Der Sohn des Deutschländers

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

„Wenn du meinst“, sagt er nur, zuckt die Achseln und geht aus dem Zimmer.

Kapitel IV.

Kapitel 4

Julius Deisenhofer hatte sein Eintreffen in der Hauptstadt angekündigt. Zwei seiner Arbeiter waren von ihm als Begleiter eines Holztransportes vorausgeschickt worden. Der Verkauf von Brennholz an das staatliche Elektrizitätswerk in Luque machte einen nicht unerheblichen Teil seiner Geschäfte aus.

Am späten Nachmittag schlenderten zwei Arbeiter, Miguel und Adalberto, gemächlich und mit fröhlichem Grinsen im Gesicht über den Patio zum Hinterhaus. Ganz offensichtlich waren sie nicht zum ersten Mal hier, denn sie kamen unbefangen und wie selbstverständlich bis unter das Vordach. Auch auf das übliche In-die-Hände-Klatschen, welches hier in Paraguay zum guten Ton gehört, um sich bemerkbar zu machen, hatten die beiden verzichtet. Einer der Männer versuchte durch die offen stehende Tür in Luisas Schlafzimmer zu schielen. Maria Celeste bemerkte den Schatten in der Tür, erkannte den Arbeiter und sprang ihm sofort entgegen. Auch ihre Brüder empfingen die beiden mit fröhlichem Geschrei.

„Morgen kommen Onkel Julio und Tante Christa!“, rief Maria Celeste erfreut, als sie die Nachricht hörte. Adalberto packte das jubelnde Kind daraufhin bei den Händen und drehte sich um sich selbst, so dass Maria Celestes Füβe sich vom Boden lösten und durch die Luft wirbelten. Arthur stand dabei und wurde von ihrem Lachen angesteckt. Da packte ihn Miguel und lieβ ihn ebenfalls an den Händen durch die Luft fliegen. „Du musst Maria Celestes neuer Freund sein! Haben schon von dir gehört, kleiner Weißkopf!“

Übermütig tobten Deisenhofers Waldarbeiter mit den Kleinen herum und lieβen sich ständig neue Albernheiten einfallen, um die Kinder zum Lachen zu bringen. Alle wurden von der ausgelassenen Stimmung angesteckt. Selbst Hildegard erhielt von Justina die Erlaubnis, eine Viertelstunde mit den anderen zu spielen. Anfangs stand sie mit schüchternem Lächeln daneben. Aber als Maria Celeste und Arthur beim Packenspielen hinter ihr her jagten, konnte sie auch sie endlich einmal aus vollem Halse lachen. Selbst die Vögel schienen lauter zu zwitschern als sonst, die ganze Luft flimmerte vor Fröhlichkeit.

Erst kurz vor Sonnenuntergang rief Justina zum Abendessen. Eilig wuschen sich alle die Hände und kamen in die Küche. Arthurs Vater fiel auf, dass die beiden Besucher von einer Minute zur anderen wie ausgewechselt schienen. Es mochte an Justina liegen. Aus irgendeinem Grund schien in ihrer Gegenwart jedes Anzeichen von Ausgelassenheit und Freude unangebracht. Mit gesenkten Köpfen kamen Miguel und Adalberto in die Küche und fragten Luisa fast flüsternd, wo sie sich setzen sollten. Dann warteten sie schweigend, bis Justina ihr Tischgebet mit einem lauten „Amen“ beendet hatte und anfing, den Braten zu zerteilen. Auch beim Essen herrschte fast schüchterne Schweigsamkeit, obwohl die aufgetischte Mahlzeit wie immer üppig war und hervorragend schmeckte.

Und genauso plötzlich wie die Stille eingetreten war, verschwand sie auch wieder, als alle satt waren und Justina die Mahlzeit für beendet erklärte, indem sie aufstand und anfing, den Tisch abzuräumen.

Luisa zog Adalberto am Arm nach drauβen und forderte ihn in neckischem Befehlston auf, Brennholz bei der üblichen Feuerstelle aufzuschichten. Über alle Maßen witzige Bemerkungen schienen zwischen den Arbeitern und Luisa hin und herzufliegen, denn die wenig geistreichen Gespräche endeten immer wieder in Luisas perlendem Lachen. Arthurs Vater konnte annähernd den Sinn verstehen, als sie dann die Stimme senkte und zu Miguel sagte: „Du könntest die Korbsessel von der Terrasse in den Garten bringen, während ich mich um die Kinder kümmere. Und lass dir von der Küchenhilfe eine Flasche Wein und Gläser geben! Ich bin gleich wieder da.“

Küchenhilfe! Ich lag also gar nicht so verkehrt mit meinem Eindruck, dachte Arthurs Vater. Luisa spielt vor den Arbeitern die überlegene Hausherrin. Ich möchte mal sehen, ob sie genauso herablassend über Justina spricht, wenn die Deisenhofers da sind.

