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Schulmeisters Marie

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»Ach, Anna, wie glücklich machst du mich!« rief Marie freudestrahlend. »Aber wird nun Frau Sanner auch schweigen können?«

»Sie hat mir mit Hand und Mund gelobt, kein Wort verlauten zu lassen, am allerwenigsten aber gegen meinen Vater, der mit seinem Stolz und Starrsinn gewiß alles verderben würde.«

»War Joseph bei deinem Geständnis zugegen?« forschte Marie leise und zögernd.

»Nein. – Er hat seine Mutter hierhergefahren und blieb höchstens fünf Minuten bei uns…« Ich kann dir gar nicht sagen, wie unstet und ruhelos mir der Mensch vorgekommen ist! Er lief erst ohne Zweck und Plan auf dem Marktplatz herum; dann ist er hinauf zu meinem Mann gegangen, um sich von ihm, der ja als Anwalt deiner Mutter die Kriminaluntersuchung der unangenehmen Ringelshäuser Diebsgeschichte am besten kennt, alle darauf bezüglichen Verhandlungen auseinandersetzen zu lassen… Der läßt nicht von dir, Marie, und wenn er darüber zugrunde gehen sollte… Ich habe übrigens die beste Hoffnung, daß Frau Sanner…«

»Liebe Anna«, unterbrach das junge Mädchen heftig die Trösterin, »wenn du mich ein wenig lieb hast, so versprich mir, die alte Frau nicht überreden zu wollen!… Siehst du – vor dir und der Muhme brauche ich ja nichts zu verbergen – mein ganzes Herz hängt an Joseph, und wenn es zu seinem Glück wäre, wollte ich mit Freuden für ihn sterben. Aber eben deswegen fasse ich auch seine Zukunft klar ins Auge… Wenn also auch in diesem Augenblick seine Mutter vielleicht durch Furcht vor dem Sohn, Überredung und Mitleid bewogen, ihre Einwilligung gibt, so wird später die Reue doch nicht ausbleiben – und dann wehe mir!… Das höchste eheliche Glück wird das Bewußtsein nicht unterdrücken können, daß man mich als Makel einer bis dahin unbescholtenen Familie ansehe. Das Ehrgefühl der alten Frau scheint äußerst empfindlich, und es gibt so viele böse Menschen, die gern hetzen – ich würde nie ruhig werden und deshalb auch Joseph nicht glücklich machen können.«

»Ich kann dir nicht unrecht geben«, entgegnete Anna traurig, »obgleich ich fest überzeugt bin, daß deine Vorzüge in den Augen der Frau Sanner mit der Zeit alle Lästermäuler zuschanden machen würden… Ach, wenn der unglückselige Vorfall nicht wäre!«

»Ja, dann dürfte ich hoffen!« seufzte Marie. »Meine arme Mutter weiß nichts von all diesen Vorgängen und darf sie auch nie erfahren.«

Jetzt bemerkte sie aber mit Schrecken, daß es schon ziemlich spät geworden sei. Einmal war die Rückkehr Josephs und seiner Mutter zu befürchten, denen sie doch um keinen Preis begegnen durfte, und dann rückte der Abend immer näher. Sie brach eilends auf. Leider bemerkte sie, daß sie einiges vergessen hatte, was schlechterdings noch besorgt werden mußte. Bei den Kaufleuten wurde sie zu ihrer Angst auch noch ungebührlich lange aufgehalten, so daß es eben fünf schlug, als sie aus dem Stadttor trat.

Sie stand eine Weile unentschlossen. Aus dem niederen Fenster der Torschreiberwohnung quoll heller Lichtschimmer. Drin im warmen Stübchen saß die Familie gemütlich um den Tisch. Marie kam ein wahres Grauen an, daß sie die lichte Stelle verlassen und hinaus auf die totenstille, dunkle Chaussee wandern sollte… Da ging zu ihrem Trost der Mond auf – nach Hause mußte sie, ihr Ausbleiben würde Mutter und Schwester in die größte Angst versetzt haben, und so schritt sie denn rüstig, wenn auch mit Herzklopfen vorwärts.

