Die Pharma-Falle

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

DER WAHRE $KANDAL

Denken Sie an Ihren letzten Arztbesuch. Vielleicht waren Sie bei Ihrem praktischen Arzt, vielleicht auch bei einem Facharzt. In jedem Fall ist er Ihnen bestimmt höflich begegnet und hat Ihnen, so gut er konnte, geholfen. Zuerst sprach er mit Ihnen über Ihre Symptome, dann stellte er eine Diagnose und am Ende verschrieb er Ihnen ein Medikament.

Darauf, welches Medikament er Ihnen verschrieb, hatten Sie vermutlich so viel Einfluss wie darauf, welche Schere Ihr Friseur verwendet. Sie wollten auch gar keinen Einfluss darauf nehmen. Denn Sie dachten, dass ein Arzt Ihnen ein Medikament aus einem einzigen Grund verschreibt: weil es nach seinem besten Wissen und Gewissen jenes ist, das Ihnen am besten helfen kann.

Was tatsächlich dazu geführt hat, dass der Arzt Ihres Vertrauens Ihnen ausgerechnet dieses Medikament verschrieb, welche Studien dazu beigetragen haben und wie sie zustande kamen, welche Gespräche und Handschläge stattgefunden haben könnten und welche Briefumschläge dabei eine Rolle gespielt haben könnten, werde ich in diesem Buch zeigen.

Ich werde es nicht anhand einer umfassenden und detailreichen Analyse der Pharmaindustrie und ihrer Wechselwirkungen mit dem Gesundheitswesen zeigen, sondern auf Basis meiner täglichen Erfahrungen im Krankenhaus. Manches mag provokant klingen, manches vielleicht polemisch. Das ist eine Folge des Ärgers über die herrschenden Zustände, der sich in vielen Jahren bei mir aufgestaut hat. Ich schreibe dieses Buch, weil ich genug habe.Wirksame Medikamente sind ein wertvolles Gut für die Menschheit. Zwischen 1918 und 1920 forderte die Spanische Grippe Schätzugen zufolge zwischen 25 und 50 Millionen Todesopfer, wogegen wir dank der Forschung der Pharmaindustrie jetzt viel besser vorbereitet wären. AIDS ist dank der Pharmaindustrie und ihrer teils genialen Wissenschaftler und Forscher kein Todesurteil mehr, gleiches gilt für andere schwere Erkrankungen.

Das Problem sind die Gier und das Geld. Im Spiel der Kräfte des freien Marktes wollen Pharmakonzerne wie jedes andere Unternehmen auch so viele ihrer Produkte wie möglich an so viele Endabnehmer wie möglich bringen, und was überhaupt ein Produkt ist und wer es bekommen soll, scheinen dann oft nicht wissenschaftliche Vernunft und medizinischer Bedarf, sondern Anlegerinteressen und Profitdenken zu entscheiden.

Das Ausmaß an Einflussnahmen, Einflüsterungen und Manipulationen, die der Entscheidung Ihres Arztes, Ihnen ausgerechnet dieses Medikament zu verschreiben, vorausgegangen sind, wird Sie schockieren. Es wird Sie schockieren zu erkennen, dass es bei dieser Entscheidung tatsächlich nicht in erster Linie um Sie und Ihr wichtigstes Gut, Ihre Gesundheit, geht, sondern um das Streben von Medikamentenherstellern nach Marktmacht und Gewinn.

Es wird Sie schockieren, dass es mittlerweile ein in sich und durch sich gewachsenes System ist, das sich natürlich im gesetzlichen Rahmen bewegt, und dass wir die Manipulation als Normalität und Selbstverständlichkeit wahrnehmen und mit ihr leben, wie ein Arzt und Standesvertreter einmal öffentlich sagte: »Von meinem Gehalt als Spitalsarzt kann ich ja gar nicht leben«, weswegen es nur legitim sei, wenn die Pharmaindustrie seine Kongresskosten übernehme.

Es wird Sie schockieren, dass unsere Gesetze solche Praktiken überhaupt möglich machen. Sie werden sich fragen, warum die Gesetze nicht verschärft werden, und werden es genauso wenig verstehen wie ich, da die Lösungsvorschläge auf der Hand liegen, aber keiner von den politischen Verantwortlichen scheinbar etwas tun möchte.