Miguel hatte seine Finger in die Öffnungen der vier Gläser gesteckt, um sie zusammen mit der Weinflasche in den Patio zu tragen. Arthurs Vater wollte behilflich sein, und Miguel etwas abnehmen, dieser ignorierte ihn jedoch. Also beeilte Arthurs Vater sich, einen Hocker bereitzustellen. Miguel nickte nur, stellte Flasche und Gläser ab, dann machte er sich ohne ein Wort zu sagen daran, eine Hängematte zwischen den Pfeilern des Vordachs aufzuspannen. Adalberto tat das Gleiche, ebenfalls in tiefes Schweigen gehüllt.

Komisch, dachte Arthurs Vater, diese beiden Kerle scheinen nur mit Kindern und Luisa zu sprechen.

Er setzte sich. Miguel war mit dem umständlichen Knoten an seiner Hängematte fertig, also setzte er sich ebenfalls. Wenig später ließ sich auch Adalberto auf einen Stuhl fallen. Keiner der drei sagte etwas. Die Stille hing bleiern über ihnen, war irgendwie peinlich. Alle warteten auf Luisa.

Nachdem sie die Kinder ins Bett gebracht hatte, kam sie langsam, mit leicht wiegenden Hüften in den Patio. Sie streckte sich genussvoll, fuhr mit der Hand über ihren Nacken und löste dabei wie zufällig die Spange, die ihr langes schwarzes Haar in einem dicken Pferdeschwanz zusammengehalten hatte. „Nun Männer, kriege ich ein Glas Wein?“, fragte sie mit kecker Stimme. Und sofort griffen alle drei Männer nach dem Weinglas, das man für sie bereitgestellt hatte. Luisa lachte etwas zu laut.

Auch wenn sie sich betont fröhlich gab und versuchte, die Männer mit ihrer guten Laune anzustecken, war die Stimmung am Lagerfeuer eher angespannt. Von der lustigen Ausgelassenheit, die beim Spielen mit den Kindern geherrscht hatte, war bei Deisenhofers Arbeitern nun nichts mehr zu spüren. Jeder von ihnen bemühte sich, Luisa in ein Gespräch zu verwickeln, wurde aber früher oder später vom anderen unterbrochen.

Ich glaub es kaum!, dachte Arthurs Vater. Die Beiden versuchen anscheinend, sich bei Luisa einzuschmeicheln und sich dabei untereinander auszustechen! Allerdings, wie mir scheint, nicht zum ersten Mal! Und Luisa, dieses kleine Biest, scheint das auch noch in vollen Zügen zu genieβen! Jedenfalls kichert sie heute herum, wie ein Backfisch. Der Wein tut das Seinige dazu.

Auch wenn er jetzt so tat, als ginge ihn die kleine gesellschaftliche Runde nichts an, beobachtete und interpretierte Arthurs Vater mit lauernder Achtsamkeit alles, was die fremden Männer taten oder sagen mochten. Denn nicht einmal ansatzweise konnte er verstehen, was da wirklich zur Sprache gebracht wurde. Zu häufig glitten die Arbeiter, und damit auch Luisa, ins Guaraní ab, die eigentliche Muttersprache der meisten Paraguayer. Und sosehr er auch versuchte sich selbst einzureden, dass es ihm einerlei sei, worüber die untereinander offensichtlich befreundeten Arbeiter mit Luisa reden könnten, konnte er sich nicht dazu entschließen, die Runde einfach zu verlassen und ins Bett zu gehen. Luisas häufiges Kichern in leicht überhöhter Tonlage wirkte einerseits abstoßend auf ihn, andererseits hätte er nicht abstreiten können, dass es ihn auch irgendwie faszinierte. Er tat also, als sei er angestrengt mit dem Lagerfeuer beschäftigt, stocherte in der Glut herum, schob die brennenden Holzscheite immer wieder zurecht und beobachtete aus den Augenwinkeln die sich anbahnende Rivalität der beiden Arbeiter. Miguel bemühte sich gerade deutlich darum, irgendetwas Originelles zu erzählen und Luisas Aufmerksamkeit zu fesseln, irgendwann schien sein Tonfall immer persönlicher zu werden, schließlich redete er regelrecht schmeichelnd auf sie ein, bis Luisa anfing schelmisch zu kichern, dann laut zu lachen. Da mischte sich Adalberto in das Gespräch, das eigentlich ein Monolog gewesen war und redete seinerseits über irgendetwas Witziges, über das Luisa lachen konnte, um dann wiederum in einen schmeichelnden Tonfall überzugehen. Immer wieder versuchte einer von beiden, Luisas Aufmerksamkeit ganz für sich zu gewinnen.

