Fjodor Dostojewski: Hauptwerke

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XII
Schluß

Als die Lehrerwitwe eilig in einem Wagen nach Pawlowsk gefahren war, hatte sie sich direkt zu der durch die Ereignisse des vorhergehenden Tages sehr ergriffenen Darja Alexejewna begeben, ihr alles erzählt, was sie wußte, und dadurch deren Angst noch erhöht. Die beiden Damen hatten dann beschlossen, mit dem ebenfalls sehr aufgeregten Lebedjew in Verbindung zu treten, weil dieser mit seinem Mieter befreundet und der Hauswirt sei. Wjera Lebedjewa hatte alles mitgeteilt, was sie wußte. Auf Lebedjews Rat hatten sie sich dann dafür entschieden, alle drei nach Petersburg zu fahren, um aufs schnellste das zu verhüten, »was sehr leicht geschehen könnte«. So war es gekommen, daß bereits am andern Vormittag gegen elf Uhr Rogoschins Wohnung von der Polizei in Gegenwart Lebedjews, der Damen und des Bruders von Rogoschin, Semjon Semjonowitsch Rogoschins, der im Nebengebäude wohnte, geöffnet wurde. Zu diesem Vorgehen hatte besonders auch die Angabe des Hausknechts mitgewirkt, er habe am Abend des vorhergehenden Tages Parfen Semjonowitsch mit einem Gast von der Haupttür ganz leise hereinkommen sehen. In folge dieser Angabe trug man keine Bedenken, die Tür, die auf Klingeln nicht geöffnet wurde, zu erbrechen. Rogoschin lag zwei Monate an Gehirnentzündung krank, und als er genesen war, folgte die Untersuchung und die Gerichtsverhandlung. Er gab über alles unumwundene, genaue und völlig befriedigende Auskunft, so daß von einer Hinzuziehung des Fürsten zu dem Gerichtsverfahren von vornherein abgesehen werden konnte. Rogoschin zeigte sich bei seinem Prozeß schweigsam. Er widersprach seinem geschickten, beredten Verteidiger nicht, der klar und logisch bewies, daß das begangene Verbrechen eine Folge der Gehirnentzündung sei, die infolge der von dem Angeklagten erlittenen Unbilden schon lange vorher begonnen habe sich herauszubilden. Aber er fügte aus sich nichts zur Bekräftigung dieser Ansicht hinzu und bestätigte und erwähnte wie bisher klar und deutlich alle, auch die kleinsten Umstände des stattgefundenen Ereignisses. Er wurde unter Zubilligung mildernder Umstände zu fünfzehnjähriger Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt und hörte sein Urteil finster, schweigend und »nachdenklich« an. Sein ganzes gewaltiges Vermögen, außer dem verhältnismäßig sehr geringen Teil, den er zu Anfang durch Schlemmerei vergeudet hatte, ging auf seinen Bruder Semjon Semjonowitsch zu dessen großer Befriedigung über. Die alte Frau Rogoschina lebt noch und scheint sich manchmal an ihren Lieblingssohn Parfen zu erinnern, aber nicht deutlich: Gott hat ihren Geist und ihr Herz vor der Erkenntnis des schrecklichen Verhängnisses bewahrt, von dem ihr unglückliches Haus heimgesucht worden ist. Lebedjew, Keller, Ganja, Ptizyn und viele andere Personen unserer Erzählung leben wie früher und haben sich wenig verändert, so daß wir fast nichts über sie mitzuteilen haben. Ippolit starb in schrecklicher Aufregung und etwas früher, als er erwartet hatte, etwa zwei Wochen nach Nastasja Filippownas Tod. Kolja war von allem Geschehenen tief erschüttert; er schloß sich seitdem eng an seine Mutter an. Nina Alexandrowna ist nicht frei von Sorge um ihn, da er über seine Jahre hinaus nachdenklich ist; er wird vielleicht einmal ein tüchtiger Geschäftsmann werden. Unter anderm ist großenteils durch seine Bemühungen auch das weitere Schicksal des Fürsten geordnet worden: schon lange hatte er unter allen Personen, mit denen er in der letzten Zeit bekannt geworden war, Jewgeni Pawlowitsch Radomski