Meine Antwort auf Ihr Buch, Herr Sarrazin

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Gesunde Lebensweise

Ich war gerade in der Sauna, wo Deutsche mehr oder weniger unter sich sind. Als ich mich so umsah, habe ich keine Angst verspürt, dass sich die einheimische Bevölkerung durch die Migranten schon verdünnt haben könnte. Aber Ihre Informationen über die Geburtenraten von Migranten, Herr Sarrazin, müssten mich da eines Besseren belehren. Auf Seite 60 Ihres Buches schreiben Sie zum Beispiel, „bleiben die Geburtenraten der Migranten über dem deutschen Durchschnitt, setzt sich die ‚Verdünnung‘ der einheimischen Bevölkerung fort.“ Das wäre zwar nicht weiter schlimm, aber würde sich bei der gleichzeitigen Verschlechterung des Bildungs- und Qualifikationsprofils sehr nachteilig auf die deutsche Zukunftsfähigkeit auswirken. Als positive Auswirkung habe ich mir überlegt, dass wir Deutschen dann mehr Platz in der Sauna hätten, da Muslime ja in der Regel auf Saunabesuche aufgrund ihrer Religion nicht erpicht sind. In der Sauna kam mir noch ein anderer Gedanke im Zusammenhang mit Ausländern. Bei der Betrachtung der zahlreichen Saunagänger dachte ich, eigentlich kann es uns Deutschen nicht schlecht gehen. Ohne dass sich jemand von mir diskriminiert vorkommen sollte, erschienen mir doch viele Männer und Frauen sehr dick. Nein, sie kamen mir ehrlich gesagt nicht nur so vor, sondern sie waren es auch. Mir fiel gleich Cristiane ein, die eine sehr schöne, aber nicht ganz schlanke, junge Frau ist. Sie zeigte mir einmal ein Foto aus „leichteren“ Tagen und bemerkte dazu, dass sie, seit sie in Deutschland ist, durch die Ernährungsumstellung 22 Kilo zugenommen hat. Ich glaube es ihr, kann mir natürlich auch vorstellen, dass es in Brasilien wie in Deutschland ebenfalls dickere Jugendliche gibt. Nach einer Erhebung des statistischen Bundesamts Destatis aus dem Jahr 2009 sind 51 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland übergewichtig. Das andere Extrem des Untergewichts liegt dagegen nur bei 2,3 Prozent. In einer Talkshow des Rundfunks Berlin-Brandenburg, in der es u. a., Herr Sarrazin, um Ihren Speiseplan eines Ein-Personen-Haushaltes geht, machen Sie die Bemerkung, dass Untergewicht doch wohl nicht gerade das Problem von Hartz-IV-Empfängern sei. Was Sie auf die Frage des Moderators, ob Hartz-IV-Empfänger zu dick seien, geantwortet haben, erfährt man in Ihrem Buch leider nicht. (S. 118)

Am 18.01.11 lautete die Schlagzeile auf dem Titelblatt der „Freien Presse“: „Den Deutschen fehlt die Zeit für gesundes Essen.“ Das ist das Ergebnis einer Nestlé-Studie 2011, die beinhaltet, dass Essen im Schnellrestaurant oder an der Frittenbude und Snacks zwischendurch für immer mehr Deutsche heutzutage zur Lebenswirklichkeit gehören. In einem Interview mit dem Regensburger Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfeld vom 18.01.2011 antwortet dieser auf die Frage, ob durch unregelmäßige Tagesabläufe kaum noch Zeit zum Kochen und Essen bleibt: „Wir verbringen zum Beispiel 3,5 Stunden täglich mit Medienkonsum, davon können wir gut eine Stunde zum Kochen abknapsen.“ Alles schön und gut, aber ich meine, dass jeder Berufstätige nach getaner Arbeit froh ist, wenn er zu Hause ist und sich erst einmal ausruhen kann. Auf der anderen Seite kochen aber die, die Zeit hätten, also die Empfänger von Transferleistungen, auch nicht. Sie, Herr Sarrazin, führen das auf ein Verhaltensproblem der betreffenden Personen und nicht auf ein Einkommens- oder gar Armutsproblem zurück. Dazu schreiben Sie in Ihrem Buch: „Im Zusammenhang mit dem Hartz-IV-Menü lassen sich aber einige individuelle Versäumnisse beobachten, etwa wenn