Arthurs Vater verstand nichts von der Unterhaltung, aber das war auch nicht notwendig. So viel war offensichtlich: im Alltag und bei der Arbeit waren die Männer Kollegen. Jetzt, am Lagerfeuer und in Gegenwart einer schönen Frau waren sie nur Rivalen. Je später der Abend und je höher der Alkoholgehalt im Blut der Besucher, desto deutlicher die Bereitschaft zum Wettstreit. Mochten sie ansonsten auch gute Kameraden, fast Freunde sein.

Arthur behauptet an dieser Stelle, dass allen Latinos eine gewisse Rivalität untereinander „angeboren“ sei. Selbst wenn sie sich als Freunde bezeichnen, käme in Gegenwart einer mehr oder minder schönen Frau immer so etwas wie eine „Hahnenkampf-Mentalität“ zutage.

„Ist es nicht so“, frage ich ihn herausfordernd, „dass dieses Balzgehabe bei allen Männern zu finden ist? Haben wir dann nicht alle das Bedürfnis, den Frauen angenehm aufzufallen? Ich glaube kaum, dass die Latinos da eine Ausnahme sind.“

„Ausnahme ist das falsche Wort. Wir haben sicherlich die gleichen biologischen Voraussetzungen... aber ich glaube, dass die unterschiedliche Lebensweise, die unterschiedlichen Kulturen sich auch in der Veranlagung niedergeschlagen haben.“

„Quatsch!“, rufe ich. „Es mag zwar richtig sein, dass man den Männern des Südens eine ausgeprägtere Heiβblütigkeit nachsagt, als uns Männern aus dem ’kalten Norden‘, aber das ist doch letztendlich eine Frage der Erziehung!“

„Bist du da wirklich sicher?“

„Ja natürlich! Ein Weißhäutiger aus dem hohen Norden kann genauso den Kopf verlieren, wie ein Südländer, wenn er verliebt ist. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Wer kennt das nicht? Nicht unsere hellere Hautfarbe macht uns ‘kalt’, sondern die antrainierte Beherrschung unserer Gefühle! Schon unseren Kindern bringen wir schlieβlich bei: halte deine Gefühle zurück, brülle deine Wut nicht unkontrolliert heraus, schreie nicht drauflos, wenn dir etwas nicht passt, weine nicht in der Öffentlichkeit, sobald du ein gewisses Alter erreicht hast, aber singe auch nicht lauthals, nur weil du grad’ fröhlich bist und so weiter! Und dieses Abgewöhnen von unkontrolliertem Verhalten geht schlicht und einfach mit der allgemeinen Bildung Hand in Hand! Mit Herkunft oder Hautfarbe hat das absolut nichts zu tun!“

 

„Ich wäre da nicht so sicher. Kann es nicht auch sein, dass sich das ständige Niederkämpfen von leidenschaftlichen Gefühlen auf unsere gesamte Veranlagung auswirkt? Es heiβt schlieβlich nicht umsonst, dass ein blasser Nordländer auch in seinen Gefühlen irgendwie ‘blasser’ ist, als beispielsweise der ‘heiβblütige’ Spanier oder Italiener, oder eben ‘Latino’!“

„Wenn du dir jetzt die Frage stellst, ob sich Verhaltensweisen, die über Generationen hinweg an- oder abtrainiert werden, irgendwann im genetischen Material festsetzen, muss ich passen. Keine Ahnung. Auf jeden Fall glaube ich, dass unsere Vorfahren, die wilden Germanen, hübsch dieselben genetischen Veranlagungen hatten wie wir.“

Wie immer scheint Arthur meine Argumente einfach zu ignorieren, wenn ihm kein passendes Gegenargument auf meine Aussagen einfällt. Er denkt nach und schweigt.

