Fjodor Dostojewski: Hauptwerke

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»Also auch Sie reden mir von einem Duell!« rief der Fürst lachend zu Kellers größtem Erstaunen. Er lachte gewaltig. Keller, der wirklich von Ungeduld gepeinigt worden war, bis er es zu seiner Befriedigung fertiggebracht hatte, sich als Sekundanten anzubieten, fühlte sich beinah beleidigt, als er den Fürsten so heiter lachen sah.



»Sie haben ihn aber vorhin bei den Armen gepackt, Fürst. Das kann sich ein anständiger Mensch vor den Augen des Publikums schwerlich gefallen lassen.«



»Und er hat mich vor die Brust gestoßen!« rief der Fürst lachend. »Wir haben keinen Grund, uns zu duellieren! Ich werde ihn um Verzeihung bitten, und damit ist die Sache erledigt. Wenn es aber zum Duell kommen soll, mir ist's recht! Mag er schießen; ich wünsche es sogar. Haha! Ich verstehe jetzt, eine Pistole zu laden! Wissen Sie wohl, daß mich jemand gelehrt hat, wie man eine Pistole lädt? Sie verstehen eine Pistole zu laden, Keller? Zuerst muß man Pulver kaufen, Pistolenpulver, nicht feuchtes und nicht so grobes wie das, womit man aus Kanonen schießt; dann muß man zuerst das Pulver hineintun, darauf Filz, den man sich von einer Tür verschafft, und dann schiebt man die Kugel hinein, aber nicht die Kugel vor dem Pulver, weil es sonst nicht schießt. Hören Sie wohl, Keller: weil es sonst nicht schießt. Haha! Ist das nicht eine ausgezeichnete Begrüßung, Freund Keller? Ach, Keller, wissen Sie, ich werde Sie gleich umarmen und küssen. Hahaha! Wie ging das nur zu, daß Sie vorhin auf dem Bahnhof so plötzlich vor ihm standen? Kommen Sie möglichst bald einmal zu mir, Champagner trinken! Wir wollen uns alle gehörig bezechen! Wissen Sie, daß ich zwölf Flaschen Champagner in Lebedjews Keller liegen habe? Lebedjew hat sie mir vorgestern als Gelegenheitskauf angeboten, gleich am andern Tag, nachdem ich zu ihm hergezogen war; ich habe sie alle gekauft! Ich werde die ganze Gesellschaft zusammen einladen! Wie ist's, werden Sie heute nacht schlafen?«



»Wie jede Nacht, Fürst.«



»Nun, dann wünsche ich Ihnen angenehme Träume! Haha!«



Der Fürst ging quer über die Straße und verschwand im Park; Keller blieb sehr verwundert und nachdenklich stehen. Er hatte den Fürsten noch nie in einem so sonderbaren Zustand gesehen und ihn sich bisher auch nicht in einem solchen vorstellen können.



»Vielleicht fiebert er; denn er ist ein nervöser Mensch, und das alles hat eine starke Wirkung auf ihn ausgeübt; aber feige ist er gewiß nicht. Gerade solche Leute sind nicht feige, weiß Gott!« dachte Keller bei sich. »Hm! Champagner! Das ist doch eine sehr interessante Mitteilung. Zwölf Flaschen, ein Dutzend; das läßt sich hören; eine ordentliche Batterie! Ich möchte wetten, daß Lebedjew den Champagner von irgend jemand als Pfand bekommen hat. Hm ...! er ist aber doch recht liebenswürdig, dieser Fürst; wirklich, ich habe solche Menschen gern; aber es ist keine Zeit zu verlieren, und ... wenn Champagner da ist, so ist das gerade die richtige Zeit ...«



Daß der Fürst sich in einem fieberhaften Zustand befand, das war natürlich ganz richtig.