Kinder nüchtern in die Schule kommen und sich vorwiegend von Fastfood und Süßigkeiten ernähren, weil ihre Eltern nicht kochen oder zu träge sind, morgens aufzustehen und ihren Kindern ein Frühstück zubereiten

Eltern Alkohol und Zigaretten kaufen anstatt Obst und Gemüse und nicht auf ausreichende Bewegung achten, was zu Fettleibigkeit und gesundheitlichen Folgeschäden führt, die in der Unterschicht häufig diagnostiziert werden.“ (S. 120)

Ich weiß nicht, ob es schon eine Studie zum Übergewicht von Hartz-IV-Empfängern im Vergleich zum Rest der Bevölkerung gibt. Wenn nicht, dann könnten Sie doch mal eine initiieren und in eine Nachauflage Ihres Buches einfügen. In meiner Bekannt- und Verwandtschaft gibt es jedenfalls mehrere, die keine Leistungen vom Staat bekommen und trotzdem übergewichtig sind, also auch ein Verhaltensproblem haben müssen. Ihre Formulierungen sind meiner Meinung nach zum großen Teil Pauschalisierungen und haben den Touch der Abwertung der „Hartz-IV-Menü-Verbraucher“. Auch wenn ihnen die Unterschichtzugehörigkeit nicht auf der Stirn geschrieben steht, so ist es ihnen wenigstens auf den Leib geschrieben, so dass wir sie leicht erkennen und sie belehren können. Die Bedürftigen sind ja nach den neusten Beschlüssen der Bundesregierung auch Nutznießer eines Bildungspaketes, so dass die Unterschicht-Eltern ihre Sprösslinge endlich mit Bezugsscheinen auch in Sportvereinen anmelden können. Doch der Run auf die Formulare ist bisher ausgeblieben und mit Stand vom 21.04.11 haben in den großen Städten nur zwei Prozent der in Frage kommenden Personen einen Antrag auf entsprechende Leistungen gestellt. Mangelnde Information und Bürokratismus seien der Grund für das schleppende Szenario der Bearbeitung. Auf stern.de vom 21.04.11 wird zum Beispiel darauf hingewiesen, dass die Eltern oft nicht wüssten, wo sie den Antrag stellen müssen. Hartz-IV-Empfänger müssen zum Jobcenter, Wohngeldempfänger zur Wohngeldstelle, Asylanten zum Sozialamt. Außerdem ist für jeden Zweck wie Zuschüsse für ein warmes Mittagessen, Nachhilfe, Vereinsbeiträge, Musikunterricht, Schulausflüge oder Fahrtkosten zu weiterführenden Schulen ein separater Antrag zu stellen. Ich kann mir vorstellen, dass manche Eltern finanzielle Unterstützung für alle diese Bereiche gebrauchen können. Aber Bargeldauszahlungen widersprechen wahrscheinlich dem Vertrauen der Regierung in die richtige Verwendung dieser Gelder durch die Eltern. Lieber nimmt man einen erhöhten Aufwand an Bürokratie in Kauf und rechnet vielleicht sogar mit Einsparungen durch Nichtinanspruchnahme der Leistungen. Immerhin haben in Deutschland 2,5 Millionen Kinder einen Anspruch darauf, bei einer Zahl von 10,3 Millionen Kindern unter 14 Jahren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes von 2010 sind das ungefähr ein Viertel. Ich wage lieber keine Prophezeiung in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit, dass diese Kinder ein ähnliches Schicksal erleben wie ihre Eltern. Sie, Herr Sarrazin, befürworten ja eher die Sanktionierung von Sozialleistungen bei „Zuwiderhandlungen“ wie zum Beispiel Schulbummelei. Was machen „wir“ aber jetzt mit Kindern, die zwar im Sportverein angemeldet sind, aber nicht regelmäßig hingehen, oder trotz Kostenfreiheit kein warmes Mittagsessen einnehmen und damit nicht ausreichend für eine gesunde Lebensweise sorgen? Es ist ein Teufelskreis, aus dem unsere Gesellschaft nicht so schnell wieder herauskommt. Im Gegenteil, die Schere zwischen den „Reichen“ und „Armen“ öffnet sich immer mehr durch solche Maßnahmen wie die Senkung des Spitzensteuersatzes und anderer steuerlicher Vergünstigungen wie zum Beispiel die Reduzierung der Erbschaftssteuer und auf der anderen Seite durch die Einführung von Hartz IV.