Die beiden Don Juans, Miguel und Adalberto, waren natürlich nicht zum ersten Mal bei Luisa im Hinterhaus. Möglicherweise war es dem einen oder anderen zuvor schon einmal gelungen, ihr näher zu kommen. Heute, als sie ins Hinterhaus gekommen waren, hatten sie zunächst einmal geglaubt, dass sie bei Luisa ohnehin keine Chancen mehr hätten. Denn der blauäugige Alemán, der neuerdings hier wohnte, musste ja die besseren Chancen bei einer Frau haben. Schlieβlich war es eine allgemein bekannte Tatsache, dass alle Frauen eingewanderte Extranjeros bevorzugten. Die eigenen Landsleute konnten da versuchen, was sie wollten.

Allerdings standen Miguel und Adalberto vor einem Rätsel. Es hatte den Anschein, als habe dieser großgewachsene Deutsche mit den blauen Augen nichts bei Luisa erreicht – aus welchem Grund auch immer. Er schien auch gar keine Ansprüche an die Frau zu stellen, obwohl sie immerhin seit einigen Wochen mit ihm unter einem Dach lebte.

Caramba!, dachte Luisa. Der Einzige, der mich kaum beachtet, ist mal wieder mein Rubio, mein Blondschopf!

Sie hielt ihr Gesicht Adalberto zugewandt, lächelte zuckersüß und nickte ab und zu mit dem Kopf. Dass sie nicht wirklich hörte, was er sagte, schien er nicht zu bemerken. Ihre Gedanken beschäftigten sich mit Arthurs Vater.

Hat er denn keine Augen im Kopf, oder will er wirklich nicht sehen, dass ich eigentlich schon ganz gerne mit ihm... Seit fast drei Wochen lebt er jetzt hier bei uns. Er schläft sogar im selben Raum wie ich! Und noch kein einziges Mal hat er auch nur den kleinsten Versuch gemacht, mich anzufassen. Das ist doch nicht normal! Oder... vielleicht – um Himmels Willen! – könnte es sein, dass er am Ende nur zu schüchtern ist? Habe ich vielleicht nur nicht darauf geachtet, wenn er versteckte Andeutungen gemacht hat?

Welche Signale hatte sie übersehen? Da fiel ihr ein: gestern erst war es wieder sehr spät geworden... sie hatten mühsam versucht, am Lagerfeuer über Deisenhofer und dessen Arbeit zu reden... irgendwann war Arthurs Vater aufgestanden und hatte mit auffallend freundlichem Lachen gesagt, dass er lieber schlafen gehen sollte... und sie erinnerte sich: er hatte angedeutet, dass ihm kalt geworden war, indem er seine Arme um die eigenen Schultern legte. Hatte er damit am Ende andeuten wollen, dass er nicht allein schlafen wollte?

Sie sagte zu sich selbst, dass sie in Zukunft besser darauf achten würde, ob er irgendwelche Andeutungen machte. Notfalls müsste sie eben doch den berühmten ersten Schritt machen, auch wenn sie den eigentlich prinzipiell ablehnte.

Aber warum sollte sie jetzt nicht einfach genieβen, dass sich heute gleich zwei Männer ohne irgendwelche Scheu um sie bemühten! Sie brauchte nur die Hand nach dem Weinglas ausstrecken, da war einer der Caballeros zur Stelle um sicherzugehen, dass sie auch noch genügend Wein hatte. Trotzdem: Wenn sie ehrlich war, musste sie sich eingestehen, dass sie die beiden Arbeiter längst nicht so interessant fand wie den fremdländischen Mann aus Europa, Arthurs Vater.

Dieser blickte die ganze Zeit scheinbar teilnahmslos in die Runde.

Er machte sich inzwischen Gedanken darüber, welche Dinge er mit Deisenhofer klären müsste. Morgen würde er endlich mehr über die deutsche Siedlung Independencia erfahren und von Möglichkeiten hören, selbst dort anzusiedeln und zu arbeiten oder Geschäfte zu machen.

Vielleicht kann er mir beim Start im Pelzgeschäft helfen, dachte er. Nach allem, was ich jetzt schon über Julius Deisenhofer gehört habe, muss er ein recht vermögender Kolonist sein. Und als erfolgreicher Geschäftsmann hat er sicherlich gute Geschäftskontakte. Vielleicht kennt er sich sogar im Exporthandel aus, mit Zollbestimmungen und dergleichen.

Außerdem muss ich hier weg! Ich habe die Schnauze gestrichen voll davon, dass ich jeden Abend mit Luisa verbringen muss! Und in der Nacht bin ich nur durch einen miserablen Kleiderschrank von diesem rassigen Weib getrennt. Das hält ja auf die Dauer keiner aus! So nah und doch unerreichbar. Inzwischen weiß ich zwar, dass sie keinen festen Partner hat, aber ich kann doch nicht einfach mit der Hausangestellten... Ich bin hier schließlich Gast. Deisenhofers Gast!