Er schweifte lange im dunklen Park umher und wurde sich endlich seiner selbst bewußt, wie er in einer Allee auf und ab ging. In seinem Gedächtnis haftete die Erinnerung, daß er in dieser Allee, von einer Bank angefangen bis zu einem alten, hohen, auffallenden, nur hundert Schritte von ihr entfernten Baum, bereits etwa dreißig- bis vierzigmal hin und her gegangen war. Sich zu erinnern, was er in dieser Zeit von mindestens einer ganzen Stunde im Park gedacht hatte, war er außerstande, selbst wenn er es gewollt hätte. Er ertappte sich übrigens auf einem Gedanken, der ihn veranlaßte, plötzlich in ein herzliches Gelächter auszubrechen; es war zwar eigentlich kein Grund zum Lachen vorhanden; aber er hatte jetzt immer Lust zu lachen. Es war ihm eingefallen, daß die Idee von einem bevorstehenden Duell auch noch in einem andern Kopf als nur in dem Kellers hatte entstehen können, und daß daher die Geschichte vom Pistolenladen vielleicht nicht zufällig gewesen war ... »Ah!« dachte er und blieb, von einem andern Gedanken erleuchtet, stehen, »vorhin kam sie nach der Veranda herunter, als ich in der Ecke saß, und wunderte sich gewaltig, mich dort zu finden, und lachte so und fing an vom Teetrinken zu reden; und doch hatte sie in diesem Augenblick schon diesen Zettel in der Hand; folglich wußte sie unbedingt, daß ich in der Veranda saß. Warum tat sie denn also so erstaunt? Hahaha!«





Er zog den Zettel aus der Tasche und küßte ihn, blieb dann aber sogleich stehen und versank in Gedanken.



»Wie sonderbar das ist! Wie sonderbar das ist!« sagte er ein Weilchen darauf sogar mit einer Art von Traurigkeit: in Augenblicken einer starken Freudenempfindung wurde er stets traurig, er wußte selbst nicht woher. Er schaute aufmerksam um sich und wunderte sich, daß er hierher geraten war. Er war sehr müde, ging zu der Bank und setzte sich darauf. Ringsum herrschte tiefe Stille. Die Musik beim Bahnhof hatte schon aufgehört. Im Park war vielleicht keine Menschenseele mehr; es war ja auch schon mindestens halb zwölf. Es war eine stille, warme, helle Nacht, so eine echte Petersburger Nacht zu Anfang Juni; aber in dem dichten, schattigen Park und in der Allee, in der er sich befand, war es fast schon ganz dunkel. Wenn ihm jemand in diesem Augenblick gesagt hätte, daß er verliebt, leidenschaftlich verliebt sei, so würde er diesen Gedanken erstaunt und vielleicht sogar entrüstet zurückgewiesen haben. Und wenn jemand hinzugefügt hätte, daß Aglajas Zettelchen ein Liebesbrief sei, die Aufforderung zu einem Liebes-Rendezvous, so würde er sich für ihn in tiefster Seele geschämt und ihn vielleicht zum Duell gefordert haben. Diese seine ganze Anschauung war völlig aufrichtig und durch keinerlei Zweifel getrübt, und er lehnte jede Spur eines »doppelten« Gedankens an die Möglichkeit der Liebe eines solchen Mädchens zu ihm oder gar an die Möglichkeit seiner Liebe zu diesem Mädchen entschieden ab. Eines solchen Gedankens hätte er sich geschämt: die Annahme, daß sie ihn, »einen solchen Menschen, wie er«, lieben könne, hätte er für ungeheuerlich gehalten. Seiner Vorstellung nach handelte es sich von ihrer Seite einfach um Mutwillen, wenn überhaupt etwas dahintersteckte; aber er fand diese Voraussetzung ganz naturgemäß und regte sich über diesen vorausgesetzten Mutwillen nicht auf; etwas ganz anderes war es, was ihn beschäftigte und seine Gedanken in Anspruch nahm. Die Bemerkung, die kurz vorher dem General in seiner Erregung entschlüpft war, daß sie sich über alle und namentlich über ihn, den Fürsten, lustig mache, hielt er für vollkommen richtig. Er fühlte sich dadurch auch nicht im geringsten verletzt; seiner Meinung nach mußte es eben so sein. Die Hauptsache war ihm, daß er sie am nächsten Tag frühmorgens wiedersehen, neben ihr auf der grünen Bank sitzen, die Belehrung über das Laden von Pistolen anhören und sie ansehen werde. Weiter hatte er keinen Wunsch. Die Frage, was sie ihm eigentlich sagen wolle, und was das für eine wichtige, ihn direkt angehende Angelegenheit sei, tauchte ebenfalls ein- oder zweimal in seinem Kopf auf. An der tatsächlichen Existenz dieser »wichtigen Angelegenheit«, um derentwillen er zum Rendezvous bestellt war, zweifelte er keinen Augenblick; aber er dachte an diese wichtige Angelegenheit jetzt fast gar nicht, so wenig, daß er nicht einmal den geringsten Drang verspürte, daran zu denken.