Im Gegensatz zu meiner Mutter, meiner Freundin M. und meiner Tochter Anett gehöre ich nicht zu den Menschen, die häufig und leidenschaftlich gern kochen. Aber das muss ja kein Hinderungsgrund für eine gesunde Ernährung sein, an die ich mich in der Regel halte und die in keinem Widerspruch dazu steht. Von den Menschen, mit denen ich beruflich viel zu tun habe, kenne ich viele, die gut und gern kochen. Unter ihnen sind es vor allem Arabischstämmige mit einem Duldungsstatus oder laufendem Asylverfahren. Sie leben in der Regel im Asylbewerberheim und haben den ganzen Tag Zeit, weil sie nicht arbeiten und sich damit nicht integrieren dürfen, unabhängig davon, ob sie wollen oder nicht.

„Wer einen guten Braten macht, hat auch ein gutes Herz.“

(Wilhelm Busch)

Integration und Integrationskurse

In der Sauna habe ich in der Spiegelausgabe vom 20. Dezember 2010/Nr. 51 einen interessanten Artikel von Christoph Scheuermann über eine Podiumsdiskussion von Michel Friedman gefunden und die Seite gleich ausgerissen, um sie mit nach Hause zu nehmen. An einer Stelle heißt es von dem PR-Mann Imran Ayata, dass die Migranten in den sechziger Jahren Gastarbeiter, in den Siebzigern Ausländer, in den Achtziger Asylanten oder Flüchtlinge hießen. Er meint damit, dass man an der Art, wie sich die Worte verformen, die Einstellung der Mehrheit zu den Minderheiten ablesen könne.

Ich finde, er hat damit Recht. Provokativ stellt Friedman in der Diskussion die Frage: „Wenn ich jetzt sagen würde, es gibt keinen rassistischeren, diskriminierenderen Begriff als Integration, hätte ich dann Unrecht?“ Und er beantwortet die Frage selbst, indem er das I-Wort als „unheilvolles Konstrukt“ sieht, das dazu diene, Individuen dem Willen einer grauen Mehrheit zu unterjochen. Und er habe sich noch nie integrieren wollen, nicht bei seinen Eltern, nicht bei Helmut Kohl und nicht bei Gerhard Schröder. Er sagt, er wolle im Prinzip nur er selber sein.

Nachdem die Nullerjahre nun vorbei sind, könnte man ja wieder mal auf einen neuen Begriff nach dem Wort Migranten kommen. Wie wäre es mit Integranten? Das Problem wäre vielleicht nur, dass man es mit dem Wort Intriganten verwechseln könnte. Diese neue Wortschöpfung hätte vielleicht sogar die Chance, zum Wort oder Unwort des Jahres 2011 gewählt zu werden.

Said ist aus Syrien und lebt seit neun Jahren in Deutschland. Er ist mit einer deutschen Frau verheiratet und arbeitet als Selbstständiger in einem Dönerimbiss in Freiberg, den er gemietet hat. In seinem Ausweis steht der Status „Aufenthaltserlaubnis“, er braucht aber für seine Integration in Deutschland eine „Niederlassungserlaubnis“, die er jedoch nicht so leicht bekommt, obwohl er seinen Lebensunterhalt selbst verdient, also nicht vom Staat lebt. Die deutsche Sprache hat er sich hauptsächlich selbst angeeignet, das heißt, er hat einen großen Wortschatz, kann aber kaum lesen und schreiben. Ich übe mit ihm das Alphabet und lasse ihn einfache Texte lesen. Im Rahmen meines Unterrichts nutze ich auch die Schulküche, um den Sprachunterricht mit der Alltagspraxis zu verbinden, denn die meisten meiner Schüler kochen selbst und das zum Teil hervorragend.

 

Said ist ein sehr guter Koch und hat für uns verschiedene Gerichte zubereitet, so zum Beispiel Lachs mit Reis und Salat, Pizza oder Hähnchen mit Reis. Beim Zubereiten der Mahlzeiten haben wir immer viel Spaß, denn Said ist ein Mensch, der viel Humor hat und uns deshalb oft zum Lachen bringt. Er ist Moslem, der jedoch anderen Religionen und Anschauungen gegenüber aufgeschlossen ist.