besonders schätzen gelernt; er ging aus eigener Initiative zu ihm, teilte ihm alle ihm bekannten Einzelheiten des stattgefundenen Ereignisses mit und sprach mit ihm über die derzeitige Lage des Fürsten. Er hatte sich nicht geirrt: Jewgeni Pawlowitsch nahm selbst warmen Anteil an dem Schicksal des unglücklichen »Idioten«, und durch seine Bemühungen und seine Fürsorge gelangte der Fürst wieder ins Ausland, nach der Schweiz, in das Schneidersche Institut. Jewgeni Pawlowitsch selbst ist ins Ausland gereist, beabsichtigt in Westeuropa sehr lange zu bleiben und nennt sich selbst mit völliger Aufrichtigkeit einen in Rußland ganz überflüssigen Menschen; ziemlich oft, mindestens alle paar Monate einmal, besucht er seinen kranken Freund bei Schneider; aber Schneider macht ein immer finstereres Gesicht und schüttelt den Kopf; er deutet an, daß die geistigen Organe völlig zerrüttet seien; er spricht noch nicht positiv von Unheilbarkeit, bedient sich aber sehr trauriger Wendungen. Jewgeni Pawlowitsch nimmt sich das sehr zu Herzen, und er hat ein Herz, was er schon dadurch bewiesen hat, daß er von Kolja Briefe empfängt und sogar manchmal auf diese Briefe antwortet. Aber außerdem ist uns auch noch ein merkwürdiger Charakterzug an ihm bekannt geworden, und da dies ein guter Charakterzug ist, so wollen wir uns beeilen, ihn mitzuteilen: nach jedem Besuch des Schneiderschen Instituts schickt Jewgeni Pawlowitsch außer an Kolja auch noch an eine andere Person in Petersburg einen Brief mit einer sehr eingehenden, teilnahmsvollen Darstellung des Krankheitszustandes des Fürsten im vorliegenden Augenblick. Außer den respektvollsten Versicherungen von Ergebenheit beginnen in diesen Briefen manchmal (und zwar mit zunehmender Häufigkeit) offenherzige Darlegungen von Ansichten, Anschauungen und Empfindungen eine Stelle zu finden, kurz es entwickelt sich da etwas, was mit freundschaftlichen, herzlichen Gefühlen Ähnlichkeit hat. Diese Person, die in einem wenn auch nur ziemlich seltenen Briefwechsel mit Jewgeni Pawlowitsch steht und in so hohem Grad seine Aufmerksamkeit und Hochachtung genießt, ist Wjera Lebedjewa. Wir haben nicht mit Sicherheit in Erfahrung zu bringen vermocht, auf welche Weise solche Beziehungen haben entstehen können; aber gewiß verdanken sie ihren Ursprung eben diesem Begebnis mit dem Fürsten, als Wjera Lebedjewa von dem Kummer darüber dermaßen erschüttert war, daß sie sogar krank wurde; aber wie im einzelnen sich die Bekanntschaft und Freundschaft bildete, das ist uns unbekannt. Erwähnt haben wir diese Briefe besonders im Hinblick darauf, daß in manchen von ihnen Nachrichten über die Familie Jepantschin und namentlich über Aglaja Iwanowna Jepantschina enthalten waren. Über die letztere teilte Jewgeni Pawlowitsch in einem ziemlich verworrenen Brief aus Paris mit, daß sie nach einem kurzen, aber sehr leidenschaftlichen Attachement an einen Emigranten, einen polnischen Grafen, diesen plötzlich gegen den Willen ihrer Eltern geheiratet habe; wenn diese auch schließlich ihre Einwilligung gegeben hätten, so hätten sie es doch nur deshalb getan, weil die Sache gedroht habe, sich zu einem schrecklichen Skandal zu entwickeln. Dann, nach einem fast halbjährigen Stillschweigen, teilte Jewgeni Pawlowitsch, wieder in einem langen, ausführlichen Brief, mit, daß er bei dem letzten Besuch, den er dem Professor Schneider in der Schweiz gemacht habe, bei ihm mit der ganzen Familie Jepantschin zusammengetroffen sei (natürlich mit Ausnahme von Iwan Fjodorowitsch, der wegen seiner Geschäfte in Petersburg geblieben war), sowie mit dem Fürsten Schtsch. Es war ein seltsames