Als der Bär am Zelt anklopfte

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ILLINOIS UND MISSOURI: VON FLUSS ZU FLUSS



Flo: Illinois beginnt mit unserer Lieblingsbeschäftigung auf Radreisen (Essen und Schlafen einmal ausgeklammert): einer Fährfahrt! Sobald wir diese Möglichkeit, über den Ohio-River zu setzen, auf unserer Landkarte entdeckt haben, freuen wir uns wie kleine Kinder darauf. Seit unseren Reisen in Skandinavien, wo es häufig statt Brücken Fähren zwischen den unzähligen Inselchen gibt, sind wir wahre Fans dieses Transportmittels geworden. Illinois ist hier im Süden besonders schmal und wird vom Ohio östlich und dem Mississippi westlich begrenzt. Für uns bedeutet dies, dass wir keine drei Tage in diesem Bundesstaat verbringen werden.



An einem heißen Spätnachmittag gelangen wir tatsächlich an den riesigen Ohio, einen der größten Nebenflüsse des Mississippi. Trotz der landesweiten Dürre scheint der Fluss hier noch reichlich Wasser zu führen. Träge und blaugrün fließt er entlang grüner Wiesen und schattiger Bäume. Wir haben lange Zeit nur verdorrte Felder und vertrocknete Wiesen, vor allem aber kein so großes Gewässer mehr gesehen und merken erst jetzt, wie uns dieses kühle Nass auch innerlich gefehlt hat. Als dann auch noch die Fähre anlegt und wir an Bord gehen, ist unser Glück perfekt. Viel zu kurz ist das Vergnügen mit der kleinen Fähre, die nicht mehr als ein paar Autos und eben uns Radfahrer transportieren kann. Am gegenüberliegenden Ufer erwartet uns ein Dorf mit dem Namen Cave in Rock, geschuldet einer Höhle, die sich in einem Felsen am Ufer des Flusses befindet. Früher war dies ein wichtiges Versteck für Flusspiraten, jetzt ist es eine kleine Sehenswürdigkeit und ein beliebter Kletterfelsen.



Schnell bauen wir unser Zelt am nahen Campingplatz auf, außer drei anderen Radfahrern aus den Staaten sind wir die einzigen Gäste. Wir verstehen uns auf Anhieb gut und teilen uns den Zeltplatz. Die Campingplätze in den USA bezahlt man nämlich pro Platz und nicht pro Person – für Familien oder Rentnerpaare mit Riesencamper ein fairer Preis, aber für Soloradfahrer mit kleinem Zelt verhältnismäßig teuer. John und Helen fahren in die unserer Route entgegengesetzte Richtung, Paul, laut eigenen Angaben Tontechniker für schlechte Horrorfilme, ist auf dem Weg von New Orleans nach St. Louis. Bei Sonnenuntergang sitzen wir auf dem großen Felsen und genießen den Blick von oben auf den glitzernden Fluss. Im Dunkeln gehen wir zurück zu den Zelten und verbringen einen gemütlichen Abend mit unseren neuen Freunden. Wir hören Bluegrass aus Helens iPod, tauschen Radfahrerlebnisse aus aller Herren Länder aus und verstehen uns prächtig.








Der Ohio-River trotzt der Dürre

.



Klara: Am nächsten Morgen fahren wir alle zeitig los. Paul ist früher dran als wir, weil wir, dank unseres Espressofaibles, etwas länger brauchen. Dafür holen wir ihn nach ein paar Kilometern ein und fahren die 30 Kilometer, auf der sich unsere Routen überschneiden, gemeinsam weiter. Wir quatschen über die Tiere, die wir auf unserem bisherigen Weg gesehen haben – meist plattgefahrene Tiere, wie sich herausstellt. Während Paul es anscheinend meistens mit Gürteltieren zu tun hatte (das englische Wort dafür fällt mir nicht gleich ein und er hilft mir mit „die Ratte mit dem Schildkrötenpanzer auf dem Rücken“ auf die Sprünge), berichten wir von den fettschwänzigen Ratten, die wir an jeder zweiten Kurve erspähen oder ekelhafterweise in der brütenden Hitze schon von Weitem riechen können. Dann schwingen Flo und ich nach rechts und sind wieder allein. Und,