Cristiane ist neugierig und fragt Said ein bisschen aus: „Wie ist es bei euch mit den Frauen? Darfst du als Moslem wirklich vier Frauen heiraten?“ – „Ja“, meint er, „wenn meine Frau damit einverstanden ist. Aber ich will nur eine.“ Das freut uns für seine Frau, eine Deutsche, mit der er einen sechsjährigen Jungen hat. Das Christentum erlaubt nur eine Frau und verpflichtet die Ehepartner zur ewigen Treue. Für Katholiken gilt sogar die Devise: „Bis dass der Tod euch scheidet.“ Das ist die Theorie und was der Bibeltext verlangt, doch die Praxis sieht oft anders aus, denn ich weiß von einem Katholiken aus meinem Bekanntenkreis, dass er seine Frau schon mehrmals betrogen hat. Auch sonst nehmen es die Deutschen, nicht nur Männer, mit dem Eheversprechen nicht so genau. Bei einem meiner wöchentlichen Besuche traf ich auf Khaled, der im vorigen Schuljahr in meinem Unterricht war, ihn aber aus persönlichen Gründen abgebrochen hatte. Er fragte mich, ob er wieder in die Klasse kommen könnte, denn er braucht unbedingt den B1-Abschluss, das ist ein Zeugnis, das die dritte Stufe des Europäischen Referenzrahmens und der Nachweis für das Erlernen der deutschen Sprache sind. Ich will ihm helfen und verspreche ihm, mich für ihn in der Sächsischen Bildungsagentur einzusetzen. Von der zuständigen Mitarbeiterin erfahre ich, dass er leider nicht an der Prüfung teilnehmen darf, weil er in diesem Schuljahr nicht angemeldet war. Er sieht es gelassen und meint, dass er ja aufgrund seines laufenden Asylverfahrens noch genügend Zeit dazu hätte.

Die Politiker des Landes sind sich einig, dass das Erlernen der deutschen Sprache für Menschen mit einer anderen Muttersprache, die in unserem Land leben wollen, an erster Stelle steht. Doch längst nicht alle haben die Pflicht, geschweige denn das Recht dazu. Das sind vor allem die Migranten mit einem Duldungsstatus bzw. die mit einem laufenden Asylverfahren. Auf Befragung der Ausländerbehörde erhielt ich die Antwort, dass die betreffenden Personen nicht gefördert werden dürfen, so dass es ihnen überlassen bleibt, was sie mit ihrer endlosen Freizeit anfangen. Die Personen mit einer Aufenthaltserlaubnis werden dagegen verpflichtet, einen Integrationskurs zu besuchen. Es ist ein Paradoxon, dass ihnen die Zeit, oft sind es Monate, die sie in der Vorbereitungsklasse mit berufsbildenden Aspekten Deutsch gelernt haben, nicht angerechnet werden. Außerdem verwehrt ihnen der Wechsel zu einem Integrationskurs, der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gefördert wird, die Rückkehr an eine öffentliche Schule, um dort einen Schulabschluss zu machen, auf den sie sich in meiner Klasse vorbereiten. Dazu muss man wissen, was ein Integrationskurs beinhaltet, der sich nicht wie die Bezeichnung vermuten lässt auf eine umfassende Integration, die alle Bereiche des Lebens umfasst, bezieht. Bestehend aus einem 600 Stunden umfassenden Basissprachkurs und einem 45 Stunden umfassenden Aufbausprachkurs dient der Kurs der Erlangung ausreichender Sprachkenntnisse bis zum Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens. Bei Wikipedia heißt es zur Integration von Menschen mit Migrationshintergrund: „Der Prozess der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund besteht aus Annäherung, gegenseitiger Auseinandersetzung, Kommunikation, Finden von Gemeinsamkeiten, Feststellen von Unterschieden und der Übernahme gemeinschaftlicher Verantwortung zwischen Zugewanderten und der anwesenden Mehrheitsbevölkerung.“ Es besteht also eine offensichtliche Diskrepanz zwischen dem Begriff Integration und seiner Realisierungsmöglichkeit mit Hilfe der so genannten Kurse, da es sich in erster Linie um Sprachkurse handelt. Ich verbinde in meinem Unterricht den Spracherwerb mit vielfältiger praktischer Tätigkeit. Diese umfasst gemeinsame Sportstunden mit Schülern des BSZ, in denen wir zum Beispiel Volleyball oder Basketball spielen, oder das Kochen von ausländischen und deutschen Gerichten in der Schulküche. Dazu gehören Bowling- und Billardspielen mit Schülern anderer Schulen, Museums- und Kinobesuche oder die Besichtigung von historischen Bauwerken wie dem Freiberger Dom. Wir gehen zusammen ins Freizeitbad nach Marienberg oder besteigen das Besucherbergwerk „Reiche Zeche“ in Freiberg. Mit Jugendlichen, die noch große sprachliche Probleme haben, fahre ich zur Ausländerbehörde, gehe mit ihnen zum Arbeitsamt, zur Sparkasse oder zur Krankenkasse, um ihnen beim Ausfüllen von Formularen zu helfen. Nun kann und will ich keinem Unterrichtenden der Integrationskurse unterstellen, außer der Vermittlung der Sprache die Gelegenheiten zur praktischen Integration nicht zu nutzen. Meine Erfahrung bei der Arbeit mit jugendlichen Migranten und solchen mit Migrationshintergrund führte auf jeden Fall zu der Erkenntnis, dass allein die Unterrichtsstunden zum erfolgreichen Spracherwerb nicht ausreichen. Den zuständigen Behörden schlage ich deshalb vor, den Inhalt der Integrationskurse auf Tätigkeiten im Alltag der betreffenden Menschen zu erweitern. Gegenargumente werden wahrscheinlich fehlende finanzielle Mittel sein, die man meiner Meinung nach jedoch mit dem Einsparen anderer wie zum Beispiel unnötiger Fahrtkosten ausgleichen kann. Warum müssen Migranten, die in Freiberg wohnen, in Chemnitz einen Integrationskurs an der Volkshochschule besuchen, wenn dieser in ihrem Wohnort angeboten wird? Warum werden Kinder vom Asylbewerberheim in Mobendorf mit dem Bus nach Hainichen zur Schule gefahren, wenn sie vom Asylbewerberheim in Freiberg aus zu Fuß zur Schule gehen könnten? Warum wird die Schließung eines zentral gelegenen Asylheims zugunsten eines abgelegenen erwogen?