Kein Laut unterbrach die tiefe Stille, die sie jetzt umfing. Nur manchmal hing sich ein dürres Blatt an ihr Kleid und rasselte, oder der erste Schnee, der heute gefallen und nur an einzelnen Stellen haften geblieben war, knisterte unter ihren Füßen. Allmählich wich ihre Furcht. Das Mondlicht begleitete sie treulich. Es ergoß sich freundlich über die dürren Äste der Vogelbeerbäume zu beiden Seiten des Weges, zitterte in jedem feuchten Fleckchen, das der zerronnene Schnee zurückgelassen, und beleuchtete weithin die Chaussee, die das dunkle Ackerland wie ein heller Faden durchschnitt.

So allein und verlassen dahinschreitend, versank Marie in tiefes Sinnen. Josephs Bild, das sie während der letzten Tage in die tiefsten Tiefen ihres Herzens zurückgedrängt hatte, da stand es vor ihr mit all der Macht, die ihr ganzes Sein beherrschte. Sie ließ es jetzt widerstandslos vor ihrem Auge auferstehen – war doch niemand zugegen, der sie beobachten konnte… Sie war ihm so nahe gewesen und durfte ihn nicht sehen – sie floh vor ihm, während jede Fiber ihres Herzens nach ihm verlangte… War sie auch der Aufgabe gewachsen, die sie sich selbst auferlegt?… Konnte sie in der Tat das schwere Werk der Entsagung durchführen?

Nach einem mühevollen Kampf, nach harten Schicksalsschlägen entsteht eine dumpfe Schwüle im Gemüt, die uns eine Zeitlang gänzlich unfähig macht, die Größe der Prüfungen, die über uns verhängt sind, zu ermessen. Das ist eine weise Einrichtung der Vorsehung; ohne diesen wohltätigen Schleier müßte uns der grelle Blitz, der oft in unser tiefstes Leben eingreift, zermalmen. Schrecklich genug bleibt ja ohnehin immer der Moment, wo die verhüllenden Wolken zerreißen, wo unser Blick wieder freier wird und wir erschüttert sehen, was wir fortan ertragen und entbehren sollen.

Dieser Augenblick war auch für Marie gekommen, und ihr Herz krümmte und wand sich unter den grausamen Maßregeln des Verstandes, die seine Stimme ersticken sollten.

So wanderte sie dahin, ihren aufgeregten Gefühlen preisgegeben, mechanisch die Füße bewegend und die Außenwelt über den Widerstand in ihrem Inneren vergessend. Plötzlich berührten rasche Schritte ihr Ohr. Sie wandte sich um und erblickte ein ziemlich verrufenes Subjekt, einen Tischlergesellen aus A., der mit seinem verwilderten Bart und seinen frechen Zügen ihr keinen geringen Schrecken einjagte. Er schien es indes eilig zu haben und schritt schnell an ihr vorüber, ohne sie weiter zu beachten. Trotzdem mußte sie einen Augenblick stehen bleiben, um ruhig zu werden und die Furcht niederzukämpfen.

Diese Begegnung hatte wenigstens den Vorteil, daß Marie jetzt rascher vorwärtsschritt und weniger ihren trüben Gedanken nachhing. So hatte sie unangefochten bald den größten Teil des Weges zurückgelegt. Mit wahrer Beruhigung grüßte sie die Turmspitze von Ringelshausen, die im Mondlicht silbern glänzend bei einer Biegung der Chaussee sichtbar wurde. Aber kaum war sie noch einige Schritt vorwärtsgegangen, als ihr ein roher Gesang, von Juchheschreien und entsetzlichem Gelächter dann und wann unterbrochen, entgegenscholl. Unschlüssig blieb sie stehen. Das Geschrei kam immer näher, und deutlich konnte sie unterscheiden, daß es Ringelshäuser Burschen waren, die auf der Chaussee ihr Unwesen trieben. Mit Entsetzen erkannte sie auch Bastels dünne, krähende Stimme, der, wie es schien, der Hauptanführer war…

