Fjodor Dostojewski: Hauptwerke

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»Dir Schimpf angetan? Was redest du!«

»Als ob du es nicht wüßtest! Sie ist ja doch von mir unmittelbar vor der Trauung mit dir weggelaufen; das hast du ja eben selbst gesagt.«

»Aber du wirst doch nicht glauben, daß ...«

»Und hat sie mich nicht mit dem Offizier, diesem Semtjuschnikow, in Moskau betrogen? Ich weiß bestimmt, daß sie es getan hat, und noch dazu, nachdem sie den Tag für die Trauung selbst angesetzt hatte.«

»Das ist unmöglich!« rief der Fürst.

»Ich weiß es sicher«, erklärte Rogoschin im Ton der festesten Überzeugung. »Das liegt nicht in ihrem Wesen, willst du sagen, nicht wahr? Das ist richtig, Bruder, daß das nicht in ihrem Wesen liegt. Aber das ist doch nur leeres Gerede. Dir gegenüber wird sie sich nicht so benehmen und ein solches Betragen vielleicht selbst verabscheuen; aber mir gegenüber benimmt sie sich nun eben so. So ist es nun einmal. Sie betrachtet mich als das niedrigste Geschöpf auf Gottes Erdboden! Und mit Keller, diesem Offizier, der sich so gern boxt, hat sie sich lediglich in der Absicht eingelassen, sich über mich lustig zu machen ... Und du weißt noch nicht, was sie mit mir in Moskau angestellt hat! Und wieviel Geld, wieviel Geld hat mich das alles gekostet ...«

»Aber ... wie in aller Welt kannst du sie denn unter solchen Umständen heiraten? Wie soll denn das später werden?« fragte der Fürst ganz erschrocken.

Rogoschin warf dem Fürsten einen grimmigen, furchtbaren Blick zu und antwortete nicht.

»Ich bin jetzt schon fünf Tage nicht bei ihr gewesen«, fuhr er dann fort, nachdem er ungefähr eine Minute lang geschwiegen hatte. »Ich fürchte immer, daß sie mich wegjagt. Sie sagt: ›Ich bin noch immer meine eigene Herrin; wenn ich will, jage ich dich ganz fort und reise selbst ins Ausland‹ (davon hat sie zu mir schon gesprochen, daß sie ins Ausland reisen wolle«, bemerkte er wie in Parenthese und sah dem Fürsten in ganz besonderer Art in die Augen). »Manchmal allerdings will sie mir damit nur Furcht einjagen; sie möchte sich immer über mich lustig machen; aber zu andern Zeiten ist sie wirklich in finsterer Stimmung, zieht die Augenbrauen zusammen und sagt kein Wort; und das ist's, was ich am meisten fürchte. Neulich dachte ich: ›Ich will doch nicht immer mit leeren Händen zu ihr kommen‹; aber sie lachte nur spöttisch über meine Geschenke und wurde dann sogar ernstlich zornig. Ich hatte ihr einen so schönen Schal geschenkt, daß ihr, trotzdem sie früher im Luxus gelebt hatte, seinesgleichen wohl noch nicht vor Augen gekommen war; den gab sie ihrem Stubenmädchen Katja. Und von dem Termin für die Hochzeit darf ich gar nicht zu reden anfangen. Ich kann mich ja gar nicht als ihren Bräutigam ansehen, wenn ich mich fürchte, auch nur zu ihr hinzugehen. Da sitze ich nun hier, und wenn ich es nicht mehr aushalten kann, dann gehe ich heimlich und verstohlen auf der Straße an ihrem Haus vorbei oder verstecke mich irgendwo hinter einer Ecke. Neulich habe ich beinah bis zum Morgengrauen in der Nähe ihrer Haustür gelauert; ich hatte so einen Verdacht. Aber sie hatte mich wohl durch das Fenster bemerkt und sagte nachher: ›Was würdest du mit mir machen, wenn du sähest, daß ich dich betrüge?‹ Ich konnte mich nicht halten und sagte: ›Das weißt du selbst.‹«