Sie haben schon einmal gehört, dass die Pharmakonzerne nicht die Guten sind, nicht wahr? Da war doch etwas, denken Sie. Ja genau. Da waren die Skandale, die in den vergangenen Jahrzehnten Wellen der Empörung ausgelöst haben. Doch ein paar Strafzahlungen und außergerichtliche Vergleiche später hat sich nichts verbessert, im Gegenteil. Die Skandale gingen vorüber, der Aufschrei verhallte und die Industrie wurde in ihrem Handeln nicht unbedingt transparenter, sondern bloß subtiler. Sie schöpft einfach nur ihre Möglichkeiten aus.

Die Pharmakonzerne scheinen begriffen zu haben, dass sie nur geschickter agieren müssen, um das gleiche Spiel weiter zu treiben, und dass, selbst wenn sie dabei Fehler machen, ihre Risiken gering sind. Sie müssen nur an den richtigen Schräubchen drehen und die richtigen Hebel in Bewegung setzen, um die richtigen Rädchen im Getriebe zu beeinflussen.

Das haben sie zum Beispiel im Zuge der Malversationen rund um das Schmerzmittel Vioxx begriffen, das der amerikanische Pharmakonzern Merck 2004 unter zunächst mysteriösen Umständen vom Markt nahm. Es herrschte allgemeine Verwunderung über die Entscheidung von Merck, an dessen Gesamtumsatz Vioxx bis dahin einen nennenswerten Anteil hatte.

Allmählich sickerte die Wahrheit durch. Eine von Merck finanzierte Studie sollte neue Anwendungsgebiete für das erfolgreiche Medikament erschließen. Konkret ging es um die Frage, ob das Schmerzmittel auch bei der Vorbeugung gegen bestimmte Dickdarmtumore wirksam wäre. Doch die sogenannte APPROVE Studie dokumentierte neben der erwarteten und erwünschten Wirkung auf die an sich gutartigen Dickdarmtumore auch sehr gefährliche Nebenwirkungen von Vioxx: Das Risiko, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden, verdoppelte sich bei Patienten, die das Medikament einnahmen, allerdings erst nach einer längeren Beobachtungszeit.

Merck nahm Vioxx vom Markt. Fraglich ist bis heute, wie viele durch Vioxx verursachte Todesfälle verhindert hätten werden können, wenn der Pharmakonzern das Medikament gleich vom Markt genommen hätte, als die ersten Herzinfarkte und Schlaganfälle auftraten.

In den darauffolgenden Jahren stimmte der Pharmakonzern einem Vergleich zu, bei dem er etwa 900 Millionen Dollar Schmerzensgeld an die Opfer zahlte. Klingt dramatisch, war es aber für Merck eigentlich nicht. Denn Merck hatte zuvor 2,5 Milliarden Dollar Umsatz mit Vioxx erziehlt, und zwar jährlich. Weshalb die scheinbar horrende Zahlung in der Endabrechnung den Gewinn von Merck mit Vioxx bloß ein wenig schmälerte.

Was die Pharmakonzerne aus der Causa lernen konnten, war: Lege einen Rainy Day Fund an, also eine Rücklage für derartige Vorfälle, und kalkuliere dessen Dotierung in den Medikamentenpreis ein. Um den Imageschaden kümmern sich die PR-Strategen, die Anwälte finden neue Tricks und Techniken zur Umgehung der schärferen Kontrollen und Vorgaben bei der Zulassung, die der politische Wille im Gefolge solcher Skandale hervorbringt, und schon ist ein Skandal mit ein paar tausend Toten »geschluckt«.

Im Kern ist also das System nach dem Vioxx- Skandal und den anderen Skandalen das gleiche geblieben, nur die Pharmakonzerne haben sich weiterentwickelt. Sie agieren schlauer als früher. Sie brauchen sich nicht in die plumpe Illegalität zu wagen. Sie haben es auch nicht nötig, sich mit kriminellen Praktiken Vorteile zu Lasten der Patienten zu verschaffen, das können sie auch im Rahmen der Gesetze und der existierenden Grauzonen tun. Der wahre Skandal spielt sich jetzt im Rahmen der geltenden Gesetze vor unser aller Augen ab, bloß sieht ihn keiner, weil der Wahnsinn zur Normalität wurde und ihn viele Meinungsbildner nicht sehen wollen. Aber die sogenannten Meinungsbildner – oder key opinion leaders – werden in der Industrie in den allermeisten Fällen von der Industrie »gemacht« und meines Erachtens nur zu einem Zweck, nämlich um andere Ärzte zu beeinflussen. Dies ist einer der effektivsten Mechanismen, der Hauptmultiplikator, der die Verkaufszahlen der beworbenen und von Meinungsbildnern empfohlenen Produkte vervielfachen kann.