Dieser Rotte durfte sie nicht begegnen – da waren ihr Beleidigungen und Roheiten gewiß – aber wohin? Zum Glück bog nicht weit von ihr ein Seitenweg von der Chaussee ab, aber – sie dachte mit Grauen daran – er führte an der verrufenen Pfaffenmühle vorbei. Dort war sie freilich vor jeder unwillkommenen Begegnung gesichert, denn diesen Weg betrat kein Ringelshäuser am Tage, geschweige denn in der Nacht… Ein Schauder überlief sie… sahen doch die uralten Weidenbäume da drunten schon ganz anders aus als alles hier oben… Sie mußte den kleinen Fluß entlangschreiten, den düsteres Gebüsch auf beiden Seiten einengte und dessen Rauschen geisterhaft heraufklang. Trotz alledem blieb ihr keine Wahl. Das immer näher kommende Jauchzen schien ihr doch noch entsetzlicher, und so schritt sie mutig hinunter, nicht ohne Kampf mit Hecken und Dornen, die den nie betretenen Weg überwucherten und die alle Augenblicke ihr Kleid festhielten.

Von Nachdenken war nun keine Rede mehr… sie fing an zu laufen – das Grauen jagte sie. Gespensterfurcht kannte sie nicht, die hatte ihr Vater nie in ihr aufkommen lassen; aber sie war in jener fieberhaften Aufregung, die den aufgeklärtesten Menschen befallen kann. Ihre Nerven zitterten, und sie fühlte jenes eigentümliche Prickeln in der Kopfhaut, das jedes einzelne Haar aufsträuben macht… Atemlos blieb sie stehen, als die gefürchtete Mühle hinter dem halbverschneiten Buschwerk auftauchte.

Einen grauenhaften Eindruck mußte dies verfallene Gemäuer allerdings hervorbringen; selbst der warme, goldene Sonnenschein vermochte wohl nicht mehr, einen Schein von Leben in diese Wüstenei zu hauchen; in der bleichen Mondbeleuchtung aber war es geradezu entsetzeneinflößend. Vom Dach waren meist die Schindeln abgelöst, so daß die dunkeln Bodenräume und das Gesparre sichtbar wurden, an welchem alte Fetzen von Kleidungsstücken leise sich bewegten. Die Fensterhöhlen, ohne eine Spur von Glasscheiben, starrten wie geblendete Augen aus den schiefen Wänden, von denen Wind und Regen jegliche Bekleidung weggewischt hatten. Das Mühlrad, längst seiner Dienste enthoben, stand bewegungslos, der Speichen beraubt und vom Gischt des hier sehr stark fallenden Wassers bespritzt, auf dem die Mondstrahlen ihr gaukelndes, gespenstiges Spiel trieben.

Dies wüste Gehöft hatte seinen Namen vom letzten Besitzer, der »Pfaff« hieß und ein mürrischer, menschenfeindlicher Mann war. Sein zurückstoßendes Wesen und sein entsetzliches Fluchen – er war in seinen jungen Jahren Kriegsknecht gewesen – verscheuchten nach und nach alle Mahlgäste und Dienstboten aus seinem Hause, so daß zuletzt die Mühle stehen und er mutterseelenallein in dem wüsten Gemäuer hausen mußte, das er von Jahr zu Jahr mehr verfallen ließ… Eines Tages fand man ihn an einem Baum erhängt. Dieser grauenhafte Tod wie auch das gottlose Leben des Selbstmörders gaben nun dem Aberglauben einen weiten Spielraum und machten das Haus in der ganzen Gegend spukhaft. Erben waren nicht da – Käufer fanden sich ebensowenig; da wurde denn die Mühle nach und nach zur Ruine – ein Schrecken der Erwachsenen und ein Popanz für die Kinder.