big surprise

: Hier geht’s mal wieder schön kupiert weiter. Vor uns liegt eine Aneinanderreihung sanft geschwungener bis steiler Hügel. Das Höhenprofil dieses Streckenabschnittes hatten wir bis dahin noch gar nicht beachtet, schließlich wähnten wir uns nach dem Ende der Appalachen in flacheren Gefilden. Doch dem ist nicht so. Wir fahren durch Felder und kleine Wälder eine schmale Landstraße entlang und sehen die ersten Pro-Obama-Schildchen. Es ist Wahlkampfzeit und in zwei Monaten wird der Präsident gewählt. In den bisherigen Bundesstaaten schienen die meisten aber eher für den republikanischen Romney zu sein. Hier ist alles schon etwas liberaler. Dafür haben es die paar Anstiege, die uns laut Landkarte in ein Kaff namens Eddyville bringen sollen, ganz schön in sich. Es geht steil hinauf, es ist schwül und es ist heiß. Mittlerweile haben wir beide Kondition aufgebaut, doch die Hitze und die Steilheit, die diese Kuppen haben, fordern uns voll und ganz. Verschwitzt treten wir stehend in die Pedale und brauchen alle Kraft, um uns hochzukämpfen.



Eddyville ist dann nicht mehr als eine Landstraßenkreuzung samt Tankstelle und ein paar kleinen Häuschen. Ein guter Ort für eine wohlverdiente Pause. Nachdem wir uns auf dem Tischchen vor der Tankstelle Nudeln gekocht haben, verebbt unser Gespräch während des Essens langsam. Und kaum ist der letzte Bissen gegessen, legen wir die Löffel beiseite und schlafen gleichzeitig ein. Ein herrliches Gefühl! Das könnte ewig so weitergehen, würde da nicht plötzlich ein störender Schatten auf mich fallen und mein Mittagsschläfchen unterbrechen. Es handelt sich dabei anscheinend um den (vielleicht nur selbsternannten) Bürgermeister von Eddyville, der uns mit den Worten weckt: „Was kann ich für euch tun, ich bin der Mann, auf den ihr gewartet habt.“ Das ist sehr nett von ihm, nur wissen wir, verschlafen wie wir sind, momentan einfach nicht, warum wir auf ihn warten hätten sollen, geschweige denn was er für uns tun könnte – außer vielleicht uns weiterschlafen zu lassen. Müde blinzeln wir gegen die Mittagssonne, während der Kerl ohne Gnade weiterredet. Wenigstens wissen wir jetzt, dass noch jede Menge steiler Hügel auf uns warten, denn dies macht uns der freundliche Besucher eindeutig klar: „Ein Zuckerschlecken wird das nicht, das sage ich euch!“ Nachdem wir endlich wieder allein sind, sehen Flo und ich uns in die Augen und denken beide das Gleiche: „Eine Runde geht noch!“ Also Kopf nach hinten und zurück ins Land der Träume.





NICHTS FÜR WASCHLAPPEN: DIE ROLLING HILLS



Klara: Nach weiteren 20 Minuten Schläfchen geben wir uns doch einen Ruck und machen uns auf, die prophezeiten Hügel abzuradeln. Der Bürgermeister hat dabei nicht untertrieben und so kommt es, dass Florian und ich den Spieß in puncto Ausdauer und Sportlichkeit – zwei Attribute, die normalerweise eindeutig auf den männlichen Part unserer Combo zugeschnitten sind – umdrehen. Tapfer fährt Flo im Wind und will und will nicht aufgeben. Schon bei einem kurzen Stopp, um Eier ab Hof zu kaufen, stolpert er fast über seine – wie er selbst sagt – zahnstocherdünnen Beinchen, die normalerweise sein Erfolgsgeheimnis zu sein scheinen, wenn er nähmaschinengleich dahinstrampelt. Aber diesmal helfen ihm selbst seine Turbobeine nicht mehr weiter. Er ist einfach fertig und unterzuckert. Kurz:

kaputto chetto!