Ein einziges Mal hatte sich Arthurs Vater vor ein paar Tagen mit einer kleinen Straβendirne einlassen können. In der Nähe des Hafens war er einer grell geschminkten, zierlichen Person mit strohblond gefärbtem Haar und hochhackigen Schuhen in ein kleines, widerlich muffig riechendes Zimmer gefolgt. Das Ganze hatte nicht lange gedauert. Daraufhin hatte er kurzfristige Erleichterung verspürt, mehr nicht. Dies Erleichterung war jedoch rein körperlich, denn darüber hinaus war ihm nur zu bewusst, dass irgendwelche Geschlechtskrankheiten bei den Nachtschwälbchen nichts Ungewöhnliches sein dürften.

Bevor ich mich wieder so abfertigen lasse, kann ich mir den Drang in meiner Leistengegend auch selbst wegrubbeln, sagte er sich wütend.

Aber auch diese zynischen Gedanken halfen Arthurs Vater nicht dabei, seine uneingestandene Sehnsucht herunterzuspielen. Ein Sehnen, das durch seine unfreiwillige Nähe zu Luisa nicht gerade geschmälert wurde.

Unwillkürlich musste er seufzen. Luisa, Miguel und Adalberto sahen ihn erstaunt an.

„Der Wein ist gut“, sagte er schnell, nur um überhaupt etwas zu sagen. Daraufhin nickten alle drei einverstanden und prosteten ihm zu.

Im Wettkampf um die Gunst der Frau schien sich Miguel langsam als klarer Favorit herauszuschälen. Arthurs Vater waren die immer dreister werdenden Annäherungsversuche dieses Mannes zuwider und er hoffte immer noch, dass Luisa die platten Schmeicheleien irgendwann ersticken und sich zurückziehen würde. Zumal Mitternacht längst vorbei sein musste. Aber sie spielte ihre Rolle als umworbene Trophäe noch immer mit offensichtlichem Genuss.

„Nein, nein, nein und nochmal nein!“, hat Arthur nach eingehender Lektüre meiner letzten Seiten gerufen.

„Du stellst Luisa als eine geradezu männerverschlingende und fast boshafte Nymphomanin hin! Luisa mag ja ihre Rolle als vielumschwärmte Schönheit genossen haben, aber sie war und ist keine liederliche Person! Sie hatte und hat sehr liebenswerte Eigenschaften, ein beneidenswert fröhliches Gemüt und sie hat ein riesengroßes Herz!“

„Das ist richtig“, sage ich. „Du hast mir Luisa immer als fröhlich, liebenswert und hilfsbereit beschrieben. Aber du hast mir auch erzählt, dass sie sich nie gescheut hat, sich so in Szene zu setzen, dass kaum ein Mannsbild an ihr vorübersehen konnte. Es fiel ihr auch nie ein, die geradezu geifernden Männer in Schranken zu verweisen.“

„Ja, sie mag es genossen haben, umschwärmt und begehrt zu werden“, räumt Arthur ein. „Man muss sich aber dabei ihr Selbstbild vor Augen halten. Denn du vergisst das Bild, welches man in ihrer Gesellschaft von den Frauen hatte und vielleicht noch hat. Sie musste ihren Erfolg bei Männern als ihren Erfolg im Leben ansehen, verstehst du? Das Bild, das sie von sich selbst hatte, war davon abhängig, was die Männer in ihr sahen und wie sie auf sie reagierten. Und wie könnte es bei ihrer Vergangenheit auch anders sein!“

„Hört, hört!“, rufe ich spottend. „Da spricht der Psychologe in dir, was? Selbstbild und Vergangenheit! Es mag ja sein, dass Luisa ein liebenswerter Mensch war und ist. Sie war sicherlich auch eine zärtliche Mutter und ein insgesamt fröhliches Menschenkind. Aber bei ihrer Vergangenheit wäre es doch viel eher logisch gewesen, wenn sie die Männer gehasst und mit Füβen getreten hätte!“

„Ja, das stimmt schon, aber du darfst nicht vergessen, dass Männer in ihrem Leben immer...“

„Ja, ich weiβ. Aber auf ihr Leben kann ich später eingehen. Das würde uns jetzt zu weit von dem Geschehen im Deisenhofer’schen Hinterhaus wegbringen.“

„Hm, ja, vielleicht hast du Recht“, murmelt Arthur.