Ich schreibe dieses Buch in dem Bewusstsein, dass es vielen Menschen, die in der Pharmaindustrie oder im Gesundheitswesen tätig sind, und vielleicht auch Patienten, die lieber blind vertrauen als hinterfragen, missfallen wird. Ich habe mich dazu entschlossen, weil wir als Gesellschaft aufwachen müssen. Denn die Pharmakonzerne sind gut vorbereit im 21. Jahrhundert angekommen, wir hingegen hinken hinterher.

Die Pharmakonzerne verfolgen klare Ziele, die sich aus Quartalsplänen und Profitmaximierung zusammensetzen. Wer will es ihnen auch verübeln? Schließlich müssen sie sich in einer globalen Marktwirtschaft behaupten.

Doch es fehlt das Korrektiv. Denn diesen Konzernen stehen inhaltlich überforderte politische Entscheidungsträger, planlose Wissenschaftler, überarbeitete Ärzte und eine ahnungslose Zivilgesellschaft gegenüber, die zum Teil schon selbst die globale Marktwirtschaft als übergeordnetes Prinzip akzeptiert haben.

Medikamente sind aber eben kein Produkt wie jedes andere. Irgendwann sind wir alle Patienten und dann haben wir ein fundamentales Recht auf eine Behandlung, die ausschließlich unseren Interessen, unserer Gesundheit dient.

Außerdem schreibe ich dieses Buch auch deshalb, weil es für mich als Arzt unerträglich ist, zusehen zu müssen, wie sich gut ausgebildete Mediziner gutgläubig »kaufen« lassen und bereitwillig die von den Pharmakonzernen gebauten goldenen Brücken beschreiten, mit deren Hilfe sie sich nicht als korrupt fühlen müssen. Und ja, ich spreche von »sich kaufen lassen« und »sich nachher selbst belügen«.

Nicht zuletzt schreibe ich dieses Buch, weil die beschränkten Ressourcen des Gesundheitssystems ökonomisch sinnvoll eingesetzt werden müssen. Sie sind kostbar und begrenzt. Und wir dürfen nicht vergessen, dass funktionierende Versicherungssysteme in unseren westlichen Gesellschaften die Eckpfeiler unseres sozialen Friedens sind. Unsere Versicherungssysteme dürfen nicht systematisch und hemmungslos ausgebeutet werden, wie dies zum Beispiel durch unverschämt hohe Preise für Medikamente, deren Wirkung vielleicht auch noch oft fragwürdig ist, tagtäglich geschieht. Wir benötigen ein Korrektiv: durch den Gesetzgeber, durch die Medizin, die Wissenschaft und durch uns alle. Ein solches Korrektiv kann nur durch das Schaffen von Bewusstsein, durch Auflärung und einen Blick hinter die Kulissen entstehen.

 

DIE PHARMAREFERENTEN

Als Patienten werden Menschen bezeichnet, die ärztliche Hilfe oder eine andere medizinische Dienstleistung in Anspruch nehmen wollen oder müssen. Jeder Mensch, zumindest jeder in einer Industrienation lebende, war mindestens schon einmal in seinem Leben Patient. Sei es als Neugeborener im Kreissaal, als Kleinkind wegen Impfungen beim Kinderarzt oder als Erwachsener wegen einer Erkrankung.

Patienten bezahlen ihre Leistung manchmal direkt, aus eigener Tasche vor Ort, aber meistens indirekt über ihre Krankenversicherung. In der Regel bezahlt die Krankenversicherung dem Arzt die erbrachte medizinische Leistung nach einem festgelegten Tarif. Die Voraussetzung dafür ist, dass der Patient seine Versicherungsbeiträge bezahlt. Es herrscht Versicherungspflicht, denn der Staat hat erkannt, dass die meisten Menschen wochenlange Krankenhausaufenthalte, ein paar Tage auf der Intensivstation, Rettungstransporte, die jährlichen Untersuchungen und die notwendigen Medikamente nicht aus eigenen Mitteln bezahlen könnten. Da nach unseren Wertvorstellungen niemandem Gesundheitsleistungen, die er benötigt, vorenthalten werden dürfen, zahlen wir in einen gemeinsamen Topf ein, um im Ernstfall daraus schöpfen zu können. Darauf hat jeder Krankenversicherte einen Anspruch.