Das Knirschen leiser Schritte auf dem Sand der Allee veranlaßte ihn, den Kopf in die Höhe zu heben. Ein Mensch, dessen Gesicht in der Dunkelheit schwer zu erkennen war, näherte sich der Bank und setzte sich neben ihn. Der Fürst rückte schnell nahe an ihn heran und erkannte das bleiche Gesicht Rogoschins.



»Das habe ich doch gewußt, daß du hier irgendwo umherschweifst; ich habe auch nicht lange zu suchen brauchen«, murmelte Rogoschin durch die Zähne.



Es war das erste Mal seit ihrer Begegnung auf der Treppe des Gasthauses, daß sie miteinander zusammentrafen. Überrascht durch Rogoschins plötzliches Erscheinen konnte der Fürst eine Weile nicht mit seinen Gedanken in Ordnung kommen, und eine qualvolle Empfindung wurde in seinem Herzen wieder wach. Rogoschin hatte offenbar Verständnis für den Eindruck, den er hervorrief; aber obgleich er am Anfang verwirrt zu sein und mit einer Art von gekünstelter Ungezwungenheit zu reden schien, so merkte der Fürst doch bald, daß in Wirklichkeit von Künstelei oder besonderer Verlegenheit bei ihm nicht die Rede war; wenn eine gewisse Ungeschicklichkeit in seinen Gestikulationen und in seiner Redeweise zutage trat, so war das nur äußerlich; im Herzen konnte sich dieser Mensch nicht verändern.



»Wie hast du ... mich denn hier gefunden?« fragte der Fürst, um etwas zu sagen.



»Ich hatte von Keller gehört (ich war nämlich nach deiner Wohnung herangegangen), du wärest in den Park gegangen; na, dachte ich, dann ist die Sache richtig.«



»Was heißt das: ›die Sache ist richtig‹?« fragte der Fürst, indem er aufgeregt den Ausdruck aufgriff, der dem andern entschlüpft war.



Rogoschin lächelte, gab aber keine Erklärung dafür.



»Ich habe deinen Brief erhalten, Ljow Nikolajewitsch; du hast dir unnütze Mühe gemacht ... wozu tust du das nur ...! Jetzt aber komme ich zu dir in ihrem Auftrag: du sollst unbedingt zu ihr kommen; sie hat dir etwas zu sagen. Sie läßt dich bitten, noch heute hinzukommen.«



»Ich werde morgen kommen. Ich gehe jetzt gleich nach Hause. Willst du nicht ... zu mir kommen?«



»Wozu? Ich habe dir alles Nötige gesagt; adieu!«



»Willst du nicht doch mitgehen?« fragte ihn der Fürst leise.



»Du bist ein sonderbarer Mensch, Ljow Nikolajewitsch; man muß sich über dich wundern.«



Rogoschin lächelte spöttisch.