, wie wir in solchen Fällen sagen. Endlich taucht eine Tankstelle auf! Mein sonst so starker Mann sinkt auf die schäbige Holzbank vor dem heruntergekommenen Lädchen und rührt keinen Finger mehr. Hier würde er sich gern der totalen Erschöpfung ergeben, wäre da nicht die Tankstellenbesitzerin, eine Furie, die ihresgleichen sucht. Noch bevor wir sie zu Gesicht bekommen (was gar nicht so leicht ist, denn sie ist klein gewachsen, trägt braune Tarnfarben und versteckt sich hinter ihrem verschluderten Tresen), wissen wir sofort, wer hier das strenge Regiment führt. Mithilfe von Videokameras und Lautsprechern herrscht sie über ihr Reich und kommandiert mit tiefer Stimme tankende Kunden herum, die wieder mal nicht wissen, wie die Zapfsäulen zu bedienen sind: „Nummer 3, Nummer 3: Den Hebel drücken! Ich wiederhole: Den Hebel drücken!“ Obwohl Florian hinterm Eck lümmelt, hat sie ihn schon mit ihrem dritten Auge ausfindig gemacht und hält seinen Schwächeeinbruch offenbar für sehr unmännlich. Als ich allein beginne, unsere Flasche für den Benzinkocher voll zu tanken, stelle ich mich etwas ungeschickt an – vielleicht aus Angst vor dem alles überwachenden Ungetüm auf der anderen Seite der Linse. Ihre Anweisungen aus dem Off helfen mir da nicht unbedingt weiter. Nach einer Minute ist ihre Geduld am Ende: Wütend stapft sie aus der Tür, sieht Flo verächtlich an, verdreht die Augen und wirft mir einen „Na-du-hast-dir-aber-einen-tollen-Mann-geangelt-Blick“ zu: „Du brauchst wohl einen Tritt in den Hintern, um deinen faulen Körper aufzuraffen und deiner Frau zu helfen!“, schnauzt sie ihn an. Flo ist zu schlapp, um zu reagieren. Jetzt hilft nur noch ein Cola, um so schnell als möglich von hier zu verschwinden!








Knock-out: Da hilft nicht mal mehr ein Tritt in den Hintern

.



Flo: Zuerst verläuft der Nachmittag noch in gewohnter Weise: Ich vorne weg und Klara im Windschatten an meinem Hinterrad klebend (Anmerkung Klara: „Dafür gehört dir ein Orden verliehen“). So weit ist die Welt also in Ordnung. Irgendwo vor Goreville ist es dann aber um mich geschehen. Die ersten Anzeichen eines Schwächeanfalls bei einem kurzen Stopp ein paar Meilen zuvor ignoriere ich noch, als sich beim Absteigen vom Fahrrad die Beine aber bereits sehr schlecht koordinieren lassen, ist es vorbei mit mir – und ich habe kein rettendes Cola dabei! Jede/r Radreisende weiß, wie leicht es passieren kann, seine Grenzen zu übersehen, zu wenig gegessen oder getrunken zu haben und für einen kurzen Moment durch Unterzuckerung beinahe von Sinnen zu sein. Und jetzt ist es so weit!



Die verachtenden Blicke und Kommentare dieser alten

Schaßtrommel

 treffen mich – total fertig, einem Käfer gleich am Rücken liegend – schon ein wenig. Ich entspreche wohl nicht ihrem Idealbild eines Mannes. Wenn die wüsste, wie viel ich heute schon im Wind gefahren bin! Und dann auch noch Klaras Elan: Sie will heute noch 30 Kilometer weiterfahren, allerdings nur:

„Wenn du noch kannst.“

 Das ist Neuland für mich! Sie hat den Spieß umgedreht und plötzlich bin ich es, der am Hinterrad klebt. Klaras Begeisterung hält aber leider nicht lange genug an und am Ende muss ich wieder vorne fahren. Ich habe mich nach Keksen und Cola wieder einigermaßen erholt, aber nun hat sie mit den letzten Kilometern zu kämpfen. Als uns ein Ranger kurz vor Sonnenuntergang nicht in seinem Camp zelten lässt (für Pfadfindermädchen

only

) und wir bis zum Einbruch der Dunkelheit weiterradeln müssen, kommen die Tränen der Erschöpfung. Gibt es hier denn keine Kameras? Jetzt könnte ich mit meinem Durchhaltevermögen bei der alten Schachtel wohl wieder punkten …

 