Ich weise also nur darauf hin, dass Luisas Bestreben, in der Männerwelt stets als umworbene Trophäe zu gelten, auf Begebenheiten in ihrer Vergangenheit beruhten. Und diese Begebenheiten waren im wahrsten Sinne des Wortes gewaltig. Aber dazu kommen wir später.

Arthurs Vater fühlte sich äuβerst unbehaglich in seiner aufgezwungenen Rolle als Zuschauer. Er erhob sich übellaunig ohne etwas zu sagen und ging auf die Küchentür zu. Durch die zugezogenen Vorhänge des Küchenfensters fiel mattes Licht unter das Vordach. Also konnte er hoffen, dass auch Justina heute länger aufgeblieben war als sonst. Er klopfte kurz an die Tür und trat ohne eine Antwort abzuwarten ein. Justina sah ihn erstaunt an. Jedoch sah er nicht nur ihr Erstaunen über sein ungebetenes Erscheinen. In ihren Augen, ihrem Blick, aber auch in den angespannten Gesichtszügen war so etwas wie blanke Wut und tiefe Verachtung zu erkennen. Obwohl er wusste, dass Justina über seinen nächtlichen Besuch in ihrer Küche alles andere als erfreut war, zog er einen Stuhl vom Tisch ab und setzte sich.

„Das ist lächerlich, was die sich da drauβen liefern“, sagte er statt einer Entschuldigung. „Ich hab es satt, mir diesen Hahnenkampf länger anzusehen!“

Justina sagte nichts, erhob sich aber und goss den restlichen Kaffee aus einer leicht zerbeulten, emaillierten Blechkanne in eine Porzellantasse und stellte sie, immer noch wortlos, vor Arthurs Vater auf den Tisch und setzte sich wieder.

„Diese Hure!“, brach es kurz darauf völlig unvermutet aus ihr heraus. „Jedes Mannsbild zieht sie in ihr Bett! Auf Sie hat sie es doch auch vom ersten Tag an abgesehen! Warten Sie nur, bald macht sie sich wie eine läufige Hündin an Sie heran und legt Ihnen neun Monate später den nächsten Bastard ins Nest! Und sie schämt sich noch nicht einmal dafür! Jeder wird früher oder später von ihr benutzt, um sie zufrieden zu stellen. Zuletzt tut sie auch noch so, als sei sie die Verführte gewesen und ist ganz stolz darauf. Dabei ist sie eine gierige Schlampe! Möge der Herr ihr zu gegebener Stunde verzeihen, aber dieses Weib ist sicherlich noch nicht einmal zu Gefühlen wie Reue und Schuldbewusstsein fähig!“

Arthurs Vater holte tief Luft. Einen derart wortreichen Gefühlsausbruch hatte er von Justina nicht erwartet. Auch überraschte ihn die Heftigkeit ihrer Anschuldigungen. Zwar war ihm inzwischen klar, dass die beiden Frauen nicht gerade die besten Freundinnen waren, aber eine solch feindliche Rede verschlug ihm beinahe die Sprache.

„Aber nicht doch“, setzte er zu beschwichtigen an. „Es ist doch nur natürlich, dass eine allein stehende, hübsche junge Frau...“ Weiter kam er nicht, da er bestürzt feststellte, dass Justina in Tränen ausgebrochen war. Sie hatte den Kopf gesenkt und eine Hand vor die Augen gelegt. Stumme Schluchzer schüttelten sie. Augenblicklich erwachte sein Beschützerinstinkt, er rückte seinen Stuhl näher an Justina heran und legte einen Arm auf ihre Schulter. Wie elektrisiert sprang Justina auf und kreischte geradezu hysterisch: „Fassen Sie mich nicht an!“

In ihrer Linken hielt sie die Kaffeekanne in unmissverständlicher Drohgebärde hoch über ihren Kopf.

„Raus!“, rief sie mit schriller Stimme. „Ihr seid doch alle gleich! Alle wollen nur das Schmutzige, Gottlose! Gehen Sie raus!“

 

Völlig perplex stand Arthurs Vater da. Er war zu erschrocken, um irgendetwas zu tun oder zu sagen. Nach kurzem Zögern verlieβ er fluchtartig die Küche.

Drauβen stellte er fest, dass einer von Deisenhofers Arbeitern seinen Werbefeldzug aufgegeben und sich in seine Hängematte verkrochen hatte.