Das bedeutet, die eigentliche Zielgruppe der Pharmakonzerne sind zwar die Patienten, doch es bringt ihnen wenig, sich direkt an sie zu wenden, zumal die meisten Medikamente verschreibungspflichtig sind. Zur wichtigsten Zielgruppe der Pharmakonzerne wird damit eine vorgelagerte: die Ärzte, die sich aus Sicht der Pharmakonzerne in vier für sie allesamt interessante Gruppen unterteilen.

• Gruppe 1: Ärzte, die hauptsächlich Patienten behandeln.

• Gruppe 2: Ärzte, die hauptsächlich Forschung betreiben.

• Gruppe 3: Ärzte, die Meinungsbildner sind, also in der Regel zu Expertensitzungen und Expertengremien geladen sind, Vorträge für medizinische Fachgesellschaften oder die Pharmaindustrie halten oder vielleicht auch einflussreiche Mitglieder von Fachgesellschaften sind und für wissenschaftliche Journale arbeiten, das heißt als Redakteure oder als Gutachter fungieren.

• Gruppe 4: Ärzte, die als Fachberater auf politische Entscheidungen Einfluss nehmen.

In allen diesen Rollen sind Ärzte wichtige Ansprechpartner der Pharmakonzerne. Sehr plakativ ausgedrückt sind Ärzte das wichtigste Bindeglied in der Verkaufskette. Durch die Ärzte wird das Produkt Medikament an die Endverbraucher, die Patienten, gebracht, das heißt verkauft.

Und noch viel wichtiger: Ärzte sind eine Drehscheibe im gesamten Gesundheitswesen, das für die meisten Menschen kaum mehr überschaubar ist, weil es dermaßen komplex ist.

Ärzte haben vielfältigste Funktionen. Sie sind in der Grundlagenforschung tätig, genauso wie in der klinischen Forschung. Als Redakteure der medizinischen Wissenschaftsjournale bestimmen sie maßgeblich mit, welche Studie in bestimmten Journalen publiziert und hiermit der großen wissenschaftlichen Fachwelt vorgestellt wird.

Ärzte haben über ihre medizinischen Fachgesellschaften großen Einfluss auf die Verschreibungspraxis zigtausender anderer Ärzte. Die Leit- und Richtlinien, die von den medizinischen Fachgesellschaften herausgegeben werden, sind hierfür eines ihrer wichtigsten Instrumente. Außerdem beraten die Fachgesellschaften die Entscheidungsträger im Gesundheitswesen und in der Politik.

Es versteht sich von selbst, dass Ärzte demnach im Fokus vieler Interessen sind. Das Hauptinteresse der Pharmakonzerne liegt selbstverständlich im Verkauf ihrer Produkte, das heißt letzten Endes immer in höheren Verschreibungszahlen.

Die medizinische Informationsgesellschaft

Es liegt in der Verantwortung der Ärzte, über die Medikamente, die sie verschreiben, genau Bescheid zu wissen. Sich über das Angebot und dessen Wirkung zu informieren, ist eine ihrer wichtigsten Aufgaben. Schließlich ist die Verschreibung eines Medikaments in vielen Fällen das Ergebnis ihrer Arbeit, nachdem sie mit ihren Patienten gesprochen, sie untersucht und eine Diagnose gestellt haben. Der Erfolg ihrer Arbeit hängt dann auch davon ab, dass das Medikament, das sie verschrieben haben, wirkt.

Ärzte müssen deshalb ständig die über Medikamente verfügbaren Informationen prüfen. Sie müssen versuchen, aus der Flut der über Medikamente verfügbaren Informationen die objektiv richtigen auszuwählen, um im Sinne ihrer Patienten handeln zu können. Doch das ist schwierig, denn im Kampf um diese objektiv richtigen Informationen steht einer überforderten Ärzteschaft eine übermächtige Pharmaindustrie gegenüber.

Die Pharmaindustrie stellt mit 1000 Milliarden Euro globalem Gesamtumsatz, so die Schätzung für 2015, einen wirtschaftlichen Machtfaktor gigantischer Größe dar. Entsprechend ihrer wirtschaftlichen Macht sind die Pharmakonzerne hervorragend auf die Kommunikation mit ihren Zielgruppen, vorwiegend den Ärzten, vorbereitet.