Wiedersehen; sie begrüßten Jewgeni Pawlowitsch alle mit einer Art von Entzücken; Adelaida und Alexandra glaubten aus nicht recht verständlichem Grund ihm sogar dankbar sein zu müssen für seine »engelhafte Fürsorge für den unglücklichen Fürsten«. Als Lisaweta Prokofjewna den Fürsten in seinem kranken, kläglichen Zustand erblickte, weinte sie von Herzen. Es schien, daß ihm alles schon verziehen sei. Fürst Schtsch. sprach bei diesem Anlaß einige sehr treffende, verständige Gemeinplätze aus. Jewgeni Pawlowitsch hatte den Eindruck, daß Fürst Schtsch. und Adelaida sich noch nicht vollständig ineinander eingelebt hätten; aber für die Zukunft schien es unvermeidlich, daß die feurige Adelaida sich durchaus gutwillig und von ganzem Herzen dem Verstand und der gereiften Erfahrung des Fürsten Schtsch. unterordnen werde. Die ernsten Lehren, die die Familie empfangen hatte, hatten stark auf dieselbe gewirkt, und namentlich der letzte Fall mit Aglaja und dem gräflichen Emigranten. Alle Befürchtungen, die die Familie gehegt hatte, als sie diesem Grafen Aglaja überließ, hatten sich bereits ein halbes Jahr darauf verwirklicht, und es waren noch unangenehme Überraschungen hinzugekommen, an die kein Mensch vorher gedacht hatte. Es hatte sich herausgestellt, daß dieser Graf gar nicht einmal ein Graf war, und mochte er auch tatsächlich ein Emigrant sein, so hing damit doch eine dunkle, zweideutige Geschichte zusammen. Gefesselt hatte er Aglaja durch den hohen Edelmut seiner von Trauer über das Vaterland zerrissenen Seele, und zwar hatte er sie dermaßen gefesselt, daß sie noch vor ihrer Verheiratung Mitglied eines ausländischen Komitees zur Wiederherstellung Polens und außerdem das Beichtkind eines berühmten römisch-katholischen Paters wurde, der ihren Verstand ganz in Banden geschlagen und sie zu seiner fanatischen Anhängerin gemacht hatte. Das kolossale Vermögen des Grafen, von dem er Lisaweta Prokofjewna und dem Fürsten Schtsch. beinah unwiderlegliche Beweise beigebracht hatte, stellte sich als gar nicht existierend heraus. Und nicht genug damit: ein halbes Jahr nach der Eheschließung hatten der Graf und sein Freund, der berühmte Beichtvater, es schon fertiggebracht, Aglaja mit ihrer Familie gänzlich zu veruneinigen, so daß diese sie schon seit mehreren Monaten nicht mehr gesehen hatte ... Mit einem Wort, es wäre viel zu erzählen gewesen; aber Lisaweta Prokofjewna, ihre Töchter und selbst Fürst Schtsch. waren von all diesen schrecklichen Ereignissen so ergriffen, daß sie sich sogar fürchteten, manche Dinge im Gespräch mit Jewgeni Pawlowitsch überhaupt nur zu erwähnen, wiewohl sie wußten, daß er auch aus anderer Quelle über Aglajas letzte Schwärmerei gut unterrichtet war. Die arme Lisaweta Prokofjewna sehnte sich nach Rußland zurück und kritisierte, wie Jewgeni Pawlowitsch bezeugte, im Gespräch mit ihm bitter und parteiisch das ganze Ausland: »Nirgends verstehen sie ordentlich Brot zu backen, und im Winter frieren sie wie die Mäuse im Keller«, sagte sie. »Wenigstens habe ich hier über diesen Armen auf russische Art weinen können«, fügte sie hinzu, indem sie aufgeregt auf den Fürsten zeigte, der sie überhaupt nicht erkannt hatte. »Nun haben wir uns genug durch Schwärmereien fortreißen lassen; es wird Zeit, daß wir auch auf die Stimme der Vernunft hören. Und all das, dieses ganze Ausland und dieses euer ganzes Westeuropa, das ist alles nur hohles Scheinwesen, und wir selbst sind im Ausland nur hohle Scheinwesen ... denken Sie an mein Wort; Sie werden selbst sehen, daß es so ist!« schloß sie ordentlich zornig, als sie von Jewgeni Pawlowitsch Abschied nahm.