Marie war, wie gesagt, stehengeblieben und suchte sich des Grauens zu erwehren, das sie so überwältigend packte und alle Vernunftgründe über den Haufen stieß… Nichts Lebendiges weit und breit – außer dem Rauschen des Wassers kein Laut ringsumher! Eine kleine Wolke trat in diesem Augenblick vor den Mond und warf zwei riesige Schattenhügel über den First des Hauses und auf die unbelaubten Wipfel der alten Rüstern, an deren einer der Pfaffenmüller sein Leben ausgehaucht hatte… Doch horch, klang das nicht wie lautes Husten?… Jedes weniger Aufgeklärte würde dasselbe nun ohne Zweifel für etwas der Geisterwelt Entstammtes gehalten und höchstwahrscheinlich unter Zähneklappern nichts anderes mehr erwartet haben, als dem irrenden Schatten des gehängten Müllers zu begegnen… Marie dachte anders. Ihr schien der Husten, der sich eben wiederholte, obgleich er diesmal unterdrückter klang, sehr menschlich zu sein, und ein ganz anderer, vielleicht noch schlimmerer Verdacht stieg in ihr auf – daß wohl schlechte Menschen diese gefürchtete Stelle als Schlupfwinkel benutzen möchten. Diese Annahme schien bestätigt zu werden, denn jetzt hörte sie ganz deutlich sich nähernde Schritte… Ihre Fassung kehrte zurück, wie es ja häufig geschieht, daß wir angesichts der Gefahr beherzter sind, als wenn wir dieselbe nur vermuten.

 

Marie lief vorwärts, kauerte sich hinter das dichte Gebüsch, welches sie dem Vorübergehenden vollständig verbergen mußte, und bog einige Zweige auseinander, um besser sehen zu können.

Sie befand sich der Mühle gerade gegenüber. Das morsche Hoftor, das nur noch in einer Angel hing, ließ sie den ganzen mondbeleuchteten Hofraum überblicken. Altes Gerümpel, verdorbenes Ackergerät, zerbrochene Türen und modernde Holzscheite bedeckten den Boden, und von der Scheuertür grinste eine angenagelte Eule herüber. Es blieb dem jungen Mädchen indes nicht viel Zeit, diese wüste Stätte zu betrachten, denn die Schritte kamen immer näher, und zwar von Ringelshausen her. An dem unregelmäßigen Gang und keuchenden Atem hörte Marie, daß die Person schwer beladen sein mußte… Kaum atmend blickte sie angestrengt durch die Zweige, denn der Wanderer trat in die Hoftür… Wer aber beschreibt ihr Erstaunen, als sie Mamsell Dore, des Pfarrers Haushälterin, erkannte?

Die Alte blieb einen Augenblick verschnaufend stehen, sah sich scheu um und ging dann zögernd einige Schritt in den Hof hinein. Sie war in einen großen Mantel gehüllt und trug, wie es schien, eine gewichtige Last auf den Armen. Wieder blieb sie unschlüssig; da erschien in der Haustür – Maries Überraschung kannte keine Grenzen – der Tischlergesell aus A., der ihr auf der Chaussee begegnet war. Er winkte Mamsell Dore vertraulich und verschwand mit ihr unter der Tür.

Was konnten die beiden an dem verrufenen Orte wollen? Mamsell Dore, die Anklägerin der Schulmeisterin, deren Schuld sie durchaus beweisen wollte – sie, die Zeter schrie über das kleinste Vergehen, das in der Gemeinde vorkam, traf auf so geheimnisvolle Weise mit einem berüchtigten Menschen in der einsamen Pfaffenmühle zusammen?

Eine seltsame Ahnung überschlich Maries Herz. Sie erhob sich und ging, immer durch das Gebüsch gedeckt, um das Gehöft herum. An der Seite, nach dem Wasser zu, bemerkte sie ein angelehntes Pförtchen – es führte in einen schmalen Gang, durch dessen zerbrochene Fenster jedoch der Mond so hell schien, daß sie ihn ungefährdet betreten konnte.