»Was soll sie denn wissen?«

»Woher soll ich es denn selbst wissen?« erwiderte Rogoschin, grimmig auflachend. »In Moskau habe ich sie damals mit keinem abfassen können, obwohl ich lange aufpaßte. Ich nahm sie mir damals einmal vor und sagte zu ihr: ›Du bist mit mir verlobt und willst in eine ehrenhafte Familie eintreten; weißt du jetzt aber auch, was du für eine bist? So eine bist du!‹ sagte ich.«

»Das hast du zu ihr gesagt?«

»Ja.«

»Nun, und sie?«

»›Ich habe jetzt vielleicht nicht einmal Lust‹, sagte sie, ›dich als Lakaien anzunehmen, geschweige denn deine Frau zu werden.‹ – ›Und ich‹, sagte ich, ›gehe mit solchem Bescheid nicht weg; die Sache muß so oder so ein Ende haben!‹ – ›Und ich‹, sagte sie, ›werde gleich Keller rufen und ihm sagen, er solle dich aus dem Haus hinauswerfen.‹

Da habe ich mich auf sie gestürzt und sie geschlagen, daß sie blaue Flecke davon bekam.«

»Es ist nicht möglich!« rief der Fürst.

»Ich sage dir: es ist so gewesen«, erwiderte Rogoschin leise, aber mit funkelnden Augen. »Sechsunddreißig Stunden lang habe ich nicht geschlafen, nicht gegessen, nicht getrunken und ihr Zimmer nicht verlassen; auf den Knien habe ich vor ihr gelegen. ›Ich sterbe hier‹, sagte ich, ›ich gehe nicht hinaus, ehe du mir nicht verzeihst, und wenn du mich hinausbringen läßt, ertränke ich mich; denn wie werde ich jetzt ohne dich leben können?‹ Sie war jenen ganzen Tag wie eine Wahnsinnige: bald weinte sie, bald wollte sie mich mit einem Messer töten, bald schimpfte sie auf mich. Sie rief Saloschew, Keller, Semtjuschnikow und alle andern herbei, wies vor aller Augen mit dem Finger auf mich und schmähte mich. ›Wir wollen heute alle zusammen ins Theater fahren, meine Herren‹, sagte sie; ›mag er hier sitzen bleiben, wenn er nicht weggehen will; ich brauche doch seinetwegen nicht das Haus zu hüten! Es wird Ihnen hier, während ich weg bin, Tee gereicht werden, Parfen Semjonowitsch; Sie müssen ja heute ganz hungrig geworden sein.‹ Sie kehrte allein aus dem Theater zurück. ›Das sind Feiglinge und Schufte‹, sagte sie, ›sie fürchten sich vor dir und wollen auch mir Angst machen: sie sagen: Er wird so nicht fortgehen; er wird Sie am Ende noch ermorden! Aber ich werde, wenn ich in mein Schlafzimmer gehe, die Tür nicht hinter mir zuschließen; so wenig fürchte ich mich vor dir! Das magst du wissen und mit eigenen Augen sehen! Hast du Tee getrunken?‹ – ›Nein‹, sagte ich, ›und ich werde auch keinen trinken.‹ – ›Das ließe sich hören, wenn du ein Ehrenmann wärest; so aber steht dir das sehr wenig.‹ Und wie sie gesagt hatte, so tat sie auch: sie schloß ihr Zimmer nicht zu. Am Morgen kam sie wieder zu mir herein und lachte. ›Du hast wohl den Verstand verloren?‹ sagte sie; ›nicht wahr? Du wirst ja auf diese Weise Hungers sterben.‹ – ›Verzeih mir!‹ sagte ich. – ›Ich will dir nicht verzeihen und werde dich nicht heiraten; ich habe es dir ja gesagt. Hast du wirklich die ganze Nacht auf diesem Stuhl gesessen und nicht geschlafen?‹ – ›Nein‹, sagte ich, ›ich habe nicht geschlafen.‹ –›Was bist du für ein gescheiter Mensch! Und wirst du nun heute wieder keinen Tee trinken und nicht zu Mittag essen?‹ – ›Ich habe dir ja gesagt, daß ich es nicht tun werde. Verzeih mir!‹ – ›Wenn du nur wüßtest, wie wenig dir das steht‹, sagte sie; ›gerade wie einer Kuh ein Sattel. Meinst du etwa, mich dadurch einzuschüchtern? Was schadet es mir denn, wenn du hungrig dasitzt? Nein, wie mich das ängstigt!‹ Sie wurde zornig, aber das dauerte nicht lange; dann fing sie wieder an, mich zu höhnen. Und da wunderte ich mich über sie, wie es kam, daß eigentlich so gar keine Bosheit aus ihr redete. Und doch trägt sie andern das Böse, das sie ihr angetan haben, nach, trägt es ihnen lange nach! Mir schoß damals der Gedanke durch den Kopf, sie möge mich wohl so geringschätzen, daß sie mir nicht einmal ernstlich böse sein könne. Und das ist auch die Wahrheit. ›Weißt du‹, sagte sie, ›was es mit dem römischen Papst für eine Bewandtnis hat?