»Warum? Weshalb hast du jetzt einen solchen Groll gegen mich?« fragte ihn der Fürst traurig und mit warmer Empfindung. »Du weißt ja jetzt selbst, daß alles, was du gedacht hast, unwahr ist. Übrigens habe ich es mir auch gedacht, daß dein Groll gegen mich noch nicht vergangen sein würde, und weißt du, weshalb? Weil du mir nach dem Leben getrachtet hast, darum vergeht dein Groll nicht. Ich sage dir, ich erinnere mich nur an jenen Parfen Rogoschin, mit dem ich an jenem Tag das Kreuz gewechselt habe; ich habe dir das in meinem gestrigen Brief geschrieben, damit du diesen ganzen Fieberwahn vergessen und nicht mit mir davon zu reden anfangen möchtest. Warum trittst du von mir weg? Warum versteckst du deine Hand vor mir? Ich sage dir, daß ich alles damals Geschehene nur für einen Fieberwahn halte: ich habe jetzt für dich, wie du an jenem ganzen Tag warst, ein ebenso gutes Verständnis wie für mich selbst. Das, was du dir einbildest, existierte nicht und konnte nicht existieren. Warum soll unser Groll fortdauern?«

 



»Was kannst du denn für Groll empfinden?« erwiderte Rogoschin, wieder lachend, auf die warmen Worte des Fürsten.



Er stand wirklich etwas von ihm entfernt, da er ein paar Schritte zurückgewichen war, und hielt seine Hände versteckt.



»Es schickt sich jetzt für mich überhaupt nicht, zu dir zu kommen, Ljow Nikolajewitsch«, fügte er langsam und bedeutsam zum Schluß hinzu.



»So sehr haßt du mich also? Wie?«



»Ich liebe dich nicht, Ljow Nikolajewitsch; also, warum sollte ich zu dir kommen? Ach, Fürst, du bist ganz wie ein kleines Kind: du möchtest ein Spielzeug haben; ›gib her, gib her!‹ heißt es; aber du verstehst von dem Spielzeug gar nichts. Was du jetzt sagst, hast du mir alles ganz ebenso in deinem Brief geschrieben; meinst du denn, daß ich dir nicht glaube? Ich glaube jedes Wort, das du sagst, und weiß, daß du mich nie getäuscht hast und nie täuschen wirst; aber ich liebe dich trotzdem nicht. Du schreibst mir, du hättest alles vergessen und erinnertest dich nur an deinen Kreuzbruder Rogoschin, aber nicht an jenen Rogoschin, der damals das Messer gegen dich gezückt habe. Aber woher kennst du denn meine Gefühle?« (Rogoschin lächelte wieder.) »Ich habe das seitdem vielleicht nie bereut, und du hast mir schon deine brüderliche Verzeihung geschickt. Vielleicht habe ich gleich an jenem selben Abend schon an etwas ganz anderes gedacht und diese Geschichte ...«



»Und diese Geschichte vergessen!« fiel der Fürst ein. »Wie könnte es auch anders sein? Ich möchte wetten, daß du damals geradewegs nach der Bahn gelaufen und hierher nach Pawlowsk zur Musik gefahren und ihr gerade wie heute im Menschengewühl nachgegangen bist und sie beobachtet hast. Das ist mir ganz selbstverständlich! Hättest du dich nicht damals in einem solchen Zustand befunden, daß du nur an das eine denken konntest, so würdest du vielleicht gar nicht das Messer gegen mich erhoben haben. Ich hatte damals schon vom Vormittag an, als ich dich anblickte, so eine Ahnung; weißt du wohl, wie du da aussahst? In dem Augenblick, als wir die Kreuze tauschten, da wurde dieser Gedanke wohl zuerst in mir rege. Warum hast du mich damals zu der alten Frau geführt? Deine Absicht war doch wohl, deine eigene Hand dadurch aufzuhalten? Aber du hast das unmöglich klar gedacht, sondern nur unbestimmt gefühlt, gerade wie ich ... Wir hatten damals beide das gleiche Gefühl. Und hättest du damals deine Hand nicht gegen mich aufgehoben (Gott hat sie abgelenkt), wie würde ich dann jetzt vor dir stehen? Denn ich meinerseits hatte ja doch jenen Verdacht gegen dich; wir haben dieselbe Sünde begangen, die gleiche Sünde! (Runzle nicht die Stirn! Nun, und weshalb lachst du?) Du sagst, du hättest es nicht bereut. Aber wenn du es selbst gewollt hättest, so hättest du es vielleicht doch nicht bereuen können, weil du mich eben nicht liebtest. Und wäre ich dir gegenüber auch so unschuldig wie ein Engel, so wirst du mich trotz dem nicht leiden können, solange du denkst, daß sie nicht dich, sondern mich liebt. Das liegt im Wesen der Eifersucht. Aber nun höre einmal zu, Parfen; ich will dir sagen, zu welchem Resultat mich in dieser Woche mein Nachdenken hat kommen lassen: weißt du wohl, daß sie dich jetzt vielleicht mehr liebt als irgendeinen andern, und zwar in der Weise, daß ihre Liebe um so größer ist, je mehr sie dich quält? Sie wird dir das nicht sagen; aber man muß verstehen, das zu durchschauen. Warum wird sie dich schließlich doch heiraten? Sie wird es dir später einmal selbst sagen. Manche Frauen haben es sogar gern, daß man sie so liebt, und gerade sie hat einen solchen Charakter! Und dein Charakter und deine Liebe haben sicherlich auf sie einen großen Eindruck gemacht! Weißt du, daß eine Frau imstande ist, einen Menschen durch ihre Grausamkeiten und Spöttereien zu martern, ohne dabei die geringsten Gewissensbisse zu verspüren, weil sie jedesmal, wenn sie den Betreffenden ansieht, denkt: ›Jetzt quäle ich ihn halbtot; aber nachher werde ich durch meine Liebe alles wiedergutmachen‹ ...?«