Hier blieb sie einen Augenblick stehen… Es überrieselte sie eiskalt… wenn jener schreckliche Mensch ihr hier entgegenträte?… Sie horchte; aber außer dem eintönigen Rauschen des vorbeifließenden Wassers blieb alles totenstill… Es trieb sie unwiderstehlich vorwärts – weshalb? Darüber konnte sie sich selbst keine Rechenschaft geben. Ihre Entschlossenheit, ein Grundzug ihres Charakters, ließ sie nicht lange überlegen – sie betrat den Gang und gelangte bald an eine offene Tür, die in einen dunkeln Raum, die Küche, führte. Hier bückte sie sich rasch nieder, denn durch ein Fenster konnte sie in die daranstoßende Stube sehen, in welcher sich die beiden Personen befanden. Auf den Knien rutschend, gelangte sie bis zu dem Fenster, das eigentlich nur noch ein Netz von Bleiringen war, denn die runden Scheiben waren zerschlagen, und nur noch einige grüne Glassplitter starrten aus der Fassung. Das junge Mädchen konnte deutlich hören und sehen, was in der Stube vorging.

Mamsell Dore saß erschöpft auf einem Stuhl. Zu ihren Füßen lag ein gefüllter Sack. Aus den grauen Augen der Alten, die rastlos umherirrten, während sie nach Atem rang, sprachen unverkennbar Angst und Furcht; wenn aber der Mann, der ungeduldig auf und ab lief, ihr den Rücken kehrte, dann blitzten sie auf in Haß und Ingrimm.

»Daß du mich bei so hellem Mondschein hierherbestellst«, begann sie endlich, »ist unverantwortlich von dir, Fritz – wie leicht konnte ich gesehen werden.«

»Meine Angelegenheiten lassen sich nicht aufschieben, Mutter.«

»Mutter?« flüsterte Marie draußen, über alle Maßen erstaunt und überrascht.

»Wenn du meinen Brief ordentlich gelesen hast«, fuhr der Mensch drinnen fort, »so wirst du wissen, daß ich in einigen Tagen auswandern muß… Ich traue meinem nichtsnutzigen Meister nicht über den Weg; er beobachtet mich seit einiger Zeit – ich merke es wohl , der Schuft!«

»Ach, Fritz, was magst du wohl für schlechte Streiche gemacht haben?«

»Ich bitt‘ mir‘s aus, Frau Mutter, nicht in dem Ton mit mir zu sprechen!… Wenn ich manchmal kleine Seitenwege einschlagen muß, so bist du ganz allein schuld – du gibst mir nichts.«

»Ach, du gottloser Mensch!« klagte Mamsell Dore. »Du hast mich ja schon rein ausgeplündert, und wenn ich heute meinen Dienst verliere, kann ich betteln gehen… Ich gebe dir ja alles, was ich habe – und noch viel mehr«, fügte sie mit sinkender Stimme hinzu.

»Das ist auch ‚was Recht‘s – manchmal eine Wurst oder einen Bissen Speck aus der Rauchkammer des alten Pfaffen – oder einen Schluck miserablen Abendmahlswein, der einem die Haare auf dem Kopfe in die Höhe zieht, so sauer ist er – darum täte ich noch nicht einmal den Mund auf!«

»Ja, das glaub‘ ich – für dich sind das freilich Kleinigkeiten – du hast Größeres geholt«, sagte Mamsell Dore spitz und giftig.

Der Mann lachte unbändig und stampfte dabei mit den Füßen auf die alten Dielen, daß sie ächzten und quiekten.