In sengender Hitze gelangen wir zwei Tage später an ein kleines, braunes Rinnsal. Dank unserer Karte wissen wir, dass dies der Mississippi sein muss, wir können es aber kaum glauben, als wir den Damm am vertrockneten Fluss entlangfahren. Hier sollen normalerweise Raddampfer verkehren? Unsere Gedanken werden von dröhnender Rockmusik und lauten Schüssen unterbrochen. Wir nähern uns der Lärmquelle und treffen auf einen schießwütigen Mitvierziger, der quer über den Fluss auf gegenüberliegende Ziele ballert. Die rudernden Bootsfahrer ignoriert er dabei. „Ist das wirklich der Mississippi?“, frage ich den Schützen, während Klara die Böschung zum Wasser hinuntergeht. Mit dem Gewehr im Anschlag nickt er und fragt dann beiläufig: „Wohin ist deine Frau verschwunden? Sag ihr, sie soll mir nicht in die Schusslinie kommen!“ Zeit, sich aus dem Staub zu machen, finden wir! Apropos Staub: Hier wird Kohle abgebaut, und zwar so richtig! Wir sehen kilometerlange Züge, vollbeladen mit Kohle und jede Menge Trucks, die das schwarze Gold befördern. Diese Trucks überholen uns auf den schmalen Straßen dermaßen knapp, dass wir nur noch nach Chester kommen möchten, denn Chester ist die Heimatstadt Popeyes, von der wir uns viel versprechen!








Ganze Landstriche sind ausgedörrt. Die Rinder leiden am meisten

.



Außer ein paar überlebensgroßen Figuren aus der Comicserie gibt es aber nur heruntergekommene Backsteinhäuser und vor allem eine große Durchzugsstraße für Kohletrucks – Chester hat also eher den Charme einer kleinen Industriestadt als den des starken Popeye. Netterweise lädt der Eagles-Verein alle Trans-Am-Fahrer ein, in einer kleinen Baracke am hiesigen Sportplatz zu schlafen. Dort gibt es sogar ein kleines Radio. Dauerthema ist die Jahrhundertdürre dieses Sommers. Flüsse vertrocknen, die Ernte ganzer Bundesstaaten ist verdorrt, für Rinder gibt es nicht mehr ausreichend Futter und Wasser. Sogar die Fähre über den sonst so breiten Mississippi musste eingestellt werden. Uns hält nichts in Chester und so fahren wir tags darauf über die Brücke nach Missouri.








            COLA MAKES THE WORLD GO ROUND





            23. August 2012








Klara: Okay, jetzt beginnt mir die Sache schön langsam unheimlich zu werden. Dass man beim ausgiebigen Radfahren alle paar Kilometer einen Zuckerschock braucht, ist mir mittlerweile klar (spätestens, wenn ich keine drei Sätze Englisch mehr sprechen kann, ist es Zeit für einen Little-Debbie-Schokoriegel). Was Flo aber hier betreibt, ist jenseits von Gut und Böse. Unsere übliche Ration von einer Halbliterflasche Cola je vor- und nachmittags pro Person wurde vorgestern von meinem Windschattenmacher ohne großes Aufsehen einfach unbemerkt in eine Einliterflasche Pepsi pro Person umgewandelt. Tags darauf kam er freudestrahlend mit einer Zweiliterflasche aus dem Supermarkt zurück und kommentierte: „Da stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis.“ Mir kamen erste Bedenken, doch das Schlüsselerlebnis, das mir endgültig die Augen öffnete, war, als im Nirgendwo, mitten in Missouri, zwischen ausgetrocknetem Farmland und bei brennender Hitze plötzlich ein Colaautomat auftauchte. Ich hatte mein Rad noch nicht abgestellt, drückte er mir schon eine Dose in die Hand. Damit aber nicht genug. Kaum leer, stand er mit zittrigen Händen vor dem Automaten und bekam fast einen Anfall, als sich herausstellte, dass die Maschine die Ein-Dollar-Note nicht und nicht nehmen wollte. „Das gibt’s doch nicht! Nicht jetzt!“ Ich wollte diese brenzlige Situation ja fotografieren, wäre da nicht Jack, ein Mittsiebziger und eben-falls auf dem Trans-Am, um die Ecke gebogen, der Florian im letzten Moment auf ein Cola einlud und somit Schlimmeres verhinderte.



So viel also zu unserer gesundheitlichen Versorgung. Ja, wir essen viel und ja, es ist viel Müll. Teilweise können wir gar nicht anders. Obwohl wir an Metropolen wie London, Madrid, ja sogar Vienna vorbeikommen (die Einwohnerzahlen pendeln irgendwo zwischen 45 und 243 Einwohnern), gibt es hier oft weit und breit nichts außer einer Tanke, um sich mit dem Nötigsten (sprich Burger, Kekse und dem Diesel der Beine: Cola) versorgen zu können. Einerseits manchmal eine sehr willkommene Ausrede, andererseits manchmal echt hart, wenn tagelang kein Gemüse, Obst oder Joghurt in Sicht ist.