‹ – ›Ich habe von ihm gehört‹, sagte ich. – ›Du hast keine Weltgeschichte gelernt, Parfen Semjonowitsch‹, sagte sie. – ›Ich habe überhaupt nichts gelernt‹, sagte ich. – ›Nun‹, sagte sie, ›da will ich dir einmal etwas zu lesen geben: es gab einmal einen Papst, der war auf einen Kaiser zornig, und der Kaiser lag vor dem Palast des Papstes drei Tage, ohne zu trinken und ohne zu essen, barfuß auf den Knien, bis er ihm verzieh. Was meinst du? Was mag wohl der Kaiser in diesen drei Tagen, als er da kniete, im stillen gedacht, und was für Gelübde mag er wohl getan haben? Aber warte‹, sagte sie, ›ich werde es dir selbst vorlesen!‹ Sie sprang auf und holte ein Buch. ›Es sind Verse‹, sagte sie und begann, mir in Versen vorzulesen, wie dieser Kaiser es sich in diesen drei Tagen zuschwor, daß er sich an dem Papst rächen werde. ›Gefällt dir das denn nicht, Parfen Semjonowitsch?‹ sagte sie. – ›Was du da gelesen hast‹, sagte ich, ›ist alles sehr richtig.‹ – ›Aha, du sagst selbst, daß es richtig ist; also tust du vielleicht ebenfalls ein Gelübde von dieser Art: Wenn sie mich heiratet, dann werde ich es ihr gedenken und heimzahlen!‹ – ›Ich weiß nicht‹, sagte ich; ›vielleicht denke ich wirklich so.‹ – ›Wie ist denn das möglich, daß du es nicht weißt?‹ – ›Ich weiß es einfach nicht‹, sagte ich; ›ich denke jetzt an andere Dinge.‹ – ›Woran denkst du denn jetzt?‹ – ›Wenn du von deinem Platz aufstehst und an mir vorbeigehst, dann blicke ich nach dir hin und folge dir mit den Augen; und wenn dein Kleid raschelt, dann steht mir das Herz still; und wenn du aus dem Zimmer gehst, dann rufe ich mir jedes Wort, das du gesagt hast, ins Gedächtnis zurück, und mit welchem Ton du es gesagt hast, und welchen Sinn es hatte; und diese ganze Nacht über habe ich an nichts gedacht; ich habe immer nur danach hingehorcht, wie du im Schlaf atmetest, und wie du dich ein paarmal bewegtest ...‹ – ›Da denkst du wohl‹, sagte sie lachend, ›am Ende gar auch nicht mehr daran, daß du mich geschlagen hast, und hast es ganz vergessen?‹ – ›Vielleicht denke ich nicht mehr daran‹, sagte ich; ›ich weiß es nicht.‹ – ›Aber wenn ich dir nun nicht verzeihe und dich nicht heirate?‹ – ›Ich habe schon gesagt, daß ich mich dann ertränke.‹ – ›Vielleicht tötest du mich noch vorher ...‹ Als sie das gesagt hatte, versank sie in Nachdenken. Dann wurde sie zornig und ging hinaus. Eine Stunde darauf kam sie mit ganz finsterer Miene wieder zu mir herein. ›Ich werde dich heiraten, Parfen Semjonowitsch‹, sagte sie, ›nicht weil ich vor dir Angst hätte, sondern weil es ganz gleich ist, wie ich zugrunde gehe. Da ist eine Art nicht besser als die andere. Setz dich hin‹, sagte sie; ›es wird sogleich das Mittagessen für dich aufgetragen werden. Und wenn ich dich heirate‹, fügte sie hinzu, ›so werde ich dir eine treue Frau sein; daran zweifle nicht; darüber brauchst du dich nicht zu beunruhigen.‹ Dann schwieg sie ein Weilchen und sagte darauf: ›Du bist doch kein Lakai; ich hatte früher gemeint, du wärest ein richtiger Lakai, wie er leibt und lebt.‹ Und da setzte sie auch die Hochzeit an; aber eine Woche darauf lief sie mir davon und flüchtete sich zu Lebedjew. Als ich herkam, sagte sie zu mir: ›Ich will dich nicht gänzlich abweisen; ich will nur noch warten, solange es mir belieben wird; denn ich bin immer noch meine eigene Herrin. Warte auch du, wenn du willst!‹ So steht es jetzt bei uns ... Wie denkst du über das alles, Ljow Nikolajewitsch?«