Die Budgets für Werbung und Marketing der einzelnen Konzerne sind enorm. Qualifizierten Schätzungen des Datendienstleisters GlobalData zufolge gab zum Beispiel der Pharmakonzern Johnson&Johnson im Jahr 2013 satte 17,5 Milliarden US-Dollar für Werbung und Marketing aus. Novartis folgte dicht dahinter mit 14,6 Milliarden US-Dollar. An dritter Stelle reihte sich Pfizer mit 11,4 Milliarden US-Dollar ein.

Der Hauptteil der Werbe- und Marketingmaßnahmen der Pharmakonzerne richtet sich wie gesagt an die Ärzte. Sie können für diese Zielgruppe enorme Mittel aufwenden, denn es zahlt sich aus, wie sich etwa anhand des eingangs beschriebenen Beispiels leicht nachrechnen lässt: Wenn ich das Medikament, um das es bei dem Treffen in dem Wiener Nobelhotel ging, ein Jahr lang 100 Patienten verschreibe, bedeutet das für den Hersteller knapp 1,7 Millionen Euro Jahresumsatz nur durch mich mit diesem einen Produkt und diesen 100 Patienten.

Das bedeutet, dass es sich für die Pharmakonzerne lohnt, die Kommunikation mit Ärzten mit hohem Einsatz an Mitteln in ihrem Sinn zu gestalten. Mit dem Ziel, dass die Ärzte möglichst vielen Patienten ihre Produkte möglichst frühzeitig und möglichst lang verschreiben. Ihr wichtigstes und dementsprechend teuerstes Kommunikationsmittel sind dabei die Pharmareferenten.

Entspannte Kommunikatoren

Die Pharmareferenten sind ziemlich entspannt. Sie beziehen ein Einstiegsgehalt von 2500 bis 3000 Euro monatlich, plus Erfolgsprämien, mit denen sie ihr Einkommen verdoppeln können. Diese Prämie kriegen auch die meisten von ihnen. Denn wer sie nicht kriegt, soll angeblich nicht mehr lange in seiner Firma oder gar Branche bleiben. Dazu kommen bequeme Dienstautos, aus denen sie in maßgeschneiderten Anzügen steigen, wenn sie einen der wenigen ihnen zugeteilten Ärzte besuchen.

Die Ärzte sind weniger entspannt. Ihre Gehälter ähneln sehr oft den Einstiegsgehältern der Pharmareferenten, wobei die Ärzte aber im Gegensatz zu den Pharmareferenten einem sogenannten gefahrengeneigten Beruf nachgehen, oftmals rund um die Uhr arbeiten und sich keinen Fehler erlauben dürfen. Die ärztliche Ausbildung ist sehr lang, beginnt an der Universität und wird nach der Universität im Spital direkt am Krankenbett fortgesetzt. Fortbildung und Weiterbildung enden aber nie. Der Beruf ist knallhart.

Interessanterweise ist die genaue Zahl von Pharmareferenten nicht bekannt. Die Pharmakonzerne halten sich bedeckt. Scheinbar möchte sich niemand gerne in die Karten schauen lassen. In Österreich sind Schätzungen zufolge 1800 Pharmareferenten tätig, in Deutschland 20.000. Für den klinischen Alltag bedeutet das, dass es jeden Tag in jedem Spital von Pharmareferenten geradezu wimmelt.

Die Pharmareferenten machen auch gar kein Hehl daraus, dass sie im Vergleich zu den gestressten und aufgrund des Spardruckes im Gesundheitswesen zunehmend überlasteten Ärzten ziemlich entspannt sind. »Wenn Ihnen die Medizin einmal keinen Spaß mehr macht, dann kommen Sie doch einfach zu uns«, sagte ein Pharmareferent einmal zu mir. »Da schieben Sie eine ruhige Kugel, haben weniger Aufwand, lernen interessante Menschen kennen und fahren ab und zu auf Kongresse. Außerdem ist Ihr Gehalt dann sicherlich besser als Ihr jetziges. Wenn Sie gut sind, sind Sie schnell beim Dreifachen.«

Pharmareferenten sind aber sicher nicht bösartiger oder rücksichtsloser als andere Menschen. Ihr Job ist auch nur einer wie jeder andere. Sie haben ihre gesetzten Ziele sowie ihre vorgegebenen Vorgehensweisen und Mittel, mit denen sie diese Ziele zu erreichen trachten. Sie verkaufen eben ein Produkt. Das Produkt ihres Auftraggebers. Sie sind Verkäufer, die teilweise eine spezielle Ausbildung machen müssen. Logischerweise werben die Pharmakonzerne aber gerne auch gleich Mediziner und Ärzte ab.

