäfig hin und her hüpfte, der zwischen Reseda- und Geranientöpfen auf dem Fenstersims stand.

Die kleine Christel, Maries Schwester, saß auf der Fußbank am Ofen und lernte, während sie den kleinen Pflegling mit dem Fuß in den Schlaf wiegte. Da rasselte es durch das Dorf. Die Jungen draußen lärmten und erhoben ein Freudengeschrei. Christels Buch flog zur Erde, und mit einem Satz war sie am Fenster.

»Heißa«, rief sie freudig, »da kommen schon Kirmsengäste!… Marie, guck doch hinaus, das ist ja der Joseph und seine Mutter!… Sie halten drüben bei Schulzens… Was das für ein stolzer Wagen ist!… Ja, die haben Geld!… Und der Schulze macht mal ein freundliches Gesicht!… Schau, da kommt auch die Margarete, die hebt die Frau Sanner vom Wagen… der Joseph guckt rüber… so guck doch hinaus, Marie!«

Aber Marie war purpurrot geworden und nähte so eifrig, daß Christel sich beinahe ärgerte. In demselben Augenblick trat eine Nachbarin herein.

»Na«, rief sie lachend, »da braucht man sich doch nicht mehr zu verwundern, daß Schulzens so drauf und drein gebacken und gebraten haben!… Die halten Kirmse und Verlöbnis zusammen… Der Joseph ist eben zur Freite gekommen… Habt Ihr‘s gesehen, Marie?«

Auf dem Gesicht des jungen Mädchens war die Purpurglut plötzlich einer tiefen Blässe gewichen. Sie wollte sprechen; aber die lebhafte Christel ersparte ihr die Antwort, indem sie fragte: »Ei, er heiratet wohl die Margarete?«

»Freilich«, entgegnete die Frau. »Er war schon öfter nach der Hochzeit des Anton wieder hier; freilich jedesmal nur auf einen Tag, weil er nicht länger abkommen konnte; aber das war schon genug… Die Margarete ist bis über die Ohren in ihn verliebt. Er soll stolz sein wie ein Edelmann – bisher war ihm keine gut genug. Nun, die Margarete hat zwar das Pulver nicht erfunden, aber sie hat schöne rote Backen wie ein Stettiner Apfel, und an Geld fehlt‘s da drüben auch nicht – da hat sich denn die Sache gemacht.«

»Ist denn das schon so gewiß?« fragte die Schulmeisterin.

»Na, wenn die Schulzin schon die Betten stopft und Wäsche nähen läßt, da ist doch kein Zweifel!«

Es fielen zwei schwere Tränen auf die schwarze Seide, die sich unter Maries Händen bauschte, und wer in ihr tief gesenktes bleiches Gesicht hätte blicken können, der würde bemerkt haben, daß hier ein schwerer Kampf gekämpft wurde… Armes Kind!… Sie machte sich bittere Vorwürfe, daß sie in jener Mondnacht dem Liede Josephs gelauscht. Sie klagte sich an, weil sie allzuoft seine stattliche männliche Gestalt betrachtet hatte, als er zu Besuch im Dorfe war, und tief erglühend schalt sie sich, daß sie hinter die Hecke geschlüpft war, um nur seine Stimme zu hören, als er mit dem Schulzen an ihrem Gärtchen vorüberging. Er war damals dicht an der Laube stehengeblieben und hatte so schön und wahr gesprochen – jedes Wort war in ihrem Gedächtnis haften geblieben… Ja, ja, sie hatte schwer gefehlt; ohne diese Vergehen wäre es gewiß nicht so weit gekommen, so weit, daß sie unsäglich litt bei dem Gedanken, er werde die Margarete heimführen… Das war die gerechte Strafe für ihre hochmütigen Gedanken!… Ach, sie war ja sogar so kindisch gewesen, sich einzubilden, er schaue öfter und bedeutungsvoll nach ihrem Fenster… er, der schönste und reichste Bursch der ganzen Gegend, nach ihr, der armen Lehrerstochter, die mühsam den Unterhalt für sich und die Ihrigen mit der Nadel erwarb… Wie hatte sie freudig gezittert, wenn er so stattlich zu Roß durch das Dorf gesprengt kam! Wie fuhr es jäh und heiß durch ihr Herz, so daß ihr der Atem stockte, wenn sein erster Blick beim Herunterspringen vom Pferd feurig über ihr Haus glitt und das Fenster suchte, an welchem sie saß… Das war nur zufällig gewesen – oh, der Törin!… Und daß er eines Tages, über die Kirchhofsmauer gebückt und verstohlen sich umsehend, die schönste Blüte von ihrem sorgfältig gepflegten Rosenstock abgebrochen und ins Knopfloch gesteckt hatte – wie konnte sie nur damals so eitel sein, diesen Raub günstig für sich zu deuten! – Kam es nicht jeden Tag vor, daß die Burschen Hecken und Sträucher plünderten, um Hut und Rock zu schmücken? Welchem Mädchen wäre es wohl eingefallen, einen Liebesbeweis in dieser Gewalttätigkeit zu erblicken?…