 

»Wie denkst du selbst darüber?« fragte der Fürst zurück und blickte Rogoschin traurig an.

»Aber denke ich denn überhaupt?« rief dieser heftig und unwillkürlich.

Er wollte noch etwas hinzufügen, unterdrückte es aber und schwieg in grenzenlosem Kummer.

Der Fürst erhob sich und wollte wieder fortgehen.

»Ich werde dir trotzdem nicht hinderlich sein«, sagte er leise, beinah melancholisch, wie wenn er auf einen heimlichen Gedanken antwortete, der ihm innerlich gekommen wäre.

»Weißt du, was ich dir sagen werde?« rief Rogoschin; er wurde auf einmal lebhaft, und seine Augen funkelten.

»Wie du so vor mir zurücktreten kannst, dafür habe ich kein Verständnis! Liebst du sie denn gar nicht mehr? Früher schmachtetest du doch nach ihr; das habe ich recht wohl gesehen. Und warum wärst du denn jetzt Hals über Kopf hierher gereist? Aus Mitleid?« Sein Gesicht verzerrte sich zu einem boshaften Lächeln. »Hehe!«

»Du meinst, daß ich dich betrüge?« fragte der Fürst.

»Nein, ich glaube dir; aber ich verstehe nichts davon. Das Wahrscheinlichste ist wohl, daß dein Mitleid am Ende noch größer ist als meine Liebe!«

Ein böser Gedanke, der danach drängte, sich sofort zu äußern, flammte auf seinem Gesicht auf.

»Nun, deine Liebe ist vom Haß schwer zu unterscheiden«, versetzte der Fürst lächelnd. »Wenn sie aber vergeht, wird das Unglück vielleicht noch schlimmer sein. Ich kann dir schon jetzt sagen, Bruder Parfen ...«

»Daß ich sie umbringen werde?«

Der Fürst zuckte zusammen.