Werbebotschafter im Krankenhaus

Nach außen stellen die Pharmakonzerne die Pharmareferenten als Informationsvermittler dar. Sie sollen es den Ärzten erleichtern, ihrer Pflicht, sich über neue Medikamente und deren Wirkungen zu informieren, nachzukommen. Sie tragen das Mäntelchen der Objektivität, zumindest versuchen sie es mehr oder weniger beherzt zu tragen.

Nach innen ist die Selbstdefinition dieses Berufsstandes schon etwas anders. Die Pharmareferenten sehen sich selbst oft schlicht als Verkäufer. Einer ihrer Standesvertreter formulierte das Profil dieser Berufsgruppe einmal so: »Als Pharmareferenten eignen sich besonders Personen, die gerne auf Menschen zugehen. Gefragt ist der Einzelkämpfertyp mit Managementqualitäten, denn oft müssen Entscheidungen vor Ort schnell und ohne Rücksprache mit Vorgesetzten getroffen werden. Dabei ist es wichtig, Prioritäten zu erkennen. »Ferner führte er aus: »Von der Industrie wird der Pharmareferent als wertvolles Instrument angesehen. Die Industrie steckt viel Geld in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter, wobei nicht nur auf Produktschulung Wert gelegt wird. Es ist wichtig, über den Tellerrand zu schauen. Man muss sich auch mit aktuellen Dingen, etwa wirtschaftspolitischen Entwicklungen, vertraut machen.«

Die nach außen hin betonte Verantwortung, die Pharmareferenten natürlich auch gegenüber Patienten hätten, habe ich leider nur selten gesehen. Vordergründig geht es um Umsätze und Aufstieg auf der Karriereleiter, wie jener Standesvertreter, der den Job künftigen Bewerbern schmackhaft machen wollte, offen erklärte: »Als Pharmareferent Karriere zu machen heißt, seinen Fuß in der Tür zum Management zu haben. Man tut sich auch in anderen Berufsfeldern der Branche wesentlich leichter, wenn man Erfahrung im Außendienst hat, etwa im Marketing als Produktmanager. Der ideale Einstieg in diese gut bezahlte Branche ist also der Job als Pharmareferent, da der Referent die wichtigste Schnittstelle zwischen pharmazeutischer Industrie auf der einen Seite und den Ärzten, Apothekern und dem medizinischen Personal in Spitälern auf der anderen Seite ist. Der Erfolg von Pharmaprodukten hängt zu einem großen Teil von den Fähigkeiten des Pharmareferenten ab. Damit ist er eine zentrale Figur im Unternehmen. Dementsprechend sind die Erwartungen an ihn hoch, aber die Vergütung ist es auch.«

Was heißt das genau? Pharmareferenten sollen Ärzte auf Gedeih und Verderb, ohne Rücksicht auf Verluste davon überzeugen, das von ihnen beworbene Medikament zu verschreiben? Auf der Karriereleiter aufsteigen und gut verdienen werden nur die Pharmareferenten, deren Ärzte die »richtigen Verschreibungszahlen« bringen. Das heißt, die Verschreibungszahlen müssen hoch sein. Je höher desto besser.

Das Mäntelchen der Objektivität tragen manche von ihnen dabei, wenn überhaupt noch, inzwischen sehr nachlässig. Wechselt zum Beispiel ein Pharmareferent seinen Arbeitgeber, kann es vorkommen, dass er ein Produkt abqualifiziert, das er bei seinem bisherigen Job gelobt hat. Sie agieren wie Söldner in einem kapitalistisch funktionierenden Markt. Einmal angeheuert versuchen sie unablässig, allen Ärzten ihr Produkt aufzuschwatzen. Aber natürlich können die meisten auch gar nicht anders, da sie die entsprechenden Fachkenntnisse gar nicht haben. Somit sind sie auf die Informationen ihrer Arbeitgeber, den großen Pharmakonzernen, voll und ganz angewiesen.

 

Pharmareferenten unterscheiden sich von Vertretern anderer Branchen wie zum Beispiel Staubsaugervertretern noch am ehesten dadurch, dass es gemessen an der geringen Zahl ihrer »Kunden«, den Ärzten, sehr viele von ihnen gibt. Grob geschätzt ist das Verhältnis Pharmareferenten zu Ärzten gleich 1:10 bis 1:20. Ein solches Betreuungsverhältnis gibt es nur in wenigen Sparten, weil es sich normalerweise nicht rechnet.

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?