Luisa und der Sieger hatten sich jedoch nicht etwa ins Schlafzimmer zurückgezogen, sondern saβen ineinander verschlungen und kichernd auf einem der Korbsessel im Patio und blickten Arthurs Vater fragend an. Justinas Wortschwall war auch hier drauβen nicht zu überhören gewesen.

Arthurs Vater fiel es allerdings nicht ein, irgendeine Erklärung abzugeben. Verstört und entnervt fuhr er die beiden grob an: „Habt ihr nicht vor, endlich ins Bett zu kriechen, oder wollt ihr eure Orgie unbedingt hier drauβen vor Publikum feiern?“ Diese Frage, in wütendem Ton auf Deutsch gestellt, war von derart eindeutiger Mimik begleitet gewesen, dass Luisa und Miguel nach kurzem Blickwechsel aufstanden und wortlos im Schlafzimmer verschwanden.

Grimmig blickte Arthurs Vater den beiden hinterher und dachte: Ich kann nur froh sein, dass mein Kleiner und Maria Celeste einen so gesegneten Schlaf haben! Dieser ganze Zirkus! Ich fürchte, ich habe mir in den letzten Wochen viel zu wenig Zeit für Arthur genommen. Aber er sah die ganze Zeit über so zufrieden aus! Viel zufriedener, als er mir in Deutschland je erschienen ist. Aber wenn nun die Gesellschaft hier im Haus doch nicht das Richtige für ihn ist? Wenn ich nur wüsste, wie es weitergeht! So ein Abend hat mir gerade noch gefehlt!

Seine Finger zitterten vor Wut, als er die Schnürsenkel seiner Schuhe löste. Dann legte er sich in die freie Hängematte. Er war wütend auf Luisa und ihre Männer, wütend auf ebendiese Männer, die in ihrer Gegenwart zu hirnlosen geilen Böcken geworden waren und sich noch nicht einmal darum bemüht hatten, ihre einschlägigen Bedürfnisse ein wenig dezenter auszudrücken. Auch wütend auf Deisenhofer, der so lange auf sich warten lieβ, letztendlich wütend auf sich selbst, weil er sich impulsiv dazu entschlossen hatte, auf’s Geratewohl nach Paraguay und letztendlich in dieses Hinterhaus zu kommen, um hier ein neues Leben zu beginnen.

Wut muss irgendwann jede Faser seines Körpers durchzogen haben.

Er war nicht sicher, ob er sich die Geräusche im Schlafzimmer einbildete, oder ob er tatsächlich hörte, was er sich sowieso die ganze Zeit über ungewollt im Geist ausmalte. Seine Wut wurde noch gröβer als er merkte, dass ihn der Gedanke an das Geschehen im Schlafzimmer erregte. Irgendwann erhob er sich leicht fröstelnd und ging auf die Straβe hinaus, um die Bilder in seinem Kopf abzuschütteln. Er wollte es sich zwar nicht eingestehen, aber der jäh aufflammende Neid auf Miguel peinigte ihn geradezu.

Er wanderte kilometerweit durch die nächtlichen Gassen der Stadt. Einfach geradeaus, einfach immer weiter. Plötzlich verlangsamte er seine gehetzten Schritte und musste lachen. Du bist ja nur so wütend, weil du schrecklich neidisch bist, sagte er zu sich selbst. Gesteh es dir doch endlich ein, wie gern du selbst an Miguels Stelle gewesen wärest! Dabei hast du immer so getan, als würde sie dich nicht interessieren! … Nicht interessieren! Dieses tolle Weib mit diesen wunderschönen Brüsten und runden Hüften. Und dieses wundervolle, glänzende Haar... und sie scheint immerzu fröhlich und guter Dinge zu sein. Naja, zumindest solange sie weiβ, dass man sie ansieht. Hm, stimmt eigentlich… Genau das ist es ja! Sie will ja auch angesehen werden! Warum würde sie sich sonst so bewegen! Sie setzt ja auch alles daran, einen verrückt nach ihr zu machen. Und mit der „Moral“ scheint sie sich auch nicht gerade das Leben schwer zu machen! Aber, im Grunde genommen, was ist das schon – Moral! Vielleicht mache ich mir die ganze Zeit über das Leben unnötig schwer! Nur, andererseits, was sollten denn die Deisenhofers von mir denken, wenn sie kommen und feststellen dass ich mit ihr... Nein. Wahrscheinlich war es das einzig Richtige, mich mit stundenlangem Spazierengehen aus dem Haus fernzuhalten. Aber die Abende im Patio, und vor allem die verflixten Nächte im gleichen Zimmer! Ich hoffe nur, dass ab morgen alles anders wird.