Rogoschin lachte, als er den Fürsten das sagen hörte.



»Hör mal, Fürst, du bist wohl selbst an so eine geraten? Ich habe etwas Derartiges über dich gehört, wenn's wahr ist.«



»Was kannst du gehört haben? Was?« fragte der Fürst, der plötzlich zusammenfuhr und in großer Bestürzung stehenblieb.



Rogoschin fuhr fort zu lachen. Er hatte mit Interesse und vielleicht mit Vergnügen dem Fürsten zugehört; der freudige, warme Affekt des Fürsten imponierte ihm und ermutigte ihn.



»Und ich habe nicht nur etwas gehört, sondern ich sehe jetzt auch selbst, daß es wahr ist«, fügte er hinzu. »Wann hättest du denn jemals so geredet wie jetzt? Deine Reden klingen ja gar nicht, als ob sie von dir kämen. Hätte ich nicht so etwas über dich gehört, so würde ich nicht zu dir gekommen sein, noch dazu in den Park, um Mitternacht.«



»Ich verstehe dich absolut nicht, Parfen Semjonowitsch.«



»Sie hat mir das schon vor längerer Zeit von dir gesagt, und vorhin habe ich es mit eigenen Augen gesehen, als du mit der andern bei der Musik saßest. Sie hat mir geschworen, gestern und heute hat sie mir geschworen, daß du in Aglaja Jepantschina wie ein Kater verliebt seist. Mir ist das ganz gleichgültig, Fürst, das geht mich nichts an: wenn du sie auch nicht mehr liebst, so liebt doch sie dich noch immer. Du weißt ja, daß sie aus dir und jener andern unter allen Umständen ein Paar machen will; das hat sie sich nun einmal in den Kopf gesetzt, hehe! Sie sagt zu mir: ›Sonst heirate ich dich nicht; wenn die beiden zum Traualtar gehen, dann wollen wir es auch tun.‹ Was das zu bedeuten hat, habe ich nie begriffen und begreife ich auch jetzt nicht: entweder liebt sie dich grenzenlos, oder ... Wenn sie dich liebt, wie kann sie dann wünschen, daß du eine andere heiratest? Sie sagt: ›Ich will ihn glücklich sehen‹; also liebt sie dich.«



»Ich habe dir gesagt und geschrieben, daß sie ... nicht ihren Verstand hat«, sagte der Fürst, der dies mit innerer Qual angehört hatte.



