Datenschutzrecht

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Lösung zu Fallbeispiel 4 – Löschbegehren gegen Online-Archiv – Recht auf Vergessen I (Rn. 63)


I. Prüfungsmaßstab BVerfG
(P): Beurteilungsmaßstab Verfassungsbeschwerde: Grundrechte des GG
Ausformung des APR
BVerfG prüft innerstaatliches Recht und dessen Anwendung am Maßstab des GG
Innerstaatliches Recht vorliegend Durchführung von Unionsrecht nach Art. 51 Abs. 1 GrCh; hier: Durchführung von unionalen Datenschutzbestimmungen der DSRL/DS-GVO
Aber: kein vollständig determinierendes Unionsrecht
Umsetzungsspielraum in Art. 9 DSRL/Art. 85 DS-GVO
Raum für Grundrechtsvielfalt und Anwendbarkeit des GG
Grundsätzlich Prüfung am Maßstab der Grundrechte des GG
Aber: Auslegung im Lichte der GrCh
Ferner: BVerfG keine Superrevisionsinstanz
II. Schutzbereich
APR (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG)
Geschützt ist die freie Entfaltung der Persönlichkeit
Umfasst ist auch der Schutz vor personenbezogener Berichterstattung und der Verbreitung von Informationen
Auch Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen einer Person und ihr Bild in der Öffentlichkeit auszuwirken
Schutzbereich, eröffnet (+)
Gemäß BVerfG nicht einschlägig: RaiS, da es sich vorliegend nicht um eine Pflicht zur Preisgabe von Daten oder eine intransparente Nutzung dieser handelt, sondern um eine Berichterstattung, die der Information der Öffentlichkeit dient (Ergebnis eines Kommunikationsprozesses)
III. Eingriff
(P): Mittelbare Drittwirkung
Hier: Urteil (+)
IV. Rechtfertigung der Einschränkung
1. Schranken
Einfacher Gesetzesvorbehalt: §§ 823, 1004 BGB analog
2. Schranken-Schranken, insb. Verhältnismäßigkeit des Urteils
Zivilrechtliche Streitigkeit: Abwägung der kollidierenden Grundrechte und schonender Ausgleich im Sinne der praktischen Konkordanz
a) Legitimer Zweck
Einschränkung des APRs durch das Urteil, um Meinungs- und Pressefreiheit zu gewährleisten
b) Geeignetheit (+)
c) Erforderlichkeit (+)
d) Angemessenheit
Abwägung: APR der betroffenen Person gegen die Meinungs- und Pressefreiheit
Pro Persönlichkeitsrecht:
Berichterstattung liegt viele Jahre zurück; Haftstrafe rechtmäßig verbüßt
Rehabilitationsinteresse des Beschwerdeführers; Erschweren der Wiedereingliederung in die Gesellschaft
Erhebliche Beeinträchtigungen für das Privatleben
Öffentliche Beurteilung seiner Person allein auf Tat reduziert
Dauerhafte Verfügbarkeit und jederzeitige Aufrufbarkeit der Informationen
Betroffene Person trat zwischenzeitlich hinsichtlich der Tat nicht öffentlich in Erscheinung
Contra APR
Berichterstattung beruht auf zutreffenden Tatsachen
Öffentliches Interesse an schweren Straftaten
Meinungsfreiheit schützt das Berichten über Vorgänge des öffentlichen Lebens
Aus dem APR folgt kein absolutes „Recht auf Vergessenwerden“
Presse hat ein erhebliches Interesse Berichte in unveränderter Form archivieren zu können („Spiegel der Zeitgeschichte“)
Zugleich öffentliches Interesse an der Archivierung
Angemessenheit (-), da APR hier überwiegt
Durch Zeitablauf überwiegt das Interesse der betroffenen Person nicht mehr mit der verbüßten Haftstrafe konfrontiert zu werden
Verfassungsbeschwerde begründet (+)

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Lösung zu Fallbeispiel 5 – Löschbegehren gegen Suchmaschinenbetreiber – Recht auf Vergessen II (Rn. 64)