 
Der Jüngling

Erster Teil
Erstes Kapitel
I

Ich habe dem Drange nicht widerstehen können, mich hinzusetzen und diese Geschichte meiner ersten Schritte auf der Lebensbahn aufzuzeichnen, obwohl es eigentlich nicht nötig wäre. Aber eines weiß ich ganz genau: um meine ganze Lebensgeschichte zu schreiben, werde ich mich niemals mehr hinsetzen, und wenn ich hundert Jahre alt werden sollte. Man muß doch gar zu sehr in sich selbst verliebt sein, um von sich selbst zu schreiben, ohne sich zu schämen. Ich entschuldige mich nur damit, daß ich nicht in der Absicht schreibe, in der es alle anderen tun, nämlich um vom Leser gelobt zu werden. Wenn ich mich plötzlich dazu entschlossen habe, alles, was mir im letzten Jahr begegnet ist, eingehend niederzuschreiben, so habe ich es infolge eines inneren Bedürfnisses getan: einen so starken Eindruck hat alles Geschehene auf mich gemacht. Ich werde nur die Ereignisse verzeichnen und alles fremde Beiwerk, namentlich schriftstellerische Finessen, möglichst vermeiden; so ein Schriftsteller schreibt dreißig Jahre lang und weiß zuletzt gar nicht, wozu er eigentlich so lange geschrieben hat. Ich aber bin kein Schriftsteller und will kein Schriftsteller sein, und ich würde es für eine Unschicklichkeit und für eine Gemeinheit halten, wenn ich das Innerste meiner Seele und meine besten Empfindungen auf den Büchermarkt schleppte. Zu meinem Verdruß ahnt mir aber, daß es doch wohl nicht ganz ohne Schilderung von Empfindungen und ohne Reflexionen (vielleicht sogar von trivialer Art) abgehen wird: so sittenverderbend wirkt auf den Menschen eine jede literarische Tätigkeit, auch wenn er sie nur für sich ausübt. Die Reflexionen aber werden vielleicht sogar einen sehr trivialen Eindruck machen, weil das, was man selbst für wertvoll hält, in den Augen eines Fremden leicht wertlos erscheint. Aber lassen wir das alles abgetan sein! Nun habe ich doch eine Vorrede geschrieben; weiter soll aber nichts mehr in diesem Genre vorkommen. Zur Sache also, obgleich nichts schwieriger ist, als zur Sache zu kommen – vielleicht auf allen Gebieten.

II

Ich fange an, das heißt, ich möchte meine Aufzeichnungen mit dem 19. September vorigen Jahres beginnen, also genau an dem Tag meiner ersten Begegnung mit ...

Aber wenn ich so gerade damit herauskäme, wem ich begegnete, ehe noch jemand irgend etwas weiß, so würde das abgeschmackt sein; ich glaube sogar, daß dieser ganze Ton abgeschmackt ist: obwohl ich mir fest vorgenommen, habe, nicht nach literarischen Finessen zu trachten, bin ich doch von der ersten Zeile an in dieses Fahrwasser hineingeraten. Außerdem ist, wie es scheint, zum vernünftig Schreiben der bloße Wunsch, es zu tun, noch nicht ausreichend. Ich bemerke ferner, daß es sich wohl in keiner europäischen Sprache so schwer schreibt wie im Russischen. Ich habe das, was ich hier soeben niedergeschrieben habe, jetzt noch einmal durchgelesen und finde, daß ich weit klüger bin, als ich in dem Geschriebenen erscheine. Woher kommt es, daß bei einem klugen Menschen das, was er sagt, weit dümmer ist als das, was unausgesprochen in ihm zurückbleibt? Ich habe das während dieses ganzen verhängnisvollen letzten Jahres an mir auch beim mündlichen Umgang mit anderen zu wiederholten Malen bemerkt und mich sehr darüber geärgert.