»Gott mag's wissen! Vielleicht irrst du dich auch darin ... Übrigens hat sie heute, als ich sie von der Musik nach Hause brachte, unsern Hochzeitstag bestimmt: ›In drei Wochen‹, sagt sie, ›vielleicht auch schon früher, wollen wir uns trauen lassen‹; sie hat es geschworen, hat das Heiligenbild von der Wand genommen und geküßt. Also hängt die Sache jetzt von dir ab, Fürst, hehe!«



»Das ist lauter irres Gerede! Das, was du da von mir sagst, kann nie geschehen! Ich werde morgen zu euch kommen ...«



»Wie soll sie denn geisteskrank sein?« bemerkte Rogoschin. »Allen andern scheint sie bei Verstand zu sein, und nur du hältst sie für gestört. Wie könnte sie denn Briefe dorthin schreiben? Wenn sie geisteskrank wäre, dann würde es doch auch dort an den Briefen gemerkt werden.«



»Was für Briefe?« fragte der Fürst erschrocken.



»Sie schreibt dorthin, an die andere, und die liest es. Weißt du das denn nicht? Na, dann wirst du es schon noch erfahren; sie wird dir die Briefe schon selbst zeigen.«



»Das ist unglaublich!« rief der Fürst.



»O weh! Du, Ljow Nikolajewitsch, hast, wie ich sehe, auf diesem Gebiet noch nicht viel Erfahrung, sondern bist noch ein Anfänger. Warte nur ein bißchen: du wirst schon deine eigene Polizei unterhalten und selbst Tag und Nacht auf dem Posten sein und jeden Schritt der Gegenseite in Erfahrung bringen, wenn du nur erst ...«



»Laß das und rede nie wieder davon!« rief der Fürst. »Höre, Parfen, ich bin hier soeben, bevor du kamst, umhergegangen und fing auf einmal an zu lachen; worüber, weiß ich nicht; aber der äußere Anlaß war, daß mir einfiel, daß morgen gerade mein Geburtstag ist. Jetzt ist es bald zwölf Uhr. Komm mit; wir wollen den Tag zusammen begrüßen! Ich habe Wein zu Hause; den wollen wir trinken, wünsche du mir das, was ich selbst mir jetzt nicht zu wünschen weiß; ich lege Wert darauf, daß gerade du es mir wünschst; und ich werde dir wünschen, daß du vollkommen glücklich werden mögest. Sonst mußt du mir das Kreuz zurückgeben! Du hast mir das Kreuz da mals doch nicht am nächsten Tag zurückgeschickt! Du trägst es doch noch? Trägst du es auch in diesem Augenblick?«



»Ja, ich trage es«, antwortete Rogoschin.



»Nun, dann wollen wir gehen! Ich will mein neues Leben nicht ohne dich antreten; denn es hat allerdings ein neues Leben für mich begonnen! Weißt du es nicht, Parfen, daß heute für mich ein neues Leben begonnen hat?«



»Jetzt sehe ich selbst und weiß selbst, daß das der Fall ist; ich werde es auch ihr berichten. Du bist ja ganz außer dir, Ljow Nikolajewitsch!«





IV



Mit großem Vergnügen bemerkte der Fürst, als er sich seinem Landhaus mit Rogoschin näherte, daß in seiner hellerleuchteten Veranda eine zahlreiche, lärmende Gesellschaft versammelt war. Es wurde lustig gelacht und geredet; anscheinend wurde sogar unter Geschrei debattiert; man erkannte beim ersten Blick, daß diese Leute die Zeit höchst heiter zubrachten. Und wirklich sah er, als er zur Veranda hinaufgestiegen war, daß alle tranken, Champagner tranken, und dies, wie es schien, schon ziemlich lange getan hatten, so daß viele der Zechenden sich bereits in einem sehr angenehmen, angeregten Zustand befanden. Die Gäste waren lauter Bekannte des Fürsten; aber es war merkwürdig, daß sie sich alle auf einmal wie auf eine Einladung zusammengefunden hatten, obgleich der Fürst in Wirklichkeit niemanden eingeladen und sich an seinen Geburtstag selbst soeben nur zufällig erinnert hatte.