Er sog die nächtliche Luft, die jetzt im Mai schon ziemlich frisch sein konnte, tief ein und fühlte sich erleichtert, weil ihm die Ursache seines Grolls immer klarer wurde: Er brauchte, verdammt nochmal, eine Frau!

Eine Frau wie Luisa ständig neben sich zu haben, sie aber nicht haben zu können, war die reinste Qual. Qualen des Tantalus…

Aber wieso, ging es ihm immer wieder durch den Kopf, sollte ich sie eigentlich nicht haben können? Sie hat keinen wirklich festen Partner, wie mir scheint. Wieso bin ich noch nicht auf die Idee gekommen, sie einfach zu heiraten und mit ihr ein neues Leben anzufangen? Aber gleich mit insgesamt vier Kindern? Wo bliebe da meine Unabhängigkeit? Und ich weiβ ja auch noch gar nicht, welche Möglichkeiten sich für mich auftun werden, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Da ist es sicherlich nicht ratsam, gleich eine ganze Familie zu heiraten. Aber selbst eine Frau ohne Kinder... Passt da überhaupt eine Frau hinein? Also doch einfach hie und da ein kleiner Schmetterling von der Straβe? Aber, verdammt, bezahlte Liebe ist auch nicht das, was mir fehlt. Also doch nur ein kleines Abenteuer mit Luisa? Vielleicht schert es Deisenhofer ja nicht im Geringsten. Von irgendwas hat sie schließlich drei Kinder, auch wenn Justina mal gesagt hat, Luisas Kinder hätten keine Väter. Warum gehe ich nicht einfach genauso vor, wie die anderen Mannsbilder, die Luisa umturteln, es irgendwann schaffen, mit ihr ins Bett zu steigen und am nächsten Tag ist alles wie vorher!

Dieser Gedanke hatte etwas Verlockendes. Aber wenn dann ein Miguel, Adalberto oder sonst wer kämen, ihr gerade besser passten... Heute Nacht in ihrem Bett und morgen Nacht hinter dem Kleiderschrank?

Seine Überlegungen schweiften zu dem, was Justina in ihrer unerklärlichen, bodenlosen Wut über Luisa ausgespuckt hatte. Woher kam dieser Zorn? War das wirklich nur moralische Entrüstung? Oder steckte vielleicht auch da tief sitzender Neid dahinter? Neid auf Luisas Schönheit und die Art, ihre üppigen Rundungen in Szene zu setzen? Schlieβlich achtete sie gekonnt darauf, dass die Schnitte ihrer Kleider genau da etwas enger anlagen, wo etwas herausgestrichen werden sollte und, andererseits, all das kaschierten, wo man ihrem Körper vielleicht ansehen könnte, dass sie immerhin drei Kinder zur Welt gebracht hatte.

Was hatte Justina so aufgebracht? Woher kam ihre Wut? Wer war Justina eigentlich? Arthurs Vater hatte sie die ganze Zeit über für eine relativ mittellose Witwe gehalten, die sich und ihr Kind irgendwie durchbringen musste. Sie konnte nicht viel älter sein als Luisa. Dennoch lieβ ihr Anblick Männerherzen kaum höher schlagen. Dabei war, wenn er es sich recht überlegte, nichts an ihr wirklich hässlich oder abstoβend. Ihre Hüften waren vielleicht ein wenig zu prall, jedoch konnte man die Gitarrenform mit der ebenfalls üppigen Oberweite im Ganzen als rubenshaft weiblich ansehen. Ein wenig mollig vielleicht, aber höchst harmonisch.

Allerdings musste er sich eingestehen, dass sie sich sehr unvorteilhaft kleidete. Selbst jemand, der nichts von weiblicher Garderobe verstand, konnte nicht übersehen, dass sie sich um ihre Kleidung keinen Deut scherte. Die wadenlangen Kittel mit der durchgehenden Knopfreihe, die sie immer trug, verliehen ihrer Gestalt etwas Baumstammhaftes. Das mittellange, hellblonde Haar knotete sie tagtäglich, auβer wenn es frischgewaschen und noch nass war, im Nacken zusammen. Neben der stark umrandeten, an den Seiten spitz zulaufenden Hornbrille, verlieh ihr das ein strenges, fast gouvernantenhaftes Aussehen. Ihre wässrigblauen Augen waren hinter dieser Brille beinahe unsichtbar.