Vor drei Jahren hatte ich neben meiner Tätigkeit am BSZ in Freiberg einen Nebenjob an der Volkshochschule in Chemnitz. Dort unterrichtete ich an zwei Tagen in der Woche Migranten in einem Alphabetisierungskurs in einer Gruppe von sechs Personen, von denen ein Mann aus Russland nur am ersten Tag anwesend war. Welche Folgen das für ihn hatte, weiß ich nicht, auf jeden Fall blieb sein Name auf meiner Liste der Teilnehmer. Das interessierte mich natürlich nicht, denn meine Stunden konnte ich ja trotzdem halten, die ausschließlich im Klassenraum stattfanden. Der Alphabetisierungskurs, zu dem ein Sprachkurs und ein Orientierungskurs gehören, ist die erste Stufe eines Integrationskurses. In der Sendung „Report Mainz“ vom 25.07.2011 wurde die Summe von 200 Millionen Euro genannt, die der Staat jedes Jahr für die Finanzierung der Kurse aufbringt. Das sei zunächst mal positiv, doch „Report Mainz“ recherchierte, dass „hinter den Kulissen getrickst und getäuscht“ wird. Und weiter heißt es: „Lehrer von Integrationskursen und Verwaltungsmitarbeiter bei Schulträgern berichten übereinstimmend von gefälschten Anwesenheitslisten und ganzen Kursen, die nur auf dem Papier bestehen. Bei staatlich geförderten Integrationskursen kommt es offenbar zu systematischem Abrechnungsbetrug (www.swr.de). Den Beweis bringt das politische Magazin anhand von Gesprächen mit sieben Informanten, die alle von manipulierten Listen berichten. Diese sind wiederum die Grundlage für die Abrechnung mit dem Bundesamt, von dem es für jeden Teilnehmer 2,35 Euro gibt. „Report Mainz“ weiß, dass zurzeit 90.000 Teilnehmer in einem Integrationskurs lernen und der Schaden von Insidern auf mehr als 100 Millionen Euro geschätzt wird. Ich habe einen Vorschlag, wie man dieses Geld besser verwenden könnte. In den Orientierungskursen geht es zum Beispiel um die Vermittlung von Kenntnissen über die Rechtsordnung, die Gesellschaft und die Geschichte Deutschlands. Warum kann man diese nicht mit Besuchen in einem Gericht oder im Rathaus oder auch in einem Museum verbinden? Das Geld wäre also auf jeden Fall vorhanden und die Bezeichnung Integrationskurs hätte eine größere Berechtigung.

Gutscheine

Im Gegensatz zu sehr viel Zeit hat Khaled wie die meisten seiner Freunde wenig Geld. Doch er ist dankbar für die Leistungen, die er vom Staat bekommt und für die er nichts tun muss bzw. tun darf und stellt fest, dass man in seinem Land Libyen nur für Arbeit Geld bekommt.