Obgleich ich mit dem 19. September beginnen will, möchte ich doch erst ein paar Worte darüber hersetzen, wer ich bin, wo ich vorher gelebt hatte und wie es somit an jenem Vormittag des 19. September in meinem Kopf teilweise aussah, damit die nachfolgenden Ereignisse dem Leser und vielleicht auch mir selbst verständlicher sind.

III

Ich habe das Gymnasium absolviert und stehe jetzt schon im einundzwanzigsten Lebensjahr. Mein Familienname ist Dolgorukij, und mein legitimer Vater ist Makar Iwanow Dolgorukij, ein ehemaliger Leibeigener der Herrschaft Wersilow. Auf diese Weise bin ich in legitimer Ehe geboren, obwohl ich ein entschieden illegitimer Sohn bin und meine Herkunft nicht dem geringsten Zweifel unterliegt. Das ging folgendermaßen zu:

Vor zweiundzwanzig Jahren besuchte der Gutsbesitzer Wersilow (das nämlich ist mein Vater), der damals fünfundzwanzig Jahre alt war, sein Gut im Gouvernement Tula. Ich vermute, daß er zu jener Zeit noch sehr charakterlos war. Es ist merkwürdig, daß dieser Mann, der seit meiner frühesten Kindheit einen solchen Eindruck auf mich gemacht und einen so gewaltigen Einfluß auf meine ganze seelische Entwicklung ausgeübt hat und vielleicht durch seine Persönlichkeit noch auf lange Zeit hinaus für meine Zukunft bestimmend gewesen ist, daß dieser Mann auch jetzt noch in sehr vieler Hinsicht für mich ein vollständiges Rätsel geblieben ist. Aber davon später. Das läßt sich nicht so von vornherein erzählen. Von diesem Mann werde ich ohnehin in meinem Heft fortwährend zu reden haben.

Er war damals, das heißt im Alter von fünfundzwanzig Jahren, gerade Witwer geworden. Er war mit einer Frau verheiratet gewesen, die zwar den höchsten Gesellschaftskreisen angehörte, aber nicht sehr reich war, einer geborenen Fanariotowa, und hatte von ihr einen Sohn und eine Tochter. Meine Nachrichten über diese so früh von ihm gegangene Gattin sind nur sehr unvollständig und in meinem Material nicht so ohne weiteres zu finden, und auch vieles von Wersilows privaten Lebensverhältnissen ist mir unbekannt geblieben, so stolz, hochmütig, verschlossen und geringschätzig benahm er sich fast immer gegen mich, obgleich er mich zuzeiten durch sein sozusagen demütiges Wesen mir gegenüber in Erstaunen versetzte. Ich erwähne jedoch zur Charakterisierung im voraus, daß er im Laufe seines Lebens drei Vermögen durchgebracht hat und sogar sehr beträchtliche, im ganzen über vierhunderttausend Rubel und vielleicht noch mehr. Jetzt besitzt er natürlich nicht eine Kopeke...

Er kam damals, Gott weiß warum, auf sein Gut, wenigstens drückte er sich mir gegenüber in der Folgezeit so aus. Seine kleinen Kinder hatte er, wie das so seine Gewohnheit war, nicht bei sich, sondern zu Verwandten gebracht; so behandelte er seine Kinder sein ganzes Leben lang, sowohl die legitimen als auch die illegitimen. Das Gesinde auf diesem Gut war sehr zahlreich; darunter befand sich auch der Gärtner Makar Iwanow Dolgorukij. Ich möchte hier einfügen, um es ein für allemal abzutun: selten hat sich wohl jemand über seinen Familiennamen so geärgert, wie ich es mein ganzes Leben lang getan habe. Das war natürlich dumm von mir, aber ich tat es doch. Jedesmal, wenn ich in eine Schule eintrat oder mit Leuten zusammenkam, denen zu antworten, ich nach meinem Lebensalter verpflichtet war, wiederholte sich dasselbe: jeder Lehrer, jeder Erzieher, jeder Inspektor, jeder Pope, jeder, den man sich nur denken kann, hielt es, nachdem er nach meinem Familiennamen gefragt und gehört hatte, daß ich Dolgorukij heiße, für nötig hinzuzufügen:

»Fürst Dolgorukij?«

Und jedesmal mußte ich all diesen müßigen Fragern antworten:

»Nein, einfach Dolgorukij.«

einfach

Dieses einfach brachte mich schließlich beinahe um den Verstand. Ich bemerke dabei als Kuriosität, daß ich mich an keine einzige Ausnahme erinnere: alle stellten sie jene Frage. Manchen war die Sache offenbar ganz egal, und ich weiß auch in der Tat nicht, was für ein Interesse jemand daran haben konnte. Aber alle fragten sie so, alle ohne Ausnahme. Und wenn der Frager dann gehört hatte, daß ich einfach Dolgorukij sei, maß er mich gewöhnlich mit einem stumpfen, gleichgültigen Blick, welcher bekundete, daß er selbst nicht wußte, warum er gefragt hatte, und ging weg. Am beleidigendsten waren derartige Fragen von seiten der Schulkameraden. Denn wie geht es dabei zu, wenn ein Schüler einen Neuen befragt? Der ängstliche, verlegene Neue ist am ersten Tag seines Eintritts in die Schule (was für eine es auch sein mag) das allgemeine Opfer: man befiehlt ihm dies und jenes, hänselt ihn und behandelt ihn wie einen Bedienten. Da stellt sich so ein gesunder, wohlgenährter Bengel gerade vor sein Opfer hin und mustert dieses eine Weile mit strengem, hochmütigem Blick. Der Neue steht schweigend vor ihm da, sieht ihn, wenn er nicht feige ist, von der Seite an und wartet, was da kommen wird.

einfach

einfach

»Wie heißt du mit Familiennamen?«

»Dolgorukij.«

»Fürst Dolgorukij?«

»Nein, einfach Dolgorukij.«

»Soso, einfach Dolgorukij! Du Schafskopf!«

Und er hat recht: es kann nichts Dümmeres geben, als Dolgorukij zu heißen, ohne Fürst zu sein. Diese Dummheit schleppe ich ohne Schuld mit mir herum. In späterer Zeit, als ich schon anfing, mich sehr darüber zu ärgern, gab ich auf die Frage: »Bist du Fürst?« immer zur Antwort: »Nein, ich bin der Sohn eines Gutsknechts, eines ehemaligen Leibeigenen.«

Und später, als meine Wut schon den höchsten Grad erreicht hatte, antwortete ich auf die Frage: »Sind Sie Fürst?« in festem Ton: »Nein, einfach Dolgorukij, der illegitime Sohn meines ehemaligen Gutsherrn, des Herrn Wersilow.«

Ich hatte mir diese Antwort schon in der sechsten Klasse des Gymnasiums ausgedacht, und obwohl ich bald zu der festen Überzeugung gelangte, daß sie dumm war, hörte ich doch nicht gleich damit auf. Ich erinnere mich, daß ein Lehrer - übrigens war er der einzige - fand, ich sei »von rachsüchtigen, freiheitlichen Ideen erfüllt«. Im allgemeinen aber wurde diese schroffe Antwort mit einer für mich beleidigenden Nachdenklichkeit aufgenommen. Schließlich sagte ein mit einer besonders scharfen Zunge begabter Mitschüler, mit dem ich etwa nur einmal im Jahr ein Gespräch führte, zu mir mit erregter Miene, aber ein wenig zur Seite blickend:

»Solche Gefühle machen Ihnen natürlich Ehre, und Sie haben ohne Zweifel allen Grund, darauf stolz zu sein; aber an Ihrer Stelle würde ich mich doch meiner illegitimen Herkunft nicht zu sehr rühmen... aber Sie setzen dabei ja geradezu ein Gesicht auf, als ob Sie Namenstag feierten!«

Seitdem hörte ich auf, mich dessen zu rühmen, daß ich illegitim bin.

Ich wiederhole: es ist sehr schwer, russisch zu schreiben: da habe ich nun ganze drei Seiten darüber vollgeschrieben, wie ich mich lebenslänglich über meinen Familiennamen geärgert habe, und dabei ist der Leser sicherlich, schon zu der Schlußfolgerung gelangt, ich sei eben darüber ärgerlich, daß ich kein Fürst, sondern einfach Dolgorukij bin. Mich darüber noch einmal zu äußern und mich zu rechtfertigen, würde unter meiner Würde sein.