»Daß du sie grimmig hassen wirst für diese deine jetzige Liebe und für all die Qual, die du jetzt ausstehst. Für mich ist das Allerwunderbarste, wie es zugeht, daß sie wieder bereit ist, dich zu heiraten. Als ich es gestern hörte, wollte ich es kaum glauben, und es wurde mir ganz schwer ums Herz. Sie hat sich ja schon zweimal von dir losgemacht und ist unmittelbar vor der Trauung davongelaufen; also hat sie doch ein Gefühl dafür, was ihr bevorsteht ...! Was in aller Welt reizt sie jetzt an dir? Etwa dein Geld? Das ist Unsinn. Und du hast ja auch wohl von deinem Geld schon ein gut Teil vergeudet. Oder möchte sie überhaupt nur einen Mann bekommen? Aber einen Mann könnte sie doch auch, von mir abgesehen, mit Leichtigkeit erlangen. Und jeder andere wäre besser als du, weil du sie vielleicht geradezu umbringen wirst und sie das schon jetzt wohl nur zu gut weiß. Oder weil du sie so heftig liebst? Wirklich, das könnte der Grund sein. Ich habe mir sagen lassen, daß es Frauen gibt, die gerade so geliebt zu werden wünschen ... aber ...«

Der Fürst brach ab und versank in Nachdenken.

»Warum hast du wieder über das Porträt meines Vaters gelächelt?« fragte Rogoschin, der jede Veränderung in dem Gesicht des Fürsten, jede darüber hinhuschende Regung mit der größten Aufmerksamkeit beobachtete.

»Warum ich gelächelt habe? Es kam mir der Gedanke, wenn dir dieses Unglück nicht zugestoßen und diese Liebe nicht über dich gekommen wäre, dann würdest du vielleicht genau so werden wie dein Vater, und zwar in sehr kurzer Zeit. Du würdest allein und wortkarg in diesem Haus sitzen, mit einer gehorsamen, schweigsamen Frau, würdest nur selten und in strengem Ton reden, keinem Menschen trauen, den freundschaftlichen Verkehr mit Menschen auch gar nicht vermissen und nur schweigend und mit finsterer Miene Geld zusammenhäufen. Höchstens würdest du gelegentlich die Bücher der Altgläubigen loben und dich für das Bekreuzen mit zwei Fingern interessieren, und auch das vielleicht erst, wenn du alt geworden wärest ...«

»Spotte nur! Ganz genau dasselbe hat sie neulich gesagt, als sie dieses Porträt ebenfalls betrachtete! Es ist erstaunlich, wie ihr in allen Dingen so ein und derselben Ansicht seid ...«

»Ist sie denn schon bei dir gewesen?« fragte der Fürst interessiert.