»Gelt, Mutter, das war eine gelungene Fahrt!« rief er unter fortwährendem Lachen. »Das soll mir einmal einer nachmachen!… Drin sitzt die Frau Mutter, wie die Gluckhenne auf den Küchelchen, und denkt Wunder wie gut sie dem Herrn Pfarrer seine Moneten bewacht – da schleicht sich der Sohn ins Haus und holt ihr das Sümmchen beinahe unter der Hand hervor, ohne daß sie‘s merkt… Ha, ha – bin doch ein Mordskerl!«

»Ja, das war eine saubere Geschichte… mich in solch eine Klemme zu bringen!… Ich wußte es auf der Stelle, als mir die Schulmeisterin sagte, ein Mann sei an ihr vorbeigesprungen, daß kein anderer Mensch als du der Spitzbube sein könne.«

»Und doch hast du dem Gericht eine Nase gedreht, daß es eine Freude war… Ja, ja, man sieht, daß wir von einer Art sind!… Und ich bin dir deswegen auch ganz gut, obgleich du mich verleugnest.«

Mamsell Dore fuhr in die Höhe, so daß die morsche Lehne des Stuhles polternd auf den Boden fiel.

»Das brauchst du mir nicht immer vorzuwerfen!« rief sie, und ihre Stimme hatte etwas Krächzendes. »Ich würde meine Stelle nicht behalten, wenn das herauskäme – und selbst wenn der Pfarrer ein Auge zudrücken wollte, so wäre es doch um mein Ansehen bei der Gemeinde geschehen.«

»Ja, das gäb‘ freilich einen hübschen Spektakel – du verstehst es aus dem Fundament, die unbescholtene Mamsell zu spielen! – Tausend noch einmal, wie würden die Ringelshäuser Maul und Nase aufsperren, wenn ich mich ihnen als den wohlgeratenen Sohn der ehrsamen Mamsell Dore vorstellte!…«

Die Alte schoß einen wütenden Blick auf den Sprechenden, der höhnisch lächelnd mit den breiten plumpen Händen über seinen rauhen Bart strich.

»Und wenn ich ihnen nun gar erzählen wollte«, fuhr er unbeirrt fort, »daß du meine Ziehmutter hast schwören lassen, mir deinen Aufenthalt nie zu verraten – was wohl auch geschehen wäre, wenn der alten Duckmäuserin nicht im letzten Stündlein das Gewissen geschlagen hätte —, da würden die dummen Bauern sich erst einmal wundern über ihre kluge Pfarrersköchin!«

»Aber, Fritz«, ächzte Mamsell Dore ganz zerknirscht und offenbar dahin strebend, mit dem würdigen Sohn in gutem Einvernehmen zu bleiben, »warum rührst du denn immer wieder längst vergangene Dinge auf, die du noch dazu ganz falsch verstanden hast?… Daß ich dich lieb habe, kannst du aus den fünfundzwanzig Talern ersehen, die ich dir mitbringe – es ist mein letztes Geld, Fritz.«

»Mögen sie nun ein Beweis von Liebe oder auch von was ganz anderem sein – das ist mir einerlei —, immer her damit! Ich kann sie brauchen!« sagte der Tischlergesell, indem er hastig nach dem Gelde griff.

Er zog eine Brieftasche hervor und öffnete sie.

»Siehst du«, sagte er, »hier liegen die geistlichen siebenhundert Taler – es fehlt kein Groschen… Die Meisels Rike aus Wolsleben geht mit mir nach Amerika.«

»Meisels Rike, das verrufene Weibsbild?« schrie Mamsell Dore entsetzt.

»Nur nicht zu hitzig, Frau Mutter… Ich bitte, mit mehr Respekt von der künftigen Schwiegertochter zu sprechen«, entgegnete der Sohn spöttisch. »Die Rike ist ein prächtiger Schatz und wird eine tüchtige Farmerin abgeben… Aber was hast du mir denn hier noch alles mitgebracht?« fragte er, indem er den Sack vom Boden aufhob und ihn öffnete.

»Ah, eine delikate Cervelatwurst… und hier einen Schinken… kommt sehr gelegen – die Schiffskost soll verdammt schlecht sein… Donnerwetter, was kommt denn da?… Eine Rolle Leinwand – na, da wird sich Rike freuen!… Ich bin recht zufrieden mit dir, Mutter; du sollst auch schöne und dankbare Briefe aus Amerika kriegen… Na, da geh jetzt heim, und vergiß nicht, den Tannenwirt von mir zu grüßen, wenn du ihn siehst.«

»Stehst du denn so mit dem?« fragte Mamsell Dore verwundert.