Khaled erzählt mir weiter, dass er 170 Euro für Essen und Kleidung und andere persönliche Dinge bekommt und dass er inzwischen 3.000 Euro an seinen Rechtsanwalt gezahlt hat. Diese hat er sich illegal erarbeitet bzw. zum Teil von seinem Onkel, der in Leipzig eine Pension hat, bekommen.

Seit 2011 gibt es in Freiberg für Lebensmittel und Kleidung keine Gutscheine mehr, das heißt, die Asylbewerber können jetzt selbst entscheiden, wo sie einkaufen gehen bzw. was sie mit ihrem Geld machen. Bis dahin waren sie gezwungen, ihre Gutscheine in bestimmten Supermärkten für Grundnahrungsmittel einzulösen. Zuvor war es noch üblich, dass Händler in das Heim kamen und für überteuerte Preise ihre Produkte verkauften. Ich habe mir einmal eine Liste mit Waren des täglichen Bedarfs und den entsprechenden Preisen zeigen lassen und konnte kaum glauben, wie viel mehr als im Supermarkt die Heimbewohner dafür bezahlen mussten. Vor einiger Zeit brachte das MDR-Nachrichtenmagazin „Exakt“ einen Bericht zu dem Thema „Heimbetreiber kassiert offenbar bei Asylbewerbern ab“.


Die Zuschauer erfuhren, was ich von früheren Methoden der Ausländerbehörde in Freiberg längst wusste, dass diese Taktik im Landkreis Leipzig noch gang und gäbe ist. Das Magazin deckte auf, dass der Betreiber eines Asylbewerberheims versucht, gleich doppelt an seiner Kundschaft zu verdienen. Die Recherchen ergaben, „dass der Betreiber des Heims in Threna mehrere Läden besitzt, in denen die Asylbewerber für einfache Grundnahrungsmittel horrende Preise zahlen müssen. Alternativen gibt es nicht, denn die Läden sind nach einem Beschluss des Kreistags die einzige Einkaufsmöglichkeit für die Asylbewerber von gleich drei Heimen im Leipziger Umland.“ Man kann sich ausrechnen, wie viel den Asylbewerbern bei diesem Verteuerungsfaktor von 50 Prozent bei ihnen zur Verfügung stehenden 130 Euro tatsächlich für die eigene Versorgung übrigbleibt. Für mich ist es unverständlich, warum gerade bei den Hilfsbedürftigsten wie den Asylbewerbern die Sucht der Geschäftsleute an einer Bereicherung am größten ist. Vermutlich deshalb, weil ihre Hilf- und Wehrlosigkeit ebenfalls am größten ist. So ergab ein Test eines MDR-Reporters, dass der Einkauf von vergleichbaren Lebensmitteln in einem nahegelegenen Discounter um die Hälfte billiger ausfallen würde. Was soll man von der Antwort der Behörde auf die MDR-Anfrage halten? Der logische Zusammenhang der Begründung für die Vorgehensweise bleibt mir jedenfalls verschlossen.

Khaled kam vor zwei Jahren aus Libyen nach Deutschland und er sagte mir, dass er wie viele andere gekommen ist, weil es in seinem Land keine Freiheit, Demokratie und schlechte Lebensverhältnisse gibt. Aber hier in Deutschland würde er jetzt wie in einem Gefängnis leben, er darf nicht arbeiten, seinen Kreis nur mit einem Urlaubsschein verlassen, den er aber erst beantragen muss, und er darf auch keine Ausbildung machen. Seine einzige Chance ist die Teilnahme an einem Deutschkurs, der aber noch lange keine Garantie für eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland ist. Er will aber trotzdem Deutsch lernen, weil er weiß, dass das sehr wichtig für ihn ist. Ich frage ihn, ob er seine Freundin, die in Wiesbaden lebt, noch hat. „Ja, natürlich“, antwortet er, „und ich will sie auch irgendwann heiraten. Doch ich muss erst lernen, das ist das Wichtigste.“ Leider kommt er sehr unregelmäßig zum Unterricht, bis ich ihn eines Tages beim Italiener an der Ecke treffe und er mir andeutet, dass er zurzeit große gesundheitliche Probleme hat, über die er jetzt aber nicht sprechen könne. Tage später erfahre ich von seiner anstehenden Operation, die aufgrund einer Lungenerkrankung notwendig ist.