»Ja. Sie betrachtete das Porträt lange und stellte viele Fragen über den Verstorbenen. ›Du würdest ganz genau ebenso sein‹, sagte sie endlich lächelnd zu mir. ›Du hast starke Leidenschaften, Parfen Semjonowitsch, solche Leidenschaften, daß du durch sie ohne weiteres nach Sibirien zur Zwangsarbeit kommen würdest, wenn du nicht auch Verstand besäßest; denn du hast einen guten Verstand‹, sagte sie (so drückte sie sich aus, ob du es nun glaubst oder nicht; es war das erstemal, daß ich von ihr eine solche Äußerung hörte!). ›All diese jetzigen Tollheiten würdest du sehr bald beiseite werfen. Und da du ein Mensch ohne alle Bildung bist, so würdest du anfangen, Geld zusammenzuscharren, und würdest wie dein Vater mit deinen Skopzen in deinem Haus sitzen; möglicherweise würdest du zuletzt auch selbst zu ihrem Glauben übertreten, und dein Geld würdest du so liebgewinnen, daß du nicht zwei Millionen, sondern vielleicht zehn Millionen zusammenbringen und auf deinen Geldsäcken Hungers sterben würdest; denn du bist in allen Dingen leidenschaftlich, alles treibst du bis zur Leidenschaft.‹ Genauso redete sie, fast genauso mit diesen selben Worten. Sie hatte noch nie vorher so mit mir geredet! Sie redet ja sonst immer mit mir nur von törichten Dingen oder macht sich über mich lustig; und auch damals hatte sie lachend angefangen; aber dann war sie ganz ernst und düster geworden; sie ging durch dieses ganze Haus und besah es und schien eine Art Schreck darüber zu bekommen. ›Ich werde das alles umändern und anders einrichten‹, sagte ich; ›oder ich kaufe auch vielleicht zur Hochzeit ein anderes Haus.‹ – ›Nein, nein‹, sagte sie; ›hier soll nichts umgeändert werden; wir wollen hier wohnen, wie es ist. Ich möchte bei deiner Mutter wohnen‹, sagte sie, ›wenn ich deine Frau bin.‹ Ich führte sie zu meiner Mutter; sie benahm sich gegen diese ehrerbietig wie eine leibliche Tochter. Die Mutter sitzt schon seit längerer Zeit, schon zwei Jahre, da, als ob sie nicht bei vollem Verstand wäre (sie ist krank), und nach dem Tod des Vaters ist sie ganz wie ein kleines Kind geworden und fügt sich in alles; sie sitzt, ohne aufzustehen, da und verneigt sich nur vor jedem, den sie sieht, von ihrem Platz aus; ich glaube, wenn man sie nicht fütterte, würde sie es drei Tage lang nicht merken. Ich nahm die rechte Hand der Mutter, legte ihr die Finger zurecht und sagte: ›Segnen Sie sie, Mütterchen; sie wird sich mit mir trauen lassen.‹ Da küßte sie meiner Mutter mit herzlicher Empfindung die Hand. ›Deine Mutter‹, sagte sie, ›hat gewiß viel Leid zu ertragen gehabt.‹ Als sie dieses Buch hier in meinem Zimmer sah, wunderte sie sich und sagte: ›Was treibst du denn hier? Du liest russische Geschichte?‹ (Sie hatte aber selbst zu mir einmal in Moskau gesagt: ›Du solltest doch ein bißchen für deine Bildung tun und wenigstens Solowjows russische Geschichte lesen; du weißt ja rein gar nichts!‹) ›Das ist recht von dir‹, sagte sie; ›lies das nur weiter! Ich werde dir selbst ein Verzeichnis der Bücher aufstellen, die du in erster Linie lesen mußt; ist es dir recht?‹ Niemals, niemals vorher hatte sie so zu mir gesprochen, so daß ich ganz erstaunt war; zum erstenmal konnte ich wieder frei aufatmen.«

»Ich freue mich darüber sehr, Parfen«, erwiderte der Fürst mit warmem Gefühl; »sehr freue ich mich. Wer weiß, vielleicht bringt euch Gott doch noch in Übereinstimmung.«

»Das wird nie geschehen!« rief Rogoschin heftig.

»Höre, Parfen, wenn du sie so liebst, möchtest du dann nicht ihre Achtung verdienen? Und wenn du das möchtest, hoffst du dann nicht, daß es dir gelingen wird? Ich habe vorhin gesagt, daß es mir ein wunderbares Rätsel ist, warum sie dich heiraten will. Aber wiewohl ich dieses Rätsel nicht lösen kann, so zweifle ich doch nicht daran, daß jedenfalls ein zureichender, vernünftiger Grund vorhanden sein muß. Von deiner Liebe ist sie überzeugt; aber wahrscheinlich ist sie auch davon überzeugt, daß du mancherlei gute Eigenschaften besitzt. Es kann ja nicht anders sein! Das, was du soeben gesagt hast, dient zur Bestätigung. Du sagst selbst, daß sie es möglich gefunden hat, mit dir in einem ganz andern Ton zu sprechen, als der, in dem sie früher mit dir verkehrt und geredet hat. Du bist mißtrauisch und eifersüchtig; daher übertreibst du alles, was du Schlechtes bemerkst. Sie denkt doch offenbar nicht so schlecht von dir, wie du annimmst. Sonst liefe ja, wenn sie dich heiratete, dies auf dasselbe hinaus, wie wenn sie mit Bewußtsein ins Wasser ginge oder sich dem Messer darböte. Ist denn das möglich? Wer tut denn das mit Bewußtsein?«

Mit bitterem Lächeln hörte Parfen die warmen Worte des Fürsten an. Seine Überzeugung schien bereits unerschütterlich festzustehen.