A. Beschwerdebefugnis
Insb. Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung
Keine Prüfung anhand des GG in vollständig unionsrechtlich determinierten Materien
DSRL/DS-GVO vorliegend mit abschließenden Regelungen → vollständig vereinheitlichte Materie
Prüfung der GrCh durch BVerfG, soweit GG-Grundrechte durch Anwendungsvorrang verdrängt
Beschwerdebefugnis nach Art. 7 und 8 GrCh (+)
B. Begründetheit
I. Prüfungsmaßstab
Insb. BVerfG keine Superrevisionsinstanz
Beurteilungsmaßstab aufgrund der vollständigen Determinierung = GrCh
Wahrnehmung der Integrationsverantwortung aus Art. 23 I GG
II. Anwendungsbereich
Schutz der Achtung des Privatlebens und vor der Verarbeitung personenbezogener Daten durch Art. 7 und 8 GrCh
Umfasst auch den Schutz der selbstbestimmten Persönlichkeitsentfaltung gegenüber der Datenverarbeitung Dritter
III. Einschränkung
(P) Hineinwirken der GrCh-Grundrechte in das Privatrecht?
Hier: Urteil als Einschränkung der Grundrechte (+)
IV. Rechtfertigung der Einschränkung
1. Gesetzliche Grundlage (Art. 52 Abs. 1 S. 1 GrCh)
Zivilrechtliches Urteil basiert auf §§ 823, 1004 BGB (+)
2. Zulässiges Ziel (Art. 52 Abs. 1 S. 2 GrCh)
(+), Einschränkung der Persönlichkeitsrechte (Art. 7 und 8 GrCh) durch das Urteil, um unternehmerische Freiheit (Art. 16 GrCh) des Suchmaschinenbetreibers sowie Meinungs- und Pressefreiheit des Inhalteanbieters (Art. 11 GrCh) und Informationsinteressen der Internetnutzer zu gewährleisten
3. Wesensgehaltsgarantie (Art. 52 Abs. 1 S. 1 GrCh) (+)
4. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 52 Abs. 1 S. 2 GrCh)
a) Geeignetheit (+)
b) Erforderlichkeit (+)
c) Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit i.e.S.)
Abwägung: Art. 7 und 8 GrCh der betroffenen Person vs. Art. 16 GrCh des Suchmaschinenbetreibers (kein Berufen auf Art. 11 GrCh), Art. 11 GrCh des Inhalteanbieters und die Informationsinteressen der Nutzer
Pro Persönlichkeitsrechte der betroffenen Person:
Art. 7 und 8 GrCh schützen auch vor der Datenverarbeitung Dritter
Grds. sind die rein wirtschaftlichen Interessen des Suchmaschinenbetreibers weniger gewichtig als der Schutzanspruch der betroffenen Person
Vergehen einer gewissen Zeitspanne → sinkendes öffentliches Interesse an Berichterstattung
Höhere Auffindbarkeit durch Verlinkung im Internet als bei reiner Sendung im TV
Dauerhafte Verfügbarkeit und jederzeitige Aufrufbarkeit der Informationen im Internet
Auswirkungen sowohl auf Sozial-, als auch Privatsphäre
Contra Persönlichkeitsrechte:
Unternehmerische Freiheit umfasst auch das Anbieten von Suchdiensten
Mitberührt sind zudem die Grundrechte des Inhalteanbieters
Interessen der Nutzer sind ferner miteinzubeziehen
Großes Gewicht des Informationsinteresses der Öffentlichkeit und der Meinungs- und Informationsfreiheit Dritter
Kündigungsschutz Thema von allgemeinem Interesse
Zustimmung zu dem Interview für den Beitrag
Titel der Sendung nicht von vorneherein eine unzulässige Schmähung
Angemessenheit (+), Überwiegen der Interessen des Suchmaschinenbetreibers, der Inhalteanbieter und der Nutzer
Verfassungsbeschwerde unbegründet

Anmerkungen

[1]

 

Vgl. hierzu auch die Kritik bei Britz, DÖV 2008, 411 (412 f.).

[2]

BVerfG, Urt. v. 27.2.2008, 1 BvR 370/07 u. 1 BvR 595/07 = BVerfGE 120, 274 = WM 2008, 503, Rn. 203 – Online-Durchsuchungen; vgl. auch Polenz, Der Grundrechtsschutz beim Zugriff auf informationstechnische Systeme, 2008, 34, abrufbar unter: http://docplayer.org/6209287-Der-grundrechtsschutz-beim-zugriff-auf-informationstechnische-systeme-dr-sven-polenz.html (Abruf: 12.1.2021).

[3]

BVerfG, Urt. v. 27.2.2008, 1 BvR 370/07 u. 1 BvR 595/07 = BVerfGE 120, 274 = WM 2008, 503, Rn. 201 – Online-Durchsuchungen.

[4]

BVerfG, Urt. v. 27.2.2008, 1 BvR 370/07 u. 1 BvR 595/07 = BVerfGE 120, 274 = WM 2008, 503, Rn. 201 – Online-Durchsuchungen.

[5]

Zweifelnd auch Hornung, CR 2008, 299 (301 f. und 306).

[6]

Nachbaur, NJW 2007, 335 (337).

1. Kapitel Grundlagen › D. Entwicklung, Grundstrukturen und Systematik des Datenschutzrechts