Den „Diesel der Beine“ gibt’s an jeder Tanke

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Flo: Ja, mich erschreckt es ja selbst, wie viel Cola der menschliche Organismus verträgt. Wer jedoch auf seinen Körper hört und sensibel genug ist, der spürt einfach, was er braucht – so wie ich. Besonders bei den rekordverdächtigen Temperaturen von bis zu 42 Grad Celsius verlasse ich mich auf meine, bei diversen Radausfahrten langjährig ausgebildeten, Instinkte. Ein einziges Mal vergaß ich auf die benötigte Ration des süßen Getränkes und was dann an der schäbigen Tankstelle passiert ist, ist ja bekannt!



Klara: Wir befinden uns jetzt, nachdem wir das immer gleiche Auf und Ab der Appalachen und der Kuppen in Illinois hinter uns gebracht haben, direkt im nächsten Hügelgebirge. Diesmal sind es die Ozarks mit ihren alten, wieder mal einfach von A nach B gebauten Straßen, wie sie die ersten Siedler entlang der gesamten Ostküste angelegt haben. Beinahe kommt es uns vor, als hätten die Pioniere tatsächlich versucht, so viele Kuppen wie möglich in die Straße einzubauen. Unser Höhenprofil gleicht den seismographischen Aufzeichnungen eines Erdbebens der Stufe 6. Die

rolling hills

 der Ozarks werden gern auch als Achterbahn bezeichnet. Mit dem nötigen Schwung schafft man solche Hügel locker, hat man den nicht, dann heißt es innerhalb von Sekunden von gefühlter Lichtgeschwindigkeit (=60 km/h) auf Schildkrötentempo (=4 km/h) heruntergebremst zu werden und zu fluchen zu beginnen. Apropos Schildkröten: Vier retteten wir mittlerweile schon ehrenhaft von der Straße. Bei unserem Tempo bergauf ist es ja auch nicht schwer, sie rechtzeitig zu entdecken.



Ich trage sogar schon eine Art Sehnenscheidenentzündung vom vielen Schalten zwischen dem kleinsten und dem größten Gang (und vice versa) davon. Mein Mann findet das aufregend und meint, er kenne zwar einen Tennisarm, ein Schaltarm sei ihm jedoch neu!



Hier in den Ozarks ist es stickig heiß und wir sind – genauso wie die Tourenradfahrer aus anderen Teilen der USA – schockiert über die Armut und schlechte Allgemeinbildung vieler Menschen hier. Genau wie in Virginia, Kentucky und Illinois bestehen nach wie vor die meisten Siedlungen aus

mobile homes

 (einfache Holzbaracken), vor denen Autowracks herumstehen. Viele wissen nicht, wo Österreich liegt (das leuchtet uns in Anbetracht unserer geringen Landesgröße noch ein), denken aber auch bei genauerer Beschreibung – „ein kleines Land in Europa“

, dass wir direkt von dort losgeradelt sind.



Was unsere Stimmung jedoch hebt, ist die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen, auch wenn wir ihre Reiseinformationen über die kommenden topographischen Gegebenheiten nicht unbedingt gern hören.

„There’s one big hill in front of you!“

, hören wir vor, nach und zwischen jedem Bergchen und jeder scheint zu meinen, sein Hügel sei der schlimmste und unbezwingbarste von allen. Mittlerweile fragen wir uns, ob die Leute glauben, wir wären soeben per Hubschrauber vor ihrer Nase abgesetzt worden und hätten nicht bereits rund 2000 Kilometer reines Bergauf – Bergab hinter uns. Mit der Zeit nehmen wir das Ganze gelassen, denn mit Hurrikan

Isaac

 im Nacken, der soeben in Florida wütet, geht bei uns die Post ab. Er bringt uns Rückenwind und schiebt uns förmlich gen Westen!



Trotzdem: Ich freue mich wie ein kleines Kind auf die flachen Ebenen von Kansas. Täglich schwärmen uns die gen Osten reisenden Radfahrer davon vor: „

With the right wind you do 120 Miles a day.“

 Ich stelle mir mittlerweile schon vor, Kansas bloß aussitzen zu müssen. Bildlich wird mein Fahrrad zum windbetriebenen Moped, auf dem ich mit 30 km/h ohne Treten dahinbrause. Wohlverdienter Rückenwind und totale Flachheit, das wird herrlich! Kansas, wir kommen!





KANSAS: EAST OR WEST?


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