»Mit was für schrecklichen Augen du mich jetzt ansiehst, Parfen!« rief der Fürst unwillkürlich erschrocken.

»Ins Wasser gehen oder sich dem Messer darbieten!« sagte dieser endlich. »Hehe! Eben deshalb heiratet sie mich ja, weil sie als meine Frau bestimmt auf das Messer rechnet! Hast du denn wirklich bisher noch nicht begriffen, Fürst, was hier vorliegt?«

»Ich verstehe dich nicht.«

»Nun, vielleicht verstehst du es wirklich nicht, hehe! Man sagt ja von dir, du wärest nicht so ganz ... hm. Sie liebt einen andern; begreife das doch! Gerade so, wie ich sie jetzt liebe, geradeso liebt sie jetzt einen andern. Und dieser andere, weißt du, wer das ist? Das bist du! Na, das hast du nicht gewußt, nicht wahr?«

»Ich?«

»Ja, du. Sie hat sich gleich damals, an ihrem Geburtstag, in dich verliebt. Aber sie denkt, sie könne dich nicht heiraten, weil sie dir Schande machen und dir dein ganzes Leben verderben würde. ›Man weiß ja‹, sagt sie, ›was ich für eine bin.‹ Und bei dieser Auffassung ist sie bis auf diesen Augenblick verblieben. Das hat sie mir alles ganz offen ins Gesicht gesagt. Sie fürchtet, dich zu entehren und ins Verderben zu bringen; aber bei mir kommt so etwas natürlich nicht in Betracht; mich kann sie heiraten. Da sieht man, wie sie mich achtet; das ist auch bemerkenswert!«

»Aber wie geht es zu, daß sie von dir zu mir geflüchtet ist, und ... von mir ...«

»Und von dir zu mir? Hehe! Was hat sie nicht alles für Einfälle! Sie ist jetzt ganz wie im Fieber. Sie schreit mir zu: ›Ich heirate dich, gerade wie wenn ich ins Wasser gehe. Nur recht schnell Hochzeit!‹ Sie treibt selbst zur Eile, bestimmt den Tag, und wenn die Zeit heranrückt, erschrickt sie, oder es kommen ihr andere Gedanken; Gott weiß, wie's zusammenhängt; aber du hast es ja selbst gesehen: sie weint und lacht und wird wie vom Fieber geschüttelt. Und was ist dabei Wunderbares, daß sie auch von dir weggelaufen ist? Sie ist damals von dir weggelaufen, weil es ihr selbst zum Bewußtsein kam, wie stark sie dich liebt. Bei dir zu bleiben, das ging über ihre Kraft. Du hast vorhin gesagt, ich hätte sie damals in Moskau wieder ausfindig gemacht; das ist nicht richtig; sie kam aus eigenem Antrieb von dir zu mir gelaufen: ›Bestimme einen Tag‹, sagte sie; ›ich bin bereit! Laß Champagner bringen! Wir wollen zu den Zigeunerinnen fahren!‹ schrie sie ... Und wenn ich nicht gewesen wäre, so hätte sie sich schon längst ins Wasser gestürzt; das kann ich bestimmt sagen. Sie stürzt sich nur deswegen nicht hinein, weil ich ihr vielleicht noch schrecklicher bin als das Wasser. Aus purem Grimm wird sie mich heiraten ... Wenn sie mich heiratet, so kann ich mit aller Sicherheit sagen, daß sie es aus Grimm tut.«

»Aber wie kannst du nur ... wie kannst du nur ...«, rief der Fürst, ohne den Satz zu beenden.