»Du hast gewiß jemandem mitgeteilt, daß du Champagner spendierst, und da sind sie zusammengelaufen«, murmelte Rogoschin, als er hinter dem Fürsten her die Veranda betrat. »Das kenne ich; solchen Leuten braucht man nur zu pfeifen ...«, fügte er ingrimmig hinzu, offensichtlich in Erinnerung an seine eigene, noch nicht weit zurückliegende Vergangenheit.



Alle begrüßten den Fürsten mit Freudenrufen und Glückwünschen und umringten ihn. Manche machten dabei viel Lärm, andere benahmen sich ruhiger; aber alle beeilten sich, ihm zu gratulieren, da sie von seinem Geburtstag gehört hatten, und jeder wartete auf den Augenblick, wo er an die Reihe kommen würde. Die Anwesenheit mancher Persönlichkeiten, so zum Beispiel Burdowskis, war dem Fürsten interessant; aber am erstaunlichsten war es ihm, daß sich auch Jewgeni Pawlowitsch in dieser Gesellschaft befand; der Fürst traute kaum seinen Augen und bekam beinah einen Schreck, als er ihn erblickte. Unterdessen kam auch Lebedjew, mit gerötetem Gesicht und sehr enthusiasmiert, herbeigelaufen und erklärte den Hergang; er war schon in hohem Grade »fertig«. Aus seinem Geschwätz war zu entnehmen, daß alle sich in ganz natürlicher Weise, ja zufällig zusammengefunden hatten. Am frühesten von allen, noch vor dem Abend, war Ippolit gekommen und hatte, da er sich weit besser fühlte, den Fürsten in der Veranda zu erwarten gewünscht. Er hatte es sich auf dem Sofa bequem gemacht; dann war Lebedjew zu ihm hinzugekommen, hierauf dessen ganze Familie, das heißt General Iwolgin und die Töchter. Burdowski war mit Ippolit zugleich angekommen, den er herbegleitet hatte. Ganja und Ptizyn waren erst vor kurzem, als sie gerade vorübergingen, eingetreten (ihr Erscheinen fiel mit den Vorgängen am Bahnhof zusammen); darauf war Keller erschienen, hatte von dem Geburtstag Mitteilung gemacht und Champagner verlangt. Jewgeni Pawlowitsch hatte sich erst vor einer halben Stunde eingefunden. Auf das Champagnertrinken und die Veranstaltung eines Festes hatte auch Kolja mit aller Energie gedrungen. Lebedjew hatte bereitwillig Wein auf den Tisch gebracht.



»Aber von meinem eigenen, von meinem eigenen!« beteuerte er dem Fürsten lallend. »Auf meine eigenen Kosten, um Ihren Geburtstag festlich zu begehen und Ihnen zu gratulieren; es wird auch etwas zu essen geben, einen Imbiß; meine Tochter ist schon dabei, das zu besorgen. Aber wenn Sie wüßten, Fürst, über welches Thema wir gerade debattieren! Erinnern Sie sich an die Stelle im Hamlet: ›Sein oder nicht sein‹? Das ist ein zeitgemäßes Thema, ein sehr zeitgemäßes Thema! Wir werfen Fragen auf und beantworten sie ... Auch Herr Terentjew ist im höchsten Grade ... er ist gar nicht müde! Von dem Champagner hat er nur genippt, nur genippt; das kann ihm nicht schaden ... Treten Sie näher, Fürst, und geben Sie bei unserer Debatte die Entscheidung! Alle haben wir nur auf Sie gewartet und auf Ihren glücklichen Verstand ...«

 