»Nu, das heißt, er kennt mich nicht; aber er hat mir trotzdem einen Freundschaftsdienst geleistet… Hat er nicht vor Gericht ausgesagt, daß er damals, als das Geld in der Pfarre ge… geholt worden ist, niemand aus dem Hause habe kommen sehen?«

»Ja, das hat er beschworen.«

»Aber ins Henkers Namen, was muß denn der Kerl dabei gehabt haben, so zu lügen?… Ich habe ihn ja beim Herausspringen über den Haufen gerannt, daß ihm alle Rippen krachten!«

»Er ist der Schulmeisterin ihr ärgster Feind. Als er noch jung war, hat er um sie gefreit – sie hat ihn aber nicht gewollt.«

»Ach, nun begreife ich‘s – er soll gesegnet sein für seine Bosheit.«

Der Tischlergesell nahm seine Brieftasche wieder hervor und steckte sie in den Sack, den er sorgfältig wieder zuband.

»Rike hat mir versprochen, auch hierher in die Mühle zu kommen«, sagte er, »sie soll das Geld und alles andere an sich nehmen, denn bei mir ist‘s, wie gesagt, nicht mehr sicher… Wir haben auch noch viel miteinander zu sprechen, und das können wir hier am ungestörtesten… Aber ich begreife gar nicht, wo sie bleibt… Ich will ihr lieber ein Stück Weges entgegengehen… Du willst doch nicht gern mit mir gesehen sein, gelt, Mutter?« fragte er spöttisch. »Da gehe voraus, denn ich muß auch auf die Ringelshäuser Chaussee, wenn ich Rike begegnen will.«

Mamsell Dore entfernte sich eiligst – Mutter und Sohn trennten sich, als kämen sie morgen wieder zusammen, während es doch einen Abschied fürs Leben galt.

In welchen Zustand das Anhören dieses Gespräches Marie versetzt hatte, das läßt sich nicht beschreiben. Sie kniete am Boden und hob ihr tränenüberströmtes Gesicht dankend zum Himmel. Diese Entdeckung änderte alles, alles… Sie blickte in eine sonnenbeglänzte Zukunft, die ihr noch vor wenig Augenblicken rauh und unwegsam erschienen war.

Leise bog sie sich vor und blickte wieder gespannt in die Stube.

Der Tischlergesell war allein. Er hob einige Kacheln aus dem riesigen Ofen, steckte den Sack in das Loch, das er sorgfältig wieder verschloß, und ging dann seiner Wege.

Marie erhob sich und horchte auf seine verhallenden Tritte. Von ihrem Platz aus konnte sie durch das gegenüberliegende Stubenfenster den hellbeleuchteten Hofraum übersehen. Der Tischlergesell durcheilte denselben und verschwand hinter der Mauer.

Nun galt es zu handeln. Furchtlos stieg sie durch das Fenster, dessen Rahmen sich leicht eindrücken ließ, in die Stube und bemächtigte sich des Sackes. Ihren Korb, der ihr beschwerlich wurde, warf sie in eine dunkle Ecke und eilte durch das Seitenpförtchen aus dem Hause.

Jetzt erst dachte sie an die entsetzliche Gefahr, in der sie geschwebt hatte… Wenn der Verbrecher umgekehrt wäre, oder wenn er schon draußen vor dem Tore das erwartete Weib getroffen und beide Marie bei ihrer Tat überrascht hätten… Es rieselte kalt über ihren Rücken – in der Gewalt zweier so verworfener Menschen sich denken zu müssen. – Hu!… Und noch war ja die Gefahr nicht vorüber. Sie beschloß deshalb, auf dem Weg nach der Chaussee zurückzukehren, den sie gekommen war. Da durfte sie keine Begegnung fürchten – denn der schreckliche Mensch war ja nach Ringelshausen zu gegangen.