Er blickte Rogoschin erschrocken an.

»Warum sprichst du nicht zu Ende?« fragte dieser lächelnd. »Aber wenn du willst, so werde ich dir sagen, was du in diesem Augenblick im stillen denkst: ›Wie kann sie unter solchen Umständen seine Frau werden? Wie kann man das zulassen?‹ Ich weiß, daß du das denkst ...«

»Ich bin nicht deswegen hergereist, Parfen; ich sage dir, so etwas ist mir nicht in den Sinn gekommen ...«

»Es ist ja möglich, daß du nicht deswegen hergereist bist, und daß dir so etwas nicht in den Sinn gekommen war; aber nun wird sich der Zweck nachträglich hinzufinden, hehe! Nun genug! Warum bist du so bestürzt? Solltest du wirklich nichts davon gewußt haben? Du setzt mich in Erstaunen!«

 

»Das ist bei dir nur Eifersucht, Parfen; das ist eine Krankheit; du übertreibst das alles maßlos ...«, murmelte der Fürst in größter Aufregung. »Was hast du denn?«

»Laß das liegen!« sagte Parfen und riß dem Fürsten hastig ein Messer aus der Hand, das dieser vom Tisch genommen hatte, wo es neben dem Buch gelegen hatte, und tat es wieder auf seinen früheren Platz.

»Es ist mir, als hätte ich es bei der Einfahrt in Petersburg gewußt, als hätte ich eine Vorahnung davon gehabt ...«, fuhr der Fürst fort. »Ich wollte nicht herfahren! Ich wollte diese ganze Sache vergessen und mir aus dem Herzen reißen! Nun, lebe wohl ... Aber was hast du denn?«

Während des Sprechens hatte der Fürst in der Zerstreutheit dasselbe Messer wieder vom Tisch in die Hand genommen, und nun nahm Rogoschin es ihm zum zweitenmal aus der Hand und warf es auf den Tisch. Es war ein Messer von ganz einfacher Gestalt, mit einem Griff aus Hirschhorn, nicht zum Zusammenklappen, mit einer etwa dreizehn Zentimeter langen und entsprechend breiten Klinge. Als Rogoschin sah, daß der Fürst stutzig darüber wurde, daß ihm dieses Messer zweimal aus der Hand gerissen war, ergriff er es grimmig und ärgerlich, legte es in das Buch und schleuderte das Buch auf einen andern Tisch. »Du schneidest damit wohl die Seiten auf?« fragte der Fürst, aber zerstreut, als sei er immer noch in seine Gedanken versunken.

»Ja, freilich.«

»Es ist ja ein Gartenmesser!«

»Ja. Kann man denn die Seiten nicht auch mit einem Gartenmesser aufschneiden?«

»Aber es ... es ist ganz neu.«

»Na, was ist denn dabei, daß es neu ist? Darf ich mir etwa nicht ein neues Messer kaufen, sobald ich will?« schrie Rogoschin endlich in einer Art von Raserei; seine Gereiztheit war mit jedem Wort ärger geworden.

Der Fürst zuckte zusammen und blickte ihn aufmerksam an.

»Aber wir sind auch die Richtigen!« sagte er lachend; er war nun wieder völlig zur Besinnung gekommen. »Sei mir nicht böse, Bruder; wenn mir der Kopf so schwer ist wie jetzt, und dazu noch diese Krankheit ... ich werde dann ganz zerstreut und komisch. Ich wollte überhaupt nicht danach fragen ... ich weiß schon nicht mehr, um was es sich handelte. Leb wohl!«

»Nicht dort!« sagte Rogoschin.

»Ich habe vergessen, durch welche Tür ich hereingekommen bin!«

»Hier, hier, komm, ich werde dir den Weg zeigen.«