Der Blick des Fürsten begegnete dem lieben, freundlichen Blick Wjera Lebedjewas, die sich ebenfalls eilig bemühte, durch den Schwarm zu ihm hindurchzudringen. Mit Übergehung aller andern streckte er ihr zuerst die Hand hin; sie errötete vor Freude und wünschte ihm, daß er von diesem Tag an immer glücklich leben möge. Dann lief sie schleunigst in die Küche, wo sie den Imbiß herrichtete; aber auch vor der Ankunft des Fürsten war sie mehrmals, sowie sie sich nur für ein Weilchen von ihrer Arbeit hatte losmachen können, in der Veranda erschienen und hatte bei den keinen Augenblick verstummenden hitzigen Debatten der angetrunkenen Gäste über ganz abstrakte und ihr ganz fernliegende Gegenstände eifrig zugehört. Ihre jüngere Schwester, die immer den Mund offenhielt, war in dem anstoßenden Zimmer auf einem Schlafkasten eingeschlafen; der Knabe aber, Lebedjews Sohn, stand neben Kolja und Ippolit, und schon sein begeisterter Gesichtsausdruck zeigte, daß er bereit war, hier noch lange in genußreichem Zuhören auf einem Fleck stehenzubleiben, selbst zehn Stunden hintereinander.



»Ich habe speziell auf Sie gewartet und freue mich außerordentlich, daß Sie in so glücklicher Stimmung gekommen sind«, sagte Ippolit, als der Fürst unmittelbar nach Begrüßung Wjeras zu ihm trat, um ihm die Hand zu drücken.



»Aber woher wissen Sie, daß ich mich in glücklicher Stimmung befinde?«



»Das sieht man Ihnen am Gesicht an. Begrüßen Sie die Herren, und setzen Sie sich sobald wie möglich hierher zu mir! Ich habe speziell auf Sie gewartet«, fügte er hinzu, indem er einen bedeutsamen Nachdruck darauf legte, daß er gewartet habe. Auf die Bemerkung des Fürsten, ob ihm das lange Aufbleiben auch nicht schädlich sein werde, erwiderte er, er wundere sich selbst darüber, daß er vor drei Tagen habe sterben wollen; er habe sich nie wohler gefühlt als an diesem Abend.



Burdowski sprang auf und murmelte, er sei nur so zufällig ... er habe Ippolit herbegleitet und freue sich ebenfalls; in dem Brief habe er allerlei Unsinn geschrieben, aber jetzt freue er sich einfach ... Er sprach nicht zu Ende, drückte dem Fürsten kräftig die Hand und setzte sich wieder auf seinen Stuhl.



Nach Begrüßung aller andern trat der Fürst auch zu Jewgeni Pawlowitsch. Dieser faßte ihn sogleich unter den Arm.



»Ich möchte Ihnen nur ein paar Worte sagen«, flüsterte er ihm zu, »und zwar in einer überaus wichtigen Angelegenheit. Lassen Sie uns einen Augenblick beiseite treten.«



»Nur ein paar Worte!« flüsterte eine andere Stimme dem Fürsten in das andere Ohr, und eine andere Hand faßte ihn von der anderen Seite unter den Arm.



Der Fürst erblickte mit Erstaunen eine Gestalt mit gerötetem, blinzelndem, lachendem Gesicht und wirrem Haar und erkannte im gleichen Augenblick Ferdyschtschenko, der sich Gott weiß woher hier wieder eingefunden hatte.



»Erinnern Sie sich noch an Ferdyschtschenko?« fragte dieser.



»Wo kommen Sie denn her?« rief der Fürst.



»Er bereut!« rief der herbeilaufende Keller. »Er hatte sich versteckt und wollte nicht zu uns herauskommen; er hatte sich da hinten in einem Winkel versteckt; er bereut, Fürst; er fühlt sich schuldig.«



»Schuldig? Wieso?«



»Ich habe ihn getroffen, Fürst; ich habe ihn vorhin eben getroffen und mit hergebracht; er ist einer meiner besten Freunde; aber er bereut.«



»Ich freue mich sehr, meine Herren; gehen Sie nur, und setzen Sie sich dort zu den andern; ich komme auch gleich«, sagte der Fürst, indem er sich endlich losmachte und zu Jewgeni Pawlowitsch eilte.



»Es ist ja hier bei Ihnen sehr amüsant«, bemerkte dieser, »und ich habe mit Vergnügen eine halbe Stunde lang auf Sie gewartet. Was ich sagen wollte, liebster Ljow Nikolajewitsch: ich habe alles mit Kurmyschew geordnet und kam her, um Sie zu beruhigen;